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Schön ist es, in einer Welt zu leben, in der man sich ein Gesicht im Supermarkt ausleihen kann, denkt der biedere Beamte Murr - und erlebt letztendlich eine Überraschung. ***Erzählung Nr.3 aus dem Sammelband "In einer Bar unter dem Meer"*** Die Figuren in Christoph W. Bauers Erzählungen mögen auf den ersten Blick verschroben wirken. Dabei sind sie vertrauter, als einem lieb ist: Sie trauern verpassten Chancen nach, verrennen sich in Träume, sind unglücklich in ihren Berufen, sprechen von Treue und wandern von einem Bett ins andere, geben sich kühl und erfahren, im nächsten Moment innig und schmachtend. In den unterschiedlichsten Tonarten sprechen sie an, was wir alle kennen: Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe und Verlust. Temporeich und direkt sind Bauers Geschichten, manchmal kurz und energisch wie ein Punksong, manchmal eigenbrötlerisch und elegisch wie ein Blick aufs Meer. Dabei oft von einer bestechenden Komik und voll plötzlicher Wendungen, die unversehens den Blick öffnen auf eine Wirklichkeit, die uns alle betrifft. Alle Erzählungen aus "In einer Bar unter dem Meer": Zwei plus eins Die Meidlinger Kalifornien Tannertschok Irgendwo in Deutschland Samsas Erben Windburgen Der Fall Branzer Traunstein Das Gewicht Full Shot Fassbare Formen Eine Melange im Nirgendwo Schusstechnik Relaunch, Schauraum sieben Emira und das Meer Figuren Stecknadeln
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Seitenzahl: 20
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Christoph W. Bauer
Bellevue
Erzählung
„Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.“
Ingeborg Bachmann
Murr hatte sein Gesicht im Büro vergessen, fiel ihm aber erst in der Tiefgarage auf. Noch einmal in den achten Stock hinaufzufahren, passte ihm nicht in den Kram. Es war Freitag, er könnte sich auf dem Heimweg was besorgen, das würde die Welt nicht kosten, die Preise für Mietvisagen waren seit Monaten im Keller. Musste ja nichts Besonderes sein, Flora war übers Wochenende nach Zürich gefahren und würde erst Montagabend zurück sein und mit Sophie war auch nicht zu rechnen, die hatte es vorgezogen, sich mit ihrer Clique auf seine Kosten ein paar Tage am Meer zu gönnen. Seine Tochter ignorierte ihn ohnedies seit langem als Gesichtslosen, es sei denn, sie brauchte Geld. Fremd war sie ihm geworden, er verstand kaum noch die Hälfte von dem, was sie sagte. „Da ihr euch nichts zu sagen habt, dürfte die Sprache das geringste Problem sein“, hatte seine Frau unlängst bemerkt, an ihren Zynismus hatte er sich gewöhnt, vermutete Berufliches als Ursache dafür. Flora begegneten Dummheit und Präpotenz in Klassensatzstärke, irgendwie musste man sich als Lehrerin zur Wehr setzen.
Beim nächstbesten Supermarkt hielt Murr an, zielsicher steuerte er die Gesichtsabteilung an, eine Blondgelockte empfing ihn: Ob er kaufen oder mieten wolle? Letzteres, erwiderte er und wurde einem anderen Kundenbereich zugewiesen, er brauche nur den Pfeilen auf dem Boden zu folgen, sie würden ihn direkt ins Rent A Face führen. Sie empfehle aber auch einen Besuch im Outlet, wenn es nicht der letzte Schrei sein müsse, werde er dort für billiges Geld was Hippes finden, Italiener aus der letzten Saison seien eingetroffen, zwinkerte sie ihm zu.
Murr bedankte sich, lief dann durch ihm endlos scheinende Korridore, links und rechts Regale mit blinkenden Aufschriften, Für den Juristen von Format, Der Arzt mit Potenz und Brandneu: Der Vintage-Banker