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In den Pastoralbriefen schreibt Paulus seinen Mitarbeitern, wie sie ihren Dienst für Gott verstehen und ausführen sollen. Glauben, d. h. die vertrauensvolle Hinwendung zu Jesus Christus als Herr über Leben und Tod, als Heiland und Erlöser, steht bei Paulus immer in einem engen Zusammenhang mit der Dienstbereitschaft, denn aus dem Begreifen, wie das Verhältnis zwischen Christus und dem Menschen sein soll, erwächst unmittelbar das Handelnwollen für diesen Christus. Es geht ja um das Heil nicht nur der eigenen Person, das allumfassend die eigene Persönlichkeit voll und ganz erfassen und durchdringen soll. Es geht um das Heil Israels und aller Nationen, ja, der ganzen unerlösten Schöpfung. Die Treue in Dienst und Glauben hat demzufolge ein weites Spektrum an Lebenserfahrungen und ist Gefahren ausgesetzt, denen man sich bewusst werden muss. Dazu gehören auch die Forderungen der Traditionalisten, wie Paulus herausstellt. Seine Lehre über Gott und das Heil für die Menschen war eine andere als die der Juden. Mit der Konfrontation der neuen mit der alten Glaubensrichtung entstanden Konflikte, die bis zum heutigen Tag andauern und die zweitausendjährige Geschichte des Judentums mit dem Kirchenchristentum begleiteten. Paulus und seine Anhänger waren zunächst krasse Außenseiter und Störfaktoren im religiösen Getriebe ihrer Zeit, sie setzten jedoch Meilensteine zur Entstehung einer Weltbewegung. Paulus zu verstehen, ist indes der Schlüssel zum Verständnis der Heilsgeschichte Gottes.
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Seitenzahl: 459
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Roman Nies
Die Pastoralbriefe
Ein heilsgeschichtlicher Kommentar
© 2019 Roman Nies
Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7497-1132-1
Hardcover:
978-3-7497-1133-8
e-Book:
978-3-7497-1134-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Treue in Dienst und Glauben
-
Die Pastoralbriefe
Ein heilsgeschichtlicher Kommentar
Inhalt
Der erste Brief an Timotheus
Vorbemerkungen
1.
Rechte Lehre, rechter Glauben1Tim 1,1-12
2.
Wie Ehre und Herrlichkeit werden1 Tim 1,13-17.20
3.
Das vollumfängliche Heil ist für alle da1 Tim 2,1-4
4.
Der Zorn Gottes und der Zorn des Menschen1 Tim 2,8
5.
Schöpfungsordnung ist Heilsordnung1 Tim 2,5-15
6.
Gemeindemodelle 1041 Tim 3,1-15
7.
Gottseligkeit oder Irrgeistigkeit 1141 Tim 3,16; 4,1-3.7-11
8.
Missionierungsfragen 1361 Tim 4,4-6
9.
Anweisungen zum Dienen1 Tim 4,12-6,21
Der zweite Brief an Timotheus
Vorbemerkungen
1.
Ermahnungen zur Standhaftigkeit2 Tim 1,1-18
2.
Ermunterungen zur Treue2 Tim 2,1-13
3.
Streit und Irrlehren2 Tim 2,14-26
4.
Endzeitgedanken2 Tim 3,1-9
5.
Naturalismus kontra Gotteswesen2 Tim 3,1-9
6.
Die Formen der Frömmigkeit2 Tim 3,5
7.
Durchhalten!2 Tim 3,13-17; 4,1-18
Der Titusbrief
1.
Der AufseherdienstTit 1,5-16
2.
Tugend und HeilTit 2-3
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Der erste Brief an Timotheus
Vorbemerkungen
In den Pastoralbriefen schreibt Paulus seinen Mitarbeitern, wie sie ihren Dienst für Gott verstehen und ausführen sollen. Glauben, d.h. die vertrauensvolle Hinwendung zu Jesus Christus als Herr über Leben und Tod, als Heiland und Erlöser, steht bei Paulus immer in einem engen Zusammenhang mit der Dienstbereitschaft, denn aus dem Glauben, dem Begreifen, wie das Verhältnis zwischen Christus und dem Menschen sein soll, erwächst unmittelbar das Handelnwollen für diesen Christus. Es geht ja um das Heil nicht nur der eigenen Person, das allumfassend die eigene Persönlichkeit voll und ganz erfassen und durchdringen soll. Es geht um das Heil Israels und aller Nationen, ja, der ganzen unerlösten Schöpfung. So jedenfalls sieht es Paulus. Glauben – das ist Lebenspraxis und Umsetzung der Nachfolge, die bei jedem etwas anders aussehen kann, weil die Berufenen verschiedene Gaben und Aufgaben haben. Treue – das ist die uneingeschränkte Zurverfügungstellung dessen, was man ist und hat für den Gott Israels und damit auch, weil man es sonst nicht könnte, die vertrauensvolle Hingabe.
Dies sagt sich auch deshalb so leicht, weil Paulus, wie alle, die seinem Vorbild gefolgt sind, eine unmittelbare Bestätigung der Richtigkeit dieses Weges bekommen hat. Ob man die im Eifer des Gefechtes immer gleich versteht und erkennt, ist wieder eine andere Sache. Dennoch gilt, das Gehen mit Christus geschieht nie allein und Christus hinterlässt Seine unverkennbaren Spuren im Werdegang des Menschen, der auch zunehmend bewusst gemacht worden sein wird.
Die Treue in Dienst und Glauben hat ein weites Spektrum an Lebenserfahrungen. Sie ist aber auch Gefahren ausgesetzt. Zu allererst Gefahren des Weges selbst. Im Falle von Paulus und seinen Gefährten waren vor allem Juden immer wieder als Widersacher erkannt worden. Sie waren in den kleinasiatischen und griechischen Gemeinden, als auch in Rom und in den übrigen Provinzen des Römischen Reiches die Hüter des Glaubens an den Gott Israels. Die Anhänger Jesu waren zunächst nur als Sektierer betrachtet worden. Daran änderte sich auch nichts, nachdem die Gemeinde um Jakobus, den Bruder Jesu, in Jerusalem beträchtlich angewachsen war und viele Sympathisanten bekommen hatte. Es war eine der ersten Prioritäten dieser Ortsgemeinde, die Juden in Jerusalem und Judäa und dann auch Samarien und Galiläa von ihrer Existenzberechtigung zu überzeugen. Darin waren sie nur mäßig erfolgreich. Jesus hatte ihnen das vorausgesagt (Mt 10,23).
Die Legitimität ihres Anliegens nachzuweisen gelang ihnen also nur teilweise. Ihre erste Errungenschaft war dabei gewesen, dass diese Glaubensrichtung überhaupt als Sekte geduldet war. Das wiederum konnte nur gelingen, weil die Jesusjünger sehr darauf bedacht waren, die Torah zu halten und ein gesittetes Leben zu führen. Man nannte das auch im Volksmund „Gerechtigkeit“. Wenn Jakobus zu den nichtmessianischen Juden sprach, sprach man die gleiche Sprache und Jakobus wurde verstanden, wenn er sagte: „Der Glaube, wenn er keine Werke hat, ist in sich selbst tot.“ (Jak 2,17) und „Der Glaube wirkt mit seinen Werken zusammen und der Glaube wird aus den Werken vollendet.“ (Jak 2,22) Das war damals bei den Juden gängige Meinung und geltende Glaubensmaxime und ist es bis zum heutigen Tag für orthodoxe Juden geblieben, denn das war die Lehre des Alten Testaments. Was die Gemeindemitglieder in Jerusalem, die auch nur das Alte Testament als geschriebenes Wort Gottes hatten, von den übrigen Juden unterschied, war der Glaube an Jesus Christus als Messias.
Ganz anders war die Verkündigung des Paulus zu bewerten. Man verstand ihn als Gegner der Beschneidung und der Torah. Dazu hatte man schwerwiegende theologische und von Gottes Wort her gestützte Einwände gegen die paulinischen Lehren. Darüber hinaus vertrat Paulus aber etwas, was für viele Juden vielleicht sogar noch schlimmer war. Paulus griff die Sonderstellung Israels, nach ihrem Verständnis, an, denn bisher konnte nur ein Jude in den Genuss der Verheißungen und der Bündnisse mit Gott kommen. *1 Paulus lehrte, dass ein Nichtjude kein Jude werden musste und kein Mitglied in der Gemeinschaft des israelitischen Volkes. Das war nicht hinnehmbar. Und das war auch genau der Punkt, der den Jüngern Jesu schwer verdaulich war. Das zeigen einige der Vorkommnisse, die in der Apostelgeschichte, aber auch in den Briefen von Paulus beschrieben werden. *2
Und so hatte Paulus mit den seinen einen Mehrfrontenkrieg auszufechten. Da waren die Heiden, die sich gegen diese Verleumdungen von Paulus, der ihre Götter als Taugenichtse darstellte, zur Wehr setzten; da waren die Behörden, die die öffentliche Ordnung zu schützen hatten, die Paulus mit seinen Reden gefährdete; und schließlich waren da die Juden, die in ihm einen Häretiker erkannten, der Unfrieden und Verwirrung in die Synagogengemeinden brachte, wobei es klar ist, dass es darunter messianische Juden gab, die Paulus als schärfste Gegner erkannte, denn sie vertraten den orthodoxen Glauben an Jesus Christus, so wie er schon seit Jahrzehnten von den Getreuen Jesu gelebt worden war.
Paulus war ein krasser Außenseiter und wurde von den meisten als Störfaktor betrachtet. Es wäre unerklärlich wie es dieser Mann mit seiner Hand voll Freunde geschafft haben konnte, die in der Entstehung begriffene Weltreligion so entscheidend mitzuprägen, wenn man nicht den Beistand, den er für sich behauptete, nicht wirklich gehabt hätte. Nicht die Briefe eines Bartholomäus oder Andreas oder Philippus sind erhalten geblieben, sondern eines Paulus.
Dass Paulus kein Gegner der Torah oder Beschneidung war, wie er immer wieder dargestellt worden war, blieb seinen Kritikern unverständlich. Das nicht zu verstehen, ist überhaupt ein Merkmal dafür, dass man heilsgeschichtlich keinen Horizont hat, unter dem man alles andere eingeordnet hat. Das erklärt die unendlich vielen christlichen Kirchen und Abspaltungen, deren Lehren im Vergleich zueinander wie Kraut und Rüben ins Feld schießen. Paulus zu verstehen, ist der Schlüssel zum Verständnis der Heilsgeschichte Gottes. Wer die Theologie des Paulus nicht verstanden hat, kennt Gott nicht so, wie Er erkannt werden will.
1.
Rechte Lehre, rechter Glauben 1 Tim 1,1-12
Paulus bezeichnet im ersten Satz im Brief an Timotheus Christus als Retter und Hoffnung. Das griechische „Elpis“ kann auch mit „Zuversicht“ oder „Erwartung“ übersetzt werden. * 3 Die „Hoffnung“ hat im Kirchenglauben einen Anklang von Bangigkeit. Man hofft, weiß aber nicht, wie berechtigt die Hoffnung ist. Die Kirchenchristen „hoffen“ dass sie in den Himmel kommen, sie hoffen, dass es bei ihnen ausreicht und dass sie nicht in die Hölle kommen. Das hat mit der biblischen Hoffnung ebenso wenig zu tun wie das biblische Glauben, griechisch „Pistis“, mit dem Kirchenglauben der zweifelnden Menschen. *4
So wie „Pistis“ eigentlich für „Vertrauen“ oder „Treue“ steht, sollte man auch in dem „Elpis“ eine „Erwartung“ sehen. „Elpis“ ist eine Erwartung von etwas, was sicherlich kommt. Eine Schwangere ist „in guter Hoffnung“, nicht etwa darüber, dass ein Kind geboren wird, denn das ist sicher. Die bange Frage ist nur, ob mit der Geburt alles gut geht. Und ob der ängstliche Erzeuger nicht vor Schwäche umfällt.
Die Kirchentradition hat sowohl Vertrauen in Gott als auch die Erwartung der Ankunft Jesu und das Vertrauen in die verlässliche Realisierung Seiner Worte verloren. Die Kirchen sind, wenn man ihnen ihre Verlautbarungen glaubt, wie Frauen mit einer eingebildeten Schwangerschaft, die hoffen, dass die Niederkunft gelingt. Wo nichts ist, kann auch nichts gelingen!
Eine gewisse Hoffnungslosigkeit in Bezug auf die echte Treue zu Gott, hat sich in den kirchlichen Glaubenspraktiken ebenso wie in ihren Theologien niedergeschlagen, die sehr düster und „hoffnungslos“, apokalyptisch negativ und traurig sind, und daher eben auch in ihren Bibelübersetzungen. Die Bibelübersetzer und die, die sich berufen fühlten, sie zu revidieren, gehören und gehörten ja immer auch einer bestimmten Glaubensrichtung an und so ist es erwartungsgemäß, wenn sie ihre persönliche Sichtweise in die Texte hineininterpretierten.
Man „glaubt“ jetzt nur noch und „hofft“. Man glaubt nur noch so ungefähr, dass das, was die Bibel sagt – wenigstens allegorisch ansatzweise – stimmt. Man hofft nur noch, dass alles gut wird mit einem oder mit Zweien. Die Kirchentradition hat Paulus schon bald nicht mehr verstanden, weil sie sowohl den „Glauben“ verleugnet und verändert hat, als auch die „Hoffnung“. Den Glauben verstand man nicht mehr wie Paulus und Jesus als enges Treueverhältnis zu Gott und in Christus. Eine kalte Ferne hat sich eingestellt. Und man verstand ihn auch deshalb nicht mehr so, weil man es ja auch nicht anders kannte. Man befand sich nicht in einem solchen Treueverhältnis, sondern in einem Traditionsverhältnis. Man war Kind der Kirche, nicht Kind Gottes. Wenn man zwei Auslegungs – und Übersetzungsvarianten hatte, wählte man die der Tradition, nicht die des Geistes Christi, weil man sich ihm entfremdet hatte. *5
Dass die zunehmende Entfremdung des Kirchenvolks mit dem Gott der Bibel keine Vermutung ist, belegt die Kirchengeschichte recht eindrücklich, so eindrücklich, dass viele Kirchengegner das als Grund für ihre Ablehnung des Christentums anführen. Die Kirche ersetzte schon sehr früh die nicht gegebene Beziehung zu Gott durch Ersatzbefriedigungen. Und so verlor die Kirche die frühe Erwartung der Wiederkunft Jesu auch sehr schnell, denn Er kam ja tatsächlich nicht. Und das hatten die Jünger Jesu ohne Zweifel erwartet. Aber nachdem Jahr um Jahr und schließlich Jahrzehnt um Jahrzehnt vergangen waren, begannen die theologische Aufarbeitung und die Suche nach den Gründen. Man konnte sich darin den Juden anschließen, denn die warteten im ersten Jahrhundert sehnsüchtig auf das erste Kommen des Messias. Die Christen erwarteten das zweite Kommen des Messias. Irgendwann war den Christen klar geworden: so schnell gibt es diese Rückkehr Jesu nicht. Zweitausend Jahre später glauben viele gar nicht mehr daran, dass Jesus überhaupt noch zurückkehrt. Sie sagen dann vielleicht noch höflich, wenn er nicht in dein Herz gekommen ist, kommt er gar nicht mehr. Und ganz falsch ist dieser Gedanke nicht.
Hat Paulus dieses zweite Kommen Jesu als Richter der Welt und Messias Israels gemeint, als er von seiner „Elpis“, Erwartung, redete? Für Paulus reichte die Bedeutung des Begriffes weit über das bloße körperliche Präsenz Jesu hinaus, denn ihm ging es in all seinen Briefen vornehmlich um die innerliche, geistliche Präsenz Jesu. Das ist die Erwartung, von der er immerzu redete, über den Christus „in uns“ und „in euch“. Und das passt auch zu dem Christus als „Soter“ und Retter. Doch bevor Jesu der Retter einzelner und aller Nationen wird, kommt Er doch zuerst als Messias Israels zu Seinem Volk Israel.
„Paulus begrüßt in seinem ersten Brief an seinen Mitarbeiter Timotheus mit einem Segenswunsch, den jeder, der damals in der Evangelisation war, gut gebrauchen konnte: „Gnade, Barmherzigkeit, Friede von Gott, dem Vater, und von Christus Jesus, unserem Herrn!“ (1 Tim 1,2).
Paulus und die Mitarbeiter hatten bereits viele gefährliche Situationen wegen der Verkündigung des Evangeliums erlebt. Sie hatten Volksaufläufe verursacht, bei denen man ihnen verdeutlicht hatte, dass sie nicht erwünscht waren. Man hatte sie verflucht, geschlagen, eingesperrt. Wenn einem draußen auf den Straßen Krieg entgegenschlägt und es drinnen im Herzen stürmt, kann einen nur der Gott des Friedens aufrichten und durchtragen. Und wenn einen der Hass und die Ablehnung der Menschen niederdrückt, wird man nur durch die Gnade und Barmherzigkeit Gottes gestärkt und neu ausgerichtet.
Gnade, Barmherzigkeit und Frieden, das sind Wesensmerkmale Gottes, die im Alten Testament häufiger vorkommen als die meisten anderen Zeichen der Güte Gottes. Der „Frieden“, das ist der Schalom. Mit „Frieden“ ist das im Deutschen nicht ausreichend übersetzt. Der Schalom Israels ist nicht nur äußerer Frieden, dass man in Sicherheit vor Feinden und in Wohlergehen wohnt. Man muss ja vor allem seinen Frieden mit Gott geschlossen haben. Und das kann man nur, wenn man mit Ihm eins geworden ist. Die Israeliten hatten dazu die Torah, die ihnen das Ziel des Schalom vorgab. Es war eine Vorstellung eines vorläufigen Friedens bei ihnen, die sie zu leben versuchten, denn sie hatten allezeit ihre Feinde von außen. Sie vermochten die Segnungen der Torahfrömmigkeit nicht auszureizen und erzielten daher immer nur einen relativen Schalom, der sich von den Friedenshoffnungen anderer Völker nicht sehr unterschied.
Christus war im Grunde der erste Jude, der einen anderen Schalom verkörperte. Und der steht in einem engen Zusammenhang mit den anderen Wesensmerkmalen Gottes, weil sie eins mit der Person Gottes sind. Was Paulus dazu in seinen Briefen zu sagen hat, übersteigt noch einmal das, was von den anderen Aposteln überliefert ist. Und nur im Johannesevangelium gibt es eine Übereinstimmung der Friedensvorstellung des Schreibers und des Rufers mit dem, was Paulus im 1 Kor 15 den Korinthern über die Unterordnung der ganzen Schöpfung unter Christus zu sagen hatte (1 Kor 15,20-27). Johannes lässt dort Jesus über das Einssein mit Ihm und dem Vater reden (Joh 17,11.21ff)). Es wäre unverständlich, warum die Synoptiker Matthäus, Markus und Lukas diese wichtige Rede von Jesus ausgelassen haben, wenn man nicht wüsste, dass sie eine andere Aufgabe hatten als Johannes mit seinem verspäteten Bericht über das Leben Jesu.
Paulus greift also eigentlich das auf und macht es groß, was Jesus erst in Seinen letzten Tagen angesprochen hat. Er hat es aber als Bitte gegenüber dem Vater angesprochen wie ein politisches Vermächtnis. Wenn man an die nachfolgenden Ereignisse denkt und wie sich die Jünger Jesu dabei verhalten haben, muss man zu dem Schluss kommen, dass sie noch sehr weit davon entfernt waren, mit Jesus oder dem Vatergott eins zu sein. Einem wunderwirkenden Propheten, der alle mit seiner Weisheit und seinem Wissen in die Tasche steckt nachzufolgen, ist keine Kunst. Jede Bewegung, die aus kleinen Anfängen erwächst und sich halten will, muss irgend etwas zu bieten haben, was andere nicht haben. Die Lethargie und Bequemlichkeit des normalen Menschen kann nur aufgerüttelt werden, mit Absonderlichkeiten, die gewinnbringend erscheinen. Das Evangelium ist zweifellos eine Absonderlichkeit in der Welt. Aber es hat die Rettung vor der Ungewissheit des Postmortem anzubieten. Deshalb glauben so viele dem Evangelium, ohne wirklich bekehrt zu sein. *6 Normale Menschen wünschen sich nicht die Gnade und Barmherzigkeit und den Frieden Gottes. So zu reden wie Paulus redet, setzt eine ständige Vergegenwärtigung eines dringlichen Einswerdeprozesses mit Gott bzw. Jesus Christus voraus. Paulus war der Lehrer der Gnade Gottes. Er durfte mehr als jeder andere einen Blick auf die Länge und Weite der Gnade Gottes werfen. Nicht nur Israel und erst recht nicht nur ein Rest Israels wird das Heil erleben, sondern auch die Nationen. Niemand hatte zuvor so eine weite Vorausschau oder einen solchen Tiefblick auf und in die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Daher kommt bei Paulus auch immer der Wunsch durch, dass doch jeder Mensch von dieser Gnade durchdrungen sei und sich nach Gottes Barmherzigkeit und Frieden ausstrecke. Niemand vor ihm, außer Jesus, konnte so kompetent über diese drei Merkmale Gottes nachdenken und reden. *7
Paulus weist gleich zu Beginn seines Briefes Timotheus an, sich nicht auf sinnlose Diskussionen und Streitfragen einzulassen (1 Tim 1,3-4). Er nennt Fabeln, Geschlechtsregister und Gesetzeslehren, also wieder menschliche Traditionen und falsches Schriftverständnis, bei dem vieles, was die Schrift auch sagt, weggelassen oder falsch ausgelegt wird. Das Vollendungsgemäße, d.h. das was auf die Vollendung des Planes Gottes zustrebt, ist „Liebe aus reinem Herzen, gutem Gewissenund ungeheucheltem Glauben“ (1 Tim 1,5). Die Lehre, die das beinhaltet und zur Mitte des Vorhabens Gottes hat, seine Liebe walten und zum Ziel bringen zu lassen, nennt Paulus „Vollendung aber der Anweisung“. Luther übersetzt hier mit „Hauptsumme aller Lehre“, Menge mit „Endziel der Heilsverkündigung“. Griechisch heißt es „telos tes parangelias“ „telos“ ist das Ziel, der Zweck, die Vollendung, „parangelia“ ist der Befehl, die Weisung, die Lebensregel. *8 Menge und Luther haben frei interpretiert. Die Liebe ist allenfalls eine von vielen Summen der Lehren und nur eines von vielen Zielen der Heilsverkündigung. Man übersetzt hier das „telos“ wohl am zutreffendsten mit „Ziel“ oder „Vollendung“. Wenn Dogmen und Glaubensthesen aufgestellt werden, die nicht der Liebe, Barmherzigkeit und Gnade Gottes Rechnung tragen, kann man mit Sicherheit sagen, dass sie ungöttlich und unbiblisch sind. Solcherart gibt es viele in den großen Kirchen und ihren Lehren. Sie bleiben Menschenlehre, sie können über das menschlich Irrtümliche nicht hinaus.
Den Bibeltreuen wird ja von Seiten der menschlichen Wissenschaft oft vorgeworfen, dass man die Bibel nicht wörtlich nehmen dürfe, weil sie Fabeln und menschliche Lehren enthalte, die keinesfalls mit der Realität übereinstimmen würde und auch nicht Gottes Reden oder Gedanken wiedergeben könne. Doch das sind genau die Fabeln und Irrlehren vor denen Paulus warnt. Das kann man daher wissen, weil Paulus ohne Ausnahme dem Reden Gottes gegenüber kritiklos ist. Er redet von seinen Begegnungen mit Gott und dem Christus, von den Machttaten Gottes, den Schandtaten der Menschen infolge Verführung durch Finsternismächte. Er redet über den auferstandenen Christus, der mit Seinem Geist in jedem wohnt, der sich Ihm anvertraut hat. Das sind alles Sagen und Fantastereien für Ungläubige. Für Paulus ist es erlebte Erfahrung in der Lebensbeziehung mit Christus. Sein Reden ist authentisch und niemals schwärmerisch.
Die Angriffe auf die jungen Gemeinden, die Paulus gegründet hatte, kamen ja nicht nur von Ungläubigen und Heiden, die ihre Besitzstände bewahren wollten und sie gefährdet sahen. Das „wehret den Anfängen“ rechnet ja vorsorglich mit Gefahren, die sich gerne als Harmlosigkeiten herausstellen dürfen. Die Angriffe kamen auch und gerade auch von Seiten des Judentums. Paulus warnte öfters vor ihnen als vor anderen.
Moderne Theologen wollen daraus einen gewissen Antisemitismus in den Briefen von Paulus konstruieren, doch das ist nicht berechtigt. Paulus wendet sich ja nicht gegen „den“ Juden oder „die“ Juden als solche, sondern nur gegen diejenigen, die sich antichristlich, also anti-messianisch, benehmen. Er würde jeden anderen ebenso raten, sich nicht gegen Christus zu stellen. Wenn es immer wieder Juden sind, die ihn angreifen, dann liegt klar auf der Hand, warum das so ist. Der jüdische Torahlehrer Paulus verbreitete ihrer Meinung nach eine falsche und gefährliche Lehre über den Messias und den jüdischen Gott. Paulus verdeutlicht in seinen Briefen ganz im Gegenteil, dass Israel sogar eine besondere Rolle in der Heilsgeschichte Gottes zukomme (Röm 11). Aber weder die Heiden, noch die Juden haben Paulus recht verstanden. Die einen klagten ihn an, neue Götter einzuführen, die in Konkurrenz träten mit den bereits voll integrierten Lokalgöttern. Die anderen warfen ihm vor, dass er einen neuen Gott, der in Wirklichkeit ein Mensch und Betrüger war, zum Messias erklärt habe.
Immer wieder geht es bei Paulus um die Abwehr der falschen Torahfrömmigkeit. Er sagt auch hier, was der Denkfehler dabei ist und zugleich, was ein Gegensatz zur Gesetzlichkeit ist, die Gott nicht haben will. Die Torah diente zwar zur Unterweisung, jedoch ist sie ohne das Ziel der „Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben“ nichts. Was nützt es, sich in der Gesetzlichkeit, der buchstabengetreuen Einhaltung der Gebote zu üben, wenn es an der Liebe aus reinem Herzen fehlt. Der Zusatz „aus reinem Herzen“ ist wichtig, denn auch die Liebe ist nichts Beliebiges. Die Liebe, die von Christus kommt und zu Christus hinführt, ist gemeint. Doch wie kann man von ihr und damit auch von Christus wegkommen? Indem man den heiligen Geist betrübt, weil man nicht auf Ihn hört und sich dann zu Konkurrenzgeistern hinziehen lässt. Was bleibt ist nur noch „unnützes Geschwätz“ (1Tim 1,6). Und in Bezug auf die Torah fehlt das rechte Verständnis, denn „sie wollen das Gesetz lehren und verstehen selber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten.“ (1 Tim 1,7).
Versteht jemand nicht, was er sagt? Was könnte das sein? Das tut jemand, wenn er nicht die eigentliche Bedeutung der Begriffe erfasst hat und den Widerspruch, in den er sich verwickelt, nicht erkennt. Wenn jemand nicht versteht, was er behauptet, dann hat er eine in sich unstimmige Gedankenfolge, die zu falschen Schlussfolgerungen führt. Ein Beispiel dafür wäre, wenn man sagt, „wir müssen nur die Gebote des Neuen Testaments halten“ und unter dem Neuen Testament die Bücher des Neuen Testaments versteht. Diese haben aber für sich keine abgeschlossene Zuständigkeit, denn in den Büchern des Neuen Testaments ist auch das Alte Testament und der Alte Bund vertreten. Die Namensgebung war willkürlich. „Alt“ heißt hier nicht „überholt“, sondern nur „älter“ als das „neuere“. Das Alte Testament ist das erste Testament. Aber auch der Name „Testament“ ist irreführend. Man meinte ursprünglich damit „Vermächtnis“. Die Bibel ist ein erbliches Dokument. Die Juden werden ihr Erbe, das Volk Gottes unter dem Messias zu sein, dass die Völker leitet, erst antreten können, wenn sie den zweiten Teil ihres „Erbnachlasses“ angenommen haben. Bis jetzt verhalten sie sich wie jemand, der einen Teil des Erbes annehmen will und das Zweite nicht. Sie hinken mit einem Bein. Aber die Kirchenchristenheit hinkt dafür mit dem anderen Bein, wenn sie meint Israel ersetzt zu haben. Sie schlüpft dabei in ein Kleid, das ihr viel zu groß ist.
Das ergibt ein groteskes Bild. Sie meint, sie habe vom Bräutigam Jesus den Auftrag bekommen Ihn als Geschiedenen zu heiraten. Und so bezeichnet sie sich als Braut und Israel als Verstorbenes Volk Gottes. In ihren Kirchen sollen alle, die einen Einwand haben, wenn vorne Braut und Bräutigam vor dem Altar stehen, ihre Stimme erheben. Aber die Kirchenchristen sind nur im besten Fall geladene Gäste bei der Hochzeit, und auch nur dann, wenn sie begriffen haben, dass Gott das Brautpaar zusammengeführt hat. So ist es oft in den Kirchen, man meint, die Befugnis zu haben, Ehen zu schließen. Und dann gibt es noch andere Kirchen, die sich sehr fortschrittlich wähnen. Sie sagen: „Da Paulus gesagt hat, dass die Torah nur auf Christus hinführen soll, hat die Torah keine Bedeutung mehr.“ Diese Schlussfolgerung ist falsch, weil noch nicht alle Christus untergeordnet sind (1 Kor 15,20-26).
Da gibt es welche, denen Paulus vorwirft, dass sie als Torahlehrer nichts verstehen. Das müssen offenbar Juden sein. Ihnen fehlt das Ziel, Jesus Christus, und so bleiben sie in der Zielgebung hängen. Ihr Visier haben sie aber bereits stark verzogen, weil sie eigene Gesetze und Satzungen dazu gefügt haben. Man erkennt nur noch schemenhaft bei der Torahhaltung der Juden, was das wohl für ein Gott sein könnte, den sie anbeten.
Die Torahlehrer der Juden behaupteten schon vor zweitausend Jahren, dass man die Gebote halten muss, wenn man ins Himmelreich eingehen will. Richtig in Bezug auf die Torah ist: „Wir wissen aber, dass das Gesetz gut ist, wenn es jemand recht gebraucht.“ (1 Tim 1,8) Wie könnte nach Paulus so ein rechter Gebrauch aussehen? Ganz einfach. Jemand, der stiehlt, soll damit aufhören. Jemand der lügt, soll damit aufhören. Jemand der die Ehe bricht, soll damit aufhören. Vor allem aber, jemand, der einen anderen Gott hat, soll sich völlig und ganz Jesus Christus zuwenden. Jemand, der nicht stiehlt, dem hilft das Gebot, „du sollst nicht stehlen“. Paulus sagt dazu: „dass dem Gerechten kein Gesetz gegeben ist, sondern den Ungerechten und Ungehorsamen, den Gottlosen und Sündern, den Unheiligen und Ruchlosen, den Vatermördern und Muttermördern, den Totschlägern, den Unzüchtigen, den Knabenschändern, den Menschenhändlern, den Lügnern, den Meineidigen“ (1 Tim 1,9-10). Die Liste könnte fortgesetzt werden. Und das ist auch das Problem der Torahfrommen. Sie verstehen nicht, dass die Torah wie sie Gott gegeben hat, nicht komplett ist. Das musste sie für ihre begrenzten Zwecke auch gar nicht sein. Ganz anders der Geist Christi.
Er ist vollkommen und die viel bessere Wahl, wenn man nach Gottes Willen leben will. Der Hinweis der Torahfrommen, dass man doch die Gebote halte müsse, sonst hätte sie Gott nicht gegeben, wäre überflüssig, wenn es nicht Übeltäter gäbe, die den Geist Christi nicht haben und solches gesagt werden muss, was für Christus selbstverständlicher Wesensbestandteil ist. Jesus Christus ist die Wahrheit in Person. Er muss nicht daran erinnert werden, dass er nicht lügen soll. Daraus lässt sich ersehen, je näher man diesem Christus sich angenähert hat, desto eher wird man Ihm auch Seinem Wesen ähnlich sein. *9 Es ist tragisch zu sehen, wie sich viele Menschen abmühen, die Mücken ihrer Ungesetzlichkeiten zu sieben und dabei das Schlucken von Kamelen der Lieblosigkeit nicht nur nicht vermeiden, sondern sogar noch kultivieren. Das ist immer ein Zeichen dafür, dass man das Gesetz auch nicht dem Geiste Christi nach befolgt hat, sondern nach seinem menschlichen Verständnis. Es bleibt dann ein eigenes Werk, das mit begrenztem Segen oder Fluch belegt ist, aber nicht in die Gemeinschaft mit Christus bringt. Wo der Geist Christi ist, ist aber auch immer Seine Liebe. Wo der Geist Christi ist, da ist nicht das Gesetz das Bestimmende, denn das Gesetz ist für die Übeltäter (1 Tim 1,9) und die, die erst noch von ihren Übeltaten wegkommen müssen, bis sie ganz zu Christustaten gekommen sind. Man hat dann auch die wahre ewige Ruhe und den Frieden, wenn man ganz bei Christus angekommen ist. Es ist verständlich, dass viele auf ihrem Grabstein „Er ruhe in Frieden“ stehen haben, auch wenn sie keine Christen sind. Den Menschen ist dieser Wunsch bereits in die Wiege gelegt, weil das ihre Bestimmung sein soll. Doch der wahre Frieden, ist nur in Christus zu finden. Ob tot oder lebendig! Wer nicht mehr mit Pfeil und Bogen auf Feinde zielen muss, weil der Frieden gekommen ist, wird seine Zielvorrichtungen gleich mit weg legen können. Insofern ist es ein Widerspruch, wenn man meint bei Christus angekommen zu sein, aber noch an den Waffen festhält, mit denen man noch Feinde bekämpfen muss. In Christus herrscht Ruhe, in Adam herrscht noch Krieg und Unruhe.
Jesus warnte die Schriftgelehrten, die im Neuen Testament oft mit den Pharisäern zusammen genannt werden: „Ihr gebt den Zehnten von Minze und Raute und allerlei Gemüse, aber am Recht und an der Liebe Gottes geht ihr vorbei.“ (Lk 11,42) Wer zu gesetzlich ist, hat gar nicht mehr Recht, er hat das Gesetz missbraucht. Sobald man es sich zum Selbstzweck macht, hat man es missbraucht. Und bei allem Recht in der Sache, ist doch die Liebe ein höheres Recht, das Gott zusteht und das Er zuteilt, wie Er will. In der Parallelstelle in Mt 23,23, steht „das Recht, die Barmherzigkeit und den Glauben“. Die Barmherzigkeit ist der Ausfluss der Liebe. Sie steht ebenfalls, wo sie geübt wird, über dem, was der Buchstabe des Gesetzes zu sagen hat. Mit dem Glauben kann Jesus nur die Treue zu Gott gemeint haben. Man muss sich bei aller Rechthaberei und Rechtsausübung immer fragen, was Gott in der Sache will. Die Frau, die vor Jesus gebracht worden war, leugnete nicht, dass sie Ehebruch begangen hatte. Dem Gesetz nach musste sie verurteilt werden, doch Jesus, der Gesetzgeber, begnadigte sie. In diesem Fall hatte der höchste Richter gegen das eigene Gesetz entschieden, weil Er sich selber treu war.
Die Treue Gottes zu sich selber besteht darin,dass Er immer so handelt wie Er ist.
Daher kann Er auch nicht sündigen wollen. Daher kommt Sein Wesen der Liebe und Barmherzigkeit immer wieder zum Vorschein, weil es immer da ist. Ebenso sollte es bei denen sein, die an Christus glauben und Ihm die Treue halten wollen. Vom „Sollen“ wird man aber zum „Werden“ gebracht. Am Ziel gibt es das Eins-Sein. Gelegentlich muss unter Christen die als wissenschaftlich bezeichnete Evolutionstheorie dafür herhalten, dass man jede Form der Entwicklung aus der Bibel heraushalten will. Dabei schießt man weit über das Ziel hinaus. Es ist eher so, dass auch hier Satan als Widerwirker ein „Anti“ gesetzt hat. Er lässt es zu, dass sich viele in die atheistische Evolutionslehre verrennen.
Es ist ihm aber nicht weniger Recht, wenn die Menschen nicht erkennen, dass Gott sehr wohl seine Schöpfung entwickelt. Aus etwas ursprünglich Gutem entwickelt Er Seine vermehrte Verherrlichung. Dazu gehört auch das Wachstum in Gnade und Weisheit. Gott sagte nicht, dass die Dunkelheit immer dunkel bleiben müsse, sondern Er spricht ihr Licht zu. Doch wie man an der Weltgeschichte sieht, lässt Gott immer noch etwas werden. In dieser Gnadenzeit ist die Gemeinde Jesu dabei, sich zum „Pleroma“, der Fülle, auszuwachsen. * 10
In der Wuppertaler Studienbibel heißt es im Kommentar zu 1 Tim 1,9: „Das Endziel des Gebotes ist die Liebe, so ist die Liebe Summe, Erfüllung und Ende des Gesetzes.“*11 Aber warum bleiben dann so viele Kirchenchristen in der Gesetzlichkeit stecken? Im 21. Jahrhundert fallen sogar viele noch weiter zurück und schaffen es noch nicht einmal gesetzlich zu sein, sie neigen der Gesetzlosigkeit zu. Ein Gesetzlicher bemüht sich wenigstens noch, die Gebote zu achten und einzuhalten. Ein Gesetzloser hat sich bereits selbst zum Maßstab gemacht. Ein Mensch sollte sich also entwickeln, wenn er ein unwissender Gesetzloser ist. Er sollte wenigstens noch zu einem wissenden Gesetzlichen werden. Und vielleicht gelingt es ihm sogar, dahin zu kommen, wo man zu einem Christusmenschen und recht Liebende wird. Er ist dann wieder „gesetzlos“, aber in dem Sinne, wie es Paulus in 1 Tim 1,9 meint, eine Gesetzlosigkeit, die das „Gesetz Christi“ in sich hat. Paulus stellt der Torah begrifflich den Nomos Christi dagegen. Man kann als das „Gesetz Christi“ das Wesen Christi bezeichnen. Das Wesen Christi ist die Vollkommenheit, die nur unzureichend in Worte und Paragraphen zu fassen ist. Daher ist die Torah in Form der fünf Bücher Mose natürlich unzureichend.
Einige messianischen Juden erklären diese Aussage des Paulus anders. Paulus sagt, dass der Gesetzmäßige Gebrauch des Gesetzes eigentlich darin besteht, dass der Gerechte aus dem Gesetz die Erkenntnis zieht, dass es den Übeltätern bestimmt ist und nicht ihm, solange er gerecht ist. Jedem normalen Menschen müsste dann als nächster Gedanke aufleuchten, aber ich bin nicht gerecht, weil ich immer wieder sündige, um dann zu erkennen: ich habe ein Problem, denn die Torah macht mich nicht gerecht, sie zeigt mir nur, dass ich ein Ungerechter bin. Die Juden glauben aber traditionell, dass sie gerecht werden können, indem sie versuchen, die Torah zu halten. Dies hat ihnen auch den Zugang zu Christus verbaut. Erstaunlicherweise halten aber manche messianische Juden an dieser Sichtweise fest. So schreibt einer: „Also ist die Torah nur in manchen Aspekten nicht für einen Menschen, den Gott für gerecht erklärt hat“ bestimmt.“ Der Autor übersetzt also den „Gerechten“, griechisch „dikaios“ *12 nicht mit „Gerechter“, sondern mit „Mensch, den Gott für gerecht erklärt hat“. Er interpretiert, er übersetzt nicht. *13 Dennoch gibt er seine Interpretation nicht als solche heraus, sondern als Bibelübersetzung. *14 Schon daran kann man erkennen, dass es dabei nicht ganz koscher zugegangen sein kann. Für den Autor ist „die Torah für jene, die unbekümmert um die Torah in ihrer Rolle für die Gerechten sind.“*15. Aber auch hier handelt es sich wieder nur um eine Interpretation des griechischen Wortes „anomois“, das nichts weiter als „Gesetzlose“ bedeutet. *16 und nicht „jene, die unbekümmert um die Torah in ihrer Rolle für die Gerechten sind.“*17 Der Autor entwickelt aus einzelnen Begriffen ganze Romane, um seine Botschaft unmissverständlich deutlich zu machen. Er verteidigt in seinem Kommentar zum Neuen Testament mehr die Torah als Christus.
Die Aussage hat Paulus gerade auch auf dem Hintergrund der torahbesessenen Juden getroffen. Er wollte ihnen auf diese Weise nochmals verdeutlichen, dass es letzten Endes gar nicht auf die Torah ankam, sondern auf den Geist Christi.
Wenn das Gesetz aber für die ist, die es noch brauchen, bedeutet das, dass man noch nicht vom Geist Christi geleitet wird oder sich dem Geist verschließt. Da die meisten Kirchen irgend eine selbst zusammengestellte Torah lehren, die sie nur anders nennen, und die Kirchenangehörigen anweisen, sich danach zu richten, muss Christus noch vielen fremd und das In-Christus-sein unbekannt sein. Andererseits, wenn Gott Paulus immer wieder dazu bringt, gegen die falschen Torahlehrer anzugehen, dann sollte man meinen, dass es nicht viele Kirchen gäbe, die ein Verständnisproblem mit der Torah hätten. Aber die Briefe von Paulus haben die Torah als ein Hauptprogrammpunkt. Das Wort „Gesetz“ steht 146 in der ElbÜ „liebe“ findet sich nur 80 Mal, „Gnade“ 87 Mal. Warum redet Paulus so oft über die Torah? Gerade weil Gott wusste, dass die Gemeinden torahlastig und gesetzlich sein würden, eben aus dem Grund, den Paulus angibt: es gibt mehr Übeltäter als Christusglieder und es gibt mehr Gesetzlichkeit als Herzensliebe. Und daher gibt es auch erwartungsgemäß viele Kirchen, in denen unreife, aber hoffentlich lernwillige Menschen einen Ort finden, wo ihnen geholfen werden kann. Ob man immer gleich die richtige gefunden hat, ist eine andere Frage. Fakt ist, dass Glieder des Leibes Christi einer unsichtbaren Gemeinde angehören, in der sie alles lernen, was sie benötigen.
Das findet auf einer anderen Ebene statt als im Kirchenleben. Aber, dass es geschieht, das fällt unter die Zuständigkeit, der alle Dinge schafft. Es ist bezeichnend, dass es gerade diejenigen Kirchenlehrer sind, die an eine darwinistische Evolution glauben, die an ihre eigene Entwicklung zu geistigen Wesen nicht glauben.
Paulus nennt in seiner Aufzählung in 1 Tim 1,9-10 vieles, was nach der Torah und im Geiste der Torah ungesetzlich und sündig genannt werden muss und bezeichnet all dies als etwas was der „gesunden Lehre“ entgegensteht. Das Gesetz ist für: „Gesetzlose und Widerspenstige, für Gottlose und Sünder, für Heillose und Unheilige, Vatermörder und Muttermörder, Mörder, Unzüchtige, Knabenschänder, Menschenhändler, Lügner, Meineidige, und wenn etwas anderes der gesunden Lehre entgegensteht“. Das Gegenteil eines Gesetzlosen ist aber nicht, dass er die Torah nicht kennt, sondern, dass er das Gesetz Christi nicht in sich wirken hat. Es ist ein Naturgesetz, ein göttliches Naturgesetz, ein Gesetz der göttlichen Natur.
Wie ja bereits Jesus Seinen Jüngern deutlich vorgeführt hat, ist das Zuviel an Gesetzlichkeit ebenso wie die Ungesetzlichkeit ein menschliches Problem. Das gesunde Maß kommt von der gesunden Lehre. Daher gehört zur ungesunden Lehre auch der Irrglauben, dass man durch krampfhaftes Festhalten an Förmlichkeit etwas gewinnen könnte, was Gott wohlgefällt. Das Seien von Mücken fällt aber gar nicht ins Gewicht, wenn man dabei Kamele verschluckt. Wer am Sabbat keine Arbeit tut und dann seinem Nachbar nicht hilft, der ihn bittet zwei „Sabbatwege“ zum nächsten Arzt zu gehen, hat mit seinem Verständnis vom Sabbat noch nicht einmal eine Mücke gesiebt und denkt in seinem Wahn, dass er ein engmaschiges Netz gegen die Sünde gespannt hätte. Dabei sitzt er mitten drin in der Sünde, der Sünde des Dreigestirns Lieblosigkeit und Maßlosigkeit und Erkenntnislosigkeit.
Paulus beklagte, dass die Gesetzeslehrer die Freiheit der Gemeinde Christi ausspionierte, um sie dann verklagen zu können. Die Freiheit, um die es sich handelte, war die Freiheit von der Gesetzlichkeit, von Lieblosigkeit, Maßlosigkeit und Erkenntnislosigkeit. Er predigte das Evangelium der Freiheit und Ruhe in Christus und nannte es hier in 1 Tim 1,11 das „Evangelium der Herrlichkeit des glückseligen Gottes“.
Griechisch „Makarios“ kann man auch mit „gesegnet“ übersetzen. Warum nennt Paulus Gott glückselig oder gesegnet? Weil Er es darauf angelegt hat, dass Er herrlich gemacht wird und sich jederzeit bewusst ist, dass genau das geschieht. Nicht nur das, Er erlebt es durchgehend, weil Er zu allen Zeiten durch Seinen Geist gesät und geerntet hat. Und die Kunde davon nennt Paulus zurecht „Evangelium der Herrlichkeit“. In den Kirchen der Welt wird das Evangelium der Herrlichkeit nicht gepredigt. Gott wird nicht verherrlicht, wenn verkündet wird, dass Er Seinen Ratschluss nicht ausführt, entgegen Seiner Ankündigung; wenn behauptet wird, dass Er das Gute will, aber das Böse geschehen und sich verewigen lässt; wenn gelehrt wird, dass die Hölle ein auf immer mehr bevölkerter Ort des Schreckens sein wird als der Himmel; wenn Menschen verteufelt werden, die Gott zutrauen, dass Er genau das wahr macht, was Er vorausgesagt hat; wenn den Menschen mehr geglaubt wird als Gottes Wort; wenn verkündet wird, dass Gottes Liebe und Vaterschaft begrenzt wäre und an Bedingungen gebunden wäre. Das alles ist kein Bestandteil des Evangeliums der Herrlichkeit Gottes. Hingegen ist es herrlich, erfahren zu dürfen, dass Gott Seine Schöpfung vollständig Jesus Christus unterordnen wird, dem guten Hirten, der jeden glückselig macht, den er sucht und findet und dadurch selber glückselig macht, denn das strebte Sein Retterwillen und Seine Vaterliebe an. Wie traurig muss dagegen der Gott der Gesetzlichen und Unversöhnlichen sein, der so viele seiner Menschenkinder verliert und verdammen muss!
Die Theologen behelfen sich ob dieser unvereinbaren Gegensätze ihrer Lehren damit, dass sie sagen, wir Menschen können Gott nicht verstehen. Und es stimmt, sie haben Ihn nicht verstanden. Ihr Wissen ist Stückwerk und manchmal auch fehlerhaft.
Das was die Gesetzeslehrer von sich geben, nennt Paulus sogar Abschweifungen und eitles Geschwätz (1 Tim 1,6-7). Hier begegnen sie uns wieder die Juden, die die Torah und nicht Christus in die Mitte stellten. Es muss sich zumindest zum Teil, wenn nicht sogar hauptsächlich um messianische Juden gehandelt haben, denn Paulus musste Timotheus nicht vor den nicht an Jesus gläubigen Torahlehrern warnen, denen ja ganz offensichtlich das Wichtigste fehlte. Sie waren für die Gemeinden hinsichtlich der Lehre keine Konkurrenten. Es war der alte Streit zwischen Judenchristen und Heidenchristen, der von beiden Seiten bis zum heutigen Tag nicht mehr ganz nachvollzogen werden kann, obwohl sie selber noch Teil des Problems sind. So sagt ein jüdischer Ausleger in seinem Kommentar zu 1 Tim 1,7: „Schaul lehrte die heidnischen Gläubigen die jüdischen Vorstellungen von der Torah zu verstehen und nach ihr zu handeln, so wie er sie lehrte, die jüdische Vorstellung vom Messias und die jüdische Vorstellung von Gott zu verstehen und danach zu handeln.“*18 An dieser Aussage ist so ziemlich alles falsch, sogar der Begriff „heidnischer Gläubiger“. Hätte Paulus jemand die „jüdische Vorstellung vom Messias“ gelehrt, hätte er ihnen jedenfalls nichts über Jesus gelehrt, denn die jüdische Vorstellung über den Messias brachte die Juden nicht dazu, Jesus als Messias zu erkennen, sondern Ihn abzulehnen. Und auch die „jüdische Vorstellung von Gott“ ist unrichtig, denn wer den Sohn nicht hat, hat auch den Vater nicht richtig erkannt. *19 In dem Sohn sieht man den Vater. Wenn man den Sohn sieht und darin nicht den Vater erkennt, kennt man den Vater nicht (Joh 14,8-9). Der Kommentator sollte zwar auch respektieren, dass die Bibel Paulus nicht Schaul nennt, was sicherlich sein jüdischer Name war, sondern Paulus, wie sich Paulus auch selber nannte, aber wichtiger wäre, dass er es noch einmal überdenken würde, ob Paulus wirklich heidnischen Gläubigen beibrachte nach der Torah zu handeln. In der Bibel und in den Briefen von Paulus findet man nichts davon. Ganz im Gegenteil sagt Paulus „Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, seid ihr nicht unter dem Gesetz.“ (Gal 5,18). Und dann zählt er die „ungeistigen“ Werke auf (Gal 5,19-21) und gleich anschließend die Früchte des Geistes (Gal 5,22-23), gegen die natürlich auch die Torah nichts einzuwenden hat. Mit anderen Worten man braucht die Torah nicht, wenn man den Geist Christi hat. Der Geist Christi weiß noch viel besser als die Torah, welche Gebote zu halten sind und welche nicht. Die Torah ist bestenfalls nur eine Teilmenge zum Geist Gottes. Noch dazu ein unbegeisteter, weshalb es niemals ausreicht die Torah zu halten. Erstens weil man sie auch dann hält, wenn sie gerade nicht angebracht ist, oder sie sich selbst widerspricht – z.B. wenn man am Sabbat einen Ochsen aus dem Graben herausziehen muss, zweitens weil sie nicht erschöpfend eine Handlungsanweisung zu gut und böse, richtig und falsch für alle Lebensbereiche bietet.
Messianische Juden versuchen oft die Torah zu vergeistigen. Es wäre besser sie würden Christis Geist reden lassen. Die Torah ist aber nicht geistig, sie hat keinen Geist. Man kann ihr Geistiges zuordnen, durch den menschlichen Geist. Doch das kann nie gleichwertig zum Geist Gottes sein. Genau genommen ist eine Vergeistigung der Torah nicht nur nutzlos, sondern auch der, wenn auch unabsichtliche, Versuch, neben Christus einen weiteren Gott aufzurichten. Die Torah ist für viele Juden wie ein Götze. Das macht ungefähr so viel Sinn, als wollte ein Jäger sein Schießgewehr mit dem Hirsch verwechseln. Da muss die Familie verhungern, wenn der Jäger dement geworden ist und statt dem erlegten und zerlegten Hirsch die Flinte auf den Küchentisch legt.
Es mag für viele Juden schwer zu verdauen sein, dass nichts an dem, was den Juden so heilig war, noch Bestand haben soll und sie von den Nichtjuden bei der Kirchenbildung so sehr ins Hintertreffen geraten sind, weil die Juden dieses Verstockungsgericht erfahren haben. Die Kirchenchristen haben das immer wieder herausgestellt, die Juden seien als Jesusmörder verdammt und nicht mehr Gottes Volk. Gott habe sie verstoßen und nun die Nichtjuden auserwählt. Sie haben die Juden zweitausend Jahre lang gequält, gemordet, verspottet und missachtet und auf die messianischen Juden schauen sie mitleidig herab. Ihre Verbundenheit mit dem Judentum ist verständlich und auch berechtigt. Dass sie weiterhin die biblischjüdischen Feiertage und Sabbate halten und die Torah weiterhin als verbindlich sehen, mag auch ganz dem Wunsch entsprechen, sich ihrerseits an die Tradition zu halten und sich dadurch von den so problematischen Nichtjuden abzugrenzen. Es ist daher hinzunehmen, dass sie das Neue Testament anders auslegen und in ihren Interpretationen zu weit gehen.
Das wird dadurch erleichtert, dass man nicht die Bedeutung der Torah ganz begreifen kann, wenn man Gottes Heilsgeschichte nicht verstanden hat. Darin unterscheiden sich messianische Juden nicht von nichtjüdischen Christusgläubigen. Ein messianischer Jude würde geneigt sein, zu sagen, dass die Tatsache, dass alle Menschen einst den Sabbat und die biblischen Festtage halten werden, *20 beweist, dass die Torah nach wie vor zu halten ist. Ein Kirchentheologe des 21. Jahrhunderts würde sagen, dass dies eine Allegorie sei, aber ein Bibelkundiger, der heilsgeschichtlich zu denken gelernt hat, wird sagen, dass das, was in einer Ära zu einem bestimmten Zweck zu gelten hatte, nicht zwangsläufig anderen Ären zuzuordnen ist. Wer möchte, dass Paulus nicht mit den anderen Autoren der Bibel, etwa Jesaja oder Sacharja, ins Gehege kommt, muss heilsgeschichtlich argumentieren. *21 Eine Taktik der messianisch-jüdischen Bibelausleger, wie sie die Torah unangreifbar machen wollen, besteht darin, dass sie einfach alles, was die Torah nicht sagt, aber sagen sollte unter das subsumieren, was sie sagt. So wird zum Beispiel behauptet, dass der Missbrauch der Torah auch dadurch gegeben sei, wenn man die Ansicht vertreten würde, dass menschliche Ansichten größere Vollmachten hätte, als das Wort Gottes. *22 Das steht so nirgendwo in der Torah, aber man ist geneigt zuzustimmen, weil logischerweise die Torah, die Gott gegeben hat, nichts enthalten kann, was irgend etwas über das Wort Gottes stellt.
Mit dieser Behauptung verurteilt man sich aber selber, wenn man etwas die Torah sagen lässt, was sie gar nicht sagt, weil das ja automatisch eine Hinzufügung wäre, die einer menschlichen Überlieferungshandlung gleichen würde. Wer z.B. sagt, dass auch Nichtjuden den Sabbat halten müssten, kann auf die Torah verweisen. Die Torah ist das Wort Gottes. In 2 Mos 20,8 liest man: „Denke an den Sabbattag, um ihn heilig zu halten.“ Die heilgeschichtliche Sicht bringt ans Licht, worin der Denkfehler liegt. Er besteht darin, dass in 2 Mos 20,8, in einer konkreten historischen Situation Gott nur zu einem bestimmten Personenkreis gesprochen hat: den Israeliten! Und so muss jedes Mal zunächst einmal geklärt sein, wer denn überhaupt der Ansprechpartner von Gott ist, nachdem man festgestellt hat, was Gott überhaupt gesagt hat. *23 Ganz offenbar hatte auch Paulus Probleme mit den „Gesetzeslehrern“, die „nichts verstehen, weder was sie sagen noch was sie fest behaupten.“ Er wusste genau, von was er redete, denn er war ja auch so ein Gesetzeslehrer. *24 Es fällt auf, dass Paulus in keinem seiner Briefe sich auf andere Apostel bezieht. Das ist insbesondere deshalb bemerkenswert, weil er seinen Streit ja oft gegen messianische Juden führte (Ap 15,1-2.24; Phil 3,2). Was lag näher, als darauf zu verweisen, dass ein Jakobus oder Petrus oder Johannes seiner Meinung waren, vorausgesetzt das war so? Und natürlich war es nicht so. Paulus suchte nie Hilfe bei den anderen Aposteln, vielleicht weil er keine bekommen hätte! Denen in Jerusalem um Jakobus herum war gezeigt worden, dass Paulus einen Auftrag von Gott zu erfüllen hatte (Ap 15,19ff).
Es ist anzunehmen, dass sich die anderen Apostel und anderen Judenchristen, die diese strenge Torahsicht wie Paulus sie hatte, nicht vertraten, aus dem Streit heraushielten. Hätten sie als die Jünger Jesus, die sie gewesen waren, die höchsten Autoritäten in der Christenheit, eindeutig Stellung für Paulus genommen, hätte das den Judenchristen, die auf dem Befolgen der Torah und der Beschneidung bestanden, das Wasser abgegraben. Warum hört man in dieser ganzen Auseinandersetzung nichts von einer Stellungnahme? Auch Paulus erwähnt nichts davon in seinen Briefen, außer, dass er von den anderen Aposteln sein Amt als Apostel und Evangelist bestätigt bekommen hat. Das war in der Apostelkonferenz in Jerusalem, vermutlich um das Jahr 48 geschehen. *25 Aber selbst das benutzt Paulus nicht zu seiner Verteidigung. Vielleicht gerade, weil er niemand damit belasten wollte, der dann selber angegriffen werden konnte.
Der Grund für die Stille der anderen Apostel ist wohl der, dass sie selber Torah und Beschneidung befolgten und die Juden, zu denen sie in der Diaspora und in Judäa kamen, auch nichts anderes lehrten. Für die Nichtjuden war Paulus zuständig. Anscheinend haben sich die Apostel nach der Apostelkonferenz, wo Jakobus die Berechtigung von Paulus, zu lehren, bestätigt hatte und auch angewiesen hatte, dass das von allen akzeptiert werden sollte, nicht mehr in diesen Streit eingemischt. Auch Lukas berichtet nichts mehr davon in seiner Apostelgeschichte, außer, dass die Gemeinde in Jerusalem sehr darauf erpicht war, dass Paulus keinen Anstoß erregte, als er nach Jerusalem kam und dass sie froh waren, als er wieder weg war (Ap 9,31). *26
Auch später, als er das zweite Mal nach Jerusalem kam, hatten sie es eilig, dass er seine Zugehörigkeit zum traditionellen Judentum unter Beweis stellte, denn Paulus war inzwischen zu einer unrühmlichen Berühmtheit im Judentum geworden. Der einstige Torahlehrer war ein Torahverweigerer in ihren Augen geworden. Er konnte Jerusalem nur betreten, weil dort nicht Juden herrschten, sondern die Römer. Sie waren es dann auch, die ihm das Leben retteten. Die anderen Christen in der Stadt mussten deshalb die Hilfe der Römer nicht in Anspruch nehmen, weil sie von den ungläubigen Juden nichts zu befürchten hatten, denn sie hielten sich streng an die Torah und ließen ihre Kinder natürlich beschneiden. Sie waren Juden, sie blieben Juden, messianische Juden.
Paulus stellt dem Timotheus gegenüber klar, dass die jüdischen Torahlehrer, die Torah gar nicht richtig verstanden haben, da sie „nicht begriffen [haben], weder was sie sagen, noch worauf sie bestehen“ (1 Tim 1,7) Das muss so sein, denn die Torah ist ja nur ein Wegweiser auf Christus hin. Christus ist das Ziel, ja, aber Er ist auch der neue Weg, der direkte Weg zu Gott. Man kann auch ohne Torah zum Ziel kommen, weil die Torah nur ein Wegweiser ist, der zu einem Aussichtspunkt führt, von wo aus man das Ziel, vorausgesetzt der Nebel hat sich verzogen, sehen kann. Weder ist der Wegweiser selber das Ziel, noch reicht er aus, um zum Ziel zu kommen, denn man muss selber noch auf dem Weg laufen und sich die letzte Wegstrecke leiten und ziehen lassen. Auch braucht man „lebendiges“ Wasser auf dem Weg, vielleicht nicht gleich am Anfang, aber irgendwann muss man es zu sich nehmen, weil der Weg einfach zu schwierig und zu lang ist. Besser als ein Wegweiser ist ein Wegführer, dann braucht man die Wegweiser am Wegesrand gar nicht mehr, denn der Wegführer kennt den Weg ja und führt direkt zum Ziel hin. Christus selbst ist dieser Wegführer. Man sitzt auf Seinen Schultern, denn Er trägt, man hat Ihn verinnerlicht, denn Er regt das Herz an. Entweder man vertraut sich Ihm an, von Anfang an, oder man benutzt andere Wegweiser, mit deren Hilfe man ein Stück weit gehen kann, um dann doch noch vom Wegführer abgeholt werden zu müssen, weil nur er weiß, wo Er mit einem hin will. Das geht nur von Person zu Person, denn Wegweiser können Menschen nur begrenzt dirigieren, aber nicht verändern. Die Torah verändert keine Herzen, sie verhindert nur die Verstopfung der Arterien und den frühzeitigen Exitus, aber am Ende ist man doch tot. Sie ist ein grobes geistiges Fitnessprogramm für die Seele
Deshalb braucht man allein Christus, auch wenn man vielleicht mit der Torah angefangen hat. Die Torah hat eine stark begrenzte Kompetenz, sie ist auf jeden Fall so begrenzt, dass sie nicht ans Ziel führt, sondern allenfalls zur Näherbringung beiträgt. Wenn Juden sagen, dass die Torah Liebe zu Gott und zu den Nächsten bereits fordert, stimmt das. Aber sie kann nicht mehr als fordern! Sie kann es nicht vollbringen! Sie sagt nur, was richtig ist und doch nicht ohne Christus sein kann.
Daher kann Paulus auch sagen: „Wir wissen aber, da[ss] das Gesetz ausgezeichnet [ist], wenn es jemand gesetz[mäß]ig gebraucht“ (1 Tim 1,8 KÜ). Für die Torah gilt: „so weit, so gut!“ Aber es geht ja noch weiter. Es geht noch zum „Besser“ und zum „Vollkommenen“.
Gesetzmäßiges Gebrauchen der Torah bedeutet, es als Zielgebung zu verstehen. Wenn Paulus sagt, „da[ss das] Gesetz nicht [für] Gerechte bestimmt ist, sondern [für] Gesetzlose“ (1 Tim 1,9 KÜ), dann meint er damit, dass derjenige, der sowieso durch den Geist Christi handelt und deshalb immer gottgemäß handelt, kein Gesetzeswerk braucht, in welchem er nachschlägt, wie er sich in einer bestimmten Situation verhalten soll. Wer sich nicht an das Gesetz hält, was auch immer der Grund sei, Unwissenheit oder Absicht, bekommt es ausdrücklich und schriftlich, dass er gesetzlos handelt. Und deshalb sind Gesetze immer nur für die gemacht, die das Potential haben, dagegen zu verstoßen. Was würde beispielsweise ein Mensch sagen, der noch nie etwas von der Torah vernommen hätte, aber den Geist Christi in sich trüge, wenn man ihn fragen würde, ob er wüsste, dass man kein falsches Zeugnis ablegen dürfe? Er würde sagen: „Das weiß ich, denn Jesus ist die Wahrheit, es ist kein Falsch in Ihm!“ Oder man würde diesen Menschen fragen: „Ist dir bekannt, dass man Gott aus ganzem Herzen lieben soll?“ Würde er nicht sagen, „Gewiss ist mir das bekannt und ich bin betrübt, dass mir das noch nicht sehr gut gelingt!“?
Zwar betont Paulus nicht die Torah, aber seine Beispiele, wie ein Mensch sein soll und wie nicht, sind ebenso Bestandteil seiner „gesunden Lehre“, die er „Evangelium der Herrlichkeit des glückseligen Gottes, [mit] dem ich betraut wurde“ nennt. (1 Tim 1,11). Paulus nimmt sich selber als Beispiel, wie man von Unwissen und Unglauben durch die Gnade und Güte Gottes gerettet werden kann. Das ist immer sein Hauptthema, die Begnadigung durch Gott trotz unserer Sündhaftigkeit und Ungesetzmäßigkeit – und trotz der sündhaften Gesetzlichkeit. Der innere Konflikt des Menschen rührt also nicht daher, dass er zu wenig in Erfahrung bringen könnte, was er soll und was er nicht soll, sondern dass er das, was er weiß, nicht umsetzen kann und er sich immer auf der Stufe eines Bedürftigen, Notleidenden Mängelwesens befindet – es sei denn Er ist ganz in Christus eingegangen.
Es hilft wenig, die ganze Torah auswendig zu lernen, wenn man sie nicht befolgen kann. Besser wäre, die Torah gar nicht zu kennen und dafür Gottes Willen zu folgen, weil der Geist Gottes in einem wirkt. Genau das ist die Rede von Paulus.
Auf dem Tisch stehen drei Behältnisse. In dem einen ist Christus ganz und gar vorhanden. Im zweiten ist nur die Torah mit ihren Geboten und Satzungen und im Dritten steht drauf „Torah plus Christus“. Aber was ist im Topf drin? Auch nur die Torah! Damit soll zum Ausdruck kommen, dass es neben Christus nichts geben kann. Neben der Torah ist unendlich viel Platz für weitere Satzungen und Auslegungen und mehr oder weniger sinnvolle Ergänzungen, aus der Bibel, aus dem Findungsreichtum und der Fantasie des Menschen. Neben Christus ist null Platz. Er füllt alles aus und genügt. Wohl kann man das nur verstehen, wenn man den Geist Christi hat.
2.
Wie Ehre und Herrlichkeit werden 1 Tim 1,13-17.20
Paulus gibt den Grund an, warum Menschen Christus nicht in Seiner Herrlichkeit erkennen können und was sie verblendet hat, so dass sie Ihn nicht in Seinem ganzen Licht wahrnehmen können. Er muss es wissen, denn er hat den Weg genommen von einem „Lästerer und Verfolger und Gewalttäter“ (1Tim 1,13) zu einem Erleuchteten. Ihm hatte der Mangel an Barmherzigkeit, an Erkenntnis und Vertrauen Gottes zu dem gemacht, darum kann er sagen „aber mir ist Barmherzigkeit zuteilgeworden, weil ich es unwissend im Unglauben getan hatte“. Gott hat die Unbarmherzigkeit von Paulus zugleich mit dessen Mangel an Gotteserkenntnis und Gottesvertrauen abgelöst. Der neue Paulus befindet sich im Aufbau und hat schon die Garantie der vollständigen Herstellung in der Hand. Er war Lästerer, weil er durch seine eifernde Gesetzlichkeit Gott falsch dargestellt und schlecht gemacht hatte. Das tun Gesetzliche immer, weil sie im Grunde Gott schlecht darstellen und anderen Menschen in die Irre führen.
Alle menschlichen Kirchen gehören zu dieser Kategorie, auch wenn sie sich selbstschwärmerisch von etwas lossagen, von dem sie nur Gott befreien kann. Gesetzliche kommen nicht umhin, Gott einen Teil Seiner Liebe, Barmherzigkeit, Versöhnlichkeit und anderer Wesensmerkmale abzusprechen. Der Gott, den sie darstellen, soll alle guten Eigenschaften haben, aber schaut man näher hin, ergeben sich starke Zweifel. Er ist in Wirklichkeit ein teil-entgöttlichter Gott, weil man Ihm Seine göttlichen Eigenschaften zum Teil abspricht oder einschränkt. Ihr Gott trägt Züge dessen, was sie sehen würden, wenn sie in den Spiegel ihrer Seele schauen könnten. Das was man Gott wegnimmt, wird mit menschlichen Unzulänglichkeitsmerkmalen aufgefüllt. Der entgöttlichte Gott wird ein vermenschlichter Gott. Man übersieht dabei, dass der Mensch nicht Ausgangspunkt göttlichen Denkens und Wollens ist. Anscheinend ist Gott zu gut, als dass Menschen Ihn nicht doch immer wieder schlecht machen könnten. Sie machen ihn dauernd schlecht, auch mit ihren Lehren, die sie andere lehren. Und daher brauchen sie dringend das Vertrauensverhältnis mit Gott, der ihnen allmählich vertraut macht, wie man rechtens und in der Wesenheit Gottes denkt. Bis das struppige und schmutzige Bettlerkind im Roman *27 sich an Kamm, Seife und Seidengewand gewöhnt hat, dauert es und inzwischen sehnt er sich weiter nach dem Dreck, der ihn keinesfalls überfordert, und unterstellt dem König, der ihn einkleidet, dass er doch besser so garstig sein müsse wie er es selber ist.
Saulus war ein Lästerer, weil er durch sein Gottesbild Gott schlecht gemacht hatte, trotz seinen guten Absichten. Die Kirchen machen Gott durch ihre Menschenlehren schlecht und haben oft noch nicht einmal erkennbar gute Absichten. Man denke nur an die Kirchengeschichte, die Geschichte von Mord, Intrigen, Machtmissbrauch, Folter, Kindesmissbrauch. Wie sollten sie recht lehren können? Kann von einem fauligen Ast gutes Obst kommen?
Paulus bezeichnet sich als ehemaliger Verfolger der Heiligen, Jesus sagt es ihm noch genauer: er hat Christus verfolgt, denn zum Haupt gehören die Glieder. Das zu tun, was das Gesetz forderte, das war der Grund, warum er nach Damaskus ging. Paulus war verantwortlich dafür, dass Juden, die Christusgläubige geworden waren, in schwere Not gerieten. *28