Eine ganz gewöhnliche Fliege und andere heitere Erzählungen - Knut Hamsun - E-Book

Eine ganz gewöhnliche Fliege und andere heitere Erzählungen E-Book

Knut Hamsun

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Beschreibung

In seinen zu Unrecht vergessenen Erzählungen zeigt Knut Hamsun eine überraschende Seite: heiter, komisch, grotesk. Er erzählt von einem Schriftsteller auf missglückter Lesereise, einer Frau, die ihren Mann durch ein fingiertes Straßenbahnunglück loswerden will, und einer Fliege als ungewöhnlichem Mitbewohner … Diese abwechslungsreiche Sammlung offenbart die weniger bekannte, humorvolle Seite Hamsuns und sein vielseitiges erzählerisches Talent – eine literarische Entdeckung für alle, die Hamsun bislang nur als Romanautor kannten.

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Seitenzahl: 189

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Knut Hamsun

Eine ganz gewöhnliche Fliege

und andere heitere Erzählungen

Mit einem Nachwort von Gabriele Haefs

Reclam

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist ausgeschlossen.

 

2024 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Covergestaltung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH

Coverabbildung: © Hein Nouwens / Shutterstock

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2024

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN978-3-15-962333-7

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011490-2

www.reclam.de

Inhalt

Die Königin von Saba

I

II

Mit dem Kutschpferd

Eine ganz gewöhnliche Fliege mittlerer Größe

Hinein in den süßen Sommer

Frauensieg

Auf Tournee

Die Stimme des Lebens

Kleinstadtleben

Weihnachtliches Gelage

Eine Straßenrevolution

Episode in London

Anhang

Zu dieser Ausgabe

Nachwort

Die Königin von Saba

Man reist ein bisschen herum, zieht von einem Ort zum anderen, und das Schicksal will es, dass man dabei Menschen wiedertrifft, die man schon einmal gesehen hat, ihnen plötzlich an unerwarteten Orten begegnet, so dass man vor lauter Überraschung ganz vergisst, den Hut zu ziehen und zu grüßen.

Das geschieht mir oft, sogar sehr oft. Da ist nichts zu machen. Was mir 1888 passiert ist, hängt auf seltsame Weise mit einem Erlebnis zusammen, das ich dieses Jahr, erst vor knapp einer Woche, auf einer kleinen Reise nach Schweden hatte. Es ist so simpel wie unergründlich, alles lief so selbstverständlich ab; vielleicht ist es nicht einmal wert, es zu erzählen. Doch ich will es versuchen, so gut ich kann.

Als wir das letzte Mal beisammen waren, hast du gefragt … ja, du weißt selbst, was du gefragt hast, das brauche ich nicht zu wiederholen. Ich hatte darauf geantwortet, dass, egal wie sehr ich mich bemühte, es mir nie etwas geholfen hatte, irgendetwas kam immer in die Quere, ich wurde zurückgewiesen, ich bekam eine Abfuhr erteilt. Und ich lüge nicht, ich werde dir beweisen, dass es stimmt. So nah dran wie bei diesem letzten Mal bin ich noch nie gewesen, und doch bekam ich auf schönste Weise eine Abfuhr erteilt. Da ist nichts zu machen.

I

1888 also erhielt ich Geld für eine kleine Reise irgendwohin – ich erzähle es so, wie es ist. Ich brach Richtung Schweden auf und wanderte fröhlich entlang der Bahngleise, während Tag für Tag ein Zug nach dem anderen an mir vorbeifuhr. Unterwegs traf ich viele Menschen, und alle diese Menschen grüßten mich, sie sagten »Grüß Gott!« und ich sagte auch »Grüß Gott«, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte antworten sollen. Als ich in Göteborg ankam, war mein erstes Paar Schuhe in einem jämmerlichen Zustand; aber darum geht es jetzt nicht.

Noch bevor ich nach Göteborg kam, ereignete sich der Vorfall, von dem ich nun erzählen will. Ich frage dich: Wenn dir eine Frau einen Blick durchs Fenster zuwirft und später keinerlei Notiz von dir nimmt, dann belässt du es dabei und machst dir keine Hoffnungen; du müsstest ein Narr sein, wenn du dir auf so einen kurzen beiläufigen Blick etwas einbildest. Aber wenn die Frau dich nicht nur mit größtem Interesse ansieht, sondern dir auch noch ihr Zimmer, ja sogar ihr Bett in einer schwedischen Posthalterei überlässt, ist das deiner Meinung nach nicht Grund genug, an ihre wahren Absichten zu glauben und ein kleines bisschen Hoffnung zu schöpfen? Ich finde schon, und ich habe bis zum Schluss gehofft: Vor einer Woche musste ich dafür sogar mit einer schmerzhaften Reise nach Kalmar bezahlen …

Ich kam schließlich an der Posthalterei in Bårby an. Es war schon spät am Abend und ich war seit dem Vormittag zu Fuß unterwegs gewesen, also beschloss ich, für heute Schluss zu machen. Ich ging in die Gaststube und fragte nach einer Mahlzeit und einer Unterkunft.

Ja, Essen sollte ich bekommen, aber eine Unterkunft konnte man mir nicht anbieten, alle Zimmer waren belegt, das Haus war voll.

Ich sprach mit einem jungen Mädchen, der Tochter des Hauses, wie sich später herausstellte. Ich sehe sie an und tue so, als verstünde ich nicht, dass das Haus voll ist. Wollte sie mich spüren lassen, dass ich Norweger bin, ein politischer Gegner?

»Das sind eine Menge Wagen, die hier stehen«, sage ich beiläufig.

»Ja, hier übernachten viele Marktleute«, antwortet sie. »Wir haben kein einziges freies Bett mehr.«

Dann geht sie hinaus und bestellt mein Essen. Als sie zurückkam, begann sie wieder damit, wie ausgebucht das Haus sei. Sie sagte: Du kannst entweder zur nächsten Station weitergehen, nach Ytterån, oder ein Stück mit dem Zug zurückfahren. Hier ist, wie gesagt, alles voll. Ich verzieh dem naiven Kind, ich wollte mich ihr gegenüber auch nicht übertrieben mürrisch verhalten; aber ich hatte natürlich nicht vor, mich vor dem nächsten Morgen von hier wegzubewegen. Ich befand mich in einer öffentlichen Posthalterei, und ein Bett musste ich bekommen!

»Das Wetter ist fabelhaft«, sagte ich.

»Ja«, antwortete sie. »Es wird eine Freude sein, heute Abend nach Ytterån zu gehen. Es ist nicht weit, nur eine gute Meile.«

Jetzt wurde es mir aber zu viel, mit ernster Stimme sagte ich langsam:

»Ich gehe selbstverständlich davon aus, dass Sie mir hier und heute eine Übernachtung ermöglichen; ich möchte nicht mehr weitergehen, ich bin müde.«

»Aber wenn doch alle Betten belegt sind«, antwortet sie.

»Tja, das ist nicht mein Problem.«

Bei diesen Worten ließ ich mich mit meinem ganzen Gewicht auf einen Stuhl sinken.

Tatsächlich tat mir das Mädchen leid, sie schien mir nicht aus reiner Bosheit Schwierigkeiten bereiten zu wollen, sie hatte ein ehrliches Gesicht und ihren Hass auf die Norweger im Griff.

Sie können mir ein Bett bereiten, wo Sie wollen, gern auch hier auf dem Sofa, sagte ich.

Aber es stellte sich heraus, dass sogar das Sofa schon vergeben war!

Nun bekam ich es langsam mit der Angst zu tun. Wenn ich noch eine gute schwedische Meile laufen müsste, würde mich das meine Gesundheit kosten; eine gute Meile nimmt in Schweden nämlich kein Ende, das wusste ich.

»Herrgott nochmal, sehen Sie denn nicht, dass ich meine Schuhe zerschlissen habe?«, rief ich. »Sie jagen doch wohl niemanden in solchen Schuhen wieder vor die Tür?«

»Ja, aber die Schuhe werden morgen auch nicht besser sein«, merkte sie lächelnd an.

Nun, damit hatte sie recht, und ich wusste mir keinen Rat mehr. Im selben Moment geht die Tür auf und ein weiteres junges Mädchen stürmt herein.

Sie lacht über etwas, das ihr passiert ist oder woran sie gerade denkt, und sie öffnet den Mund, um davon zu erzählen. Als sie mich bemerkt, ist sie nicht im Geringsten verlegen, sondern schaut mich unverwandt an und nickt mir schließlich sogar zu. Dann fragt sie leise:

»Was ist denn los, Lotta?«

Lotta antwortet etwas, das ich nicht hören kann, aber ich verstehe, dass es bei ihrer Flüsterei um mich geht. Ich sehe die beiden an und lausche, als werde über mein Schicksal entschieden. Jetzt werfen sie einen verstohlenen Blick auf meine Schuhe, und ich höre sie miteinander kichern. Die hinzugekommene junge Frau schüttelte den Kopf und war im Begriff, wieder zu gehen.

An der Tür drehte sie sich plötzlich um, als ob ihr etwas eingefallen wäre, und sagte:

»Aber ich kann heute Nacht doch bei dir schlafen, Lotta, dann kann er mein Zimmer haben?«

»Nein«, antwortet Lotta, »das können Sie wirklich nicht machen.«

»Aber natürlich kann ich das!«

Pause. Lotta denkt darüber nach.

»Nun ja, wenn Sie unbedingt wollen.« Dann – und an mich gewandt – fährt Lotta fort: »Das Fräulein möchte Ihnen also ihr Zimmer überlassen.«

Ich springe auf, nehme Haltung an und verbeuge mich, ich glaube, es gelang mir ganz ordentlich. Ich bedankte mich auch mit Worten bei dem Fräulein, sagte, dass sie mir eine Liebenswürdigkeit entgegengebracht habe, die in meinem Leben einmalig sei, und fügte abschließend hinzu, dass ihr Herz genauso gut sei wie ihre Augen schön – mein Fräulein! Damit verbeugte ich mich erneut und machte auch dieses Mal eine gute Figur.

Doch ja, ich schlug mich außerordentlich gut. Sie wurde rot und rannte mit einem lauten Lachen zur Tür hinaus, und Lotta rannte hinterher.

Ich blieb alleine zurück und dachte über die Sache nach. Es lief gut; sie hatte gelacht, war rot geworden und hatte gelacht, einen besseren Anfang gab es nicht. Mein Gott, wie jung sie war, kaum achtzehn Jahre, mit Grübchen in den Wangen und einer kleinen Kinnspalte. Kein Tuch um den Hals, nichts um den Hals, es gab nicht einmal ein paar Rüschen am Ausschnitt ihres Kleides, nur eine dünne Kordel. Und dazu das süße Gesicht mit einem schweren, dunklen Blick. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Gut, sie hatte mich mit Interesse beobachtet.

Eine Stunde später sehe ich sie draußen auf dem Hof; sie hat sich in einen der leeren Kutschwagen gesetzt und knallt mit einer Peitsche. Wie jung sie ist und so voller Lebensfreude, sitzt dort ganz allein, summt und knallt mit der Peitsche, als wäre angespannt. Ich nähere mich ihr, verspüre den Drang, die Pferde zu ersetzen und die Kutsche selbst zu ziehen, ich lüfte meinen Hut und setze an, um etwas zu sagen.

Da steht sie auf einmal auf, groß und stolz wie eine regierende Fürstin, sieht mich einen Moment lang an und steigt aus der Kutsche. Das werde ich nie vergessen; obwohl sie keinen Grund hatte, sich so zu verhalten, war sie einfach großartig, wie sie so aufstand und ausstieg. Ich setzte meinen Hut auf und schlich mich beschämt davon. Verflucht sei diese Laune, die Kutsche ziehen zu wollen!

Andererseits: Was war los mit ihr? Hatte sie mir nicht gerade ihr Zimmer überlassen? Wozu dann diese Ziererei? Alles nur gespielt, sagte ich mir, sie tut nur so, ich kenne den Trick, sie will mich zappeln lassen, – gut, ich werde mich darein schicken, ich werde zappeln!

Ich setzte mich auf die Treppe und zündete meine Pfeife an. Um mich herum liefen die Händler hin und her; ab und an hörte ich, wie im Haus Flaschen geöffnet wurden und Gläser klirrten. Das Fräulein bekam ich nicht mehr zu sehen.

Die einzige Lektüre, die ich dabeihatte, war eine Karte von Schweden. Ich sitze da, rauche und ärgere mich, und schließlich hole ich die Karte aus der Tasche und fange an, sie zu studieren. Nach ein paar Minuten erscheint Lotta in der Tür, bereit, mich auf mein Zimmer zu geleiten, wenn ich es wünsche. Es ist bereits zehn Uhr, ich stehe auf und gehe mit. Im Flur treffen wir auf das Fräulein.

Jetzt passiert etwas, an das ich mich bis ins kleinste Detail erinnere: Die Vertäfelung im Flur ist gerade frisch gestrichen worden, doch davon weiß ich nichts, ich trete zur Seite, als wir das Fräulein treffen, und schon ist das Malheur passiert. Das Fräulein schreit auf:

»Die Farbe …!«

Aber es ist zu spät, ich habe meine linke Schulter vollständig ans Paneel gedrückt.

Sie sieht mich völlig bestürzt an, schaut dann zu Lotta und fragt: »Was machen wir denn jetzt damit?«

Sie sagte wortwörtlich: Was machen wir jetzt damit? Und Lotta antwortet, dass wir es mit etwas abreiben sollten, woraufhin sie in Gelächter ausbricht.

Wir gehen zurück zur Treppe, und Lotta findet etwas, womit sie mich abreiben kann.

»Seien Sie bitte so gut und setzen sich hin«, sagt sie, »sonst komme ich da nicht heran.«

Und ich setze mich hin.

Dann beginnen wir zu plaudern …

Ob du es mir nun glaubst oder nicht, – ich sage dir, als ich mich an dem Abend von dem Fräulein verabschiedete, war ich bester Hoffnung. Wir hatten über alles Mögliche geredet, getratscht und gelacht, und ich bin sicher, es war mindestens eine Viertelstunde, die wir dort auf der Treppe saßen und plauderten. Und dann? Nein also, ich will mich auch gar nicht damit brüsten; aber ich hätte nicht gedacht, dass eine junge Dame einem Mann eine gute Viertelstunde lang ein Gespräch sozusagen unter vier Augen gönnt, ohne etwas damit zu beabsichtigen. Als wir uns schließlich trennten, sagte sie obendrein zweimal »Gute Nacht«, am Schluss öffnete sie die Tür noch einmal einen Spalt, sagte ein drittes Mal langsam »Gute Nacht« und schloss die Tür wieder. Dann hörte ich, wie sie und Lotta drinnen herzhaft zu lachen begannen. Ja, wir waren alle in ausgezeichneter Stimmung.

Ich mache mich auf den Weg in mein Zimmer – ihr Zimmer. Es war kahl, das übliche Zimmer in einer Posthalterei mit nackten, blau gestrichenen Wänden und einem niedrigen, schmalen Bett. Auf dem Tisch lag eine Übersetzung von Ingrahams Der Fürst aus dem Hause Davids. Ich begann, in dem Buch zu lesen. Noch immer höre ich das Kichern und Lachen aus dem Zimmer der jungen Mädchen. Was für ein herrliches Geschöpf, dieser dunkle Blick in dem jungen Gesicht! Wie munter sie lachen konnte, wo sie doch so stolz aussah!

Ich versank in meinen Gedanken; die Erinnerung an sie glühte stumm und mächtig in meinem Herzen.

*

Am Morgen wurde ich davon geweckt, das mich etwas heftig in die Seite stach, – es stellte sich heraus, dass ich zusammen mit dem Fürsten aus dem Hause Davids im Bett gelegen hatte. Jetzt aber auf und schnell angezogen, es war neun Uhr!

Ich gehe hinunter in die Stube, um zu frühstücken; das Fräulein ist nicht zu sehen. Ich warte eine halbe Stunde, sie kommt nicht. Schließlich frage ich höflich bei Lotta nach, wo das Fräulein abgeblieben sei.

»Ja«, antwortet Lotta, »das Fräulein ist abgereist.«

»Abgereist? Gehörte das Fräulein nicht zum Haus?«

Nein, das Fräulein wohne oben im Herrenhaus. Sie habe frühmorgens den Zug genommen, sie wolle nach Stockholm.

Ich war sprachlos. Sie hatte mir natürlich nicht einmal einen Brief, keinen Zettel hinterlassen; ich war so entmutigt, dass ich nicht nach ihrem Namen fragte, mir war alles einerlei. Nein, man sollte sich niemals auf die Treue einer Frau verlassen.

Mit betrübtem Blick und verwundetem Herzen wanderte ich weiter nach Göteborg. Wer hätte das gedacht, sie hatte so ehrlich und stolz ausgesehen! Aber gut, ich wollte es nehmen wie ein Mann; niemand im Hotel sollte sehen, woran ich litt …

Zu der Zeit stellte Julius Kronberg gerade sein großes Gemälde »Die Königin von Saba« in Göteborg aus. Wie alle anderen musste auch ich hin und mir dieses Gemälde ansehen, und als ich es sah, war ich völlig fasziniert. Das, was mich am meisten verblüffte, war, wie sehr die Königin meinem Gutsfräulein ähnelte, – nicht wenn sie lachte und scherzte, sondern in dem Moment, als sie aufrecht in der leeren Kutsche stand und mich marterte, weil ich die Pferde abspannen wollte. Gott weiß, dass ich die Pein erneut in meinem Herzen spürte! Das Bild ließ mich nicht in Ruhe, es erinnerte mich zu sehr an mein verlorenes Glück. Eines Nachts inspirierte mich das zu meiner bekannten Kunstkritik, »Die Königin von Saba«, die am 9. Dezember 1888 im Dagbladet erschien. In dieser Kritik schrieb ich Folgendes über die Königin:

»Es ist eine reife Äthiopierin, neunzehn Jahre alt, schlank, aufreizend schön, als Majestät und als Frau … Mit der linken Hand hebt sie gerade den Schleier vor ihrem Gesicht und richtet ihren Blick auf den König. Sie hat nichts Dunkles an sich, selbst ihr schwarzes Haar wird von dem silberglänzenden Diadem, das sie trägt, verdeckt; sie sieht aus wie eine Europäerin, die in den Orient gereist ist und einen Hauch zu viel von der heißen Sonne abbekommen hat. Aber ihre Augen haben die dunkle Farbe, die ihre Heimat verrät, den schweren und zugleich feurigen Blick, der den Betrachter zusammenzucken lässt. Diese Augen vergisst man nicht, man wird sich noch lange an sie erinnern und ihnen im Traum wiederbegegnen …«

Das mit den Augen klingt schön; solche Worte bringt man nicht hervor, ohne etwas Entsprechendes im Herzen zu fühlen, da kann man fragen, wen man will. Und von diesem Tag an habe ich in meinem Herzen dieses wundervolle Mädchen von der Posthalterei in Bårby immer die Königin von Saba genannt.

II

Ich bin noch nicht fertig mit ihr, nach vier Jahren taucht sie wieder auf, jetzt vor knapp einer Woche.

Ich reise von Kopenhagen nach Malmö, um dort einen Menschen zu besuchen, und dieser Mensch erwartet mich – ich erzähle es wieder genauso, wie es ist. Meine Sachen sind bei Kramer untergebracht, und ich habe ein Zimmer zugewiesen bekommen; ich gehe los, um diesen Menschen zu treffen, der mich erwartet, aber zuerst will ich einen kleinen Spaziergang hinunter zum Bahnhof machen, um mich ein wenig zu sammeln. Dort treffe ich einen Mann, mit dem ich ins Gespräch komme; und während ich so dastehe und etwas zu diesem Mann sage, sehe ich auf einmal ein Gesicht in einem Zug, der kurz davor ist abzufahren, und das Gesicht wendet sich mir zu, zwei Augen mustern mich, – bei Gott, es ist die Königin von Saba!

Ich springe augenblicklich in den Zug, und wenige Sekunden später fahren wir auch schon.

Nun, das ist Schicksal. Dass ich sie nach vier Jahren plötzlich wiedersehe und dass ich in einen anfahrenden Zug springe, während alle meine Sachen bei Kramer zurückbleiben, das ist Schicksal, da ist nichts zu machen. Übrigens hatte ich auch meinen Mantel hängenlassen, ich hatte wirklich nur meine Reisetasche über der Schulter; in diesem Zustand bin ich in den Zug gestiegen.

Ich schaue mich um, ich bin in einem Abteil der Ersten Klasse gelandet, in dem schon ein paar Reisende sitzen. Gut, ich setze mich zu ihnen und mache es mir mit einer Zigarre und etwas Lektüre gemütlich. Wohin würde mich das Schicksal jetzt führen? Ich würde dorthin reisen, wohin die Königin von Saba reiste, es galt, sie abzupassen; wo sie ausstieg, wollte ich auch aussteigen, es war meine Mission, sie zu treffen. Als der Schaffner kam und nach meiner Fahrkarte fragte, hatte ich keine Karte.

Aber wo wollte ich hin?

Das wusste ich nicht so recht, aber …

Ja, dann müsste ich bis Arlöf bezahlen, mit einem Aufschlag von vierzig Öre.

In Arlöf musste ich dann eine weitere Fahrkarte kaufen.

Ich tat, was der Schaffner sagte, und zahlte mit Freude extra. In Arlöf kaufte ich dann eine Fahrkarte nach Lund, die Königin von Saba wollte vielleicht jemanden in Lund besuchen, und ich wollte sie im Auge behalten.

Aber sie stieg in Lund nicht aus.

Nun musste ich erneut beim Schaffner bezahlen, diesmal bis Lackalänga, und wieder vierzig Öre extra, – das machte achtzig. In Lackalänga kaufte ich sicherheitshalber gleich eine Fahrkarte bis Hessleholm, woraufhin ich mich wieder setzte, ich war mittlerweile ziemlich nervös wegen dieser verzwickten Reise. Obendrein nervten mich die Gespräche der anderen Reisenden; was in Gottes Namen ging es mich an, dass in Hamburg die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen war? Meine Mitreisenden waren wahrscheinlich Bauern, einfache schwedische Viehhändler, sie sprachen zweieinhalb Stunden lang von nichts anderem als der Maul- und Klauenseuche in Hamburg. Ja, das war wirklich überaus interessant! Und außerdem: Wartete da nicht auch ein Mensch auf mich in Malmö? Gut, lass den Menschen warten!

Doch die Königin von Saba stieg auch nicht in Hessleholm aus.

Langsam werde ich wütend, in Balingslöf bezahlte ich dem Schaffner weitere vierzig Öre extra, – das waren jetzt insgesamt schon eine Krone und zwanzig extra, – und in Balingslöf nehme ich mit zusammengebissenen Zähnen eine Fahrkarte direkt bis nach Stockholm. Das kostete mich einhundertachtzehn Kronen in bar, hol mich der Teufel, wenn ich lüge! Es war ja klar, dass die Königin von Saba auch jetzt nach Stockholm wollte, genau wie beim letzten Mal vor vier Jahren.

Wir fahren Stunde um Stunde, an jeder Station passe ich auf, aber sie steigt nicht aus. Ich sehe sie im Abteilfenster, und sie beobachtet mich aufmerksam; ach, ihre Gefühle für mich waren nicht weniger geworden, das konnte ich deutlich erkennen. Aber ein wenig verlegen war sie, und sie senkte den Blick, wenn ich an ihrem Abteil vorbeiging. Ich grüßte nicht, das vergaß ich jedes Mal; wäre sie nicht in dieser Schachtel von Damenabteil eingepfercht gewesen, hätte ich ihr natürlich längst meine Aufwartung gemacht, sie an unsere alte Bekanntschaft erinnert, daran, dass ich, um es ganz offen zu sagen, bereits einmal in ihrem Bett geschlafen hatte. Ich hätte sie damit erfreuen können, dass ich ausgezeichnet geschlafen hatte, bis neun Uhr. Wie die vier Jahre sie noch wundervoller gemacht hatten, sie war nun mehr denn je eine Majestät, eine Frau.

Und Stunde um Stunde verging, und es geschah nichts weiter, außer dass wir gegen fünf Uhr eine Kuh überfuhren, wir hörten die Knochen brechen, hielten kurz an, um die Schienen zu überprüfen, und fuhren dann weiter. Die beiden Mitreisenden waren dazu übergegangen, über den Dampfschiffverkehr im Øresund zu sprechen, und das ist wieder außerordentlich interessant. Wie habe ich gelitten, wie habe ich gelitten! Und wie war das, wartete da nicht ein Mensch …

Zum Teufel mit dem Menschen in Malmö!

Weiter, immer weiter, wir passieren Elmhult, Liatorp, Vislanda. In Vislanda steigt die Königin von Saba aus, ich lasse sie keine Sekunde aus den Augen; jetzt, also, – sie kommt wieder zurück. Gut, wir fahren wieder.

Dann kommen wir nach Alfvesta, Umsteigemöglichkeit in Richtung Kalmar.

Wieder steigt die Königin von Saba aus; ich bleibe und warte, ob es wieder genauso läuft, doch jetzt steigt sie in den Kalmar-Zug. Darauf war ich nicht vorbereitet; ich bin völlig überrumpelt und kaum imstande, etwas zu unternehmen, bevor es schon fast zu spät ist. Hals über Kopf schaffe auch ich es noch in den Kalmar-Zug, als dieser bereits anfährt.

Ein einziger Mann im Abteil, er schaut nicht einmal auf, er liest. Ich lasse mich fallen, ich lese ebenfalls. Ein paar Minuten später höre ich:

»Die Fahrkarte, bitte!«

Es ist ein neuer Schaffner.

»Die Fahrkarte, jawohl!«, antworte ich und gebe ihm meine Fahrkarte.

»Die ist nicht gültig«, sagt er. »Das hier ist die Kalmar-Linie.«

»Nicht gültig, sagen Sie?«

»Nicht auf dieser Strecke.«

»Nun, das ist ja wohl nicht mein Problem, wenn man mir eine ungültige Fahrkarte verkauft.«

»Wo wollen Sie hin?«

»Nach Stockholm natürlich«, antworte ich. »Was dachten Sie denn?«

»Ja, aber dies ist der Zug nach Kalmar, hören Sie, dieser Zug fährt nach Kalmar«, sagt er verärgert.

Nun, das wusste ich nicht, und es war auf jeden Fall entsetzlich pedantisch von ihm, sich an so etwas aufzuhängen.

Wahrscheinlich tat er das, weil ich Norweger bin, aus einem politischen Groll heraus. Ich sollte ihn in Erinnerung behalten.

»Ja, wie sollen wir es da machen?«, frage ich.

»Sie sollen es so machen, dass … ja, wo wollen Sie überhaupt hin? Mit diesem Zug kommen Sie nicht nach Stockholm.«

»Gut, dann fahre ich nach Kalmar, ich meinte eigentlich Kalmar«, antworte ich. Stockholm hat mir auch nie wirklich gefallen, ich würde mir sicherlich kein Geld leihen, um noch einmal dorthin zu reisen. – Diese verdammte Königin wollte also nach Kalmar, dann hatte die Pein ein Ende!

»Dann bezahlen Sie bei mir bis Gemla, mit einem Aufschlag von vierzig Öre«, sagt der Schaffner. »Aber in Gemla müssen Sie eine weitere Fahrkarte kaufen.«