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Berge haben schon immer fasziniert, vermitteln sie doch den Eindruck, auf ihren Gipfeln Gott näher zu kommen. Auch im Alten und Neuen Testament und in der Vita des Heiligen Benedikts sind Berge Offenbarungsorte Gottes. Als Abt des heiligen Bergs Andechs widmet sich der Benediktiner Johannes Eckert diesen Bergszenen und fragt: Was haben uns diese Gipfelmomente zu sagen? Wie stehen sie in Verbindung mit den Höhepunkten unseres Lebens? Wo helfen sie uns, wieder frei zu werden und den Blick zu schärfen für das, was wirklich wichtig ist?
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Seitenzahl: 179
Schon immer vermitteln Berge den Eindruck, auf ihren Gipfeln dem Himmel und damit dem Göttlichen besonders nahe zu sein. Solche spirituellen Erfahrungen sind befreiend und das Leben kann aus einer erfrischend neuen Perspektive gesehen werden.
Unter diesem Gesichtspunkt sollen die Berg-Bibelstellen im Matthäus-Evangelium genauer betrachtet werden. Die Botschaften weiten den Blick und das Herz für uns, unsere Mitmenschen, für Gott und für alles, was uns hoch und heilig ist.
Dr. Johannes Eckert OSB, geboren 1969, ist Benediktinermönch und seit 2003 Abt der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München und Andechs. Neben seinen vielfältigen seelsorgerischen Tätigkeiten gestaltet er er seit Jahren Manager-Exerzitien auf dem »Heiligen Berg« Andechs. Abt Johannes steigt in seiner Freizeit gern auf Berge und genießt den Perspektivenwechsel.
Johannes Eckert
hoch
und
heilig
Gipfelbotschaften
aus dem Matthäus-
Evangelium
Kösel
Dankbar für treue Wegbegleiter,
deren Freundschaft mir hoch und heilig ist,
sei ihnen dieses Buch gewidmet.
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Copyright © 2016 Kösel-Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlag: Weiss Werkstatt München
Umschlagmotiv: Dr. Kurt Jakobus, Herrsching
Textredaktion: Dr. Peter Schäfer, Gütersloh (www.schaefer-lektorat.de)
Satz: Leingärtner, Nabburg
e-ISBN 978-3-641-19990-6
www.koesel.de
V001
Inhalt
Berge als Wege zu Gott …
… in der Bibel
… im Leben Benedikts
… in meinem Erleben
… im Matthäusevangelium
… für unseren Lebensweg
1 Berg der Erprobung: Lass los!
Der Aufbruch Abrahams: Hier bin ich!
Die Prüfung Jesu: Ihm allein sollst du dienen!
Die Sehnsucht Benedikts: Allein Gott gefallen!
Erste Gipfelbotschaft: Durch Konzentration neue Freiheit finden
2 Berg der Weisung: Ich glaube an dich!
Die Rückschau des Mose: Zieh mit uns!
Der Auftrag Jesu: Ihr seid das Licht der Welt!
Die Ermutigung Benedikts: Höhlt den Felsen aus!
Zweite Gipfelbotschaft: Durch Beständigkeit neue Tiefe finden
3 Berg der Rettung: Hör mal!
Die Krise des Elija: Nun ist es genug!
Die Zusicherung Jesu: Habt Vertrauen, ich bin es!
Die Achtsamkeit Benedikts: Lauf schnell!
Dritte Gipfelbotschaft: Durch Gehorsam neue Hoffnung finden
4 Berg der Stärkung: Ich habe dich lieb!
Das Geschenk des Elischa: Nimm deinen Sohn!
Das Mitleid Jesu: Wie viele Brote habt ihr?
Der Trost Benedikts: Geh an deine Arbeit und sei nicht traurig!
Vierte Gipfelbotschaft: Durch Vertrauen neue Lebenskraft finden
5 Berg der Verklärung: Lass dich umarmen!
Die Einladung des Geliebten: Steh auf und komm!
Die Erklärung Jesu: Das ist mein geliebter Sohn!
Die Vision Benedikts: Im Glück der Liebe weit werden!
Fünfte Gipfelbotschaft: Durch Lieben neue Herzensweite finden
6 Berg der Sendung: Bewahre dir den Blick ins Weite!
Literatur
Berge als Wege zu Gott …
»Hoch und heilig« sind in vielen Religionen die Gipfel der Berge. Stets haben diese den Menschen fasziniert, vermitteln sie doch den Eindruck, dass man auf ihren Spitzen dem Himmel und damit dem Göttlichem näherkommt. Bisweilen in Wolken gehüllt, galten die Berggipfel in vielen Kulturen als Wohnorte der Götter. Heilige Berge, auf denen Elemente wie Luft, Sonnenlicht oder Erde besonders verehrt wurden und auf deren Gipfeln den Göttern geopfert wurde, finden sich in allen Weltregionen: etwa der griechische Olymp, der Kilimandscharo in Afrika, der Mount Everest als höchster Gipfel des Himalayas oder der peruanische Ampato, um nur einige wenige aus ihrer stattlichen Zahl zu nennen. Es scheint zu stimmen, was auf einem Grabkreuz auf dem Johnsdorfer Bergsteigerfriedhof in der Steiermark geschrieben steht und vom langjährigen Bischof von Innsbruck Reinhold Stecher (1921–2013), der selbst ein leidenschaftlicher Bergsteiger war, immer wieder zitiert wurde: »Viele Wege führen zu Gott. Einer geht über die Berge.«
… in der Bibel
Auch in der Bibel führen viele Wege über die Berge zu Gott. Am Sinai wurde Mose im brennenden Dornbusch Gottes Name kundgetan (vgl. Ex 3,2). Während der Wüstenwanderung schlug er im Auftrag Gottes hier Wasser aus dem Felsen (vgl. Ex 17). Schließlich nahm er auf dem Gipfel des Sinai die Zehn Gebote entgegen, die für Israel zur Wegweisung wurden (vgl. Ex 20). Später erfuhr der Prophet Elija auf dem Horeb, wie der Sinai auch genannt wird, Gottes zarte Gegenwart in einem sanften Säuseln (vgl. 1 Kön 19).
Neben dem Sinai hat der Zionsberg in Jerusalem eine herausragende Bedeutung. In den Psalmen wird er besungen als schönster der Berge, sodass die anderen Gipfel, auch wenn sie höher sind, voll Neid auf ihn blicken (vgl. Ps 68). Mit dem Bau des ersten Tempels durch Salomo wurde er zum Ort der besonderen Nähe Gottes, sodass er für die Stämme Israels zum Ziel einer jährlichen Wallfahrt wurde (vgl. 1 Kön 5). Der Prophet Jesaja berichtet in einer Vision, dass am Ende der Zeiten auf dem Zionsberg Gott selbst als Gastgeber ein Festmahl geben wird, zu dem alle Völker geladen sind (vgl. Jes 25).
Auch der Karmel, ein Gebirgsrücken im Norden Israels, ist als Wirkungsstätte der Propheten Elija und Elischa ein Ort, auf dem Gottes heilende Nähe erfahrbar wurde (vgl. 1 Kön 18,19; 2 Kön 4,25). Im Hohelied wird er als Bild für Lebensfülle besungen (vgl. Hld 7,5).
So verwundert es nicht, dass der Gott Israels als »Gott der Berge« tituliert wird (vgl. 1 Kön 20,23). Dies wiederum könnte in Zusammenhang mit dem Gottesnamen »El-Schaddai« stehen, der beim Bundesschluss zwischen Abraham und Gott verwendet wird (vgl. Gen 17). Das Wort »schaddai« leiten einige Exegeten von »schedu« (»Berg«) bzw. vom Verb »schaddad« (»sich erheben«) ab und übersetzen den Gottesnamen daher mit »Gott der Erhabene« oder »Gott der Höchste«. Andere sehen die Herkunft von »schaddaju« (»Bergbewohner«) und sprechen vom »Gott der Berge«.
Wenn die Evangelien davon berichten, dass Jesus Berggipfel aufsuchte, dann wird er ganz in die Tradition der alttestamentlichen Gottesmänner wie Mose, Elija und Elischa gestellt. Im Markusevangelium wählt Jesus die zwölf Apostel als besondere Weggefährten auf einem Berg aus (vgl. Mk 3,13–19). Im Matthäusevangelium hält er von einem Gipfel aus seine erste große Rede, die daher als Bergpredigt betitelt wurde (vgl. Mt 5–7). Auf einen Gipfel zieht Jesus sich zurück, um sich in der Einsamkeit zu sammeln und zu beten (vgl. Mt 14,22–33). Auf dem namenlosen Berg der Verklärung, der in der christlichen Tradition mit dem Tabor gleichgesetzt wird, erlebt Jesus einen der intensivsten Momente seines Lebens (vgl. Mt 17,1–9). Seine Auferstehung wird offenbart. Am Ölberg nahe Jerusalem betet er in der Nacht vor seinem Tod (vgl. Lk 22,39). Auf der Schädelhöhe, die auch Golgota oder Kalvarienberg genannt wird, stirbt er am Kreuz (vgl. Mk 15,22).
Es fällt auf, dass die Evangelien – außer dem Ölberg und der Schädelhöhe Golgota – die Berge, die Jesus aufsucht, nie mit Namen benennen. Das hat einen ganz besonderen Grund: Berge haben meist eine symbolische Bedeutung, indem sie Höhepunkte im Leben Jesu anzeigen bzw. ihn ganz in der Tradition alttestamentlicher »Gipfelstürmer« in die Nähe des Vaters rücken.
… im Leben Benedikts
Auf dieser biblischen Grundlage erstaunt es nicht, dass auch das Christentum heilige Berge kennt. Gerade Benediktinerklöster liegen häufig auf Anhöhen, wenn wir etwa an Göttweig in Österreich, Engelberg in der Schweiz, Pannonhalma in Ungarn, Marienberg in Südtirol, Montserrat in Katalonien oder an unser Kloster Andechs denken.
»Benedictus amavit montes« (»Benedikt liebte die Berge«) heißt es in einem lateinischen Vers des Mittelalters, in dem die Lieblingsorte der unterschiedlichen Ordensgründer beschrieben werden. Diese Bergleidenschaft des Mönchsvaters gründet in seiner Lebensbeschreibung, die Papst Gregor der Große (540–604) überliefert hat. Hier wird erzählt, dass Benedikt als junger Mann sein Studium in Rom abbrach, um zunächst die Einsamkeit einer Höhle bei Subiaco zu suchen. Drei Jahre lebte er dort völlig zurückgezogen unterhalb eines Sees (lat. »sub lacum«). Nachdem Benedikt von Hirten der Gegend entdeckt worden war, kam er wieder auf die Oberfläche des Geschehens zurück, d. h. er kehrte zurück ins Leben. Nach der Gründung von zwölf Klöstern und einem Konflikt mit einem ortsansässigen Priester verließ Benedikt Subiaco und machte sich auf den Weg zum Monte Cassino, von dem Papst Gregor berichtet: »Sein Gipfel ragt gleichsam in den Himmel.« Dort zerstörte der Mönchsvater ein heidnisches Heiligtum des Gottes Apollo und errichtete darauf sein Kloster als Stadt auf dem Berg (vgl. Mt 5,14). Nachdem Benedikt in einem Turm des Klosters, also auf der äußersten Höhe, in einer nächtlichen Vision Gottes Gegenwart erleben durfte, stirbt er. Papst Gregor der Große beschreibt, wie zwei seiner Mönche in einem Traumgesicht eine hell erleuchtete Straße vom Kloster in den Himmel aufsteigen sahen und ihnen ein Mann von ehrfurchtsgebietendem Aussehen erklärte: »Dies ist der Weg, auf dem Benedikt, den der Herr liebt, zum Himmel emporsteigt.«
Eigentlich wird in der Lebensbeschreibung ein geistlicher Weg beschrieben: Das Leben als Aufstieg zum Gipfel, zum Höhepunkt. Dieser beginnt mit der Abkehr vom oberflächlichen Leben, indem der Ort der Tiefe und der Sammlung gesucht wird. Dafür steht sowohl die Höhle als auch der See, in dem sich die Quellwasser der Berge sammeln. Benedikt geht also gegen den Strom und sucht die Quellen sowie den Ort der Sammlung. Für drei Jahre, also eine Zeit der Fülle, geht er in die Tiefe. Auf diese Weise innerlich gefestigt, führt der Weg aus der Höhle über die Ebene zum Gipfel, dem Ort der Gottesbegegnung. Letztlich wird der Heimweg des Menschen zu Gott beschrieben, gleichsam als Ziel und Höhepunkt des Lebens.
Benedikt nimmt diesen Gedanken in seiner Regel auf, wenn er im letzten Kapitel das Ziel seines Werkes erläutert: »Diese Regel haben wir geschrieben, damit wir durch ihre Beobachtung in unseren Klöstern eine dem Mönchtum einigermaßen entsprechende Lebensweise oder doch einen Anfang im klösterlichen Leben bekunden. Für den aber, der zur Vollkommenheit des klösterlichen Lebens eilt, gibt es die Lehren der heiligen Väter, deren Beobachtung den Menschen zur Höhe der Vollkommenheit führen kann (…). Wenn du also zum himmlischen Vaterland eilst, wer immer du bist, nimm diese einfache Regel als Anfang und erfülle sie mit der Hilfe Christi. Dann wirst du schließlich unter dem Schutz Gottes zu den oben erwähnten Höhen der Lehre und der Tugend gelangen« (RB 73,1–2; 8–9).
… in meinem Erleben
Nicht nur Benedikt liebte die Berge. Auch heute noch gehen viele Menschen gerne in die Berge, so auch ich. Wenn es die Zeit zulässt, nutze ich einen freien Tag, um einen nahe gelegenen Berggipfel zu ersteigen. Gerne verbringe ich meinen Urlaub mit Wandern im Gebirge. Dabei begnüge ich mich mit ausgedehnten Wander- und einfachen Klettertouren. Schon als Kind haben mir meine Eltern die Liebe zu den Bergen vermittelt. Wenn ich von München oder Andechs aus die Alpenkette im Süden sehe, kommt es mir manchmal vor, als würden mich die Gipfel aus der Ferne grüßen und mich einladen, erneut den Perspektivenwechsel zu vollziehen. Dabei kommt mir der Psalmvers in den Sinn: »Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe?« (vgl. Ps 121,1). Mir gefällt der Gedanke, dass die Berge uns dabei helfen, manches wieder klarer oder sogar mit neuen Augen sehen zu können. Wir sagen ja auch manchmal »Der Berg ruft!« und meinen damit, dass er eine besondere Anziehungskraft auf uns ausübt.
Berge haben schon immer Menschen fasziniert und zum Aufbruch motiviert. Manches gilt es, dabei hinter sich und loszulassen. Nur das Notwendige kann in den Rucksack gepackt werden. Alles andere bleibt zurück. Beim Aufstieg wird der Mensch ruhig und findet im Wechsel von Ein- und Ausatmen Schritt für Schritt zu seinem Tempo. Berge lassen den Menschen seine Kraft und Schwäche spüren. Zum Berg gehören das stille Verweilen, das Durchatmen und die Stärkung dazu. Bei einer Rast im Sonnenschein auf einer Almwiese kann das beglückende Einswerden mit der Schöpfung erfahren werden. Die Natur kann aber auch ihr bedrohliches Gesicht mit Kälte, Regen, Blitz und Donner zeigen und im plötzlich aufziehenden Gewitter dem Menschen sein Ausgeliefertsein an höhere Gewalten vor Augen führen. In der Kargheit der Landschaft sowie in der Schroffheit von Felsen und Eis wird der Mensch an seine Grenzen geführt und kann gleichzeitig etwas von der Sehnsucht nach dem Grenzenlosen erspüren.
Bisweilen sind Trittsicherheit und Schwindelfreiheit erforderlich. Auch daran wird deutlich, wie oft wir im Leben Herausforderungen ausgesetzt sind, die es vorsichtig Schritt für Schritt zu meistern gilt. Die Freude an neuen Perspektiven, wenn man Aussichten ins Tal genießt, gehört ebenso dazu wie das Aufkommen von Ängsten, nicht mehr weiterzukönnen, weil die Kraft fehlt. Eine ebenfalls wichtige »Bergerfahrung« ist, an bestimmter Stelle nicht mehr weiterzukommen, da der Schwierigkeitsgrad einer Felswand das eigene Können übersteigt.
Zum Berg gehören auch die Stille und das Schweigen, das Staunen und Genießen. »Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler«, meinte Goethe (1749–1832). Schritt für Schritt lässt man beim Aufstieg die Täler und Abgründe hinter sich, um dem Gipfel näher zu kommen. So weitet sich der Blick, bis sich schließlich am Gipfel das ganze Panorama zeigt. Mit der Aussicht am Gipfel kann sich auch das Herz weiten, sodass sich ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Dankbarkeit einstellt. Gipfelerlebnisse sind Höhepunkte des Lebens und Augenblicke tiefer Einsicht. Letztlich wird erfahrbar, dass beim Erreichen natürlicher Grenzen das Grenzenlose, dass in der Betrachtung der Weite das Unbegreifliche, dass in der Erfahrung der Stille dass Unbeschreibliche, dass in dem Erleben der Tiefe das Unergründliche uns nahe tritt. Berge sind Orte der Transzendenz, an denen der Mensch seine eigene Existenz übersteigen kann. Selbstredend gehören der Abschied vom Gipfel, der Abstieg ins Tal und die Rückkehr in den Alltag dazu. Dies kann bisweilen mühsamer als der Aufstieg sein. Während man beim Aufstieg dem Berg zugewandt geht, bietet der Abstieg dagegen nochmals neue Aussichtspunkte und Perspektiven. So kommt man vom Berg immer als Veränderter nach Hause zurück.
Der Abt eines Benediktinerklosters, das in einem engen Tal von Bergen umgeben liegt, erzählte mir einmal von einem seiner Vorgänger. Von Zeit zu Zeit wäre dieser, wenn die Alltagsprobleme zu sehr an seinen Kräften zehrten und ihm über den Kopf wuchsen, auf einen der benachbarten Gipfel gestiegen, um zu sehen, wie klein doch eigentlich sein Kloster sei. Am Berg erahnen wir etwas davon, was echte Größe ist, was wirklich wichtig und letztlich entscheidend im Leben ist. Oft helfen die Gipfelbilder, manches Enge und Verworrene im Alltag neu und mit anderen Augen zu sehen, zumindest bis zum nächsten Aufbruch. Letztlich kommen wir am Berg dem nahe, was uns »hoch und heilig« ist. Das ist eine Erfahrung, die wahrscheinlich auch Jesus machte, und zwar immer wieder.
… im Matthäusevangelium
Im Matthäusevangelium sind es sechs namenlose Berge, auf die Jesus hinaufsteigt. Im Blick auf die Topografie Galiläas waren es selbstredend eher Hügel.
Wenn bei Matthäus Jesus so häufig auf einem Gipfel zu finden ist, dann verbindet der Evangelist damit ein besonderes Anliegen. Er schreibt für eine judenchristliche Gemeinde ca. 90 n. Chr., die noch in der jüdischen Tradition verwurzelt ist. Doch dabei treten Probleme auf. So stellt sich die Frage, wie die Gemeinde mit Heiden umgehen soll, mit Gläubigen, die nicht aus der Tradition des Volkes Israel kommen, aber trotzdem Christen werden wollen. Gelten für sie z. B. auch die Vorschriften des Gesetzes, die Gott auf dem Sinai seinem Volk gegeben hat? Müssen sie zunächst Juden werden, indem sie sich beschneiden lassen? Hinzu kommt, dass sich Teile der Gemeinde von den jüdischen Wurzeln abwenden und diese als überkommen verurteilen, indem sie sich darauf berufen, dass Jesus völlig neue Wege eingeschlagen habe.
Um der Einheit willen ist es dem Evangelisten Matthäus ein besonderes Anliegen, Jesus als frommen Juden darzustellen, der einerseits in der Tradition seines Volkes beheimatet ist, der sich aber andererseits auch allen anderen Menschen öffnet, die mit ihren Fragen und Nöten zu ihm kommen. Dabei spielt Mose als Vorbild eine wichtige Rolle. Wie dieser als Führer Israels sich immer wieder auf den Berg Sinai begab, so steigt auch Jesus im Matthäusevangelium öfters auf einen Gipfel. Mose hatte am Sinai den Gottesnamen »Jahwe – Ich bin der ich bin da!« geoffenbart bekommen. Dieses Namensprogramm Jahwes wird nun in Jesus Mensch. Er ist der Immanuel, der »Gott mit uns«, wie er zu Beginn des Evangeliums vorgestellt wird (vgl. Mt 1,23) und sich am Ende auf einem Berg selbst deklariert (vgl. Mt 28,20). Jesus ist gleichsam die unmittelbare und lebendige Auslegung der Thora, die Mose auf dem Sinai empfangen hatte, ja, Jesus ist ihre Erfüllung, wie er selber von sich bei der Bergpredigt sagt (vgl. Mt 5,17). Er ist der geliebte Sohn des Vaters, auf den die Gemeinde hören soll (vgl. Mt 17). So lautet die Anweisung auf dem Berg der Verklärung wiederum in Analogie zu Mose, der seinem Volk auf der Wüstenwanderung das Hören auf Gottes Stimme ans Herz legt (vgl. Dtn 6,4). Diese frohe Botschaft kann aber nicht auf das Volk Israel beschränkt bleiben. Der Auferstandene will, dass sie allen Menschen verkündet wird, sodass die Jünger in der letzten Bergszene bei Matthäus zur Verkündigung ausgesandt werden (vgl. Mt 28,16–21). Dazu ist die Gemeinde als Licht der Welt und Stadt auf dem Berg berufen (vgl. Mt 6,14).
Dem aufmerksamen Leser wird vielleicht auffallen, dass bei dieser Bergtour der Zionsberg in Jerusalem keine größere Beachtung findet. Selbstredend spielt er in der Frömmigkeit Israels eine wichtige Rolle, wenn wir etwa an die Wallfahrtspsalmen oder die eschatologischen Bilder bei Jesaja denken. Im Matthäusevangelium ist das nicht der Fall, da der Evangelist die Analogie zwischen Mose und Jesus herausstellen will: Hierfür steht der Sinai.
… für unseren Lebensweg
Ein älterer Pfarrer meinte einmal zu mir, als er Andechs besuchte: »Wer auf dem Gipfel steht oder wohnt, der ist auf der Höhe!« Unter diesem Gesichtspunkt scheint es lohnenswert und interessant zu sein, die Ereignisse auf den sechs namenlosen Gipfeln des Matthäusevangeliums genauer zu betrachten. Sie bilden Höhepunkte im Leben Jesu, deren Gipfelbotschaften uns zum Perspektivenwechsel einladen.
Da Matthäus die jüdische Tradition wichtig ist, in der Jesus beheimatet ist, soll jeweils ein Gipfelmoment des Alten Bundes den einzelnen Bergszenen bei Matthäus vorgeordnet werden. So wollen wir bei den folgenden Bergtouren zunächst unterschiedlichen »Bergführern« des Volkes Israel begegnen, die uns helfen, Schritt für Schritt den richtigen Zugang und die passende Route zu finden. Mit ihrer Bergerfahrung sind sie gleichsam Wegweiser zu den Gipfeln, auf denen sich Jesus aufhalten wird. Auch diese wollen wir uns Schritt für Schritt erschließen, indem wir uns fragen: Was geschieht in den unterschiedlichen Bergszenen? Welche Auf- und Abstiegsgeschichten sind ihnen vor- und nachgeordnet? Welche Botschaften werden vermittelt?
Mit den alttestamentlichen »Bergführern« lässt sich zugleich eine Brücke zu Benedikt schlagen. Immer wieder stellt sein Biograf Papst Gregor das Leben Benedikts in Analogie zu den Vätern und Propheten des Alten Bundes dar. Damit will er aufzeigen, dass Gottes Geist, wie einst durch die Väter, auch durch Benedikt wirkte. Auch Benedikt ist ein Gottsucher auf dem Weg, der den Gipfel als Ziel im Blick behält. So sollen den Bergszenen Jesu Begebenheiten aus dem Leben Benedikts nachgeordnet werden, die beim Abstieg zur Vertiefung des Erlebten dienen. Darauf folgen zusammenführende Gipfelbotschaften, die als Fazit und Quintessenz die Erkenntnisse der jeweiligen Bergtour bündeln. Um die feste Verwurzelung des Matthäusevangeliums in der jüdischen Tradition zu unterstreichen, werden diese Gipfelbotschaften mit aktualisierenden Gedanken von Persönlichkeiten aus dem Judentum des 20. Jahrhunderts bereichert.
Der fünfte Berggipfel, der Berg der Verklärung (vgl. Mt 17,1–9), stellt gleichsam als Vorwegnahme der Auferstehung einen absoluten Höhepunkt im Leben Jesu dar. Wir könnten auch vom höchsten Gipfel des Gebirges sprechen, der diesem den Namen gibt. Dadurch wird auch der Titel dieses Buches »Hoch und heilig« verständlich, weil jetzt klar wird, wohin der Weg Jesu letztlich geht und welche Konsequenzen das für sein und unser Leben hat. Dieser fünfte Gipfel korrespondiert gleichsam mit dem letzten Berg, dem Berg der Sendung (Mt 28,16–21), mit dem Matthäus sein Evangelium beschließt. Dort wird der Auferstandene seinen Freunden nochmals begegnen. Als nachösterliche Szene wird hier sein Vermächtnis ausgesprochen, sodass die Jüngergemeinde zur »Stadt auf dem Berg« werden kann. Zwischen beiden Gipfeln aber liegt gleichsam ein tiefer, finsterer Abgrund, das Tal des Todes, das Jesus in Jerusalem durchschreiten muss. Diese Zäsur gilt es auch in der Gliederung wahrzunehmen. Die nachösterliche Bergszene ist einerseits der Epilog des Evangeliums, weil sie gleichsam die ganze Schrift nochmals zusammenfasst. Andererseits ist sie als abschließende Gipfelbegegnung für den Leser auch ein Prolog, denn unter dem Eindruck der letzten Szene gilt es, das Gelesene in das eigene Leben zu übertragen, sodass dieses zur frohen Botschaft für die Mitwelt werden kann. Diese nachösterliche Lage des sechsten Gipfels wird dadurch betont, dass er nicht mehr von weiteren Bergszenen flankiert wird, sondern als abschließender Rück- und Ausblick dient.
Das Buch gleicht somit einer Routenbeschreibung durch eine Gebirgskette mit Gipfeln von unterschiedlicher Intensität. Dabei folgt es der Tradition der »kanonisch-allegorischen Exegese«. Das meint zum einen, dass im Blick auf die Einheit der Hl. Schrift unterschiedliche Bibeltexte zusammengeführt und miteinander in Bezug gesetzt werden. Zum anderen werden die biblischen Szenen mit ihren Metaphern und Bildern weitergehend interpretiert.
Letztlich geht es um Gottesbegegnungen am Berg, durch die wir zu dem vorstoßen, was »hoch und heilig« ist. Daher lohnt es sich immer, beim Auf- und Abstieg sich selbst zu fragen: »Was haben diese Gipfelerfahrungen mir zu sagen? Wie stehen sie in Verbindung mit den Höhepunkten meines Lebens? Was ist mir hoch und heilig? Wie können diese biblischen Bergszenen mir für meinen Glaubensweg helfen? Wie können diese Berge auch für mich Wege zu Gott sein?«