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Seit Jahren ist Tilla Anderson glücklich mit ihrem Tom, aber in letzter Zeit hat er kaum noch ein Ohr für die Familie. Sie weiß, eine Sehnsucht nach irgendetwas war immer da; nach noch mehr Liebe, mehr Anerkennung, mehr Anbetung. Waren ihre Erwartungen an die Ehe vielleicht zu hoch? Aber dann sieht sie Tom mit einer jungen hübschen Frau, und ihr Leben gerät total aus den Fugen. In ihrem emotionalen Tief hört sie einen Song von Bryan Adams »Please Forgive Me…«. Total fasziniert flüchtet sie sich in diese Welt übergroßer Liebe, ohne zu vergessen, gerade darum den dringenden Wunsch zu spüren, ihren Verlust rächen zu wollen.
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Seitenzahl: 233
Veröffentlichungsjahr: 2023
Maxi Hill
Bitte vergib mir
Please Forgive Me
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Inhaltsverzeichnis
Titel
SO KLAR WIE KLARA
PLEASE FORGIVE ME
DU ENTFACHST IMMER NOCH DAS FEUER?
ELLEN
DU SOLLST DICH NICHT EINSAM FÜHLEN
JEDES WORT DAS ICH SAGE IST WAHR
KINDERSORGEN
ICH ERINNERE MICH AN ALLES
AUCH WENN DU DICH EINSAM FÜHLST
KLARA UND KEIN ENDE
DAS BAD IN DER MENGE
DER EINGRIFF IN DIE SCHÖPFUNG
DIE VERMUTUNG
VERDÄCHTIG
AM ALLES ENTSCHEIDENDEN TAG
IM UNGEWISSEN
DAS EINZIGE, DESSEN ICH MIR SICHER BIN
PLEASE FORGIV ME ONCE AGAIN
Impressum neobooks
Auf alles im Leben gibt es zwei Antworten. Eine, die man mit übervollem Herzen gibt, und eine, von der man nach reiflicher Überlegung glaubt, dass sie die Richtige ist.
Ich, Tilla Anderson, habe vor einigen Monaten nach einer plausiblen Antwort auf den größten Schock gesucht, den mir das Leben mit meinem Mann Tom je beschert hat.
Das erste emotionale Tief in meinem Eheleben hatte sich seit Wochen angebahnt und ich wusste nicht, wie ich damit umzugehen hatte. Freilich hatte ich die sprichwörtlichen zwei Antworten, denn mein Herz war noch immer übervoll mit meiner Liebe zu Tom, bei der anderen wollte ich auch nach reiflicher Überlegung gar nicht davon ausgehen, sie könnte falsch sein.
Heute bin ich sicher, ich hätte anders agiert, hätte mir mein übervolles, noch immer liebessüchtige Herz nicht einen Schlupfwinkel zurück in meine Wünsche und Sehnsüchte gezeigt. Aber davon später.
Erst einmal muss ich erwähnen, dass ich seit Wochen eine Veränderung bei meinem Mann Tom festgestellt hatte, die Tom stets wortkarg mit Stress in der Firma begründete und von der er glaubhaft versicherte, sie sei bald überwunden. Weil er auch das Datum bereits wusste, hatte ich keinen Grund, ihm nicht zu glauben. Dass er kaum noch Zeit für mich hatte, musste ich weise schlucken, immerhin widmete er die wenigen freien Stunden gebührend unseren beiden Kindern Ira und Maik.
Dennoch lebte ich im ständigen Lauern, fand aber keinen gescheiten Weg, mit Tom über meine innere Einsamkeit zu reden, ohne zu spüren, dass alles nur albern wirken würde. Aber dann hatte ich eine vernichtende Entdeckung gemacht.
Es war regnerisch an meinem langersehnten freien Tag gewesen. Ich hatte den Schirm genommen und über meinen neuen Kurzmantel vorsichtshalber noch eine durchsichtige Regenhaut gezogen. Mit keiner Silbe hätte ich daran gedacht, dass dieser Aufzug eine Tarnung sein könnte, erstrecht nicht müsste. Wäre ich doch nur zuhause geblieben! Stattdessen erlangte ich an diesem Tage eine Gewissheit, die zerstörerisch werden sollte.
Auch wenn meine Mutter immer sagte, es gebe Zeiten im Leben, da müsse man die Zähne zusammenbeißen, um das lohnenden Ziel nicht zu gefährden, war gerade jetzt die Zeit gekommen, mich zu fragen: Was ist dein lohnendes Ziel?
Das erste, gar nicht gesteckte Ziel, hatte sich erfüllt. Ich hatte einen liebenden Mann gefunden und bald auch zwei in Liebe gezeugte Kinder bekommen. Aber was hatte es mir gebracht? Die jungen Jahre unserer Ehe saß ich zuhause mit meinen Kindern und hatte keine Arbeit mehr. Ohne Arbeit keine Anerkennung. Nicht sofort, aber bald fühlte ich mich vom Leben übergangen, unbrauchbar geworden für das, was ich neben dem Ziel einer glücklichen Ehe als erfüllend ansah.
Tom begehrte mich noch immer, aber ich wusste längst nicht mehr, ob es nur seine fleischliche Lust, oder ob es noch immer die tiefe, innere Liebe war.
Bei einem kleinen Umtrunk von seiner Firma saß Toms Kollege Fritz neben mir. Es war ziemlich eng, aber dafür konnte Fritz natürlich nicht. Die Bar war zu klein. Irgendwann spürte ich seinen Arm um meine Hüfte geschlungen und sein Gesicht an meinem. »Ihr seid ein tolles Paar, du und Tom«, sagte er. Weil ich nichts erwiderte, flüsterte er fast erregt keuchend: »Unsere Chefsekretärin Klara hat einmal gesagt: Wer Tom Anderson bekommen hat, der muss schon eine außergewöhnliche Frau sein.« Fritz bohrte seine Finger in das Fleisch meiner Taille und schob ungeniert lüstern nach: »Sie hat so verdammt Recht.«
Die Worte von Fritz und seine teilweise unverschuldete Aufdringlichkeit waren alles, was ich an diesem Abend verwerflich fand, aber was mich nur für wenige Minuten beschäftigt hatte. Dabei gab es einen ganz anderen Umstand, den ich so gutgläubig, wie ich stets war, völlig ignoriert hatte und der mich erst an diesem regnerischen Tag zu beschäftigen begann.
Früher, als wir noch ledig, die Kinder noch ungeboren waren aber ich schon in der Stadt arbeitete, hatten wir uns bisweilen mittags getroffen. Es gibt dieses kleine Restaurant, «Süße Ecke», wo wir damals flink einen Happen aßen, aber eben bei weitem nicht nur. Bevor wir unsere erste kleine Wohnung bezogen, konnte ich davon ausgehen, dass Tom mich bisweilen nach dem Essen in ein kleines Nebengelass führte. Daniel, der Betreiber des Restaurants, ist ein Freund von Tom. Er sah unsere Verliebtheit mit einem verstehenden und einem sorgenvollen Auge. Damals hatten wir uns noch bei jeder Begegnung anein-ander gerieben, wie unverhofft. Unsere mittäglichen Treffen in der «Süßen Ecke» blieben auch nachdem wir die gemeinsame kleine Wohnung bekommen hatten unsere gute Gewohnheit, nur das Nebengelass hatte fortan keine Bedeutung mehr für unsere Liebe. Als Maik geboren war und ich glücklich die Mutterrolle spielte - von Vaterzeit war damals noch nicht die Rede – vernachlässigten wir diese Treffen völlig. Seit ich selbst wieder arbeite, weil die Kinder schon die meisten ihrer Wege alleine gehen, sehe ich Tom den ganzen Tag nicht.
Weil wir in Daniels Augen wegen unserer prächtig heranwachsenden Kinder noch immer als sehr harmonische Ehe gelten, hatte er mir von zwei Jahren gebeichtet, dass er froh sei, früher nicht versucht zu haben, mich vor Kummer zu bewahren. Mehr sagte er nicht.
Männer…! Daniel wusste etwas! Ganz klar wusste er damals schon, dass Tom…! Herrgott, irgendetwas war oder ist mit Tom anders als gedacht…!
Ohne zu ahnen, was mir an diesem Tag noch passierten sollte, dachte ich bei mir: Wartet ab, ihr zwei Verschwörer, ihr ahnt ja nicht, wie viel Verstand eine Frau braucht, um sich so dumm zu stellen, dass ihr unserer List nicht auf die Schliche kommt. Dass ich weder List noch Tücke gebrauchen musste, konnte ich schließlich in diesem Moment noch nicht ahnen. Wer also hatte an diesem Tage seine Hand im Spiel?
Trotz meiner ständig um Tom kreisenden Zweifel und trotz des feinen Nieselregens, der die Welt grau und ungemütlich aussehen ließ, war ich guter Dinge. Meine Gedanken rotierten an diesem Vormittag allerdings auch merkwürdig durch die alten Zeiten. Mein Hirn arbeitete demnach unabhängig von den unklaren Gefühlen.
Unter meinem leichten, aber wärmenden Mantel und der hauchdünnen Pelerine konnte mir das Wetter nicht wirklich etwas anhaben. Nur meine Frisur litt unter dem stiebenden Nass, dem der beste Schirm keine ernstzunehmende Barriere bot.
Hatte Daniel erwogen, mich vor einer Dummheit zu warnen, weil er Tom besser kannte als ich? Damals hatte ich mitleidig über Daniels Bekenntnis gelächelt und leider noch viel zu lange danach.
Viel zu lange. Denn erst seit diesem Tage sah ich endlich klar. KlarA.
Während ich durch die Straßen lief und der stärker werdende Regen meine Frisur langsam zunichtemachte, spürte ich auf einmal, dass meine Stimmung sich immer mehr verflüchtigte, solange ich an früher dachte und an die einstige Sorge von Daniel. Was wusste er von Tom, was ich nicht wusste? Diese Frage hatte ich mir noch nie so zwingend gestellt. Erst in letzter Zeit, seit Tom so wenig Zeit für uns hatte, wurde sie logisch. Beängstigend logisch.
Irgendetwas wie Schwermut umfing mich und ich fand es mit einem Mal kränkend, dass ich in letzter Zeit zu oft allein durch die Stadt lief. An diesem Tage wollte ich nach einem Geschenk für unsere Tochter Ira suchen. Ich hatte mir schon immer gewünscht, Tom würde sich an diesen Dingen unseres Lebens beteiligen, aber daran war nie zu denken. Tom hasste es, durch die Läden zu streifen und keine Vorstellung zu haben, was er eigentlich suchte. Der IT-Spezialist Tom Anderson hatte das Netz als großen Tummelplatz, und darin fand er sich besser zurecht als irgendwo sonst.
Ich stand auf der einen Straßenseite, hatte nur noch die kleine Ampel zu überqueren, die eigens für die Fußgänger eingerichtet worden war. Ich überlegte gerade, ob ich zurück nachhause gehen sollte, aber ich fand keine Erklärung dafür, warum ich bei einem Einkaufsbummel eben so perfekt aussehen sollte wie im Job.
Es war wieder einmal, wie ich es nie jemandem plausibel machen konnte. Wenn ich mich selbst okay fand, konnte ich die Menschen um mich herum in jeder Lebenslage ertragen. Fand ich mich weniger attraktiv, war ich nicht nur stumm wie ein Fisch, mein Körper schien einzuknicken und meine Wortwahl würde nichts als bleiern und ungeschickt ausfallen.
Gegenüber am gläsernen Büroturm öffnete sich die Eingangstür und ein großer heller Schirm schob sich heraus. Dahinter – galant wie immer – trat Tom auf die Straße. Er reichte einer Frau seinen Arm. Eng aneinander gepresst schritten sie die flachen Marmorstufen des Plateaus herunter, lachend und in der alten Gelassenheit, die ich so sehr an ihm schätze.
Es war die Frau, die Toms Kollege Fritz damals beim Namen genannt hatte, Klara. Sie schwenkte ihren festen Hintern, der in hautengen Jeans steckte, und hakte sich noch effektvoller bei Tom unter, sodass es mir die Sprache verschlug. Und leider nicht nur die Sprache. Der Anblick der Beiden so eng beieinander verklemmte meine Brust und öffnete zugleich die Schotten für einen Wutausbruch, den ich nur mühsam unterdrücken konnte.
Tom umgab eine Ausstrahlung, als könne er vor Glück nur noch jauchzen, während ich auf der anderen Seite meinen Schirm tiefer vors Gesicht zog, um ja nicht erkannt zu werden. Warum? Ich hatte einen neuen Mantel an, darin würde mich Tom niemals erkennen, auch ohne Pelerine und Schirm nicht. Tom bemerkte in letzter Zeit nie mehr etwas an mir. Kein neues Kleidungsstück, keine neue Frisur, nur abfallende Mundwinkel wollte er an mir erkennen, wenn ich ihn mal nicht anstrahlte. Es half nie, ihm Paroli zu bieten und zu erklären, warum ich ihm nicht mehr so oft wie früher lachend entgegenrannte, wenn er auftauchte.
Längst keimte etwas wie ein kleiner Racheplan in mir. Ich bin seine Frau, nicht diese da! Andererseits: Ihn in flagranti zu erwischen, das wäre die einzige Chance, ihn zu Kreuze kriechen zu lassen und wieder zur Vernunft zu bringen.
Diese Klara trug eine leichte Nano-Jacke zu ihren hautengen Jeans. Alles war elegant und schien aus bestem Material. So etwas sah ich sofort.
Die beiden liefen geradewegs zum Restaurant von Daniel, zu unserem Restaurant, und sie lachten sich an, herzlich, wie ich fand, so, wie Tom seit Monaten nicht mehr mit mir gelacht hat.
Die beiden hatten den Eingang erreicht und Tom hielt für Klara den Schirm solange, bis sie unter dem schützenden Vordach stand und wartete. Er schüttelte den Regen ab uns faltete den Schirm ordentlich zusammen. Erst dann legte er seinen Arm wieder um diese Hexe und führte sie durch die Drehtür. Dabei sah ich, wie seine Hand ziemlich oben am Hals der Frau die Haut berührte. Ich wusste nur zu gut, wie sich das anfühlte. Diese kleinen Berührungen waren mir immer die liebsten Intros für die große Komposition unserer Liebe.
Ich konnte durch die Scheiben nur schlecht erkennen, ob sie sich auch mit den Augen anhimmelten, oder was auch immer miteinander tauschten. Aber ich sah es genau. Sie gingen an der Garderobe vorbei, legten ihre Jacken auf den freien Stühlen jenes Tisches ab, der einst unser gemeinsamer Tisch war. Die anderen Stühle standen von der Zwischenwand verdeckt. Von da aus konnte man schon immer unbemerkt in die Nebenkammer verschwinden.
Ich ertappte mich dabei, nach Luft zu ringen und bemerkte, dass ich die ganze Zeit über den Atem angehalten hatte. Zwar wirkten die beiden nicht unbedingt wie ein Liebespaar, dafür hatte Tom zu gute Manieren an den Tag gelegt, bessere als gewöhnlich, aber irgendwie wusste ich in meinem tiefen Inneren, dass da etwas lief, was ich nicht durchschaute.
Ich fand mich, so wie ich da im Regen stand, nur peinlich, und dieses Gefühl wich nicht mehr, es verstärkte sich noch, als ich nach kurzer Zeit den leeren Tisch entdeckte.
Hatte ich die beiden nicht herauskommen sehen? Sind sie noch da drinnen? In der Nebenkammer? Mir wurde ganz übel bei einer Vorstellung, die jetzt Bilder in mir erzeugte, die ich niemals zu sehen gewünscht hatte.
Nach wenigen Minuten war ich froh, nicht zum Institut zu müssen, sondern endlich die Tür meiner Wohnung wieder hinter mir zusperren zu können.
Tausendmal habe ich vor mir her gebetet: Er geht nicht mit dieser Klara in die Kammer. Er gibt sich diese Blöße vor dieser Frau nicht. Niemals in dieser Kammer…
Aber genau dieser rettende Gedanke trieb mir umso mehr die Zornestränen in die Augen: War diese Kammer nur für mich gut genug gewesen?
Es sollte mir einfach egal sein. Aber es war mir nicht egal. Nichts war mir egal, was mit Tom zusammenhing. Dafür hatte ich auf zu viel verzichtet, um Tom jahrelang genügend Raum zu lassen. Ich habe immer verzichtet, und ich nannte es viel zu lange Toleranz. Diese Einseitigkeit rächte sich jetzt.
Unsere Liebe war bisher nie auf eine Probe gestellt worden, und was Tom betraf, war in seinem Leben alles völlig problemlos gelaufen. Ich war immer für ihn da, zwar nicht immer himmelhoch jauchzend, aber auch nicht zu Tode betrübt. Woher sollte er meine Wünsche kennen?
Wie sehr ich mich in ihm getäuscht hatte, das wurde mir in diesem Moment zum ersten Mal bewusst. Fast dröhnten jene Worte in meinen Ohren, die Fritz über Klaravon sich gegeben hatte – Worte über Tom, Worte, die den Anschein von Verehrung hatten, aber die auch weibliche Eroberungs-Strategie sein konnten. Verehrung bedeutet nicht selten Begehren.
»Wer Tom Anderson bekommen hat, muss schon eine außergewöhnliche Frau sein.«
Ehrgeiziger konnte das Vorhaben dieser Frau nicht ausfallen, als sich meinen Tom zu angeln.
In mir brodelte ein Vulkan. Zum ersten Mal konnte ich verstehen, warum Rivalinnen bisweilen zum Äußersten gingen. Auch mir war zumute, als müsste ich der Frau an die Gurgel gehen. Da half keine Vernunft, die stets den anderen anhören sollte. Wenngleich ich auch auf Tom wahnsinnig wütend war.
Ich stand nur da, kraftlos und völlig leer im Kopf und wusste nicht, was ich beginnen sollte. In dem Moment wäre mir ohnehin nichts geglückt. Ich ballte meine Fäuste und schlug mit einiger Kraft gegen die Türpfosten. Gerade konnte ich mich noch bremsen, nicht auch noch mit den Füßen irgendwohin zu treten. Die Wände meiner Wohnung drehten sich um mich und ich hatte das Bedürfnis zu schreien, so laut ich konnte und so obszön, wie ich es noch nie konnte. Ich wünschte mir auf der Stelle etwas, was Gläubige die strafende Hand Gottes nennen würden, und ich bedauerte, diesen Glauben nicht wirklich aufbringen zu können, allenfalls den schändlichen Wunsch.
Bis die Kinder kommen würden, war noch Zeit. Kaffee würde jetzt kontraproduktiv sein, also ging ich völlig gegen meine Natur zur Bar und füllte ein halbes Whisky-Glas voll Dujardin, den nicht einmal Tom anrührte, der nur in der Bar stand, falls einmal Kognak-Trinker zu Besuch kommen sollten.
Langsam beruhigte sich das Zittern meiner Hände. Je ruhiger ich wurde, desto unverständlicher wurde ich mir selbst. Klar könnte ich wegen meines eigenen Verhaltens auf mich selbst böse sein. Aber was hätte ich denn tun sollen? Der einzige Grund war schließlich ein anderer.
Wie ich so dasaß und keinen klaren Gedanken fassen konnte, fürchtete ich mich vor dem, was jetzt kommen konnte. Den Anfang aller Veränderung könnte ich gerade selbst vollzogen haben. Ich empfand zum ersten Mal in meinem Leben den Alkohol so mir-nichts-dir nichts als außerordentlich hilfreich an!
Wenn mich meine Kinder so gesehen hätten… Sie wären bestimmt nicht amüsiert gewesen, und in ihrem Alter an mitfühlend zu denken, dürfte erst recht unmöglich sein.
Schließlich ging auch mein Atem wieder fast normal. In der Ruhe meiner Wohnung folgten wichtige Minuten, wo ich versuchte, klarer zu denken und Tom einmal logisch zu analysieren. Es brachte nichts. Ich litt eher noch mehr, denn mit jeder Entschuldigung, mit jedem Argument, wurde mir bewusst, dass er in diesem Moment mit einer anderen Frau zusammen war.
Tom war immer gut drauf, immer fröhlich und irgendwie auch unkompliziert, unkomplizierter als ich es zuweilen war. Dennoch brachte ich es seit Jahren fertig, an seiner Seite sträflich tolerant in den Tag hinein zu leben. Es hätte mir viel früher klar sein müssen, dass das nicht endlos so weitergeht. Klar. KlarA!
Ich liebte Tom noch immer, auch wenn ich ihn in diesem ungewissen Moment abgrundtief hasste.
Warum bin ich nicht hineingegangen in das Restaurant. Ich allein hätte das Recht auf die Wahrheit gehabt. Daniel hätte mich bestimmt nicht daran gehindert.
Dass ich mich mit dieser Art Wut im Bauch nicht beruhigen würde, war klar … Klara!
Mit zitternden Händen fischte ich nach dem Handy und den Ohrstöpseln und schaltete das Leben um mich herum völlig aus, und da passierte es…
Ich hörte einen Song von Bryan Adams. Ich wusste nicht gleich warum, aber von der ersten Sekunde an packte mich etwas und ließ mich nicht mehr los.
Please forgive me …
Ich kannte den Sänger nicht – oder sagen wir – ich hatte ihm bisher nie das Augenmerk geschenkt, das er verdient hätte. Wobei Ohrenmerk natürlich richtiger wäre. Schuld daran waren diese Rundfunk-Sender, die vor allem in den Morgenstunden, wenn ich bevorzugt Radio hörte, ihre Lieder abspulten und sich nicht die Mühe machten, einen Interpreten zu nennen, vom Komponisten ganz zu schweigen. Ob sie glaubten, diese Dinge interessierten ihre Hörer nicht? Mich Durchschnittsmensch interessierten sie. Von jeher war ich süchtig nach den Hintergründen allen Geschehens, die einem nicht sofort entgegen polterten. Unklar war mir allerdings, ob es wirklich keinen Menschen mehr interessierte, wessen Leistung er oder sie gerade konsumierte?
Vermutlich hatte Ellen, meine langjährige Kollegin, gar nicht Unrecht wenn sie sagte, ich sei in Sachen Korrektheit ein Nerd. Nerd pflegt man heute zu sagen, obwohl das Wort so alt sein könnte wieMethusalem. Schon Archimedes galt als Nerd, was nicht heißt, er nannte sich so. Noch weniger heißt es, ich würde mich mit diesem Genie vergleichen wollen, dem in der Antike epochemachende Entdeckungen und Erfindungen gelangen. Zudem lagen die Dinge bei mir in ganz anderen menschlichen Schubladen. Meine direkte Arbeit im Umweltinstitut erforderte einerseits höchste Akribie, andererseits zwang sie mich, gründlich hinter die Dinge zu schauen, die von meinem Team ermittelt wurden. Während es in anderen Bereichen des Instituts darum geht, mittels moderner Labortechnik die Krankheiten einzelner Menschen korrekt zu erkennen und nachzuweisen, hat mein Bereich die Aufgabe, Menschen zu schützen, wenn an deren Aufenthaltsorten Umwelt-Gifte oder andere Schadstoffe im Spiel sind.
Ich weiß nicht, was in meinem Falle Henne und was Ei war: Hatte meine Mission in diesem Institut mich dazu gebracht, immer genau hinzuschauen? Ich denke eher, mein tiefes Interesse an den Dingen des Lebens war schon immer da, und das hatte gute Gründe. Mir ist der Blick hinter die Kulissen, hinter das Wesen einer Sache, immer wichtiger als die Oberfläche, die bunt bemalte Kulisse. Freilich wirkt so manch mahnendes Statement auch wie ein Unkenruf, was meinen Mann Tom einst dazu veranlasst hatte zu sagen: Wer zu tief in den Abgrund schaut, läuft Gefahr, der Abgrund zieht ihn an.
Rückblickend lässt sich heute sagen: Vermutlich hatte ich tatsächlich zu tief in den Abgrund geschaut, und dieser Abgrund hatte mich runtergezogen. Von einer Selbstschuld allerdings fühlte ich mich weit entfernt.
In meinem emotionalen Tief war ich also auf jenen Song gestoßen, der so vieles auf einmal für mich war: Heilsamer Trost wie später auch schmerzliche Erleuchtung.
Im Moment aber ließ er das eben Erlebte in eben dieser Weise verblassen, als würde auch ich jetzt auf Abwegen gehen.
Wie sich herausstellte, hatte der Song schon geschlagene zehn Jahre auf dem Buckel. Ganz sicher hatte ich diese Stimme schon lange gemocht, aber aus nachvollziehbaren Gründen war ich den Dingen hinter dem Song mal nicht auf den Grund gegangen. Damit reihte ich mich ein in die Schar derer, denen die Medien die Chance bieten, blind zu konsumieren, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, wer sich da die Kehle aus dem Hals singt. Wer sich den Kopf zerbrochen hat, um etwas Glaubwürdiges, Mitreißendes oder Anrührendes zu Papier zu bringen, sei es in Worten oder Noten. Leider geht es auch Buchautoren so und noch mehr denen, die haptische Kunstwerke für die Ewigkeit schaffen. Architekten. Konstrukteure. An deren Werken steht nicht einmal der Name des Schöpfers.
Was gegen eine Kirche oder eine Brücke ist ein Song oder ein Buch? Und doch braucht es etwas Glück, wenn man eines von beiden entdeckt, das einen sofort fesselt.
Meine Entdeckung dieses Songs hatte mit meiner Seele zu tun, die angeschlagen war, weil mein Mann Tom eine unerträgliche Veränderung genommen hatte, die ich mir nicht erklären konnte, bis ich diesen einen Grund sah, mir eine zutreffende Antwort auf mein Leben geben zu müssen. Dieser Grund war es, der mich letztlich in den emotionalen Abgrund gerissen hatte, in den ich selbst nie zu schauen gewagt hätte.
Nun kannte ich diesen einen Song. Er war mir zwar kein Trost mehr, aber er war ein Anker für gewisse Stunden und er begann immer stärker auf mein Leben zu wirken, intensiv und nicht folgenlos.
Immer öfter in meinem inzwischen merkwürdigen Eheleben hatte ich nun diese Wahnsinnsstimme im Ohr. Und Wahnsinn im wahren Sinne des Wortes sollte nicht nur beginnen, er sollte noch wachsen.
Ich kannte nun den Namen des Sängers und ich kannte die Stimme, eine, wie mich seit Harry Belafonte keine mehr berührt hatte. Von den ersten Tönen an wirkte der Song unheimlich erregend auf mich, aber ich vermutete bei einer Rockballade andere Worte als diese, die einem gefühlvollen Menschen unter die Haut gehen.
Bryan Adams – das Video zeigte ihn in einer jüngeren Version Mann – stand am Mikrofon, sein Kopf in Kopfhörer gezwängt, die seine wundervoll sitzende Frisur fast verbarg. Er hatte kein Publikum, sang seinen Song nur ein für Millionen von Menschen dieser Welt. Es war nur ein Studio, aber von der Größe eines Hangars.
Mit seiner heiser-gefühlvollen, Gänsehaut erzeugenden Stimme, sang er:
It still feels like our first night together
Feels like the first kiss
It’s getting better, baby
No one can better this…
Schon das Intro raubte mir jedes Mal die Ruhe, mit der ich üblicherweise Musik verfolgte. Ich lauschte gebannt und versuchte zugleich den englischen Text zu verstehen. Dazwischen spürte ich genau, dieser Mann war keiner, der Kitsch als Kunst verkaufte. Seine Worte und Töne waren nicht der gewohnte Rock, bestenfalls Kuschelrock, und doch viel, viel mehr. Nach gefühlten fünf Quadratmetern Gänsehaut auf meinem Körper verfolgte ich, wie er, eine Hand am Kopfhörer die andere in die Höhe streckend, zum Fortissimo ansetzte. Nach einem atemberaubenden Sound und kraftvollem Rock war sie wieder da, diese Wahnsinnsstimme, die zum Gänsehaut- Höhepunkt dieses Songs führte.
Please forgive me, I know not what I do
Please forgive me, I can’t stop loving you.
Nun bin ich in Germany-East geboren und musste mir das Englische mehr schlecht als recht selbst aneignen. Das war auch für meinen Job eminent wichtig geworden. Bevor ich vor sieben Jahren meinen heutigen Job antrat, hatten die wenigen Vokabeln gereicht, die uns der Alltag mittels überbordender Anglizismen kostenlos ins Ohr sprudelte. Inzwischen verstand ich auch die Umgangssprache etwas besser und konnte nicht nur den phantastischen Tönen sondern auch Bryan Adams Worten einigermaßen folgen.
Trotz meines Alters, das der Jugend längst entsprungen war, schämte ich mich meiner Gefühle nicht. Welche Frau, welches Mädchen dieser Welt, würde einen Mann, der für seine Liebste diese Worte findet, nicht anhimmeln? Heimlich, versteht sich, denn angetraute Ehemänner oder Lover mit Anspruchsrecht, oder auch beide in spe, macht es fuchsteufelswild, wenn seine Angebetete einen Anderen neben ihm anhimmelt, auch wenn es nur platonisch ist, weil körperlich unerreichbar. Am Unverständnis der Männer für weibliche Schwärmerei sind schon viele glückliche Beziehungen zerbrochen oder haben zumindest einen Knacks davongetragen, der noch nach Jahren durch jede Fassade schimmert, die sie mühevoll wieder aufgebaut hat, trotz unsäglicher Opfer, trotz großartiger Kinder, die sie ihm schenkte, und trotz ihres Wissens, dass auch er seine Vorlieben hat, die er unverfroren anhimmelt. In diesem Falle sagen Männer nur lapidar: Das hat doch nichts zu bedeuten. Oder: Das hat doch nichts mit dir zu tun. Warum zum Henker denken Männer, bei uns Frauen ist das anders? Nicht einmal in meinen sehr jungen Jahren hatte ich ein Idol, dem ich kreischend mein Herz zu Füßen legte. Niemals im Leben passiert das einer Tilla Anderson.
Wenn ich einmal einen der Stars für seine Erscheinung bewunderte, gab es einen guten Trick, ihn nicht auch noch anzuhimmeln. Ich stellte ihn mir vor, wie er morgens im Pyjama und mit zerzaustem Schopf zur Toilette wankt, um hinter verschlossener Tür grausige Töne von sich zu geben. Welche Frau will das schon hören? Vermutlich weiß kein Mann, was eine Frau von ihm hören will.
Ich wusste auch nicht, was Frauen wirklich wollen, ich wusste nur, ich wollte mein ganzes Leben lang einen gefühlvollen, liebenden – natürlich nur mich liebenden – Menschen an meiner Seite, dem ich mehr bedeutete, als alles andere ringsum. Mein kleines Leben lehrte mich leider etwas spät, dass Frauen und Männer nicht zusammenpassen. Sorry, aber für mich war dieser Selbstbetrug der Rettungsanker des Lebens. Hätte ich früher auch nur eine Ahnung davon gehabt, dass auch andere Männer neben Tom zu sehr gefühlvollen Worten fähig sind, ich hätte Tom mit anderen Augen gesehen. So aber glaubte ich jahrelang: Der ist es, und nichts und niemand kann uns trennen.
Vor beinahe zwanzig Jahren war der Informatik-Student unserer Uni, Tom Anderson, ebenso unverhofft in mein Leben gesprungen, wie kürzlich Bryan Adams‘ Song. Mit Tom begann meine Zeit übergroßer Liebe?
Wie die Zeit eilt, wie sie sich wandelt, weiß nur, wer sie durchlebt. Wenn ich mich heute in meinem Freundeskreis umschaue, da gibt es vorrangig Männer, die sehr schnell vergessen, wie die erste gemeinsame Nacht verlief, wie der erste Kuss schmeckte, und die keiner Frau noch nach Jahren sagen können: Es wird immer besser Baby, du bist immer noch die Einzige für mich, wie Bryan Adams es erst zu Papier und dann so himmlisch über seine Lippen zu bringen geschafft hatte.
Nun stand da eine reife, wenn auch emotional irritierte Frau und war von einem Song fasziniert. Unfassbar. Ein wildfremder Sänger zeigte mir, wie ein Mann fühlen kann, wie er lieben kann, wie er einer Frau zeigen kann, dass sie das Wichtigste in seinem Leben ist.
Wie könnte eine Tilla Anderson nach dieser liebesabstinenten Zeit von Tom nicht sehnsüchtig werden? Ich, die sich jahrelang auf Händen getragen, aber nun mit Füßen getreten fühlte, die ihr halbes Leben lang die heimlichen Träume lediglich als unerfüllbares Wunschdenken abgetan hatte, die ihr Leben mit all den Höhen und Tiefen, mit wunderbaren Stunden zwar auch, aber auch mit grautristen Tagen durchgestanden hatte, steckte in einer handfesten Krise.
Auch wenn der Song mich ablenkte, ich hatte noch eine Antwort auf die Frage meines Lebens zu finden, die mir so unverhofft entgegen geprallt war, fast vernichtend.
Ich hatte endlich klar gesehen. Genauer gesagt KLARA!
Nun saß ich da und wusste nicht, wie es für mich weitergehen sollte.
Die Tage danach waren zu einer Mischung aus mörderischer Qual und abgrundtiefem Hass geworden, von dem keiner etwas ahnen durfte, bis ich mir selbst im Klaren sein konnte, was ich zu tun gedachte.
Zunächst verteufelte ich neben seinem Fehltritt Toms Janusgesicht. Bisher gehörte seine Meinung zu unserem Leben. Ich sah keinen Grund, dagegen zu rebellieren: Offiziell wünschte sich Tom stets eine keusche Frau, hinter verschlossenen Türen aber wollte er stets eine, die im Bett möglichst ein Vamp, eine Femme fatale, eine Verführerin sein sollte.
Gibt es für diese Rolle jetzt eine andere Besetzung?
Die von Tom gemeinte Keuschheit passte zwar durchaus auf mich, körperlich zumindest. Was mein Geist mir flüsterte, blieb seit Jahren tief in mir drin. Der Geist bleibt frei und Träume sind nicht verboten. Träume sind auch weit weg von einem Vollzug…
Jetzt hatte ich zum Glück etwas Neues zum Träumen, auch wenn es mir unter den gegebenen Umständen sehr schwer fiel – oder eben grade drum nicht mehr?
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