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Als sich Nelli ihren Babywunsch mit einer anonymen Samenspende erfüllt, ahnt sie nicht, wie kurios das Leben spielen kann. Eine anonyme Samenspende hilft Nelli Winter nach großer Enttäuschung und schmerzlichen Tiefschlägen zu neuem Glück. Freundin Mia hatte diesen total verrückten Plan, mit Erfolg. Baby Ninja wird geboren und verändert Nellis Leben in nie geahnter Weise. Seit Ninja zur Schule geht, beginnt sie nach ihrem Vater zu fragen. Nelli will davon nichts wissen, aber Mia hat wieder so ihre Methode. Sie forscht heimlich nach dem Samenspender und löst damit eine ganze Reihe Katastrophen aus, ehe das Glück seine kuriosen Wege findet.
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Seitenzahl: 258
Veröffentlichungsjahr: 2016
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Maxi Hill
Vor dem Glück
Die wundervollste Geschichte von einem total verrückten Weg zum Glück
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Es ist soweit
Das junge Leben und Ben
Gewissheit
Die Tücken der Realität
Teil 2 - Hoffnung
Das Glück nimmt Formen an
Ninja
Zwei Jahre später
Das Fragen beginnt
Tom Liebermann
Schicksalsspiel
Verfluchte Schnüfflerin
Die Beichte
Die Verabredung
Mias Dilemma
Der Vorfall
Die Vorladung
Nach dem Gerichtstermin
Vater werden …
Die fremde Hand an meinem Kind
Erstens kommt es anders …
…und zweitens als man denkt
Das Glück
Noch eine Rechnung begleichen
Maxi Hill
Eine kleine Auswahl Maxi-Hill-Bücher
Impressum neobooks
»So, dann wollen wir mal…« Die sonore Stimme des Arztes ist ganz nah. Nelli Winters Herz klopft heftiger als jemals zuvor in ihrem Leben, heftiger als damals, als sie ihren Ex-Mann Ben kennengelernt hatte. Damals hatte sie geglaubt, nichts im Leben könne ihr bei dieser Liebe passieren. Eine Zeit lang sah es sogar danach aus. Wie trügerisch das Leben ist, ahnt man nicht. Was, wenn es jetzt noch einmal gnadenlos trügt? So nah am Ziel!
Wenn Dr. Klatt von ihrer Angst etwas spürt, dann kann er es gut verbergen. Das schmale Gesicht und das wellige, etwas wirre hellblonde Haar machen den Mann wahrscheinlich jünger als er ist.
»Sie haben das Aufklärungsgespräch und das Prozedere des Ovulationsmonitorings bei Ihrer Frauenärztin gut absolviert?«
Nelli nickt ungeduldig.
»Haben Sie zu unserer Arbeit - zur Spenderauswahl vielleicht - noch Fragen?«
»Nicht direkt.«
Blond, blaue Augen, groß, Vater von drei Kindern, aufgeschlossen und lebensbejahend. Solch ein Mann wird für mein Kind nicht gefährlich sein. Wenn es doch bald losgehen würde…
»Also indirekt?«
»Nein. Es ist nur so: Vom vielen Reden wird man nicht schwanger. Außerdem brummt mir von den fremden Begriffen noch heute der Kopf.«
Ein leiser Zug von Ironie umspielt den Mund des Arztes.
»Man hat Sie also über die diversen Methoden aufgeklärt, obwohl für Sie – bei Ihrem Lebensmodell - weder die In-vitro-Fertilisation noch die heterologe Insemination für die assistierte Reproduktion infrage käme. «
Nellis Gesicht scheint genau das zu spiegeln, was sie denkt. Wird das jetzt ΄ne Fragestunde für die Dissertation?
»Falls Sie die Theorie verunsichert, ich habe die Pflicht, Ihnen ganz genau zu erklären, was wir in jeder Phase tun. Also: Die für Sie infrage kommende Methode heißt donogene Insemination, weil Sie einen Fremdspender brauchen…«
Das alles habe ich schon hundert Mal gehört. Wie oft denn noch … Der soll endlich aufhören zu reden…
Dr. Klatt scheint Nellis Ungeduld nicht zu spüren, oder er hat sich voll im Griff. Während er weiterspricht, wirft er einen raschen Blick auf die Akte, etwas länger und mit stoischer Ruhe verweilt er bei einem Instrument, das bisher unter einem grünen Tuch lag und das er zwischen seinen Fingern beinahe liebkost. Erst dann spricht er weiter: »Sie leben in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft und haben beste Voraussetzung für den eigenen Eisprung. Nach dem Ultraschall sieht für den gegenwärtigen Zeitraum in der Tat alles sehr gut aus…«
Nelli liegt da, entblößt und mit gespreizten Beinen. Ungeduldiger war sie noch nie in ihrem Leben. Und noch nie in ihrem Leben war sie so forsch heraus:
»Auf welche Weise mein Ei befruchtet wird, ist mir völlig egal. Jetzt sollte es endlich losgehen.«
Wenn sich ihre Frauenärztin mit dem Ultraschall nicht geirrt hat und alle anderen Methoden, ihre fruchtbaren Tage zu ermitteln, nicht versagt haben, dann ist heute ein guter Tag. Wenn dieser blonde Mittfünfziger sich nicht ein bisschen beeilt, ist es aus mit der Fruchtbarkeit.
Nelli weiß, dass es trotz guter Voraussetzungen nicht beim ersten Versuch klappen muss. Zwei, drei. Dafür reicht ihr Budget gerade noch, falls Mias Prognose von der staatlichen Zuzahlung auch Wahrheit wird.
»Ihre Partnerin hätte dabei sein können. Das hatten wir doch geklärt.«
»Ja, das hatten wir geklärt«, erwidert Nelli inzwischen spürbar gereizt. Dr. Klatt hat genau den Punkt berührt, der noch schief gehen kann. Lieber Gott lass es nicht im letzten Moment noch platzen!
Solange der Arzt neben dem Stuhl stand, war ihr die eigene Lage schon unangenehm genug. Jetzt ist sein Gesicht direkt zwischen ihren Schenkeln und seine Hände…
Bisher im Leben hatte sie immer nur weibliche Frauenärzte und Hebammen.
Wie immer, wenn sie auf diesem Stuhl liegt und ein Arzt sich in ihr zu schaffen macht, lenkt sie sich ab mit allerlei Gedanken, Träumen und Erinnerungen.
Wie gut, dass in all den Jahren an Bens Seite, die sie unnahbar für jedermann gemacht hatten, ihre beste Freundin Mia nicht aufgegeben hat. Sogar jetzt sitzt sie draußen und bringt das wohl größte Opfer ihrer langjährigen Freundschaft. Sie tut alles, damit der Wunsch der Nelli Winter nach einem gesunden Kind nicht an der Bürokratie des Gesetzgebers zerfällt. Niemals im Leben konnte Nelli Winter die Weisheit von Mias Mutter Inga so gut verstehen wie in den letzten Jahren: Das Leben ist ein mieser Kamerad. Es weicht nicht von deiner Seite, aber es stellt dir immer wieder ein Bein. Manchem Menschen sogar ununterbrochen.
Wer, wenn nicht die Anwältin Inga Andersson, sollte das besser einschätzen können…
Für den Moment fühlt sich Nelli doppelt unwohl. So aufwändig hatte sie sich die Sache nicht vorgestellt. Bisweilen war ihr, als wolle man sie am offenen Herzen operieren, dabei passiert nichts wesentlich Anderes, als auf natürliche Weise auch passiert … nur ohne Liebe und Hingabe, ohne akrobatische Verrenkungen und falsche Schwüre.
Sie schließt die Augen, um die langersehnte, endlich entscheidende aber irgendwie peinliche Prozedur über sich ergehen zu lassen. Nur noch von Ferne hört sie, wie Dr. Klatt davon redet, das tiefgefrorene Sperma mit einem Kryoprotektivum versetzt zu haben, das in dieser Inseminationskappe in eine optimale Position am Muttermund gebracht wird. Damit werde der Schleim in seiner natürlichen – nämlich Spermien ansaugenden Wirkung - nicht beeinträchtigt, sondern »ziehe« die Samenzellen in die Gebärmutterhöhle. Wie nebenbei redet er von etwas, was sie jetzt um keinen Preis hören will: »Jemand wie Sie haben wir nur selten auf dem Stuhl, Frau Winter. Sie sind quasi schon Profi mit ihren zwei Schwangerschaften.«
Nelli Winter antwortet nicht. Wenn sie könnte, würde sie ihre Fäuste auf beide Ohren drücken. Oder sie würde herausschreien, wie sadistisch Ärzte sein können. Ein Gynäkologe müsste doch wissen, was der Verlust eines Kindes für eine Mutter bedeutet … Sind alle Männer seelische Trampel? Im Handumdrehen hört Nelli Winter in Gedanken die Worte ihres Ex-Mannes nach dem Tod ihres zweiten Söhnchens: »Warum sollte es das Leben ausgerechnet mit dem Rest noch gut mit dir meinen?«
»Welchen Rest …?«, hatte sie gefragt, obwohl sie von Ben nach all dem, was er ihr zugemutet hat, überhaupt nichts mehr hatte hören wollen.
»Du bist nicht gerade das Schönheitsideal dieser Zeit. Rote Haare. Sommersprossen. Anderthalbfache Modelmaße und viel zu verklemmt bist du obendrein.«
Wenn sie anderthalbfache Modelmaße hätte, müsste sie doppelt so groß sein. Nein. Sie ist nur etwas zu klein geraten für ihre sechzig Kilo. Mutter Norma war ihr zur Seite gegangen: »Nellis wahre Schönheit liegt innen. Was du meinst, ist die Ware Schönheit, die käufliche. Aber die steigt mit den Jahren zu einem verdammt hohen Preis.« Mutters Stimme überschlug sich beinahe. »Und eines sag ich dir, Ben Winter. Ein Kind hat immer zwei Eltern, und wer euren Kindern den Fehler vererbt hat, steht gar nicht so fest. In unserer Linie gibt es dieses … dieses Syndrom nicht. Nicht bei uns …!«
Sie hatte die Tür hinter sich zuknallen lassen und war gegangen.
Die Metapher von der inneren Schönheit mochte stimmen, aber keine Schönheit bewahrt vor Schicksalsschlägen. Nicht die innere und nicht die sichtbare. Noch vor dem Verlust ihrer Kinder war schleichend der Verlust ihrer ersten und einzigen Liebe gekommen, auch wenn die zuletzt nur Qual war.
Was wundert es, wenn sie die Jahre danach nur noch einsam war und unausstehlich geworden ist. Dabei sehnt sie sich so sehr nach Liebe, wie sich ein Mensch nur danach sehnen kann. Vermutlich würde sie noch immer mit ihrem Schicksal hadern, wäre nicht ihre Freundin mit der total verrückten Idee gekommen, die heute wahr wird. Auch wenn Mia nach dem großen Missverständnis wieder hin und hergerissen war, weil sie Nelli besser kennt als umgekehrt, hatte sie womöglich sogar Recht wenn sie sagte: »Ich glaube nicht, dass du dich nach Liebe sehnst. Du hast viel zu viel Angst, wieder enttäuscht zu werden. Wenn du ehrlich mit dir bist, brauchst du nur jemanden, dem du Liebe geben kannst… Zum Glück verschwendest du sie nicht länger an dieses Arschloch… entschuldige Nelli.«
»So, Frau Winter. Nun drücken wir mal die Daumen, dass zusammenfindet, was zusammengehört.«
Die Stimme von Dr. Klatt holt Nelli in die Wirklichkeit des Raumes mit dem verhassten Untersuchungsstuhl zurück, auf dem sie eine ungewisse Zeit lang in geistiger Abwesenheit verbracht hat.
»Ein Teil der Kappe, der Stift, wie wir sagen, liegt jetzt sicher im Gebärmutterhals vor dem inneren Muttermund. Der andere Teil mit dem Teller liegt vor dem äußeren Muttermund. Damit bleiben Sie jetzt ganz entspannt hier liegen, bis Sie Schwester Alice befreien kommt.« Dr. Klatts Hand liegt für einen Moment auf ihrem Arm. Sie ist warm und sanft und der leichte Druck lässt Zuversicht spüren. »Wir sehen uns nachher noch einmal.«
Während der Zeit, in der sie in der Vergangenheit gewühlt hat, anstatt an ihre Zukunft zu denken, die endlich beginnen könnte, hatte also dieser Arzt mit seinen Händen an jener Stelle hantiert, auf die bisher nur Ben und ihre heimische Frauenärztin Dr. Rowling ihre Blicke werfen durften.
Sie ruft sich zur Ordnung: Das ist nicht das Problem dieses Mannes und niemandes Problem sonst, als ihr eigenes.
Wie viel Zeit vergangen ist, bis die Sprechstundenhilfe sie von dem grünen Tuch befreit, das während der allesentscheidenden Zeit über sie gebreitet lag, weiß Nelli nicht. Bedeckt zu sein, war ihr angenehmer. So war es in ihrem ganzen Leben schon – zum Ärgernis von Ben, bei dem es in der Liebe nicht verrückt genug zugehen konnte.
Noch darf sie ihre Beine nicht aus den Halteschalen nehmen. In diesem entblößten, noch immer gespreizten Zustand fühlt sie sich ausgeliefert.
Es vergehen Minuten, ehe Dr. Klatt persönlich kommt, sie von dem Teil zu befreien, das noch in ihr steckt. Sie hatte erwartet, die Schwester würde den Rest erledigen.
Ein kleines, aber unbedeutendes Missverständnis in der langen Reihe aller Missverständnisse, die Nelli Winter bis zu dieser Minute durchlebt hat und die keinesfalls die letzten bleiben.
Der Stuhl fährt in die Ausgangsstellung zurück. Nelli ist froh, ihre Scham mit dem Rest von Textil bedecken zu können, der ihr anzubehalten gestattet war. Dr. Klatt hält seine Hände hochgestreckt, die in durchsichtigen Gummihandschuhen stecken. Eine Assistentin geht ihm zur Hand und streift erst seinen, dann ihren Schutz von der Haut.
Dann streckt er Nelli seine Hand entgegen. Deren Druck ist jetzt selbstsicher, ohne aufdringlich zu sein, aber sie dauert einen Moment länger, als es Nelli angenehm ist.
»Wir sehen uns wie besprochen wieder«, er lächelt, schaut aber im selben Moment zur hübschen Assistentin. Dr. Klatt ist um einiges älter als die brünette Schwester mit der hochmodernen Bob-Frisur. Dennoch glaubt Nelli, die Blicke der beiden dauern länger als nötig. Klatt ist ein charmanter Mann und seine Stellung macht ihn für das junge Ding vielleicht noch attraktiver. Vorstellen kann sie sich ein Verhältnis zwischen den beiden ungleichen Typen nicht. Ausschlaggebend dafür ist ihre Grundhaltung: Wie kann eine Frau einen Mann begehren, der sich bei unzähligen Frauen ausschließlich dem widmet, was normalerweise nur Liebenden zugänglich ist.
»Alice wird Ihnen noch alles Nötige mit auf den Weg geben. Und denken Sie in den nächsten Tagen an meine Worte…«
Nellis Misstrauen entflammt von einer Sekunde auf die andere. Sie hat so lange um diese Samenspende gekämpft. Sie war Mias verrückten Plänen gefolgt, wie sie all die bürokratischen Spitzfindigkeiten umgehen kann. Warum glaubt der Mann, sie könnte irgendwann eine psychotische Abneigung gegen das fremde Sperma entwickeln? Und überhaupt; kann allein ihr Hirn verhindern, dass diese agilen Kerlchen eines fremden Mannes den Weg zu ihrem Ei finden? Zumindest hofft sie, das Ei hat seinen Weg zur Vereinigung pünktlich angetreten. Der Gedanke, dass etwas von einem fremden Mann in ihr ist, kommt ihr nicht mehr. Es ist kein Mann, es ist ein gekauftes Spermapaket, wie man eine Packung Vanilleeis kauft und dafür bezahlt. Alles erfüllt seinen Zweck.
Draußen im Warteraum sitzt Mia vor einem Berg bunter Illustrierter. Als Nelli kommt, springt sie auf, theatralisch beinahe. Sie umarmen sich filmreif wie zwei Liebende. Dr. Klatt ist Nelli unbemerkt gefolgt, ob zufällig oder nicht, ist ihr egal. Sein Handschlag gilt Mia und seine Worte über gemeinsames Hoffen und voraussichtliches Glück entgehen Nelli nicht. Ob er von Mias Anwesenheit wusste, ist unklar. Aber falls, dann ahnt Nelli, warum er ihr gefolgt ist. Ihre Freundin sieht einfach toll aus. Neben Mia mit ihren langen Beinen, dem schulterlangen blonden Haaren und den hellblauen Augen kommt sich Nelli mit ihrem Sommersprossengesicht mal wieder unattraktiv vor. Womöglich wundert sich auch Dr. Klatt darüber, dass eine solche Frau nichts von Männern hält, mehr noch, sich ausgerechnet mit einer rothaarigen, sommersprossigen, introvertierten Mittelmäßigkeit abgibt.
Nelli bemerkt zum ersten Mal, dass sie sich selbst nicht mehr als Unzulänglichkeit betrachtet, was totsicher auf Mias Konto geht. Sie versucht, ihren Gedanken jetzt nicht weiterzuverfolgen, sondern realistisch zu bleiben: Nicht auszuschließen, diese Pfennigfuchser prüfen an jeder Schnittstelle die wahren Umstände.
Erst kürzlich hat sich das Land dazu entschieden, auch für gleichgeschlechtliche Paare die künstliche Befruchtung zur Hälfte zu finanzieren, und das könnte je nach nötigen Versuchen ein ganzer Batzen Geld sein. Die sozialen Voraussetzungen für eine Elternschaft von Nelli Winter und Mia Andersson sind fast unmerklich abgeprüft worden. Bedenken hatte niemand.
Abgesehen vom viel zu langen Händedruck mit Mia und abgesehen von Dr. Klatts versunkenem Blick auf Mias Vorzüge, möchte man meinen, es gibt auch von dieser Seite keine Bedenken. Das ist gut, denkt Nelli. Was einmal klappt, sollte immer klappen…
Auf dem Tresen bei Schwester Alice liegt ihre schmale Akte. Schmal, weil sie nicht von Anbeginn der Maßnahme hier im sächsischen Kinderwunschzentrum auf die Behandlung vorbereitet worden ist.
Nur die Spenderauswahl und die Insemination – wie man den eigentlichen Vorgang bezeichnet – wurden hier gemacht. Ersteres vermutlich von der Ehefrau des Doktors, die beide als Betreiber des Zentrums ausgeschrieben sind.
Dr. Klatt ist nicht mehr zu sehen. Die junge Frau nimmt die Mappe, legt sie aber sofort wieder ab, führt eine Hand vor ihren Mund und flüstert:
»Sie stammen aus Brandenburg. Wie sind Sie auf Doktor Klatt gekommen?« Der kirschrote Mund bleibt ein wenig offen stehen, während das Händchen mit den auffallend modellierten Nägeln den nächsten Termin für Nelli Winter notiert.
»Gar nicht«, erwidert Nelli wahrheitsgemäß. Dabei reduziert sie ihre ohnehin kleinlaute Stimme. »Bei uns gibt es ein solches Kinderwunsch-Zentrum nicht. Da wird man vermittelt. Ich habe mir den Arzt nicht ausgesucht, aber ich bin … « Sie dreht ihren Kopf in scheinbar glücklicher Verzückung zum Warteraum hin, wo Mia unruhig auf und ab geht. »Wir … sind natürlich froh, dass es geklappt hat.«
Die glückliche Verzückung ist echt, das Wir nur zur Hälfte.
»Noch hat es nicht geklappt«, sagt das junge Gesicht. »Aber Doktor Klatt ist einer der Besten – nicht nur auf diesem Gebiet. Ich denke, mit ihm haben Sie einen guten Griff gemacht. Er versteht Ihren Wunsch. Er hat selbst drei Kinder…«
Nicht nur auf diesem Gebiet? Ihr Gefühl hatte sie also nicht getäuscht. Dieses halbe Mädchen ist verknallt in ihren Chef, was Nelli nicht einmal verwundert. Dr. Klatt ist auf eine schwer zu erklärende Art attraktiv. Der Blick aus seinen hellblauen Augen und seine beruhigende Art machen Eindruck auf Frauen. Sein energisches Auftreten flößt zugleich Respekt ein. Dass sein Beruf – ausgenommen der Sinn seines Tuns an ihrem Körper - für eine wie sie unsympathisch ist, kann sie nicht leugnen. Merkwürdig allerdings, dass ihr der Beruf noch unsympathischer wird, je mehr sie sich mit Dr. Klatts imposanter Erscheinung auseinandersetzt.
Augenblicklich stoppt ihr Gang, mit dem sie an Mias Seite dem Unbehagen rasch fliehen will. Etwas Entscheidendes hat sie für kurze Zeit ignoriert. »…er hat selbst drei Kinder!«
Blond, blaue Augen, drei Kinder. Muss man an Zufall denken?
»Ob so ein Arzt seine Samenbank selbst bestückt … ich meine, ob der sich selbst einen runterholt…«
»Dürfte einem wie dem nicht schwerfallen«, kichert Mia. »Zudem ist es ein kleines Zusatzgeschäft.« Mehr kann sie offenbar nicht auf Nellis Gedanken erwidern, von dem sie den Hintergrund nicht kennt. Aber Mia bleibt keine Überlegung schuldig. »Hübsche Nachkommen werden das allemal…«
Nelli ist dergleichen Meinung, gerade darum verbietet sie sich fortan, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen. Sie hat an keinen Mann zu denken, sondern an ein gekauftes Spermapaket, wie man ein Paket Vanilleeis kauft und dafür zahlt. Alles hat seinen Zweck…
Der Zweck dieses Nachmittags ist, sich mit Mia in einem kleinen Café in der Geschäftsstraße von ihrer Entscheidung abzulenken, die vermutlich nicht falsch war, aber die nicht immer eitel Sonnenschein bleiben muss. Dr.Klatt hatte von Zweifeln gesprochen … Beginnen die schon?
Je länger Nelli Winter an Doktor Klatt denkt, desto mehr erinnert er sie daran: Dieser Mann ist das ganze Gegenteil von Ben Winter!
Wie froh war sie, überhaupt einen Freund gefunden zu haben. Irgendwann – als sie sechzehn oder siebzehn war – glaubte sie, kein Junge mochte sie. Mia Anderson hatte zu dieser Zeit schon erste sexuelle Erfahrungen, aber was sie davon erzählte, hat Nelli – damals Nelli Pohl - eher erschreckt.
Sie hatte noch keine Erfahrungen mit Jungs – keine körperlichen. Sie ist nicht das Schönheitsideal. Ihr rötliches Haar stört sie seit der ersten schmerzlichen Erfahrung ihres Lebens im Kindergarten, und die hat sie unsicher gemacht.
Gulu Ülkan war ganz nah an sie herangetreten, so nah, dass Frau Sommerscheid, ihre Erzieherin, kein Wort hätte verstehen können. Eigentlich hatte Gulu seine Lippen gar nicht bewegt, aber Nelli hörte jedes Wort so deutlich, als hätte er es durch ein Megaphon gebrüllt.
»Heute rot, morgen tot. Hau ab, rotes Tuch, roter Hexenkopf…«
Im ersten Moment war Nelli so tief erschüttert, dass sie kein Wort sagen konnte. Sie wartete nur darauf, dass endlich ihr Papa kam und sie in seine schützenden Arme nahm, wie er es immer tat. Zum Glück. Noch nie hatte ihr Papa so an ihr herumgezerrt, wie es Gulus Vater tat, wenn er seinen Sohn ausnahmsweise einmal abholen kam. Diesen bärtigen Mann mit der nuschelnden Stimme nervte es offensichtlich, Weiberkram erledigen zu müssen.
Für einen Moment war die Angst vor Gulu gebrochen, bis dieser Junge mit den pechschwarzen Haaren und seinem alles erfassenden Rundumblick sah, wie ihr rothaariger, sommersprossiger Vater den Raum betrat. Ein einziger Blick in Gulus Augen verriet Nelli, was er dachte und was er in Zukunft noch öfter zu ihr sagen würde, was er womöglich sogar mit ihr tun würde…
Was macht man mit einer Hexe?
Natürlich war ihr klar, dass er sie in keinen Backofen stoßen würde, aber es gab nicht minder schlimme Aussichten, die der boshafte Blick von Gulu vermuten ließ. Von diesem Moment an war Nellis unerschütterliche Liebe zu ihrem Vater überschattet von tiefer Verzweiflung. Umso mehr genoss sie seine schützenden Hände, wenn sie auf ihrer Schulter ruhten, als lege sich ein Tarnmantel um die kleine, ängstliche Gestalt. Diese Hände… Niemals wird sie diese Hände vergessen.
Sie konnte es weder ihrer Mutter noch ihrem Vater sagen, warum sie seither nicht mehr gerne in den Kindergarten ging. Allzu oft spielte sie irgendeine Krankheit vor. Sie hatte schnell gelernt, wann auch Erwachsene nicht so leicht erkennen konnten, ob man Schmerzen hatte oder nicht. Mama ahnte bald etwas und wollte der Sache auf den Grund gehen.
»Was ist wirklich los, Nelli. Liebling, du musst es uns erzählen, sonst können wir dir nicht helfen.«
Heute glaubt Nelli, ihre Eltern hatten gute Gründe, besorgt zu sein … Sie wusste damals nichts vom bösen Mann, der kleine Kinder einschüchtert, um schrecklicheres mit ihnen zu tun, als es Gulu Ülkan je könnte. Sie dachte, wenn sie jemandem ihre Sorge über Gulus Worte verrät, würde Papa sie nicht mehr lieben. Die Liebe ihrer Eltern war für Nelli das Wichtigste im Leben. Also blieb sie konsequent:
»Nichts …Es ist nichts. Ich habe nur immer Kopfweh.«
Eine Zeit lang forschten die Eltern nach, ob diese Einrichtung, die noch aus dem sozialistischen Sozialbauprogramm stammte, von irgendwelchen Schadstoffen belastet war. Vergebens.
Niemand hatte später bemerkt – auch Frau Sommerscheid nicht – dass Nellis Beschwerden schlagartig endeten, als Gulu nicht mehr kam. Wo er abgeblieben war, wusste Nelli nicht und es interessierte sie auch nicht. Nur mit ihrem »Makel« des roten Haares konnte sie nie mehr glücklich sein. Auch jetzt nicht, wo alle Welt von der Schönheit ihrer »Tönung« spricht. Zumeist glaubt sie an zwei Dinge: Trost oder Spott. Beides macht sie nicht gerade selbstsicherer.
Sie hätte auch lieber eine makellose Haut, anstatt mit so vielen Sommersprossen besprenkelt zu sein. Da kann Mia noch so oft palavern, wie süß die wären und wie menschlich sie diese kleinen Tupfer machten. Was sollte das? An der Vererbung kann sie nicht drehen. Ihr Vater war ein herzensguter Mann, aber er hat ihr vermutlich alles vererbt, was es an weniger guten Eigenschaften gab – wobei Nelli natürlich weiß, dass rotes Haar und Sommersprossen mit menschlichen Eigenschaften so viel zu tun haben, wie ein Chamäleon mit einem Kamel. Alles zusammen und dazu die fehlenden Modelmaße - was sie erst später im Vergleich zu Mia erkannte – haben sie letztlich kleinlaut gemacht. Ben hatte Recht, schüchtern ist sie immer gewesen. Womöglich hätte sie in ihrer Introvertiertheit vom wahren Leben nur halb so viel mitbekommen, wäre nicht die überaus hübsche Mia Anderson seit Kindesbeinen ihre beste Freundin. Warum das so ist, konnte sich Nelli nie recht erklären. Mia meinte später, sie wäre auf jemand angewiesen gewesen, als sie kurz vor der Einschulung mit ihren Eltern aus Schweden nach Deutschland kam, wo ihr Vater einen Betrieb für Windkraftanlagen zu leiten hatte.
In der Tat hatte das blonde, zarte Mädchen zuerst eine komische Aussprache. Bei jedem Satz sah es aus, als würde sich die Zunge im Mund einmal herumdrehen – aber das legte sich bald. Heute ist Mia der taffste Mensch, den Nelli kennt, und zugleich das hübscheste Geschöpf. Sie könnte jeden Mann haben, den sie will. Aber sie will nicht. Nicht fest, jedenfalls. Warum das so ist, habe sie spätestens die Beziehung zwischen Nelli und Ben Winter gelehrt. Nellis Mutter Norma gab Mia sogar Recht…
Nelli Pohl war an diesem denkwürdigen Tag einundzwanzig Jahre alt geworden. Ihren Geburtstag feierte sie – nein, sie weiß, dass man dazu nicht feiern sagen konnte. Sie beging ihn mit Mia und einem fremden Typen, weil der im Moment an Mia klebte. Alle Kerle klebten an Mia, bis sie ihnen brüsk ins Gesicht sagte, dass ihr Klammern nervte. Sie saßen zu dritt in diesem Disco-Schuppen bei schummrigem Licht, das hin und wieder von den Lichtblitzen unterbrochen wurde, die vom DJ-Pult kamen. Bei diesem Licht fühlte sich Nelli irgendwie geborgen und konnte mit den anderen herzlich lachen. Seit einiger Zeit beobachteten sie einen Kerl, der sich an tanzfreudige Mädchen machte, ohne nennenswerte Erfolge zu haben. Witzigerweise setzte er sich später ungefragt auf den freien Stuhl an ihren Tisch. Zum Tanz forderte er keine von ihnen auf. Längst hatte er mitbekommen, dass Mia für diesen Abend vergeben war. An einem sommersprossigen, schüchternen Rotschopf wie Nelli Pohl, war kaum ein Kerl interessiert. Mia redete ihr zwar immer wieder ein, es sei weder das Haar, noch die süßen Sprenkel. Sie solle mehr lachen und aus sich herausgehen, aber das kam ihr aufdringlich vor.
»Wenn ich den so weit kriege, mit dir zu tanzen, versprich mir, dass du locker bleibst«, raunte Mia, was Nelli zu heftigem Kopfschütteln veranlasste.
Nach dem ersten, bald merkwürdig innigen Tanz mit Ben Winter – so viel Anstand hatte er, wenigstens auf ihre Frage zu antworten, wenn er sich schon nicht von selbst vorstellte – gab Mia eindeutige Zeichen.
»Brenn΄ bloß nicht mit dem durch…«
Ob es eine Warnung war, ob Mia selbst auf den ganz passabel aussehenden Mann spekulierte, oder ob Mia nur nicht mit dem neuen Lover alleine nach Hause gehen wollte, blieb Nelli bis in alle Ewigkeit unklar.
Ein halbes Jahr lang lebte Nelli auf Wolke sieben. Ben entpuppte sich als wachsweicher Mensch aber glasharter Liebhaber. Bei ihm lernte sie kennen, was Liebe und Hingabe mit einer Frau machen können.
Sie heirateten schon ein paar Monate später, mehr auf Bens Drängen als auf Nellis Wollen. Ben war damals 29 Jahre alt. Seine Eltern waren ein halbes Jahr zuvor für den Rest ihres Lebens auf die kanarischen Inseln ausgewandert, lebten dort von ihrer Rente und dem Ersparten in einer Finca in den Bergen und überließen Ben das schmale Reihenhaus mit kleinem Innenhof und sich anschließendem Garten. Schon seine Eltern hatten es von deren Eltern geerbt. Ben lebte bis zur Ausreise seiner Eltern noch bei Mama, wurde von ihr verwöhnt aber vom Vater dafür gescholten.
Nelli spürte von Anfang an, dass sie nicht Bens Traumfrau war, aber er brauchte endlich Ordnung in seinem Leben, und die konnte nur eine Frau für ihn schaffen.
Im ersten Jahr ging es sehr gut zwischen ihr und Ben. Er gab sich äußerst begehrlich, was Nelli als große Liebe verstand. Sie liebte ihn dafür von Herzen, dennoch wurden sie nicht glücklich miteinander.
Das Leben, das sie beide bald führten, stürzte Nelli beinahe in eine Sinnkrise, die nur mit angeborenem Gleichmut zu beherrschen war. Ben wurde zwar seiner Rolle als Liebhaber noch immer mehr als gerecht, nicht aber als Verantwortungsträger für das gemeinsame Leben. Das Grundstück, das Haus und zu allem Überfluss hatte Ben auch noch Tauben und Hühner angeschafft, versorgte Nelli neben ihrer Arbeit fast völlig allein. Ben war selten daheim. Zwar arbeitete er viel – wie er beteuerte - und er hatte seinen Sport, aber mit der Liebe klappte es zwischen ihnen, wenn auch manchmal erschreckend ausufernd – leider außerhalb des Bettes sofort erlahmend. Bei genauem Überlegen allerdings war Bens Liebe merkwürdig uniform in den Abläufen.
Nie hätte sie gedacht, dass sich ihr gleichförmiges Leben so rasant ändern würde, dass sich ihr begieriger Mann bald auch für andere Frauen interessierte. Als es ihr endlich klar wurde, war es zu spät.
Bald nach der Hochzeit war sie schwanger, aber sie verlor das Kind durch eine Krankheit, die als erblich deklariert wurde, aber wenig erforscht war.
Seit dieser Zeit begann – und es zog sich hin bis zuletzt – ihr Martyrium. Ben machte sie für den Tod des Kindes verantwortlich. Vermutlich weil es ein Junge war. Sogar beim Sex demütigte er sie damit, keine richtige Frau zu sein und überhaupt, er hätte es wissen müssen, so verklemmt wie sie sei. Wie habe er den Notnagel für eine spielen können, die womöglich nie einen Kerl abgekriegt hätte. Noch schlimmer waren seine schmerzlichen Beleidigungen: Vielleicht war es gut so. Wie hätte das Kind einmal ausgesehen? Wie seine Mutter? Ein rothaariger Junge mit Sommersprossen – na klasse!
Das Schlimme war, er schien Recht zu haben, auch wenn Mia einmal sagte: Der Kerl ist dich nicht wert. Und sie mache sich seit langem Vorwürfe, ihn damals zum Tanzen ermuntert zu haben.
Irgendwann schmiss Ben schließlich Mia raus und verbot ihnen – mit noch drastischeren Mitteln auch Nelli – den Umgang miteinander.
Nelli bemühte sich fortan auf eine friedliche Art mit Ben auszukommen. Sie liebte ihn so, wie sie ihn die erste Zeit nach dem Kennenlernen geliebt hatte und sie glaubte fest daran, diese Zeit kommt wieder.
Nervös wurde sie erst, als sie bald danach wieder schwanger war. Es war ein so strahlender Sommertag, als es ihr klar wurde, aber Nelli Winter fiel in dunkle Betrübnis. Sie konnte es ihm nicht sagen. Nach zwei Monaten fiel ihm etwas auf. Ben hatte sein Frühstück verschlungen, leckte über seine Lippen und verabschiedete sich auf seine Weise. Er nahm die Tasche, die sie ihm sorgfältig gepackt hatte, wie er es erwartete und wie es seine Mutter vermutlich bis zuletzt getan hatte. Er führte eine Hand an die Stirn und ging grußlos. Erst von der Tür aus musterte er sie schräg und murmelte etwas wie, sie sehe miserabel aus und zugelegt habe sie auch schon wieder. Nach Besorgnis klang das nicht…
Den Rest klammert Nelli aus all den Betrachtungen über ihre Ehe stets aus. Nur auf Drängen von Mia hatte sie spärlich davon erzählt, wie Ben sie zu schlagen begonnen hat, wie er ständig betrunken war und wie er sie zu perverser Befriedigung zwang, als sie kurz vor der Entbindung stand. Noch vor dem errechneten Termin der Niederkunft nahm sie die Klinik auf Station. Am Vorabend hatte sie Ben mit einer anderen Frau erwischt. Ihren Namen hatte Nelli nicht verstanden, aber sie erinnerte sich später an den Satz, den die Vollbusige lächelnd von sich gab, als Nelli sie wütend aus der Wohnung schmiss: »So ist das Leben, Süße. Soll er sich sein Zeug wochenlang durch die Rippen schwitzen?«
Zum ersten Mal wusste Nelli, dass sie etwas ändern musste. Egal, was das Schicksal für sie bereithielt, sie konnte das, was den Namen Ehe nicht verdiente, nicht länger aufrechthalten.
Das zweite Kind hat sie wenigstens ein paar Tage lang sehen und berühren können, auch wenn es keine Chance hatte, in diesem Leben zu bestehen. Dieses Unvermögen war wohl das Erbe, das sie mit ihrem Kind teilte. Von einem tödlichen Erbe allerdings, das sie in sich tragen könnte, wusste sie gottlob nichts.
Der erste kleine Junge hatte noch keinen Namen, als er zu den Sternenkindern fuhr. Den zweiten hatte sie dann Chris genannt, wie das Christkind, das ein Geschenk Gottes war. Aber Chris konnte kein Geschenk Gottes gewesen sein. Er war ein Mondkind, was man bei der Geburt nicht erkannt hatte. Sein erster Kontakt mit dem Sonnenlicht hatte sofort eine Mutation ausgelöst und alle Vorkehrungen kamen zu spät.
Die Scheidung von Ben Winter ging gut für Nelli aus. Das hatte sie Mias Mutter Inga zu verdanken, die eine angesehene Rechtsanwältin ist. Und irgendwie hatten die Mütter - Nellis Mama Norma und Mias Mom Inga - mit ihren zufällig dahingeworfenen Sätzen etwas in Nelli bewirkt, was ihr noch einmal zu einem Glück verhelfen könnte.
»Du solltest wissen, ob du diesen Erbfehler in dir trägst…«, waren die Worte von Inga. Mama Norma hält nichts von Objektivität. Ihre Familie ist ihr über alles heilig.
»In unserer Linie gibt es kein solches Syndrom…«
Nelli fühlte sich in der Zeit danach, als folge sie einer Serie im Fernsehen, bei der der Held tat, was gegen seinen tiefen Willen, nicht gegen seine Vernunft sprach. Ihr war, als konzentrierte sie sich nur noch auf den Ausgang des Geschehens, das nichts mit ihr zu tun hatte, das fesselnd war und zugleich Angst machte. Ihr Wille hätte Bens Liebe zurückerobern wollen, die vermutlich nur am doppelten Schicksalsschlag zerbrochen war. Ihre Vernunft sagte ihr, dass sie bei aller Liebe nicht den Märtyrer spielen musste.
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