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Quo vadis, Europa?
Ist der stabile Friede in Europa gefährdet? Zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wird aus guten Gründen der Friede zu den hauptsächlichen Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses gezählt. Heute stellt sich aber nicht nur die Frage, ob dieser Friede in Richtung auf verstärkten Nationalismus gefährdet sein könnte. Es ist vielmehr auch offen, ob Europa bei einer gelingenden Verstärkung der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik lediglich zu einer weiteren eigeninteressierten Großmacht auf globaler Ebene werden wird. Muss Europa nicht auch in der Politik gegenüber Staaten, die der europäischen Friedensordnung nicht angehören, den Prinzipien folgen, die sich als so segensreich für Europa erwiesen haben?
Das Buch versucht, anhand historischer Überlegungen diesen Fragenkomplex aufzuhellen. Daraus entsteht ein Bild der gegenwärtigen Lage, das den Hoffnungen und Idealen Europas ebenso gerecht zu werden versucht wie den tragischen Konstellationen, zu denen internationale Machtpolitik immer wieder führt.
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Seitenzahl: 56
Das Buch
Ist der stabile Friede in Europa gefährdet? Zwischen den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wird aus guten Gründen der Friede zu den hauptsächlichen Errungenschaften des europäischen Einigungsprozesses gezählt. Heute stellt sich aber nicht nur die Frage, ob dieser Friede in Richtung auf verstärkten Nationalismus gefährdet sein könnte. Es ist vielmehr auch offen, ob Europa bei einer gelingenden Verstärkung der gemeinsamen Verteidigungs- und Sicherheitspolitik lediglich zu einer weiteren eigeninteressierten Großmacht auf globaler Ebene werden wird. Muss Europa nicht auch in der Politik gegenüber Staaten, die der europäischen Friedensordnung nicht angehören, den Prinzipien folgen, die sich als so segensreich für Europa erwiesen haben?
Dieses Buch versucht, mit historischen Überlegungen diesen Fragenkomplex aufzuhellen. Daraus entsteht ein Bild der gegenwärtigen Lage, das den Hoffnungen und Idealen Europas ebenso gerecht zu werden versucht wie den tragischen Konstellationen, zu denen internationale Machtpolitik immer wieder führt.
Hans Joas
FriedensprojektEuropa?
Kösel
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Copyright © 2020 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Weiss Werkstatt München
E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering
ISBN 978-3-641-25460-5V001
www.koesel.de
Für Dieter Senghaas
Inhalt
Einleitung: Europa am Scheideweg
Föderalismus und Imperialismus: Eine neue Phase in der Geschichte des Staates?
Großraumordnung mit Interventionsverbot: Carl Schmitt und die Europapläne des Nationalsozialismus
Eurafrika: Die Frühzeit des europäischen Einigungsprozesses und die Kolonialpolitik
Eine europäische Armee? Risiken verstärkter europäischer Integration in friedenspolitischer Hinsicht
Wider die Selbstsakralisierung Europas
Anmerkungen
Einleitung: Europa am Scheideweg
Besonders originell ist die Feststellung nicht, dass Europa sich gegenwärtig an einem Scheideweg befinde. Niemand wird sie grundsätzlich bestreiten; allerdings weichen die genaueren Beschreibungen und Definitionen der Situation weit voneinander ab. Während die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ursprünglich als Mittel ökonomischer Integration gedacht war und eine solche enge wirtschaftliche Verflechtung die immer enger werdende politische Union unvermeidlich machen und herbeiführen sollte, hat sie sich eher als ein Keil erwiesen, der die beteiligten Nationen spaltet und weiter voneinander weg treibt. In den skandinavischen Staaten, die ihre eigene Währung nach heftigen innenpolitischen Auseinandersetzungen beibehalten haben, ist man sich heute in der Erleichterung über diese Entscheidungen weitestgehend einig, und in der Eurozone selbst überwiegt derzeit das melancholische Argument von den zu befürchtenden Kosten einer Auflösung der Währungsunion den vorherigen Zukunftsoptimismus. Im Rückblick erscheint die Währungsunion manchem klugen Beobachter als »frivoles Experiment«1. Die einsame Entscheidung der deutschen Bundeskanzlerin in der Migrationskrise des Spätsommers 2015 ist bei der Mehrheit der Bevölkerung in den meisten europäischen Gesellschaften nicht willkommen geheißen worden – ganz gewiss nicht in den Staaten des östlichen Mitteleuropa, die unter der Abwanderung ihrer eigenen qualifizierten Jugend leiden. Eine wachsende Polarisierung zwischen den europäischen Staaten und innerhalb ihrer hat ihre Ursache nicht nur, aber auch darin. Selbst in Deutschland, wo alle zum Zeitpunkt dieser Entscheidung im Parlament vertretenen Parteien Angela Merkels Politik mit mehr oder weniger großer Inbrunst unterstützten, hat sich die Situation im Anschluss beträchtlich verändert. Aus einer anfangs vor allem euroskeptischen wurde eine vornehmlich migrationsskeptische neue rechte Partei (die »Alternative für Deutschland«, AfD), die beträchtliche Erfolge in der Wählerschaft erzielen konnte und jetzt im Bundestag und in allen Länderparlamenten vertreten ist. Fragen der Migrationspolitik spielten auch eine wichtige, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle bei der im Brexit-Votum deutlich werdenden Abwendung Großbritanniens von der Europäischen Union. Innerhalb von einzelnen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, vor allem in Katalonien und Schottland, gibt es starke Bestrebungen in Richtung nationaler Unabhängigkeit. Diese sind zwar gerade nicht gegen die Mitgliedschaft in der Europäischen Union gerichtet, aber doch zumindest insofern von Bedeutung, als sie den politischen Führungen in der EU und der Öffentlichkeit signalisieren, dass eine historische Teleologie von den bestehenden Staaten aus in Richtung eines großen, vereinigten, supranationalen europäischen Staates keineswegs garantiert ist. Manchmal können geradezu umgekehrt kleinere Staatswesen den Wünschen der Bevölkerung mehr entsprechen. Es ist dann die Frage, welcher Grad politischer Integration ihren Zielen mehr dient; es kann gewiss auch ein geringerer als der schon erreichte sein. In dieser Lage, in der Fortschritte auf dem Gebiet politischer Integration unwahrscheinlicher werden, haben einige der glühendsten intellektuellen Wortführer des Einigungsprojekts damit begonnen, über die Notwendigkeit eines »demokratischen Coups« zu spekulieren, das heißt einer rapiden Vereinigung von oben, auf die dann ihnen zufolge eine radikale Demokratisierung der EU-Institutionen zu folgen habe.
Der globale Rahmen macht die Situation nicht leichter. Eine Abwendung der USA von dem, was jetzt »Globalismus« genannt wird, und ein neuer unverhohlener Nationalismus dort; die Versuche Russlands und Chinas, sich die innereuropäischen Spannungen mit den verschiedensten Mitteln zunutze zu machen; die mögliche Abwendung der Türkei von der EU und die anhaltende Konfrontation der europäischen Gesellschaften mit islamistischem Terrorismus haben den Druck erhöht, zu einer gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik zu kommen. Demonstrative Optimisten wie der französische Präsident Macron und seine Bewunderer scheinen sogar anzunehmen, dass der vielfältige Problemdruck heute einen Schritt in Richtung einer europäischen Armee leichter macht. Skeptiker könnten darauf hinweisen, dass hier die Gefahr besteht, den Grundfehler beim Einstieg in die Währungsunion auf einem anderen Politikfeld zu wiederholen. Mehr Gemeinsamkeit schafft zusätzliche Konsensbildungsaufgaben, aus denen Konflikte entstehen können, die den schon erreichten Grad an Gemeinsamkeit gefährden. Eine Gefährdung der Friedensordnung in Europa aber wäre katastrophal. Eine solche Gefährdung aus Europa heraus sehe ich zwar nicht, auch nicht am Horizont und trotz aller ständigen Mahnungen im öffentlichen Leben, nicht in die Zeit des Nationalismus zurückzufallen und die europäischen Errungenschaften damit zu riskieren. Was ich allerdings sehe, ist, dass Europa sich gerade auf diesem Gebiet am Scheideweg befindet. Auf dem Spiel steht nicht die innereuropäische Friedensordnung als solche. Sehr wohl aber stellt sich die Frage, was aus deren erfolgreicher Sicherung in der Vergangenheit eigentlich für die heutige Situation folgt.
Die Friedensordnung in Europa ist schon vor Jahrzehnten von einem führenden Politikwissenschaftler2 auf den Begriff einer »post-Hobbesschen Ordnung« gebracht worden. Gemeint ist damit eine prinzipielle Überwindung des »Naturzustands« zwischen den Staaten, ihrer immerwährenden Machtkonkurrenz. Für Philippe C. Schmitter und andere wird diese Ordnung nicht einfach durch demokratische Strukturen im Inneren der europäischen Staaten gesichert. So würden nur die Vertreter der Theorie des »demokratischen Friedens« argumentieren, die annehmen, dass demokratische Staaten grundsätzlich keine Kriege gegeneinander führen3. Die post-Hobbessche Ordnung meint vielmehr über die eine Ebene der Demokratie hinaus weitere Bedingungen und eine komplexe Verflechtung von Staaten auf vielen Ebenen. Das stimmt überein mit der beeindruckendsten aller Theorien über die Bedingungen lang anhaltenden und stabilen Friedens, die es meines Erachtens gibt. Ich meine die Theorie des »zivilisatorischen Hexagons«, die Dieter Senghaas entwickelt hat4