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Bis daß der Tag euch scheidet: Eine Antwort auf Das letzte Band von Beckett? Eher ein Echo. Ein Echo jetzt fern, im Raum und auch in der Zeit, jetzt ganz nah an Herrn Krapp, dem einsamen Helden des Stücks von Samuel B. Ein Echo jetzt schwach und widersprüchlich, verzerrt, jetzt stark, verstärkt, vergrößert. Deshalb wage ich es, diesen Echo-Monolog ein Drama zu nennen, ein sehr kleines Drama – so wie Das letzte Band ein Drama ist, ein großes.
Kann es sein, daß nach Beckett nur noch unsere sekundären Stücke gekommen sind, wie zum Beispiel, als Beispiel, eben Bis daß der Tag euch scheidet? Keine Reduktion mehr möglich, kein Null-Raum mehr möglich – nur noch Spuren der Verirrten – hier der 1 Verirrten? Aber man mußte sich, wir mußten uns vielleicht verirren, im Interesse der Szene, im Interesse des Theaters? ›Echo‹, wenn ich mich recht erinnere, bezeichnet in der griechischen Mythologie auch eine Person, eine kleine Göttin oder eine Nymphe – auf jeden Fall aber eine Frau, die Stimme einer Frau.«
Aus dem Nachwort von Peter Handke
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Seitenzahl: 25
Peter Handke
Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts
Ein Monolog
Suhrkamp Verlag
Für S.
Was sehe ich da? Sieht das dort nicht aus wie ein Grabmal für die römischen Ehepaare einstmals, Mann und Frau nebeneinander wie aus dem Stein gehauen ‒ nur sind das nicht bloß die beiden Köpfe, sondern ganze Figuren, ein Paar zudem wie in Lebensgröße, und losgelöst von dem gemeinsamen Stein, oder was das ist ‒ keine Reliefs, sondern vollständige Skulpturen oder Figuren, eine jede aufrecht in ihrer Nische eng beieinander, wenn auch ganz und gar nicht monumental. Gewand und Gesichter zeigen das gleiche Grauweiß wie das sie umgebende Steinhäuschen, oder was es ist. Grauweiß auch die Augen, hier wie dort geschloßen. Beide Statuen oder Gestalten stehen in derselben Haltung, die Köpfe gleichermaßen geradeaus gerichtet. Und doch springt uns bei längerem Hinsehen ein Unterschied zwischen den zweien da dort an, über den üblichen zwischen Mann und Frau hinaus. Der Mann, obwohl ebenso aufrecht wie neben ihm die Frau, wirkt, mit nicht nur eingefallenen und geschrumpelten Wangen, sondern auch ebensolchem Mund, und dazu den stark konkaven Schläfen, tot und hinüber, wie man nur hinüber aussehen kann. Daran ändert auch nichts, daß jemand, vielleicht ein angeheiterter Passant, ihm die Lippen tiefrot überschminkt, ihm eine rote Pappnase angesteckt und Bruchstücke wie von einem Tonband um die Stirn gewickelt hat. Die Frauenstatue an seiner Seite, trotz ihrer Kalkfarbe, erscheint uns, wie sagte man einmal? als das blühende Leben. Das rührt zuerst von ihren, wie eben nur im Leben, zu einem hintersinnigen Lächeln geschürzten Lippen, und überdies von der leuchtenden Glätte des ganzen Gesichts, welche statt an den Tod an einen da auf seinen Höhepunkt sich zubewegenden und sich jetzt und jetzt erfüllenden Traum denken lassen, und zuletzt auch von dem halbnackten Busen, dem, wie sagte man einmal, schwellenden, den wir in einer Art Halluzination meinen, sich auf und ab bewegen zu sehen. Kein stärkerer Gegensatz denkbar zwischen dieser Frau und diesem Mann: der zwischen ganz Leben und ganz tot. Und so schlägt diese Frau da dann auch in der Tat die Augen auf, oder ist das weiterhin eine Halluzination?, und zeigt sich lebendig, allein, indem sie schaut, und nun auch spricht, nicht wie aus einer Gruft, vielmehr leichthin und nachgerade bukolisch. Und auch wenn sie sich nicht an den Mann zu ihrer Seite wendet und nicht einmal zu ihm hinäugt, scheint es klar, zu wem sie da redet: