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"Begegnung" ist die erste Komplettübersetzung der französischen Ausgabe, in der 1988, unter dem Titel "Monsieur Thorpe", gesammelte Erzählungen Boves aus verschiedenen Schaffensphasen und aus dem Nachlass veröffentlicht wurden. Und auch in diesen Geschichten bewährt sich Bove als glänzender Psychologe, der mit einem ganz eigenen Humor Verschränkungen und Widersprüche freilegt. Dabei begegnet man überwiegend jungen Männern, die glauben, souverän zu handeln, sich dann aber in geradezu grotesker Weise in den Fallstricken des eigenen Begehrens verheddern. Die Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht zeitigen ein denkwürdiges Kuriosum: das gekonnte Sichhineinversetzen in das Denken des Gegenübers verschafft keinerlei Vorteil. Im Gegenteil: Die vermeintliche Gabe wird zum größten Hindernis … Die 24 Erzählungen, 16 von ihnen bisher unübersetzt, zeigen erneut Emmanuel Boves berühmte Beobachtungsgabe und seinen "Sinn für das berührende Detail", wie Samuel Beckett es nannte. "Im Kleid einer geradezu lapidaren Sprache erschließt sich der hochpoetische Kosmos eines Klassikers der Moderne." [Quelle: Ingeborg Waldinger, Neue Zürcher Zeitung] Zum Weiterlesen: "Emmanuel Bove. Eine Biographie" von Raymond Cousse und Jean-Luc Bitton ISBN 9783860347096
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Seitenzahl: 510
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»Begegnung« ist die erste Komplettübersetzung der französischen Ausgabe, in der 1988, unter dem Titel »Monsieur Thorpe«, gesammelte Erzählungen Boves aus verschiedenen Schaffensphasen und aus dem Nachlass veröffentlicht wurden. Und auch in diesen Geschichten bewährt sich Bove als glänzender Psychologe, der mit einem ganz eigenen Humor Verschränkungen und Widersprüche freilegt. Dabei begegnet man überwiegend jungen Männern, die glauben, souverän zu handeln, sich dann aber in geradezu grotesker Weise in den Fallstricken des eigenen Begehrens verheddern. Die Begegnungen mit dem weiblichen Geschlecht zeitigen ein denkwürdiges Kuriosum: das gekonnte Sichhineinversetzen in das Denken des Gegenübers verschafft keinerlei Vorteil. Im Gegenteil: Die vermeintliche Gabe wird zum größten Hindernis …
Die 24 Erzählungen, 16 von ihnen bisher unübersetzt, zeigen erneut Emmanuel Boves berühmte Beobachtungsgabe und seinen »Sinn für das berührende Detail«, wie Samuel Beckett es nannte.
»Im Kleid einer geradezu lapidaren Sprache erschließt sich der hochpoetische Kosmos eines Klassikers der Moderne.« (Ingeborg Waldinger in der Neuen Zürcher Zeitung vom 5. März 2013)
Mehr zum Autor und seinem Werk unter www.emmanuelbove.de
1898 als Sohn eines russischen Lebemanns und eines Luxemburger Dienstmädchens in Paris geboren, schlug sich Emmanuel Bove mit verschiedenen Arbeiten durch, bevor er als Journalist und Schriftsteller sein Auskommen fand. Mit seinem Erstling »Meine Freunde« hatte er einen überwältigenden Erfolg, dem innerhalb von zwei Jahrzehnten 23 Romane und über 30 Erzählungen folgten.
Nach seinem Tod 1945 gerieten der Autor und sein gewaltiges Œuvre in Vergessenheit, bis er in den siebziger Jahren in Frankreich und in den achtziger Jahren durch Peter Handke für den deutschsprachigen Raum wiederentdeckt wurde. Heute gilt Emmanuel Bove als Klassiker der Moderne.
Thomas Laux, geboren 1955 in Düsseldorf. Studium der Germanistik und Romanistik, Staatsexamen, Promotion 1987 in Romanistik. Literaturkritiker und Übersetzer aus dem Französischen (u. a. Bove, Henri Thomas, Hervé Guibert, Jacques Chauviré).
Begegnungund andere Erzählungen
Aus dem Französischenvon Thomas Laux
Edition diá
E R S T E R T E I L
Zu Lebzeiten veröffentlichte Erzählungen
Monsieur Thorpe
Begegnung
Eine Illusion
Die Rückkehr
Die Garantie
Das Geheimnis
Sie ist tot
Der kleine Bruder
Ein Missverständnis
Eine Kränkung
Kleine Märchen
Das ertappte Kind
Ein Tag in Chantilly
Unterhaltung
Lampenfieber
Ostern in Kozani
Z W E I T E R T E I L
Posthum veröffentlichte Erzählungen
Der Strohhut
Doktor Aubin
Die Tante
Ein allzu netter Kerl
Ein romantisches Mädchen
Das Kind
Der kleine Diebstahl
Solange wir leben
Die Flucht
Impressum
Zu Lebzeiten veröffentlichte Erzählungen
Monsieur Thorpe, 1930
Begegnung, 1939
(Sammlung der Erzählungen Begegnung, Eine Illusion, Die Rückkehr, Die Garantie, Das Geheimnis und Sie ist tot im Anhang des Romans La dernière nuit, deutsch Die letzte Nacht, 1988)
Der kleine Bruder, 1928
(in der Juli-Ausgabe der satirischen Zeitschrift Le Crapouillot)
Ein Missverständnis, 1930
(in der Zeitschrift Les Œuvres Libres, Nr. 108)
Eine Kränkung, 1945
(in der Zeitschrift Livre des Lettres, Nr. 5)
Kleine Märchen, 1929
(Sammlung der Erzählungen Das ertappte Kind, Ein Tag in Chantilly, Unterhaltung, Lampenfieber und Ostern in Kozani)
Die Geschichte, die ich Ihnen jetzt erzähle, ereignete sich im Jahre 1910 oder 1911, in dem Jahr, als, glaube ich, Massenet starb. Damals wohnte ich in Genf und ging dort zur Schule. Ich wurde 1894 geboren, war also sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ich erinnere mich sehr gut, dass ich vom Tod des Komponisten in der Rue de l’École de Médecine erfuhr und dass mich die Nachricht sehr beeindruckte, denn zu der Zeit trafen mich die Todesfälle von Leuten, um deren Existenz ich wusste, wie ein Schlag. Ich erinnere mich auch sehr gut daran, dass in jenem Jahr Védrines einen Absturz hatte, von dem man lange Zeit annahm, dass er tödlich ausgehen würde, und dass ich jeden Nachmittag um drei Uhr, bei Kollegschluss, die letzten Nachrichten über die Gesundheit des Fliegers dem Aushang der Zeitung La Suisse entnahm.
Meine Eltern hatten Genf verlassen und mich einer jungen Witwe, Madame Le Verrier, anvertraut. Sie leitete eine Pension in der Rue de Candolle, einer Straße in unmittelbarer Nähe des Jardin des Bastions, wo ich, wie ich mich erinnere, zum ersten Mal einer Kinovorstellung unter freiem Himmel beigewohnt habe. Von Menton aus, dem Ort ihrer neuen Bleibe, schickten meine Eltern mir das Geld für meine Pension und für meine bescheidenen Bedürfnisse, aber nie zu einem festen Zeitpunkt, das heißt: mal zu früh, mal zu spät, was mir, im letzteren Falle, oft Komplikationen bereitete. Ich musste ein Telegramm nach dem anderen aufgeben, um meine Gastgeberin zu beruhigen, musste meine Kameraden um Butterbrote und Hefte anpumpen. Doch um nichts in der Welt hätte ich gewollt, dass mein Vater meine Pension direkt bezahlte, was mir allen Ärger erspart hätte. Vor seiner Abreise hatte ich darauf bestanden, dass das Geld mir persönlich zugeschickt würde. Das gab mir eine Art Vorgefühl auf die Unabhängigkeit, die ich so sehr ersehnte. Ich kam mir schon wie ein Mann vor. Und diese Verzögerungen, die Erklärungen, die ich meiner Gastgeberin machen musste, bestärkten mich in dieser Meinung. Ich war stolz darauf, Sorgen zu haben, und spielte nicht ohne eine gewisse Befriedigung den gepeinigten Schuldner.
Madame Le Verrier mochte um die dreißig Jahre alt gewesen sein. Sie war großgewachsen, blond und schlank. Sie war eine jener Frauen, die glauben, dass die französischen Männer an nichts anderes dächten, als bei den Frauen Gefallen zu finden und sie danach leiden zu lassen. Alle Pensionsgäste, überwiegend junge Leute wie ich, unterhielten eine geheime Liebe zu ihr. Sie widmeten ihr Gedichte und brachten ihr Blumen. Wenn sie sie in der Stadt trafen, grüßten sie sie – wobei sie blass oder rot wurden –, in der Hoffnung, dass sie stehen bliebe, um mit ihnen zu reden. Sie ging indes weiter ihres Weges, aber nicht ohne zuvor ein Lächeln gezeigt zu haben – sie, die in ihrer Funktion als Leiterin immer eine ernste Miene behielt. Vor allem wollte sie nicht, dass man sie für eine Geschäftsfrau hielt. Aber da sie auch nicht wollte, dass man ihre Selbstlosigkeit ausnutzte, nahm sie zwei Haltungen an: in der Pension streng, draußen ungezwungen. Sie führte ihr Haus übrigens wie eine Familie, aber wenn es auch etliche Kleinigkeiten gab, die diesen Eindruck vermittelten – wie die Möglichkeit, warme Backsteine zu bekommen, eine Diät zu halten, die Mahlzeiten im Krankheitsfalle auf dem Zimmer einzunehmen –, so fehlte doch die Herzlichkeit. Die Aufmerksamkeiten glichen eher denen großer Restaurants. Alles war komfortabel, dafür aber unterkühlt. Wenn man eine Beschwerde vorzutragen hatte, eine Bitte auszusprechen, so konnte man das nur tun, wenn etwas Schwerwiegendes vorlag, und selbst dann musste man mehrere Tage warten, bis Madame Le Verrier eine Audienz gewährte. Ihre eigene Wohnung lag eine Etage höher. Da sie niemals geruhte herunterzukommen, musste der Pensionär zu ihr hinauf. Sie empfing ihn wie einen Gast, stellte ihn den eventuell anwesenden Freunden vor. Er musste mitunter also die nicht selten lächerlichen Gründe seines Besuchs vor Dritten ausbreiten. Dann übertrug sie diese Beschwerde ins Allgemeine. Sie stellte ihrer Umgebung die Frage, ob man sonst irgendwo einem solchen Wunsch nachgekommen wäre. Hätte ein Pensionsgast aus England zum Frühstück Orangenkonfitüre gewünscht, so hätte sie ihre Freunde gefragt: »Glauben Sie wirklich, dass dies für junge, kräftige Menschen so unentbehrlich ist? Ich halte das für reine Naschhaftigkeit. Ich weiß, dass das in England Sitte ist, aber meinen Sie, dass sich das hier schickt? Orangenkonfitüre ist nicht so gesund, wie man meint. Sie nehmen sie doch nicht, oder? Ich auch nicht. Na ja, wir werden mal sehen.« Man ahnte, dass sie aus Selbstachtung alles vermied, was sie in die Situation einer tatsächlichen Pensionsleiterin gebracht hätte. Dieses Geschäft war in ihren Augen nur ein Besitz. Ihn Zinsen tragen zu lassen, darum wollte sie sich nicht kümmern müssen, nicht mehr, als sie es für eine Summe Geld getan hätte. Ihr Bankier war in diesem Fall eine alte Hausangestellte, die das Dienstpersonal leitete. Sie kümmerte sich um alles. Erst am Abend begab sie sich zu ihrer Herrin, die ihr, wie man sich denken kann, trotz ihrer augenscheinlichen Gleichgültigkeit eine Menge Fragen stellte.
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