Der Fall Branzer - Christoph W. Bauer - E-Book

Der Fall Branzer E-Book

Christoph W. Bauer

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Beschreibung

Branzer ist ein Hochstapler, doch ist die Wirklichkeit nicht auch nur eine behördlich sanktionierte Erfindung, mit der sich Geschäfte machen lassen? ***Erzählung Nr.9 aus dem Sammelband "In einer Bar unter dem Meer"*** Die Figuren in Christoph W. Bauers Erzählungen mögen auf den ersten Blick verschroben wirken. Dabei sind sie vertrauter, als einem lieb ist: Sie trauern verpassten Chancen nach, verrennen sich in Träume, sind unglücklich in ihren Berufen, sprechen von Treue und wandern von einem Bett ins andere, geben sich kühl und erfahren, im nächsten Moment innig und schmachtend. In den unterschiedlichsten Tonarten sprechen sie an, was wir alle kennen: Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe und Verlust. Temporeich und direkt sind Bauers Geschichten, manchmal kurz und energisch wie ein Punksong, manchmal eigenbrötlerisch und elegisch wie ein Blick aufs Meer. Dabei oft von einer bestechenden Komik und voll plötzlicher Wendungen, die unversehens den Blick öffnen auf eine Wirklichkeit, die uns alle betrifft. Alle Erzählungen aus "In einer Bar unter dem Meer": Zwei plus eins Die Meidlinger Bellevue Kalifornien Tannertschok Irgendwo in Deutschland Samsas Erben Windburgen Traunstein Das Gewicht Full Shot Fassbare Formen Eine Melange im Nirgendwo Schusstechnik Relaunch, Schauraum sieben Emira und das Meer Figuren Stecknadeln

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Seitenzahl: 27

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Christoph W. Bauer

Der Fall Branzer

Erzählung

„Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.“

Ingeborg Bachmann

Für Branzer ist das passé. Ausschlafen bis zum Weckruf des Hungers und nach dem Frühstück mit Freunden etliche gepflegte Biere. Mittlerweile verursacht ihm jeder Tag Stress, ein Wort, das Branzer nicht mag, aber sich ein anderes zu überlegen, dazu hat er keine Zeit. Ansehen bringt ihm seine Arbeit nicht immer, und schlecht bezahlt ist sie obendrein, doch mehr als Anwesenheit wird von ihm nicht verlangt. Die lässt er sich vergelten und sichert sich und seinem Vermieter ein gemeinschaftlich gutes Gefühl. Damit sich dieses nicht verliert, achtet Branzer penibel darauf, dass ihm niemand seinen Unterhalt streitig macht. Dazu muss er schon mal die Ellbogen ausfahren, um etwaige Nebenbuhler, vermehrt Frauen neuerdings, vom Trittbrett zu jagen.

Es ist sieben Uhr morgens, Branzer hat schlecht geschlafen, warum, will ihm auf die Schnelle nicht einfallen. Einerlei, er hat nun zu tun und schmiert Leberwurstbrote, wie er sie für einen Müllmann für schicklich hält. Müllmänner essen Leberwurstbrot, das war immer so, denkt Branzer. Und sie trinken Tee aus Thermoskannen, daher prüft er gewissenhaft, ob der Verschluss auch fest zugedreht ist, denn dampfen muss der Tee, an dem der Müllmann sich labt.

Das Telefon klingelt, Branzer reibt sich die linke Schulter und weiß unversehens wieder, warum er schlecht geschlafen hat. Ein Traum hatte ihn in einen Park gelotst, dort fuhr irgendwer das Bein aus. In­folge dieses Schelmenstücks eines Unbekannten klatschte Branzer bäuchlings hin, rollte sich dann über die Schulter ab in Rückenlage, seine typische Schlafposition also. Stimmig allemal, denn als plötzlich die Visage seines Kumpels Ferdi über ihm auftauchte, schoss Branzer auf und saß kerzengerade im Bett.

Immer noch das Telefon, Branzers Hand an der Schulter, die ihn seit Tagen schmerzt. Als er zum Hörer greift, verstummt der Klingelton. „Ich darf nicht nachlassen“, flucht er und wird augenblicklich muffig. Doch niemand da, an dem er seine Laune abstreifen kann. „Was hat der Depp in meinem Traum verloren!“ Kaum ist’s ihm über die Lippen, packt ihn Reue, denn ohne seinen einstigen Saufkumpan – „ja, ich habe dir den Einstieg ins glückliche Berufsleben zu danken“, spricht Branzer ins jäh wieder aufflackernde Nachtbild hinein. „Aber jetzt schleich dich, ich muss los!“ Als wär’s eine Aufforderung an sich selbst, schon zehn nach sieben, rasch ein Kontrollblick auf Brote und Kanne, über der Lehne die Latzhose in saftigem Orange, zwischen den Stuhlbeinen säuberlich geparkt und griffbereit die klobigen Stiefel. Muss alles wie am Schnürchen laufen heut.

Branzer eilt ins Schlafzimmer, schlüpft in königsblaue Sportshorts, dazu ein ursprünglich weißes, aber mit Liebe grau und schlabbrig gewaschenes Doppel­rippunterhemd, ein bleifarbener Arbeitsmantel dar­über. Tennissocken an die Füße, diese in braune Schlapfen. So hat ein Hausmeister auszusehen, denkt Branzer. Abermals klingelt das Telefon.