Frust - Hansjörg Martin - E-Book

Frust E-Book

Hansjörg Martin

0,0
5,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Eine Gruppe von Lehrern. Sie haben sich zufällig in einer Kneipe getroffen und reden über ihre Schulprobleme. Im Nebenraum diskutieren Schüler über eine geplante Schülerzeitung. Bei einem gemeinsamen Gespräch mit den unzufriedenen Lehrern vom Nebentisch kommen sie auf die Idee, im ersten Heft das Thema «Schulfrust» aufzugreifen, und zwar zunächst aus der Lehrerperspektive. Die Schüler stellen eine Reihe von Interviews zusammen, befragen Lehrer – solche, die noch im Beruf sind und andere, die aus den unterschiedlichsten Gründen ausgestiegen sind – nach ihrem Rollenverständnis. Hat sich der Sprung von der Schulbank ins Lehrerzimmer wirklich gelohnt, oder sind die Zwänge dieselben geblieben, nur die Vorzeichen andere? Können sie sich die Hoffnungen, die sie sich als Schüler gemacht hatten, als Lehrer irgendwie einlösen? Oder haben sie es mit einer Institution zu tun, die Veränderungen schon im Ansatz erstickt? Woran liegt es, daß auch Lehrer sitzenbleiben, und was hat so viele dazu gebracht, der Schule endgültig den Rücken zu kehren?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 123

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



rowohlt repertoire macht Bücher wieder zugänglich, die bislang vergriffen waren.

 

Freuen Sie sich auf besondere Entdeckungen und das Wiedersehen mit Lieblingsbüchern. Rechtschreibung und Redaktionsstand dieses E-Books entsprechen einer früher lieferbaren Ausgabe.

 

Alle rowohlt repertoire Titel finden Sie auf www.rowohlt.de/repertoire

Hansjörg Martin

Frust

Schule lebenslänglich …?

Ihr Verlagsname

Über dieses Buch

Eine Gruppe von Lehrern. Sie haben sich zufällig in einer Kneipe getroffen und reden über ihre Schulprobleme. Im Nebenraum diskutieren Schüler über eine geplante Schülerzeitung. Bei einem gemeinsamen Gespräch mit den unzufriedenen Lehrern vom Nebentisch kommen sie auf die Idee, im ersten Heft das Thema «Schulfrust» aufzugreifen, und zwar zunächst aus der Lehrerperspektive. Die Schüler stellen eine Reihe von Interviews zusammen, befragen Lehrer – solche, die noch im Beruf sind und andere, die aus den unterschiedlichsten Gründen ausgestiegen sind – nach ihrem Rollenverständnis. Hat sich der Sprung von der Schulbank ins Lehrerzimmer wirklich gelohnt, oder sind die Zwänge dieselben geblieben, nur die Vorzeichen andere? Können sie sich die Hoffnungen, die sie sich als Schüler gemacht hatten, als Lehrer irgendwie einlösen? Oder haben sie es mit einer Institution zu tun, die Veränderungen schon im Ansatz erstickt? Woran liegt es, daß auch Lehrer sitzenbleiben, und was hat so viele dazu gebracht, der Schule endgültig den Rücken zu kehren?

Über Hansjörg Martin

Hansjörg Martin (1920–1999) war ursprünglich Maler und Graphiker. Nach dem Krieg arbeitete er als Clown, war Bühnenbildner und Dramaturg, dann freier Schriftsteller. Er schrieb Kriminalromane und Kinder- und Jugendbücher.

Inhaltsübersicht

Für die Mitarbeit ...«Behördlich befohlener Niederschlag …»1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel«Schulfrust …»8. Kapitel9. Kapitel«Frust …»10. Kapitel11. Kapitel

Für die Mitarbeit an diesem Band bedanke ich mich bei Gerhard Heiland und meinem Sohn Thomas.

«Behördlich befohlener Niederschlag …»

«Da sie nur Lehrer für 600 Mark sich leisten können, bleiben die Völkerso dumm, daß sie sich Kriege für 60 Milliarden leisten müssen.»Christian Morgenstern(Stufen)

1

Die Tür flog auf.

Drei Gestalten stolperten in die Gaststube. Mit ihnen kam kalte und nasse Luft herein. Die drei trieften. Von ihren Parkas rannen richtige kleine Bäche auf den Steinfußboden. Sie schüttelten sich. Der eine schob die Kapuze zurück und nahm die Brille ab, die beschlagen war.

«Tür zu!» rief jemand.

«Jaja! Gleich!» gab die zweite Gestalt zurück. Es war eine Frau, der Stimme nach. Sie griff hinter sich und zog die Türe zu.

«Ihr werdet euch schon nicht gleich den Charakter erkälten!» sagte die dritte Gestalt.

«Wenn ihr euch so was wie Charakter überhaupt noch leisten könnt!» fügte die Frau hinzu.

Sie hatte sich jetzt aus dem klatschnassen Parka gepellt und sah sich um, wo sie ihn aufhängen könnte. Sie sah schön aus, nein, nicht hübsch, eigenwillig schön in ihren derben Stiefeln, den fleckigen Jeans und dem viel zu großen, grobgestrickten grauen Pullover.

«Scheiße!» murmelte sie, als sie keinen freien Platz für ihren Parka fand, und sah sich ratlos um.

«Gib her!» sagte einer der beiden anderen – der ohne Brille –, nahm ihr das nasse Stück ab und hängte es mit seinem an die freien Haken, die er links vom Windfang entdeckt hatte.

«Scheint mächtig zu schütten draußen», sagte der Wirt vom Tresen her.

«Staatlicher Regen!» erklärte der Brillenträger.

«Was …?» fragte der Wirt, kniff irritiert die Augen zusammen, die ohnehin schmal waren und nun nur noch Schlitze unter seinen buschigen Brauen bildeten. «Staatlicher …?»

«Behördlich befohlener Niederschlag», sagte der Brillenträger.

«… zur Niederschlagung unbequemen Volkswillens!» ergänzte der ohne Brille, trocknete sich mit einem riesigen bunten Taschentuch den Bart, setzte sich an den großen runden Tisch rechts neben der Musikbox und lud mit einer ausholenden Armbewegung die junge Frau und den Brillenträger ein, Platz zu nehmen.

Er lachte nicht bei seiner Wortspielerei.

Die zwei anderen lachten auch nicht, setzten sich zu ihm und zündeten sich, fast im gleichen Rhythmus, Zigaretten an.

«Das kapier ich nicht … staatlich befohlener Niederschlag» …?» sagte der Wirt.

Am Nebentisch – links von der Musikbox – saß ein Älterer, der den Auftritt der drei nassen Leute aufmerksam beobachtet hatte.

Er wirkte wie einer, der seit Jahren keine Sonne auf seiner Haut gehabt hat, so grau wie Umweltschutzpapier – neudeutsch ‹recycling paper› –, und sogar seine blonden Haare wirkten staubig trocken. Haut und Haar sahen aus, als gehörten sie einem Bäcker oder einem Facharbeiter aus der chemischen Branche.

«Manchmal bist du aber auch ziemlich vernagelt für einen akademisch gebildeten Kneipenwirt, Hannes!» sagte der graue Mann und grinste den Wirt an, wobei seine Zähne sichtbar wurden, die so weiß und ebenmäßig waren, daß sie zu dem grauen knitterigen Gesicht paßten wie ein Rolls-Royce auf den Parkplatz eines Arbeitsamtes. Auch sonst schien das schöne Gebiß nicht so recht zu passen, denn der Mann hatte hörbare Schwierigkeiten mit Worten wie ‹ziemlich›!

«Ich kapier’s wirklich nicht», erwiderte der Wirt, ohne sich über den kleinen Angriff aufzuregen. «Noch ist es ja nicht so weit, daß die Behörden das Wetter festsetzen können. Montag bis Freitag von acht bis zwölf Regen und von vierzehn bis achtzehn Uhr Sonne, außer an gesetzlichen Feiertagen … oder so was. Der Herr Oberbürgermeister läßt Wind … hahaha …»

Er lachte über den ungewollten Witz, verschluckte sich, hustete, klopfte sich selbst an die Brust, trank einen Schluck Bier und redete, noch heiser, weiter:«… läßt über Wind und Regen im Stadtparlament diskutieren und abstimmen, und die Exekutive führt das Wetter dann aus. Nee, soweit ist es noch nicht, Leute! Das wär was! Da möchte ich mal die Parteien sehen. Die CDU vertritt die Bauernforderung nach Sonne und koaliert mit der SPD, die als vermeintliche Interessenvertretung der Arbeiter ebenfalls Sonne will, damit die werktätigen Massen wenigstens am Wochenende was vom Leben haben. Und die FDP hält Regen für wichtiger, damit die Fabrikherren nicht soviel Geld für die Abgasfilter auf ihren Schornsteinen ausgeben müssen, weil die bei Sonnenschein noch notwendiger sind. Ja – und die Grünen stehen plötzlich auf der Seite der Unternehmer und wünschen auch Regen – aber dazu Wind, den nun wieder die CDU auch gern hätte, weil ihr Vorsitzender Präsident des Segelsportbundes … und so weiter und so weiter. Na, das wär was, Leute!»

«Du bist ein echter Spinner, Hannes!» sagte der Graustaubige kichernd. «Wärst ein guter Komunalpolitiker geworden, mit deinem gebremsten Durchblick und der ungebremsten Phantasie. Machst du mir noch ’n Bier? Dann erzähl ich dir auch, was staatlich befohlener Niederschlag ist …»

Er wandte sich an die drei am runden Tisch, die dem Dialog stumm zugehört hatten, und ließ seine dritten Zähne blitzen.

«Oder wollt ihr es ihm selber sagen?»

«Mir ist nicht komisch zumute», murmelte die junge Frau.

«Wasserwerfer finde ich nicht mal im Hochsommer komisch!»

«Ach so!» rief der Wirt und schlug sich mit der flachen Hand an die Stirn. «Jetzt dämmert’s!»

«Krieg ich bitte auch ’n Bier?» fragte der Bärtige.

«Und ich einen Kaffee mit ’m Cognac?» sagte der Brillenträger.

«Ja – und ich einen starken Grog!» bestellte die junge Frau.

«Klar, sofort, geht direkt in Arbeit!» rief der Wirt eifrig und fing an, hinter seiner Theke an Hebeln und Knöpfen zu hantieren, als sei er ein Jumbopilot in der Kanzel vor dem Start.

«Ich hab euch schon aufmarschieren sehen, vorhin, als ich herging zum Dämmerschoppen», sagte der Graue zu den dreien, die während des Dialogs geschwiegen hatten. «Worum ging es denn diesmal? Ich konnte die Transparente nicht lesen, weil die noch zusammengerollt waren …»

«Es ging um das, worum es immer geht!» sagte der Bärtige.

«Machtmißbrauch!» fügte die Frau mit verkniffenem Gesicht dazu.

«Schlimme Politik», sagte der Brillenträger, «Übermut der Ämter …»

«Und konkret?» bohrte der Graue weiter. «Worum ging es konkret? Aufrüstung? NATO? Wohnungspolitik? Gleichberechtigung der Frauen? Umweltverschmutzung? Ausländergesetze? … Wofür oder wogegen habt ihr demonstriert?»

«Das ist vielleicht ’ne hübsche Art von Ausfragerei», sagte der Bärtige grinsend. «Glaubst du, wir sind Demo-Profis, was? Unter dem Motto: ‹Wir demonstrieren für Sie, Anruf genügt! Pro Person pro Stunde zehn Mark. Sprechchortexte und Transparente auf wasserfester Folie werden je nach Umfang berechnet!»

«Gute Idee!» warf der Wirt ein, der gerade die Biere, den Kaffee und Grog an die Tische brachte. «Hervorragende Idee! Firma für Organisation feiner Demonstrationen GmbH. Das muß man sich mal überlegen. Da kannst du Arbeitsplätze schaffen. Und da kriegste auch noch günstige Kredite vom Staat. Und hast kaum Unkosten. Da brauchst du keine Räume und kaum ’ne Verwaltung. Höchstens, daß die Unfallversicherung mehr verlangt. Denn du mußt deine Demonstranten ja gegen Unfallschäden versichern – schon wegen der Prügel, die von den Bullen ausgeteilt werden. Aber da kann man sicher ’ne Lösung finden. Erstens, Gefahrenzulage zahlen, zwölf statt zehn Mark die Stunde oder so, und zweitens, vielleicht auch mit der Einsatzleitung der Polizei ein Abkommen treffen, daß die nur auf die wilden, also auf die unorganisierten Demonstranten loshauen – und die bezahlten schonen. So ’n Abkommen kostet sicher ’n bißchen Schmiergeld, aber dann behalten deine Leute ihre heilen Knochen – also wird’s unterm Strich billiger, glaub ich …»

Er freute sich über seine spinnige Idee und hätte durch die Wackelei, die sein Lachen bei seinem Bauch auslöste, beinahe den Kaffee verschüttet, den er vor den Brillenträger stellte.

Der Graue und die drei anderen lachten. Sie lachten unterschiedlich. Der Graue meckerte, der Brillenträger stieß kleine Zischtöne aus, die Frau kicherte leise, der Bärtige lachte dröhnend, wobei er den Mund aufriß. Es war verblüffend, in dem pechschwarzen, dichten Gestrüpp plötzlich eine dunkelrote Öffnung mit gelbweißen Zahnreihen zu sehen, die noch dazu viel näher unter der Nase saß, als zu vermuten gewesen war.

«Es ist doch gut, daß du dich für die Gastronomie entschieden hast, Hannes!» sagte der Graue mit spöttischem Schrägblick.

«Wenn ich mir vorstelle, du wärest wirklich Beamter geworden – du mit deiner ausschweifenden Phantasie – du hättest es fertiggekriegt, aus einer Dienstvorschrift ein Kabarettprogramm zu machen.»

«Schönen Dank, daß du mich mit Blumen bewirfst», konterte der Wirt. «Aber die Töpfe könntest du vorher beiseite stellen, Uwe!»

Der Graue war noch nicht fertig:

«Oder falls du tatsächlich sogar Lehrer geworden wärest, Mann, du hättest Rektoren und Schulräte reihenweise zur Verzweiflung gebracht mit deiner Spinnerei – aber ich find sie okay!»

«Lehrer?» schaltete sich der Brillenträger ein. «Brauchen Ihrer Meinung nach Lehrer keine Phantasie?»

«Sie brauchten eigentlich schon welche …» gab der Graue zurück, «aber sie dürfen keine haben, wenn sie sich nicht an allen Ecken und Enden die Nase einrennen wollen. Oder sind Sie der Meinung, man kann mit Phantasie gegen die vielen V’s an?»

«Viele was?» fragte der Brillenträger.

«V’s», erklärte der Graue, «V ist der Anfangsbuchstabe des Behördenalphabets in unserem Land – nein, genaugenommen überhaupt des Alphabets in den Gauen deutscher Zunge. V wie Vorschrift, Verordnung, Verbot, Verbeugung, Vorgesetzter, Verdacht, Verfügung, Verfolgung, Verhör, Verketzerung – nicht zu vergessen ‹Vaterland›, und in den einschlägigen Kreisen kommt noch ‹Vatikan› hinzu. Dagegen ist kein Kraut gewachsen! Dagegen kannst du es mit dem F zwar probieren: mit Phantasie, wie gesagt, mit Freiheitsliebe, Feinfühligkeit, Festigkeit, Findigkeit, Feuer und Flamme, mit Fleiß vielleicht, mit Flexibilität, Fortschrittsglauben und so weiter und so weiter – aber dazu gehört so viel Glück und Kraft, daß es kaum einer schafft.»

«Woher wissen Sie das so genau?» fragte die Frau den Grauen.

«Weil ich in der Branche mal Staub gewischt habe», sagte der Graue.

«Wir waren an der gleichen Schule Referendare», setzte der Wirt hinzu.

«Ich werd verrückt», flüsterte die Frau.

«Und jetzt?» wollte der Brillenträger wissen.

«Nun – Hannes ist Kneipier geworden», erklärte der Graue, «und ich … ich jobbe so rum. Augenblicklich mach ich Lagerverwaltung in einem Chemiebetrieb, Kunstdünger und so umweltfreundliche Sachen …»

«Und da gibt’s keine Vorschriften und Verfügungen, vor denen man kapitulieren muß?» fragte der Brillenträger.

«Ich hab ja nicht kapituliert wie Hannes», sagte der Graue.

«Ich bin katapultiert worden – eben, weil ich gegen den ersten Buchstaben des deutschen Alphabets aufgemüpft habe, weil ich zuviel gefragt habe und weil ich Mitglied einer Partei gewesen bin, die zwar nicht verboten, aber unerwünscht ist.»

«Du bist also rausgeflogen?» fragte der Bärtige, wechselte unbewußt vom ‹Sie› ins ‹Du› und betrachtete den Grauen am Nebentisch mit wachsendem Interesse.

«Nein, nicht rausgeflogen – ich bin nicht angestellt worden», erwiderte der Graue, «aber das kommt ja aufs selbe raus!»

«Und nun?» Der Brillenträger wiederholte hartnäckig seine Frage: «Nun? Müpfst du jetzt nicht mehr gegen das große V – oder läuft das in so einer Lagerverwaltung ohne?»

«Es ist ein Unterschied, ob ich Vorschriften über die Aufbewahrung von Pflanzenschutzmitteln befolgen muß … Vorschriften, die meistens sogar einsehbar sind – oder ob ich ‹Richtlinien› zum Geschichtsunterricht der Sekundarstufe I befolgen muß, Richtlinien, die nicht nur dumm, sondern auch noch gefährlich sind, nicht wahr?» sagte der Graue. «Bei Chemikalien kann ich nichts verderben, wenn ich die Vorschriften beachte. Da kann ich keinen Schaden anrichten. Aber bei Schülern kann ich Schaden anrichten, wenn ich ihnen was Falsches beibringe – z.B. das, was in den Geschichtsbüchern so über das Dritte Reich steht oder richtiger: wenn ich ihnen erzähle, was nicht in den Geschichtsbüchern steht, etwa irgendwas über die Rolle der Großindustrie oder die Rolle der Kirchen vor und während der Hitlerei … na ja.»

Er verstummte, hob die Schultern und schob die Unterlippe vor, was seinem Gesicht einen merkwürdigen Ausdruck verlieh, eine Mischung aus Trotz, Resignation und Gleichgültigkeit.

Doch dann lachte er plötzlich, rief: «Scheiß drauf!» und fragte:

«Wogegen habt ihr denn nun demonstriert?»

Ehe die drei antworten konnten, wurde die Tür zur Straße aufgerissen, und ein Trupp junger Leute drängte sich lachend und lärmend in die Gaststube.

2

Es waren drei Jungen und zwei Mädchen, etwa sechzehn oder siebzehn Jahre alt. Ein kleinerer dicklicher Junge mit einer zu kleinen Baskenmütze auf dem Hinterkopf, die wie eine dunkelblaue Tonsur aussah, fragte den Wirt:

«Können wir für ’ne Stunde oder zwei ins Klubzimmer, Hannes?»

«Könnt ihr», erwiderte der Wirt und machte mit dem Kopf eine Bewegung zu der Schiebetür, die sich neben dem Musikautomaten befand.

«Alle Cola?» fragte er.

«Ich lieber ’n Tee», sagte eins der Mädchen.

«Aus politischen Gründen oder wegen der Gesundheit?» fragte der dickliche Junge lächelnd. «Sie hat nämlich was gegen die Amis», fügte er erklärend hinzu und blinzelte den Wirt an.

«Und außerdem hat sie’s mit der Linie.»

«Affe!» sagte das Mädchen.

Die anderen lachten.

Der Wirt übergoß einen Teebeutel im Glas mit heißen Wasser, dann öffnete er vier Cola-Flaschen, die er aus dem Kühlschrank gegriffen hatte, stellte sie mit übergestülpten Gläsern auf ein Tablett und reichte das Ganze über den Tresen. Der größte Junge, ein blonder mit kurzer Stoppelfrisur, griff danach und trug es durch die inzwischen geöffnete Schiebetür ins Nebenzimmer, aus dem ein Schwall kühler Luft kam, die nach Moder und schalem Bier roch.

Die Gläser auf den Flaschenhälsen klingelten.

Während sie sich durch die aufgeschobene Tür drängelten, sahen sich zwei von ihnen nach dem Tisch um, an dem die Frau, der Bärtige und der Brillenträger saßen. Ihre Blicke waren auf die Frau gerichtet und drückten Neugier aus oder Zweifel oder Wiedererkennen, gemischt mit der Unsicherheit, ob das wirklich dieselbe Person sei, die … dann waren sie im Nebenzimmer, schoben die Tür zu und rückten polternd Stühle und Tische zusammen.