Apokalypse - Johannes Eckert - E-Book

Apokalypse E-Book

Johannes Eckert

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Beschreibung

Nicht erst seit der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg ist der Begriff in aller Munde: Apokalypse. Die meisten Menschen verbinden damit die ultimative Katastrophe und den Weltuntergang verbinden. Die Apokalypse steht in der Bibel auch tatsächlich ganz am Ende. Aber nicht, weil dann alles aus wäre. Sondern, und das zeigt Abt Johannes Eckert OSB in seinem neuen Werk, weil etwas völlig Neues anbricht. Eckert taucht tief ein in das faszinierendste Buch der Bibel und fördert Spektakuläres zutage. Er erklärt nicht nur die berühmten Schreckensbilder, sondern auch die Hoffnungsbilder. Die Erkenntnis: In Zeiten der Angst ist gerade die Apokalypse das Buch, das uns einerseits die Realität vor Augen führt und unser Gottesbild schärft. Und die andererseits uns Halt, Hoffnung und Trost schenken kann. Nicht Weltuntergang, sondern Neustart. Nicht Katastrophe, sondern Chance für eine bessere, gerechtere und lebenswertere Welt. Ein Buch, das Licht bringt in dunklen Zeiten und Mut gibt. »Auch heute haben apokalyptische Szenarien Konjunktur« (Deutschlandfunk)

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Abt Johannes Eckert OSB

Apokalypse

Abt Johannes Eckert OSB

Apokalypse

Bilder des Schreckens, Bilder der Hoffnung: Visionen für heute

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2022

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Als deutsche Bibelübersetzung ist zugrunde gelegt:

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © lindsay_imagery / GettyImages

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

ISBN Print 978-3-451-03395-7

ISBN E-Book (EPUB) 978-3-451-83395-3

ISBN E-Book (PDF) 978-3-451-83396-0

Meinen Freunden, ihren Kindern und Enkeln als zuversichtliche Ermutigung

Inhalt

Einleitung

Das Werk – ein gewaltiger Weckruf

Der Autor – ein aufgeweckter Prophet

Der Inhalt – Protest am Heute

Auftaktvision

Der Seher erlebt Ostern

Auferweckung statt Depression

Vision 1

Die apokalyptischen Reiter

Wachsamkeit statt Verängstigung

Vision 2

Die Hure Babylon

Achtsamkeit statt Verführung

Vision 3

Die Bestie aus der Erde

Auseinandersetzung statt Verteufelung

Vision 4

Die Schwangere in Geburtswehen

Hoffnung statt Verzweiflung

Vision 5

Das geschlachtete Lamm

Hingabe statt Unverwundbarkeit

Vision 6

Der Richter mit blutgetränktem Gewand

Verantwortung statt Vernichtung

Vision 7

Die Erlösten in weißen Kleidern

Beständigkeit statt Austritt

Endvision

Das neue Jerusalem

Neuanfang statt Weltuntergang

Versöhnter Nachhall – Gnade für alle!

Über den Autor

Einleitung

Das Werk – ein gewaltiger Weckruf

Apokalypse – das Wort, das dem letzten Buch der Bibel seinen Titel gab, ist derzeit in aller Munde, um unterschiedlichste Schreckensszenarien zu beschreiben. Mir kommt es vor, dass wir unsanft aufgeweckt werden, wie es einer meiner Lieblingswitze auf den Punkt bringt. Der kleine Max schläft im Religionsunterricht ein. Während er zufrieden vor sich hinschlummert, stupst ihn die Religionslehrerin mit dem Finger an und fragt: „Was bist denn du für einer?“ Worauf Max hellwach antwortet: „Ein aufgewecktes Kerlchen!“

Manchmal werden wir unsanft aus unseren Träumen gerissen und finden uns als „aufgeweckte Kerlchen“ in einer anderen Wirklichkeit wieder. Sicherlich sind wir nicht immer so schlagfertig wie der kleine Max, sondern reiben uns schläfrig die Augen und fragen verdutzt: Was ist denn eigentlich los? Wo bin ich denn?

Mir scheint, dass wir seit einigen Jahren immer wieder aus einer Traumwelt aufgeweckt werden, in der wir uns in unserem Wohlstand eingerichtet haben. Spätestens mit der sogenannten „Flüchtlingskrise“, als die Medien permanent Bilder von Menschen auf der Flucht zeigten, die mit ihrem wenigen Hab und Gut beladen, von Polizeiautos eskortiert, zu Fuß die Grenze Deutschlands passierten, klopfte die Realität der globalen Krise an unsere Haustüren. Unsanft rüttelte sie an uns: Aufstehen! Die Wirklichkeit des Bürgerkrieges in Syrien, die Folgen der Terrorherrschaften beispielsweise in Afghanistan oder Nigeria, die zunehmende Verwüstung weiter Teile Afrikas stehen mit diesen Menschen vor unserer Tür und wecken uns auf!

Hinzu kommen täglich Katastrophenmeldungen in den Nachrichten: Bilder von verheerenden Buschbränden in Australien, die Menschen und Tiere lebensbedrohlich bedrängen, von dunklen Wolken der Heuschreckenschwärme, die in Ostafrika ganze Landstriche kahl fressen, von Militärlastwagen, beladen mit Särgen, die die Toten der Corona-Pandemie aus der norditalienischen Stadt Bergamo herausschaffen, oder die furchtbaren Zerstörungen der Flutkatastrophe im Aartal, die über Nacht vielen alles Hab und Gut geraubt hat. Die Schreckensbilder von weltweiten Katastrophen ließen sich beliebig fortsetzten, von den Zuständen in den Flüchtlingslagern rund ums Mittelmeer angefangen bis hin zum Abschmelzen der Gletscher und Pole oder der Rodung der Regenwälder durch gewaltige Bulldozer, die den Klimawandel drastisch veranschaulichen. Ganz zu schweigen vom Krieg in der Ukraine und seinen unmenschlichen Ausdrucksformen, die die Weltordnung und den Glauben an eine bessere Zukunft nach dem Ende des Kalten Krieges ins Wanken bringen. Was ist los mit unserer Zeit? Steht die Endzeit, der Weltuntergang, die Apokalypse bevor? Wie deuten wir diese Weckrufe? Bin ich ein aufgewecktes Kerlchen, das hellwach sieht, was vor sich geht, oder ein schlaftrunkener Träumer, der sich müde die Augen reibt?

Die aktuellen Bilder der gewaltigen Umbrüche, in denen wir uns befinden, motivierten mich, mich intensiver mit dem letzten Buch der Bibel, der Apokalypse, zu beschäftigen. Zugegebenermaßen tat ich mich zunächst damit schwer und wollte zwischenzeitlich dieses Buchprojekt immer mal wieder aufgeben. Die Brutalität und die Grausamkeiten der Apokalypse, wie sie in vielen Passagen z. B. durch vernichtende Plagen, durch zerstörerische Mächte und ins Chaos wechselnde Zustände dargestellt werden, wirken nach wie vor abstoßend auf mich. Auch zeichnet die Apokalypse ihre ausdrucksstarken Bilder meist im scharfen Kontrast von Schwarz und Weiß, von Gut und Böse, und kennt kaum Grau- und Zwischentöne. Dieser Radikalität, die eher mit Stumpf und Stiel ausreißen will, als bis zur Ernte wachsen lässt, fehlt oft die Weite, die geduldig auf positive Entwicklungen hofft. Hinzu kommt das Bild eines strafenden Gottes, das die Katastrophenbilder bei mir suggerieren. In seiner grenzenlosen Allmacht ist Gott eher zu fürchten und passt so gar nicht zu einem Gottesbild des liebenden und sorgenden Vaters, wie wir es aus den Evangelien kennen. Was also hat die Apokalypse mit Jesus von Nazareth und seiner Botschaft der Liebe zu tun? Betreibt sie nicht vielmehr das Geschäft mit der Angst, wenn zu lesen ist, wie Gott die Menschen bestraft und züchtigt? Geht dadurch nicht die Hoffnung verloren, dass der Glaube an Gott den Menschen ins Weite führt?

Und zugleich gibt es die beiden Kapitel im Buch der Apokalypse, in denen vom neuen Himmel und der neuen Erde sowie vom himmlischen Jerusalem die Rede ist. (Vgl. Apk 21; 22) Diese Zukunftsperspektiven am Ende sind eine hoffnungsfrohe Botschaft, sodass ich zu einem Freund sagte: „Eigentlich würden mir diese beiden Schlusskapitel genügen, auf den Rest könnte ich leicht verzichten!“ Aber unsere Welt und Zeit ist anders. Sie ist eben nicht nur eitler Sonnenschein mit fröhlichem Vogelgezwitscher, wie uns die grausamen Bilder vor Augen führen. Aufgrund dieser Parallelität, die auch heutzutage in den Medien bedient wird, haben mich Freunde beharrlich ermuntert, ja aufgeweckt, mich in dieses eigenartige Buch der Bibel tiefer einzuarbeiten und es mit den Herausforderungen unserer Zeit zu konfrontieren.

Je intensiver ich mich mit der Apokalypse auseinandersetzte, desto mehr wurde mir bewusst, dass dieses Abschlusswerk unserer Bibel ein einziger Weckruf für uns Christen darstellt. Wir werden aufgeweckt aus einem Kuschelkurs der Verharmlosung des Glaubens, bei dem es hauptsächlich darum geht, gute Gefühle zu vermitteln und das Christentum als „Wohlfühlreligion“ zu präsentieren. Das betrifft auch das christliche Gottesbild. Der Theologe Fulbert Steffensky (*1933) spricht in diesem Zusammenhang von einer Art „Verhaustierung Gottes“, wenn er sich unter anderem die neuen Lieder, Gebete und Segenstexte anschaut. Haben wir Gott gezähmt, ihn degradiert zum lieben, alten Opa, dem am Schluss alles recht ist? Ist er im Streichelzoo gelandet? Darf man einen souveränen Weltenrichter, einen Pantokrator, der die Geschicke der Welt in Händen hält, verniedlichen? Und wie schaut es aus mit unserer Verantwortung, die wir für die Welt, für unsere Zeit und ihre Geschicke haben? Letztlich geht es dabei immer um die Frage nach der Gerechtigkeit. Gott wird alles am Ende zum Guten richten und Opfer und Täter, Benachteiligte und Profiteure gleichermaßen in den Blick nehmen.

Das Gottesbild, das uns die Bibel vermittelt und das Jesus verkündet, ist keineswegs harmlos. Die Evangelien sprechen deutlich vom Weltgericht und der Verantwortung, der wir uns stellen müssen. Zugleich geben sie Hoffnung, dass die Armen, die Unterdrückten und Geschundenen zu ihrem Recht kommen werden. Gott vergisst sie nicht. Auch diese Gedanken finden sich im letzten Buch der Bibel wieder.

Die Apokalypse will in drastischen Bildern wachrütteln für die Wirklichkeit, die uns umgibt. Sie macht deutlich, dass nicht alles gut läuft und es aufgeweckte Menschen braucht, die gegensteuern, indem sie nicht bei allem mitmachen, sich aktiv für das Gute in der Welt einsetzen und Leben zum Positiven verändern. Sie will aber auch ermutigen, auszuhalten in allen bedrängenden Krisen: Gebt als Christen die Hoffnung nicht auf, dass letztlich Gott Regie führt und dadurch alles zu einem guten Ende kommen wird.

Freilich sind manche Gedanken der Apokalypse mit Vorsicht zu genießen. Oft genug diente sie in der Geschichte der Christenheit dazu, den Gegner zu verteufeln, indem dieser z. B. als „Antichrist“ gebrandmarkt wurde. Hier sei nur an die Konflikte zwischen Martin Luther (1483–1546), den Reformatoren und dem römischen Papsttum erinnert, bei dem sich beide Seiten nichts schuldig blieben.

Dennoch ist die Apokalypse ein faszinierendes Werk, denn als Abschlusswerk der Bibel bündelt sie die Schriften des Alten und des Neuen Testaments. Lange Zeit war es umstritten, ob sie überhaupt in den Kanon der Heiligen Schrift aufgenommen wird. Und doch atmet sie wie kein anderes Buch der Bibel den Geist vieler Schriften des Alten und des Neuen Testaments. Sie ist inspiriert von den Propheten, besonders von Jesaja, Ezechiel und Daniel sowie von den Psalmen. Sie greift zurück auf die Schöpfungsmythen der Genesis und die Geschichte Israels im Exodus. Ihr Autor kennt die synoptischen Evangelien, die johanneischen Schriften und die paulinische Theologie sowie die anderen apostolischen Briefe. Daher ist sie geradezu prädestiniert, als letztes Buch der Bibel den Kanon der Schriften abzurunden.

Dabei ist die Apokalypse auch das biblische Buch, das aufgrund seiner ausdrucksstarken und fantasievollen Bilder am meisten die Kunst beflügelt. Man denke nur an Albrecht Dürers (1471–1528) Apokalyptische Reiter, an Philipp Nicolais (1556–1608) Adventslied Wachet auf ruft uns die Stimme oder an den beeindruckenden Christus Pantokrator im Dom von Monreale auf Sizilien, der den Besucher eindrücklich ansieht. Die Apokalypse hat Fantasy-Literatur wie Tolkiens (1892–1973) Der Herr der Ringe gleichermaßen inspiriert wie Science-Fiction-Filme wie Star Wars und vieles andere mehr. Vielleicht ist ihre Botschaft gerade deswegen besonders für unsere bilderreiche Zeit so wichtig.

Der Titel des Buches „Apokalypse“ ist im Deutschen zum stehenden Begriff für Katastrophen geworden, die zum Weltuntergang führen. Das hängt damit zusammen, dass sie in drastischen Bildern auch die Vollendung der Welt thematisiert. Allerdings – und darauf weisen die Bibelwissenschaftler immer wieder hin – darf sie weder als Endzeitfahrplan, noch als verschlüsseltes Werk, also als „Buch mit sieben Siegeln“, wie sie manchmal genannt wird, missverstanden werden. Ihr geht es vielmehr darum, den Heilsplan Gottes offenzulegen. Daher beginnt sie mit dem griechischen Wort Apokalypse, das ihr auch den Titel gab. Apokalypse heißt auf Deutsch: „Enthüllung, Offenbarung, Offenlegung“. Das ist ihr großes Anliegen und ihr Programm: Veröffentlichung. In ihr wird aufgedeckt, dass Gott allein der Herr der Geschichte ist und diese zum Ziel führen wird. Dabei spielt sein Sohn die entscheidende Rolle. Es ist die „Enthüllung Jesu Christi“, wie es am Anfang heißt. (Vgl. Apk 1,1) Der Sohn Gottes ist zugleich Subjekt, Auftraggeber und eigentlicher Autor dieses Buches, und Objekt, wesentlicher Inhalt des Werkes. Dabei tritt der historische Jesus, wie wir ihn aus den Evangelien kennen, völlig in den Hintergrund. Wir erfahren z. B. nichts über sein Wirken in Galiläa, seinen Weg nach Jerusalem oder sein Leiden und Sterben. Die Apokalypse schreibt Ostern fort. Für sie ist allein entscheidend: Jesus von Nazareth hat den Tod besiegt und wird als ersehnter Messias (gr. Christos) die Welt zur Vollendung führen. Keine Macht wird den Auferstandenen daran hindern können, eine gerechte Ordnung durchzusetzen. Jesus Christus ist der Sohn Gottes, der das Leben garantiert, indem er den Kampf mit den Todesmächten aufnimmt und siegreich zu Ende führt. So will der Autor der Apokalypse die Christengemeinden in der Bedrängnis aufwecken und fordert dazu auf, mit offenen Augen durchs Leben zu gehen und nicht den Mächten dieser Zeit zu erliegen. Auch uns Leser ermutigt er, im Heute durchzuhalten im Hinblick auf den, der als der Auferstandene für das neue Leben eintritt.

Der Autor – ein aufgeweckter Prophet

Der eigentliche Autor der Apokalypse im Sinne des lateinischen Wortes auctor, was „Urheber, Schöpfer, Förderer, Veranlasser“ meint, ist Jesus Christus selbst. Das wird schon mit den ersten Worten unterstrichen. Davon ist zumindest der Seher Johannes überzeugt. Jesus selbst gibt ihm höchstpersönlich den Schreibbefehl: „Schreib auf!“ (Apk 1,19) Vom Auferstandenen geht also die Initiative aus. Bei ihm liegen die Urheberrechte, wie wir sagen könnten.

Freilich könnte diese göttliche Urheberschaft ein kluger Schachzug sein, denn diese gibt Johannes höchste Legitimität: Mit Jesus im Hintergrund als eigentlichen Autor, der gleichsam Johannes diktiert, bekommt der Seher unübertreffbare Autorität. Das könnte ihm in den Auseinandersetzungen mit seinen innergemeindlichen Gegnern zum Vorteil dienen.

Johannes selbst bezeichnet sich als Prophet, aber nie als Apostel. Dies lässt heute die meisten Exegeten zu dem Schluss kommen, dass er weder mit dem Apostel Johannes noch mit dem gleichnamigen Evangelisten identisch ist, wovon die Tradition lange Zeit ausgegangen ist. Als Prophet ist es seine Aufgabe, den Willen Gottes unverkürzt denen, die an Jesus Christus glauben, zu verkünden. Dabei geht es weniger um die Zukunft, um das, was irgendeinmal sein wird, als vielmehr um die Gegenwart. Im Heute will Johannes wachrütteln und aufzeigen, worum es Gott geht. Daher bezeichnet er sich auch als Mitknecht, bzw. als Sklave Gottes. Gott allein ist sein Herr. Gegenüber anderen Herren, sei es im politischen Bereich, sei es innerhalb der Gemeinden seiner Zeit, sieht sich Johannes als freier Mensch. Dies befähigt ihn, deutlich den Finger in die Wunden zu legen, ungemütlich und eindeutig auf das hinzuweisen, was seiner Meinung nach nicht im Sinne Gottes ist. Als frommer Judenchrist nutzt er dazu die Bilder seiner Bibel, die Bilder des Alten Testaments. Diese Schriften hat Johannes offenbar intensiv verinnerlicht und meditiert. Er hat sie „ge-sichtet“, sodass sie zu „erlesenen Einsichten“ wurden, wie es der evangelische Theologe Michael Heymel (*1953) so treffend formuliert. Als „erlesene Einsichten“ werden sie zu ausdrucksstarken Visionen. „Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte“, so heißt es im Sprichwort. Diese Erkenntnis macht sich Johannes zu eigen. Die Bilder seiner Bibel deutet Johannes auf Jesus von Nazareth und seine Botschaft vom Reich Gottes. Er ist davon überzeugt, dass der Gekreuzigte der Messias (gr. Christos) ist, der von seinem Volk Israel schon so lange ersehnt wurde. Johannes glaubt, dass alle Schriften des Alten Testaments auf Jesus Christus hinführen und sich in ihm erfüllen. Er ist der von Gott gesandte Retter und Erlöser, der den Tod besiegt hat. Er ist der Sohn Gottes, auf den wir uns in allen Bedrohungen unseres Lebens verlassen können.

Mit dieser Kernbotschaft, die den vier Evangelien und der paulinischen Theologie entspricht, wendet sich Johannes an die Christengemeinden in sieben Städten Kleinasiens, der heutigen Türkei. Wahrscheinlich sind die Adressaten Christen in der zweiten oder dritten Generation, denn schon der Apostel Paulus hatte erfolgreich in dieser Region den Glauben an Jesus Christus verkündet. Auch Johannes wählt für seine Ermutigungen und Ermahnungen die Form des Briefes. Sein Brief wurde wahrscheinlich als Rundschreiben von Gemeinde zu Gemeinde weitergegeben. (Vgl. Apk 1,4) Das bedeutet aber auch, dass es sich bei den Ausführungen des Johannes nicht um einen Monolog handelt, sondern um einen Austausch und Dialog, lässt doch der Brief die Antwort und das kritische Feedback zu. Das bedeutet, auch wir können heute dem Gelesenen zustimmen, es ablehnen oder um unsere Einsichten erweitern und deuten. Johannes selbst wäre davon höchstwahrscheinlich nicht begeistert. Ausdrücklich betont er, dass seiner Apokalypse weder etwas hinzugefügt noch diese verkürzt werden darf. (Vgl. Apk 22,18–19) Ob sich seine Adressaten daran hielten, ist nicht überliefert. Ich kann es mir jedenfalls nicht vorstellen. Hätte sonst Johannes sich schon im Vorfeld so eindeutig positionieren müssen, indem er sich einerseits mit der Autorität Jesu wappnet, andererseits seine innergemeindlichen Gegner scharf angeht?

Der Inhalt – Protest am Heute

Wahrscheinlich entstand die Apokalypse am Ende des 1. Jahrhundert n. Chr. Davon gehen heute die meisten Forscher aus. Kleinasien, also das Gebiet der heutigen Türkei, war damals eine der blühendsten Wirtschaftsregionen des römischen Weltreiches. Gerade dort wurde der neu eingeführte Kaiserkult besonders gefördert und gepflegt. Dieser sollte in der Vielfalt der unterschiedlichen Religionen, Kulturen und Weltanschauungen die Einheit des Imperiums sichern. So soll sich Domitian (51–96) als erster römischer Kaiser als Dominus ac Deus – „Herr und Gott“ bezeichnet und verlangt haben, dass ihm in allen Regionen geopfert wird. Die Christen standen nun vor schwierigen Fragen: Wie sollen wir uns verhalten? Kann es Kompromisse geben, etwa wenn bei Festen billigeres Götzenopferfleisch zum Essen gereicht wird? Sollen wir einen harten Kurs der Abgrenzung fahren? Worin besteht unser christliches Profil? Was ist wesentlich und was ist nicht so entscheidend?

Anscheinend muss es in den Gemeinden Kleinasiens Tendenzen der Anpassung gegeben haben, dass sich manche aus kluger Abwägung heraus mit dem System zu arrangieren versuchten, indem sie z. B. den Verzehr von Götzenopferfleisch gestatteten. Damit wollte man wohl einen harten Konfrontationskurs mit der römischen Herrschaft vermeiden. Das wäre übrigens auch ganz im Sinn des Apostel Paulus gewesen, der besonnen das Problem abwägt. (Vgl. 1 Kor 8)

Johannes dagegen ist ein Hardliner, wie wir sagen können. Als Judenchrist, der an Christus glaubt und an den Traditionen Israels festhält, sieht er in der römischen Weltmacht mit ihrem absolutistischen Anspruch, der sich im Kaiserkult spiegelt, wiedergöttliche Mächte, d. h. letztlich den Teufel am Werk. Wer sich damit verbündet, wird im wahrsten Sinne des Wortes Gott los, also gott-los – a-theistisch –, und begibt sich in die Abhängigkeit des Bösen. Um davor eindrücklich zu warnen, nutzt Johannes die Bilder seiner heiligen Schriften, in denen u. a. fremde Herrschaften wie die Weltmacht Babylon als bestialische Monster dargestellt werden, die alles Menschliche vernichten. Ebenso greift er auf die ägyptischen Plagen zurück, mit denen Gott einst den Pharao dazu bewegen wollte, sein Volk in die Freiheit ziehen zu lassen. Diese Formen des göttlichen Protests gegen weltliche Herrschaft überträgt der Seher auf seine Zeit. Er interpretiert sie auf seine Weise und ruft zum Widerstand auf. Johannes vertritt dabei radikale Ansichten. Für ihn ist klar, ein echter Christ kann keine Kompromisse mit dem Römischen Reich eingehen. Wer das tut, ist für ihn ein falscher Prophet und gleicht einer Hure. (Vgl. Apk 2,20) Scharf kritisiert er daher solche Tendenzen. Vielleicht würden wir Johannes aus heutiger Sicht als Fundamentalisten bezeichnen. Das macht ihn mir persönlich nicht gerade sympathischer. Dabei darf man aber auch seine Situation nicht vergessen. Er sah seine Gemeinden als Minderheiten in einer feindlichen Mehrheitsgesellschaft, die dem christlichen Glauben mit der Einforderung des Kaiserkultes bedrohlich gegenüberstand. Wahrscheinlich stand er auch wie viele andere Juden und Judenchristen noch unter dem Schock, dass die Römer kurz zuvor Jerusalem erobert und den Tempel zerstört hatten (70 n. Chr.). So verstanden ist die Apokalypse nicht Prognostik mit Blick auf die Zukunft, sondern Protest mit Blick auf das Heute! Indem sie die Zukunft des römischen Weltreiches infrage stellt, ist sie ein hochpolitisches Werk auch für uns und fordert geradezu unsere Interpretation mit Blick auf die Herausforderungen unserer Zeit.

Wie alle Apokalyptiker ist Johannes davon überzeugt, dass seine gegenwärtige Weltzeit von einer neuen abgelöst wird. Durch Gottes Eingreifen wird in diesem neuen Äon alles gut sein; die Gerechtigkeit wird siegen. Davor aber steht das Gericht, vor dem sich die Menschen verantworten müssen. Jetzt haben sie noch die Chance, sich auf die richtige Seite zu stellen und die Seite Gottes aufzusuchen. Auch dazu will Johannes wachrütteln.

Mit den Bildern seiner Bibel, die auch seinen Adressaten vertraut sind, aber einem Außenstehenden bis heute fremd und unverständlich erscheinen, will Johannes ebenso zum Standhalten motivieren. Er will klar machen und enthüllen, wohin einerseits das Arrangement mit der atheistischen Macht der Römer führt und welche Lebensperspektiven andererseits das geduldige Aushalten in aller Bedrängnis eröffnet: Die neue Stadt – das himmlische Jerusalem, das den Menschen von Gott geschenkt wird. (Vgl. Apk 21; 22) So verstanden ist die Apokalypse mit ihren drastischen Bildern eine Widerstands- und Untergrundschrift, die nur diejenigen verstehen können, die in die Bilder des Altes Testaments eingeweiht sind. Das gilt auch für uns heute.

Bei aller Radikalität und Schwarz-Weiß-Malerei, die nie der Wirklichkeit in ihrer Vielfalt entsprechen kann, beeindruckt mich persönlich besonders Johannes tiefer Glaube und sein Mut, dass er es sich herausnimmt, die alles beherrschende Macht des Imperium Romanum infrage zu stellen. Er ist fest davon überzeugt, dass dieses zu Ende gehen wird. Für ihn ist Gott allein der Herr der Geschichte. Mit der Auferweckung seines Sohnes hat er den Tod besiegt. Das ist die entscheidende Wende zum Leben. Darauf kommt es ihm an und dafür will er österlicher Zeuge sein. Durch diesen festen Glauben hat er auch mich aufgeweckt, die Frage nach den Zeichen der Zeit heute neu zu stellen.

Johannes schreibt die Apokalypse auf der Insel Patmos in der südlichen Ägäis, die dem Festland Kleinasiens vorgelagert liegt. Dabei befindet er sich selbst in einer bedrängnisvollen Situation. (Vgl. Apk 1,9) Ob er auf die Insel aufgrund seines radikalen Protestes verbannt wurde oder ob er sich dorthin geflüchtet hat, um sich in Sicherheit zu bringen, ist ungewiss. Vielleicht hat er auch die Insel als Rückzugsort aufgesucht, um aus der Distanz zum pulsierenden Leben der kleinasiatischen Städte in Ruhe seine Einsichten ordnen zu können. Aber auch das bleibt eine Hypothese. Für mich bringt das Inselexil des Johannes die Lebenssituation der christlichen Gemeinden ins Bild: Inmitten des römischen Weltreiches, das alle Lebensbereiche bestimmen will, bilden die christlichen Gemeinden Inseln, die von einer anderen Welt und Wirklichkeit zeugen. Das kann auch für die Gemeinden unserer Zeit ein tröstliches Bild sein.

Wenn man die Apokalypse von Anfang bis Ende liest, fühlt man sich nach ihrer Lektüre wie erschlagen. Mir erging es jedenfalls des Öfteren so und ich frage mich, wie dieses imposante Werk wohl bei den Erstlesern in den sieben Gemeinden angekommen ist. Je mehr ich mich mit diesem letzten Buch der Bibel beschäftigte, desto mehr suchte ich nach einer inneren Struktur. Zwar gibt es verschiedene Siebener-Reihen: Sieben Sendschreiben an die Gemeinden, sieben Siegel, die geöffnet werden, sieben Posaunen, die ertönen, und sieben Plagen, die über die Welt kommen, sieben Donner, die erschallen. Auch kennt die Apokalypse sieben Seligpreisungen und sieben Wehe-Rufe. Aber diese Siebener-Reihen gehen ineinander über und weisen keine Struktur auf. Immer wieder wechseln dabei die Orte. Mal schaut Johannes in den Himmel, wie dort Hymnen vor Gottes Thron erklingen, dann wieder sieht er, wie die Erde von Katastrophen heimgesucht wird. Wie kam er auf diese, auf mich chaotisch wirkende Aneinanderreihungen?

Am Ende der Lektüre blieben bei mir besonders die beeindruckenden Bilder hängen, die das ganze Werk wie ein großes Drama erscheinen lassen: Sterne, die vom Himmel fallen, Flüsse und Bäche, die sich in Blut verwandeln, gewaltige Erdbeben, die Berge zum Einstürzen bringen, weiß gewandete Erlöste, die Gottes Größe preisen, furchterregende Reiter, die Not und Tod über die Erde bringen, bestialische Monster und Drachen mit sieben Köpfen und zehn Hörnern, eine schwangere Frau, die unter Schmerzen ihr Kind gebiert, eine reiche Hure, die die ganze Welt in Bann zieht, eine Braut, die vom Himmel kommt, der Thronsaal Gottes, in dem prächtige Hymnen erklingen, Aasgeier, die auf einem Schlachtfeld Leichen zerfetzen, ein nach Schwefel stinkender Feuersee, in dem die furchtbaren Tiere gequält werden, und am Ende die neue Stadt Jerusalem, die erfüllt wird vom strahlenden Lichtglanz Gottes.

All diese gegensätzlichen Bilder erinnerten mich daran, wie wir als Jugendliche Bilder und Überschriften aus Zeitungen und Zeitschriften ausschnitten. Wir fertigten daraus Collagen, die dann auf Stellwände befestigt wurden und konfrontativ auf Missstände hinwiesen: Armut in der damals sogenannten „dritten Welt“ und der Reichtum im Westen, Umweltzerstörung in Industrieländern und die Ausbeutung in Entwicklungsländern, Aufrüstung in West und Ost, Hunger und Leid in den Ländern des Südens usw. Bilder spielen auch gerade heute für jüngere Menschen eine wichtige Rolle. In sozialen Medien präsentieren sie sich mit Fotos und kleinen Filmen und vermitteln auf diese Weise ihre Botschaften. Eigentlich hat Johannes nichts anderes mit den Mitteln seiner Zeit getan, wenn er seine Bilder an die Gemeinden in Form eines Rundbriefs verschickte.

All das hat mich ermutigt, den Ablauf und die Suche nach einer Struktur hinter mir zu lassen und wie der Seher Johannes Bilder auszuwählen, die aus meiner Sicht besonders ausdrucksstark sein Anliegen vermittelten. Auch habe ich mich getraut, die Reihenfolge der Visionen zu ändern. Dadurch zeichnet sich in der Anreihung der Visionen eine gewisse Dynamik ab. Dabei habe ich mich jeweils gefragt: Was hat dieses Bild uns heute zu sagen und wie hängen die Bilder zusammen? Da die Sieben als Zahl der göttlichen Vollkommenheit in der Apokalypse eine besondere Rolle spielt, beschränke ich mich auf sieben Bilder bzw. Visionen. Diese führen dann in die finale Vision des achten Bildes, beginnt doch mit dem achten Tag eine neue Woche und für den Christen durch die Auferstehung Jesu am ersten bzw. achten Tag eine neue Zeit. Dem Ganzen vorgeordnet wurde der Auftakt auf Patmos, der das Vorzeichen angibt, unter dem die folgenden Visionen zu deuten sind: Johannes erlebt Ostern. Er wird vom Auferstandenen aus dem Tod aufgerichtet. Oder, wie wir auch sagen könnten: Johannes wird zum aufgeweckten Kerlchen!

Auftaktvision

Inseln gelten von jeher als Sehnsuchtsorte. Sie sind Orte der Konzentration und der Reduktion auf das Wesentliche. Inseln haben Menschen schon immer fasziniert, inspiriert und zum Träumen angeregt. „Ich bin reif für die Insel!“, hört man dann und wann jemanden sagen, dem alles zu viel wird und über den Kopf wächst. Auf Inseln findet man scheinbar fernab vom großen Ganzen, frei vom Trubel der Zeit, zur Ruhe und kommt damit zu sich selbst.

Bekannte Klosterinseln, wie die Reichenau im Bodensee oder Frauenwörth im Chiemsee, unterstreichen dies. Sie verwirklichen auch geografisch das, wie das Mönchtum an sich gerne beschrieben wird: in insula vivere – als Leben auf einer Insel. Klöster gelten auch in der Stadt als „Oasen der Stille“, als Ruheorte, die sich der Hektik des Alltags und dem geschäftigen Treiben auf den Straßen entziehen.

Freilich kann auch das komplette Gegenteil eintreffen und man fühlt sich auch auf einer Insel gefangen, weil man nicht so einfach von ihr wegkommt. Nicht umsonst gibt es berühmte Gefängnisinseln, wie Pianosa in Italien oder Alcatraz in der Bucht von San Francisco in den USA.

Wir wissen nicht, ob die Insel Patmos für Johannes Gefängnis oder Rückzugsort war. Sicher ist jedoch: Die Erfahrung der eigenen Begrenztheit und des Gefangenseins in sich selbst beflügelt den Menschen, all dies zu durchbrechen, um sich selbst zu übersteigen.

Ähnlich muss es Johannes ergangen sein, als er dort seine gewaltigen Visionen hatte.

Der Seher erlebt Ostern