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Wenn die Idee der Menschenrechte ein Charakteristikum der westlichen Kultur ist, wie kann es dann sein, dass die längste Zeit europäischer Geschichte von Sklaverei und Folter durchzogen ist? Hans Joas zeigt anhand der Rechtfertigung von Inhumanität im Westen, wie fragil der Fortschritt in Richtung einer Sakralisierung der Person ist, und warnt vor jedem kulturellen Triumphalismus, der sich auf die erreichten Fortschritte beruft.
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Seitenzahl: 47
Über das Buch
Die westliche Kultur gilt als Wiege der Menschenrechte, doch sie hat auch Sklaverei, Folter und Kolonialismus praktiziert. Sowohl die historische als auch die aktuelle Rechtfertigung von Inhumanität im Westen – Stichwort Guantanamo – belegt, wie fragil der Fortschritt in Richtung einer Sakralisierung der Person tatsächlich ist. In der so oft bemühten Rede von den »europäischen Werten« erkennt Hans Joas weniger den Geist der Selbstkritik als vielmehr den Tonfall sicheren Besitzes.
»Erschütternde, geradezu vernichtende Antworten.«
Süddeutsche Zeitung
Über den Autor
Hans Joas, geb. 1948, ist Soziologe und Sozialphilosoph. Er lehrt als Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität in Berlin und ist außerdem Professor und Mitglied des Committee on Social Thought an der University of Chicago.
Hans Joas
Sind die Menschenrechte westlich?
Kösel
Copyright © 2015 Kösel-Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlag: Weiss Werkstatt, München
Umschlagmotiv: Weiss Werkstatt, München, unter Verwendung zweier Bilder© shutterstock / Nik Merkulov / BildNr. 119393245
© shutterstock / Andrey_Kuzmin / BildNr. 112721938
ISBN 978-3-641-16131-6
www.koesel.de
Für Ulrich Herbert
und Jörn Leonhard
Inhalt
Die Gefahr eines westlichen Triumphalismus
Das Zeitalter der Transzendenz und seine Folgen
Die Rechtfertigung der Sklaverei
Folter und Kolonialismus
1948: kein westliches Oktroi
Anmerkungen
Die Gefahr eines westlichen Triumphalismus
Im achtzehnten Jahrhundert verschwand dieFolter als legitimes Mittel aus den Rechtssystemen aller europäischen Staaten. Im folgenden, dem neunzehnten Jahrhundert, wurde die Sklaverei in den USA, aber auch in allen anderen Gesellschaften der westlichen Hemisphäre, in denen sie sich zu einer zentralen ökonomischen Institution entwickelt hatte, abgeschafft, zuletzt in Brasilien 1888. Für mich, aber gewiss nicht nur für mich, gehören diese beiden Prozesse zu den wichtigsten Kapiteln in der Geschichte der Menschenrechte. Dies gilt unabhängig davon, ob in der Rhetorik der Zeit der Begriff Menschenrechte eine große Rolle spielte oder nicht. An den jahrzehntelangen intellektuellen Auseinandersetzungen und sozialen Kämpfen, die mit beiden Prozessen verbunden waren, wird unmittelbar anschaulich, dass die entsprechenden rechtlichen Veränderungen weit mehr waren als bloße Veränderungen der Gesetzeslage. Es handelte sich vielmehr um grundlegende kulturelle Transformationen, für die ein aufs Rechtliche begrenzter Zugriff zu eng wäre. Um diese kulturellen Transformationen auf den Begriff zu bringen, spreche ich von der »Sakralisierung der Person«1 . Ich schlage vor, die Menschenrechte und den sie fundierenden Glauben an eine universale Menschenwürde als das Ergebnis eines spezifischen Sakralisierungsprozesses aufzufassen, d. h. eines Wandels, in dem jedes einzelne menschliche Wesen mehr und mehr und in immer stärker motivierender und sensibilisierender Weise als heilig angesehen und dieses Verständnis im Recht institutionalisiert wurde. Dabei hat der Begriff Heiligkeit bzw. Sakralität hier keineswegs eine ausschließlich religiöse Bedeutung; er kennzeichnet vielmehr ganzheitliche, affektiv intensive und Menschen als offensichtlich berechtigt erscheinende Wertbindungen aller, auch säkularer, Art.
ENDE DER LESEPROBE