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Die Chronik des Mönchs von Le Saremon. In diesem historischen Roman erzählt Rüttenauer die Geschichte eines Geistlichen, der Hofkaplan der Herren von Armagnac wird und schließlich mit ansehen muss, wie diese ihrer Lehen enthoben werden.
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Seitenzahl: 281
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Bertrade
Die Chronik des Mönchs von Le Saremon
Benno Rüttenauer
Inhalt:
Bertrade
Motto
Das Nachwort des Mönchs
Wie der Mönch ein Schloßkaplan wird
Verwunderliche Reden der Jungherrin von Armagnac
Der verketzerte Virgilius und die plötzliche Heimkehr des Grafen von Armagnac
Wie Bertrade vom Grafen erst nicht erkannt wird
Das Gastmahl des Gotteslästerers
Das Gastmahl des Gotteslästerers
Sein weiterer Verlauf
Erneuerte ketzerliche Reden der Bertrade
Wie der Graf von Armagnac einTe deus laudamusabhalten ließ
Welchergestalt Bertrade von ihrem Bruder beschenkt wird.
Eine unglückliche Brautwerbung
Wie dem Bruder Desiderius die Augen geöffnet werden
Überraschungen
Die Botschaft aus Bordeaux und was der Bischof dem Grafen aus Rom mitgebracht hatte
Was Don Palamedes von den Astrologen des Königs hält
Der Herzog von Nemours
Der Brief des Herzogs von Nemours
Ein unlieber Besuch
Die Skrupel des Meister Gratian
Fortuna fraudulenta
Das purpurne Zelt
Der Vertrag
Diesirae
Des Kanzlers Bekehrung
Appendix
Bertrade, B. Rüttenauer
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN: 9783849644840
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
König Heinrich: Warum, Mylord Protektor, willigt ein, Daß Margarete Englands Fürstin werde.
Gloster: Ihr wißt, mein Fürst, daß Ihr versprochen seid Mit einem andern angesehnen Fräulein; Sich dem geheiligten Vertrag entziehen, Das brächte Schimpf der königlichen Ehre.
Suffolk: Von Armagnac des Grafen Tochter steht Zu tief; mit ihr zu brechen scheint mir läßlich.
Gloster: Ich bitt Euch, was ist Margareta mehr? Ihr Vater ist wie jener nur ein Graf, Hat er erhabne Titel schon voraus.
Suffolk: Nein, bester Herr, ihr Vater ist ein König, König von Napel und Jerusalem; Und ist in Frankreich von so großem Ansehn, Daß seine Freundschaft unsern Frieden sichern Und in der Treu die Franken halten wird.
Gloster: Das kann der Graf von Armagnac nicht minder. Weil er des Dauphins naher Vetter ist.
Exeter: Auch läßt sein Reichtum großen Brautschatz hoffen.
(Shakespeare, Heinrich VI.)
Erstes Kapitel
»Und die Sonne war aufgegangen auf Erden, als Lot einzog in die Stadt Segor.
»Da ließ der HERR, Schwefel regnen und Feuer vom HERRN aus dem Himmel über Sodom und Gommorha.
»Und stürzte die Städte um und die ganze Gegend und alle Einwohner der Städte, und verwandelte in Grau alles Grüne auf der Erde.
»Und sein Weib sah hinter sich und erstarrte zur salzigen Säule –versa est in statuam salis.«
Diese Stelle der Genesis am 19. Kapitel vom 23. bis 26. Vers zeigte ich dem nun in Gott ruhenden Vater Prior, indem ich mit meinem Finger nachdrücklich auf die legte Zeile wies.
Dergestalt suchte ich mich zu verschanzen hinter den Worten der Schrift wie ein Katharer und Publikaner, ohne aber Schlimmes zu denken. Denn Gott wollte mich nur demütigen, und so wurde ich es mir bei weitem nicht bewußt (mit Schrecken fiel's mir darnach in die Seele), daß ich wahrlich also getan in Nachahmung einer verruchten Teufelinne in Weibsgestalt, nämlich Bertrades, die mir auch eines Tages wie ich getreulich berichtet, dieses Kapitel der Genesis unter die Augen gerückt hat, indem sie ihren schlanken Finger mit dem langen schmalen rosenfarbenen Nagel, mir graut, wenn ich daran denke, an den Vers legte, den ich lesen sollte, nur sieben Verse weiter als die oben angeführten und wo dann geschrieben steht: »Also gaben sie ihrem Vater Wein zu trinken in derselbigen Nacht, und die erste ging hineinet cetera.«
Woraus man denn so recht deutlich ersieht, ein wie gefährlich Ding die Schrift ist in unrechten Händen, und wie unsere heilige Mutter, die Kirche, weise daran getan hat, ihren Kindern ein so zweischneidiges Instrument zu verbieten und vorzuenthalten, mit dem Ungeschickte und Vermessene schon so viel Unheil und Schaden angerichtet haben.
O, Bertrade, wie übel fuhrest du, daß du dem Geist der Verderbnis mehr geglaubt hast als den heiligen Vorschriften der Kirche. O Worte der Schrift, wie müßt ihr erröten, wenn Ketzer und öffentliche Sünder euch im Munde führen zu ihrer eigenen und anderer Verblendung. Und mir, o Herr Jesus, und du heiliger Geist, verzeihet die Sünde, daß ich es gewagt habe, mich auf die Schrift zu stützen in hochmütiger Verblendung, statt meinen von Gott gesetzten Obern in Einfalt und Demut zu gehorchen.
Der gute Vater Prior selig war freilich nur allzu nachsichtig gegen mich, wie im allgemeinen gegen uns alle und die ganze Welt.
»Höhö!« machte er nur, und ein gutmütiges Lachen lief ihm über das wettergebräunte und weinrote Gesicht, denn er war, wie männiglich bekannt, ein Freund des edlen Weidwerks – vielleicht nur unserer gnädigen Frau Gräfin zuliebe – und entbehrte den Rosenkranz leichter als den Becher, weil er sagte, daß es eine Gottesverachtung wäre, wenn er den Wein verschmähte, den Gottes Güte an den sonnigen Hügeln der Gimonne und der Baise, des Arats und des Gers und sonst herum im Lande Armagnac so in Fülle wachsen ließ zu der Menschen Tröstung und Stärkung.
Und so möchte ich nur gleich hier beichten, daß ich manchmal vermessen genug war, verzeih mir's Gott, den Vater Prior selig dessentwegen heimlich in meinem Innern zu tadeln, ich, der große Sünder, nicht wert, dem frommen Mann Gottes die Schuhriemen aufzulösen; denn er hat als guter Hirte und voll milden Wohlwollens über seiner Herde gewaltet allezeit.
»Höhö!« Und nach kurzem Lachen aus seiner heiteren Seele: »Erstens, mein Sohn,« so sprach er, »wundere ich mich, wie du dich getraust, deine lächerlich dünne Nase in dieses Buch zu stecken, darinnen einige Kapitelchen stehen, die in den Kanon gekommen sein mögen wie die Säue ins Evangelium oder wie Saul unter die Propheten. Ist das eine Kost für einen keuschen Mönchsmagen? Das laß Andere verdauen, und du halte dich an Psalter und Evangelien, ein Schaf soll nicht belöcken und beschnüffeln was des Hirten ist.
Und zweitens, seit wann bist du denn ein Weib? Ein Mann aber, und gar ein Geweihter des Herrn, vergleicht sich nicht mit diesen Geschöpfen aus zweiter Hand.«
Ich stand, die Augen zu Boden geschlagen, der Vater Prior ließ eine Pause eintreten, worauf er plötzlich nach seiner Art heiter herauslachte.
»Aber du bist ein einfältig Gemüt, mein Sohn Desideri, und ahnungslos,« so fuhr er fort, »ich will dich nicht schelten. Ich glaube gern, deine Nase riecht nicht einmal die Teufelseier, die da in dem krausen Zeug versteckt sind zum Verderben der Fürwitzigen. Aber, was denkst du dir, warum die Frau jenes Lot, oder wie der alte Viehtreiber sonst geheißen hat, in eine Salzsäule verwandelt worden ist? Mein Sohn, es gibt Sünden, an die nur zu denken bereits wieder eine Sünde bedeutet. Das sind die fleischlichen Sünden. Und jenes lüsterne Weibsbild, das dann ein Steinbild wurde, wird nicht einfach aus bloßer Neugier hinter sich geblickt haben; denn diese ist zu sehr in der Natur des Weibes, um eine so furchtbare Strafe zu verdienen. Das verdammte Weibchen wird hinter sich geblickt haben unter der Macht sündhafter Erinnerungen und in Lust und Bedauern zugleich.
Aber, was weißt du vom Weib, mein Sohn? Du hast Bertrade gekannt! Nein, sage ich,mi fili, ihr Bruder hat sie gekannt, nicht du. O Mönchlein, o Mönchlein, ahnst du auch, was das ist, das Weib? Das Weib, sage ich dir, ist das apokalyptische Tier, sein Blick heilt Kranke, und Gesunde macht er krank; es ist verdammt, den Mann zu langweilen, wenn es gut ist; aber wenn es schön ist und bös, dann ist es sein Himmel zugleich und seine Hölle, seine Seligkeit und auch seine Verdammnis. Das Weib ist der Abgrund Gottes, und nirgendwo ist Gott weniger erkennbar als in diesem Abgrund, aber an seinem Rand blühen schimmernde Rosen. Ha, deine eingefallenen blassen Wangen röten sich wie am Morgenhimmel die dünnen grauen Wölkchen, wenn Aurora in ihrer rosigen Nacktheit vor ihnen aufsteigt.«
— — — — — — — — —
Hier will ich einschalten, daß Dominus Guilbertus, unser Vater Prior selig, nicht wie ich in zarten Jahren in den Frieden unseres Ordens kam; es wurde von ihm erzählt, daß er zuvor in der Welt drei Frauen begraben, ehe er Mönch wurde, auch stammte er aus einem vornehmen Hause.
»Kommen wir zurück zu uns,« unterbrach sich der Vater Prior, den Gott selig habe, »und sprechen von der andern Gattung von Sünde. Da gibt es solche, an die zu denken uns eine Pein ist und eine Buße, weil wir uns ihrer schämen müssen vor uns selber und vor der Welt. Eine solche ist die, deren du dich schuldig gemacht hast und die dir Gott verzeihen möge; denn gibt es etwas schmerzlicheres, als daran zu denken, daß wir feig waren? Also setze dich getrost hin und schreibe; je aufrichtiger du deine Schuld bekennst, desto gottgefälliger wird deine Schrift werden, du brauchst nicht zu befürchten, in eine Salzsäule verwandelt zu werden wie das Weib des Lot.« »Aber die fleischlichen Sünden der Anderen,« wagte ich schüchtern einzuwenden.
»Die Sünden der andern, mein Sohn«, so sprach Dominus Guilbertus, »können einen frommen Mann nicht kitzeln. Erzähle getreu was du davon erfahren hast, das werden die Fettaugen sein auf deiner magern Klostersuppe.«
Ich neigte mich in Demut und setzte mich hin und schrieb. Aber als ich dann nach Wochen und Wochen zu Ende kam mit meiner Chronik, da war es auch, o Jammer, mit dem guten Vater Prior zu Ende. Eine Lähmung des Herzens warf ihn nieder, er konnte noch fromm und ergeben das heiligeViaticumempfangen, dann verschied er im Herrn.
Nun hegte ich den Gedanken, alles zu verbrennen, was ich geschrieben hatte, niemand konnte es mir wehren. Doch da sah ich im Geist den Vater Prior, wie er zuletzt auf dem Schragen lag. Das ehemals so rote Gesicht war grau geworden wie Asche und war fast erschrecklich anzusehen. Also bekam ich es mit der Angst, der Heimgegangene könnte mir mit diesem Gesicht erscheinen und mir meine Untreue gegen ihn vorhalten.
Setzte mich darum hin und schrieb noch dieses Nachwort dazu, und sobald der neue Vater Prior gewählt ist, will ich das Ganze in seine Hände legen, und er mag damit tun nach seinem Dafürhalten.
Zweites Kapitel
Vor drei Jahren am Feste des Hl. Erzengel Michael war's, daß unser Vater Prior, Dominus Guilbertus, nach der Mette mich zu sich beschied und mir die Eröffnung machte, die mich für immer aus unseren stillen Klostermauern zu verbannen schien, worin ich nun aber, durch Gottes Gnade und Barmherzigkeit, nach so vielen grauenhaften Erlebnissen aufs neue eine sichere Zuflucht gefunden habe.
Und das war die Botschaft des Priors: Der Burgkaplan unserer gnädigen Frau Gräfin auf dem Schloß war gestorben und Ihre Gnaden hatten den ehrwürdigen Dominum Guilbertum, ihren Freund und Jagdgefährten, ersucht, ihr aus der Reihe seiner Söhne einen Ersatz zu schicken. Und meine eigene schwache Geringwertigkeit hatte der gute Vater Prior dazu ausersehen.
»Du bist unser bester Lateiner,« sprach er, »du kennst den Virgilium so gut wie die Evangelien, und so sollst du wissen, daß du nicht allein bestellt bist, unserer gnädigen Frau die Metten zu singen und dem Gesinde die Beichte abzuhören, sondern auch der Jungherrin zu Diensten zu sein, die es nun einmal in sich hat, die alten heidnischen Dichter lieber zu lesen – wozu ich aber den frommen Virgilium vielleicht nicht zählen sollte, – als dieLegenda aureades Herrn Jakobus Voraginus, wo es freilich manchmal etwas einfältig hergeht. Sie hat wahrlich anderes im Kopf als sonst ein Kind in Unterröcken. Schad, daß sie nicht Königin geworden ist, denn sie sollte es werden. Noch in der Wiege war sie schon mit Heinrich von England verlobt, den sein Vetter Eduard dann in den Turm zu London werfen ließ. Viermal Hunderttausend Gold-Dukaten als Brautschatz waren dem König von England zugesichert worden von ihrem Vater. So reich waren die Grafen von Armagnac. Und jetzt ist ihr Bruder ein Landflüchtiger und Geächteter. Was wird mit ihr werden? Denn sie ist Blut von Armagnac, und das ist röter als anderes, wenn es ihr auch auf den schmalen Wangen, die wie von jungem Elfenbein sind, nicht allzu sichtbar hervorblüht. Du wirst dieses Blut noch kennen lernen, mein Sohn ...
Höhö, erschrick nur nicht, die Kleine wird dich ja nicht beißen,« beruhigte mich der Vater Prior, der mir die Bangigkeit meiner Seele auf dem Gesicht ablas, indem er sich also über Bertrade von Armagnac vernehmen ließ.
Oh, hätten meine Augen sie nie gesehen, mein Ohr nimmer den unbeschreiblichen Klang ihrer Stimme vernommen.
Ich wußte damals nichts von ihrer Person. Der Graf aber, ihr Bruder, das erzählte jedermann, war der Feind Gottes und des Königs, wie er der Schrecken war des gemeinen Mannes und aller Diener der Kirche.
Darum lebte er auch seit bald fünf Jahren, beraubt seiner Grafschaft, im Elend als ein Geächteter und Verbannter. Ja, es war dies bereits das drittemal, daß er landflüchtig werden mußte, zweimal unter König Karl und jetzt unter unserem Herrn Ludwig, der geschworen haben soll, das Blut derer von Armagnac auszurotten, was es ihn auch koste. Ludwig, unser allerchristlichster schwergeprüfter König, hat des Übels viel erfahren von diesem Geschleckt.
Ein Armagnac, der Oheim unseres Grafen, war sein Erzieher, und dessen Sohn Jakob von Armagnac, durch des Königs Gnade Herzog von Nemours und Pair von Frankreich, war sein Gespiel durch all die Jahre seiner Kindheit gewesen, zum großen Unglück des frommen königlichen Prinzen.
Denn welch ein andrer Geist als der freche Ketzergeist von Armagnac war es, der von dem jungen Königssohn Besitz ergriff, daß er, noch fast ein Knabe, wie ein Rebell und Aufrührer gegen die allerchristlichste Majestät das Schwert erhob und dann in der Fremde trotzend den Tod des Vaters abwartete, des beklagenswerten frommen König Karl, dessen im Todeskampf brechendes Auge sich umsonst nach dem entfremdeten Sohne umsah. Nicht einmal an die Leiche des toten Königs mochte er treten, so war des Herrn Ludwigs Herz verstockt, da war es kein Wunder, wenn durch ganz Frankreich die böse Rede ging von Vergiftung des Königs Karl auf Anstiften seines rebellischen Sohnes, des Herrn Ludwig. Aber bald mußte es dieser erleben, daß sein Bruder Karl von Berry ihn nachahmte, der jetzt unumschränkt über Guyenne, unser altes Aquitanien herrscht und im Verein mit dem Herzog von Nemours dem Herrn Ludwig unserm allerchristlichsten König Hohn spricht.
Oh, König Ludwig, heute weißt du, wer einst dein Herz vergiftet hatte. Die heilige Jungfrau, die du so innig verehrst, hat dein Gemüt gewendet. Unter ihrem Banner und mit ihrer göttlichen Hilfe wirst du deine Widersacher züchtigen und ausrotten die Gottlosen. So dachte und betete ich damals.
Röter als anderer Blut sei das Blut von Armagnac, meinte Dominus Guilbertus. Wenn es nur das wäre. Es ist aber nicht nur röter in der Farbe, es ist verschieden bis in die Substanz von jedem andern Blut, es ist getränkt mit Zaubersäften der alten heidnischen Druyden, von deren Oberpriester einem es seinen Ursprung nahm, wie man auch weiß von späterer Zeit, wo längst die heidnischen Greuel ausgerottet schienen und das Land von Guyenne, unser gutes altes Aquitanien, ein christliches Königreich geworden war, daß das teuflische Gezücht der Druyden noch immer im geheimen sich umschlich und eine Zuflucht und mächtige Stütze fand in den festen Burgen derer von Armagnac, die dennoch die ersten Barone waren eines christlichen Reichs und Königs.
Doch das möchte vergessen sein. Drei Jahrhunderte sind darüber vergangen. Aber hat nicht, kurz vor seiner Ächtung, der vertriebene Graf dem ehrwürdigen Bischof von Combez öffentlich und trotzig erklärt, ein Ungetaufter zu sein, oh Greuel aller Greuel! und sich den Teufel zu scheren um Priester, Bischof und Papst, so wenig wie – die Feder sträubt sich, es zu schreiben – so wenig wie um die geflickte Majestät aufPlessis-les-Tours, womit er, Gott verzeih ihm, den Herrn Ludwig, unsern allerchristlichsten König, gemeint haben wollte.
Und dann lebte er geächtet seit an die fünf Jahre, niemand wußte wo, und sein Gemahl, unsere gnädige Herrin, saß oben auf der Burg, die wie auch unsere gute Stadt Le Saremon zu ihrem Frauengut gehörte; und bei ihr lebte Bertrade, die Jungherrin von Armagnac, des vertriebenen Grafen junges Geschwister, die über mich armen Knecht Gottes eine so schwere Prüfung bringen sollte, zur Strafe dafür, daß ich gegen alle Ordnung und Regel unseres heiligen Ordensstifters – wiewohl auf Befehl meines Obern – die klösterliche Zelle und Zuflucht verließ, um, gleich einem Weltpriester, mit Kindern der Welt unter einem Dache zu wohnen.
Nicht als ob Bertrade mir je etwas Böses getan hätte, sie mochte mich nicht übel leiden und war fast gut zu mir. Aber was sie sonst tat und noch mehr die grauenhaften und gotteslästerlichen Reden, die ihr mit der Zeit so mutwillig über die schmalen Kinderlippen sprangen, gossen mir eine große Traurigkeit ins Herz und umhüllten meine Seele ganz mit schwarzer Betrübnis. Ja, hätten doch meine armen Augen nie und nimmer gesehen diejenige, die Gott, so denke ich, verdorben hat um der Verruchtheit ihres gottlosen Bruders willen.
Aber siehe da, sie war das erste, so fügte es Gott, worauf meine Blicke fielen, als ich auf der herabgelassenen Hängebrücke über den schwindelnden Felsenabgrund hinweg und durch das niedere spitze Tor in den vorderen Burghof eintrat. Sie tummelte hier ein fahlgelbes Roß, das war ohne Zügel und Sattel, und sie saß darauf nach Männerart. Ein Stallmeister in der Mitte des Platzes rief ihr ein ums andremal zu, sich in acht zu nehmen, aber sie hörte nicht darauf, sondern schien wie absichtlich die gelbe Stute recht toll zu machen, so daß ich nicht wagte, den Platz zu überschreiten, sondern, mit meinem in Pergament gebundenen Virgilium und den Evangelienbüchern unter dem Arm, am Ausgang des Torbogens zögernd inne hielt. Man hatte mir genug erzählt, wie es auf dem Schloß zuging, wie wenig da um ein armes Menschenleben umgesehen wird.
Aber schon nach einer kleinen Weile bemerkte mich das Fräulein, das sich doch um nichts zu kümmern schien als um ihr Pferd, und mitten im Lauf des Tieres schwang sie sich zur Erde, daß ich jäh erschrak, einmal über den gefährlichen Sprung und dann weil sie gar nicht darauf achtete, wo einen Augenblick lang ihre Röcke blieben, gleich einer Schamlosen oder gleich einem Kinde, das von Scham noch nichts weiß in seiner Unschuld.
Sie wandte sich zuerst an den langen stelzbeinigen Stallmeister, der mit der Reitpeitsche vor ihr salutierte.
»Ihr sollt mir nicht immerfort wehren, Barbatan,« sagte sie, »Ihr wißt zu gut, daß mein Umtummeln hier zwischen den Burgmauern ein Kinderspiel ist gegen die Jagdritte zusammen mit unserer gnädigen Herrin.«
Darauf kam sie langsam auf mich zu.
»Seid Ihr der neue Hofkaplan unserer Frau Gräfin, den wir erwarten?« redete sie mich an.
»Unser Vater Prior«, antwortete ich, »hat es mir so gesagt.«
Hier lachte Bertrade laut auf.
»Ihr seid spaßhaft, ihr Mönche,« sprach sie, »euch muß immer ein anderer sagen, was ihr seid.«
Und sie betrachtete mich neugierig von Kopf bis zu Fuß, daß mir vor Verlegenheit fast die pergamentenen Bücher entfallen wären, die ich unter dem Arm hielt.
»Seht mich an,« sprach sie befehlend.
Ich hatte die Augen bis jetzt zu Boden geschlagen, nun richtete ich sie auf und sah in ein Gesicht mit schmalen Wangen wie aus jungem Elfenbein – Dominus Guilbertus hatte es richtig gesagt – gegen die aber die kirschroten Lippen, so wie die dunklen Augen mit den weitgeschweiften schwarzen Bogen darüber um so auffallender abstachen. Ich erschrak darüber von neuem, denn ich glaubte wahrhaftig das Antlitz jener byzantinischen Prinzessin vor mir zu sehen, wie es im Refektorium unserer Brüder zu Moissac in die Wand eingemauert ist, nicht gemalt mit dem Pinsel, sondern mit farbigen Steinchen gebildet, eins ans andere gesetzt, und in Zügen, die mehr erschreckende Majestät aussprechen als süße Holdseligkeit und doch von großer Schönheit sind.
So stand Bertrades Gesicht vor mir. Nur das unterschied sie von jenem alten Bild zu Moissac mit mandelförmigen schrägen Augen, daß sie keine Krone trug; dafür aber war ihr rabenschwarzes Haar in lange Zöpfe geflochten, die über dem Scheitel vielfach um sich selber gewunden, ihr Haupt krönten wie eine schwarze Tiara.
»Du gefällst mir, Mönchlein,« sagte sie in mein Erstaunen hinein, »du hast sanfte, fromme Augen, wie es dem zukommt, der andern die Frömmigkeit lehren soll. Wie hieß man dich im Kloster?«
»Bruder Desiderius, hohe Herrin,« antwortete ich.
»Hu,« stieß sie aus mit einer absonderlichen Grimasse, »ich armes Waisenkind eine hohe Herrin. Aber Ihr, Vater, seid richtig der Gewünschte oder der Wünschbare, wie Ihr wollt, und nun kommt, daß ich Euch unserer gnädigen Frau zuführe.«
Und dann ergriff sie, wie wenn ich ein kleiner Page gewesen wäre, meine Hand, und das war mein drittes Erschrecken. Denn nie zuvor hatte eine Frauenhand die meinige berührt. Mir war's wie eine große und gefährliche Versuchung und zog doch meine Hand nicht zurück, solche Macht übte Bertrade durch ihren bloßen Willen.
Doch beruhigte ich mich bald einigermaßen, da die Reden des Fräuleins von Armagnac gleich Kinderworten neben mir klangen.
»Wie will ich mich freuen, mit Euch den Virgilium zu lesen,« sagte sie; »denn Euer Vorgänger, müßt Ihr wissen, war ein wüster Fresser und Säufer und roch immer nach Wein, ganz wie Euer ehrwürdigster Vater Prior, verzeiht Pater, nur noch schlimmer, und mit seinem Latein war es auch nicht weit her.«
Wahrlich, Bertrade sprach nicht wie eine, die Böses in ihrem Herzen denkt.
Und so gelangten wir durch das zweite Tor über den innern Hof und die gewundene Treppe hinauf in den oberen Saal, wo wir unsere gnädige Frau in einem heftigen Wortwechsel mit ihrem Hausmeister antrafen, also daß sie nicht Lust verspürte, sich mit uns einzulassen.
»Es ist gut,« sagte sie kurz und herb, »der Jörg soll den Mönch auf seine Kammer geleiten und nachsehen, ob alles in Ordnung ist.«
Beim Eintritt in den Saal hatte das Fräulein von Armagnac meine Hand freigegeben, nun ergriff sie dieselbe von neuem.
»Ich werde Euch selber hinaufbringen, frommer Vater,« sagte sie.
Ich hätte mich vielleicht dagegen wehren müssen, aber da ich im Verkehr mit Leuten hoher Stände nicht geübt war, wußte ich keine Worte zu finden und ließ mit mir machen.
»Kommt, Vater,« wiederholte Bertrade, »Eure Kammer liegt im Seidenturm, und von Euern Fenstern aus könnt Ihr über die ganze Stadt hinwegblicken bis hinunter zu Eurem Kloster am Fluß, dessen Pappeln das Tal entlang Ihr zählen mögt, wenn Euch die Langeweile plagt.«
So verlief mein erstes Zusammentreffen an jenem Tag mit Bertrade, aus deren Tun oder Reden, wenn diese auch manchmal ein wenig absonderlich sein mochten in ihrem Kindermund, ich von ferne nicht ahnen konnte, welch grauenvolles Enigma von Menschenseele, wenn es anders eine solche war, mir eines Tages zu meinem Entsetzen entgegenblicken sollte aus ihren großen dunklen Kinderaugen.
Wir begannen gleich am andern Tag mit dem Lesen der Aneïde, wo Bertrade mit dem vierten Gesang anfangen wollte, weil sie die vorherigen schon mit meinem Vorgänger zusammen gelesen hatte. Es hebt aber jener Gesang so an:
»Aber die Königin, längst von heftiger Liebe verwundet, Nährt ihr blutendes Weh und vergeht an heimlicher Flamme.«
Denn es ist dies der Gesang von der Liebe und dem Tod der Königin Didonis.
Ich konnte zunächst nur staunen über Bertrades Kenntnis der Sprache und ihr rasches Verständnis selbst der schwierigsten Stellen, die sie sogar oft glücklicher zu entwirren wußte, als ich selber. Wirklich, ich mußte manchmal sie fast verwundert anblicken, deren schlanker Leib noch mehr vom Kind an sich hatte als von der Jungfrau, und deren Geist mir geweckter und behender erschien, als wenn sie ein Doktor der Sorbonne gewesen wäre.
Ich verblendeter Tor. Ich wußte damals noch nicht, daß diese höheren Künste des Geistes nur dem Mann von Gott gegeben und vorbehalten sind und eine List und ein Truggespinst des Satans bedeuten, wenn der schwache Geist des Weibes sich damit einläßt zu frevelhaftem Spiel. Die Seele eines solchen Weibes verfängt sich eines Tages mit Sicherheit im Netz des Argen. Ich wußte das noch nicht, ich kannte auch noch nicht die Geschichte jener andern Bertrade, genannt von Armagnac-Montfort, die auch mit den Männern wetteiferte in allen sieben Künsten, ja sogar mit Bischöfen und Doktoren vor allem Hofgesinde theologische Disputationen führte, wie es der berühmte Abt Sugerius in seinerVita Ludovici Grossivon ihr schreibt. Es hat sich aber bald herausgestellt, welche Teufelinne sie war, die ihren christlichen Eheherrn, den Grafen Foulques von Anjou verließ, um des Königs Philipp Bettgenossin zu werden, den sie mit ihren Zaubertränken und Teufelskünsten so sehr unter sich brachte, daß er ganz ihr Sklave wurde über zwanzig Jahre hindurch, unbekümmert um seine Verdammung durch die Bischöfe dreier Konzilien und des Heiligen Vaters Bannfluch und Interdikt, unter denen sein Volk seufzte und es ein rechter Jammer war im ganzen Königreich. Aber nicht nur den König, wer ihr nahe kam, den umgarnte und umstrickte sie mit dem unzerreißlichen Gespinst ihrer höllischen Zauberei, den jungen Königssohn Ludwig, der später der Dicke genannt wurde, wie ihren eigenen früheren Gemahl, den Herzog Foulques, nicht ausgenommen den würdigen Abt Sugerius; denn wie hätte er sonst ihr Ruhmredner werden sollen, wenn nicht infolge teuflischen Blendwerks.
Und ihr Name ist der Name der Jungherrin von Armagnac. Das hätte mir gleich ein böses Omen sein sollen. Denn es ist ein heidnischer und gottloser Name und nirgends mehr in unserm Land bei christlichen Frauen zu finden. Aber ich kannte, wie gesagt, das Buch des Abtes Sugerius damals noch nicht, und Gott hatte eine eitle Verblendung über mich kommen lassen, vielleicht, weil ich mir etwas allzusehr gefiel mit den alten Poeten und mich allzugern verlor in sündigem Ergötzen über Menschenwitz und weltliche Weisheit, daß ich an dem Fräulein von Armagnac und seiner Gelehrsamkeit, die ich für unschuldig hielt, recht zum Gecken wurde. Ja, ganz vernarrt wurde ich, nicht in die leibliche Person des Fräuleins, das kann ich mit gutem Gewissen sagen, aber in ihre Künste des Geistes und Witzes, wofür ich denn, und mit Fug, gar unsanft gestraft wurde.
Drittes Kapitel
Denn noch nicht acht Tage waren vergangen, da mußte ich hart und verächtlich aus ihrem Munde das Wort hören:
»So seid Ihr ein noch schlechterer Mann als jener stinkende Weinschlauch, Euer Vorgänger, fuhr mich das Fräulein bös an, denn jener war wenigstens nicht feig.«
Ich will erzählen wie das kam.
Unsere gnädige Herrin und das Fräulein ritten zu dieser Zeit fast täglich mit großem Gefolge auf die Jagd, und oft kamen dazu aus der Nachbarschaft viele Damen und Ritter, wie auch Äbte und andere geistliche Herren, so daß es ein großes Wesen gab mit Hornsignalen und Rüdengekläff und Pferdegestampf in den Höfen und viel Rufens hin und her, ein Treiben voll ausgelassener Lust für alle, die es mitmachten. Und es hielt sich niemand zurück, wer gesunde Glieder hatte, wozu aber Dominus Guilbertus, unser Vater Prior, diesen Herbst zum erstenmal nicht gehörte, da er über die Maßen von der bösen Gicht geplagt wurde.
Auch ich gehörte nicht dazu. Ich hielt mich still auf meiner Kammer im Heidenturm. Aber ich muß gestehen, daß ich manchmal gern ein wenig hinunterblickte in den bewegten farbigen Tumult und mit den Augen die Gestalt Bertrades suchte mit ihrem verkappten Falken auf der beschuhten Hand, wobei mich oft ein rechtes Zittern überfiel, wenn ich gewahrte, daß ihr Pferd sich wilder und ungestümer gebärdete als irgendeins. Denn das gehörte auch zu ihrem Wesen, sie hätte lieber auf die Jagd verzichtet, als ein zahmes und frommes Roß zu besteigen, und so wird man begreifen was folgt.
»Warum reitet Ihr nicht mit auf die Jagd?« unterbrach sie eines Morgens plötzlich unser Lesen im Virgilio, nachdem sie die folgenden schönen Verse in unsere Sprache übertragen hatte:
»Endlich tritt sie hervor, die Herrin, in großer Begleitung, Schön im Sidonergewand mit farbigem Saume gekleidet, lauteres Gold ihr Köcher, in Gold geknotet das Haupthaar, Und von goldener Spange geschürzt ihr purpurnes Jagdkleid, Auch die phrygischen Männer zugleich – – –«
»Warum reitet Ihr nicht mit auf die Jagd?«
Ich antwortete, daß ich dies nicht schicklich fände für einen Diener Gottes, wie es denn auch tatsächlich gegen die Regeln unseres Ordens gewesen wäre.
»Papperlapapp,« erwiderte sie unwillig, »Ihr fürchtet Euch zu Pferd zu steigen, Ihr habt Angst.«
Ich mußte das zugeben. Und ein wenig schämte ich mich, die Eitelkeit sitzt im Grunde jeder Kreatur. Denn brauchte ich reiten zu können, da ich doch ein Mann der stillen Zelle geworden war?
Aber daß ich mich nun innerlich schämte, das kam wohl daher, daß ich mich gern meines Vaters erinnerte, der ein Ritter vom güldenen Sporn und ein wilder Kriegsmann war wie die andern, auch schon in seinem dreiunddreißigsten Jahr bei einem Ausfall der Belagerten zu Orleans unter der Führung jener heiligen Jungfrau Johanna von Lothringen den Tod gefunden hat; worauf meine Mutter, ich war erst sieben Jahre, mich nach der Abtei Moissac zu den Söhnen des Heiligen Benediktus gab, nicht in frommer opfernder Demut allein, sondern noch mehr, weil ihre mütterliche Zärtlichkeit mich vor dem grausamen Geschick meines Vaters bewahren wollte. Indem ich dann ein Mönch wurde, rumorte zwar noch lange das ritterliche Blut meines Vaters in meinen Adern; aber ich war und blieb ein Kuttenmann. Denn wie es uns auch im Blut liegen mag, eine jede Kunst will gelernt und geübt sein, und ich hatte nur beten gelernt und die sonstigen Hantierungen der Mönche, und der schlechteste Knecht hätte mich übertroffen in allen Dingen des Ritterhandwerks. Das war gut so und recht, aber eine heimliche Scham befiel mich doch bei mancher Gelegenheit. Und mit dem Gefühl einer solchen falschen Scham machte ich auch jetzt dem Fräulein von Armagnac das genannte Geständnis. Und da fiel jenes angeführte böse Wort.
»Ihr gebt vor,« fuhr sie fort, »die Jagd sei gegen die Regel Eures Ordens, hört zu: ich werde mich an den Vater Prior wenden, daß er Euch befehle zu reiten.«
Ich muß bei diesem Wort sehr erschrocken sein. Bertrade aber, dies gewahr werdend, lachte laut auf in bösem Mutwillen.
Es war aber nicht so bös gemeint. Im Gegenteil, sie streichelte mir die Hand und sprach:
»Beruhigt Euch, ich bin nicht so. Ihr sollt nicht reiten, da Ihr es nicht gewohnt seid und es Euch kein Vergnügen macht. Ich würde als erste mich empören, wenn ich Euch verspottet und ausgelacht sehen müßte von Troßbuben und Knechten, oder sollte ich gar einen Spaß daran haben, wenn Euch ein Unglück zustieße?«
So sprach Bertrade. Und da hätte es ihr nicht gelingen sollen, mich über ihre Natur zu täuschen, daß ich das Ungeheuer, das in ihrem zarten Leibe wohnte, nicht spürte. Denn so viel ich aus den alten Poeten und sonstigen Schriften weiß, gehört ein grausamer Sinn gegen den Mann fast zur Natur des jungen Mädchens, und besonders wenn sie schön ist an Körper und behend von Geist. Und wohl war unter den Jagdgästen unserer gnädigen Gräfin manche Dame und Damoiselle, die mit Lust und Lachen angesehen hätten, wie es einem armen Kuttenmann übel da erging, wo er ja auch gar nicht hingehörte, und hat doch keine darunter sich nachher als ein Monstrum entpuppt, wie die unglückliche Bertrade.
Und diese fügte freilich der obigen frommen Rede schnell einige andere hinzu.
»Vater,« sprach sie, »warum seid Ihr ein Mönch geworden?«
»Ich denke,« antwortete ich, »weil es Gottes Wille war.«
Bertrade runzelte die Stirne, daß die weitgespannten schwarzen Bogen ihrer Augenbrauen sich wie Schlänglein zu krümmen schienen. Doch gleich lachte sie wieder.
»Mönch,« rief sie aus, »du sprichst ganz wie ein Mönch. Ich aber sage dir: ich, wenn Gott mich zum Mann erschaffen hätte, ich wäre kein Mönch geworden, und wenn es hundertmal Gottes Wille gewesen wäre.«
Entsetzt starrte ich auf die Jungherrin von Armagnac ob so gotteslästerlicher Rede. Sie achtete dessen nicht.
»Wie kann nur ein Mann«, fuhr sie fort, »sich freiwillig seiner Mannheit begeben.«
»Sind wir denn verschnittene, wir Mönche,« kam es mir heraus, und ich erschrak selber in den Tod über meiner Rede.
Aber ihr verschlug es nichts, sie brach vielmehr in ihr mutwilligstes Lachen aus. Und hier darf ich die Bemerkung nicht unterdrücken, daß ihr das Lachen keineswegs gut anstand. Die meisten Frauen erscheinen schöner und lieblicher dadurch; Bertrades strenge Züge aber, schön und voll Ebenmaß im Ernst, verhäßlichten sich im Lachen; ich habe das immer beobachtet.
»Oh,« rief sie, »und wenn Ihr noch so gut verschnitten wäret, ich möchte Euch nicht verspeisen, weder mit Gabel noch Löffel.«
Und lachte noch immer. Mir selber kam ein Lächeln an. Und ich dankte heimlich Gott und der heiligen Jungfrau, daß mein unbesonnenes Wort keinen Schaden angerichtet und nicht verstanden worden war.
Ich schwankte aber hin und her in dem, was ich sonst von ihr glauben sollte.
Denn ihr Wesen konnte ebensosehr eine große Reinheit und Unschuld sein, wie eine teuflische Verderbtheit. Ihre Fragen bei manchen Stellen unseres Dichters machten mir große Zweifel. Bei Dingen, die ich fallen lassen oder über die ich flüchtig hinwegeilen wollte, weil sie mir für das Schamgefühl einer Jungfrau gefährlich schienen, bei ihnen verweilte sie mit den vorwitzigsten Fragen wie ein lüsternes und verderbtes Weib; aber ihre Worte und Blicke waren dabei wie die eines Kindes, das nicht weiß, was es fragt.
Und so neige ich dahin, trotz aller Seltsamkeiten an ihr, daß sie damals rein und unschuldig war und unwissender selbst, ihrer gefährlichen Neugierde zum Trotz, als andere ihres Alters, und daß erst der griechische Astrolog sie mit seinen schlimmen Geheimnissen verdorben und ihre Seele geschändet hat wie ein anderer ihren reinen jungfräulichen Leib.
Denn wenn sie nicht voll Unschuld gewesen wäre, wie hätte sie einige Tage später mir das Folgende berichten können?