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Alle Erinnerungen an mein bisheriges Leben sind ausgelöscht.
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und wie ich heiße.
Eine attraktive Frau, die sich als meine Freundin ausgibt, kümmert sich liebevoll um mich. Doch ich spüre, dass sie mir nicht die Wahrheit erzählt und dass unsere Liebe ein dunkles Geheimnis birgt.
Ein Psychologe, der mir helfen soll, Licht ins Dunkel zu bringen, schafft lediglich eine Vielzahl neuer Rätsel.
Ein Kommissar drängt darauf, mich wegen eines Mordes zu vernehmen. Als Zeuge? Oder als Verdächtiger?
Doch nicht nur mein Gedächtnis spielt mir Streiche, sondern zudem auch meine Wahrnehmung.
Ich kann niemandem vertrauen, am wenigsten mir selbst ...
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Über den Inhalt:
Über den Autor:
I. Teil
Das Krankenhaus
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
II. Teil
Zuhause
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
III. Teil
Aus dem Koma
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
IV. Teil
Das Verbrechen
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
Epilog
Liebe Leserin, lieber Leser,
Zwanzig Sekunden Ewigkeit
Sterbenswort
Tödliche Tabus
Alle Erinnerungen an mein bisheriges Leben sind ausgelöscht.
Ich weiß nicht mehr, wer ich bin und wie ich heiße.
Eine attraktive Frau, die sich als meine Freundin ausgibt, kümmert sich liebevoll um mich. Doch ich spüre, dass sie mir nicht die Wahrheit erzählt und dass unsere Liebe ein dunkles Geheimnis birgt.
Ein Psychologe, der mir helfen soll, Licht ins Dunkel zu bringen, schafft lediglich eine Vielzahl neuer Rätsel.
Ein Kommissar drängt darauf, mich wegen eines Mordes zu vernehmen. Als Zeuge? Oder als Verdächtiger?
Doch nicht nur mein Gedächtnis spielt mir Streiche, sondern zudem auch meine Wahrnehmung.
Ich kann niemandem vertrauen, am wenigsten mir selbst …
Siegfried Langer wurde 1966 in Memmingen geboren und ist 2014 - nach 18 Jahren in Berlin - wieder in seine Heimatstadt zurückgekehrt.
Veröffentlichungen:
'Die Geschichte, die dich einholt' (Self Publishing, 2021)
'Das Buch, das dich findet' (Self Publishing, 2020)
'Aus dem Koma' (Self Publishing, 2017)
'Zwanzig Sekunden Ewigkeit' (Self Publishing, 2016)
'Berlin Ripper' - Privatdetektivin Sabrina Lampe Band 3 (Self Publishing, 2016)
'Vergelte!' - Privatdetektivin Sabrina Lampe Band 2 (Edition M, 2015)
'Leide!' - Privatdetektivin Sabrina Lampe Band 1 (Self Publishing / Münchner Verlagsgruppe, 2014)
'Tödliche Tabus' (U-line Verlag, 2013; Neuauflage Self Publishing, 2015)
'Sterbenswort' (Ullstein Verlag, 2012; Neuauflage Edition M, 2016)
'Vater, Mutter, Tod'oder'Seelenscherben' (Ullstein Verlag, 2011, Neuauflage Self Publishing 2018)
'Alles bleibt anders' (Atlantis Verlag, 2008)
Jeder Roman ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig von den anderen gelesen werden.
Nähere Infos zum Autor und seinen Romanen finden Sie auf
www.siegfriedlanger.de
Aus dem Koma
Thriller
von
Siegfried Langer
© 2017 by
Siegfried Langer
Freudenthalstr. 35
87700 Memmingen
www.siegfriedlanger.de
Lektorat:
Monika Reichert
Markus Collet
Titelbild und Typographie:
Mike Beuke
(unter Verwendung eines Bildes
von „lightwise“ via 123rf.com)
Konvertierung:
Siegfried Langer
Ich wusste nicht mehr, wie ich hieß.
Auch die Frau, die neben meinem Krankenbett saß und sagte, sie sei meine Freundin, erkannte ich nicht.
Doch mein Herz signalisierte mir klar und deutlich, dass ich sie liebte. Trotz allem. Immer noch.
Dass sie weinte und ich nicht in der Lage war, sie zu trösten, stimmte mich traurig. Tapfer streichelte sie meine rechte Hand, die auf der Bettdecke ruhte.
Im Handrücken der Linken steckte ein Infusionsschlauch, der mich mit Medikamenten versorgte.
Es kribbelte in meinem Magen.
War der liebevolle Blick der Fremden die Ursache dafür oder doch eher das einsetzende Hungergefühl? Denn bis gestern Morgen hatte ich noch über eine Sonde meine Nahrung erhalten, danach lediglich Suppe - so dünn und geschmacklos, dass sie ihren Namen nicht verdient hatte.
„Susanne“, flüsterte ich leise und strengte mich dabei so wenig an wie nur eben möglich. Kurz stahl sich ein Lächeln in ihr Gesicht. Vermutlich hoffte sie, dass ich mich endlich an sie erinnerte, doch wiederholte ich lediglich den Namen, mit dem sie sich vorgestellt hatte.
„Sebastian“, fuhr ich fort. Doch der Name, der der meine sein sollte, löste genauso wenig in mir aus wie der meiner mutmaßlichen Lebensgefährtin.
Susanne blickte mich hoffnungsvoll-fragend an, aber ich schüttelte lediglich den Kopf.
Sogleich stellte sich wieder dieses Pochen in meinem Schädel ein. Ich zog meine Rechte unter Susannes Hand hervor und tastete nach dem Verband an meiner Stirn.
„Du musst deinen Kopf ruhig halten, Schatz. Möglichst wenig bewegen, hat Dr. Lorenz gesagt.“
Dr. Lorenz, ein weiterer Fremder. Meine Erinnerung an ihn reichte nur wenig weiter zurück als die an Susanne.
„Es ist alles im Moment etwas viel für dich, Schatz.“
Ja, das war es.
Alles, was länger als ein paar Stunden zurücklag, war aus meinem Gedächtnis verschwunden.
Ausgetilgt. Gelöscht. Einfach weg.
Dagegen konnte ich alles, was mich umgab, beim korrekten Namen nennen: Krankenhausbett, Fenster, Tablettenblister, Kanüle. Sämtliche persönlichen Angelegenheiten jedoch blieben in der Finsternis verschwunden.
„Was ist passiert?“, fragte ich.
Das Sprechen schmerzte sehr und klappte nur langsam und undeutlich. Aber Susanne schien mich zu verstehen.
„Eine Kopfverletzung.“
Ja, das spürte ich auch.
„Wie?“
Susanne antwortete nicht, sah mich nur ängstlich an. Sie schien den Zeitpunkt noch nicht für gekommen zu halten, mich mit der Wahrheit zu konfrontieren.
„Dr. Lorenz meint, dass du relativ gute Chancen hast, dass sich dein Erinnerungsvermögen weitgehend erholt.“
Relativ gute Chancen …
Weitgehend erholt ...
Zuversicht hörte sich anders für mich an.
Und ich spürte instinktiv, dass meine Kopfverletzung nicht daher rührte, dass ich beim Auswechseln einer Glühbirne von der Leiter gefallen war.
Mein Gefühl sagte mir mit aller Deutlichkeit, dass mehr dahintersteckte. Etwas viel, viel Schlimmeres.
Gerade als ich alle Kraft zusammengenommen hatte, um resoluter nachzufragen, öffnete sich die Tür.
Eine weitere Person, die ich erst seit Kurzem kannte, trat ein: Schwester Kathrin.
Während Susanne dunkelbraunes, glattes Haar hatte, trug Schwester Kathrin blondes und gelocktes. Der leichte Hüftschwung, mit dem sie eintrat, glich dem eines Models, das Werbung für den Ausbildungsberuf der Krankenschwester machte.
Einerseits lächelte sie freundlich und gütig, andererseits spürte ich, dass mit ihr eine frostige Atmosphäre im Krankenzimmer Einzug gehalten hatte.
Da lag etwas zwischen ihr und mir. Etwas Unausgesprochenes. Etwas, das vor meinem Aufwachen geschehen sein musste.
In der Hand hielt sie einen Teller, den sie nun Susanne entgegenstreckte.
„Möchten Sie es versuchen?“
Susanne nahm den Teller entgegen und Schwester Kathrin reichte ihr zudem eine kleine Gabel.
Auch das, was auf dem Teller lag, erkannte ich sofort und konnte es benennen. Jemand, vermutlich Kathrin selbst, hatte einen Apfel in mundgerechte Stücke geschnitten. Zu meinem Erstaunen wusste ich sogar die Apfelsorte: Golden Delicious.
„Ganz wird er ihn nicht schaffen. Aber es ist wichtig, dass er überhaupt etwas isst, damit die Verdauung wieder in Gang kommt.“
Kathrin hätte das einfach auch direkt zu mir sagen können.
Während Susanne eines der Stücke mit der Gabel aufspießte und zu meinem Mund führte, folgte Schwester Kathrin der Bewegung mit ihrem Blick.
Brav öffnete ich meinen Mund. Der süßliche Geschmack regte sofort meinen Speichelfluss an. Dass ich gesabbert hatte, wurde mir erst bewusst, als Susanne liebevoll mit einem Taschentuch meinen Mundwinkel abtupfte.
„Ist nicht schlimm, Schatz.“
Das Kauen kostete mich ähnlich viel Anstrengung wie zuvor das Sprechen.
Wie lange waren meine Kiefermuskeln nicht in Bewegung gewesen?
Bislang hatte ich mich dies nicht zu fragen getraut.
Tapfer biss ich auf dem Apfelstück herum.
Meine Geschmacksknospen schienen zu explodieren. Ich konnte mich nicht erinnern, jemals etwas so intensiv geschmeckt zu haben. Aber in meinem gegenwärtigen Zustand hatte dies vermutlich wenig Aussagekraft.
Ich schluckte, doch es funktionierte nicht.
Noch einmal versuchte ich, den Apfelbrei hinab zu bekommen.
Nun klappte es.
Ich freute mich und Susanne entlockte der Erfolg ein begeistertes Lächeln.
Toll! Ich habe ein Apfelstück gegessen! Wollen wir gleich eine Pressemitteilung herausgeben?
„Sie müssen geduldig mit sich sein“, sagte Schwester Kathrin, als habe sie mir meinen Sarkasmus aus den Gesichtszügen abgelesen.
Zu nicken traute ich mich nicht, aus Angst vor einer neuerlichen Kopfschmerz-Attacke, also zwinkerte ich ihr bestätigend mit den Augen zu.
„Mehr?“, fragte Susanne und ich blinzelte erneut.
Ja, ich war ein Held: Ich konnte unmittelbar hintereinander zwei Apfelstücke verputzen!
Ich öffnete meine Lippen und Susanne schob mir das zweite Stück in den Mund.
Für einen Moment ließ ich es einfach auf meiner Zunge ruhen.
Die beiden Frauen beobachteten mich auch weiterhin. Jede Kleinigkeit wurde zu einem Großereignis. Ich aß und die zwei waren begeistert von mir.
Ich war mir ziemlich sicher, dass es in meinem bisherigen Leben deutlich schwieriger gewesen war, eine Frau so zufrieden zu stellen.
Nach dem dritten Stück konnte ich nicht mehr. Zum einen fühlte ich mich pappsatt, zum anderen tat mir bereits der Kiefermuskel weh.
Susanne schien dies zu erkennen. Während sie den Teller wegstellte und wieder meine Hand in die ihre nahm, verließ Kathrin das Zimmer.
„Es wird alles gut werden, Schatz.“
Na, diese Zuversicht hätte ich auch gerne!
„Ganz bestimmt. Bald wird wieder alles so wie früher sein.“
Ich wurde müde.
Ganz allmählich verschwamm Susannes gütiges Gesicht hinter einem Schleier. Ich wollte dagegen ankämpfen, aber es gelang mir nicht.
Sicherlich erhielt ich immer noch Schlafmittel.
Dann glitt ich hinüber in einen traumlosen …
„Wie geht es Ihnen heute, Herr Fuchs?“
Der Nachname hörte sich für mich genauso wenig vertraut an wie 'Sebastian'.
Ich zuckte mit den Schultern.
Keine Ahnung, ob Dr. Lorenz wegen meiner Reaktion enttäuscht war. Zumindest ließ er sich nichts anmerken.
„Schwester Kathrin sagte mir, dass Sie bereits wieder feste Nahrung zu sich genommen haben.“ Er wartete kurz ab. Vermutlich wollte er eine Bestätigung aus meinem Munde haben. Doch ich schwieg. Ich dachte an Susanne, sehnte mich nach ihrer Nähe.
„Das ist ein gutes Zeichen“, setzte er unbeirrt fort. „Auch ihre sonstigen Werte: Temperatur, Blutdruck, Herzfrequenz. Alles im grünen Bereich. Ich würde sagen, Sie sind über den Berg.“
Fühlte sich aber überhaupt nicht so für mich an.
Jede Bewegung schmerzte, die mit dem Kopf im Besonderen.
Und vor allem hasste ich es, wenn ich auf die Klingel drücken musste, um zu signalisieren, dass ich Wasser lassen musste und dann eine der Schwestern hereinkam, um mir 'behilflich' zu sein.
Der Schlauch, den ich bis vor Kurzem noch da unten gehabt hatte, war mir allerdings noch weitaus unangenehmer gewesen.
„Das Sprechen tut immer noch weh?“
Ich zwinkerte.
„Keine Sorge. Das ist völlig normal.“
Nein, ist es nicht. Normal ist es, wenn man selbstständig zur Toilette gehen und sich an seine Vergangenheit erinnern kann.
„Ich glaube, Sie sind jetzt soweit, dass ich Ihnen Näheres sagen kann. Was meinen Sie?“
Ich quälte mir ein „Ja“ heraus.
„Sehr schön.“
Warum musste er Worte wie 'normal' und 'schön' verwenden?
Ich spürte, wie Verärgerung in mir hochstieg.
Nur zu gerne hätte ich ihm gesagt, was ich von seinen Verharmlosungen hielt.
„Ursache für Ihre Situation war ein Schädel-Hirn-Trauma dritten Grades mit Einblutungen im Gehirn.“
Zunächst ließ er dies einfach so im Raum stehen. Als könnte ich erfassen, was es bedeutete.
Die Worte kannte ich alle und konnte sie auch zuordnen. Doch was bedeuteten sie für mich in dieser Kombination?
„Leider war eine massive Schädigung neuronaler Strukturen die Folge.“
Konnte dieser Halbgott in Weiß nicht einfach Klartext mit mir reden?
Musste er mir beweisen, dass er im Medizinstudium gut aufgepasst hatte und mir mit seinem Fachchinesisch seine Überlegenheit demonstrieren?
„Um zu retten, was zu retten war, mussten wir Sie in eine Langzeit-Narkose versetzen. Der Volksmund nennt es 'künstliches Koma'.“
Wie lange?
Dr. Lorenz schien meine unausgesprochene Frage verstanden zu haben.
„Vierzehn Tage“, antwortete er. „Leider sind die Verletzungen nur partiell reparabel.“
Was sollte das heißen?
Dass ich ein sabbernder Pflegepatient bleiben würde?
Dass er mich für plemplem hielt?
Na, dem würde ich es noch zeigen!
Wenn ich mich nur nicht so müde fühlen würde ...
Am liebsten hätte ich ihm meine Meinung gesagt. Er sollte mir gefälligst erzählen, was los war. Seine Arbeit tun. Mich nicht mit Phrasen vollschwallen.
Wieder kehrten meine Gedanken zu Susannes Besuch zurück. Das Wissen, dass sie für mich da war, beruhigte mich und stimmte mich milde. So quälte ich mir ein kaum zu vernehmendes „Wie?“ heraus.
„Was meinen Sie? Wie es weitergeht?“
Ich blinzelte. Ich brauchte einfach mehr Informationen.
„Sie werden Rehabilitationsmaßnahmen benötigen, damit Sie wieder zurück ins Leben finden.“
Was würde das noch für ein Leben sein?
„Wenn es für Sie in Ordnung ist, würde ich die Einzelheiten gerne mit Ihrer Lebensgefährtin besprechen.“
Glaubte er, dass ich geistig nicht in der Lage war, ihm zu folgen?
„Ich möchte Sie nicht zu sehr belasten.“
Belasten? Es belastete mich, dass ich hier im Bett lag und zur Untätigkeit verdammt war. Dass mir eine Krankenschwester – mochte sie noch so hübsch und freundlich sein – beim Pinkeln helfen musste.
„Herr Fuchs!“
Er hörte sich dramatisch an.
„Gemessen an dem, was Ihnen passiert ist, sind Ihre Heilungschancen wirklich sehr gut.“
Passiert? Was ist mir denn passiert?
„Sie werden höchstwahrscheinlich wieder ein selbstbestimmtes Leben führen können. Die physischen Schäden werden Sie nur minimal beeinträchtigen.“
Und die psychischen?
„Meine Erinnerungen?“, flüsterte ich.
„Da kann ich Ihnen leider keine Versprechungen machen, Herr Fuchs. Da wird sicher einiges wieder aus Ihrem Unterbewusstsein auftauchen, keine Frage. Anderes wird wohl dauerhaft verloren bleiben.“
Ich wachte auf und schlief.
Ich wachte auf und schlief.
Die genaue zeitliche Einordnung dazu fehlte mir.
Mal war es draußen vor dem Fenster dunkel, mal strahlte das Licht der Sonne durch die Zweige der Pappel.
Mal saß Susanne bei mir, mal blieb ich bis zum Wiedereinschlafen allein.
Während der meist kurzen Wachphasen sehnte ich mich danach, das Krankenhaus zu verlassen. Einfach raus. Ich wünschte mir, mit Susanne spazieren zu gehen, im Wald oder an einem See, mit ihr auf einer Blumenwiese zu picknicken. Ein normales Leben, in trauter Zweisamkeit. Ob wir Kinder hatten? Hoffentlich, denn der Gedanke gefiel mir sehr. Ich musste sie dringend danach fragen. Oder hatte ich das bereits getan?
Irgendwann reduzierte Dr. Lorenz die Sedierungsmittel, was meine Kopfschmerzen erhöhte und mir zudem Gliederschmerzen einbrachte. Medikamentenentzug nannte es Dr. Lorenz.
Der Vorteil war, dass sich meine Gedanken besser sortierten und sich meine Konzentrationsfähigkeit erhöhte.
Gleichzeitig quälte es mich immer mehr, nicht zu wissen, wer ich war, wie ich gelebt hatte und - vor allem - warum ich mich in diesem Zustand befand. Als Susanne wieder einmal neben mir saß und meine Hand hielt, startete ich einen weiteren Anlauf herauszufinden, was mit mir geschehen war.
„Die Kopfverletzung. Woher?“, fragte ich sie; das Sprechen fiel mir nach wie vor schwer.
Sie sah mir lange in die Augen. Es wirkte auf mich, als überlege sie, ob sie mir die Wahrheit schon zumuten könnte.
Schließlich antwortete sie.
„Es handelt sich um eine Schussverletzung.“
Jemand hat auf mich geschossen?
Oder habe ich etwa versucht, mich selbst …?
Sie zögerte. Das behagte mir gar nicht.
Wartete sie, ob mir etwas dazu einfiel, oder wartete sie, ob ich weiter nachfragte?
Susanne musste doch sehen, wie schwer mir das Artikulieren fiel!
„Wie das?“
„Vielleicht sollten wir uns doch noch gedulden, bis es dir etwas besser geht. Dr. Lorenz meinte, er würde demnächst einen Psychologen hinzuziehen. Die Polizei drängt auch schon.“
Sofort biss sie sich auf die Lippen. Das mit der Polizei war ihr wohl nur herausgerutscht, doch jetzt war die Katze aus dem Sack.
„Polizei?“, fragte ich.
„Ja“, sagte sie zögerlich. „Sie haben noch einige Fragen.“
Ich spürte einen Lachreiz. Das fand ich komisch: Die Bullen hatten Fragen! Und das an mich! Die sollten ruhig kommen.
Doch die Belustigung wandelte sich rasch in Beunruhigung.
Wer hatte da auf mich geschossen?
Und warum?
War ich immer noch in Gefahr?
„Und? Glauben Sie es nun selbst?“
Aus dem Schleier meines Schlafes tauchte die Stimme von Dr. Lorenz auf.
Die Antwort, die folgte, konnte ich nicht verstehen. Sie glich einem unzufriedenen Grummeln.
„Herr Fuchs ist im Moment nicht dazu in der Lage, mit Ihnen zu sprechen, Herr Bahr.“
Bahr? Bahr? Sollte mir der Name irgendetwas sagen?
Auf jeden Fall hatte ich das Gefühl, dass von dem Mann eine Gefahr für mich ausging.
Sicherheitshalber hielt ich die Augen geschlossen und versuchte, möglichst flach und gleichmäßig zu atmen.
„Sie werden verstehen, dass wir uns in regelmäßigen Abständen ein Bild von seinem Zustand machen müssen.“
„Dafür würde auch ein Anruf ausreichen. Oder vertrauen Sie meinem medizinischen Sachverstand etwa nicht?“
„Wir verfolgen hier nicht unbedingt die gleichen Interessen, Dr. Lorenz.“
„Auch für Sie sollte die Unversehrtheit meines Patienten die höchste Priorität haben.“
„Ich habe hier einen Mordfall aufzuklären. Das ist meine höchste Priorität.“
„Mit Ihrem Eindringen in ein Krankenzimmer erreichen Sie gar nichts.“
„Ich bin nicht 'eingedrungen'. Sie wissen, dass das Recht auf meiner Seite steht.“
„'Recht' heißt noch lange nicht 'richtig'. Glauben Sie, dass es seinem Heilungsprozess zuträglich ist, wenn Sie sich hier an seinem Krankenbett mit mir streiten?“
„Wer hat denn damit angefangen? Hätten Sie mich einfach in aller Ruhe nachsehen lassen, wäre ich längst wieder draußen.“
Mir kam es vor, als würden sich zwei Kleinkinder im Kindergarten darum streiten, wer zuerst mit den Legosteinen spielen durfte. Eines Mediziners und eines Polizisten unwürdig.
Ich würde den Teufel tun und meine Augen öffnen, um den beiden neue Munition zu geben.
„Sie stimmen also meiner Einschätzung zu, dass es für eine Vernehmung von Herrn Fuchs noch viel zu früh ist?“
Bahr brummelte wieder etwas und ich deutete es als widerwillige Zustimmung.
„Dann möchte ich Sie bitten, das Krankenzimmer so rasch wie möglich zu verlassen.“
Bahr schwieg jetzt und kurze Zeit später hörte ich, dass sich die Zimmertür öffnete und wieder schloss.
Vorsichtig hob ich meine Augenlider und linste in den Raum. Ich war allein.
Ich mochte diesen Bahr nicht.
Und ich glaubte nicht, dass Dr. Lorenz mich auf Dauer vor ihm beschützen konnte.
Der Schwarze trug einen weißen Kittel mit dem gleichen Emblem, das auch den von Schwester Kathrin zierte. Deshalb vermutete ich, dass alles in Ordnung war, als er sich am Ende meines Krankenbettes hinabbeugte, um die Bremsen zu lösen.
Dann sah er mich an.
„Oh, Sie sind ja wach, Herr Fuchs.“
Das 'wach' hörte sich eher an wie 'wa' und das 'Fuchs' wie 'Fuß'; die drei S-Laute hatte er stimmlos ausgesprochen. Er grinste mich breit an.
„Was?“, stammelte ich.
„Wir machen eine kleine Ausflug.“
Wo kam der denn her?
Austauschstudent aus Kamerun?
Oder beschäftigten sie jetzt schon Flüchtlinge in den Krankenhäusern?
Auf den ersten Blick wirkte er zumindest sympathischer als Kathrin. Aber ich traute ihm dennoch nicht.
„Alles wird gut, Herr Fuchs.“
Na, wenn du das sagst.
Er ging nun ans Kopfende meines Bettes und verschwand damit aus meinem Sichtfeld.
„Mein Name ist Mohammed. Ich Sie bringe zu Frau Zierle, Herr Fuchs.“
Mohammed. Auch das noch!
Das Bett wackelte leicht, als er es in den Krankenhausflur schob, und prompt meldeten sich meine Kopfschmerzen wieder. Ich stöhnte auf.
„Oh, Entschuldigung. Ich versuche so sanft wie möglich fahren, Herr Fuchs.“
Die 'sch' wurden bei ihm zu 's' und die 'ch' ignorierte er komplett. Und alle 's' erinnerten mich immer mehr an die Zischlaute einer Schlange. Er wirkte einfältig auf mich und nicht so, als hätte er etwas gegen mich.
Aber warum hatte ich eigentlich solche Vorurteile?
Eigentlich bemühte sich Mohammed sehr und gab mir keinen Anlass für Verdächtigungen.
Warum unterstellte ich ihm also, dass er Böses im Schilde führen könnte?
Lauerten Gefahren im Krankenhaus auf mich?
Ich glaubte, dass dieser Bahr mir etwas anhängen wollte. Aber wollte er das wirklich?