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Die Frauen im Markusevangelium waren für ihre Mitmenschen eine echte Provokation: Sie ergriffen selbstbewusst das Wort, korrigierten ihren Meister und vertrauten und glaubten bedingungslos. Und dennoch: Ihre Namen sind nicht überliefert. Das bewegt Abt Johannes Eckert zu einer biblische Spurensuche. Das Evangelium liest er als Ouvertüre zu unserem Leben, dem eigentlichen Ort der Frohen Botschaft. So entdeckt er provozierende Botschaften für uns als Gläubige und für die katholische Kirche. Abt Johannes Eckert schreckt dabei auch nicht vor den heißen Eisen Kirchensteuer, Zölibat und Kardinalat der Frauen zurück. Die Jugend ermutigt er, auf dem großen Spielfeld der Kirche zu experimentieren. Ein unkonventioneller Blick auf sechs namenlose Frauen der Bibel und ihre aufrüttelnde Botschaft für die heutige Zeit. "Wenn die sechs Frauen im Evangelium auch namenlos bleiben, sind sie keinesfalls aussagelos oder gar wirkungslos gewesen. Auch sie sind "gestandene Frauen", an denen dem Leser vor Augen geführt wird, wie man Jesus nachfolgen und sein Jünger sein kann. …Was haben sie uns heute zu sagen? Wo müssen wir umkehren, Vergangenes hinter uns lassen und uns neu ausrichten? Wo kann durch ihr Beispiel in der Kirche neues Leben erweckt werden?"
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Seitenzahl: 141
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© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Umschlaggestaltung: Pittner Design
Umschlagmotiv: Marcus Lindström/Getty Images
Als deutsche Bibelübersetzung ist zugrunde gelegt:
Die Bibel. Die Heilige Schrift
des Alten und Neuen Bundes.
Vollständige deutschsprachige Ausgabe
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2005
E-Book-Konvertierung: post scriptum, Vogtsburg-Burkheim
ISBN Print 978-3-451-38153-9
ISBN E-Book 978-3-451-81398-6
Für Heike und Max
Vom Evangelium provoziert …
… durch vorbildliche Frauen …
… im Vertrauen auf die Osterbotschaft …
… umkehren und dem Auferstandenen folgen!
1. ProvokationEine Frau dient authentisch
Die aufgerichtete Schwiegermutter
Mehr Authentizität durch geweihte Frauen?
2. Provokation Eine Frau lüftet ihr Geheimnis
Die selbstbewusste Ausgegrenzte
Mehr Wahrhaftigkeit durch Freistellung des Pflichtzölibats?
3. Provokation Eine Frau lebt auf
Die auferweckte Tochter
Mehr Lebendigkeit durch Experimentierfelder für Jugendliche?
4. Provokation Eine Frau korrigiert den Meister
Die wortgewandte Ausländerin
Mehr Erneuerung durch mutigen Perspektivenwechsel?
5. Provokation Eine Frau vertraut rückhaltlos
Die freigebige Witwe
Mehr Glaubwürdigkeit durch Reform der Kirchensteuer?
6. Provokation Eine Frau verschwendet Schönes
Die großzügige Verehrerin
Mehr Seelsorge durch Entfaltung der Sakramente?
Gehen wir unter der Führung des Evangeliums seine Wege!
Über den Autor
»Steht auf!« Der kurze Appell gleicht einem Ruf zum Aufstand und erinnert an den Beginn der Internationale: »Wacht auf, Verdammte dieser Erde!« Er könnte aber auch die Überschrift für ein Kinderlied sein, mit dem meine Nichte gerne ihre Eltern weckt. Dort heißt es: »Du Schläfer, du Später, du Schlafmützenpeter, du Erzmurmeltier! – Heraus mit dir!« Auch wenn wir liebevoll geweckt werden, fällt das Aufstehen manchmal schwer. Man möchte das warme Bett nicht verlassen, sondern würde lieber noch etwas länger liegen bleiben. Ebenso gibt es unangenehme Erfahrungen: Schrill klingelt der Wecker. Er reißt dich aus dem Schlaf. Vor Schreck stehst du im Bett und er ruft dir zu: »Heraus mit dir!« Desgleichen können wir im übertragenen Sinn »aufgeweckt werden«: Durch eine unverhoffte Begegnung, durch einen tragischen Schicksalsschlag oder durch die überraschende Wendung einer Situation.
Nichts anderes umschreibt das Wort »Provokation«. Es leitet sich vom Lateinischen pro-vocare ab und meint »hervor- und herausrufen, auffordern, reizen, wecken«. Oft will eine Provokation uns aufwecken, uns herausrufen aus unserer wohlgeordneten Welt, und die Augen für das Wesentliche öffnen. Sie will zum Widerstand reizen, indem gewohnte Sachverhalte in bewusst übertriebener Form verfremdet oder überzeichnet dargestellt werden.
So verstanden musste das Markusevangelium, das unter den vier Evangelien das älteste ist und wahrscheinlich um 70 n. Chr. entstand, für seine ersten Leser, die noch nicht zum christlichen Glauben gefunden hatten, eine echte Provokation gewesen sein. Wie konnte man die Lebens- und Leidensgeschichte eines unbedeutenden Mannes aus dem galiläischen Nazareth – einem unbekannten Nest am Rand des römischen Weltreiches –, der von den religiösen Führern seines Volkes verachtet und von der römischen Besatzungsmacht als Verbrecher am Kreuz öffentlich hingerichtet wurde, als »Evangelium« – als »frohe Botschaft« – titulieren? Ursprünglich bezeichnete der Begriff »Evangelium« eine Freudenbotschaft des Kaisers und wurde generell in der Mehrzahl verwendet. Solche »guten Nachrichten«, die im ganzen römischen Reich verkündet wurden, waren z. B. Siege über feindliche Heere, Ankündigungen von Steuererleichterungen oder die Geburt eines möglichen Thronfolgers. Was hat das alles mit einem gekreuzigten Galiläer zu tun?
Der Evangelist Markus ist der erste Schriftsteller, der vom Evangelium in der Einzahl spricht und damit bewusst oder unbewusst eine neue literarische Gattung schafft. Dabei endet sein Werk gar nicht freudig (vgl. Mk 16,1–8). In seiner ursprünglichen Schlussszene kommen am Sonntag nach der Kreuzigung drei Frauen zum Grab Jesu. Sie wollen seinen Leichnam salben. Dort begegnet ihnen ein Mann im weißen Gewand, ein Engel, der ihnen verkündet, dass der Gekreuzigte auferweckt worden sei und seinen Jüngern nach Galiläa vorausgehe. Dies sollten sie Petrus und seinen Gefährten verkünden. Eigentlich müsste man annehmen, dass sich die Frauen über die überraschend positive Wendung des Geschehens freuen würden. Doch sie verlassen mit Furcht und Entsetzen das Grab und erzählen niemanden etwas davon. Von Osterjubel und Auferstehungsfreude keine Spur! Verstummen und Erschrecken stehen am Ende des Markusevangeliums!
Dieser sogenannte »offene Schluss« provoziert im wahrsten Sinn des Wortes. Unweigerlich muss sich der Leser fragen: Was soll das? Welche Reaktionen will der Evangelist Markus wecken? Wie ist es mit den Frauen weitergegangen?
Nachfolgende Generationen haben den »offenen Schluss« nicht ausgehalten. Mit Hilfe des Matthäus- und des Lukasevangeliums, die später entstanden sind, bastelten sie ein Happy End, sodass alles noch gut ausgeht (vgl. Mk 16,9–20). Damit aber wird die Botschaft des ältesten Evangelisten abgeschwächt, ja sogar verfälscht.
Beim ursprünglichen Schluss nehmen die Frauen eine Schlüsselrolle ein, zumal von den Jüngern seit der Gefangennahme Jesu nichts mehr zu lesen ist (vgl. Mk 14,50). Die Frauen dagegen gleichen bei Markus einem seidenen Faden, von dem entscheidend die Zukunft seines Werkes abhängt. Der Evangelist erwähnt sie schon zuvor in der Leidensgeschichte. Um die Provokation des offenen Schlusses zu verstehen, ist es hilfreich, zunächst diese kurze Szene anzuschauen, um sich dann nochmals intensiver der Ostergeschichte zu widmen.
Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. Und in der neunten Stunde rief Jesus laut: Eloï, Eloï, lema sabachtani?, das heißt übersetzt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Als einige von den Dabeistehenden das hörten, sagten sie: Hört, er ruft Elija! Und einer lief hin, füllte einen Schwamm mit Essig, steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken, wobei er sagte: Lasst, wir wollen sehen, ob Elija kommt, ihn herabzunehmen. Jesus aber stieß einen lauten Schrei aus und verschied. Da zerriss der Vorhang des Tempels von oben bis unten entzwei. Als der Hauptmann, der ihm gegenüberstand, ihn so sterben sah, sagte er: Dieser Mensch war in Wahrheit Gottes Sohn! Es sahen aber auch Frauen von ferne zu, unter ihnen auch Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des jüngeren Jakobus und Joses, und Salome. Sie waren ihm schon in Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient, und viele andere, die mit ihm nach Jerusalem hinaufgezogen waren.
Mk 15,33–41
Die grausame Todesszene der Kreuzigung Jesu wird von dem beeindruckenden Bekenntnis des heidnischen Hauptmanns überragt: »Dieser Mensch war in Wahrheit Gottes Sohn!« (Mk 15,39) Er ist der einzige Mensch im Markusevangelium, der ins Wort bringt, wer dieser Mann aus Nazareth wirklich ist: Gottes Sohn! Ebenso bemerkenswert ist die furchtlose Anwesenheit der Frauen, die als Zeuginnen das traurige Geschehen am Kreuz miterleben. Wo sind die Männer geblieben, die Jesus in Galiläa in sein näheres Umfeld gerufen und die sich mit ihm in Galiläa auf den Weg gemacht hatten? Was ist aus Petrus, Jakobus und Johannes geworden, die Jesus in besonderen Stunden exklusiv begleiten durften, wie bei der Erweckung eines toten Mädchens, bei seiner Verklärung auf dem Berg oder in der Nacht vor seinem Tod im Garten Getsemani? Kurz und prägnant stellte Markus nach der Gefangennahme Jesu über die Jünger fest: »Da verließen ihn alle und flohen.« (Mk 14,50)
Die Frauen dagegen halten Jesus mutig die Treue und bleiben standhaft bis zum Tod. Schon in Galiläa waren sie ihm nachgefolgt und hatten ihm dort gedient, wie der Evangelist zu berichten weiß. Mit beiden Haltungen – »nachfolgen« und »dienen« – unterstreicht Markus, dass diese Frauen sich mit ihrem vorbildlichen Verhalten als echte Jünger erweisen. Damit gehören sie vollgültig zur Jüngergemeinde dazu! Eindrücklich veranschaulicht die Todesszene: Nachfolge heißt, sich in Wort und Tat zu Jesus zu bekennen. Zum rechten Glaubensbekenntnis, das der Hauptmann ausspricht, gehört ebenso die rechte Lebenshaltung, für die die Frauen stehen. Sie sind »gestandene Frauen« im wahrsten Sinn des Wortes, denn Jüngersein heißt, im Risiko auf das eigene Leben zu Jesus zu stehen, auch wenn man »nur« aus der Ferne zuschaut.
Drei Frauen, Maria aus Magdala, Maria, die Mutter von Jakobus und Joses, und Salome werden von Markus namentlich benannt. Zwei von ihnen werden dann auch Zeuginnen der Grablege sein (vgl. Mk 15,47) und alle drei werden am Ostermorgen zum Grab kommen (vgl. Mk 16,1–8). Neben ihnen erwähnt das Evangelium noch weitere Frauen, die als namenlose Jüngerinnen mit Jesus von Galiläa nach Jerusalem hinaufgezogen sind.
Es ist spannend, diese doppelte Fährte, die Markus in der Kreuzigungsszene anlegt, weiterzuverfolgen. Zwei Fragenkomplexe ergeben sich daraus. Zum einen: Was haben die namentlich bekannten Osterbotinnen dem Leser zu sagen? Was wollen sie bei ihm provozieren? Zum anderen ist es ebenso spannend, auf die Spurensuche nach den namenlosen Frauen im Evangelium zu gehen: Wo treten sie auf? Worin besteht ihr Vorbild? Welche Botschaft vermitteln sie uns heute?
Damit gilt es, sich zunächst nochmals ausführlicher dem »offenen Schluss« bei Markus zu widmen, der auch als Prolog für das ganze Evangelium gelesen werden kann.
Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome Balsam, um (zum Grab) zu gehen und ihn zu salben. Sie kamen am ersten Wochentag zum Grab, sehr früh, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer wird uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie aufblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war nämlich sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen einen jungen Mann auf der rechten Seite sitzen, bekleidet mit einem weißen Gewand, und sie erschraken. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferweckt worden, er ist nicht hier. Seht da die Stelle, wo sie ihn hingelegt hatten. Aber nun geht und sagt seinen Jüngern und Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. Da gingen sie hinaus und flohen vom Grab; denn Angst und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemand etwas; denn sie fürchteten sich.
Mk 16, 1–8
Manchmal stelle ich mir die Frage, wie mein Leben wäre, wenn ich nie etwas von diesem Jesus aus Nazareth und seiner Auferweckung erfahren hätte. Oder: Wie würde unsere Welt heute aussehen, wenn die Frauen im Verstummen geblieben wären? Mit seinem »offenen Schluss« fordert Markus seine Leser auf, sich intensiver mit der Osterbotschaft des jungen Mannes im Grab auseinanderzusetzen. Wie hätte ich mich anstelle der Frauen verhalten?
Diese eigenartige Grabesgeschichte erzählt von der Umorientierung der Frauen. Wir könnten auch sagen, dass sie zur Umkehr aufgefordert werden. Gewissermaßen werden sie dabei mit den ersten Worten, die Jesus im Markusevangelium spricht, konfrontiert: »Die Zeit ist erfüllt und das Reich Gottes ist nahe. Kehrt um und glaubt an das Evangelium.« (Mk 1,15) Was ist damit gemeint?
Nach den schrecklichen Ereignissen des Karfreitags, die die drei Frauen aus nächster Nähe miterlebt hatten, gehen sie frühmorgens zum Grab, um den Leichnam Jesu zu salben. Eigentlich ist es dazu nach drei Tagen schon zu spät. Zugleich weiß der aufmerksame Leser, dass Jesus schon zu Beginn seiner Leidensgeschichte von einer Frau für sein Begräbnis gesalbt wurde (vgl. Mk 14,3–9). Wir werden diese Szene noch betrachten. Wenn nun die drei Frauen die übliche Totensalbung am Leichnam vornehmen wollen, dann kommen sie keineswegs mit Auferstehungshoffnung zum Grab. Vielmehr steht für sie als traurige Gewissheit fest: »Tot ist tot!« Jetzt ist es ihre traurige Aufgabe, dem Leichnam noch den letzten Liebesdienst zu erweisen. Das ist ihre Perspektive, wenn sie sich darüber Gedanken machen, wer ihnen den Stein vom Grab wegwälzen könnte.
Der Evangelist hingegen zeichnet behutsam ein anderes Bild: Während sich zur Todesstunde am Karfreitag eine Finsternis über das Land ausbreitete und als düsteres Szenario die Kreuzigung überschattete (vgl. Mk 15,33), geht nun in aller Frühe des Ostertags die Sonne auf. Das Licht siegt über die Nacht des Todes. Es dämmert langsam. Ebenso soll den Frauen etwas aufgehen, während sie sich fragen: »Wer wälzt uns den Stein vom Grab?« Das kann im übertragenen Sinn verstanden werden: »Wer befreit uns von der Last des Todes?« Diese Frage kennt wohl jeder, der schon einmal von einem lieben Menschen Abschied nehmen musste. Die Trauer kann schwer wie ein Felsbrocken auf unserem Herzen lasten.
Der überraschende Hinweis, dass der sehr große Stein schon weg ist, ist ein weiteres Zeichen für den Perspektivenwechsel, den der Leser zusammen mit den Frauen vollziehen soll. Die Last des Todes ist weggewälzt und das Grab steht offen.
Innen begegnen die Frauen einem jungen Mann im weißen Gewand, der an die Verklärung Jesu in Galiläa erinnert (vgl. Mk 9,2–10). Dort war er in strahlendem Licht und im weißen Gewand seinen Jüngern Petrus, Jakobus und Johannes begegnet. Damals schon wurde klar, wohin sein Weg führen wird: Hinein in die lichtvolle Welt Gottes! Nun werden die drei Frauen mit der Existenz Gottes konfrontiert und reagieren darauf mit Frucht und Schrecken. Dies ist im biblischen Kontext nicht ungewöhnlich, sondern typisch für die Begegnung mit dem Göttlichen. Letztlich erfahren sie im jungen Mann die Nähe des Reiches Gottes. Nun ist wirklich die Zeit erfüllt, wie es Jesus zu Beginn seines Auftretens proklamiert hatte. Und das ist auch die Botschaft, die der junge Mann ihnen verkündet: »Der Gekreuzigte ist auferweckt worden!« Gott hat Jesus von Nazareth in eine neue Dimension des Lebens geholt. Der geliebte Sohn, wie ihn der Vater bei der Taufe im Jordan und auf dem Berg der Verklärung bezeugte und als solchen ihn der Hauptmann im Gekreuzigten erkannte, kann unmöglich im Tod bleiben. Er ist nicht hier, d. h., das Grab, die Welt des Todes, ist nicht länger der Raum, in dem Jesus zu finden ist! Hier brauchen die Frauen ihn nicht zu suchen. Vielmehr bekommen sie den Auftrag, sich vom Grab abzuwenden und zu den Männern zu gehen, die ängstlich geflohen waren (vgl. Mk 14,50), auch zu Petrus, der ihn verleugnet hatte (vgl. Mk 14,66–72). Ihnen sollen sie verkünden: »Er geht euch voraus nach Galiläa!« (Mk 16,7)
Allein die Beauftragung durch den Engel ist im Blick auf das soziokulturelle Umfeld eine Provokation, waren doch Frauen in der Antike den Männern untergeordnet. Auch hatten sie in der Öffentlichkeit nichts zu sagen. Doch im Markusevangelium werden sie gerade dazu vom Engel beauftragt: Sie sollen nicht stumm am Grab stehen bleiben, sondern die frohe Botschaft verkünden. Sie sollen selbst zu Boten Gottes, d. h. zu Engeln werden, die dem Evangelium dienen!
Eigentlich haben die Frauen am falschen Platz gesucht und werden nun auf die richtige Spur geführt. Auch ihnen gilt die freudige Botschaft, wenn es heißt: »Er geht euch voraus« und nicht: »Er geht ihnen (den Männern) voraus!« Auch den Frauen und mit ihnen uns Lesern des Evangeliums geht der Auferweckte voraus. Indem die Frauen umkehren, das Grab hinter sich lassen, strecken sie sich nach dem aus, was vor ihnen liegt.
Auch das ist ein deutlicher Aufruf an den Leser. Vieles mag uns ja im Leben nachgehen oder hinter uns her sein, gerade wenn wir, wie die Frauen, Schreckliches erleben mussten. Der Auferweckte aber geht nicht hinterher, sondern er geht voraus! Auch verfolgt er uns nicht, wie uns manchmal Begegnungen oder Erlebnisse in unserer Lebensgeschichte verfolgen und nicht mehr loslassen. Vielmehr ruft er zur »Nach-Folge« nach Galiläa und fordert uns auf, seine Spuren zu suchen und diese in unserem Leben aufzunehmen, ihm nachzugehen, wie wir einer Sache nach-gehen, indem wir uns für diese interessieren und über sie mehr erfahren wollen! Der Auferweckte geht auch nicht zurück in seine Heimat, von wo er gekommen ist. Nein, er geht voraus, d. h. er kommt in Galiläa auf seine Jünger zu oder, wie wir auch sagen könnten: Er ist die Zukunft in Person. Dort in Galiläa, wo alles begonnen hat, dort werden die Frauen ihm begegnen, dort bekommt ihr Leben Zukunft. Mit diesen drei Frauen und ihrem Verkündigungsauftrag fängt Gott neu an. Wenn der Auferweckte voraus nach Galiläa geht, dann ist das am Ende des Evangeliums eine Aufforderung, dieses erneut zu lesen und sich dabei zu fragen: Was hat es mit meinem Leben zu tun? Wo begegne ich dem Auferweckten in meiner Lebens- und Glaubensgeschichte, in meinem konkreten Alltag, in meinem Galiläa? Wo finde ich seine Spuren, wo kommt er auf mich zu? Unser Leben gilt es als Ort der Frohen Botschaft zu entdecken.
Daher kann man das Markusevangelium nach seiner Lektüre nicht einfach zuklappen und zum Tagesgeschäft übergehen. Am Ende wird deutlich, warum Markus sein Werk mit diesen Worten beginnt: »Anfang des Evangeliums von Jesus Christus.« (Mk 1,1