Irgendwo in Deutschland - Christoph W. Bauer - E-Book

Irgendwo in Deutschland E-Book

Christoph W. Bauer

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Beschreibung

Die Geschichte eines Kurzwarenhändlers, dem eine Radikaldiät seltsame Träume beschert, die in eine dunkle Vergangenheit weisen. ***Erzählung Nr.6 aus dem Sammelband "In einer Bar unter dem Meer"*** Die Figuren in Christoph W. Bauers Erzählungen mögen auf den ersten Blick verschroben wirken. Dabei sind sie vertrauter, als einem lieb ist: Sie trauern verpassten Chancen nach, verrennen sich in Träume, sind unglücklich in ihren Berufen, sprechen von Treue und wandern von einem Bett ins andere, geben sich kühl und erfahren, im nächsten Moment innig und schmachtend. In den unterschiedlichsten Tonarten sprechen sie an, was wir alle kennen: Einsamkeit, Sehnsucht, Liebe und Verlust. Temporeich und direkt sind Bauers Geschichten, manchmal kurz und energisch wie ein Punksong, manchmal eigenbrötlerisch und elegisch wie ein Blick aufs Meer. Dabei oft von einer bestechenden Komik und voll plötzlicher Wendungen, die unversehens den Blick öffnen auf eine Wirklichkeit, die uns alle betrifft. Alle Erzählungen aus "In einer Bar unter dem Meer": Zwei plus eins Die Meidlinger Bellevue Kalifornien Tannertschok Samsas Erben Windburgen Der Fall Branzer Traunstein Das Gewicht Full Shot Fassbare Formen Eine Melange im Nirgendwo Schusstechnik Relaunch, Schauraum sieben Emira und das Meer Figuren Stecknadeln

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Seitenzahl: 17

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Christoph W. Bauer

Irgendwo in Deutschland

Erzählung

„Und glaub ich noch ans Meer, so hoffe ich auf Land.“

Ingeborg Bachmann

Waren nicht viele, eine Handvoll Männer in dicken Strümpfen, wie an einer Schnur aufgefädelt standen sie Gewehr bei Fuß auf dem Kamm eines Hügels. Zeitgleich schulterten sie die Büchsen, marschierten los, und auf ihren Hüten schwangen Federn synchron hin und her. Auf halber Strecke hielten sie inne, von unsichtbarem Arm kommandiert, fassten sich an die Ranzen und lachten simultan. Dann paradierten sie wieder und die Schnallen auf ihren Schuhen klapperten unisono, was im Konzert mit den Hutfedern ein schönes Bild ergab. Doch da stoppten sie abermals, griffen nach den Flinten, legten an, und Franz Hofer riss die Augen auf. Für Sekunden starrte er an die Decke, wo sich der Morgen grau abzuzeichnen begann, Motoren murrten in seinen Ohren und seine Lippen formten tonlos Worte, denen es noch an beabsichtigtem Sinn mangelte. Ruckartig richtete er sich auf, sein Magen knurrte.

Der Küchentisch bereits gedeckt, hatte er vorm Schlafengehen erledigt, auch Pulver in den Filter gehäuft. Er knipste die Kaffeemaschine an, und indes sie vor sich hinröchelte, tanzten ihm erneut Hutfedern vor die Augen. Seit Wochen träumte er wirres Zeug, und jeder Traum endete mit dem Aufmarsch der Männer in den dicken Strümpfen. Er schmierte Magermargarine auf zwei Scheiben Knäckebrot, sein Hausarzt hatte ihn provoziert, „mein lieber Hofer“, hatte Doktor Schütz gewarnt, „wenn Sie so weitermachen, sind Sie in zehn Jahren ein toter Mann.“ Vorm Tod hatte er keine Angst, aber der Kredit für die Wohnung wäre erst in elf Jahren abgestottert, und den Tag, an dem er diese sechzig Quadratmeter sein Eigen nennen konnte, würde er erleben! Achtundfünfzig dann, er zupfte sich ein Haar aus der Nase, musste augenblicklich niesen. Bekam er noch Besuch heute? Seine Mutter hatte das immer behauptet. Nach jedem Niesanfall putzte sie sich heraus in Erwartung unangemeldeter Gäste. An der Wand ihr Foto. Er sollte es mal abstauben. Sie lächelte, er seufzte, nahm einen Lappen, wischte ihr über die Wangen, die Stirn.