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Im hier vorliegenden Kommentar zum Brief von Paulus an die Römer wird versucht, die Lehre von Paulus einer Gesamtschau zu unterziehen. Der Römerbrief ist ein Dokument der heilsgeschichtlichen Absichten und Ziele Gottes. Bei Paulus steht die Erringung der absoluten Freiheit von den Gebundenheiten an unheilvolle und gottfeindliche Mächte im Vordergrund und dementsprechend die völlige Befreiung durch Jesus Christus. Es ist eine Befreiung von der Sünde und von der fatalen Gottesferne, aber auch von Irrtum und Unwahrheit. Und das ist für Paulus gleichbedeutend mit dem Hin zu Christus und der Vervollkommnung durch Ihn. Die traditionelle Kirchentheologie ist demgegenüber eine Relativitätstheologie. Sie ist sinaitisch, weil sie noch nicht im gelobten Land des Theos-Logos, einer Gottes-Kunde, die vom Ziel, dem Christus herkommt, angekommen ist. Sie läuft sich, wie damals Israel in der Wüste, an ihrer Uneinsichtigkeit wund. Das macht sie unfähig, Gottes authentisches Rufen zu hören. Man muss sie in der Wüste begraben, damit sie niemand mehr am Fortkommen von den menschlichen Gebundenheiten und dem Hinkommen zum Heiland Jesus, dem Theos-Logos, hindert.
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Seitenzahl: 512
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Roman Nies
Das Dokumentder Befreiung
Der Römerbrief
© 2019 Roman Nies
Verlag und Druck: tredition GmbH, Hamburg
ISBN
Paperback:
978-3-7482-3946-8
Hardcover:
978-3-7482-3947-5
e-Book:
978-3-7482-3948-2
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Eine heilsgeschichtliche Auslegung
Von
Roman Nies
Vorbemerkungen
1. Kapitel
Eine Botschaft für Juden und Nichtjuden
2. Kapitel
Der Atheismus der Religionen
3. Kapitel
Das göttliche Gericht
4. Kapitel
Die Torah - Verständnis und Missverständnisse
5. Kapitel
Frieden und Versöhnung
6. Kapitel
Freiheit vom Gesetz, Freiheit in Christus
7. Kapitel
Wandeln im Geist
8. Kapitel
Wollen und Laufen
9. Kapitel
Gottes Gerechtigkeit und Erbarmen
10. Kapitel
Das Nicht-mein-Volk
11. Kapitel
Kein Ersatz für Israel und Christus
12. Kapitel
Das Ziel der Torah
13. Kapitel
Der Heilsplan Gottes
14. Kapitel
Ganz Israel, aber nicht nur
15. Kapitel
Von Ihm, durch Ihn und zu Ihm
16. Kapitel
Wahrer Gottesdienst
17. Kapitel
Das andere Evangelium
Liste der Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Vorbemerkungen
Es gibt unzählige Auslegungen der Schriften des Neuen Testaments. Zumeist stammen sie von Vertretern ihrer Kirchen und Theologen, die mehr oder weniger bei ihrer Erkenntnisgewinnung auf die Traditionen eben dieser Kirchen und ihrer akademischen Lehranstalten zurückgegriffen haben. Auch für die Kommentarreihe zum Neuen Testament wurde eine kaum überschaubare Zahl von Schriften anderer Autoren gesichtet und ausgewertet. Zudem wird hier ausführlich auf Abgrenzungsfragen zur Verkündigung des Evangeliums wie es das messianische Judentum seiner Zeit hörte, eingegangen. Im Ergebnis wurden die Briefe von Paulus in ihrer Gesamtheit anders ausgelegt, als es bisher geschehen ist.
Das zeichnete bisher alle Auslegungen aus, dass sie widersprüchlich waren, gerade auch deshalb, weil die Bibelausleger versuchten, entweder alles in Frage zu stellen, oder ganz im Gegenteil alles, was sie an Aussagen im Neuen Testament vorfanden, in ein Gesamtkonzept zu zwängen, das ihnen vorgegeben schien. Dabei sind sie zwar bemüht, den Text für sich sprechen zu lassen, doch dabei werfen sie alles in einen Topf. Und dieser Eintopf soll dann das Evangelium sein.
Paulus sagt, wer den Geist Gottes nicht hat, beurteilt alles nach dem menschlichen Geist (1 Kor 2,11). Es dürfte allein mit der Hilfe menschlicher Überlegung und Textkunde kaum möglich sein, die Tiefen der Gottheit, Gottes Ratschluss und Seinen Willen auszumachen. Die Kirchen und ihre Vertreter, bei denen sie zu Brot und Ehren gekommen sind, halten sich an ihre menschlichen Traditionen. Das kann dazu führen, das die Tradition gleichwertig neben das geschrieben Wort Gottes gestellt wird. Je weniger Geist Gottes, desto mehr muss man auf Tradition und das Menschenmögliche setzen. Doch das führt unweigerlich dazu, dass das Rufen Gottes allmählich verdrängt oder nach der eigenen Denkweise uminterpretiert wird.
Das menschlich Errungene ist aber vergänglich und fließt mit der Zeit dahin. Es drängt sich vor den Suchenden und verstellt ihm den Blick auf die höhere Ordnung, die allein die rechte Orientierung gibt. Es ist nicht überraschend, dass sich die Auslegungen der sogenannten Exegeten an den Kirchentraditionen und Kirchenlehren orientieren. Umso mehr als gilt, was der Volksmund weiß, „wess` Brot ich ess`, dess` Lied ich pfeif`“. Und wer es einmal nicht tut, weil er tatsächlich selbständig denkt und handelt, weil er originell, statt traditionell und kreativ, statt untief ist, der muss mit einer ernsten Gegnerschaft rechnen, vielleicht sogar mit seinem Ausschluss aus dem Kreis der geachteten Kirchenschar und der Gilde, der noch geehrteren Akademiker. Jesus warnte vor der Macht der Traditionen, die sich entweder verselbständigt und von ihrer ursprünglichen Bescheidenheit entfernt, ja sogar dem rechten Gottesdienst zuwiderlaufen oder zu einer verfestigten Gewohnheit werden kann, die man nicht mehr hinterfragt.
„Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren. Ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet die Überlieferung der Menschen fest.“ (Mk 7,7-8) Jesus hat hier Jesaja zitiert und präzisiert (Jes 29,13). Und heute kann man sich dabei an die Adresse der Kirchen richten, denn ihre Vertreter müssen nicht auf die jüdische Obrigkeit verweisen, die wegen Röm 11 in dieser Zeit kein Adressat von Kritik und Vorwurf sein kann. In dem, was die Menschen Gott schuldig bleiben, sind sich alle Menschen gleich. In dem, was Gott ihnen an Erkenntnis gibt, sind sie unterschieden, denn da entscheidet allein Gott. So jedenfalls lehrt es Paulus.
Da sich die Kirchen in vielen Lehraussagen und Dogmen widersprechen, ist klar, dass die Bibel auslegungsbedürftig ist, oder, besser gesagt, der Mensch ist bedürftig, sie richtig auszulegen. Hierzu sollte man in der Lage sein, die Widersprüche der Kirchenlehren und die vermeintlichen Widersprüche und „Ungereimtheiten“ der Bibel zu klären. In der hier vorgelegten Kommentarweise ist auch immer im Blickfeld, diese Widersprüche aufzulösen. Dabei werden die Briefe von Paulus einer gesamtheitlichen Schau unterzogen. Ihr liegt der Glaube zugrunde, dass das Wort Gottes keine Irrtümer enthält, sondern Aussagen, die sich sinnreich zusammenführen lassen. Dabei zeigt sich, man muss das Neue Testament als Dokument der heilsgeschichtlichen Absichten und Ziele Gottes verstehen. Es muss auch immer der Versuch unternommen werden, die Lehren der Bibel und die geschichtlichen Ereignisse in Übereinstimmung zu bringen. Auch dies wurde hier berücksichtigt. *1
Bei Paulus steht die Erringung der absoluten Freiheit von den Gebundenheiten an den alten Adam und an alle heilsverhindernen und gottfeindliche Mächte im Vordergrund. Dementsprechend geht es bei Paulus um die völlige Befreiung durch Jesus Christus. Befreiung von der Sünde und der fatalen Gottesferne, Befreiung auch vom Irrtum und von Unwahrheit. Und das ist für Paulus gleichbedeutend mit dem Hin zu Christus und der Vervollkommnung in Ihm.
Die Ergebnisse dieser Auslegung müssen für jeden, der die Bibel als Botschaft Gottes an die Menschen versteht, von größtem Interesse sein, da sich das bekannte Wahre harmonisch mit dem wenig Bekannten zu einer bedeutungsvollen Einheit verbinden lässt. Jedem, der das Neue Testament hört oder studiert, stellen sich Grundsatzfragen. Doch bisher wurden sie uneinheitlich beantwortet und manch interessierter Wahrheitssuchende resignierte, gab die Suche auf und überließ wieder den kirchlichen Amtsinhabern das Diskussionsfeld mit ihrer fragwürdigen Deutungshoheit.
Der heilsgeschichtliche Modus operandi kann auch hier weiterhelfen. Die traditionelle Kirchentheologie ist längst in einer Sackgasse angelangt und ist in ihrer Halsstarrigkeit unfähig, sich selbstkritisch zu hinterfragen und aus der verfahrenen Situation heraus zu kommen. Das Ergebnis davon ist, dass sie wenig oder nichts Genaues sagen kann und inzwischen, in der Postmoderne angekommen, nichts mehr sagen will. Sie ist eine Relativitätstheologie. Die Kirchentheologie ist eine sinaitische, weil sie noch nicht im gelobten Land des Theos-Logos, einer Gottes-Kunde, die vom Ziel, dem Christus herkommt, angekommen ist. Und so wie sich Israel in der Wüste uneinsichtig zeigte und sich wund lief, geht es auch den meisten Vertretern der Kirchen, die ja immer Fürsprecher ihrer Kirche sein müssen, obwohl sie doch eigentlich Fürsprecher Jesu Christi sein sollten. In ihrer geschäftigen Heiligkeit und ihrem emsigen Wichtigtun übersehen sie die Bedeutung der Gründungsurkunde des christlichen Glaubens, Gottes Wort, und das Anliegen Gottes, wie es in der Bibel zum Ausdruck kommt. Das macht sie unfähig, Gottes authentisches Rufen zu hören. Nicht weniges der traditionellen Kirchentheologie muss man in der Wüste begraben, damit es dort in Frieden ruhen kann und niemand mehr am Fortkommen von den menschlichen Gebundenheiten und dem Hinkommen zu Jesus, dem Theos-Logos, hindert. Wo nicht, bleibt Vorbelastung und Überfrachtung. Man muss daher möglichst unbelastet, unvoreingenommen und frei an eine Auslegung des Wortes Gottes gehen, und vor allem Gott glauben, was Er sagt, sonst kann der Geist Gottes nicht wirken.
Im ersten Teil des Neuen Testaments *2 geht es noch hauptsächlich um das historische Wirken Jesu und Seiner Jünger, wie es in den vier Evangelien und der Apostelgeschichte des Lukas dargelegt ist. Es ist die Fortführung der Geschichte Gottes mit Seinem Volk Israel, bis zum damals grundsätzlich möglichen Anbruch des messianischen Reiches bei der Wiederkehr Christi. Bei Paulus geht es um dieses auch und um mehr. Bereits der Römerbrief enthüllt reihenweise neue Erkenntnisse über das Wesen und das Handeln Gottes, die man so nicht aus den Evangeliumsberichten oder dem Alten Testament entnehmen konnte. *3
In den christlichen Glaubensgemeinschaften wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Neue Testament ein Evangelium lehrt, das von allen Christen in seinen zentralen Aussagen verstanden worden ist. Das entspricht dem Stand des Wissens bei den kirchlichen und staatlichen Lehrstätten. Die Tatsache, dass es unzählige christliche Kirchen und Denominationen gibt, zeigt jedoch mit aller Deutlichkeit, dass es vieles gibt, was entweder unverstanden geblieben ist oder zumindest keinen Konsens gefunden hat. Und auch viele Gelehrten haben bemerkt, dass Paulus, jedenfalls zum Teil, etwas anderes lehrte als das, was zum Beispiel Jesus lehrte. Theologen, die an keine Kirche gebunden sind, haben im Allgemeinen hier weniger ein Problem damit, einander vordergründig widersprechende Aussagen von Paulus und anderen neutestamentlichen Autoren einer gewaltsamen Harmonisierungskur zu unterziehen.
Erstaunlicherweise herrscht bei den meisten Christen, die sich zu ihrem Glauben bekennen, die Ansicht, man könne unter Evangelium all das verstehen, was in den vier Evangelien des Neuen Testaments steht. Im bibelunkundigen Kirchenvolk spielen die Briefe des Neuen Testaments kaum eine Rolle. In den katholischen Messen kommen sie selten zur Sprache. Man kann auch schlecht über Dinge reden, die man nicht kennt oder die man gar nicht verstanden hat. In protestantischen Kirchen, die in der Nachfolge der Reformatoren stehen, sind vor allem die Paulusbriefe von tragender Bedeutung. Für Protestanten war es früher klar, *4 dass die katholischen Theologen Paulus in seinen Kernaussagen gar nicht verstanden haben, was bei einer über tausendjährigen Beschäftigung mit den Bibeltexten verwunderlich wäre, wenn man nicht wüsste, dass es auch eine tausendjährige Betriebsblindheit geben kann. Falls die protestantischen Kirchen sich irren, währt ihr Irrweg auch schon einige Jahrhunderte. Zeit ist also kein verlässlicher Wahrheits- oder Korrekturfaktor.
Paulus bekennt sich auch im Brief an die Römer zu den Hauptaussagen der Reformation, die so keinesfalls von allen Kirchen, insbesondere nicht von den mächtigsten dieser Welt, vertreten werden: Solus Christus, sola gratia, sola fide, sola scriptura, soli Deo gloria. All das hat die Kirche Roms nicht in ihrem Glaubensrepertoire, nach eigenem Bekunden hätte man früher sagen können. Heute ist es nicht mehr für alle so klar, denn auch die Kirche Roms bekennt sich dazu, versteht aber etwas ganz anderes, meist etwas dem völlig Entgegengesetzes. Das macht sie so geschickt, dass manche es nicht bemerken. Es ist auch schwer zu bemerken, wenn man selber seine eigenen „soli" vertritt. Die biblischen sind über Paulus auf uns gekommen.
Solus Christus - allein Christus bedeutet das Heil für die Menschen (nicht die Kirche, nicht die Sakramente, nicht die eigenen Werke). „Und es ist in keinem anderen das Heil; denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden müssen.“ (Ap 4,12) So bezeugt es ausgerechnet Petrus, auf den sich die Päpste, meist zu Unrecht, berufen. Dass nur Jesus der Weg der Wahrheit und zum erlösten Leben ist, bezeugte Jesus über sich selber (Joh 14,6). Und Paulus bekam es von Ihm (1 Tim 2,5-6). Für Luther war es auch eine neue Erkenntnis, denn er kam vom Katholizismus. Er musste sich erst frei machen, vom Gehorsamsdenken zum Durchdenken, von Paranoia zu Metanoia.
Solus gratia - allein die Gnade Gottes hat uns dieses Heil in Christus zugänglich gemacht. Nicht Gottes Zorn rettet uns, sondern Seine Gnade. Sein Zorn ist ein Hilfsmittel der Gnade. Gott hat beschlossen, dass Sein Wesen direkt auf die Schöpfung einwirken und sie so zum Ziel bringen soll. „Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.“ (Eph 2,8-9) Die Zornliebhaber rühmen sich auch noch ihres Zorns, der meist ein Ausguss ihres Unverstandes und ihrer Maßlosigkeit ist. Gott soll man wegen Seiner Gnade rühmen. Das hat Paulus erkannt. Er hat noch mehr verstehen dürfen als die anderen Apostel, die ganz in der jüdischen Tradition stehend, in der Werkgerechtigkeit des Torahwesens feststeckten und die Gnade Gottes in Christus zwar erkannt und, wie die Gelehrten Israels zu allen Zeiten, verstanden hatten, dass Gottes Wesen der Gnädigkeit und Barmherzigkeit Antrieb und Ziel des göttlichen Handelns mit den Menschen ist. Aber dass der Anteil des Menschen am Sich-erfassen-lassen von der Gnade und Güte Gottes so gering sei, das war ihnen nicht klar.
Für Paulus war es deutlich geworden. Er hatte die Christen in seinem Eifer für die Torah und nach seinem Verständnis gejagt und ausgeliefert. Und dann reichte die Begegnung mit Christus, um ihn umzudrehen. Von Paranoia zu Metanoia! Gott schafft Fakten, der Mensch darf nur hoffen, dass ihn Gott auch einmal so klug macht, nicht anders wollen zu wollen wie Gott will.
Der Fall ist klar. Paulus gibt der Gnade Gottes den hundertprozentigen Anteil an unserem Weg zu Ihm und dem Menschen bleibt nichts. Erst nachdem er gerettet ist, darf er sich dazu bekennen, in Wort und Tat und Ansinnen. Doch es scheint, als ob die Kirche Roms diese Klarheit über eintausend Jahre unter Verschluss gehalten hätte. Doch der Schein trügt, denn bekehrte Herzen halten keine Wahrheiten unter Verschluss, sondern unbekehrte Herzen lassen Wahrheiten nicht an sich dringen, weil sie sich sonst ändern müssten. Wer einmal Macht ausgeübt hat, gibt sie nicht gerne einem anderen. Im Falle des Menschen will er immer über sich und andere Menschen bestimmen. Das steckt in seinem Adamswesen. Er hat die Herrschernatur seit dem Sündenfall in sich. Christus sein Leben zu übergeben, bedeutet, dies alles loszulassen und allein Ihn herrschen zu lassen. Der alte Adam und der alte Widerwirker haben einen Bund geschlossen! Und der ist gegen Christus gerichtet. Es ist ein anti-christlicher Bund!
Was für den einzelnen Menschen gilt, gilt ebenso für Kirchengebilde. Wenn sie erst einmal groß und mächtig geworden sind und das auch noch Gottes Gnade zuschreiben, ist der Weg zur Niedrigkeit und Selbstverleugnung vorgezeichnet, aber anders als der Mensch denkt. Nicht mit Schmuckkronen und Thronen, Herrscherstäben, Hausbanken, Ornaten, Prachtgewändern, goldenen Reliquien und juwelenumkränzten Sakristeien, sondern mit Seelenkämpfen, dornengekrönt, unterm Kreuz durchs Jammertal, damit allein Christus herrschen und allein der Gnadenstrom zufließen kann, der erst bewusst werden lässt, dass man wahrlich ein Glied am Leibe Christi ist und nun auch ein wahrer Diener Gottes sein kann.
Aber indirekt hat die Kirche Roms das biblische Wort doch unter Verschluss gehalten, denn das Kirchenvolk hatte die Bibel nicht, oder nur in einer unverständlichen Sprache, oder sie durfte sie nicht lesen. Vorsichtsmaßnahmen, angeblich, damit das ungebildete Volk nicht auf dumme Ideen kam. In Wahrheit, weil so die vielen Widersprüche zwischen Kirchenlehren und Kirchenpraxis auf der einen Seite und biblischem Wort auf der anderen Seite keine nennenswerte Aufmerksamkeit erregen konnten. Eine überzogene Vorsorge, denn heutzutage kann jeder die Bibel lesen, aber das katholische Kirchenvolk ist weiter angewachsen. Bibellesen hat keine große Tradition im Kirchenvolk.
Die weltliche Wissenschaft hat dieses Rätsel nicht lösen können, weil sie vor geistlichen Phänomenen machtlos dasteht. Ihr ist die Ebene des Geistlichen verschlossen. Sie ist daher weitgehend inkompetent, wenn es um die Beurteilung von Religionen und deren Wahrheits- und Wirklichkeitsgehaltes geht. Sie kann auch impotent sein, wenn sie geistlich zur Fruchtlosigkeit verdammt ist. Die Lösung für das Rätsel ähnelt der Erklärung für die zweitausendjährige Verstockung der Juden, die sich darin äußert, dass das orthodoxe Judentum nicht in der Lage ist, Yeschua von Nazareth als Messias Israels anzuerkennen. Wo geistliche Kräfte wirksam sind, wächst kein ungeistliches Kraut dagegen an! Das macht gerade Paulus deutlich!
Die weltliche Wissenschaft will und kann nicht mit Gott rechnen, ihrem gottlosen Selbstverständnis entsprechend. Und daher befasst sie sich auch nicht mit der Erklärung, dass die Verstockung der Juden mit der Verstockung des Pharaos des Exodus Israels aus Ägypten in einem wichtigen Punkt eine Übereinstimmung hat. Nach anfänglichem Versagen durch das Befolgen des eigenen Willens, indem man nicht auf Gott, bzw. nicht auf Gottes Boten hören wollte, schickte Gott eine Verstockung, die vom Menschen eigenmächtig nicht mehr zu beheben war. Von Gott jedoch schon. Und Gott behebt sie, weil er Gnade erweist. Anders konnten die paulinischen Soli nicht Bestand haben, denn jeder fängt mit seinem persönlichen Unglauben, seinem eigenen Zusammenbruch an! Ohne Zusammenbruch kein Aufbruch!
Hier sieht man, die Gnade Gottes bedient sich des Gerichts, hier bei Israel des Verstockungsgerichts, das weitere Gerichte nach sich ziehen kann. Doch macht Gott sie zugleich zielführend. Und wenn es die Gnade Gottes allein ist, die den Menschen zurechtfinden lässt, dankt sie der Freiheit Gottes, dem Gnadenhandeln durch Gerichte auch wieder das Gnadenhandeln der Rückbesinnung und Hinwendung zu Gott folgen zu lassen. So hat es Gott mit Paulus durchexerziert. Er ließ ihn auf der Straße nach Damaskus die wahren Fakten schauen. So hat Gott auch angekündigt, dass Er es mit Israel macht, das Er verstockt hat, um es zu einem späteren Zeitraum doch noch ganz Ihm und dem Heil zuzuführen (Röm 11,26). So ist es immer. Am Anfang steht die Gnade und am Ende hat sie sich durchgesetzt, nicht durch Zwang, sondern durch Überzeugung. Die Gnade Gottes ist konkurrenzlos.
Sola fide - allein der Glauben, der ein Vertrauen in Gott ist, rechtfertigt den Menschen vor Gott, so dass er vom Gericht herauskommt und immer mehr sich dem Platz nähert, der ihm von Gott zugedacht ist. So wirken Vertrauensbildung und Gnade zusammen. Wenn Gott nicht gnädig wäre, könnte der Mensch von sich aus auch nicht Gott vertrauen. Als Paulus auf der Straße nach Damaskus Christus begegnete, begann Er den vertrauensvollen Weg mit ihm. Aus dem Vertrauen wird schließlich Treue. Glauben-Vertrauen-Treue werden wachstumsmäßig von Gott zugeteilt. Das ereignet sich im Innenverhältnis zwischen dem Menschen und Gott auf der Ebene des Geistes Gottes. Keiner kirchlichen Institution, keines Hohepriesters bedarf es, zu vermitteln. Der Vater redet selber mit Seinem Kind. Paulus bringt das oft und vielfältig zum Ausdruck. „Denn wir urteilen, dass der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke!“ (Röm 3,28) Oder: „Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, seid ihr nicht unter dem Gesetz.“ (Gal 5,18)
Sola scriptura - allein das geschriebene Wort Gottes ist die Grundlage des Glaubens (nicht die Kirche, nicht der Wortausleger, nicht der Theologe, nicht der Papst). „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ (2 Tim 3,16). Und ganz wichtig ist auch das, was leider auch protestantische Verkünder des Evangeliums nicht genügend würdigen: Allein Gott gebührt die Ehre.
Soli Deo gloria – allein Gott die Ehre! Und Ehre ist auch Sieg. Warum? Und welche Ehre? Darum der Sieg und mit der folgenden Ehre: Das Heil den Menschen gebracht zu haben und es auch vollumfänglich in Vollendung zu Gottes Verherrlichung zu verwirklichen, das ist der Sieg der Gnade Gottes, der Sieg Christi und die Folge des von Gott selbst gesetzten Vertrauens, das der Mensch in Gott getreulich setzen durfte. Das ist aber auch die Ehre, die dem zusteht, der sie erzeugt hat. Gott allein! Er hat es geplant, Er hat es begonnen, Er wird es vollenden: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ (Römer 11,36) Alle Dinge, oder, wie man das griechische „ta panta“ noch übersetzen kann „das Alles“ oder „das All“ im Sinne von „das Weltall“, oder anders gesagt, die gesamte Schöpfung, also Himmel, Erde und Hölle, das alles ist von Gott, ist durch Gott, ist zu Gott. Warum wird dadurch Gott geehrt? Will man das noch fragen? Jeder Mensch weiß die Antwort. Niemand steht mehr Ehrung zu, als dem, der alles zu einem herrlichen Ziel führt. Und siehe da: Gott wird nur durch das geehrt, was Ihm selber zu eigen ist.
Gott hat ein vollkommenes Wesen.Niemand kann Ihn ehren,der nicht in diesem Wesenhaften Gottes lebt und webt.
Und daher kann das Böse, Verderbliche, Ungute, Leidvolle, Schmerzhafte weder bleibend sein, noch jemand ehren und Gott schon gar nicht. Was nicht Gottes ist, ist nicht ewig! Wer Gott ehren will, kann es nur so tun, wie Gott es haben möchte. Man ehrt Gott nicht, wenn man so tut, als habe man selber etwas zu seinem Heil getan, was man nicht von Gott zuvor erhalten habe. Man ehrt Gott nicht, wenn man Andersgläubige verfolgt. Man ehrt Gott nicht, wenn man Ihn anders darstellt als Er ist. Man ehrt Gott nicht, wenn man Seine Wesenszüge entstellt wiedergibt. Man ehrt Gott daher auch nicht, wenn man Seine Zusagen abschwächt. Wenn Gott sagt, dass Er alles, was Er geschaffen hat, das ganze All, zu Ihm hinführt, dann hat man das nicht in Abrede zu stellen, indem man sagt, das gelte nur für einen Teil des Alls, weil bis in die Hölle die Gnade Gottes nicht reiche. Ein Vater kann über seinen Sohn, den er in den Keller gesperrt hat, nicht sagen, dass das für ihn, den Vater oder den Sohn ehrenvoll wäre. Diese Denkweise haben sich die meisten Verkündiger der Kirchen noch nicht angeeignet. Ihre Gedanken kreisen noch um die Verdammung aller Störungen, anstatt sie zu heilen. Sie haben noch Angst vor dem Bösen. Dabei hat es Christus längst überwunden!
Den Bibelexegeten ist es nicht entgangen, dass sich die Predigten von Jesus und Paulus unterscheiden. Dass ihre Botschaften voneinander abweichen, ist offenkundig. Die Erklärungen dafür fallen ebenfalls unterschiedlich aus. Kirchentheologen, sofern sie sich zum kirchenchristlichen Glauben bekennen, geben nicht gerne zu, dass Paulus nicht einfach nur ergänzt haben könnte, was vor ihm bereits verkündet worden ist, sondern dass er grundlegend Neues einführte. Dabei ragt die Botschaft heraus, dass das Heil nicht nur für Israel und die Angehörigen aus den Nationen, die sich Israel anschlossen, zugänglich ist, sondern auch, dass die Nationen weder die Torah, noch die Beschneidung zu beachten hätten und nun für sie das Evangelium der Gnade galt. Dieses sagte ihnen allen einen direkten Zugang zum Heil zu.
Jesus war noch auf dem Boden des Alten Testaments und dem, was schon die Propheten verkündigt hatten, geblieben. Die Botschaften von Jesus, seinen Jüngern und von Paulus unterschieden sich deshalb. Die Texte des Neuen Testaments lassen erschließen, dass sich der Inhalt der Verkündigung fortwährend änderte, weil er Schritt zu halten hatte mit programmatischen, heilsgeschichtlichen Abläufen.
Gott handelt einem Plan zufolge, der ein Abweichen vom Kurs der absichtlichen Hinwendung von Gottes Volk zu Gott, und damit eine vorläufige Zurückstellung vorsah. Mit dieser Zurückstellung endet die Apostelgeschichte (Ap 28). Und im Römerbrief (Röm 11,25ff), dem ersten Brief im Neuen Testament, wird sie erklärt und gezeigt, wie sie aufgelöst werden wird, wenn Israel von Gott wieder angenommen wird. Jesus redete in Gleichnissen, damit Ihn niemand vom Volk verstand. Und heute redet Er durch die Schrift genauso und das „Reichsvolk" versteht es nicht. Es weiß nur, dass es in eine Art „Reich Gottes", jedenfalls eines nach ihrem Geschmack, kommen möchte und nennt es einmal Himmel, einmal „beim Herrn sein". Kaum jemand bemerkt, dass es etwas anderes bedeuten könnte. Das Kirchenvolk wird zu erfahren haben, dass das Reich Gottes erst mit der Rückkehr Jesu für alle sichtbar beginnen wird und dass es in jenem messianischen Reich nur für jene einen Dienst mit dem Volk Israel geben wird, die äonisches Leben bekommen haben.
Die Bibel zu erforschen, gleicht einer spannenden Entdeckungsreise. Nur wenn man weiß, was die Apostel Gottes wirklich verkündet haben, kann man darauf hoffen, dass sich ein in sich stimmiges, weitgehend widerspruchsfreies Gesamtbild der tatsächlichen Ereignisse und von Gottes Botschaft an die Menschen ergibt.
Es werden also immer Fragen offen bleiben, solange sie noch nicht endgültig beantwortet sind. Zu klären wäre, warum die Jünger Jesu nicht zu den Nationen gingen, sondern Paulus als Sonderbeauftragter für die Verkündigung einer Botschaft geschickt wurde, die Paulus das „Evangelium der Nationen“ nannte. Wie die Ereignisse in der Apostelgeschichte zeigen, insbesondere bis zur Konferenz in Jerusalem, unterschied sich die Verkündigung der Jünger Jesu wesentlich von der des Paulus. Sie hatten auch noch viele Jahre nach der Himmelfahrt Jesu keine Heiden missioniert. Die traditionellen Sichtweisen der Kirchen haben darauf wenige Antworten. Sie sind mit den neutestamentlichen Texten kaum in Übereinstimmung zu bringen. Nur einzelne Schriftforscher schreiben darüber kaum gelesene Abhandlungen.
Die Indizien, die man aus der Anfangsgeschichte der Christenheit und aus dem Neuen Testament gewinnt, weisen mehr als deutlich darauf hin, dass die ursprünglichen Jünger Jesu aller Wahrscheinlichkeit nach zu keiner Zeit damit angefangen haben, das zu verkündigen, was typisch für die Verkündigung des Paulus war. Die Jünger Jesu predigten den Juden, was sie erwarteten: das baldige Kommen des Messias und der Anbruch des messianischen Reiches. Und das präzisierten sie. Der Messias war Jesus und Sein baldiges Kommen wäre das zweite Kommen. Doch erst Paulus erkannte, dass für die Juden eine Frist ablief und eine Gnadenzeit für die Nationen anbrach.
Die Jünger Jesu hielten entsprechend der jüdischen Tradition an den Bundeszeichen, der Torah und der Beschneidung fest. Paulus erklärte diese Dinge hingegen für teilweise hinfällig und beschrieb die neue Heilskörperschaft der Gemeinde des Leibes Christi, die sich aus Juden und Nichtjuden zusammensetzte. Während die Jünger weiter in den Tempel gingen, die biblischen Festtage feierten und den Sabbat hielten und sogar die Speisegebote beachteten und die Beschneidungspraxis weiter beobachteten, wurde Paulus von Juden, aber auch von Judenchristen kritisiert und bekämpft, weil er lehrte, dass diese Dinge zum Heil nicht notwendig seien. Diese unterschiedlichen Bewertungen werden in der vorliegenden heilsgeschichtlichen Auslegung mit einer genauen Exegese der neutestamentlichen Texte nachvollziehbar belegt.
Paulus hatte überall, wo er hinkam, größte Schwierigkeiten, sich gegen Juden und Judenchristen zu behaupten, weil diese darauf bestanden, die Torah halten zu müssen. Sie betrachteten Paulus als Häretiker. Paulus überredete die jüdischen Messiasgläubigen nicht, dass sie die Torah nicht mehr beachten müssten, aber er lehrte die Nichtjuden, dass sie in Christus der Torah enthoben waren. Seine Lehren über die innige Lebensgemeinschaft mit Christus und dem Sieg von Gottes Gnade, durch die allein das Heil erworben werden konnte, ging in der Bedeutung weit über die messianischen Verhältnisse im kommenden Reich hinaus. Die unbestimmbaren Äonen, in denen Gott handelt, * 5 deren Dauer nur Gott weiß (Mk 13,32), die für Menschen in einem unzugänglichen Dunkel verborgen waren, wurden plötzlich lichter und unterscheidbarer. Paulus setzte viele Ereignisse in ihrer Reihenfolge fest und betonte immer wieder die Zielrichtung des göttlichen Handelns.
Auf Grundlage der feststellbaren Tatsachen ist der auffällige Unterschied in den Aussagen der nichtpaulinischen Schriften, insbesondere des Jakobusbriefes, und der Briefe des Paulus verständlich. In den Lehraussagen der Kirchen wurde seit jeher versucht, die fundamentalen Unterschiede in den Schriftaussagen wegzuerklären. Damit einhergehend werden auch weiterhin in der Schriftauslegung des „Evangeliums" durch die Kirchen und in der Lehre der Kirchentheologen die Inhalte, für welche die Begriffe „Reich Gottes", „Gemeinde des Leibes Christi", „Braut", „Bräutigam", „Israel" stehen, missverstanden und meist „heillos“ durcheinandergebracht. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, mehr Klarheit und Durchblick zu verschaffen. Sie soll zum Teil auch aufklären helfen, warum es diese frappierenden Abweichungen zwischen Kirchenglauben und biblischem Befund gibt.
Ein Schlüssel zum Verständnis des Neuen Testaments ist das klare Auseinanderhalten der Wege, die Gott mit den Juden als Nation und der Gemeinde Christi geht. An der Gültigkeit der gesamten Torah gab es bei den ersten Christusjüngern keinen Zweifel. Paulus musste sich mehrfach erklären.
In der heilsgeschichtlichen Auslegung werden die Gründe ausgeführt, warum die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und den Nationen weiter geht und was das alles mit der Ekklesia Gottes zu tun hat, der Gemeinde des Leibes Christi, wie Paulus die Auswahl an Christusgläubigen aus Israel und den Nationen nennt. Es wird sich dabei zeigen, dass sich alles sinnvoll in die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen einfügt. Die Irrtümer der Menschen, und ihrer Religionsgemeinschaften können den Ausgang dieser Heilsgeschichte ebenso wenig beeinträchtigen. Gottes Ratschluss bleibt unangreifbar. Das Alpha und Omega ist Christus und der steht fest.
Wer sich auf die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen, wie sie sich aus der Bibel ergibt, einlässt, erfährt das Ziel und den Sinn seines Daseins. Das Neue Testament enthält alles Wesentliche, was der Mensch wissen muss, wenn er nach seinem Herkommen und seiner Bestimmung, dem Hinkommen zu seinem Schöpfer und Vollender, fragt.
Es ist Aufgabe eines Auslegers, die Gedanken Gottes, soweit Gott sie uns in der Bibel offenbart hat, kund zu tun. Wenn das Heil keine abstrakte Größe sein soll, sondern für jeden einzelnen bereitgestellt ist, muss sich auch jeder einzelne von den Worten der Bibel angesprochen und in ihnen wiederfinden können. Gelingt das nicht, kann man seine Einstellung gegenüber Gott hinterfragen. Sie soll immer eine lernbereite und hörwillige sein. Dazu darf es nicht am Verständnis der Worte Gottes fehlen und eine Auslegung soll dazu die Gedanken Gottes aufschließen.
Fehlt es daran, muss das Kirchenvolk im Dunkeln tappen, sowohl was den persönlichen Stand jedes Einzelnen vor Gott betrifft, als auch hinsichtlich des Verständnisses, wo die Menschheit insgesamt steht. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Erwartungshaltung verbreitet, dass man das Gottesreich auf Erden ohne den König des Reiches, also durch eigene Anstrengungen, hervorbringen könnte. Doch ist auch diese auf Selbstehrung hinauslaufende Konzeption schon ein Ausfluss der im Neuen Testament angekündigten Irrgeisterlastigkeit der Menschen des letzten messiaslosen Äons. Sie ist untauglich dafür, das Reich Gottes zu errichten. Stattdessen leistet sie ihren Beitrag zu einem antichristlichen Reich. Jedes Reich ohne Christus ist antichristlich, daher ist ein Reich, welches die Kirche Kraft eigener Autorität als Kirchenreich erklärt, stark gefährdet, ein antichristliches Reich zu werden. Wenn eine Kirche sich mit dem Reich Gottes auf Erden gleichsetzt, tut sie das zwar in Anlehnung an bestimmte Bibelverse, die sie „mit Gewalt" an sich reißen und auf sich beziehen (Mt 11,12), *6, aber sie zeigt dabei auch einen eklatanten Mangel an Verständnis für Gottes Heilsgeschichte.
Jeder, der unvoreingenommen die Schriftstellen im Alten und Neuen Testament liest, in denen das Reich Gottes beschrieben wird, kann feststellen, dass die positive Beschreibung nicht im Entferntesten auf irgendeine der Massenkirchen passt, während die negative Beschreibung des antichristlichen „Gegenreiches", sehr gut auf sie anwendbar ist, weil es Merkmale dieser Kirchen hat. Das kann man den in der Bibel gemachten Beschreibungen des Anstatt-Christentums entnehmen. Dieses antichristliche Reich lässt sich ebenfalls Reich Gottes nennen, ohne es zu sein. Es wird nur für alle die dem Original täuschend ähnlich erscheinen, die vorher das Original nicht genug studiert haben. Aber das Anstatt-Christentum, so ähnlich es auch mit alledem ist, was man als ansehnlich und annehmbar akzeptieren möchte, kann die Maske nicht lange aufrechthalten, weil andere als göttliche Kräfte in ihm zum Durchbruch kommen. Und daher sagt Paulus über das Gegenreich, dass es auch folgenden Personenkreis umfassen wird: „Hurer, Götzendiener, Ehebrecher, Knabenschänder, Diebe, Habsüchtige, Trunkenbolde, Lästerer…". *7 Der Unterschied zwischen Reich Gottes und dem Reich des Antichristen ist der: Im erstgenannten waren die Menschen auch diesen Kategorien des Bösen zuzuschreiben, sind es aber nicht mehr. Im zuletzt genannten ist es eher umgekehrt, was nicht war, ist bald geworden. Manch einer ging mit guten Vorsätzen ins Priesterseminar und endete dann in einem oder mehreren der oben genannten Laster. Da nützt ihm dann nicht einmal eine Heiligsprechung von Rom, denn:
Nicht die Rede der Menschen ist entscheidend,sondern das Wort Gottes.
Und das ist gerade in den weltlich großen und mächtigen Kirchen über Jahrhunderte missachtet worden.
Jesus hat Seine Jünger tatsächlich nicht bis ans Ende der Welt geschickt, denn sie sind nicht einmal mit den Städten Israels fertig geworden. Ihre erste Aufgabe war, den Juden das Evangelium zu verkünden. Wäre ihre Aufgabe gewesen, das Volk zu bekehren, müsste man sagen, dass sie kläglich gescheitert sind.
Im Jahr 70 war mit der Zerstörung des Tempels auch die letzte Hoffnung der Jünger Jesu, sofern sie noch lebten, begraben, dass das messianische Reich bald anbrechen würde. Paulus, der selber den Untergang Jerusalems nicht mehr erlebt hat, wirkte auf einem anderen Aufgabengebiet als Jesu Jünger. Jesus hat Paulus zu einem Sonderbeauftragten für die Verkündigung einer Botschaft gemacht, die von der bisherigen Verkündigung abwich.
Diese Botschaft hat nicht im Pfingstfest in Jerusalem seinen Ausgang genommen, wo an einem Tag mehrere tausend Juden auf die Predigt von Petrus hörten, sondern in Damaskus. Petrus adressierte seine Botschaft von der Umkehr Israels und der Hinwendung zum Messias Jesus Christus an Juden. Paulus baute an einer anderen Gemeinde als der „Pfingstgemeinde". Er baute an einer Gemeinde, die von Jesus gegründet wurde, in der anstelle der Torah das Ziel selbst, der Christus, die Richtung des Glaubens und des Handelns vorgab. Und das wurde dort noch konsequenter gelehrt als in den von Juden dominierten Gemeinden.
Man kann sich vorstellen, wie sehr die edelsten und gutwilligsten Geister sich darin ergehen, möglichst nahe an das Ideal der Bergpredigt zu kommen und dabei ganz Christus vergessen, den sie auch nur bei sich erwarten, wenn sie bergpredigtkompatibel konditioniert sind. Das ist im besten Fall das Martha-Symbol. Martha war die Dienerin Jesu, die vor lauter Diensteifrigkeit die innige Vertrautheit in der Liebe zu Christus verpasste. Das war zu tadeln (Lk 10,41). Ebenso laufen Bergpredigteiferer Gefahr, am Wesentlichen vorbei zu leben und nie eine Vertrauens- und Liebesbeziehung mit dem einzugehen, den sie sich zwar als Bräutigam wünschen, der sich aber längst für Israel als seine Braut entschieden hat.
Paulus war der erste, der verstanden hatte, dass Gott mit Israel und den Nationen im Gefolge Israels einen anderen Weg beschritt, den Braut-Weg, als mit einer Auswahl, die eine so unmittelbare Verbundenheit mit dem Haupt der Gemeinde haben konnte wie es nur in einer leiblichen Gemeinschaft vorstellbar ist. Das ist der Bräutigam-Weg oder Leib-Christi-Weg.
Die Bibel zeigt, dass es Christusnachfolger gibt, die am Herzen Jesu liegen, wenn man hier an den „Lieblingsjünger“ Johannes denken will, und solche, die von Ihm noch entfernt sind. Man schaut auf das Gemälde von Da Vinci, wo die Jünger beim Abendmahl sitzen. Und einer ist sogar dabei, der auch zu Tisch sitzt, aber sein Herz ist ganz bei dem Geld, das er zuerst bemüht hütet und dann für gottesreichfremde Zwecke einsetzt. Judas kommt ins Gericht, nicht ins messianische Reich Gottes. Und ebenso kann es vielen „Christen“ ergehen, die mit an der Tafel saßen, an dem Brot und Wein gereicht wurden, die aber ein Geldwesen hatten. Geld ist immer die Währung der Macht und des Machtmissbrauchs.
Das lang ersehnte messianische Reich Gottes würde mit der Rückkehr des Messias beginnen. Das war nichts Neues in Israel! Das glaubten die Jünger, und die Kunde davon verbreiteten sie. Jesus würde als König Israels Seine Regentschaft antreten und Sich mit Israel zu einem messianischen Ehebund zusammenschließen. Vorher noch, und das war das Neue und noch Ungehörte, würde Er sich aber eine Körperschaft bilden, mit dem Er dann vor Israel erscheinen würde. Und dieser Leib Christi gehört, jedenfalls zum Teil, zum Adressatenkreis der Briefe von Paulus. Das ist ihr Besonderes. Doch damit nicht genug, denn Paulus wendete sich in seiner Verkündigung an alle, die auf die Botschaft vom gekommenen und wiederkommenden Messias Israels und Sündenerlösers hören wollten und sollten. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, seine Briefe waren an alle gerichtet, die bereit waren, etwas über Jesus Christus zu erfahren. In einer Gemeinde damals gab es ja, ebenso wie in den heutigen Gemeinden, wo immer sich an Christus Interessierte versammeln, mehr oder weniger gläubige Menschen. Will man alle ansprechen und erreichen, muss man es auch tun.
Paulus wurde schon damals nicht von allen verstanden, obwohl er eine klare Vorstellung davon hatte, was er den Juden über ihr Messiasreich und den Nichtjuden über Jesus Christus zu sagen hatte. Aber da es ohnehin immer nur der Geist Gottes ist, der das Wort Gottes hörbar macht und aufschließt, kann er auch überall und in den widrigsten Umgebungsverhältnissen wirken, wo und wie er will. Unter Umständen auch gar nicht! Er kann einen Papstjünger während einer Messe ansprechen und ihn herausholen aus der babylonischen Gefangenschaft, ebenso wie er einem Muslim bei der ekstatischen Umrundung des finsteren Meteors in Mekka ein noch fremdes Licht leuchten lassen kann, das ihn aus der Vergötzung des Wüsten-Allahs führen wird.
Aber man merkt schon an diesen extremen Beispielen, zuerst einmal beginnt Gott nicht mit Massen, sondern mit Maß. Der Geist Gottes kann Steine zum Leben erwecken und das Maul von Eseln zum Sprechen bringen. Und manch ein religiöser Eiferer, der eselhaft herummaulte, wurde zu einem verständigen Feingeist.
Wie viel anders sind da die Lehren der Kirchen, die alles durcheinanderwerfen, und dabei verbinden, was nicht zusammengehört, und lösen, was Gott zusammengetan hat! Da werden Gegensatzpaare gebildet, die eigentlich keine sind und Zuschreibungen und Einverleibungen betrieben, die es nur in der Vorstellung gibt, aber nicht bei Gott. „Die einen werden verdammt, die anderen sind für die Errettung bestimmt."„Nicht allein der Glaube rettet, sondern auch die Werke und die Kirchenzugehörigkeit." „Gott will alle Menschen retten, kann es aber nicht, denn der Mensch will nicht."„Israel ist das alte Volk Gottes, die Kirche das neue."„Man kann in Christus nicht verloren gehen, außer man lästert den heiligen Geist." Alle diese Aussagen sind unrichtig oder zumindest unvollständig und führen in eine heillose Irre. Der menschlichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, scheint es. Und nicht selten werden Warner Satan als großen Initiator und Inspirator zu vermuten haben, denn er ist der Widersacher Gottes. Wer für ihn ist, ist wider die Sache Gottes.
Hinzu kommen Glaubenssätze, die nicht auf Aussagen der Bibel beruhen, sondern ihnen entgegengesetzt sind: Gott hat die Himmel und die Erde erschaffen - in Wirklichkeit waren es Materie und Zufall. Die Verirrung reicht bis zur „Erkenntnis", dass Jesus gar nicht auferstanden ist und sich über Seine Gottessohnschaft geirrt habe.
Es gibt etliche, die sich „Theologe“ nennen ließen oder lassen, die sich zwar als Christen bezeichnen, aber nachdem, was die Bibel über die Nachfolge Christi sagt, keine sein können, weil sie Christus nicht vertrauen. Theologe ist eine Berufsbezeichnung, aber keine Berufungsbezeichnung. * 8
Es ist längst an der Zeit, wieder mehr Klarheit und Durchblick herzustellen und die Zeit lehrmäßig zurückzudrehen, bis zurück zu Paulus. Gott sagte für die Zeit des Endes ein Zuwachs an augenöffnenden Erkenntnissen voraus (Dan 12,4.9). Dann wird vieles, was vorher „verborgen" und „versiegelt" war durch „Verstand" erschlossen.
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1. Kapitel
Eine Botschaft für Juden und Nichtjuden
Röm 1,1.3.5.7.13.16-18
Schon in seiner Eröffnung in Röm 1 bezeichnet Paulus das Evangelium für das er zum Apostelamt berufen wurde als das Evangelium, welches Gott „durch seine Propheten in heiligen Schriften zuvor verheißen hat!“ Paulus kündigt den Inhalt seines Briefes so an, dass man erwarten kann, dass alles, was er in dem Brief sagt, mit diesem Evangelium, das verheißen worden ist, übereinstimmt. Wenn etwas verheißen ist, ist es offenbar noch nicht gekommen. Was also ist da von Paulus im Römerbrief als Aufklärung oder Hinzufügung zu dem, was die Propheten verheißen haben, zu erwarten? Man ist als Briefleser in eine Spannung versetzt. Und zwar gerade dann, wenn man ein Jude ist, der in den heiligen Schriften der Bibel gelehrt ist. Man kann die damaligen Juden am ehesten mit den heutigen orthodoxen Juden vergleichen, die ihre Kinder schon frühzeitig in die Schriften der Bibel einweisen.
Das neutestamentliche Evangelium bedeutet „frohe Botschaft“. Es hat einen Vorläufer im Alten Testament. So heißt es z.B. in Jes 61,1-3: „Der Geist des Herrn,JHWH, ist auf mir; denn JHWH hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, den Elenden frohe Botschaft zu bringen, zu verbinden, die gebrochenen Herzens sind, Freilassung auszurufen den Gefangenen und Öffnung des Kerkers den Gebundenen, auszurufen das Gnadenjahr JHWHs und den Tag der Rache für unsern Gott, zu trösten alle Trauernden. “
Der Geist Gottes ist hier nicht eine mysteriöse Person, sondern wird JHWH zugeordnet als ruach adonai JHWH. „Der Geist des Herrn, JHWH, ist auf mir.“ - daraus ergibt sich, dass der Geist, der von Gott kommt, dem Gott namens JHWH zuzuordnen ist. In Jes 53,6 heißt es über den Knecht JHWHs, der die Sünden des Volkes trägt: „JHWH warf unsere Schuld auf ihn.“ Und in Jes 53,10: „JHWH gefiel es, ihn zu zerschlagen.“ Wegen Vers 8 ist er auch nicht mit Israel gleichsetzbar. In Jesus nimmt in Mk 12,36-37 auf Psalm 110,1-4 Bezug: „Der HERR sprach zu meinem Herrn: Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Füße! Der HERR wird das Zepter deiner Macht ausstrecken von Zion: Herrsche inmitten deiner Feinde! … Du bist Priester in Ewigkeit nach der Weise Melchisedeks!“ Jesus Erklärung lautet. Wenn David seinen Herrn von JHWH unterscheidet und dieser Herr zugleich als Davids Sohn zu betrachten ist, kann die logische Schlussfolgerung nur sein, dass der Herr Davids ein Wesen ist, welches zugleich als Nachfolger Davids auf dem Thron Davids zu sitzen kommt. Mit anderen Worten, der Herr Davids ist der Messias, der aus dem Haus Davids hervorgeht und zur Zeit Davids bereits Davids „Herr“ war. Da dieser Herr damals noch kein Mensch gewesen ist, weil er ja erst mit der Geburt in Bethlehem Mensch wurde, muss der Herr ein göttliches Wesen sein, dass dem von David genannten JHWH untergeordnet ist, denn dieser JHWH sagt ja zum „Herrn“: „Setze dich zu meiner Rechten“. Zur Rechten Gottes sitzt aber Jesus Christus. * 9
Nach 1 Kor 10,4 war Jesus aber der „geistliche Fels“, der Israel begleitete, als es durch die Wüste zog. Nach 2 Mos 7,16 und 8,23 u.a. ist der Gott, der Israel durch die Wüste begleitete JHWH. Wenn Jesus im Neuen Testament mit JHWH gleichgesetzt wird und Jesus bestätigt, dass David und Jesaja von dem Messias als Herr redet, zu dem JHWH spricht, dann bedeutet das, dass es zwei göttliche Personen gibt, die JHWH sind. Dies ergibt sich auch wegen Joh 1,1ff, wo der Sohn Gottes mit dem Schöpfergott gleichgesetzt wird, * 10 der nach 1 Mos 2,4ff ebenso JHWH genannt wird. In Anbetracht der sprachlichen Bedeutung des Gottesnamens, der aussagt, dass Gott der Seiende ist, von dem alles andere Seiende ausgeht und zu dem alles Seiende wieder zurückgeht, ohne den nichts existieren kann, trifft der Namen sowohl auf den Vatergott als auch auf den Sohn Gottes zu.
Die Bibel kennt keine mysteriöse weitere Gottesperson als die, die namentlich unter El mit jeweiligen Zusätzen, Adonai, JHWH und Jesus genannt sind. Und so entspricht der „ruach adonai JHWH“, im Neuen Testament der „pneuma christou“, zu Deutsch „Geist Christi“ (1 Pet 1,11).
Theologen wissen, dass JHWH mit Jesus gleichgesetzt werden kann. Der „pneuma tou theo“, zu Deutsch „Geist Gottes“ entspricht dem „ruach elohim“ im Alten Testament. Elohim kann als Plural von der Gottheit aufgefasst werden, ob das zwei „Personen“ sind, oder mehr bleibt in der Bibel dahingestellt. * 11
Die von Jesaja genannte frohe Botschaft, lə·ḇaś·śêr, kündigt Heilung an, gebrochene Herzen werden verbunden, Freilassung aus Kerkern erfolgt, Trauernde werden getröstet und allenthalben erfolgen Begnadigungen. Das erinnert an die Verhältnisse, die in Of 21,4 beschrieben werden. Das korrespondiert mit Ps 107,1ff, wo ausführlich beschrieben wird, dass sogar diejenigen, die Gott widerspenstig waren und Ihm zum Spott lebten, aus ihren Kerkern befreit werden, nachdem sie Gott als Gott der Gnade kennen gelernt haben, der allein ihnen zum Heil verhelfen kann. Es geht also schon im Alten Testament um ein Evangelium, das die Seelen rettet und heil macht. Dieses Evangelium ist eben keine Schreckensbotschaft, sondern auch der einzig gangbare Weg für die Gottlosen und Toren (Ps 107,17), die Widerspenstigen und Gottesverächter (Ps 107,11) und die in Finsternis gefesselten (Ps 107,10.14). In Psalm 107 steht auch bereits, wer der große Erlöser und Gnadengeber ist. Es ist das Wort Gottes:
„Er sandte sein Wort und heilte sie, er rettete sie aus ihren Gruben.“ (Ps 107,20). Das Evangelium ist das Wort Gottes und Jesus Christus ist das Wort Gottes. Das ist die Botschaft von Paulus im Römerbrief. Jeden, der in die Grube muss, vermag Jesus zu retten. Das ist die frohe Botschaft. Ebenso deutlich sagt Paulus den Römern, was nicht rettet. Da spricht er vor allem die Torah der Juden an. * 12 Wenn das Evangelium von Paulus etwas ist, was im Alten Testament verheißen war, aber dort noch nicht eindeutig vorhanden war, dann bringt Paulus mit seiner Botschaft, mit seinem Evangelium, mit seiner Theologie, mit seinen Lehren, offensichtlich etwas Neues. Hier kann man bereits einen Unterschied zu dem erkennen, was Petrus verkündete, als er in Ap 2 an Pfingsten, nicht lange nach der Himmelfahrt Jesu, zum versammelten jüdischen Volk in Jerusalem sprach. Dort nimmt zwar Petrus ebenfalls Bezug auf das Alte Testament, wenn er sagt, dass sich die Verheißungen beim Propheten Joel nun im Augenblick vollziehen. Und tatsächlich waren die Zeichen dazu da. Doch das bei Joel angekündigte messianische Reich kam ja doch nicht!
Zur Zeit als Paulus den Römerbrief schrieb, war diese Anfangsbegeisterung, wie sie bei Petrus geherrscht hatte, mitsamt Optimismus (Ap 2,14ff), das zeigt sich im Römerbrief recht deutlich, einem neuen Realismus gewichen, der genau genommen so ziemlich das Gegenteil darstellte von dem, was noch Petrus so vollmundig behauptet hatte (Ap 2,16ff). Petrus hatte sich nicht etwa geirrt, bei dem, was er verkündete: jetzt beginnt sich Joels Verheißungen zu erfüllen! (Joel 3,1-5) Aber er hatte sich geirrt bei dem, was er höchstwahrscheinlich dachte, nämlich, dass das Reich mit Macht jetzt bald kommen würde, denn natürlich gab es zwischen den Verheißungen bei Joel und dem Kommen des Reiches einen unmittelbaren Zusammenhang, den man auch zeitlich anzunehmen hatte.
Dieser Irrtum bei Petrus ist nur nicht biblisch in Worten dokumentiert. Aber faktisch mussten Petrus und die anderen Jünger feststellen: Von wegen vollzog sich das messianische Reich wie es im Alten Testament beschrieben war schon vor ihren Augen! Zwar fanden die Jünger Jesu zunächst „Wohlwollen beim ganzen Volk“ (Ap 2,47). Aber lange währte dieses Wohlwollen nicht. Es folgte durch die religiöse Obrigkeit eine Verfolgungsphase (Ap 7,59) * 13 und dann Gleichgültigkeit, die nur gelegentlich wieder von den religiösen oder politischen Machthabern angestachelt wurde. Ap 9,31 bringt den Frieden für die Gemeinde in ganz Judäa und Galiläa und Samarien mit der Befriedung des Paulus in Zusammenhang. Der Frieden war aber fragil, denn die Gemeinde in Jerusalem war nicht sonderlich beliebt, wie Ap 12 zeigt. Die in Ap 12,1 anhebende Verfolgung ging zunächst von König Herodes aus. Ihr fiel der Apostel Jakobus zum Opfer. Doch dann zeigte sich, dass das auch „den Juden“ gefiel (Ap 12,3).
Die Apostel predigten weiter das baldige Kommen des Messias, aber Er kam nicht. Und die Apostelgeschichte hört damit auf, dass Paulus den Juden sagt, dass sie verstockt sind und die Evangelisierung bei ihnen nicht mehr ankommen wird (Ap 28,25-28). Im Römerbrief ergänzt er, dass dies nur vorübergehend sein wird. Als das messianische Judentum im Jahre 70 seine Basis mit der Gemeinde in Jerusalem ganz verlor, waren seine Tage gezählt, denn es konnte sich kaum wieder von der Zerstörung Jerusalems und der Vertreibung der Juden erholen. In den römischen Provinzen gab es keine oder nur wenige messianisch jüdische Gemeinden, das nichtjüdische Christentum gewann sehr schnell die Oberhand und damit geschah etwas, was vielleicht keiner der Jünger Jesu so richtig voraussehen konnte.
Anstatt Anbruch des messianischen Reiches entstand eine christliche Kirche, die keine Unterscheidung mehr vorzunehmen in der Lage war, was die Verkündigung des Evangeliums an die Juden von der Verkündigung des Evangeliums an die Nichtjuden unterschied. Die Lehren wurden vermischt zu einem wenig heilvollen Durcheinander. Mit dem Anwachsen des Anti-Judaismus auch in den christlichen Gemeinden, wurde alles vermeintlich Jüdische, wie zum Beispiel das Halten des Sabbats, ausgesondert und verbannt. Damit verschwand das Wissen um Gottes Heilsgeschichte. So entstanden christliche Kirchen, die aber nicht mehr oder nur noch zum Teil biblische Glaubensgemeinschaften waren. Gleichzeitig nahm der Einfluss der heidnischen Religionen und Philosophien zu. Im Vierten Jahrhundert hat man dann eine Christenheit, das nur noch wenig mit der Urgemeinde in Jerusalem zu tun hat. Die katholische Kirche ist entstanden, mit einem Grundgerüst an Lehren, das ihr erlaubt, 1600 Jahre später den Nationalsozialismus zu hofieren und nicht gegen das Unrecht zu protestieren, im Handel gegen die Zusicherung, die katholischen Kirchengüter und das „geistliche“ Personal, sowie die katholische Religionsausübung unberührt zu lassen. * 14 Vor allem hat die katholische Kirche sich als neues Israel erklärt, die Judenverfolgungen abgesegnet und durch ihr Schweigen und ihr Kirchenvolk zum Holocaust wesentlich beigetragen. Die völkermordenden katholischen Nazis wurden folgerichtig auch nie aus der Kirche ausgeschlossen.
Den Briefen von Paulus wird zu Unrecht nachgesagt, dass sie dem Anti-Judaismus Vorschub geleistet hätten. Aber so viel er gerade auch im Römerbrief Kritik übt, so macht er doch auch klar, dass Israel das Volk der Verheißung bleibt. Das kann man nur übersehen, wenn man seine Aussagen nicht alle gelten lässt. Paulus wird im Römerbrief von der großen Verstockung Israels reden, die jedoch nur dauern wird, bis die Zeit der Nationen sich erfüllt haben wird (Röm 11,25-27). Und solange wird das messianische Reich nicht beginnen.
Aber nicht das meint Paulus, wenn er von dem redet, was in den „heiligen Schriften zuvor verheißen war“, denn im Alten Testament findet sich nichts von einer Verstockung Israels, nachdem der Messias bereits zum ersten Mal gekommen sein würde. Es besteht kaum Zweifel, dass Paulus bei dem Verheißenen nicht nur israelogisch dachte, wie noch die Jünger Jesu. Deren Evangelium bestand hauptsächlich darin, das gleiche zu predigen, was schon Jesus und vor ihm die Propheten im Alten Testament verkündigt hatten, nämlich die Notwendigkeit der Umkehr des Volkes zum Vertrauen in den Gott ihrer Väter und zu einem gottwohlgefälligen Leben. Und sogar das war im Alten Testament verheißen worden. Das Volk würde umkehren! Was aber im Alten Testament ebenfalls verheißen war, aber nur in knappen Hinweisen, * 15 die vieles im Unklaren gelassen hatten, das bezog sich sehr wohl auf die Botschaft von Golgatha, nämlich dass Gott selber die für die Erlösung der Menschen erforderliche Sühnung bewirken würde. Und auch hier muss man feststellen, dass Gott das nicht klar zu Zeiten des Alten Testaments offenbart hatte, kann nur damit zusammenhängen, dass er mit Seinen Wahrheiten in der Kundmachung so sparsam umgeht, dass es immer noch der Zugabe des heiligen Geistes bedarf, ehe man Gott verstehen kann. Man bedenke, dass es kaum zum Opfertod Jesu hätte kommen können, wenn alles völlig klar gewesen wäre. * 16 Paulus dachte nicht nur israelogisch, weil der Messias Israels ja in erster Linie der Retter Israels war, sondern er dachte stark christuszentrisch.
Dieser Christus würde ja Israel nur deshalb bevorzugt behandeln und zu Seinem Volk machen, um damit die Nationen zu erreichen. Und Christus war für ihn nicht nur ein Einlöser der Verheißungen der heiligen Schriften, sondern Er war der Erlöser des Alls. Das All, das ist gerade auch im Römerbrief die gesamte Schöpfung und all das, was aus der Schöpfung geworden ist, also nicht nur Adam und Eva, sondern die gesamte Menschheit, nicht nur Biene und Milchkuh, sondern auch Löwe und Drache. Nicht nur Oberwelt und Himmel, sondern auch Unterwelt und Hölle, denn alles ist geschaffen durch Gott zum Zwecke Ihn zu verherrlichen. Wenig sieht zur Zeit von Paulus und wenig sieht 2000 Jahre später danach aus. Aber was oder wer sieht danach aus, reif für den Himmel zu sein? Und doch will jeder hinein kommen. Es braucht alles eine Zielführung und Verwandlung. Was aber auch aus den Briefen von Paulus hervorgeht:
Gott lässt sich Seine Verherrlichung durch niemand nehmen!
Das Heil bezog sich auch schon im Alten Testament auf mehr als nur einzelne, speziell auserwählte Eliten. Gott fängt nicht mit Eliten an, Er hat gar keine erschaffen. Er fängt mit dem Geringen an, um das zu beschämen, was sich dem Irrtum hingibt, weniger gering zu sein. Bei Gott ist das weniger Geringe, welches bei den Menschen ein Mehr an Vermögen und Leistung bedeuten soll, noch weniger als gering. Vor der Vervollkommnung durch Christus in Christus gibt es überhaupt keine Eliten und in Christus gibt es auch nur Christusglieder, die mit allen Ehren ausgestattet sind, weil sie in Christus geehrt sind. Und auch Israels Ehre wird sich allein auf den Messias gründen können. Wenn jetzt Menschen, Juden oder Nichtjuden, Israel wegen seiner Fortschritte und Erfolge preisen, dann vergessen sie dabei den, dem der Lobpreis zusteht.
Im Alten Testament wird das Heil bereits Israel und den Nationen in Aussicht gestellt. So z.B. bei Jesaja, der Gott als den Heiligen Israels bezeichnet (Jes 12,6): „Preist den HERRN, ruft seinen Namen aus, macht unter den Völkern seine Taten bekannt, verkündet, dass sein Name hoch erhaben ist! Lobsingt dem HERRN, denn Herrliches hat er getan! Das soll auf der ganzen Erde bekannt werden.“ (Jes 12,4-5; Vgl. Jes 49,6; 51,4f; 66,19) Oder in anderen alttestamentlichen Schriften. * 17 Aber den Propheten und Schriftkundigen war klar, dass an die Nationen noch lange nicht zu denken war, wenn das messianische Reich noch nicht einmal gekommen war und Israel sich noch nicht als die erste unter den Nationen qualifiziert hatte. Dazu war der Gehorsam gegenüber dem Bundesgott notwendig. Zuerst musste Israel umkehren von seinen Irrwegen und sich Gott zuwenden. Seit dem ersten Kommen des Messias war für Israel ein weiteres Problem dazugekommen. Nun hatten sie auch noch zu bereuen, dass sie ihren Messias nicht erkannt hatten, weil sie schon vorher nicht auf Gottes Worte gehört hatten. Der JHWH des Alten Bundes war auch der JHWH des Neuen Bundes. Und das war Jesus Christus.
Nun kommt aber Paulus und spricht von einem „Evangelium Gottes“ (Röm 1,1), für das er autorisiert worden ist, und führt in seinen Briefen auffälligerweise die Rede über die „Geheimnisse“ Gottes. * 18 Eines dieser Geheimnisse ist das Geheimnis der Gemeinde des Leibes Christi, die die Gläubigen auch als Innewohnung Christi erleben. Und dieser Gemeinde stellt Paulus das Attest aus, dass sie etwas völlig Neues, Hinzugekommenes ist, was es im Alten Bund noch nicht gegeben hat. * 19 Anders gesagt, kommt es im Neuen Testament zu neuen Offenbarungen, die allenfalls ansatzweise im Alten Testament thematisiert wurden. Und Paulus war der Apostel, der andere Offenbarungen als die anderen Apostel hatte. Und während die Offenbarungen der anderen Apostel noch eng verbunden waren mit der auf der geraden Linie der Tradition liegenden Verkündigung, war das bei Paulus anders.
Dies erklärt dann auch die fehlende Deckungsgleichheit der Verkündigungen. Theologen und Bibelausleger, die das nicht so feststellen, müssen etwas annehmen, was man nicht belegen kann, nämlich, dass die anderen Apostel in ihrer Verkündigung ebenso „paulinisch“ waren, wie Paulus selbst. Es sei nur nicht überliefert worden. Das hört man immer wieder. Doch es stimmt nicht. Überliefert worden sind die Briefe von Petrus, Johannes und Jakobus und die bestätigen nur, dass es zum Teil erhebliche Unterschiede in ihren Botschaften gibt. Dies wird in der Apostelgeschichte nur allzu deutlich gemacht, als dass man es verleugnen könnte. Gerade die christlichen Glaubensgemeinschaften, die vorgeben, bibeltreu sein zu wollen, sollten einmal daran denken, dass Gewissenhaftigkeit und Treue am Wort festgemacht werden sollte, nicht an Traditionen, die aus einer Zeit stammen, wo die Theologen noch zugleich Menschen dem Scheiterhaufen überantworteten oder ihre Gegner, wenn sie ihrer nicht habhaft werden konnten, verfluchten. Die Kirchenchristenheit propagiert die Freiheit in Christus, befindet sich aber zum Teil in der Versklavung unter die Tradition. In dieser Versklavung beginnt man auch immer irgendwann damit Andersgläubige zu zwingen, sowohl psychisch als auch physisch.
Auch zur Zeit von Paulus gab es Traditionen, deren Opfer ja auch Paulus geworden war. Er ließ Christen verfolgen und umbringen. Da auch wieder – psychischer oder physischer Zwang! Damals gab es die sogenannte mündliche Torah, die dann später auch schriftlich festgelegt wurde und hohes Ansehen im Judentum gewann. Sie sollte die schriftliche Torah ergänzen. * 20 Sie hat auch heute weitreichenden Einfluss und verhindert Juden messianische Juden anzuerkennen.
Die Schriftforscher und Torahgelehrten studierten unablässig die Überlieferungen, um zu mehr Erkenntnis über Gott und die Torah zu gelangen. Wenn nun ein neuer Schriftgelehrter oder „Prophet“ daherkam und behauptete, neue Erkenntnisse zu haben, prüfte man auch immer, inwieweit das Neue mit dem Etablierten übereinstimmte.
Jesus hatte noch gesagt, wer Ihn und Seine Lehren verstehen wolle, müsse nur in der heiligen Schrift suchen, sie würde von Ihm Zeugnis ablegen. Damit meinte Er die hebräische Bibel damals, ohne das Neue Testament. Aber dieser Paulus behauptete, darüber hinaus Erkenntnisse zu haben, die bisher noch ein Geheimnis gewesen waren, bis sie ausgerechnet ihm offenbart worden sein sollen. Man muss sich im Klaren darüber sein, dass das auch eine Herausforderung für die messianischen Juden waren, die an Jesus als ihren Messias glaubten, aber auch die Torah und die Beschneidung in Ehren hielten. Was Jesus sagte, stand noch irgendwie nachvollziehbar in der Tradition der Lehre der Bibel. Und die Bibel umfasste damals nicht das Neue Testament!
Und was war das Argument von Paulus, dass das, was er da neu einzubringen hatte, auch als Wahrheit von Gott gelten sollte? Er sagte, er hätte es ebenfalls von Christus in einer Sonderoffenbarung (Gal 1,12). * 21 Das bedurfte also eines zusätzlichen Glaubensaktes, den viele verständlicherweise zu erbringen nicht bereit waren. Das heißt, es gab Jünger Jesu, die nicht an das glaubten, was Paulus an Sonderlehren vertrat. Man bedenke, für sie war es schwieriger, überzeugt zu werden als für heutige Gläubige, die eine andere Bibel und damit auch eine andere Botschaft von Gott haben! Alle Christen damals hatten kein Neues Testament. Und als die Schriften von Paulus oder Petrus in Umlauf waren, * 22 gab es immer auch die Frage, wie sie zu werten waren. Waren sie inhaltlich inspiriert? * 23 Erst später kam die Idee, dass bestimmte Briefe in ihrer Gesamtheit inspiriert waren und gleichrangig mit den Schriften des Alten Testaments waren.
Die Gemeinschaft der Jesusgläubigen war damals ein uneinheitliches Gebilde. Und Paulus war ein gewichtiger Grund dafür! Wer nun glaubt, dass das heute nicht mehr der Fall wäre, irrt sich. Tatsächlich werden von den Kirchen weltweit die Lehren von Paulus nicht in vollem Umfang anerkannt. Daher ist es wichtig, die Briefe von Paulus auch gerade dahingehend zu analysieren, was er, abweichend von Jesus, anders als die anderen Apostel und erst recht im Unterschied zu den Propheten des Alten Bundes, lehrte und predigte. Die Analyse wird erbringen, dass die heilige Schrift keine unüberbrückbaren Widersprüche hat und dass zwei Stimmen beide Recht haben und wahr reden können, obwohl sie sich zu widersprechen scheinen.
Man muss folgendes beachten: Der Grund, warum die Lehren von Paulus bei den Juden, und zwar gerade auch bei den Judenchristen * 24 nicht ankam, ist ebenso klar, wie der Grund, warum Paulus bei den Nichtjuden auf ein offenes Ohr stieß. Es liegt an ein und demselben Umstand. Paulus verkündete aus Sicht der Juden, oberflächlich betrachtet, etwas, was den Juden zu vieles nahm und den Nichtjuden zu viel gab. Paulus nahm, wenn auch nur vermeintlich, den Juden ihre Sonderstellung, nämlich indem er die Beschneidung und die Torah entwertete. Und er gab den Nichtjuden das Heil, ohne dass sie Juden werden mussten und ohne, dass sie die Torah halten mussten, was leicht misszuverstehen war und auch schnell missverstanden wurde. Denn anstatt heilig werden zu wollen wie Gott heilig ist, wurden die Massen nur formelle Christusnachfolger.
Wurde Paulus zum Urvater des Namenchristentums? Nein, es ist genau entgegengesetzt: gerade, weil die Kirchen Paulus nicht nachfolgten, erzeugten sie ein Namenchristentum. Das spricht ein Bekenntnis für Christus aus, aber es ist nur ein Lippenbekenntnis. Wer ein Jude werden wollte, das gilt auch noch heute, wurde hingegen umfassend in die jüdische Glaubenspraxis eingeführt. Das nahm man nur in Kauf, wenn man es entweder aus Glaubensgründen tat, oder andere starke Gründe hatte, dem Judentum beizutreten. Christ werden konnte man sehr schnell, natürlich nicht vor Gott, aber vor den Menschen. Das kostete nicht viel. Einmal untertauchen und ein paar Worte, schon war man aufgenommen in die Gemeinde. * 25 Wenn man die Briefe von Paulus verstehen will, muss man wissen, wen er überhaupt anspricht. Und man wird feststellen, weil er sowohl Juden als auch Nichtjuden anspricht, muss seine Botschaft auch für beide gelten. Ob die Angesprochenen gläubig waren, ob sie mehr oder weniger gläubig waren, ob sie mehr oder weniger an seine Lehren glaubten, das konnte auch Paulus nur mutmaßen.
Der messianische Jude David H. Stern schreibt in seinem Kommentar zum Neuen Testament etwas, was für alle Briefe des Paulus stimmt: „Das richtige Verständnis des Römerbriefs hängt also von der Entscheidung ab, welche Teile für jedermann gelten und welche konkret für Nicht-Juden gedacht sind."* 26 Stern hat also erkannt, dass Paulus in seinen Briefen nicht immer nur eine bestimmte Personengruppe anspricht, sondern schwankt. Das muss Paulus, wenn er alle erreichen will. Das wiederum zeigt, dass bei den Briefempfängern eben verschiedene Personengruppen dabei gewesen sein müssen. Die ersten Empfänger des Römerbriefs waren römische Juden.
Ab Röm 1,3 wird die Botschaft von Paulus inhaltlich präsentiert. Dabei stellt sich heraus, es ist das Evangelium über Gottes Sohn, „der aus dem Same Davids gekommen“ ist. Hier klingt schon an, der Brief richtet sich zunächst einmal an die römischen Juden. Sie bildeten zweifellos damals lange die Mehrheit der messianischen Gemeinden in Rom. * 27 In der katholischen Kirche wird geglaubt, dass die erste Gemeinde die Urgemeinde der katholischen Kirche sei. Das ist vergleichbar mit dem Glauben des Islam, die ersten Rechtgläubigen, einschließlich Jesus, seien Muslime gewesen. Doch die ersten Messiasgläubigen in Rom waren weder Katholiken noch Muslime. Sie waren Juden und Nichtjuden, die näher am biblischen Glauben waren als am Katholizismus oder am Islam. „Biblischer“ Glauben bedeutet, dass sie daran glaubten, dass der Tanach, das hebräisch-aramäische „Alte Testament“ Gottes Wort sei. * 28