Bilanz mit Blutflecken - Hansjörg Martin - E-Book

Bilanz mit Blutflecken E-Book

Hansjörg Martin

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Beschreibung

Als ich wieder zu mir kam, hing er in der Flurgarderobe und pendelte sacht hin und her. Nun konnte er mir bestimmt keine Auskunft mehr über die Unterschlagungen geben, die ich aufdecken sollte ... Dann fand ich seinen Abschiedsbrief. Er enthielt ein Geständnis. Aber als ich am nächsten Morgen ‹mein› Büro betrat – den Raum jedenfalls, von dem aus ich, als Werbetexter getarnt, meine Nachforschungen betrieb –, da wußte ich, daß dieses Geständnis falsch war. Der Mörder mußte es auf der Schreibmaschine seines Opfers getippt haben, nachdem er mich niedergeschlagen hatte. Wer aber konnte dieser Mörder sein? Und vor allem: Ging die sommersprossige junge Frau auf das Konto des gleichen Täters? Ich kam nicht weiter mit meinen Ermittlungen. Ich hatte mich festgerannt. Der dritte Tote war dann mein letzter Verdächtiger. Er war zwar gewaltsam, aber nicht durch Mord ums Leben gekommen – die Polizei war davon überzeugt; ich ebenfalls. Oder doch bis zu dem Gespräch mit dem mißtrauischen Kellner, der sich die halbe Autonummer gemerkt hatte.

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Hansjörg Martin

Bilanz mit Blutflecken

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Als ich wieder zu mir kam, hing er in der Flurgarderobe und pendelte sacht hin und her. Nun konnte er mir bestimmt keine Auskunft mehr über die Unterschlagungen geben, die ich aufdecken sollte ... Dann fand ich seinen Abschiedsbrief. Er enthielt ein Geständnis.

Aber als ich am nächsten Morgen ‹mein› Büro betrat – den Raum jedenfalls, von dem aus ich, als Werbetexter getarnt, meine Nachforschungen betrieb –, da wußte ich, daß dieses Geständnis falsch war. Der Mörder mußte es auf der Schreibmaschine seines Opfers getippt haben, nachdem er mich niedergeschlagen hatte. Wer aber konnte dieser Mörder sein? Und vor allem: Ging die sommersprossige junge Frau auf das Konto des gleichen Täters? Ich kam nicht weiter mit meinen Ermittlungen. Ich hatte mich festgerannt.

Der dritte Tote war dann mein letzter Verdächtiger. Er war zwar gewaltsam, aber nicht durch Mord ums Leben gekommen – die Polizei war davon überzeugt; ich ebenfalls. Oder doch bis zu dem Gespräch mit dem mißtrauischen Kellner, der sich die halbe Autonummer gemerkt hatte.

Über Hansjörg Martin

Hansjörg Martin (1920–1999) war ursprünglich Maler und Graphiker. Nach dem Krieg arbeitete er als Clown, war Bühnenbildner und Dramaturg, dann freier Schriftsteller. Er schrieb Kriminalromane und Kinder- und Jugendbücher.

Inhaltsübersicht

Die Hauptpersonen1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel

Die Hauptpersonen

Major a.D. Arnold

hat ein Detektivbüro und eine Abneigung gegen schnoddrige Redensarten.

Direktor Bollwitt

engagiert einen Detektiv, um einen unbekannten Betrüger zu entlarven.

Frl. Schumm

ist nicht für klassische Zitate, zumindest in gewissen Situationen.

Lorenz Blum

entdeckt Leichen zu früh und Zusammenhänge zu spät.

Gabriele Küster

singt dreimal wöchentlich in einem Nachtclub.

Herr Laumann

hat eine Druckerei, ein Verhältnis und einen Autounfall.

Adele Kauerauf

blüht im Verborgenen, aber mit Inbrunst.

Alwin Funke

sieht aus wie ein Marabu und hat ein steifes Bein.

Sabine Kranz

hat Sommersprossen, eine Katze und Angst.

1

Ich saß in dem kleinen Büroraum, las lustlos Zeitung und wartete auf neue Arbeit.

Die liebe, liebe Sonne fing an, ihre güldenen Strahlen in das griesgrämige Gehäuse zu schicken. Ich schloß schleunigst die schäbigen Leinenvorhänge, öffnete meinen Kragen und meditierte über die ungerechte Verteilung der Güter dieser Welt. Vorn, in den Gemächern des Chefs, die sowieso nach Nordwesten liegen, gibt es eine Klimaanlage.

Ich kam nicht weiter mit meiner Meditation als Karl Marx vor hundert Jahren auch schon, nur, daß ich schneller resignierte und mich darauf einrichtete, daß es ein paar heiße Tage geben würde.

Ich meinte es allerdings anders, als es dann wurde.

Das Telefon knarrte.

«Blum», sagte ich.

«Sie sollen zum Chef kommen!» sagte Mathilde, die Vorzimmerdame, und ihre Stimme fuhr mir ins Ohr wie einem Salmiakgeist in die Nase fährt.

Sie kann nichts dafür, und ihre Stimme ist das einzig Eindrucksvolle an ihr, wenn man soviel mausgraue, unauffällige Tüchtigkeit nicht auch schon als eindrucksvoll bezeichnen will. Sie weiß alles, denkt an alles, merkt alles, kennt alles, erinnert sich an alles und besorgt alles – jedenfalls alles, was in einer soliden Auskunftei (und mein Chef legt Wert auf das Wort solid) gewußt, gedacht, bemerkt, gekannt, erinnert und besorgt werden muß. Was macht so ein geschlechtsloses Mädchen mit seinen Abenden, Nächten und Wochenenden? dachte ich manchmal.

So auch jetzt, als ich das Vorzimmer betrat.

«Ihre Krawatte!» sagte Mathilde, ehe ich die Tür noch hinter mir zu hatte. Sie stand auf, öffnete die Polstertür zum Chefzimmer und meldete: «Herr Blum!» durch die Öffnung. Im linken Strumpf hatte sie eine Laufmasche.

«Bitte!» sagte sie, sich umdrehend, zu mir und schubste die Tür auf.

«Ihr linker Strumpf!» sagte ich, zog an meiner Krawatte und ging an ihr vorbei.

«O Gottchen!» flüsterte sie. Das galt aber der Laufmasche.

In der Polstergarnitur des Fünfzig-Quadratmeter-Raums, der angenehm kühl war, saß ein unwahrscheinlich dicker und erstaunlich unbehaarter Mensch – unbehaart, was den Kopf anbetraf. Auf den rundlichen Händen, deren eine vor seinem Wulstlippenmund schwebte und eine Zigarre hielt, schimmerte roter Flaum. Aber den Schädel zierte kein einziges Haar. Nicht mal Wimpern und Augenbrauen hatte der Mann.

Beim Betrachten der aggressiv-sozialkritischen Graphiken von George Grosz habe ich nie so recht glauben wollen, daß es diesen Typ wirklich gibt, so rund, glatt, selbstzufrieden … Da saß er!

Aus den rosa Wülsten über und unter den Augen glitzerte mich ein prüfender Blick an. Der Mann atmete schwer. Das schien aber eher Asthma als Aufregung zu sein.

Mein Chef unterbrach das Zehn-Sekunden-Schweigen: «Dies ist Herr Blum, Herr Direktor – von dessen besonderer Eignung für Ihren Fall ich schon sprach.»

«Angenehm», sagte der dicke Direktor – mit einer überraschend angenehmen Stimme – und hielt mir die Rechte hin.

Ich machte einen Diener und ergriff sie. Sie fühlte sich an wie ein warmer Boxhandschuh.

«Nehmen Sie Platz, Herr Blum», sagte der Chef. «Herr Direktor Bollwitt sucht einen zuverlässigen Mann für eine besonders schwierige Aufgabe …»

«Lassen Sie mich mal!» unterbrach ihn der Dicke.

«Bitte sehr!» Verbeugung, beflissenes Händereiben.

Das mußte ein großes Ding sein, denn sonst – bei Ehesachen, diskreten Auskünften und so weiter – sonst ist der Chef eher ruppig und macht auf Polizei-Offizier außer Diensten, was die meisten Kunden gebührend beeindruckt und dem Laden den Ruf der Solidität eingebracht hat – obschon wir genauso dreckige Wäsche waschen wie die anderen auch.

Bollwitt hielt mir sein Zigarrenetui hin. Ich lehnte dankend ab und nahm mir eine Zigarette aus dem silbernen Kundenkasten auf dem Tisch. So weit, mir Feuer zu geben, ging der Herr Direktor natürlich nicht.

Ich bediente mich selbst und sah ihn erwartungsvoll an.

«Herr Major Arnold», begann er und wies mit seiner Zigarre auf den Chef, der bei der Nennung seines alten Polizeidienstgrades sofort aufblühte, «hat Sie vorgeschlagen, Herr Blum, weil Sie früher, bevor Sie hier tätig wurden, in der Werbung gearbeitet haben. Das trifft sich gut … Was haben Sie da gemacht?»

«Texte», sagte ich, «Kundenbetreuung – Kontakte, wie man heute sagt: Dies und das …» Ich nannte ihm, weil ich seine nächste Frage schon erriet, die zwei Agenturen, bei denen ich Kraft, Geist und Lebensjahre für den Absatz von Badesalz, Hundekuchen, Wellpappkartons und anderen unabdingbaren Gütern des christlichen Abendlandes verschwendet hatte, ehe ich beschloß, meine Fähigkeiten in den Dienst der diskreten Detektei Arnold zu stellen …

Ich sagte nicht, warum ich das getan hatte. Er fragte mich auch nicht danach, und wenn er gefragt hätte, würde ich ihm nicht gesagt haben, daß mir unter anderem die Gespräche, die Konferenzen um die Psychologie des Hundekuchenkäufers zum Hals herausgehangen hatten. Ich würde irgendwas gefaselt haben vom ‹Interesse an der Arbeit mit dem Menschlichen› oder ähnlichen Blödsinn.

Aber er fragte nicht. «Wann war das?» wollte er wissen.

«Vor zweieinhalb Jahren», sagte ich.

«Ja», bestätigte der Chef eifrig, «Herr Blum ist seit zweieinhalb Jahren mein Mitarbeiter; seine Erfolge, vor allem auf dem Gebiete der Aufklärung von Industriefällen, sind …»

«Das sagten Sie schon», fiel Bollwitt ein und griff nach dem Tischfeuerzeug, denn seine Zigarre war im Begriff auszugehen.

Es gab eine kleine Pause. Der Chef und ich verfolgten das Aufflackern der Feuerzeugflamme und die Rauchwolken aus dem Mund des Kunden mit großem Interesse.

«Die Sache ist die …» Die Zigarre brannte immer noch nicht richtig. Dann endlich war ihr Widerstand gebrochen. Der Dicke sah so aus, als habe er Erfahrung im Brechen von Widerständen. «Also, in meinem Ressort ist irgendwo der Wurm drin, ja? Ich gehöre der dreiköpfigen Geschäftsleitung der ALO an …» Er wandte sich an mich: «Sie kennen die ALO?»

Ich nickte, obgleich ich nur eine vage Ahnung hatte. Irgendein Konzern, der mit Brot, Wurst, Butter, Käse, Schokolade, Schnaps – was weiß ich – zu tun hatte. Allgemeine oder Assoziierte Lebensmittelorganisation oder so ähnlich. ALO. Milliardenladen mit eigenen Fabriken in halb Europa.

«Gut», sagte Bollwitt wohlwollend und suchte seinen Faden. «Ach so, ja: Also, wir haben einen Direktor für das Finanzwesen, einen, der die Produktionsbetriebe – äh, sozusagen unter sich hat und für den Einkauf und Verkauf zuständig ist, ja? Und dann den Verantwortlichen für das Gebiet Vertrieb, Werbung, Marktforschung, Public Relations … Sie verstehen? Das bin also ich!» Er warf seine Zigarre, die nicht ziehen wollte, in den waschbeckengroßen Muranoaschenbecher und erholte sich vom ersten Teil seiner Ausführungen, indem er sich räusperte, schneuzte, ein Spielchen mit seinem gelben Taschentuch spielte, sich im Ohr pulte und mit seiner Zunge in seiner Zahnreihe nach Frühstücksresten suchte. Es war alles sehr imponierend, zumal es geschah und veranstaltet wurde, als säßen wir nicht daneben.

Diese Stufe der menschlichen Größe, auf der man sich vor Zuschauern benimmt, als sei man allein, werde ich nie erreichen. Ich gebe es neidlos zu, daß ich mich immer geniere, wenn mir einer beim Nasebohren zusieht. Na ja.

Als Direktor Bollwitt seine verschiedenen Verrichtungen erledigt hatte, kam er wieder zur Sache: «In meiner Werbeabteilung nun, da ist also irgend etwas nicht in Ordnung. Nicht werblich oder künstlerisch, nee – erstklassige Leute … Aber was den Etat angeht, ja? Wir verbraten achtzehn Millionen per Anno für Werbemittel, Inserate, Packungen und all den Quatsch – aber eine kürzliche Inspektion der Werbebuchhaltung hat ergeben, daß zum Beispiel unsere Druckerei-Kosten sehr viel höher sind als die vergleichbaren der Konkurrenz, so weit wir da Einblick … Sie verstehen? Na, und mein Kollege Wildberger vom Finanzressort, der hat mich da angefrozzelt. Und ich will also Ordnung haben, sozusagen, wenn ich’s mal so ausdrücken darf …»

Erneute Pause. Das Denken setzte ihm zu. Ich wußte immer noch nicht genau, ob er mir sympathisch war oder unsympathisch.

«Darf ich Ihnen vielleicht eine Erfrischung …?» fragte der Chef.

«Gerne», sagte Bollwitt, «Whisky, also, das heißt Scotch, ja? Viel Eis, Wasser – aber kein Sodawasser, wenn ich bitten darf!»

Es geht nichts über präzise Auskünfte.

Arnold stand schon neben seinem Sessel. Er stand da wie ein Kellner, der eine Bestellung entgegennimmt … Ein bestimmter Offizierstyp hat mich schon immer an Kellner erinnert, abgesehen vom Rechnen, da sind Kellner meistens schneller.

«Sie auch was?» fragte mich der Kell … fragte mich Arnold.

«Aber gern», sagte ich kühl …«Wenig Eis, viel Whisky und überhaupt kein Wasser, bitte!»

Präzise Auskünfte.

Der Chef bedachte mich mit einem Blick, der sagte: Disziplin, Mann! oder etwas ähnlich Preußisches, und ging quer durchs Zimmer zu seinem Schreibtisch – neun Schritte – und drückte dort auf einen Knopf. Darauf öffnete sich die Tür zum Vorzimmer, die er mit drei Schritten hätte erreichen können, und Mathilde erschien.

Arnold gab seine Anweisungen. Bollwitt betrachtete das reizlose Geschöpf, ohne es anzusehen, und ich freute mich, daß ich meinem Chef, dem alten Geizhals, einen Whisky entsteißt hatte.

Mathilde brachte, ehe der Direktor dazu kam, in seinem Bericht fortzufahren, Gläser, Eisbehälter, Wasserkaraffe, Syphon, Flaschen.

Bollwitt registrierte die Flinkheit des Mädchens. «Tüchtige Person!» sagte er, als sie wieder draußen war, und schlürfte geräuschvoll seinen Whisky.

Nun komm schon endlich mit der Ziege auf den Deich, dachte ich; ich soll ja wohl nicht einen Werbeetat überwachen?

«Es geht natürlich für Sie, Herr Blum», sagte der Dicke, «nicht darum, unseren Etat zu kontrollieren oder so …»

Großer Gott – Gedanken lesen kann er auch!

«… sondern um folgendes: Da ist ein Mann namens Funke – Alwin Funke, wenn ich nicht irre; na, ist ja auch egal. Diesen Mann sollen Sie mir beobachten – dienstlich und privat. So diskret wie möglich … Er ist der Verwalter dieses Etats, der buchhalterische Verwalter – und er scheint mir der Angelpunkt möglicher Unregelmäßigkeiten zu sein … Na schön, Sie werden denken, daß ich dafür auch die Kripo holen könnte. Könnte ich auch, klar. Will ich aber aus bestimmten Gründen nicht. Es ist ja zunächst auch bloß ein Verdacht, verstehen Sie?»

Ich nickte. Viel mehr als Nicken hatte ich bisher noch nicht getan. Doch er schien’s zufrieden.

«Ich schlage also vor», sagte er über den Rand seines Glases hinweg, «daß Sie sich möglichst schnell bei uns bewerben – sagen wir als Texter … Das können Sie wohl noch?»

Ich nickte wieder und sagte: «Klug, wer ALO-Weinbrand kauft und sich ordentlich besauft!»

Mein Chef sah mich angewidert an, aber Bollwitt, man muß gerecht sein, riß seine Speckpolster-Augenumrandung auf, legte, so weit ihm das möglich war, den Kopf zur Seite und lachte mit offenem Mund und bebender Unterlippe so laut, daß die Gläser auf dem Tisch klirrten.

«Engagiert!» schrie er hustend, prustend, keuchend und wiederholte: «Engagiert! … wer ALO-Weinbrand kauft und sich ordentlich besauft! Köstlich!»

Der Gesichtsausdruck meines Chefs hellte sich sofort auf, woraufhin ich mich auf dem Wege der Selbstbedienung mit einem zweiten Whisky versorgte. Ich brauchte ihn gar nicht so dringend, aber es machte mir Spaß, Herrn Major a.D. Arnold, Chef der Auskunftei ARGUS, zuzusehen, wie er still rechnete: Eine Flasche Whisky à DM 15,-, Inhalt ca. 20 Gläser, Glas DM 0,75 – Blum trinkt bereits den zweiten Doppelten … Macht DM 3,– … Und so weiter.

Bollwitt hatte sich indessen ausgeprustet. «Prima!» sagte er abschließend noch mal und wischte sich mit seinem riesigen gelben Kavalierstuch eine Lachträne aus dem Augenwinkel.

Ich entschloß mich, vom Applaus korrumpiert, ihn nun doch sympathisch zu finden. Dichterlos.

«Reichen Sie also», sagte er, «Ihre Bewerbung mit einem kurzen Lebenslauf und ein paar Arbeitsproben – aber vielleicht besser nicht solche, wie die eben zitierte – der Form halber bei unserer Personalabteilung ein. Ich werde mich dann indirekt einschalten … Nächste Woche fangen Sie an. Zwei oder drei Wochen werden Sie vielleicht brauchen – mal sehen. Gehalt und so regle ich mit meinen Leuten und Ihrem Major Arnold – oder wie?»

«Das wird wohl das Beste sein», pflichtete der Chef bei.

Mir war es gleichgültig. Sie würden so und so an mir verdienen, die Brüder … Ich erhob mich, ergriff den dargebotenen warmen Boxhandschuh Bollwitts und verließ, vom Chef mit gnädigem Lächeln beschenkt, das Zimmer mit der Klimaanlage.

Aus Mathildes Vorzimmerfenster warf ich einen Blick auf den Parkplatz vor dem Haus, den ein Schild Nur für Klienten der AuskunfteiARGUS schmückt – über ‹Klienten› muß ich immer wieder grinsen … Da stand ein elfenbeinerner – nein, elfenbeinfarbener Chevrolet der Zwanzigtausend-Mark-Größe, in dem ein Chauffeur saß und sich dem Studium der Boulevardpresse hingab. Schönes Auto. Man sah dem Wagen die Unregelmäßigkeiten in der Firma ALO nicht an.

Dann wanderte ich, nach einem kleinen Scherz für Mathilde, zurück in meine graue Klause, und las, um dem Bollwitt-Chauffeur nicht an Bildung unterlegen zu sein, eine halbe Stunde das Neueste vom Brustumfang der diesjährigen Miss Europa, den sorgsam faksimilierten Brief der Mutter des Lustmörders X an den Herrn Bundespräsidenten sowie das nicht faksimilierte Geständnis des Oberlehrers Y, mit dem Getreidehändler Z hin und wieder die beiderseitigen Ehefrauen getauscht zu haben … Ich las noch mehr wissenswerte Dinge, die uns eine verantwortungsbewußte Presse allmorgendlich offenbart. Meinen Kragen hatte ich wieder geöffnet.

Ich war gerade dabei, mir zu überlegen, wie ich dem Tageshoroskop ein Schnippchen schlagen könnte, denn das weissagte mir für den heutigen Abend harmonische Stunden der Entspannung – und ich hatte mich doch mit Gabriele verabredet, die es gar nicht so gern sieht, wenn ich mich in ihrer Gegenwart entspanne –, da knarrte wieder das verdammte Telefon.

Mathildes Glasschneiderstimme: «Ich verbinde mit dem Chef.» Und dann brummelte mein Major drauflos.

«Haben Sie gut gemacht, lieber Blum! War ja ’n bißchen … äh, riskant so, mit diesem Vers, wissen Sie! Dachte schon, Direktor Bollwitt schnappt ein – aber Gegenteil! Den Kunden haben wir. Interessanter Auftrag! Wenn das funktioniert, lege ich Ihnen einen Hunderter drauf, jeden Monat! Haben Sie die Bewerbungsunterlagen schon …?»

«Nein», entgegnete ich, «glauben Sie, ich trage meine gesammelten Werke bei mir, Herr Arnold? Die stehen zu Hause hinter Glas, in Schweinsleder, direkt unter dem röhrenden Hirsch aus Bronze …»

«Eine Redeweise haben Sie manchmal, Blum – also ich weiß nicht! Aber kann ja sein, ich gewöhne mich noch dran. Jetzt aber dalli, hören Sie! Diktieren Sie gleich Ihren Lebenslauf, und dann nichts wie los, Arbeitsproben eingepackt und ab die Post! Von mir aus können Sie dann den Tag freimachen – im voraus gewissermaßen – klar?»

«Klar, Herr Arnold», sagte ich, «und verbindlichsten Dank – im voraus gewissermaßen!»

Er schnaufte und legte auf. Aus dem Schnaufen schloß ich, daß er sich nie an meine Redeweise gewöhnen würde. Ich schmiß die Brustweite der Miss Europa in den Papierkorb, schaute ins Nebenzimmer, wo mein Mitmensch Köster saß und über irgendeinem Bericht schwitzte, sagte: «Hitzefrei! Aber nur für mich. Gute Verrichtung!» und ließ ihn wütend zurück. Dann diktierte ich im Schreibzimmer Lebenslauf und Bewerbung, und weitere zehn Minuten später gab ich den 34 Pferden unter der Haube meines unauffälligen Gestüts die Peitsche.

2

Ich machte das Päckchen an die ALO fertig, zog mich sommerlich an und überlegte, ob ich schwimmen, in den Wald oder zu Gabriele fahren sollte, die tagsüber oft frei hat, weil sie an drei Abenden in der Woche in einem verräucherten Kabarettkeller Chansons, wie sie es nennt, singt. Als ich mich gerade für Schwimmen entschieden hatte, klingelte das Telefon … Die Firma. Mathilde. Sie verband. Der Chef:

«Tut mir leid, Blum – aber da ist eine Klientin. Schwierige Frau. Also kurz, ich muß Sie bitten … Köster ist schon wieder unterwegs, und Niels kommt erst morgen früh zurück. Bitte kommen Sie gegen halb fünf her, ich gebe Ihnen dann die Informationen und so weiter. Richten Sie sich auf einen langen Abend ein.»

«Mahlzeit!» sagte ich halblaut.

«Wie bitte?» fragte der Chef.

«Ich gab nur meiner Begeisterung Ausdruck», sagte ich, «also halb fünf … Okay!»

«Tut mir ja wirklich …» jammerte er.

«Mir auch», sagte ich und legte auf.

Wald, Schwimmen, Gabriele – Essig! Ich haute mir zwei Eier in die Pfanne und mich selber anschließend aufs Ohr. Wenn Arnold schon sagte, daß ich mich auf einen langen Abend einrichten müsse, dann sah ich die Nacht in die Binsen gehen. Eine Mütze voll Vorratsschlaf war dafür die beste Vorbereitung. Scheißspiel. Ob ich nicht doch wieder Werbeverse …? Klug, wer ALO-Weinbrand kauft – da hat man wenigstens sein Geregeltes: von halb neun bis halb sechs ‹kreativ›, und dann Kreatur. Aber wenn ich daran dachte, wie mich Badesalz, Hundekuchen und Wellpappe bis in die Träume verfolgt hatten – nein, danke!

Um fünf, nach ausgiebigem Nachmittagsschlaf, brach ich zur Verfolgung auf. Die Klientin, deren Namen ich wie ‹Naumann› verstand (was sich später jedoch als falsch herausstellte), hatte durch einige anonyme Briefe, durch ebensolche Anrufe lieber Mitmenschen sowie durch seltsame Veränderungen im Tageslauf und Nachtverhalten ihres Herrn Gemahls den Verdacht geschöpft, daß er fremdginge. Na, und das hatte sie nicht so gern. Von Scheidungsplänen war die Rede gewesen, von Treulosigkeit, Herzlosigkeit, Undankbarkeit – «Nach allem, was ich für ihn getan habe …» ich kannte die Vokabeln vor- und rückwärts auswendig, kannte die Tränen, Haßausbrüche, Racheschwüre und Resignationsschluchzer; ich wußte auch, daß sich solche Sachen oft wieder einrenken, daß sich die Partner entweder arrangieren oder aussöhnen – ich nahm daher die Sache nicht so tragisch.

Da ich ein Mann bin, konnte ich hin und wieder angesichts mancher aufgelöster Ehefrauen den jeweiligen Übeltäter verstehen, zumal, wenn ich dann im weiteren Verlauf sah, was für schnuckelige Hasen sich die alten Seitenspringer angelacht hatten. Aber ich konnte – da muß ich irgendwo eine moralische oder ästhetische Bremse haben – nie die schnuckeligen Hasen verstehen, die mit fetten Mittfünfzigern in irgendwelche Absteigebetten krabbeln und dann noch von Liebe reden.

Na ja, nicht mein Bier!

Mein Bier war, festzustellen, ob, wann und mit wem der Herr Naumann wie lange und wie oft die Ehe brach, und darüber zu berichten – tunlichst mit wirkungsvollen Belegen wie Fotos, Hotelrechnungen und anderen Scherzartikeln.

Ich stand also pünktlich Viertel nach fünf mit meinem unauffälligen Auto auf dem angegebenen Parkplatz, behielt einen weißen Mercedes im Auge und wartete auf den brünstigen Mittelständler.

Wie schon in früheren Fällen ärgerte ich mich auch diesmal über die Kleinkariertheit der Arnold-Agentur, denn ich mußte fürchten, daß mir der Brünstige mit seinem Wohlstandsauto einfach davonfahren würde. Ich konnte, falls er die Stadt verließ, niemals darauf hoffen, ihm auf den Fersen zu bleiben. Ich hoffte sogar beinahe das Gegenteil … Sollte er doch! Ich würde Arnold sagen, daß er seine Leute mit Maultieren ausrüste, um an Pferderennen teilzunehmen, der alte Pfennigfuchser …

Ferner dachte ich zum hundertstenmal darüber nach, ob mein derzeitiger Job ethisch vertretbar sei.

Ich neigte zu der Auffassung, er sei es, ich hatte oft genug erlebt, wie würdige Weiberhelden angesichts eines minuziösen Beobachtungsberichtes zusammenklappen, den großen Katzenjammer kriegen und von da an die bravsten Gatten sind.

Ich fand es jedenfalls besser, wenn solche diskreten Beobachtungen in der Hand privater Unternehmen liegen – vorausgesetzt, daß diese wirklich seriös sind und bleiben und der Versuchung widerstehen, sich mit Erpressung Nebeneinnahmen beschaffen, von denen das Finanzamt nichts erfährt. Ja, so war es besser, als wenn mehr oder weniger von Herrschergelüsten zerfressene Staatsdiener mit amtlicher Richtlinientaktlosigkeit ihre kleinen, dummen Nasen in das horizontale Spiel der Bürger steckten.

Meine tiefschürfenden Überlegungen wurden unterbrochen, als der Herr Naumann, der wie ein Prokurist aussah – nur schöner –, in schlicht-vornehmes Grau gehüllt, auf sein Auto zuging und sich anschickte, auf Abwege zu fahren, nicht ahnend, daß diese diesmal mit Stolperdrähten versehen waren.

Die Sache verlief zunächst, wie solche Unternehmungen – mit kleinen Varianten – immer verlaufen. Der Herr Kavalier parkte sein Gefährt hundert Meter von einem Häuserblock entfernt, aus dem nach fünf Minuten eine rüstige Endzwanzigerin in Blond getrippelt kam, die einen recht properen Popo schwenkte.

Sie stieg ein, nahm gesittet Platz, tauschte Händedruck und flüchtiges Streichelchen mit dem Verehrer, und los ging’s.

Ich hielt mich in ehrfürchtiger Entfernung. Sie fuhren nach Süden aus der Stadt. Es war im Büroschlußrummel nicht so ganz einfach, ihnen zu folgen, aber ich hatte ja Übung.

Dort, wo sich die Außenbezirke in Wiesen, Weiden und Felder verkrümeln, bog das junge Glück von der großen Ausfallstraße ab und fuhr einem Wäldchen zu – um Schmetterlinge zu fangen, oder wonach ihnen sonst der Sinn stand.

Als sie das Auto verlassen hatten und Hand in Hand einer Tannenschonung zustrebten, fuhr ich meine Karre ein Stückchen weiter, an den Rand einer Schneise, und ging auf Fotosafari. Es gelangen mir ein paar wunderschöne Schnappschüsse, und ich beglückwünschte mich wieder einmal zu meiner hervorragenden Infanterieausbildung aus vergangener Zeit. Gelernt ist gelernt.

Mein Soll war damit eigentlich erfüllt. Ich hätte, mit dem Beweis handfester Untreue in der Kamera, nach Hause fahren und doch noch zu Gabs gehen können, um meinerseits Schmetterlinge zu fangen, oder wonach mir sonst der Sinn stand. Aber ich hatte Order, die gesamte Freizeitgestaltung des Herrn zu beaufsichtigen. Ich fuhr also zurück auf die Landstraße, packte die Kamera weg und mein Reserverad aus und spielte Reifenpanne. Das sind so Tricks, du liebe Güte, abgenutzt wie das Lächeln einer alten Soubrette – aber eigentümlicherweise immer noch wirksam, was man von besagtem Lächeln nicht uneingeschränkt behaupten kann.

Nach einem halben Stündchen kam das Paar von seinem Ausflug zurück, bemerkte den bastelnden Automobilisten überhaupt nicht und fuhr wieder zur großen Straße.

Ich malte mir aus, was so ein Schmetterlingsfänger wohl zu Hause sagt, wenn die bessere Hälfte beim Ausbürsten seiner Jacke ein paar Ameisen entdeckt, oder Tannennadeln, oder was sonst an kleinen Gaben die Natur manchmal den sie durchstreifenden Menschen mit auf den Weg gibt … Wer hat schon Ameisen im Büro? Ehebruch erfordert, glaube ich, mehr Phantasie und Überzeugungskraft, wenn man ihn vertuschen, als wenn man ihn betreiben will.

Es ging auf halb sieben. Mein schöner Mann lenkte sein feines Auto noch nicht stadtwärts, sondern steuerte gemächlich, die Rechte im Nacken seiner Naturfreundin, einer Kleinstadt dreißig Kilometer außerhalb zu, die über einen hübschen See an ihrer Peripherie und ein darangelegenes Feinschmecker-Restaurant verfügt.

Also auch noch ein Leckermäulchen, dachte ich und überholte, als mir sicher schien, daß der Seehof das Ziel meines Geschäftsfreundes war.

Man ißt dort wirklich gut. Ich war dem Ahnungslosen richtig dankbar, als ich ihn – schon nach einem Tisch suchend, der mir Überblick erlaubte – auf den Parkplatz fahren sah, wo er seinen Wagen direkt neben dem meinen abstellte.

Auf Major Arnolds Kosten bestellte ich mir das feine Süppchen, das Lady Curzon heißt, ein hübsches Forellchen mit viel Sahnemeerrettich, ein paar kleine Filetspitzchen mit frischem Spargel, süße Erdbeeren, überfroren à la ich-weiß-nicht-mehr, und ein halbes Fläschchen Gimmeldinger und ein Täßchen Mokka und ein Schnippelchen Käse und ein Schlückchen Armagnac und ein Schächtelchen ganz teure Zigaretten.

Über diesen bezaubernden Kleinigkeiten saß ich bald anderthalb Stunden. Mir schräg gegenüber aß, trank und turtelte, girrte, balzte und tätschelte mein Schmetterlingsfänger – und bot mir unbewußt diese und jene Gelegenheit, die elegante kleine Minoxkamera in Betrieb zu setzen und ihn, den Dummkopf, bei seinen Albernheiten festzuhalten.