Arbeitsorientiertes Lernen - Karlheinz Sonntag - E-Book

Arbeitsorientiertes Lernen E-Book

Karlheinz Sonntag

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  • Herausgeber: Kohlhammer
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2007
Beschreibung

Der Übergang zur Wissensgesellschaft, technologische Innovationen, die Auflösung fester Berufsverläufe sowie die zunehmende Flexibilisierung von Arbeit fordern von Mitarbeitern und Führungskräften, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten durch kontinuierliches Lernen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Um der Dynamik der Lernbedarfe gerecht zu werden, müssen Lernen und Arbeit in Konzeption und Gestaltung stärker verbunden werden. Arbeitsorientiertes Lernen bietet hierfür einen neuen Ansatz. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Frage, wie Lernen direkt in der Arbeit gestaltet werden kann und wie der Arbeitsbezug in Lernumgebungen zu verbessern ist. Hierzu werden psychologische Grundlagen und Modelle, praxisorientierte Gestaltungsansätze sowie Analyseinstrumente und Methoden dargestellt und diskutiert.

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Der Übergang zur Wissensgesellschaft, technologische Innovationen, die Auflösung fester Berufsverläufe sowie die zunehmende Flexibilisierung von Arbeit fordern von Mitarbeitern und Führungskräften, ihr Wissen und ihre Fähigkeiten durch kontinuierliches Lernen zu erhalten und weiterzuentwickeln. Um der Dynamik der Lernbedarfe gerecht zu werden, müssen Lernen und Arbeit in Konzeption und Gestaltung stärker verbunden werden. Arbeitsorientiertes Lernen bietet hierfür einen neuen Ansatz. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die Frage, wie Lernen direkt in der Arbeit gestaltet werden kann und wie der Arbeitsbezug in Lernumgebungen zu verbessern ist. Hierzu werden psychologische Grundlagen und Modelle, praxisorientierte Gestaltungsansätze sowie Analyseinstrumente und Methoden dargestellt und diskutiert.

Professor Dr. Karlheinz Sonntag lehrt und forscht am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg mit dem Schwerpunkt Arbeits- und Organisationspsychologie. Dr. Ralf Stegmaier ist wissenschaftlicher Assistent in der Abteilung Arbeits- und Organisationspsychologie des Psychologischen Instituts an der Universität Heidelberg.

Kohlhammer Standards Psychologie

Begründet von Theo W. Herrmann Werner H. Tack Franz E. Weinert (†)

Herausgegeben von Herbert Heuer Frank Rösler Werner H. Tack

Karlheinz Sonntag Ralf Stegmaier

Arbeitsorientiertes Lernen

Zur Psychologie der Integration von Lernen und Arbeit

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrofilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

1. Auflage 2007 Alle Rechte vorbehalten © 2007 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

Print: 978-3-17-018470-1

E-Book-Formate

pdf:

epub:

978-3-17-028030-4

mobi:

978-3-17-028031-1

Inhalt

Vorwort

1 Arbeitsorientiertes Lernen: Bedeutung, Charakteristik und Gegenstand

1.1 Veränderte Umfeldbedingungen und Zielgrößen

1.1.1 Veränderungen in der Arbeitswelt

1.1.2 Zielgrößen arbeitsorientierten Lernens

1.2 Arbeitsorientiertes Lernen: Integration von Arbeit und Lernen

1.2.1 Überlegungen zum Arbeitsbegriff

1.2.2 Überlegungen zum Lernbegriff

1.2.3 Charakteristik arbeitsorientierten Lernens

1.3 Entwicklungslinien der Integration von Arbeit und Lernen

1.3.1 Arbeitsplatz als Lernort in der Aus- und Weiterbildung

1.3.2 Übungen zur Erzielung »bestmöglicher« Leistungen

1.3.3 Kompetenzentwicklung durch Training und Arbeitsgestaltung

1.4 Aufbau und Themen des Lehrbuchs

2 Theorien und Modelle zur Integration von Arbeit und Lernen

2.1 Theoretische Zugänge zu Aspekten arbeitsorientierten Lernens

2.2 Arbeitspsychologische Zugänge

2.2.1 Lernen durch Bewältigung von Arbeitsanforderungen

2.2.2 Arbeitsimmanentes Lernen

2.3 Instruktionspsychologische Zugänge

2.3.1 Situiertes und problemorientiertes Lernen

2.3.2 Beobachtungslernen

2.3.3 Selbstgesteuertes Lernen

2.4 Personalpsychologische Zugänge

2.4.1 Karrierebezogenes kontinuierliches Lernen

2.4.2 Karrierebezogenes Selbstmanagement

2.4.3 Job crafting

2.4.4 Taking charge

2.5 Organisationspsychologische Zugänge

2.5.1 Anpassung bei der Arbeit

2.5.2 Organisationale Sozialisation

3 Gestaltung und Wirkung arbeitsintegrierten Lernens

3.1 Einführung

3.2 Arbeitsstrukturierung als Form arbeitsintegrierten Lernens

3.2.1 Ziele, Konzepte und Strategien der Arbeitsstrukturierung

3.2.2 Job enlargement

3.2.3 Job enrichment

3.2.4 Job rotation

3.2.5 Problemlösegruppen

3.3 Arbeitsintegriertes Lernen bei Einarbeitungs- und Sozialisationsprozessen

3.3.1 Suche nach Informationen

3.3.2 Proaktive Sozialisationstaktiken

3.3.3 Institutionalisierte Sozialisationstaktiken

3.4 Arbeitsintegriertes Lernen durch beratungs- und erfahrungsbezogene Ansätze

3.4.1 Mentoring

3.4.2 Cognitive apprenticeship

3.5 Wirkungsbereiche arbeitsintegrierten Lernens

3.5.1 Kognitive Kompetenz

3.5.2 Soziale Kompetenzen und Freizeitverhalten

3.5.3 Berufliche Handlungskompetenz

3.5.4 Persönlichkeit

3.5.5 Gesundheit

3.5.6 Umgang mit organisationalen Veränderungen

3.5.7 Kreative und proaktive Leistungen

3.5.8 Fazit

4 Gestaltung und Wirkung von arbeitsbezogenem Lernen

4.1 Trainingsansätze für arbeitsbezogenes Lernen

4.1.1 Psychoregulativ akzentuierte Trainings

4.1.2 Kognitive Trainings

4.1.3 Fehlertraining

4.1.4 Behavior modeling

4.1.5 Trainings für individuelle Bewältigungsstrategien

4.1.6 Computergestützte und simulationsbasierte Ansätze

4.2 Personale Merkmale beim arbeitsbezogenen Lernen

4.2.1 Zielorientierung

4.2.2 Lernmotivation und Selbstwirksamkeit

4.2.3 Kognitive Fähigkeiten

4.2.4 Lernstrategien

4.2.5 Persönlichkeit

4.2.6 Stresserleben

4.2.7 Alter

4.3 Situationale Merkmale beim arbeitsbezogenen Lernen

4.3.1 Soziale Unterstützung

4.3.2 Organisationales Klima

4.3.3 Organisationale Gerechtigkeit und Entscheidungsfreiheit

4.3.4 Informationen über das Training

4.4 Transferförderung beim arbeitsbezogenen Lernen

4.4.1 Transferbegriff

4.4.2 Ansätze zur Förderung von Transfer

4.4.3 Nachweis von Transfereffekten

5 Instrumente und Verfahren zur Analyse, Gestaltung und Evaluation arbeitsorientierten Lernens

5.1 Identifikation und Beschreibung von Lernpotenzialen und Anforderungen in der Arbeitstätigkeit

5.1.1 Verfahren zur Identifikation von Lernpotenzialen

5.1.2 Aufgaben- und anforderungsanalytische Verfahren

5.1.3 Lernbedarfsanalyse – ein kombinierter Verfahrenseinsatz

5.2 Identifikation und Beschreibung organisationaler Merkmale arbeitsorientierten Lernens

5.2.1 Allgemeine organisationsdiagnostische Verfahren

5.2.2 Das Lernkulturinventar (LKI)

5.3 Identifikation und Beschreibung personaler Merkmale und Kompetenzen

5.3.1 Anforderungsanalyse und Kompetenzmodellierung: Ein evidenzbasierter Ansatz

5.3.2 Kompetenzmessung

6 Gestaltungslösungen für die Praxis

6.1 Lösungen im betrieblichen Kontext

6.1.1 Computergestütztes Training zur Förderung von Diagnosekompetenz

6.1.2 Training sozialer Kompetenzen durch behavior modeling

6.1.3 Arbeitsintegrierte Lernumgebungen für die Berufsausbildung

6.2 Lösungen für den Hochschulbereich

6.2.1 Training mit Simulatoren in der Medizinerausbildung

6.2.2 Projektseminar für Studierende der Arbeits- und Organisationspsychologie

7 Fazit

Literatur

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Arbeitsorientiertes Lernen beschäftigt sich mit Erfahrungsbildung, Wissenserwerb oder Verhaltensänderung bei Menschen. Hierfür zugrunde liegende Lernvorgänge finden entweder direkt in der Arbeitstätigkeit statt oder werden durch eine entsprechende Gestaltung arbeitsbezogener Lernumgebungen ausgelöst.

Arbeitsorientiertes Lernen geschieht in Organisationen auf vielfältige Art und Weise: Durch die Bearbeitung anregender und abwechslungsreicher Aufgabenstellungen; durch das gemeinsame Bewältigen von Problemen in Arbeitsgruppen; durch das Beobachten erfolgskritischer Verhaltensweisen erfahrener Kollegen und Vorgesetzter; durch Wissensvermittlung in realen oder computergestützten, simulierten Anwendungskontexten usw.

Vielfältige Entwicklungen in Gesellschaft, Beruf und Arbeitswelt unterstreichen zunehmend die Attraktivität von Konzepten arbeitsorientierten Lernens.

Ziel dieses Buches ist es, Theorien, Modelle, Methoden und Umsetzungsbeispiele darzustellen, die einen Beitrag zum besseren Verständnis von Gestaltung und Wirkung arbeitsorientierten Lernens liefern. Im Sinne eines »state of the art« wird versucht, systematisch und umfassend Theorien, empirische Befunde und Implikationen aufzuarbeiten.

Das Buch soll zu einem interdisziplinären Dialog der auf diesem Gebiet tätigen Wissenschaftler und Praktiker im Human Resource Management beitragen.

Bedanken möchten wir uns bei Frau Dipl.-Psych. Beate Molter, Frau Dipl.-Psych. Bettina Doering, Frau cand. psych. Irina Martin sowie Frau Barbara Schulz für die Unterstützung bei der Fertigstellung des Buches. Herrn Dr. Poensgen vom Kohlhammer Verlag danken wir für seine Geduld bei Überschreitungen der Abgabefrist des Buchmanuskriptes.

Heidelberg, im März 2007

Karlheinz Sonntag und Ralf Stegmaier

1 Arbeitsorientiertes Lernen: Bedeutung, Charakteristik und Gegenstand

1.1 Veränderte Umfeldbedingungen und Zielgrößen

1.1.1 Veränderungen in der Arbeitswelt

1.1.2 Zielgrößen arbeitsorientierten Lernens

1.2 Arbeitsorientiertes Lernen: Integration von Arbeit und Lernen

1.2.1 Überlegungen zum Arbeitsbegriff

1.2.2 Überlegungen zum Lernbegriff

1.2.3 Charakteristik arbeitsorientierten Lernens

1.3 Entwicklungslinien der Integration von Arbeit und Lernen

1.3.1 Arbeitsplatz als Lernort in der Aus- und Weiterbildung

1.3.2 Übungen zur Erzielung bestmöglicher Leistungen

1.3.3 Kompetenzentwicklung durch Training und Arbeitsgestaltung

1.4 Aufbau und Themen des Lehrbuchs

1.1 Veränderte Umfeldbedingungen und Zielgrößen

1.1.1 Veränderungen in der Arbeitswelt

Die Arbeitswelt unterliegt kontinuierlichen Veränderungsprozessen. Dies ist nichts Neues. Allerdings mehren sich die Zeichen, dass Veränderungen an Intensität, Dauer und Häufigkeit zunehmen.

Seit geraumer Zeit befinden sich insbesondere die Industrieländer in einem dynamischen, sozioökonomischen und technologischen Strukturwandel mit hohen Anforderungen an das Innovations- und Lernpotenzial der Organisationen und ihrer Mitglieder. Nicht mehr nur die Beschäftigten in klassischen Wirtschaftsorganisationen sind davon betroffen, verstärkt sind es nun auch die Organisationsmitglieder im non-profit Bereich, in Verwaltungen und Hochschulen.

Die Organisationen sehen sich aufgrund verschiedener Entwicklungen, wie beispielsweise Wettbewerbserfordernissen oder Kundenansprüchen, einem hohen Druck ausgesetzt, ihre strategische Positionierung und operative Performance zu optimieren. Solche Optimierungen bewirken oder sind das Ergebnis von Lernprozessen. Letztendlich geht es dabei immer um die Erhaltung und Weiterentwicklung psychischer und physischer Leistungsvoraussetzungen des Menschen zur Bewältigung neuer, teilweise anspruchsvollerer Aufgaben und Anforderungen der Arbeitstätigkeit.

Die Gründe für diese Entwicklungen sind vielfältig:

Auf dem Weg zur Wissensgesellschaft geht der Anteil an Beschäftigten im produzierenden Bereich zurück, neue Arbeitsplätze vor allem im Dienstleistungssektor entstehen. Angesichts der hohen Technologiedynamik wird die Halbwertszeit von Wissen, das Beschäftigte für ihre Arbeit benötigen, immer kürzer. Das Bildungssystem kann dieses Wissen nicht mehr »auf Vorrat« vermitteln. Insofern sind Konzepte zu thematisieren, die Arbeiten und Lernen integrieren, damit die Organisationsmitglieder sich erforderliches Wissen zeitnah und bedarfsgerecht aneignen können.

Klassische, stabile Berufsverläufe mit geordneten Ausbildungsmustern werden zunehmend obsolet. Patchwork-Biographien mit unterschiedlichen beruflich und zeitlich limitierten Einsatzfeldern treten an deren Stelle. Formale Ausbildungsgänge liegen für solche variablen Tätigkeitsmuster nicht vor, mit der Konsequenz, dass Mitarbeiter sich in verstärktem Maße Wissen und Kompetenzen für die jeweiligen Arbeitsumgebungen selbstorganisiert aneignen müssen.

Um flexibel und wettbewerbsgerecht positioniert zu sein, organisieren sich Unternehmen zunehmend dezentral, setzen auf flache Hierarchien, Netzwerke, Projekt- und Teamarbeit. Diese Flexibilisierung der Arbeitsstrukturen bewirkt, dass einmal Erlerntes häufig nicht mehr relevant ist und im Hinblick auf veränderte Aufgabenmuster und Anforderungen (neu) ausgerichtet werden muss.

Alterung der Gesellschaft, bei gleichzeitiger Verlängerung der Lebensarbeitszeit bedeutet für Organisationen, dass deren Belegschaften zunehmend älter werden. Entsprechend personalpolitische Überlegungen gehen dahin, Mitarbeitern altersdifferenzierte Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten in der Arbeit anzubieten.

Fazit: Die Verbreitung neuer Informations- und Kommunikationstechniken, die Auflösung stabiler Berufsverläufe sowie die strukturellen Veränderungen der Arbeitsorganisationen bewirken in kürzer werdenden Zeitabständen veränderte Lernerfordernisse und aktualisierte Wissensbestände der Organisationsmitglieder.

Die Bedeutung und damit auch die Attraktivität des Lernorts Arbeitsplatz wird nun darin gesehen, dass die Disponibilität entsprechender Kompetenzmuster und die Motivationen zum »ständigen Lernen« am ehesten durch Lern- und Entwicklungspotenziale in der Arbeitstätigkeit oder durch Lerntätigkeiten im arbeitsbezogenen Umfeld erreicht werden können.

Neben der Sicherung von Aktualität, Relevanz und Anforderungsbezug ist ein weiterer, mehr evaluations- und transferbezogener Aspekt arbeitsorientierten Lernens anzuführen. Wie aus Untersuchungen zum allgemeinbildenden und naturwissenschaftlichen Unterricht bekannt, »verpufft« Gelerntes häufig in seiner Wirkung; produziert wird sogenanntes träges Wissen, also scheinbar vorhandenes Wissen, das bei Bedarf in der Anwendungssituation nicht abgerufen werden kann. Dieses Phänomen zeigt sich insbesondere dann – so das Erklärungsmuster der Instruktionspsychologen –, wenn Wissen, das unverbunden und unzusammenhängend repräsentiert ist, aus dem natürlichen, authentischen Kontext herausgehoben ist.

Damit rücken theoretische Konzepte und Modelle zur Erklärung und Beschreibung arbeitsimmanenter Lernprozesse und zur Gestaltung problemorientierter authentischer Lernumgebungen in den Mittelpunkt wissenschaftlichen Interesses.

1.1.2 Zielgrößen arbeitsorientierten Lernens

Arbeitsorientiertes Lernen zielt auf die Förderung von Kompetenz und Leistung (vgl. Abb. 1.1). Nachfolgend werden beide Konstrukte ausführlich charakterisiert.

Abb. 1.1: Zielgrößen arbeitsorientierten Lernens

Kompetenz

Ziel arbeitsorientierten Lernens ist es, durch geeignete Maßnahmen Kompetenzen der Organisationsmitglieder zu erhalten, aufzubauen oder weiterzuentwickeln, die zur leistungskritischen »Meisterung« beruflicher Situationen und Arbeitstätigkeiten befähigen (vgl. Abb. 1.1).

Arbeitsorientiertes Lernen geschieht in Organisationen auf vielfältige Art und Weise: Durch die Bearbeitung anregender und abwechslungsreicher Aufgabenstellungen; durch das gemeinsame Bewältigen von Problemen in Arbeitsgruppen; durch das Beobachten erfolgskritischer Verhaltensweisen erfahrener Kollegen und Vorgesetzter; durch Wissensvermittlung in realen oder computergestützten, simulierten Anwendungskontexten usw.

In den genannten Fällen ist der Ort der Erfahrungsbildung, also des Lernens, der Arbeitsplatz mit seinen spezifischen Aufgaben, Inhalten und Strukturen (arbeitsintegriertes Lernen); oder es finden Lernprozesse in möglichst authentisch gestalteten Lernumgebungen statt (arbeitsbezogenes Lernen).

Um erfolgreich in Organisationen handeln zu können, benötigen ihre Mitglieder entsprechende Kompetenzen. Der Kompetenzbegriff im Kontext beruflichen Handelns umfasst die erforderlichen psychischen und physischen Leistungsvoraussetzungen des Menschen. Sie ermöglichen die leistungsgerechte Ausführung einer Arbeitstätigkeit. Wie Infobox 1.1 zeigt, werden Kompetenzen zumindest im angloamerikanischen Sprachraum häufig mit Eignungsmerkmalen gleichgesetzt.

Infobox 1.1: Kompetenzbegriffe

Kompetenzbegriffe

Competency as a measurable pattern of knowledge, skill, abilities, behaviors, and other characteristics that an individual needs to perform work roles or occupational functions successfully (United States Office of Personnel Management, in Rodriguez, Patel, Bright, Gregory & Gowing, 2002).A knowledge, skill, ability, or characteristic associated with high performance on a job (Mirabile, 1997).A combination of motives, traits, self-concepts, attitudes or values, content knowledge or cognitive behaviour skills; any individual characteristic that can be reliably measured, counted and that can be shown to differentiate superior from average performers (Spencer, McClelland & Spencer, 1994).

Als Zielgröße für arbeitsorientiertes Lernen ist bei der begrifflichen Auslegung von Kompetenz insbesondere der Anforderungsbezug und die Intentionalität zu berücksichtigen. So versteht man im ersteren Falle unter Kompetenzen im allgemeinen Sinne Wissen, Fähigkeiten, Motivation, Interesse, Fertigkeiten, Verhaltensweisen und andere Merkmale, die im Zusammenhang mit den Anforderungen einer bestimmten Arbeitsaufgabe stehen (vgl. Schmidt-Rathjens, 2007). Daraus resultiert der Einsatz von Aufgaben und Anforderungsanalysen, auf deren Basis Kompetenzen modelliert werden (vgl. Abschnitt 5.3.1; Sonntag & Schmidt-Rathjens, 2004), die als Kriterium arbeitsorientierten Lernens Gültigkeit besitzen. Für die Gestaltung und Evaluation arbeitsorientierter Lernprozesse sind vorangehende Anforderungsanalysen somit eine zentrale Voraussetzung.

Weitere Kompetenzdefinitionen berücksichtigen die Handlungsintention und Selbstorganisation. So versteht Sonntag (2006) unter Beruflicher Handlungskompetenz »die Befähigung eines Mitarbeiters die zunehmende Komplexität seiner beruflichen Umwelt zu begreifen und durch zielgerichtetes, selbstbewusstes, reflektiertes und verantwortliches Handeln zu gestalten« (S. 56). Erpenbeck & v. Rosenstiel (2003) stellen das Prinzip der Selbstorganisation in den Vordergrund. Berufliche Handlungskompetenz zeigt sich dann, wenn Organisationsmitglieder ihre Leistungsvoraussetzungen angesichts veränderter Aufgaben und Anforderungen selbstorganisiert weiterentwickeln und anpassen. Kompetenzen charakterisieren danach auch die Fähigkeit zu innovativem Lösungsverhalten angesichts neuartiger Problemstellungen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Konstrukte Anpassungs- und Veränderungsbereitschaft sowie Innovationsfähigkeit und Kreativität (vgl. Gebert, 2004; Herscovitch & Meyer, 2002; Oldham & Cummings, 1996; Oreg, 2003; Tierney & Farmer, 2002).

Letztendlich ist es Ziel arbeitsorientierten Lernens solche Kompetenzen aufzubauen, die Organisationsmitglieder befähigen, Handlungen zielgerichtet und weitgehend selbstorganisiert umzusetzen, gestützt auf fachliches und methodisches Wissen, auf Erfahrungen und Expertise sowie unter Nutzung kommunikativer und kooperativer Möglichkeiten.

Leistung

Leistung stellt die evaluative Komponente, der durch Maßnahmen arbeitsorientierten Lernens entwickelten Kompetenzen dar. In der Leistungssituation einer konkreten Arbeitstätigkeit »aktiviert« das Organisationsmitglied seine Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse usw. Für die Beurteilung dieser Kompetenzen sind differenzierte Betrachtungen erforderlich (vgl. auch Marcus & Schuler, 2006).

Nach Klehe und Kleinmann (2007) ist die Leistung einer Person eine Funktion ihrer Fähigkeiten (Wissen, kognitive und interpersonelle Fähigkeiten) und ihrer Motivation (Ausmaß und Ausdauer von Anstrengung), die nicht über Situationen hinweg konstant gezeigt werden kann. So wird zwischen typischen und maximalen Leistungssituationen unterschieden. In typischen Leistungssituationen ist das Verhältnis von Motivation und Fähigkeiten im allgemeinen variabel und die Leistenden können einen Mangel an Fähigkeiten häufig durch verstärkte Motivation ausgleichen und vice versa. In maximalen Leistungssituationen dagegen ist die Varianz der Motivation stark eingeschränkt mit dem Ergebnis, dass die gezeigte Leistung vor allem mit dem Ausmaß an vorliegenden Fähigkeiten variiert. Diese auf Studien von Sackett, Zedeck und Fogli (1988) zurückgehenden Differenzierungen zeigen den relationalen und kompensatorischen Charakter einzelner Kompetenzen bei deren Beurteilung in unterschiedlichen Leistungssituationen.

Ein stärker auf den Inhalt beruflicher Leistung konzentriertes Modell liefern Borman und Motowidlo (1993). Sie unterscheiden zwischen aufgabenbezogener (task performance) und umfeldbezogener Leistung (contextual performance). Aufgabenbezogene Leistung zeigt sich darin, wie gut eine Person ihre eigentliche Kernaufgabe erfüllt (jobspezifisch; direkt ergebnisbezogen) und inwieweit sie beiträgt, die organisationalen Ziele zu erreichen. Bei der umfeldbezogenen Leistung geht es um Aktivitäten, die zwar außerhalb der Kernaufgabe liegen (allgemeingültig, indirekt ergebnisunterstützend), jedoch ebenfalls wichtig sind, um das Organisationsziel zu erreichen. Unterschieden werden dabei zum einen stabilisierende Aktivitäten (z. B. Kollegen helfen, Loyalität gegenüber der Organisation, sich an die Regeln halten), die dazu beitragen, dass die bewährten Routinen und Prozesse der Organisation funktionieren. Zum anderen geht es um proaktive dynamisierende Aktivitäten (z. B. Verbesserungen vorschlagen, Probleme offen aussprechen), die dazu dienen, die Arbeitsweise der Organisation zu verändern.

Als Kompetenzen zur Erbringung aufgabenbezogener Leistung werden von Borman und Motowidlo (1993) Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Erfahrung genannt; für umfeldbezogene Leistung vor allem personale Merkmale und Motivation. Bisher durchgeführte empirische Studien scheinen weitgehend die unterschiedlichen Kompetenzfacetten für die beiden Leistungsbereiche zu bestätigen, obwohl sich Persönlichkeitskonstrukte durchaus auch auf aufgabenbezogene Leistung und die fachlich-methodischen Kompetenzen sich auf umfeldbezogenes Leistungsverhalten auswirken (vgl. Borman & Motowidlo, 1997; Marcus, Schuler, Quell & Hümpfner, 2002).

1.2 Arbeitsorientiertes Lernen: Integration von Arbeit und Lernen

Im Rahmen der Vorbereitung und Befähigung von Organisationsmitgliedern für die Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit stellt der Arbeitskontext eine zentrale Bezugsgröße dar: Lernprozesse finden am oder in der Nähe des Arbeitsplatzes statt. Gemeint sind aber auch Lernvorgänge, die außerhalb des direkten Arbeitsprozesses erfolgen, jedoch einen engen Bezug zu den dort zu bewältigenden Aufgaben und Anforderungen haben. Bei einer inhaltlichen Annäherung an arbeitsorientiertes Lernen sind daher die Begriffe Arbeit und Lernen näher zu betrachten.

1.2.1 Überlegungen zum Arbeitsbegriff

In einem ursprünglichen Sinne wird Arbeit mit Mühe, Plage und Kraftaufwand gleichgesetzt. Um zu leben, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, muss notgedrungen gearbeitet werden. Arbeit bedeutet aber auch Wirkungs- und Gestaltungsfeld; sie gibt dem Leben Sinn und dient der Weiterentwicklung des Menschen. Diese beiden zentralen Aspekte menschlicher Arbeit finden sich bereits bei Lewin (1920) und werden dort als »zwei Gesichter der Arbeit« (S. 11) beschrieben. In der Folge zeigen vielfältige Definitionsversuche (vgl. Hacker, 2005; Frieling & Sonntag, 1999; Kirchler, 2005; Neuberger, 1985; Ulich, 2005) zusätzliche Merkmale auf.

Arbeit als eine existenzbestimmende und sinngebende Lebensäußerung des Menschen ist immer auch Tätigkeit, die die gegenständliche Umwelt ebenso verändert wie den Menschen, der sie ausführt. Arbeitstätigkeiten haben in diesem Sinne Aufgabencharakter, äußern sich in typischen Verhaltensweisen und sind psychisch reguliert. Mit dieser operationalen Definition lassen sich psychologierelevante Zugänge der Beschreibung von Arbeitstätigkeiten formulieren, wie Arbeitsaufgabe, räumlich-zeitliche Bedingungen der Arbeit, individuelle und gruppenbezogene Verhaltensweisen sowie die psychische Struktur und Regulation menschlicher Arbeit.

Die Relevanz des Arbeitsbegriffs für arbeitsorientiertes Lernen zeigt sich insbesondere in den Merkmalen »zielgerichtete Tätigkeit« und »zweckrationales Handeln« (vgl. Infobox 1.2). Die mit dem technologischen Wandel einhergehenden Anforderungsverlagerungen zu Gunsten intellektueller Tätigkeitsanteile zeigten die Unzulänglichkeit des an sich trivialen, behavioristischen »Input-Output-Modells« immer deutlicher auf. Eine Theorie war gefordert, auf deren Grundlage Prozesse genauer herausgearbeitet werden können, wie der Mensch in zielgerichteter, denkender und planender Auseinandersetzung mit seiner Umgebung handelnd diese verändert und dabei gleichzeitig seine Persönlichkeit entwickelt.

Infobox 1.2: Merkmale von Arbeit

Merkmale von Arbeit

Danach ist Arbeit

zielgerichtete Tätigkeit und zweckrationales Handeln,Daseinsvorsorge, die der Schaffung optimaler Lebensbedingungen dient,mit gesellschaftlichem Sinngehalt versehen,ein vermittelnder Prozess zwischen Mensch und Umwelt, der sich in eingreifenden und verändernden Tätigkeiten äußert.

Infobox 1.3: Annahme der Tätigkeitstheorie

Annahmen der Tätigkeitstheorie sensu Leontjew (1977)

Tätigkeit stellt keine Reaktion dar, sondern ein System mit eigener Struktur, mit eigenen inneren Übergängen und Umwandlungen sowie eigener Entwicklung (Tätigkeit als vermittelnde Instanz zwischen Person und Umwelt);Tätigkeit ist immer gegenständlich, da sich der subjektive Antrieb (Motiv) zum Tätigwerden auf einen ideellen oder materiellen Gegenstand richtet, durch dessen Veränderung individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprochen wird (Tätigkeit als gegenständliche Tätigkeit);In seiner Tätigkeit setzt sich der Mensch aktiv mit seiner Umwelt auseinander und verändert sie nach seinen Zielen. In der Gestaltung der Umwelt eignet sich der Mensch ihre sachlichen und sozialen Bedeutungen an und entwickelt zugleich seine Motive, Fähigkeiten, sein Denken (Tätigkeit als gestaltendes und persönlichkeitsförderndes Element).

Die Handlungsregulationstheorie (vgl. Hakker, 2005; Volpert, 1992) erwies sich in vielfältigen Forschungsarbeiten als geeignet zur differenzierten Analyse der Denk-, Planungs- und Entscheidungsanforderungen bei der Bewältigung von Arbeitstätigkeiten. Auch unter Interventions- und Gestaltungsgesichtspunkten bietet die Handlungsregulationstheorie den Rahmen zur Verbesserung kognitiver Regulationsgrundlagen durch Training und Lernen (vgl. Abschnitte 2.2.1, 4.1.1, 4.1.2; Sonntag & Schaper, 2006).

Abb. 1.2: Tätigkeit als vermittelnde Instanz, gestaltendes und persönlichkeitsförderndes Element (nach Frieling & Sonntag, 1999)

Von großer Relevanz für arbeitsorientiertes Lernen ist ein weiteres der in Infobox 1.2 aufgeführten Merkmale, das Arbeit als einen »vermittelnden Prozess zwischen Mensch und Umwelt, der sich in eingreifenden und verändernden Tätigkeiten äußert«, charakterisiert.

Damit ist die Tätigkeitstheorie Leontjews (1977) angesprochen, die die enge kognitionsorientierte Sichtweise der Handlungsregulationstheorie (Arbeitstätigkeit als hierarchisch-sequentielles Abarbeiten von Handlungen und Operationen) um motivationale, emotionale und soziale Aspekte der Arbeitstätigkeit erweitert. Die zentralen theoretischen Positionen sensu Leontjew (1977) sind in Infobox 1.3 formuliert.

Die graphische Veranschaulichung der formulierten Annahmen und ihre Beziehungen verdeutlicht Abbildung 1.2.

Zur Analyse und Beschreibung von Arbeitstätigkeiten bieten sich in Anlehnung an Leontjew (1977) zwei unterschiedliche Strukturmodelle an. Zum einen ein hierarchisch (makro-)strukturelles, das sich mit der Auslösung und Steuerung der Tätigkeiten befasst, und zum anderen ein mehr dynamisch-prozessuales (Ringstruktur), das besonders auf die Vermittlungsfunktion der Tätigkeit zwischen Subjekt und Objekt eingeht.

Insbesondere die ringstrukturelle Betrachtungsweise bietet ein interessantes Erklärungsmodell zur Aneignung und Entwicklung von Fähigkeiten, Denken und Motiven: Die individuelle Tätigkeit verändert durch Gestaltung und Aneignung, durch Rückkopplung und Reflexion kontinuierlich die Persönlichkeit und Umwelt. Je weniger allerdings die Gestaltungsresultate bewirken, die Situation gleich bleibt und die individuelle Arbeitstätigkeit stereotypen Operationen unterliegt, umso weniger ist eine positive Entwicklung der Kompetenzen und Persönlichkeit des arbeitenden Menschen wahrscheinlich. Diese Annahmen wurden auch in mehreren Forschungsarbeiten zu Zusammenhängen der Dimensionen von Arbeitstätigkeiten und Merkmalen der Persönlichkeit bestätigt (vgl. Abschnitt 3.5; Bergmann, 2000).

Die hier aufgeführten Theorien zur Beschreibung und Erklärung von Arbeitstätigkeiten liefern für arbeitsorientiertes Lernen Hinweise

zur Struktur, den Mechanismen und der Ausbildung zielgerichteter Handlungen sowie

zu den Prozessen des Austausches zwischen Persönlichkeit und Arbeitssituation.

1.2.2 Überlegungen zum Lernbegriff

Lernen ist der zentrale Begriff in den Humanwissenschaften und ihren Anwendungsdisziplinen, die sich mit Menschen und ihren Veränderungen befassen. In Organisationen findet Lernen in vielfältigen Formen statt. Es geschieht beabsichtigt, unbeabsichtigt oder auch beiläufig. Wissen wird erworben, Erfahrungen gesammelt, Einstellungen und Verhalten angeeignet, Werte und Normen übernommen. Die dadurch entstehenden bzw. erzielten Veränderungen in den individuellen Leistungsvoraussetzungen sind das Ergebnis komplexer Lern-, Sozialisations- und Enkulturationsprozesse.

Je nach theoretischem Zugang und fachspezifischem Kontext wird die Frage, was sich beim Lernen wie verändert bzw. woran man erkennt, dass Lernen stattgefunden hat, unterschiedlich interpretiert. Ausführliche Abhandlungen zum Lernbegriff im psyschologisch-pädagogischen Kontext sind bei Bredenkamp (1998) und zum Lernbegriff im organisationalen Kontext bei Greif und Kluge (2004) vorzufinden. Eine kleine Auswahl von Lerndefinitionen zeigt Infobox 1.4.

In der Tradition des Behaviorismus wurde insbesondere dann von Lernen gesprochen, wenn sich Verhaltensmöglichkeiten eines Individuums relativ überdauernd ändern, ohne dass dies durch altersbezogene Aufbau- oder Abbauprozesse verursacht wird. Infolge der kognitiven Wende in der Psychologie konnte das Thema Lernen von der Fixierung auf die Verhaltensebene gelöst und auch unter der Perspektive des Wissenserwerbs, des Gedächtnisbesitzes und der Verarbeitung von Informationen thematisiert werden. Wissen wird in der Folge als Voraussetzung für erfolgreiches Handeln betrachtet, das gleichzeitig durch das Handeln selbst wiederum verändert werden kann (vgl. v. Cranach, 1994). So werden verhaltensbezogene und kognitive Ansätze zum Lernen miteinander verbunden.

Infobox 1.4: Ausgewählte Lernbegriffe

Ausgewählte Lernbegriffe

Lernen ist jede relativ überdauernde Änderung der Verhaltensmöglichkeiten eines Menschen, die nicht auf altersbedingte Veränderungen zurückgeführt werden können (Bredenkamp, 1998, S. 22)Lernen besteht in der Ausbildung oder Korrektur von individuellem Gedächtnisbesitz (Klix, 1971, S. 348)Lernen ist die absichtsvolle Aneignung von möglichst optimalen Grundlagen für Leistung und Leistungsverbesserungen im Sinne eines bewussten und zielgerichteten Prozesses (Hacker & Skell, 1993, S. 18)

Auch Vertreter der Arbeitspsychologie wie Hacker und Skell (1993) oder Hacker (2005) integrieren in ihren Definitionen vom Lernen Verhalten und Kognition, wobei es ihnen letztendlich immer darum geht, dass durch Lernen Leistungsvoraussetzungen so verändert werden, dass Personen Anforderungen der Arbeit effektiver bewältigen können. So verstehen Hacker und Skell (1993) unter Lernen informationsverarbeitende Vorgänge zum Aufbau von verhaltensregulierendem Gedächtnisbesitz, der für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Arbeit erforderlich ist. Die Aneignung des verhaltensregulierenden Gedächtnisbesitzes ist nach Hacker und Skell (1993) vermittelt durch die Lern- und Aufgabeninhalte, durch Arbeits- und Lernmittel, durch die Sprache und insbesondere durch die Zusammenarbeit und Kommunikation mit anderen Menschen. Lernen findet statt, indem man selbst handelt oder andere beim Handeln beobachtet, und führt zu Wissenserwerb (neues Wissen wird aufgenommen), Wissensmodifikation (vorhandenes Wissen wird abgewandelt) oder Wissensstrukturierung (Strukturen und Zusammenhänge des Wissens werden verändert).

In ähnlicher Weise beschreibt Hacker (2005) Lernen im Arbeitsprozess unter den Perspektiven Hinzulernen, Erhaltungslernen und Verlernen. Beim Hinzulernen wird neues Wissen erworben bzw. vorhandenes Wissen modifiziert; Erhaltungslernen festigt den Gedächtnisbesitz gegen Verlernen, das auftreten kann, wenn Wissen selten angewendet wird; Verlernen schließlich kennzeichnet die abnehmende Verfügbarkeit von Wissen. Wird Wissen nur selten genutzt, oder wird neues Wissen erworben, das zu dem vorhandenen Wissen im Widerspruch steht, steigt die Wahrscheinlichkeit des Verlernens.

Greif und Kluge (2004) stellen Lerntheorien zusammen, die bei der Gestaltung personaler Interventionen in Organisationen angewendet werden. Im Einzelnen sind dies:

Klassische, behavioristische Ansätze

des operanten Konditionierens, wonach Lernen zur Verhaltensänderung durch Verstärkung (z. B. Anreizsysteme, Lob, Anerkennung) oder Bestrafung (z. B. Kritik, Wegfall von Belohnung) beiträgt;

Konzepte auf Basis der

sozial-kognitiven Lerntheorie

Banduras, wonach Modellverhalten durch verschiedene Phasen des Beobachtungslernens erfolgt; oder

Ansätze des

impliziten Lernens

, wonach Wissen ohne Absicht beiläufig erworben wird, das Gelernte (die Wissensbasis) nicht bewusst ist, aber dennoch Änderungen im Verhaltenspotenzial eines Menschen erkennbar sind.

Fazit zu Lernbegriff und Lerntheorien

Betrachtet man die unterschiedlichen Lerntheorien genauer, z. B. wie sie Mechanismen des Lernens, Ansatzpunkte für die Gestaltung von Lernen und erforderliche personale oder situative Voraussetzungen modellieren, wird schnell deutlich, dass es kaum Konsens gibt, was die zentralen Aspekte des Phänomens Lernen betrifft. So kommen auch Greif und Kluge (2004) zu dem Fazit, dass eine widerspruchsfreie Integration der stark unterschiedlichen Zugänge und Konzeptualisierungen von Lernen kaum möglich ist. Sie schlagen daher einen disziplinär offeneren Lernbegriff vor, der anhand der Merkmale Inhalt (was ist Gegenstand des Lernens), Prozess (wie läuft das Lernen ab), Lernart (wie sieht die räumliche Verortung des Lernens aus) und funktional-organisationaler Kontext (was ist Anlass und Zweck des Lernens) bestimmt werden kann. Eine solche, mehr pragmatische Herangehensweise wird auch der nachfolgenden Charakterisierung arbeitsorientierten Lernens zu Grunde gelegt.

1.2.3 Charakteristik arbeitsorientierten Lernens

Beim arbeitsorientierten Lernen geschieht Erfahrungsbildung, Wissenserwerb oder Verhaltensänderung entweder direkt im Prozess der Arbeit oder über Lerntätigkeit im arbeitsbezogenen Umfeld. Somit sind zwei unterschiedliche Komponenten arbeitsorientierten Lernens zu thematisieren:

eine

arbeitsstrukturale

, die sich mit den Lernpotenzialen in der Arbeitstätigkeit beschäftigt (arbeitsintegriertes Lernen), und

eine

instruktionale

, die sich mit der Gestaltung arbeitsbezogener Lernumgebungen befasst (arbeitsbezogenes Lernen).

Beiden Formen ist die hohe Affinität zur Arbeitstätigkeit, den Aufgabeninhalten und Strukturen gemeinsam; ebenso wie zu den daraus resultierenden Anforderungen an die psychischen und physischen Leistungsvoraussetzungen der Organisationsmitglieder. Abbildung 1.3 veranschaulicht die wesentlichen Merkmale arbeitsorientierten Lernens in den beiden Formen: arbeitsintegriertes und arbeitsbezogenes Lernen.

Für arbeitsintegriertes und arbeitsbezogenes Lernen lassen sich eine Reihe gemeinsamer Merkmale formulieren (vgl. Baitsch, 1998; Bergmann, 1999; Hacker, 1998; Hacker & Skell, 1993; Schaper, 2000; Sonntag, 1996, 2000; Stegmaier, 2000). Hierbei geht es zunächst um den klaren Bezug des Lernens zu Arbeitsaufgaben, Arbeitsanforderungen, Arbeitsinhalten sowie erforderlichen Leistungsvoraussetzungen. Ferner sollen durch beide Formen des Lernens Kompetenzentwicklung, Arbeitsleistungen und Arbeitsprozesse sowie -strukturen verbessert werden. Arbeitsintegriertes als auch arbeitsbezogenes Lernen setzt voraus, dass der Lernnutzen für die Organisationsmitglieder durch eine entsprechende Gestaltung der Arbeits- bzw. Lernumgebung erhöht wird. Gerade bei einer engen inhaltlichen Ausrichtung des Lernens auf Inhalte und Strukturen des Arbeitskontextes ist die Gefahr nicht unerheblich, dass ein einseitiges Verwertungsinteresse der Kompetenz beabsichtigt ist und der Arbeitsplatz so zu einem potenziellen Verlernfeld verkommen kann. Umso wichtiger ist die Kenntnis der Wechselwirkung zwischen Merkmalen der Arbeit und des Lernens, der Mechanismen und Instrumente der strukturalen und instruktionalen Komponenten arbeitsorientierten Lernens.

Arbeitsintegriertes Lernen (strukturale Komponente): Arbeitsintegriertes Lernen findet direkt in der Arbeit (am Arbeitsplatz bzw. im Arbeitsprozess) statt und zwar üblicherweise während der normalen Arbeitszeit. Lernaufgabe und Lerninhalte sind identisch mit dem Arbeitsauftrag und den Ausführungsbedingungen. Beim arbeitsintegrierten Lernen setzt sich der Beschäftigte mit den realen Arbeitsanforderungen auseinander. Typischerweise geschieht dies, indem der Beschäftigte Aufgaben (wiederholt) ausführt, Probleme löst, Arbeitserfahrungen reflektiert, Wissen mit anderen austauscht (z. B. in Qualitätszirkeln oder Lernstattgruppen) und sich neues Wissen gezielt aneignet.

Arbeitsbezogenes Lernen (instruktionale Komponente): Arbeitsbezogenes Lernen erfolgt explizit durch pädagogische Intervention und findet in Lern- und Trainingsumgebungen statt, die orientiert an Arbeitsaufgabe und -anforderungen systematisch gestaltet werden. Die didaktisch-methodische Gestaltung bezieht sich auf Lernaufgaben, Lerngegenstände, Lernziele, instruktionale Unterstützung sowie Lernkontext. Orientiert sich arbeitsbezogenes Lernen stärker an den Leistungsvoraussetzungen als an den tatsächlichen Arbeitsaufgaben, ist es wichtig, diese Voraussetzungen aus den Arbeitsaufgaben und Anforderungen stringent und empirisch unterstützt abzuleiten.

Arbeitsintegriertes Lernen ist nicht immer der sinnvollste Weg, um Wissen zu erwerben. Grundlagenwissen bzw. Spezialwissen kann häufig in klassischen Seminaren oder Trainings besser vermittelt werden. Auch seltene und kritische Situationen (z. B. Notfälle in der Medizin, in Kraftwerken oder Flugzeugen) lassen sich besser durch Simulationen trainieren. Außerdem kann problemorientiertes Lernen gerade leistungsschwache Lernende auch überfordern, wenn keine angemessene didaktische Balance von Selbststeuerung und Anleitung gesichert wird und Lernende nicht auf relevantes Wissen zugreifen können.

Abb. 1.3: Charakteristik arbeitsorientierten Lernens

1.3 Entwicklungslinien der Integration von Arbeit und Lernen

Psychologie, Pädagogik oder Soziologie sind Disziplinen, die sich traditionell Fragen des Lernens im Kontext der Arbeit – mit unterschiedlichem Verständnis und thematischem Gewicht – widmen. Entsprechende Forschung und Gestaltung soll nachfolgend in drei (historischen) Entwicklungslinien thematisiert werden:

Arbeitsplatz als Lernort in der Aus- und Weiterbildung;

Übungen zur Erzielung »bestmöglicher« Leistungen sowie

Kompetenzentwicklung durch Training und Arbeitsgestaltung.

1.3.1 Arbeitsplatz als Lernort in der Aus- und Weiterbildung

Im Lauf der Geschichte hat sich der Stellenwert des Arbeitsplatzes beziehungsweise des Arbeitsprozesses für das Lernen, insbesondere berufliches Lernen im Rahmen der Aus- und Weiterbildung mehrfach gewandelt. In der Werkstatt des mittelalterlichen Handwerks waren Lernen und Arbeiten untrennbar miteinander verbunden (Arbeitsplätze als Einheit von Arbeitsort und Lernort). Ein Lehrling wurde durch einen Meister und seine Gesellen bei der konkreten Arbeit angeleitet und beraten. Lernen vollzog sich also im unmittelbaren Bezug zur Arbeitsaufgabe und in einem authentischen sozialen Arbeitskontext. Neuere instruktionspsychologische Modelle, wie beispielsweise der cognitive apprenticeship Ansatz (vgl. Abschnitt 3.4.2), beziehen sich wieder verstärkt auf diese Lernform (vgl. Brown, Collins & Duguid, 1989).

Im Zuge der Industrialisierung und der Zunahme tayloristischer und fordistischer Arbeits- und Produktionskonzepte (Arbeitsteilung, Trennung von Kopf- und Handarbeit, kurzzyklische Tätigkeiten, Auslagerung von indirekten Tätigkeiten wie Wartung, Instandhaltung oder Qualitätssicherung in zentralisierte Fachabteilungen) verschlechterten sich die Möglichkeiten, Arbeiten und Lernen miteinander zu verbinden. Arbeit wurde zunehmend zu einem Verlernfeld. Es wurde – nicht zuletzt durch psychotechnische Interventionen – versucht, Lernen zu »rationalisieren«, um eine bestmögliche Leistung bei der Ausführung partialisierter Handlungen zu erzielen. In der Folge wurden arbeits- und produktionsunabhängige Lernorte ausgebaut, das Lernen stärker systematisiert und pädagogisch ausgerichtet. Gleichzeitig wurden allgemeinbildende Lerninhalte formuliert und ein neuer Lernort »Berufsschule« etabliert. Im Zuge der Systematisierung des Lernens entstanden industrietypische Berufsbilder, Rahmenpläne und Prüfungsordnungen.

Auch nach dem 2. Weltkrieg setzten sich die Tendenzen der Verschulung des Lernens und der Distanzierung vom Arbeitsplatz fort. Die Berufsbildungsreform der 1970er Jahre war programmatisch auf eine Zentralisierung, Pädagogisierung und Systematisierung beruflichen Lernens ausgerichtet (vgl. Dehnbostel, 1995). Im Zuge dieser »Verwissenschaftlichung« beruflichen Lernens und der Orientierung an einem emanzipatorischen Erziehungsideal wurde die aufgaben- und tätigkeitsorientierte Vermittlung beruflicher Kompetenzen als reine Anpassungsqualifizierung wahrgenommen und als unzureichende Lernform bewertet. Eine systematische Ausbildung direkt im Arbeitsprozess wurde unter den gegebenen technischen und arbeitsorganisatorischen Bedingungen als nicht möglich erachtet. Außerdem gab es erhebliche Bedenken, dass das Ziel, Mobilität und Flexibilität der angehenden Beschäftigten für den Arbeitsmarkt zu sichern, durch Lernen direkt im Betrieb nicht erreicht werden könne.

Gleichzeitig wurden aber auch negative Effekte einer vom Arbeitsplatz fernen Aus- und Weiterbildung sichtbar wie mangelnde Relevanz und Aktualität von Ausbildungsinhalten, verlängerte Einarbeitungszeiten nach der Ausbildung oder Motivationsprobleme der Lernenden.

Bei der Neuordnung der industriellen Berufsbilder in den 1980er Jahren fand daher eine Rückbesinnung auf arbeitsorientiertes Lernen statt. Die berufliche Handlungsfähigkeit der Lernenden wurde als zentrales Ziel der Neuordnung formuliert. Auszubildende sollten lernen, produktionsgerechte Aufgaben selbständig zu planen, auszuführen und zu kontrollieren. Diese kognitiv anspruchsvollen Denkleistungen sollten durch handlungsorientiertes Lernen erreicht werden, bei dem sich Auszubildende vor allem mit realen Arbeitsaufgaben befassen. Umgesetzt wurden in diesem Zusammenhang allerdings meist Lösungen, die immer noch fern vom Arbeitsplatz waren und berufliche Aufgaben eher in einem »pädagogischen Schonraum« in Form von Projekten in Lehrwerkstätten bzw. Ausbildungszentren zu simulieren versuchten. Das Lernen direkt in der Arbeit fand in Form der Beistelllehre statt. Hierbei wurden weder besonders interessante oder lernförderliche Aufgaben ausgesucht, noch wurden die Lernenden systematisch angeleitet oder unterstützt. Es war auch nicht unbedingt gewährleistet, dass die Auszubildenden selbst Aufgaben bearbeiten konnten und nicht lediglich den Meister bei der Arbeit beobachten durften. Die Beistelllehre war so dem Risiko ausgesetzt, zu einer Didaktik des »Dabeistehens« verkürzt zu werden.

Neue Arbeits- und Organisationsformen (Dezentralisierung, gruppenorientierte Arbeitsformen, Prozessorientierung), die verstärkt Lernchancen in der Arbeit eröffnen, trugen zu einer Renaissance des Lernorts Arbeitsplatz auch in der beruflichen Bildung bei. Verstärkte Partizipations- und Gestaltungsspielräume, zunehmende Kommunikations- und Kooperationserfordernisse sowie wachsende dispositive Tätigkeitsanteile forderten von den Mitarbeitern neben den fachlichen, insbesondere auch methodische und soziale Kompetenzen, die nicht nur für die Arbeit benötigt wurden, sondern unter den veränderten Bedingungen auch in der Arbeit entwickelt werden konnten (vgl. Franke & Kleinschmitt, 1984).

In der Modellversuchsreihe »dezentrales Lernen« des Bundesinstituts für Berufsbildung wurden arbeitspsychologische und berufspädagogische Lösungen entwickelt und erprobt, um arbeitsintegriertes und arbeitsbezogenes Lernen effektiver zu gestalten (vgl. Dehnbostel, 1992, 1998). Hierbei ging es darum, wie geeignete Arbeitsplätze für die Ausbildung ausgewählt werden können, wie die pädagogische Betreuung durch das Ausbildungspersonal verbessert werden kann und welche instruktionalen Prinzipien, also Formen der Anleitung, Unterstützung und Beratung, insbesondere für das arbeitsintegrierte Lernen angemessen sind.

Lerninseln oder Qualifizierungsstützpunkte sind Beispiele für entwickelte Lösungen des dezentralen Lernens, in denen Auszubildende direkte und indirekte Funktionen der Produktion oder Instandhaltung übernehmen, in Gruppen zusammenarbeiten und ihre Arbeit selbstorganisiert planen, steuern und kontrollieren (vgl. Bittmann & Novak, 1995; Sonntag, Stegmaier, Müller, Baumgart & Schaupeter, 2000). Die Arbeitsinfrastruktur wurde in diesen Ansätzen um eine Lerninfrastruktur erweitert, ohne hierbei jedoch von den authentischen Arbeitsanforderungen abzurücken. Die Lösungen zeigen deutlich, dass auch arbeitsintegriertes Lernen systematisch gestaltet werden kann, ohne dass der Bezug zu den authentischen Anforderungen verloren gehen muss (vgl. Abschnitt 6.1.3).

1.3.2 Übungen zur Erzielung »bestmöglicher« Leistungen

Fragen der Erklärung, Beschreibung und Gestaltung von Lernen gehören schon immer zum Gegenstandsbereich der Psychologie. Eine äußerst produktive Phase im Hinblick auf den Arbeitskontext stellt die Psychotechnik dar mit ihren experimentalpsychologischen und soziologischen Vorarbeiten.

Experimentalpsychologische Vorarbeiten

Einer der ersten bedeutsamen lern- und arbeitsrelevanten Fragestellungen, die sich mit der Entwicklung psychischer und physischer Leistungsvoraussetzungen befasste, geht wohl die experimentalpsychologische Forschung des Psychiaters und Wundt Schülers Emil Kraepelin (1856–1926) nach. Sie beinhaltet u. a. vielfältige Studien zur Messung individueller Grundeigenschaften im Zusammenhang von Anwendung und Ausbildung der Arbeitskraft. Mit einfach formulierten Aufgabenstellungen im Kopfrechnen, Buchstabenzählen usw. und Handkraftbetätigungen in unterschiedlichen zeitlichen Abfolgen versuchte Kraepelin Faktoren zu ermitteln, die die menschliche Arbeitsleistung bedingen. Die Ergebnisse der Leistungsmessungen mit dem Dynamometer und richtiger/falscher Addition wurden als Arbeitskurve dargestellt.

Kraepelin (1896) kennzeichnet »psychische Arbeit« als das Zusammenwirken verschiedener Faktoren: der Übungsfähigkeit, hinsichtlich der Auffassung von Sinneseindrücken und der Einübung motorischer Operationen; der Übungsfestigkeit, d. h. des zeitlichen Wirkungsgrades der Übung; der Anregung als motivierende Kraft; der Ermüdbarkeit und Erholungsfähigkeit; schließlich der Ablenkbarkeit und der Gewöhnungsfähigkeit an störende Einflüsse. Gefragt war nach der Art und Weise des Einübens, um die »Stetigkeit und Nachhaltigkeit der Arbeitskraft« (Kraepelin, 1899, S.238) zu sichern bzw. zu gewährleisten.

Soziologische Vorarbeiten

Angeregt durch Kraepelins Arbeiten setzte sich der Soziologe Max Weber in zwei Beiträgen »Zur Psychophysik der industriellen Arbeit« (1908 und 1909) sehr differenziert mit den physiologischen und psychologischen Bedingungen der »Leistungsfähigkeit« auseinander. Sie bildeten nach Weber für alle sozialwissenschaftlichen Probleme der (damaligen) modernen (speziell der großindustriellen) Arbeit den Ausgangspunkt der Betrachtungen (vgl. Weber, 1908, S.732). Interessant sind die Ausführungen zur Übung. Übung bedeutet »Steigerung der Leichtigkeit, Schnelligkeit, Sicherheit und Gleichmäßigkeit einer bestimmten Leistung durch deren oftmalige Wiederholung« (Weber, 1908, S.740). Als Effekt eines Übungsvorganges wird die sparsamere und erfolgreichere Ausnutzung des Kräftevorrats eines gegebenen psychophysischen Apparates angesehen, »also die Erzielung einer (absolut) zunehmenden Leistung unter Aufwendung (mindestens: relativ) abnehmender Kräftequalität« (Weber, 1908, S.740). Diese Kräfteökonomie ist zurückzuführen auf die Ausschaltung oder Beschränkung nicht beanspruchter Teile des psychophysischen Apparates, die für die konkrete Leistung entbehrlich sind. Weber spricht in diesem Zusammenhang bereits von einem Vorgang der »Mechanisierung« und »Automatisierung« körperlicher und geistiger Arbeit: Bei häufiger Wiederholung einer Leistung stellt sich allmählich die Fähigkeit ein, »sie auch ohne jede bewusste Inanspruchnahme des Willens und der Aufmerksamkeit für die erforderlichen Einzelfunktionen des psychophysischen Apparates, schließlich sogar besser ohne Hinlenkung der Aufmerksamkeit auf sie, zu vollziehen« (Weber, 1908, S.740).

Thematisiert wird auch die vorberufliche Sozialisation. Weber spricht von »Vorübung« (Weber, 1908, S.751), die nach seiner Ansicht einen entscheidenden Einfluss auf die Entwicklung von Fähigkeiten hat. Stärker als Kraepelin thematisiert Weber emotionale und motivationale Bedingungen »des psychischen Sichverhaltens zu der geforderten Arbeitsleistung« (Weber, 1908, S.736), die als Arbeitsfreude, Stimmung, subjektive Müdigkeit bezeichnet werden und die Leistungsfähigkeit keineswegs unberührt lassen. Eine Möglichkeit zum Abbau subjektiver Müdigkeitsempfindungen, zur Erhöhung des Arbeitsinteresses und damit der Leistungssteigerung, sieht Weber in einem Arbeitswechsel bzw. der »Einschaltung andersartiger Arbeiten«.

Insgesamt bieten Webers Arbeiten grundsätzliche Anregungen, die damaligen physiologischen und experimentalpsychologischen Erkenntnisse (bspw. aus Kraepelins Untersuchungen) auf industrielle Arbeit zu übertragen.

Psychotechnische Trainingsgestaltung

In der von Münsterberg (1912) eingeleiteten psychotechnischen Phase der Arbeitspsychologie spielt die Rationalisierung von Ausbildungs- und Anlernverfahren eine entscheidende Rolle. So stehen lern- und trainingsrelevante Fragestellungen bei Münsterberg (1912) unter dem Oberziel der »Gewinnung bestmöglicher Leistung« (S.86). Eine Meinung, der sich im übrigen auch Kraepelin (1925) anschloss.

Ausgelöst von der Kritik an der Handfertigkeitsschulung bei der Lehrlingsarbeit war Münsterberg auf der Suche nach »der ökonomischsten Art des Erlernens bei praktischen Tätigkeiten« (Münsterberg, 1912, S.88). Als »psychische Hilfsmittel« sollen »Einüben und Lernen« die Leistungen »qualitativ verbessern und quantitativ steigern« (Münsterberg, 1912, S.22). Bezug nehmend auf die Experimente der Lernpsychologie soll die Wirtschaftspsychologie »gesicherte Erkenntnisse darüber gewinnen, in welcher Weise eine neuzuerlernende Bewegungsgruppe am besten eingeübt werden kann, welcher Wert den Wiederholungen und den Pausen, den Nachahmungen und den Bewegungskombinationen, den Teilübungen und dem Rhythmus der Arbeit und vielen ähnlichen Umständen beim Erlernen zukommt (...). Es ist in der Tat die psychomotorische Seite des Prozesses, die unser Interesse erheischt (...)« (S.90 f.).

In Laboratorien wurde mittels Ergographen das Wachsen oder Abnehmen der psychomotorischen Impulse verfolgt, die Einflüsse auf die Genauigkeit und Zuverlässigkeit der Bewegungen ermittelt und die Übung besonderer Bewegungsgruppen in den Vordergrund gestellt. An beispielhaften Experimentaluntersuchungen nennt Münsterberg die amerikanischen Studien zum Erlernen des Telegraphierens und des Schreibmaschineschreibens.

Im Bereich der industriellen Berufsausbildung findet eine zunehmende Zusammenarbeit mit den Betriebspraktikern statt. Begründet lag dies vor allem in der sich rasch vollziehenden Industrialisierung und den komplizierter werdenden Produktionsabläufen, die die Anforderungen an den Arbeiter in zunehmendem Maße veränderten. Die vorwiegend noch handwerksmäßig ausgebildeten Arbeitskräfte sollten durch eine systematische Ausbildung zu industriekonformem Arbeiten und Verhalten hingeführt werden. Die Industrie (insbesondere der Maschinenbau) hielt die öffentlichen beruflichen Fortbildungsschulen für ineffizient und gründete eigene Lehrwerkstätten und Werkberufsschulen.

Die Lehrlingsausbildung auf psychotechnischer Grundlage sah nach Friedrich (1922) vor, dass eine bestimmte Arbeit in mehr oder weniger elementare Tätigkeiten zerlegt wird. Zur Übung der einzelnen Tätigkeiten konstruierte Friedrich jeweils Übungsapparate (Simulationen), die der auszuführenden, tatsächlichen Tätigkeit möglichst vollständig entsprachen. Mit dieser Methode wurde die Dauer der Lehre um die Hälfte verringert.

Ähnliche Ergebnisse zeigten sich auch bei Tramm (1919) bei der Ausbildung von Straßenbahnfahrern, wobei zusätzlich die Unfälle auf dem Berliner Straßenbahnnetz um 65 % abnahmen. Bei diesen Anlerngeräten bzw. Übungen, ähnlich militärischen

Infobox 1.5: Rangierprobe nach Rupp (1944)

Rangierprobe nach Rupp (1944)

Auf drei Gleisen stehen in unregelmäßiger Folge die Waggons a, b, c, usw. Sie sollen von der Lokomotive L so zu einem Zug geordnet werden, dass erst alle a, dann alle b usw. hinter der Lokomotive zum Stehen kommen. Wie kann dies mit möglichst wenig Fahrten erreicht werden?

Exerzierens, handelt es sich im Grunde nur um ein Koordinationstraining der motorischen Funktionen als Vorstufe eigentlicher Arbeitsbeherrschung. Gleichwohl wurde der »Drill« zu dieser Zeit und bis ca. 1950 explizit als ein »wichtiger psychologischer Faktor, der als Lehrmittel nicht vernachlässigt werden darf« (Billon, 1949, S.174) angesehen.

Den Aspekt der »Anlernung und Schulung« thematisiert Giese (1927) in seinem umfassenden Werk »Wirtschaftspsychologie«. Anlernmaßnahmen haben die Aufgabe, »die Auserlesenen und die verteilten Arbeitskräfte psychologisch zweckmäßig auf ihre Berufstätigkeit einzuspielen« (S.123). Dazu wird eindeutig die Unterordnung psychologischen Handelns unter die Maximen Rationalisierung und Utilitarismus gefordert.

Giese diskutiert vier grundsätzliche Möglichkeiten des betrieblichen Anlernens und Schulens: »1. die rezeptive oder die aktive Schulung; 2. die konkrete oder abstrakte Schulung; 3. das analytische und synthetische Lernen; 4. die Teil- oder Ganzlernmethodik« (Giese, 1927, S.295). Darüber hinaus kommen bei der Unterweisung »psychologische Sonderfragen in Anwendung« (Giese, 1927, S.330), wie organisatorische Maßnahmen einer Betriebsschulung und die Ausarbeitung didaktischer Behelfsmittel (Systematisierung von Lehrgängen, Arbeitsfolgelogik usw.).

Ausgehend von der Notwendigkeit, das Gebiet der Berufsausbildung »psychologisch und pädagogisch aufzulockern« und dafür einen Fachpsychologen einzusetzen (S.219) formuliert Rupp (1944) eine Reihe interessanter Aspekte zur Übung, der er im Gegensatz zur »Ernstarbeit« den Vorzug einräumt. Hier sind deutlich Elemente der aktuellen Handlungsregulationstheorie, wie beispielsweise die hierarchisch-sequentielle Organisation der Handlung, festzustellen (vgl. Abschnitt 2.2.1): Eine Übung ist nur dann effektiv, wenn ein »innerer Zielaufbau« zu Grunde gelegt wird. Dazu muss zunächst ein Gesamtziel vorgegeben werden, das sich in eine Reihe kleinerer Teil- bzw. Unterziele aufgliedert. Die Unterziele sind in ihrer Reihenfolge auf einem ansteigenden Anforderungsniveau zu formulieren.

»Eine verständnisvolle Ausbildung muss auf diese inneren Vorgänge Rücksicht nehmen (...). Der Lernende soll dabei selbst Überblick haben, um zu wissen, wo er steht, und um wieder neue Antriebe zu erhalten« (Rupp, 1944, S.225). Rupp hebt in diesem Zusammenhang hervor, die Übung so anzulegen, dass sie dem Übenden selbst eine klare Kontrolle für das Fortschreiten gibt. Er umschreibt dies mit dem Begriff »Selbstkontrolle«. »Jedes bewusste Tun ist ein Zustreben auf ein Ziel. Wenn nun der Mensch sieht, dass er dem Ziele näher kommt, so ist das Tun für ihn sinnvoll, und er hat Kraft, er freut sich über jeden Fortschritt und gewinnt Mut für das weitere Tun« (Rupp, 1944, S.223). In seinen Vorschlägen für eine effiziente Übungsgestaltung weist Rupp auf Maßnahmen hin, die ein rationelleres Vorgehen bei der Aufgabenbewältigung sowie Organisations- und Dispositionsfähigkeiten ausbilden sollen. Als brauchbar und variierbar führt er die Rangierprobe an (vgl. Infobox 1.5): Eine Aufgabenstellung, die in ähnlicher Weise, aber komplexer, auch bei den später noch zu thematisierenden kognitiven Trainingsverfahren verwendet wird.

1.3.3 Kompetenzentwicklung durch Training und Arbeitsgestaltung

Die in der Psychotechnik meist einseitig ökonomisch ausgerichtete Rationalisierung in der Fertigkeitsschulung und eine »allumfassende Persönlichkeitsentwicklung« nach industriellen Vorstellungen veranlasste Arbeitspsychologen in den 1950er Jahren zu der Forderung, einen stärkeren Bezug zu unabhängiger experimenteller Forschung und zur Lernpsychologie herzustellen (vgl. Walther, 1950; Rüssel, 1961).

Realisiert wurde dies erst Mitte der 1960er Jahre durch Forschungsarbeiten zum sensumotorischen Lernen (vgl. beispielsweise Ulich, 1964; Volpert, 1971). Erst ab diesem Zeitpunkt kann von einer theoretisch begründeten, experimentell überprüften Methodenentwicklung arbeitsorientierten Lernens gesprochen werden, die sich in den Folgejahren auch auf das Training kognitiv anspruchsvoller und komplexer Arbeitstätigkeiten bezog (Hacker & Skell, 1993; Sonntag, 1989, 1990). Methodenkritische Studien zur Lernbedarfsanalyse (als Kombination von Anforderungs- und Wissensanalyse, vgl. Schaper & Sonntag, 1995) und robuste Evaluationsdesigns unterstützten dabei die Überprüfung der Wirksamkeit arbeitsbezogenen Lernens.

Eine Monographie zum arbeitsbezogenen Lernen legte Schaper (2000) vor, wobei arbeitspsychologische und instruktionspsychologische Ansätze für industrielle Anwendungsfelder erprobt wurden. Gegenstand mehrerer Einzeluntersuchungen war die theoriegeleitete Gestaltung von Arbeits- und Lernumgebungen, um arbeitsbezogene Lernprozesse gezielt zu fördern und selbstorganisiertes Handeln zu unterstützen.

Neben der Erprobung von Trainingsverfahren als ein Mittel der Veränderung und Weiterentwicklung beruflicher Handlungskompetenz sind die Ende der 1970er Jahre begonnenen, mehrjährigen Forschungsaktivitäten einer theoretischen und empirischen Annäherung der »arbeitsimmanenten Qualifizierung« und Kompetenzentwicklung durch Arbeitsgestaltung zu nennen.

Insbesondere die Forschungsgruppe um Frei und Baitsch (vgl. Frei, Duell & Baitsch, 1984) entwickelte einerseits ein theoretisches Modell, wie sich Prozesse der Kompetenzentwicklung durch die aktive Auseinandersetzung mit Veränderungen der eigenen Arbeitstätigkeit vollziehen. Andererseits konzipierten und erprobten sie einen »Leitfaden zur arbeitsimmanenten Qualifizierung«, der ein umfangreiches Methodeninventar und ein verallgemeinertes Vorgehensmodell zur Gestaltung solcher Lernprozesse bereitstellt (vgl. Frei, Duell & Baitsch, 1984). Kompetenzentwicklung wird somit durch die aktive Nutzung von Lern- und Entwicklungspotenzialen in der Arbeitstätigkeit gefördert. Andere Untersuchungen haben darüber hinaus nachgewiesen, dass nicht nur die Veränderung und Mitgestaltung solcher Potenziale bei der Arbeit förderlich für die eigene Entwicklung sind. Schon die Bereitstellung lernförderlich gestalteter Arbeitsaufgaben und -bedingungen führt zu einer positiveren Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung (vgl. Bergmann, 1999; Franke & Kleinschmitt, 1987; Kohn & Schooler, 1982).

So konnten beispielsweise Franke und Kleinschmitt (1987) die kompetenzförderliche Wirkung einer Reihe von Arbeitsmerkmalen im Rahmen der arbeitsplatzgebundenen Ausbildung wie Problemhaltigkeit, Handlungsspielraum und Variabilität der Tätigkeiten nachweisen. Bergmann (1999) weist in diesem Zusammenhang einerseits auf die Lernförderlichkeit »vollständiger Tätigkeiten« hin, also Tätigkeiten bzw. Aufgaben, die das selbständige Setzen von Zielen sowie Planen, Ausführen und Kontrollieren des Handelns beinhalten. Anderseits betont sie auch die Bedeutung lernförderlicher Rahmenbedingungen der Arbeit in Form von partizipativen Führungsformen, ausreichenden Kommunikations- und Kooperationsmöglichkeiten sowie dem Lernklima. Diese Untersuchungen und Konzepte zur arbeitsimmanenten Qualifizierung zeigen, dass auch die Gestaltung der Arbeitsanforderungen und Arbeitsbedingungen sowie des organisationalen Umfelds eine wichtige Bedeutung im Rahmen arbeitsbezogenen Lernens haben.

Im angloamerikanischen Sprachraum wurde die Verbindung von Lernen und Arbeit zunächst wenig thematisiert. Peripher behandelt wurden Aspekte arbeitsbezogenen Lernens allenfalls in den klassischen Standardwerken der Trainingsforschung (vgl. Goldstein, 1986; Goldstein & Ford, 2002) im Zusammenhang mit der Bedarfsermittlung oder Trainingsmotivation. Erst ein Artikel von Hesketh (1997) mit dem Titel »Dilemmas in training for transfer and retention« wies auf die Notwendigkeit eines stärkeren Anforderungsbezugs bei beruflichen Lernprozessen hin, um so einen besseren Transfer zu erreichen. Vor diesem Hintergrund werden in einer Überblicksarbeit von Sonnentag, Niessen und Ohly (2004) neuere Ansätze des formalen und informalen Trainings im Kontext der Arbeit hinterfragt.

Verstärktes Interesse wird auch der unterstützenden Wirkung von Organisationsfaktoren bei arbeitsbezogenem Lernen oder Lernstrategien am Arbeitsplatz (»workplace learning«) entgegengebracht (vgl. Holman, Epitropaki & Fernie, 2001; Smith, 2003).

1.4 Aufbau und Themen des Lehrbuchs

Die bisherigen Ausführungen zeigen auf der einen Seite die zunehmende Bedeutung eines Lernens, dessen charakteristische Merkmale im Arbeitskontext zu finden sind und in dieser Intention für die Organisationsmitglieder leistungs- und erfolgskritische Voraussetzungen darstellen. Andererseits ist eine systematische Aufarbeitung von Forschungs- und Gestaltungsarbeiten zu diesem Thema noch nicht geleistet.

Ziel dieses Buches ist es deshalb, Theorien, Modelle und Methoden darzustellen und zu diskutieren, die einen Beitrag zur Erklärung, Beschreibung und zu einem besseren Verständnis von Lernprozessen, Gestaltungsmöglichkeiten sowie Wirkmechanismen bei arbeitsorientiertem Lernen in seiner strukturalen Form (arbeitsintegriertes Lernen) und instruktionalen Form (arbeitsbezogenes Lernen) liefern. Eine umfassende, aktuelle Befunddarstellung soll den »state of the art« des Lernens im Arbeitskontext widerspiegeln. Hierfür wird die in Abbildung 1.4 dargestellte thematische Struktur zu Grunde gelegt, die in den nachfolgenden Kapiteln bearbeitet wird.

Abb. 1.4: Aufbau und thematische Struktur des Lehrbuchs

Die aus vier Teildisziplinen der angewandten Psychologie ausgewählten Theorien werden in Kapitel 2 beschrieben:

Arbeitspsychologische Theorien

: Die hier zusammengefassten Ansätze konzentrieren sich insbesondere auf die Frage, welche Merkmale der Arbeit

bzw.

der Arbeitsaufgabe Lernprozesse ermöglichen. Lernen wird als eine Form der Auseinandersetzung der Beschäftigten mit realen Arbeitsaufgaben gesehen.

Instruktionspsychologische Theorien

: Hierbei geht es um Ansätze, die insbesondere den Anwendungsbezug, die Problemorientierung, die soziale Einbindung und die Selbststeuerung von Lernen thematisieren. Im Zentrum des Lernens stehen situierte und authentische Lernaufgaben

bzw.

das Modellverhalten von Experten einer Domäne.

Personalpsychologische Theorien

: Diese Theorien stellen den selbstverantwortlichen Beschäftigten in den Mittelpunkt, der seine Kompetenzen kontinuierlich entwickelt und sich bemüht, die Arbeit aktiv zu gestalten und zu optimieren, um seine Beschäftigungsfähigkeit und Karrierechancen zu erhöhen.

Organisationspsychologische Ansätze

: In diesen Ansätzen wird insbesondere die Rolle der sozialen und kulturellen Umwelt für Lern- und Entwicklungsprozesse betont. Leitender Gedanke hierbei ist es, dass Beschäftigte sich bemühen, eine Passung von Anforderungen der Organisation und personalen Voraussetzungen zu erhalten

bzw.

zu entwickeln.

In Kapitel 3 und 4 werden interventionsorientierte Ansätze und Methoden vorgestellt, die Hinweise geben, wie arbeitsintegriertes bzw. arbeitsbezogenes Lernen konkret gestaltet werden können. Für das arbeitsintegrierte Lernen sind hier Arbeitsstrukturierung, die Gestaltung von Einarbeitungs- und Sozialisationsprozessen sowie beratungs- und erfahrungsorientierte Ansätze (z.B: cognitive apprenticeship, mentoring) von Bedeutung. Für das arbeitsbezogene Lernen werden verschiedene Trainingsansätze vorgestellt. Schwerpunkte hierbei sind:

die Vermittlung und der Aufbau expertenähnlicher Wissensstrukturen (z. B. kognitive Trainings);

die Vermittlung konkreter Verhaltensweisen durch entsprechende Verhaltensmodelle

(behavior modeling)

;

die Simulation von Arbeitsaufgaben und Arbeitskontexten mit Hilfe von Computern oder

full-scale

Simulatoren (z. B. computergestützte und simulationsbasierte Ansätze);

die Verbesserung der Selbststeuerungskompetenz von Beschäftigten für eine bessere Bewältigung von Wandel und damit einhergehenden Beanspruchungen (z. B. Trainings für individuelle Bewältigungsstrategien).

Sowohl für arbeitsintegriertes als auch arbeitsbezogenes Lernen werden konkrete Gestaltungsprinzipien (bezogen auf Lernprozess, Lernaufgabe, Lerngegenstand, instruktionale Unterstützung) herausgearbeitet und Rahmenbedingungen (personale und situationale Faktoren) diskutiert.

Kapitel 5 führt aktuelle und erprobte Instrumente und Verfahren zur Analyse, Gestaltung und Evaluation arbeitsorientierten Lernens auf. Sie dienen der Identifikation und Beschreibung von:

Lernpotenzialen und Anforderungen in der Arbeit

, wie beispielsweise das Tätigkeitsbewertungssystem, der Leitfaden zur qualitativen Personalplanung oder kombinierte Verfahrenseinsätze aus Aufgaben-, Anforderungs- oder Wissensanalysen;

Organisationalen Merkmalen

, wie Organisationsdiagnosen oder das Lernkulturinventar;

Personalen Merkmalen und Kompetenzen

, wie innovative Ansätze der Kompetenzmodellierung (Erstellung von Kompetenzprofilen auf der Grundlage von Aufgaben- und Anforderungsanalyse) und Kompetenzmessung (mittels objektiver und subjektiver Zugänge).

In Kapitel 6 werden auf der Grundlage vorangegangener theoretischer Modelle und Verfahren konkrete Maßnahmen zur Gestaltung arbeitsorientierten Lernens dargestellt. Die Umsetzungsbeispiele beziehen sich auf Lösungen für den Unternehmensbereich (Entwicklung und Erprobung eines computergestützten Trainings sowie eines behavior modeling Ansatzes; Gestaltung einer arbeitsintegrierten Lernumgebung) und den Hochschulbereich (Simulation in der Medizinausbildung; Projektseminare im Psychologiestudium).

2 Theorien und Modelle zur Integration von Arbeit und Lernen

2.1 Theoretische Zugänge zu Aspekten arbeitsorientierten Lernens

2.2 Arbeitspsychologische Zugänge

2.2.1 Lernen durch Bewältigung von Arbeitsanforderungen

2.2.2 Arbeitsimmanentes Lernen

2.3 Instruktionspsychologische Zugänge

2.3.1 Situiertes und problemorientiertes Lernen

2.3.2 Beobachtungslernen

2.3.3 Selbstgesteuertes Lernen

2.4 Personalpsychologische Zugänge

2.4.1 Karrierebezogenes kontinuierliches Lernen

2.4.2 Karrierebezogenes Selbstmanagement

2.4.3 Job crafting

2.4.4 Taking charge

2.5 Organisationspsychologische Zugänge

2.5.1 Anpassung bei der Arbeit

2.5.2 Organisationale Sozialisation

2.1 Theoretische Zugänge zu Aspekten arbeitsorientierten Lernens

Wie im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, findet arbeitsorientiertes Lernen sowohl direkt in Arbeitsprozessen als arbeitsintegriertes Lernen als auch in speziell gestalteten Lernumgebungen als arbeitsbezogenes Lernen statt. Diese breite inhaltliche Auslegung macht deutlich, dass es die Theorie zur Erklärung und Beschreibung arbeitsorientierten Lernens nicht geben kann. Vielfältige theoretische Ansätze aus unterschiedlichen Disziplinen der Psychologie können herangezogen werden, um das Verständnis von Lernprozessen, sowohl arbeitsintegrierten als auch arbeitsbezogenen, in Organisationen zu verbessern. Theoretische Modelle der Instruktionspsychologie sowie arbeits-, personal- und organisationspsychologische Konzepte liefern Ansatzpunkte zur Erklärung und Beschreibung arbeitsorientierten Lernens (vgl. Tab. 2.1).

Die in der Tabelle aufgeführten Konzepte unterscheiden sich in ihren Akzentuierungen, hinsichtlich der Auslösung und Intention des Lernens, der Lerninhalte und Lernergebnisse sowie modellierter lernrelevanter Prozesse und Strukturen im Arbeitskontext.

Werden Fragen nach Auslösern bzw. der Intention von Lernprozessen in Organisationen gestellt, so finden sich als Kriterien die Verbesserung der Arbeitsleistung (z. B. arbeitsimmanentes Lernen), die Anpassung an veränderte Anforderungen der Arbeit (z. B. Anpassung bei der Arbeit), das Eröffnen von Karriereperspektiven (z. B. karrierebezogenes kontinuierliches Lernen, karrierebezogenes Selbstmanagement), die Umsetzung arbeitsbezogener Verbesserungen (z. B. taking charge) oder die Entwicklung der beruflichen Identität (z. B. job crafting oder organisationale Sozialisation). Aus der Perspektive der eigentlichen Lerninhalte oder Lernergebnisse zeigen sich deutliche Unterschiede in den Schwerpunktsetzungen der verschiedenen Theorien. Die betrachteten Ergebnisse reichen von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten (situiertes Lernen, Beobachtungslernen), über Einstellungen, Motive und Werte (arbeitsimmanentes Lernen, Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen) bis hin zur beruflichen Identität (job crafting, organisationale Sozialisation).

Tab. 2.1: Auswahl theoretischer Konzepte zu Aspekten arbeitsorientierten Lernens

Ansatz

Lernrelevante Prozesse und Strukturen

Lernergebnis/Lernintention

Arbeitspsychologische Theorien

Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen

(Hacker, 2005; Volpert, 1985)

Sensibilisierung der Sinnessysteme, Psychische Automatisierung, Verbalisierung, Intellektuelle Durchdringung

Ausdifferenzierte psychische Regulationsgrundlagen

Arbeitsimmanentes Lernen

(Baitsch, 1998; Bergmann, 1996; Frei, Duell & Baitsch, 1984)

Auseinandersetzung mit Arbeitsaufgabe, Technik und sozialem Umfeld

Fähigkeiten, Fertigkeiten, Kenntnisse, Einstellungen, Werte (= Kompetenzen)

Instruktionspsychologische Theorien

Situiertes und problemorientiertes Lernen

(Reinmann-Rothmeier & Mandl, 2001)

Lernen als aktiver, selbstgesteuerter, konstruktiver und sozial verankerter Prozess

Transferfähiges Wissen Teilhabe an einer Expertengemeinschaft

Beobachtungslernen

(Bandura, 1977)

Aufmerksamkeitsprozesse, Behaltensprozesse, motorische Reproduktionsprozesse, Motivationsprozesse

Aneignung und Ausführung von Modellverhalten

Selbstgesteuertes Lernen

(Friedrich & Mandl, 1997; Schiefele & Pekrun, 1996)

Strukturelle und prozessuale motivationale und kognitive Komponenten

Wissen, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen

Personalpsychologische Theorien

Karrierebezogeneskontinuierliches Lernen

(London & Smither, 1999)

Lernvorbereitung, Lernphase, Anwendungsphase

Karriererelevante Kompetenzen

Eröffnen von Karriereperspektiven

KarrierebezogenesSelbstmanagement

(Kossek, Roberts, Fisher & DeMarr, 1998)

Einholen von entwicklungsorientiertem Feedback

Vorbereitung auf Karrieremöglichkeiten

Aktives Gestalten der eigenen Karriere

Verbesserte Beschäftigungschancen

Job crafting

(Wrzesniewski & Dutton, 2001)

Veränderung aufgabenbezogener, kognitiver und sozialer

Grenzen der Arbeit

Verändertes job design

Entwicklung beruflicher

Identität

Taking charge

(Wolfe, Morrison & Phelps, 1999)

Veränderung von Aufgaben, Prozessen, Strukturen und Rollendefinition

Implementation von arbeitsbezogenen Verbesserungen

Organisationspsychologische Theorien

Anpassung bei der Arbeit

(Chan, 2000a, b)

Adaptive Expertise

Flexible Situations-Verhaltens-Kombinationen

Lernzielorientierung

Erfolgreiche Anpassung an veränderte Arbeitsanforderungen

Organisationale Sozialisation

(Heinz, 1998; Moser, 2004)

Fremd- und Selbstselektion Auseinandersetzung mit sozialer und kultureller Umwelt

Normen, Werte, Identität

Auch in der Charakterisierung der lernrelevanten Prozesse und Strukturen zeigen sich verschiedenartige Zugangsweisen der Konzepte. In einigen Ansätzen werden konkrete lernrelevante Verhaltensweisen von Lernenden benannt (karrierebezogenes kontinuierliches Lernen, job crafting oder karrierebezogenes Selbstmanagement), andere Ansätze konzentrieren sich eher auf grundlegendere Prozesse der Informationsverarbeitung (Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen) bzw. auf motivationale Prozesse und Strukturen (Beobachtungslernen, selbstgesteuertes Lernen).

Betrachtet man die verschiedenen Theorien im Vergleich, so fällt auf, dass sowohl im Grad der Elaboration als auch in der Anwendungsbreite deutliche Unterschiede bestehen. So zählen beispielsweise die Theorie des Beobachtungslernens oder die Handlungsregulationstheorie zu den hoch elaborierten Ansätzen. Dagegen haben Ansätze wie job crafting oder taking charge den Charakter von Modellbildungen. Eine hohe Anwendungsbreite besitzen die Ansätze zum situierten und problemorientierten Lernen. Theorien zum situierten oder problemorientierten Lernen können beispielsweise als Meta-Theorien begriffen werden, denen sich Detail-Theorien wie das Beobachtungslernen unterordnen lassen.

2.2 Arbeitspsychologische Zugänge

Nachfolgend werden Ansätze und Theorien dargestellt und diskutiert, die das Phänomen arbeitsorientiertes Lernen aus einer stark arbeitspsychologisch geprägten Sichtweise beleuchten. Kerngedanke hierbei ist es, dass die Auseinandersetzung mit der Arbeitssituation und vor allem der Arbeitsaufgabe selbst Chancen für arbeitsorientiertes Lernen bietet. Arbeitspsychologische Theorien befassen sich in diesem Zusammenhang insbesondere mit den Veränderungen der psychischen Regulationsgrundlagen durch arbeitsorientiertes Lernen. Den Ansätzen ist ein handlungsorientierter Zugang gemeinsam, demzufolge Menschen bemüht sind, sich zielgerichtet mit ihrer Umwelt auseinanderzusetzen.

2.2.1 Lernen durch Bewältigung von Arbeitsanforderungen

Nachfolgend wird die Bewältigung von Arbeitsanforderungen unter der Perspektive zielgerichteten Handelns sowie aus dem Blickwinkel der Ausdifferenzierung von Regulationsgrundlagen betrachtet.

Grundannahmen und theoretische Position

Lernen als zielgerichtete Handlung

Wie der Mensch sich denkend und planend mit seiner Umwelt auseinandersetzt, zielgerichtet und aktiv handelnd Umgebungsbedingungen gestaltet und somit seine Persönlichkeit weiterentwickelt, sind zentrale Positionen der Handlungsregulationstheorie. Einer Theorie, die von ihrem Anspruch her versucht, die Trennung zwischen Denken und Handeln zu überwinden und in der Arbeits- und Organisationspsychologie verbreitet ist (vgl. Hacker, 2005; Volpert, 1987).

Aus der Perspektive der Handlungsregulationstheorie ist der Startpunkt für Lernprozesse die praktische Handlung, die als Einheit von Wahrnehmung, gedanklicher Verarbeitung und motorischer Verrichtung verstanden wird (Hacker, 2005). Handlungstheoretisch fundierte Lernansätze gehen davon aus, dass Lernen als ein zielgerichteter Prozess aufzufassen ist, bei dem die angestrebten Ergebnisse des Handelns vom Lernenden antizipiert werden, um auf der Grundlage dieser Zielvorstellungen das Lernen zu steuern und zu kontrollieren.

Handlungsorientiertes Lernen in diesem Sinne läuft phasenweise ab. Erst wenn alle Phasen (1 bis 5) berücksichtigt sind, kann von einer vollständigen Handlung gesprochen werden. Die einzelnen Phasen lassen sich wie folgt beschreiben:

Zielbildung/Orientierung; Bildung von Handlungsabsichten/Motiven

Handlungsplanung; Entwicklung von Handlungsalternativen, Hypothesengenerierung und -überprüfung

Handlungsvollzug; Durchführung/Realisierung der Handlung

Handlungskontrolle; Bewertung des Handlungsergebnisses

Reflexion; begleitende Reflexion in den Handlungsphasen oder abschließende Reflexion der Handlungsergebnisse.

Werden diese Merkmale und Phasen zielgerichteten Handelns nicht oder unvollständig eingehalten (partialisierte Handlungen), ergeben sich Fehlverhaltensweisen.

Das Verständnis von menschlichen Aktivitäten als zielgerichtete Handlung wird durch das Konzept des »Plans« möglich. Ein Plan als eine das Handeln bestimmende Größe besteht aus dem Wissen, das der Organismus über sich selbst und seine Umwelt im Zeitablauf gesammelt hat (die Umwelt ist mental repräsentiert). Durch Rückkoppelungsmechanismen, in denen die jeweilige Zielerreichung überprüft wird, werden die Vorgänge während der Handlungsvorbereitung, -durchführung und -kontrolle reguliert. Damit können Handlungen in der richtigen Reihenfolge ausgeführt werden.

Bei den Zielen, die ein Mitarbeiter bei der Arbeit verfolgt, darf nicht übersehen werden, dass diese Ziele wiederum Teilziele innerhalb einer größeren Planung für die weitere berufliche Entwicklung darstellen und dass die berufliche Entwicklung ihrerseits in eine übergreifende Lebensplanung eingebunden ist. Diesen Gedanken haben besonders die Handlungs- und Tätigkeitstheorie mit ihren Annahmen zu hierarchisch organisierten Zielketten herausgearbeitet. Gerade für Arbeitnehmer in flexibilisierten Beschäftigungsverhältnissen, wie beispielsweise Zeitarbeitnehmer, die nur für eine begrenzte Zeit spezifische Aufgaben in einem Unternehmen übernehmen, ist es schwierig, Ziele bezogen auf die aktuelle Aufgabe mit einer übergreifenden, längerfristigen Zielperspektive zu verbinden. Umso schwieriger ist es daher für diese Gruppen, die notwendige Motivation für selbst gesteuerte Lernprozesse bei der Arbeit aufzubauen. Hacker (2005) hat deutlich herausgearbeitet, dass die Entwicklung von Wissen und Können im Arbeitsprozess auch davon abhängt, dass Personen ihre Arbeit selbst lernförderlich gestalten, und so durch die Gestaltung von Bedingungen, die sie prägen, ihre Selbstveränderung in Gang setzen. Die Gestaltung der eigenen Aufgabe wird somit zum Instrument der individuellen Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung.

Lernen durch Ausdifferenzierung von Regulationsebenen

Hacker (2005) unterscheidet drei Ebenen, auf denen Handlungen reguliert werden. Auf der sensumotorischen Ebene werden vor allem Bewegungsprogramme gesteuert. Die perzeptiv-begriffliche Ebene ist für die Regulation von Routinehandlungen in bekannten Situationen verantwortlich, während auf der intellektuellen Ebene die Entwicklung neuer Vorgehensweisen und die Planung und Kontrolle von komplexen Handlungen gesteuert werden.

Der Aufbau von Handlungskompetenzen geschieht durch die Ausdifferenzierung dieser Regulationsebenen. Nach einem allgemeinen Modell des »Handeln-Lernens« von Volpert (1985) bilden sich auf der sensumotorischen und perzeptiv-begrifflichen Handlungsebene vielseitig kombinierbare Teilhandlungen oder Bewegungsprogramme aus, die auf der intellektuellen Ebene durch Strategien und Heuristiken koordiniert werden. Lernen vollzieht sich somit als Entfaltung und Komplexerwerden ganzheitlicher Zusammenhänge. Im zeitlichen Verlauf bewirkt dies ein persönliches Handeln, das über eine zunehmende Eigenständigkeit (Selbstregulation) bis hin zur »Meisterschaft« (Expertise) zu charakterisieren ist. Grundlage solch entwickelter Handlungskompetenzen sind operative Abbildsysteme, die aufgabenspezifisches Wissen über die Ausgangsbedingungen, Zielzustände und Wege des Handelns beinhalten, und die je nach Regulationsebene unterschiedliche Inhalte und Kodierungsformen aufweisen können (vgl. Hacker, 2005). Ausgehend von drei Kernannahmen kann beschrieben werden, wie sich die psychische Regulation durch Arbeitstätigkeiten verändert.

Der erste Grundgedanke hierbei ist, dass sich psychische Regulationsgrundlagen, also psychische Prozesse und Repräsentationen, in den Tätigkeiten entwickeln, für deren Regulation sie erforderlich sind. Diese verhaltensregulierenden Elemente fasst Hacker (2005) im Begriff der Leistungsvoraussetzungen zusammen, die sowohl die Voraussetzung für die Regulation von Tätigkeiten sind, sich aber gleichzeitig auch durch das Ausführen von Arbeitstätigkeiten verändern.

Die Veränderung der Leistungsvoraussetzungen wird im zweiten Grundgedanken thematisiert, wonach Art und Umfang der Veränderungen von Leistungsvoraussetzungen vom Verhältnis der Anforderungen der Arbeit zu den vorhandenen Leistungsvoraussetzungen abhängen. Übersteigen die Anforderungen die aktuellen Leistungsvoraussetzungen, so entstehen Lernerfordernisse und Entwicklungschancen. Sind die relativen Anforderungen hingegen zu gering, können Verlernen, Langeweile und Müdigkeit die Folge sein. Es ist demnach das Anforderungs-Leistungsvoraussetzungen-Verhältnis (Hacker, 2005), das als Prädiktor für Lernprozesse geeignet ist.

Die Frage der zeitlichen Stabilität der Veränderung von Leistungsvoraussetzungen wird im dritten Grundgedanken behandelt, demzufolge die Veränderungen vorübergehend und somit kurzfristig oder langfristig und habitueller Natur sein können. Beispiele für kurzfristige Effekte sind Veränderungen der Anstrengung im Sinne von Aktivierungs- bzw. Deaktivierungsvorgängen. Längerfristige Veränderungen betreffen die Modifikationen von Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Einstellungen, Werten und Arbeitshaltungen.

Über diese stärker allgemein geprägten Charakterisierungen der Veränderungen der Regulationsgrundlagen durch die Arbeitstätigkeit hinaus, formuliert Hacker (2005) vier typische Beispiele für die Bewältigung von Anforderungen der Arbeit, die sich in erster Linie auf den Bereich produktionsbezogener Arbeitstätigkeiten anwenden lassen (vgl. Abb. 2.1).

Sensibilisierung von Sinnessystemen: Hierbei kommt es zu Differenzierungen bei der Wahrnehmung und Beurteilung von Signalreizen. Häufig treten hierbei Kontrastierungseffekte auf, d. h. die erhöhte Sensibilität für eine Reizklasse geht mit der Abnahme der Empfindlichkeit für andere Reize einher.

Abb. 2.1: Veränderung psychischer Regulationsgrundlagen bei der Bewältigung von Arbeitsanforderungen

Psychische Automatisierung: Die psychische Automatisierung meint die Veränderungen der Bewusstseins- bzw. Aufmerksamkeitspflichtigkeit von Teiltätigkeiten im Sinne einer Reduzierung bewusst erforderlicher Kontrolle. Automatisierung kann sich auf alle Aspekte der psychischen Regulation vom Orientieren, Entwerfen und Entscheiden bis hin zum Ausführen beziehen. Die Anforderungen an Denken und Entscheiden werden durch die psychische Automatisierung reduziert, da beim Auftreten eines Signals mit diesem verknüpfte Programme aus dem Langzeitgedächtnis abgerufen werden können. Hierdurch kommt es zur Entwicklung kognitiver Fertigkeiten, die Ressourcenbelastungen höherer Regulationsebenen reduzieren. Hacker (2005) weist jedoch darauf hin, dass abnehmende Bewusstheit und fehlende Kontrolle auch zu unvorteilhaften »Verfestigungen« führen können. Verändern sich Anforderungen, erschweren verfestigte Fertigkeiten eine notwendige Anpassung der Ausführungsweise und ziehen so mögliche Fehlhandlungen nach sich.

Verbalisierung: Die Verbalisierung als inneres oder lautes Sprechen erlaubt ein tieferes Verstehen und wirkt der automatisierungsbedingten »Verarmung« des Bewusstseins entgegen (Hacker, 1998). Die sprachliche Benennung von Ereignissen, Situationen und Handlungsweisen unterstützt insbesondere die Wahrnehmung und das Erinnern von arbeitsrelevanten Sachverhalten. Je weniger ein Mitarbeiter über Begriffe verfügt, um Elemente seiner Arbeitsumgebung zu benennen, desto größer ist die für ihn zu verarbeitende Komplexität, d. h. es fällt dem Mitarbeiter schwerer zu entscheiden, welche Dinge wichtig sind und seine Aufmerksamkeit verdienen, und womit er sich nicht weiter befassen muss. Außerdem können durch die Sprache Situationen und Handlungen gedanklich vorweggenommen werden, so dass die Sprache zu einem wesentlichen Medium für das Planen von Arbeitstätigkeiten beispielsweise in Form von Aktionsprogrammen wird.

Intellektuelle Durchdringung: Durch die intellektuelle Durchdringung von Anforderungen können gezielt Strategien und Arbeitsweisen entwickelt werden, wobei mit zunehmender intellektueller Durchdringung eine Verlagerung von den ausführenden zu den vorbereitenden und steuernden Tätigkeiten einhergeht. Dies betrifft sowohl das zeitliche Gewicht wie auch die Bedeutung der Tätigkeitsbereiche. Voraussetzung hierfür ist eine differenzierte Wissensbasis, die mit handlungswirksamen Signalen verbunden ist.

Bedeutung und Implikation für arbeitsorientiertes Lernen

Aus der Perspektive der Handlungsregulationstheorie ist die praktische Handlung der Ausgangspunkt für arbeitsorientiertes Lernen. Arbeitsorientiertes Lernen kann demnach als zielgerichteter Prozess verstanden werden, in dem der Lernende Ziele formuliert, Ergebnisse gedanklich vorwegnimmt und sein Handeln an diesen orientiert. Es geht beim arbeitsorientierten Lernen aus einer handlungsregulationstheoretischen Sicht nicht allein darum verhaltensbezogene Fertigkeiten aufzubauen, sondern auch um die Sensibilisierung der Sinnessysteme für differenzierte Wahrnehmungen, die Automatisierung von einfachen Teiltätigkeiten sowie die sprachliche und intellektuelle Durchdringung der Arbeit. Arbeitsorientiertes Lernen zielt in diesem Sinn immer auch auf die Ausdifferenzierung von psychischen Regulationsgrundlagen beispielsweise in Form elaborierter operativer Abbildsysteme.