Auf überwachsenen Pfaden - Knut Hamsun - E-Book

Auf überwachsenen Pfaden E-Book

Knut Hamsun

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Beschreibung

"Es ist 1946, der 11. Februar. Ich bin wieder aus der Anstalt raus. Damit ist nicht gesagt, dass ich frei bin, aber ich kann wieder atmen. Atmen ist tatsächlich auch das einzige, was ich vorläufig kann. Ich bin sehr herunter. Ich komme aus einer Gesundheitseinrichtung und bin sehr herunter. Ich war gesund, als ich hineinkam." "Auf überwachsenen Pfaden" ist Knut Hamsuns erstmals 1949 veröffentlichtes Tagebuch, in dem er sich kurz vor seinem Tod mit seiner Rolle in Literatur und Gesellschaft während der deutschen Besatzungszeit auseinandersetzt. Ein Schlüsselwerk gerade in Bezug auf Knut Hamsuns politische Ambivalenz.

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Auf überwachsenen Pfaden

Der Autor

Knut Hamsun wurde am 4. August 1859 in Gudbrandsdalen als Knud Pedersen geboren und gilt neben Henrik Ibsen als bedeutendster Schriftsteller Norwegens. Seine Schulausbildung war dürftig, eine Universität besuchte er nie und schlug sich zunächst mit Gelegenheitsarbeiten durch, bis ihm 1890 mit seinem Debütroman Hunger sogleich ein großer literarischer Erfolg gelang. 1920 erhielt er für sein Werk Segen der Erde den Literaturnobelpreis. Der wegen seiner Sympathien für den Nationalsozialismus politisch hoch umstrittene Hamsun starb 1952 in Nørholm.Von Knut Hamsun sind in unserem Hause bereits erschienen: Mysterien · Hunger · Segen der Erde · Victoria

Das Buch

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Knut Hamsun wegen Unterstützung der deutschen Besatzung als Landesverräter angeklagt und unter Hausarrest gestellt. In dieser Zeit wurde er auch in einer psychiatrischen Klinik untersucht. Von den drei Jahren bis zur Urteilsverkündung handeln Hamsuns Aufzeichnungen in diesem Buch. Nachdem seine Texte zunächst zur Veröffentlichung abgelehnt wurden, erschien Auf überwachsenen Pfaden am 28. September 1949 in Oslo. Hamsun schreibt über die Zeit vom Mai 1945, als er auf seinem Herrensitz Nørholm bei Grimstad unter Hausarrest gestellt wurde, bis zum Juni 1948. Einen Monat vor seinem 89. Geburtstag verfasst er den letzten Eintrag: »Mittsommer 1948. Heute hat das Oberste Gericht geurteilt, und ich höre auf zu schreiben.«

Knut Hamsun

Auf überwachsenen Pfaden

Aus dem Norwegischen von Alken Bruns

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

Mit einem Nachwort von Peter Urban-Halle

Ungekürzte Neuausgabe im Ullstein Taschenbuch1. Auflage Oktober 2019© für die deutsche AusgabeUllstein Buchverlage GmbH, Berlin 2019© der deutschen Ausgabe by Econ Ullstein ListVerlag GmbH & Co. KG, München 2002© Gyldendal Norsk Forlag AS 1949 Die Originalausgabe erschien unter dem Titel På gjengrodde Stier 1949 im Gyldendal Norsk Forlag, Oslo. Textgrundlage der Neuübersetzung ist die erste Ausgabeim Gyldendal Norsk Forlag, Oslo 1949.Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: A Herd of Horses, 2000 © MasabikhAkhunov (1928-2008) / Bridgeman ImagesE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.comAlle Rechte vorbehalten.

ISBN 978-3-8437-2124-0

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

Auf überwachsenen Pfaden

Anmerkungen des Übersetzers

Nachwort

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Cover

Titelseite

Inhalt

Auf überwachsenen Pfaden

Auf überwachsenen Pfaden

Es ist das Jahr 1945.

Am 26. Mai kam der Polizeichef von Arendal nach Nørholm und verkündete meiner Frau und mir Hausarrest für dreißig Tage. Ich war nicht vorgewarnt worden. Meine Frau händigte ihm auf Verlangen meine Schusswaffen aus. Ich musste dem Polizeichef später schreiben, ich hätte auch zwei große Pistolen von der letzten Olympiade in Paris, er könne sie jederzeit abholen. Gleichzeitig schrieb ich, der Hausarrest sei wohl nicht wörtlich zu verstehen, ich hätte ja Landwirtschaft weit und breit, die beaufsichtigt werden müsse.

Nach einiger Zeit kam der Landpolizist von Eide und holte die beiden Pistolen ab.

Am 14. Juni wurde ich von zu Hause abgeholt und zum Krankenhaus in Grimstad gebracht – meine Frau war ein paar Tage vorher ins Frauengefängnis von Arendal gebracht worden. Jetzt konnte ich also nicht mehr den Hof beaufsichtigen. Das war insofern sehr unglücklich, als nur ein junger Mann da war, um das Ganze vorläufig zu verwalten. Aber daran ließ sich nichts ändern.

Im Krankenhaus wurde ich von einer jungen Schwester gefragt, ob ich mich gleich hinlegen wolle – in der Aftenposten hatte nämlich gestanden, ich sei »zusammengebrochen und pflegebedürftig«. Liebes Kind, sagte ich, ich bin nicht krank, in dieses Krankenhaus ist nie ein gesünderer Mensch gekommen, ich bin nur taub! Sie nahm es wohl für Prahlerei, und sie wollte sich auf kein Gespräch mit mir einlassen. Nein, sie wollte nicht mit mir sprechen, und dieses Schweigen hielten alle Schwestern während meines Aufenthalts dort im Krankenhaus ein. Die einzige Ausnahme war die Oberschwester, Schwester Marie.

Ich treibe mich auf dem Gelände des Krankenhauses herum. Ein älteres Gebäude auf einem Hügel und ein neueres unten – das eigentliche Krankenhaus. Ich wohne auf dem Hügel und bin allein, im ersten Stock wohnen die drei jungen Schwestern, sonst niemand im Haus.

Ich sehe mich um. Hier sind allerhand große Eichen, aber viele sind auch in alter Zeit gefällt worden, und aus den Stümpfen wächst jetzt wildes Eichengestrüpp, aus dem nichts wird. Der Blick geht auf viele kleine Höfe im Westen.

Der Polizist, der mich hergebracht hat, sagte, ich dürfe mich nicht »außerhalb dieses Zimmers« aufhalten. Das war wohl wieder nicht wörtlich zu verstehen, aber ich wollte gern ein gehorsamer Häftling auf Probe sein und wagte mich kaum einen Steinwurf weit fort. Sonderbar zu denken übrigens, ich hatte nie, in keinem Land, mit der Polizei zu tun, wie weit ich mich auch in der Welt herumgetrieben hatte, ich hatte den Fuß ja immerhin auf vier der fünf Weltteile gesetzt, und jetzt in meinem hohen Alter war ich verhaftet. Na ja, wenn es sein sollte, musste es ja jetzt geschehen, bevor ich sterbe.

Ich verbummle Tag für Tag. Die drei jungen Schwestern – eigentlich Schülerinnen – kommen abwechselnd mit meinem Essen den Hügel herauf, machen auf dem Absatz kehrt und verschwinden. Vielen Dank!, rufe ich ihnen nach. Es wird ein bisschen einsam, aber ich bin Einsamkeit gewohnt, zu Hause reden sie auch nicht mit mir, weil ich so taub und anstrengend bin. Wenn ich gegessen habe, bringe ich das Tablett mit den leeren Schüsseln in den Flur, wo es abgeholt werden kann.

Dann musste ich entweder wieder raus oder eine Patience legen. Ich konnte mir nichts zu lesen mitnehmen, und meine Zeitungen sind nicht gekommen. Nach einigen Tagen frage ich das junge Mädchen: Ich habe gesehen, dass der Postbote da war, sind keine Zeitungen für mich gekommen?

Zu meiner Freude antwortet sie, und zwar laut und verständlich, aber sie sagt: Sie dürfen keine Zeitungen lesen!

Ach. Wer hat das gesagt?

Der Polizeichef von Arendal.

Ach so. Vielen Dank.

Aber die Oberschwester macht es wieder gut, indem sie mich in einem Schrank mit alten Büchern und Zeitungsjahrgängen stöbern lässt. Es sind Sachen, die dem Krankenhaus von wohlwollenden Menschen geschenkt worden sind, Schulbücher, Kinder- und Jugendzeitschriften, gebundene Fortsetzungsromane aus Zeitungen, Für Arm und Reich, Der Santale, Der Evangelist, und mitten darunter ein Juwel: ein Buch von Topsøe.

Ich nehme mir vor, sparsam zu lesen, damit es lange reicht, besonders von einigen Bänden Fortsetzungsromanen aus dem Morgenbladet erwarte ich mir viel. Ich sehe, dass sie aus Smith Petersens Bibliothek stammen. Dieser Smith Petersen lebte einst in Grimstad und war ein großer Matador.

Aber ganz gegen meinen Vorsatz, meine Lektüre zu rationieren, warf ich mich gierig über Topsøes Buch und verschlang es in einem Stück. Topsøe, über den Brandes nicht schreiben wollte. Und nun sind sie beide tot.

Ein Polizist kommt, legt mir einige Fragen vor und schreibt meine Antworten nieder. Das ist für mich nicht von Interesse. Die Behörden scheinen unbedingt wissen zu wollen, was ich besitze – im Morgenbladet war nämlich von meinem »großen Vermögen« die Rede. Ich gab an, was ich besaß.

Dann war es einige Tage lang ruhig, nur dass ein Polizist mit einem »Beschluss betr. Vermögensverwaltung« kam und ein anderer mit einer »Erklärung betr. öffentliche Anklageerhebung«.

Ich wünschte, ich hätte Ihr schönes Fahrrad, sage ich.

Wollen Sie die Erklärung nicht lesen, sagt er.

Ist das eilig?

Nein, nicht unbedingt, aber.

Am 23. Juni wurde ich zum Untersuchungsrichter geführt. Er kam gleich mit einem halben Lachen auf mich zu: Sie haben doch sicher mehr Geld, als Sie angegeben haben?

Ich war ein bisschen sprachlos und sah den Mann an. Ich habe mich nicht aufs Geld verlegt, sagte ich.

Nein, nein, aber.

Mein Vermögen beläuft sich auf das, was ich angegeben habe, circa fünfundzwanzigtausend in bar, 200 Aktien bei Gyldendal und der Hof Nørholm.

Ja, gut. Aber die Autorenrechte?

Tja, Herr Richter, wenn Sie mir dazu was sagen könnten, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Für mich als Dichter sieht es jetzt ja nicht so gut aus.

Aber ach, wie ich ihn enttäuscht haben musste. Und wie ich all die anderen enttäuschte, die gehofft hatten, in meinem »großen Vermögen« schnüffeln zu können. Nicht dass ich mich beklage, mein Vermögen ist groß genug, viel zu groß. Ich sehne mich nicht danach, es mit ins Grab zu nehmen.

Das Verhör war anständig und unentschieden. Auf einige Fragen des Richters antwortete ich ausweichend, um den wohlmeinenden Herrn nicht unnötig zu ärgern. Amtsrichter Stabel ist fanatisch, ja, fanatisch in seinem Hass auf Deutschland, und er glaubt steif und fest an das edle und reine Recht der Alliierten, die deutsche Nation zu vernichten und vom Erdboden zu vertilgen. Außer dem, was von dem Verhör schon veröffentlicht worden ist, erwähne ich noch ein paar Kleinigkeiten.

Er fragte, was ich von der Nationalsozialistischen Gesellschaft hielte, in die ich hier in Grimstad gekommen war.

Ich antwortete, in dieser Gesellschaft seien bessere Leute als ich. Aber ich verschwieg, dass es nicht weniger als vier Ärzte waren, um nur eine Kategorie zu nennen.

Es klang, als sei ich überhaupt zu gut, um dem Nazikomplott anzugehören.

Da sind auch Richter drin, sagte ich.

Ja, leider. Und wie ich mich zu den Gräueltaten der Deutschen in Norwegen stelle, die jetzt an den Tag gekommen seien?

Da der Polizeichef mir verboten hatte, Zeitungen zu lesen, wusste ich davon nichts.

Ich wüsste nichts von den Morden, dem Terror, der Folter?

Nein. Ich habe gesehen, dass davon gemunkelt wird, bevor ich verhaftet wurde.

Ja, ein Kerl namens Terboven, der seine Befehle direkt von Hitler erhielt, der hat das norwegische Volk fünf Jahre lang gefoltert und abgeschlachtet. Aber Gott sei Dank, wir anderen haben ausgehalten. Finden Sie, die Deutschen sind ein Kulturvolk?

Ich antwortete nicht.

Er wiederholte die Frage.

Ich sah ihn an und antwortete nicht.

Wäre ich Polizeichef, bekämen Sie sämtliche Zeitungen zu lesen. Ihr Prozess ist auf den 22. September verschoben.

Also drei Monate.

Ich lese, bummle herum und lege Patiencen.

Um meine Beine in dem mir zugemessenen engen Bezirk ein bisschen zu gebrauchen, kraxele ich den Hügel rauf. Er ist sehr steil, und ich muss mich hier und da mit einem spitzen Stock stützen, um nicht wieder runterzurutschen. Und das ist noch nicht alles: Mir ist auch so verdammt schwindlig, dass ich mich am liebsten übergeben würde und mit Gewalt schlucken muss. Ich habe wohl zu spät mit dem Bergkraxeln angefangen. Ich wiederhole den Ausflug täglich und verbessere mich in diesem Fach, zittere aber am ganzen Körper, wenn ich oben ankomme.

Oben auf dem Hügel ist eine Fläche. Da sitze ich und sehe ein paar Leuchttürme, das Fahrwasser nach Grimstad und ein paar Meilen aufs Skagerrak hinaus. Am Anfang muss ich stillsitzen und wage nicht, ein Kerl zu sein und aufzustehen, aber mein Gehirn rührt sich und arbeitet. Ich sehe auf die Uhr – mein Gott, ich habe nur ein paar elende Minuten für den Aufstieg gebraucht, und nun sitze ich hier auf meinem Gipfel und komme mir groß vor, als hätte ich was geleistet. Um einen richtigen Ausflug daraus zu machen, muss ich sehen, dass ich auf der anderen Seite des Hügels runterkomme und mich ungesehen zum Krankenhaus zurückschleiche.

Es geht, ich komme sehr gut runter. Aber hier treffe ich auf einen Weg, und den wage ich nicht zu gehen, ich könnte jemandem begegnen. Und wenn ich auf die Uhr sehe, ist es immer noch nicht die Spur eines Ausflugs geworden – ich muss einfach umkehren und noch mal über den Hügel gehen.

Auch das war kein Problem für mich, obwohl ich einmal dämlich stürzte und auf meinen Arm fiel. Und den steilen Abstieg zum Krankenhaus schaffte ich, indem ich mich auf eine Lage belaubter Zweige setzte und runterrutschte.

Doch das Ganze war von mir gar nicht schlecht ausgedacht und ausgeführt, das muss ich sagen. Und ich nahm von da an keine Veränderung an diesen Ausflügen vor. Das Einzige, was ich zu befürchten hatte, war, dass mich während meiner Abwesenheit ein Polizist im Krankenhaus suchen könnte.

Aber als ich nach Tagen und Wochen über den Nutzen nachdachte, den diese Ausflüge über den Hügel brachten, war ich nicht sonderlich zufrieden. Es war nicht die richtige Arbeit für meine Muskeln und Glieder, kostete mich zu viel Anstrengung, ich schwitzte und war erschöpft, ohne dass mein Körper biegsamer wurde. Meine Füße waren immer noch gefühllos. Dazu kam, dass meine Schuhe die Strapazen nicht ausgehalten hatten, sie waren oben und unten zerrissen. Und andere Schuhe hatte ich nicht.

Die Oberschwester lässt sich selten blicken. Sie hat zu wenig Hilfe und muss selbst kochen. Aber als ich sie einmal zu Gesicht bekam, sagte sie ohne Weiteres, ich solle doch mehr nach draußen gehen. Sie zeigte mir einen Weg von passender Länge zu Smith Petersens abgebrannter Villa und sagte, den sollte ich gehen.

Auf Ihr Wort, Oberschwester. Vielen Dank.

Das war sehr hilfreich, ich konnte schnell gehen oder langsam, wie ich wollte. Und auf einem Hof war ein kleiner Hund, der immer auf mich wartete, wenn ich vorbeikam, und mich freudig begrüßte.

Die Ausflüge über den Hügel wollte ich aber auch nicht ganz weglassen. Ich hatte sie erfunden, es gab da Bäume und Steine, die ich wiedererkannte, und ich begriff, dass mich ein freundliches Rauschen umgab, obwohl ich taub war und es nicht mehr hörte.

Ich sitze an einer Wegkreuzung und halte eine Postkarte in der Hand, ich habe nach Hause geschrieben, ob sie nicht ein Paar Schuhe für mich auftreiben können, und nun warte ich, dass jemand kommt, der zur Stadt will und die Karte mitnehmen kann.

Der Erste, der kommt, ist ein Junge, vielleicht um die sechzehn, er hat ein dunkles, wenig ansprechendes Gesicht, aber ich stehe auf, halte ihm die Karte hin und sage: Würden Sie so freundlich sein, diese Karte in einen Kasten zu werfen?

Der Junge zuckt zusammen, sein ganzes Gesicht verzieht sich, und noch ehe ich ausgeredet habe, höre ich ein Murren und sehe ihn seinen Weg fortsetzen.

Wollen Sie gar nicht zur Stadt?, rufe ich entschuldigend.

Er antwortet nicht, geht einfach weiter.

Da ich bei meinem ersten Versuch so wenig Glück gehabt habe, wage ich nicht, mich an jemand anderen zu wenden, sondern gehe zurück zum Krankenhaus.

Es ist keine Frage, dieser Junge kannte mich. Er wusste sehr gut, dass ich Häftling bin, und nun wollte er eine stolze Haltung gegenüber einem solchen Kerl beweisen.

Wir haben jetzt in Norwegen den politischen Häftling. Früher war der politische Gefangene für uns nur eine Art von Märchen in russischen Büchern, wir haben ihn nie gesehen, der ganze Begriff war uns unbekannt. Die Thranebewegung, Kristian Lofthus, Hans Nielsen Hauge zählen nicht. Aber jetzt haben wir einen, der zählt, er zieht scharenweise durchs norwegische Land, in vierzig-, fünfzig-, sechzigtausend Exemplaren, sagt man. Und vielleicht in vielen Tausend mehr.

Das mag sein, wie es will.

Die Leute bringen den politischen Gefangenen mit etwas Kriminellem in Verbindung, vielleicht geht er mit einer Kanone, hütet euch vor seinem Messer, besonders Kinder und Jugendliche sollten aufpassen. Ich habe es in diesen Wochen und Monaten gemerkt, es war rührend anzusehen. Was hätte es dem jungen Mann ausgemacht, höflich zu sein und die Postkarte mitzunehmen? Gut, mir kann das egal sein. Aber für mich ist es eine unsichere Sache, eine Karte abzuschicken. Die jungen Schwestern wollen gern frei sein, wenn sie in die Stadt gehen, verstehe ich. Und der Postbote nimmt nichts an.

Ich lese, bummle und lege Patiencen.

Apropos Messer. Es hat sich ein Messer zu mir verirrt, ich verstehe das nicht. Ein schönes Messer, mit gravierten Beschlägen aus Neusilber und Lederfutteral. Ich frage den Mann, der den Hof fegt, aber es gehört ihm nicht. Dann werde ich wohl die Oberschwester fragen müssen.

Ein Herr in grauem Sommeranzug kommt in mein Zimmer, nickt und sagt nichts. Vielleicht geht er von der Annahme aus, dass ich ihn kenne, aber das ist nicht der Fall. Dann ist mir, als ob er murmelt, er sei Doktor, und seinen Namen sagt. Ich höre nichts und muss nachfragen, Erichsen? Aber ich kenne nur einen Doktor Erichsen, und der soll verhaftet sein, habe ich gehört. Der fremde Herr sucht etwas in seiner Brieftasche, vielleicht seine Karte, findet sie nicht und gibt es auf. Da stehen wir.

Wollen Sie was von mir?, frage ich.

Er schüttelt den Kopf, und ich verstehe, dass er mir nur Guten Tag sagen will.

Ich danke. Das ist liebenswürdig. Zurzeit habe ich ja sonst meist mit der Polizei zu tun, ich bin Gefangener, wissen Sie, Landesverräter –

Wie geht es Ihnen hier?, fragt er.

Ausgezeichnet.

Kurz darauf ging er. Er war sehr freundlich, aber er sprach nicht laut genug mit mir.

Im Übrigen lassen die Leute es nicht an Freundlichkeit fehlen. Es gibt hier eine Abkürzung, einen Pfad zu meinem Hügel hinauf, den benutzen viele, statt am eigentlichen Krankenhaus vorbeizugehen. Da sitze ich hin und wieder, weil es da gute Plätze gibt, wo man in aller Dummheit und Ruhe sitzen und die Ameisen beobachten und weise werden kann. Dann gehen die Leute vorbei, und manche grüßen. Sie wissen, warum ich hier sitze, aber sie grüßen.

Eines Tages bleibt eine ältere Dame stehen und sieht mich an. Ich stehe auf und ziehe den Hut. Sie beginnt zu sprechen, ich sage, dass ich nichts höre, doch sie spricht. Dann zeigt sie zum Himmel, und ich nicke. Sie zeigt immer wieder zum Himmel, als gebe es vielleicht auch für mich Hilfe, und ich nicke. Sie hält eine andere Dame an, die vorbeikommt, und die beiden Damen sind sich einig und geben mir die Hand, als sie gehen. Lauter Freundlichkeit.

Und ich – in meiner Gedankenlosigkeit habe ich ihnen meine Postkarte nicht mitgegeben!

Ich schüttele den Kopf über mich selbst und gehe zur Strafe an der steilsten Stelle den Hügel rauf. Es könnte notwendig werden, ernstlich etwas zu unternehmen, denn meine Schuhe sind nun noch mehr zerrissen. Sie sind wohl acht Jahre alt und stammen aus der Zeit, als ich in Serbien war.