Beten bei Nebel - Hans Joas - E-Book

Beten bei Nebel E-Book

Hans Joas

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Beschreibung

Zwei der größten Denker ihrer Zeit diskutieren über die entscheidenden Themen in Bezug auf Gott, Gesellschaft und Kirche. Es geht um Fragen nach dem Glaube und Glaubensverlust, nach der Kirche zwischen Anpassung und Beliebigkeit, über das Verhältnis von Norm und Wirklichkeit und das "Phänomen Franziskus".

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Hans Joas und Robert Spaemann

Beten bei Nebel

Hat der Glaube eine Zukunft?

Herausgegeben von Volker Resing

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2018

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotive: © Jens Gyarmaty/VISUM, Mirjam Reither/dpa picture-­alliance

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein

ISBN Print: 978-3-451-27149-6

ISBN E-Book: 978-3-451-80894-4

Inhalt

Impressum

Einführung

I. Glaube und Glaubensverlust

II. Die Kirche zwischen Anpassung und Beliebigkeit

III. Phänomen Franziskus: Was bewirkt der Papst?

IV. Über das Verhältnis von Norm und Wirklichkeit

Anmerkung zur Buchausgabe von Robert Spaemann

Über die Autoren

Einführung

Abbruch und Aufbruch

Die Bilder bleiben. Anfang 2018 wurde im rheinischen Erkelenz-Immerath die Kirche St. Lambertus mit ihren imposanten Zwillingstürmen abgerissen. Noch auf Jahre werden die Fotos und Filme in Zeitungen und auf Websites als Symbole für den Abbruch des Christentums in Europa herhalten müssen, zur eindrucksvollen Illustration von Entkirchlichung und Säkularisierung. Zwar stand der neoromanische »Immerather Dom« unter Denkmalschutz, doch das half nichts, er wurde niedergerissen. Bewegende Momente sind das, wie ein Abrissbagger in die monumentale Westfassade mit ihrer Fensterrose hineinschneidet und den einstigen sakralen Raum erst aufschlitzt und dann dem Erdboden gleichmacht.

Doch der Abriss des sogenannten Immerather »Doms«, der nicht wirklich eine Bischofskirche war, ist zunächst gar nicht die Folge einer schrumpfenden Kirche oder einer Erosion des Glaubens in Deutschland, wie man vermuten könnte. Seit dem Jahr 2000 wurden in Deutschland über 500 katholische Kirchengebäude als Gottesdienstorte aufgegeben. 140 von ihnen wurden abgerissen, kaum eins von der Größe des Immerather »Doms«. Die Kirche in Erkelenz musste aber dem Braunkohletagebau weichen. Die Fotos vom Abriss werden hier lediglich zum Symbol der Entchristlichung, so wie vieles an der Säkularisierung an Äußerlichem festgemacht wird, ohne die Innenseite zu betrachten. Andererseits: Dass der Braunkohletagebau, der erklärtermaßen wegen des Klimaschutzes auslaufen soll, noch über eine solche politische und gesellschaftliche Akzeptanz verfügt, dass für ihn diese Kirche – und noch einige mehr – weichen können, ohne dass es zu einem besonderen Aufschrei kommt, zeugt eben doch von einer großen Gleichgültigkeit der Menschen gegenüber ihren Gotteshäusern– inwieweit auch von Christentum und Religion, muss erörtert werden. In der Zeit schreibt Benedikt Erenz, er erwarte von den »geistig erloschenen Kirchen« keinen Widerstand mehr gegen einen solchen Abriss. Doch wundert er sich, dass von den »Bildungsbürgern« und »lieben Abendländlern« kein Einspruch kommt.

Der Rückgang der religiösen Praxis in Deutschland und Mitteleuropa, behelfsmäßig auch Säkularisierung genannt, ist nicht neu, währt seit über 200 Jahren, aber er scheint doch in eine neue, dramatischere Phase zu treten. Inwieweit dieser »Kulturwandel« als Folge der Aufklärung oder der »Entzauberung der Welt« – wie von Max Weber (nicht unwidersprochen) behauptet – anzusehen ist, wird ebenfalls zu besprechen sein. Noch nie in der Christentumsgeschichte Europas wurden so viele Kirchen abgerissen wie heute. Noch nie hat sich das christlich-religiöse Leben so flächendeckend verflüchtigt, wie in den zurückliegenden 20 Jahren. Aus Wachstum wurde Rückgang, aus Rückgang wurde Abbruch. Was kommt danach? Das ist der Horizont für den vorliegenden Band, die Motivation, zwei besondere Denker unserer Zeit zu einem Gespräch zu bitten, um sich diesem Befund zu stellen. Dabei geht es ganz und gar nicht darum, die Lage zu beweinen und Totengesänge anzustimmen. Vielmehr geht es darum, die Entwicklung zu verstehen und der Kirche, den gläubigen Menschen, denen diese Entwicklung nicht gleichgültig sein kann, und der Gesellschaft Wege aufzuzeigen, welche Schlüsse daraus gezogen werden könnten. Möglicherweise ist für Mitteleuropa neben Globalisierung und Digitalisierung das Verschwinden der christlich-kirchlichen Dominanz der dritte Megatrend, den man nicht so lethargisch betrachten sollte wie den Abriss einer neoromanischen Kirche, die immerhin nur 128 Jahre bestanden hat.

Robert Spaemann und Hans Joas sind einerseits recht gegensätzlich, was ihr Denken angeht, ihre philosophische Herkunft und auch ihre kirchliche wie – wenn man so will – theologische Disposition. Andererseits tun sich Ähnlichkeiten auf. So stehen sie, wenn auch an unterschiedlicher Stelle, in einem in gewisser Weise vergleichbaren Nähe-Distanz-Verhältnis zu ihrer katholischen Kirche. Auch klingen im Gespräch biografische Parallelen an. Es ist aber besonders das klare Bekenntnis zum Katholizismus und zu ihrer Kirche, das beide – im säkularen Feld der Wissenschaft tätige Philosophen – auszeichnet und somit fast zu Solitären ihrer Zunft macht. Es gibt kaum andere Denker ihrer Bedeutung und Relevanz, die sich in gleicher Weise ein Gelehrtenleben lang auch mit den Niederungen der Kirchenpolitik beschäftigt haben und aktuellen Glaubens- und Kirchendebatten nicht ausgewichen sind. Auch das macht diese Begegnung so fruchtbar – ohne dass es an Kontroversen mangeln würde. So markieren die Parallelen und die Differenzen der Gesprächspartner die katholische Breite und Vielfalt und stehen für eine katholische Intellektualität, die weit über im engeren Sinne theologisches Denken und Diskurse theologischer Fakultäten hinausreicht. Nebenbei bildet das vorliegende Gespräch eine Chance, den Selbstverzwergungstendenzen der Kirche durch ideologisierte Diskursreservate und unterkomplexe Grabenkämpfe oder – wie Wolfgang Huber es nennt – der Versuchung der »Selbstvergleichgültigung« etwas entgegenzustellen.

Robert Spaemann wurde 1927 geboren, und seine Biografie erzählt die Geschichte des 20. Jahrhunderts und auch die Geschichte des Glaubens im 20. Jahrhundert in einer Weise, die keineswegs etwa typisch oder exemplarisch wäre, sondern geradezu umgekehrt so, dass das Überraschende und Unwahrscheinliche in ihr aufleuchtet. Sein Vater Heinrich Spaemann, geboren 1903 in einem evangelischen Elternhaus in Westfalen, geht zum Studium nach München und tritt dort aus der Kirche aus. Er studiert Kunstgeschichte, interessiert sich für das Bauhaus, hat Kontakt zu Paul Klee, beginnt, literarisch zu schreiben. Er wechselt in den wilden Zwanzigerjahren nach Berlin, wird dort Kulturredakteur der »Sozialistischen Monatshefte« und gehört zum säkular geprägten kulturellen Leben der Hauptstadt. Zu seiner Redaktion gehörte Ernst Bloch, zu seinen Themen die kulturelle Avantgarde. In seinen Erinnerungen beschreibt Robert Spaemann, wie in diesem Milieu sein Vater seine Partnerin und Ehefrau findet. Keine geringere als die Malerin und Bildhauerin Käthe Kollwitz brachte die beiden zusammen. Die Mutter von Robert Spaemann war die Tänzerin Ruth Krämer.

Dann kam es zur großen Lebenswende. Eine Erkrankung der Mutter löst eine völlige Neuorientierung der Eltern von Robert Spaemann aus. 1930 konvertieren sie gemeinsam zum katholischen Glauben, verlassen Berlin und ziehen ins westfälische Münster. »Für meine Eltern war nach ihrer Konversion der christliche Glaube zum Hauptlebensinhalt geworden«, schreibt Robert Spaemann. Er wird nun als Dreijähriger getauft: in der Benediktinerabtei Gerleve im Münsterland, ein Mönch ist sein Taufpate. Das Kloster wird für ihn zu einem prägenden Ort und einer Art zweitem Zuhause, sowohl konkret als auch ideell. Doch mit dieser dramatischen Veränderung ist es nicht genug. Bereits 1936 stirbt Spaemanns Mutter; der Sohn ist neun Jahre alt. Trotz der Vertreibung der Mönche bleibt die Abtei für ihn ein familienähnlicher Bezugspunkt. Nach dem Krieg kehren die Mönche zurück und mit ihnen der Wunsch bei Robert Spaemann, selbst in den Orden einzutreten. Doch der Abt schickt ihn an die Uni. »Da ich über beide Ohren verliebt war, blieb dieses Anklopfen an der Klostertür Episode.«

Und dann hat die frühe Lebensgeschichte Robert Spaemanns noch eine ganz andere Besonderheit zu bieten. Anders als er selbst wendet sein Vater sich nach dem frühen Tod seiner Ehefrau der Theologie und dem geistlichen Amt zu. Bereits 1942 wird er vom Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, dem späteren Kardinal, zum Priester geweiht. Heinrich Spaemann wird Kaplan in Dorsten, sein Sohn wird Schüler am dortigen Gymnasium. Diese ungewöhnlichen Konstellationen in Robert Spaemanns Kindheit als »Kaplans Kind« prägen ihn. Die Kirche ist der Gegenpol zum sich modern und fortschrittlich gebenden Nationalsozialismus. Der katholische Glaube wird zur Antithese der falschen Gegenwart. Dem Zeitgeist zu widerstehen, sich gegen den ihn umgebenden Mainstream zu wenden, ist so zum Wesenszug des Denkers Spaemann geworden. Es war geistiges Überlebensmittel, es bleibt es bis heute. Er habe immer »in zwei Welten leben müssen«, so Spaemann, »eine Situation, die für meine Hinwendung zur Philosophie sehr wichtig war«.