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England, 1745: Prudence Tremaine ist eine couragierte junge Dame aus gutem Hause, die zusammen mit ihrem Bruder Robin den zweiten Aufstand der Jakobiten unterstützt. Als sie nach deren Niederlage in Gefahr geraten, ersinnen die beiden einen waghalsigen Plan: Sie schlüpfen in andere Identitäten - Prudence zieht Männerkleidung an und gibt sich fortan als Peter Merriot aus, während Robin Frauenkleider trägt und sich Kate nennt.
Doch dann begegnen die beiden dem eleganten Sir Anthony Fanshawe, der Prudences Herz höherschlagen lässt. Wie gern würde sie jetzt ein wunderschönes, tief dekolletiertes Abendkleid tragen und mit dem attraktiven Gentleman flirten! Aber wenn sie ihre wahre Identität preisgibt, droht sie alles zu verlieren - vielleicht sogar ihr Leben ...
Abenteuerlich, geistreich und romantisch - "Brautjagd" (im Original: "The Masqueraders") ist ein hinreißendes Lesevergnügen aus der Feder der einzigartigen Georgette Heyer. Jetzt als eBook bei beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
"Amüsant und aufregend zugleich ... Ein Roman, der hält, was er verspricht." (Telegraf)
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Veröffentlichungsjahr: 2018
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
1. Eine Schöne in Nöten
2. Ankunft eines Herrn von imposantem Wuchs
3. Mylady Lowestoft
4. Miss Prudence führt ein Selbstgespräch
5. Sir Humphrey Grayson besucht Mr Merriot
6. Mr und Miss Merriot werden in die vornehme Welt aufgenommen
7. Eine Kostprobe vom Zorn des imposanten Herrn
8. Der Schwarze Domino
9. Die Mohocks sind los
10. Der Alte Herr taucht plötzlich auf
11. Mylord Barham in der Arlington Street
12. Prudence und Sir Anthony auf einem gemeinsamen Ausritt
13. Ein Zusammenstoß im White-Klub
14. Die Geheimnisse um Mylord Barham häufen sich
15. Mr Merriot wird gefordert
16. Sir Anthony benimmt sich seltsam
17. Trauriges Ende einer Freundschaft
18. Der imposante Herr ist hellwach
19. Man trifft sich in der Arlington Street
20. Mylord Barhams Einfallsreichtum
21. Mr Markham schreitet zur Tat
22. Mylord Barhams verwickelte Methoden
23. Duell im Mondschein
24. Miss Grayson kehrt heim
25. Der mysteriöse Maskierte
26. Mr Merriot wird verhaftet
27. Gewalttätigkeiten auf der Landstraße des Königs
28. Miss Merriot tritt ab
29. Ritt durch die Nacht
30. Mylord Barhams Triumph
31. Der ehrenwerte Robin Tremaine
32. Ende der Reise
England, 1745: Prudence Tremaine ist eine couragierte junge Dame aus gutem Hause, die zusammen mit ihrem Bruder Robin den zweiten Aufstand der Jakobiten unterstützt. Als sie nach deren Niederlage in Gefahr geraten, ersinnen die beiden einen waghalsigen Plan: Sie schlüpfen in andere Identitäten – Prudence zieht Männerkleidung an und gibt sich fortan als Peter Merriot aus, während Robin Frauenkleider trägt und sich Kate nennt.
Doch dann begegnen die beiden dem eleganten Sir Anthony Fanshawe, der Prudences Herz höherschlagen lässt. Wie gern würde sie jetzt ein wunderschönes, tief dekolletiertes Abendkleid tragen und mit dem attraktiven Gentleman flirten! Aber wenn sie ihre wahre Identität preisgibt, droht sie alles zu verlieren – vielleicht sogar ihr Leben …
Georgette Heyer, geboren am 16. August 1902, schrieb mit siebzehn Jahren ihren ersten Roman, der zwei Jahre später veröffentlicht wurde. Seit dieser Zeit hat sie eine lange Reihe charmant unterhaltender Bücher verfasst, die weit über die Grenzen Englands hinaus Widerhall fanden. Sie starb am 5. Juli 1974 in London.
Georgette Heyer
Brautjagd
Aus dem Englischen von Emi Ehm
beHEARTBEAT
Digitale Neuausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Copyright © Georgette Heyer, 1928
Die Originalausgabe THE MASQUERADERS erschien 1928 bei William Heinemann.
Copyright der deutschen Erstausgabe:
© Paul Zsolnay Verlag GmbH, Hamburg/Wien, 1968.
Lektorat/Projektmanagement: Kathrin Kummer
Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung eines Motives © Richard Jenkins
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar
ISBN 978-3-7325-5900-8
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Vor einer Stunde hatte es zu regnen begonnen, feinen Sprühregen unter grauem Himmel. Der neben der Kutsche reitende Herr betrachtete die Wolken gelassen. »Fürwahr, ein wunderbares Klima«, bemerkte er zu niemandem im Besonderen.
Der grau melierte Diener, der einige Schritte hinter ihm ritt, spornte sein Pferd an und kam heran. »Am besten, wir kehren über Nacht ein, Sir«, brummte er. »Ein, zwei Meilen weiter vorn gibt’s einen Gasthof.«
Das Kutschenfenster wurde klappernd heruntergelassen, und eine Dame schaute heraus. »Kind, du wirst ja ganz nass«, sagte sie zu ihrem Begleiter. »Wie weit ist es denn noch bis Norman Cross?«
Der Diener ritt an die Kutsche heran. »Noch eine Stunde, Ma’am. Ich sagte gerade, am besten, wir kehren über Nacht ein.«
»Ich möchte lieber heute noch bis Norman Cross kommen«, sagte der Herr, »obwohl dieser Regen widerwärtig ist.«
»Soweit ich mich erinnere, gibt es hier ganz in der Nähe einen Gasthof«, wiederholte der Diener, sich an die Dame wendend.
»Ahrs en avant. Her mit dem Gasthof«, sagte die Dame. »Gratuliere dir zu deinem geliebten England, Peter, mein Kleiner.«
Der junge Herr lachte. »Oh Kate – und es ist doch trotz allem ein tröstlicher Flecken Erde.«
Bald kam der Gasthof in Sicht, ein vierkantiges weißes Haus, das durch die Dämmerung schimmerte. Die Fenster waren erleuchtet, und im Hof vor dem Haus stand eine Postkutsche.
Der Herr ließ sich leicht aus dem Sattel gleiten. Er war mittelgroß und hatte eine gute Haltung. Die schönen Beine steckten in eleganten Reitstiefeln, die schlanken Hände in bestickten Reithandschuhen.
Im Gasthof wurde es sofort lebendig. Ein Stallknecht kam herbeigerannt; mit einer Verbeugung und einem Kratzfuß tauchte der Wirt in der Einfahrt auf, und ein Lohndiener eilte herbei, um beim Niederlassen des Kutschentritts behilflich zu sein.
»Zwei Schlafzimmer, für mich und für meine Schwester«, sagte der Herr. »Abendessen und ein Extrazimmer.«
Der Wirt machte ein bestürztes Gesicht. »Schlafzimmer, Sir, ja – sofort! Polly, die beiden besten Schlafzimmer, und einheizen!« Ein Dienstmädchen lief hastig davon. »Sir, aber das Extrazimmer –!« Der Wirt verneigte sich und breitete bedauernd die Hände aus: »Das, Sir, wurde soeben bestellt – von einer Dame und einem Herrn, die nordwärts reisen.« Er sah listig drein und schlug die Augen nieder. »Aber sie bleiben nur zum Abendessen, Sir, und wenn sich vielleicht Euer Gnaden und die Dame herabließen, im Kaffeesalon –? Heute Abend dürfte wohl kaum mehr jemand kommen, und ich versichere Ihnen, Sie werden ungestört bleiben.«
Röcke rauschten. Mylady, eine Hand auf die Schulter ihres Dieners gestützt, entstieg der Kutsche. »Ganz gleich, ob Kaffeesalon oder sonst irgendein Zimmer, nur dass ich aus dieser Nässe komme!«, rief sie und fegte in den Gasthof, von ihrem Kavalier gefolgt.
Sie befanden sich gleich darauf in einem großen, behaglichen Zimmer. Der Tisch war gedeckt, im Kamin brannte ein Holzfeuer. Im Hintergrund führte eine Tür auf einen Gang, wo sich eine steile Treppe befand, seitlich führte eine zweite Tür in den Schankraum.
Ein schmuckes Mädchen im Putzhäubchen brachte zusätzliche Kerzen und knickste schüchtern vor der Dame. »Bitte, Mylady, soll ich den Mantel Eurer Gnaden mitnehmen? Die Kammerzofe Eurer Gnaden ...«
»Ach, dieses Wesen ist überhaupt nicht mitgekommen!«, sagte Madam Kate klagend. »Trage Sie den Mantel in mein Zimmer, Kind. Hier!« Sie streifte die Kapuze ab und knüpfte die Bänder unter ihrem Kinn auf. Sie hatte den Mantel dem Dienstmädchen übergeben und stand nun in einem blauen, über einen weiten Reifrock gebreiteten Taftkleid da. Sie trug die blonden Ringellocken en demie toilette, ohne Puder, nur von einem blauen Band gebändigt; einige Locken fielen lose auf die Schulter. Das Dienstmädchen hielt sie für eine wunderbar liebliche Dame und knickste noch einmal, bevor es mit dem Mantel hinaushuschte.
Madam Kates Bruder übergab seinen Dreispitz der Obhut seines Dieners und schälte sich aus seinem Mantel. Er war ebenso groß wie seine Schwester, vielleicht sogar etwas größer, und sah ihr sehr ähnlich. Sein Haar war von dunklerem Blond und im Nacken sittsam mit einem schwarzen Zopfband zusammengefasst, seine Augen schienen im Kerzenlicht mehr grau als blau zu sein. Er wirkte sehr jung, denn die Wangen waren, bis auf den leichtesten Hauch, bar allen Flaums; er hatte breite Schultern und ein gut geformtes Kinn, zwar rund, aber dennoch energisch. Der Wirt, der ihm in den Kaffeesalon folgte, strömte über vor Entschuldigungen und Beteuerungen, denn er erkannte in ihm einen Angehörigen der vornehmen Welt. Die Dame trug ein schönes Taftkleid, Mr Merriot eine modische Jacke aus braunem Samt mit Goldtresse und einer Menge Brüsseler Spitzen an Hals und Handgelenken. Alles in allem ein hübsches Paar mit der ungezwungenen Art der Vornehmen und einem humorvollen Ausdruck um die Augen, der beide einander sehr ähnlich machte. Der Wirt pries seine Kapaune und seinen besten Burgunder und wurde auch gleich ausgesandt, beides herbeizuholen.
Miss Merriot setzte sich ans Feuer und streckte ihre Füße der Wärme entgegen. Sie trug Schnallenschuhe mit roten Absätzen und Seidenstrümpfe mit wunderbar gestickten Streifen. »Das wär’s!«, sagte Miss Merriot. »Wie fühlst du dich, mein Peter?«
»Ich dürfte in einem Regenschauer wohl nicht gleich zergehen«, sagte Peter, setzte sich auf den Tischrand und wippte mit einem Bein auf und ab.
»Nein, wahrhaftig – dazu ist zu viel von dir vorhanden.«
Der junge Herr ließ ein volles, vergnügtes Lachen hören. »Ich bin wirklich ziemlich handfest«, bemerkte er. Er zog eine goldene, emaillierte Schnupftabakdose aus der einen seiner beiden riesigen Jackentaschen und entnahm ihr elegant eine Prise, wobei er die Spitzenmanschetten vom Handgelenk zurückschüttelte. An einem der schlanken Finger glühte ein Rubinring, an der anderen Hand trug er einen großen goldenen Siegelring. Ein Lächeln schlich sich in seine Augen und lauerte um die Mundwinkel. »Ich gäbe etwas darum, wenn ich wüsste, wo der Alte Herr steckt«, sagte er.
»Bestimmt in Sicherheit, könnte ich wetten«, antwortete Madam und lachte. »Ich glaube, er ist der Teufel in Person und wird in London auftauchen, um allen Mannen König Georgs direkt vor der Nase ein Schnippchen zu schlagen.«
»Pfui, Kate – mein armer, ehrbarer Papa!« Mr Merriot schien jedoch alles andere als empört zu sein. Er ließ seine Tabakdose zuschnappen und steckte sie wieder ein. Eine leichte Falte zeichnete sich zwischen seinen Brauen ab. »Obwohl er London tatsächlich einmal erwähnte – weiß Gott, das sähe seiner Unverschämtheit ähnlich! –, ist es eher wahrscheinlich, dass er nach Frankreich gegangen ist.«
»Ich erlaube mir nicht, allzu viel zu erhoffen«, sagte Miss Merriot mit einem verträumten, zugleich jedoch schelmischen Lächeln. »Er wird an Ort und Stelle sein, um uns wieder einen seiner verrückten Tänze aufzuführen. Falls nicht ... hätte ich gute Lust, unser Glück auf eigene Faust zu versuchen.«
»Ehrlich gesagt habe ich eine Schwäche für den Alten Herrn«, sagte Mr Merriot nachdenklich. »Seine Tänze führen doch immer zu etwas.«
»Zu einer verlorenen Sache.« In Kates Tonfall lag eine Spur Bitterkeit.
Mr Merriot blickte auf. »Du hast es dir also doch zu Herzen genommen.«
»Keineswegs.« Kate zuckte die Schultern, als wollte sie etwas abschütteln. »Wir haben uns darauf eingelassen – bei Gott, warum haben wir uns eigentlich darauf eingelassen?«
»Das frag den Alten Herrn«, sagte Mr Merriot, und wieder schlich sich das schelmische Lächeln ein. »Wahrscheinlich beseelte ihn – glühende Treue.«
Kate verzog den Mund. »Ein erfreuliches Bild. Ich könnte schwören, es sollte seinerseits wohl eine beau geste sein. Und wir? Nun, ich vermute, wir sind ihm wohl oder übel ins Netz gegangen.«
»Ich bedauere es nicht. Zwar mischte sich der Alte Herr in Saxes Angelegenheiten, aber letzten Endes sind wir dem Netz ja auch wieder entronnen.«
»Das lag in der Natur des Abenteuers. Das hier jedoch –« Kate schwieg. »Bah, ich hasse es, eine Sache zu verlieren! Es war etwas anderes.«
»Findest du?« Mr Merriot hob eine Braue. »Wolltest du denn den Prinzen wirklich auf dem Thron sehen, Kate?«
»Wir kämpften für ihn, solange er uns brauchte. Er hatte das Recht auf seiner Seite. Jetzt aber ist es vorüber; der Schlächter hat aus dem Norden einen Trümmerhaufen gemacht – und dann darfst du diejenigen nicht vergessen, die auf dem Tower Hill gestorben sind, während wir – wir unser Schicksal versuchen und der Alte Herr ein neues Netz für uns knüpft. Ich glaube, ich werde ehrbar werden.«
»Oh weh – wir wurden zur Besonnenheit geschaffen!«, sagte Mr Merriot.
Der Wirt und ein Dienstmädchen kamen mit dem Abendessen herein. Gedecke wurden aufgelegt, eine Flasche entkorkt. Miss Merriot und ihr Bruder setzten sich zu fetten Kapaunen und einer üppigen Fleischpastete nieder. Bald darauf wurden sie allein gelassen, um in Ruhe bei Nachspeise und Wein noch ein wenig zu plaudern. Das Mädchen trug, was von den Kapaunen übrig geblieben war, durch die Tür hinaus, die in den Gang führte. Sie ließ sie einen Spalt offen, sodass der Blick auf eine zweite Tür im Gang gegenüber fiel. Hinter dieser ertönte eine protestvoll erhobene Damenstimme.
»Ich sage Ihnen, ich tu’s nicht!«, sagte sie. »Ich tu’s nicht!« Dann kam der Klang einer tieferen Stimme, halb überredend, halb einschüchternd; daraufhin rief die Dame hysterisch, im Ton panischen Entsetzens: »Ich fahre nicht mit Ihnen! Sie können nicht gegen meinen Willen mit mir durchbrennen! Bringen Sie mich heim! Oh, bitte, Mr Markham, bringen Sie mich heim!«
Miss Merriot warf ihrem Bruder einen bedeutungsvollen Blick zu. Er stand auf, ging gemächlich zur Tür und blieb dort lauschend stehen.
Die Männerstimme war jetzt zornig laut. »Bei Gott, Letty, du wirst mich nicht zum Narren halten!«
Es folgte ein Krach hinter der geschlossenen Tür, als hätte eine Faust auf den Tisch geschlagen, dann kam ein ersticktes, flehendes Murmeln.
»Nein!«, bellte die Stimme des Mannes. »Und wenn ich dich knebeln muss, du fährst mit mir nach Gretna, Letty! Glaubst du, ich bin dumm genug, dich mir jetzt durch die Finger schlüpfen zu lassen?«
Mr Merriot wandte den Kopf. »Mein Liebes, ich glaube, der laute Herr gefällt mir nicht«, sagte er ruhig.
Madam Kate lauschte einem Aufschrei: »Mein Papa wird kommen! Ich werde Sie nicht heiraten, oh, ich werde es nicht tun!« Kate runzelte die Stirn. Ein derbes Gelächter ließ sich hören. Offenkundig hatte der Herr getrunken. »Ich glaube doch«, sagte er bedeutungsvoll.
Miss Merriot biss an einem Fingernagel herum. »Mir scheint, Peter, da müssen wir einschreiten.«
Peter sah kläglich drein und rückte den Degen etwas aus der Scheide.
»Nein, nein, Kind, lass den stecken!«, sagte Madam lachend. »Wir kennen einen doppelt so guten Trick. Zuerst aber müssen wir den Fuchs aus dem Bau locken.«
»Du bleibst da«, sagte der Bruder, ging in den Hof und rief nach John, seinem Diener. John kam herbei.
»Wem gehört die Postkutsche, John?«, erkundigte sich Mr Merriot.
Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. »Einem Mr Markham, Sir, der anscheinend mit einer reichen Erbin nach Gretna Green durchbrennt«, sagte John. »Und dabei ist sie noch keine zwanzig. Da steckt eine Schlechtigkeit dahinter!«
»Johns Anstandsgefühl ist verletzt«, murmelte Miss Merriot. »Wir werden es lenken, John, da Gott es anscheinend nicht tun will. Wir müssen einen gehörigen Wirbel veranstalten!«
»Es wäre besser, sich nicht einzumischen«, sagte John phlegmatisch. »Wir haben uns ohnehin schon in genug Sachen eingemischt.«
»Feuer schreien«, sagte Mr Merriot nachdenklich. »Feuer – oder Räuber. Und wo liege ich auf der Lauer?«
»Oh, du hast dieselbe Idee wie ich?«, sagte Kate bewundernd. »Verschaff mir ein Feuer, John, oder eine Bande kühner Straßenräuber, und mach den Stallknechten Beine.«
John seufzte tief auf. »Den Trick haben wir schon einmal ausgespielt. Werdet ihr nie Ruhe geben?«
Mr Merriot lachte. »Hier ist eine Schöne in Nöten, John, und Kate muss einfach los und etwas für sie tun.«
Er wurde nur eines Knurrens und der Spur eines grimmigen Lächelns gewürdigt. John ging hinaus. Gleich darauf gab es im Hof einen Schrei, Feuerschein und sofort einsetzenden Aufruhr.
»Jetzt möchte ich nur wissen, wie er dieses Feuer zustande gebracht hat«, meinte Miss Merriot amüsiert.
»Es ist ein Schuppen und etwas Stroh draußen. Das genügt John. Wirklich ein sehr schöner Aufruhr.« Mr Merriot ging zum Fenster. »Der Wirt führt den Haushalt in voller Stärke hinaus. Das Holz ist so feucht, dass es im nächsten Augenblick verlöschen wird. Spiel deine Rolle, Schwester.« Mr Merriot verzog sich in den leeren Schankraum.
Miss Merriot trug zu der Aufregung ein Aufkreischen bei, dem sofort ein zweites folgte, und dann der Schrei: »Feuer, Feuer! Hilfe, oh, Hilfe!«
Die Tür auf dem Gang gegenüber wurde aufgestoßen, und ein dunkelhaariger Herr kam heraus. »Was, in Teufels Namen ...?«, begann er. Sein Gesicht war hübsch, in der Art der Dunkelhäutigen, jetzt aber vom Wein gerötet. Sein Blick fiel auf Miss Merriot, und Brandgeruch attackierte seine Nase. »Was soll der Lärm? Himmel, brennt das Haus?« Er kam rasch in den Kaffeesalon und – empfing Miss Merriot in seinen unwilligen Armen. Miss Merriot stieß geschickt ihren Stuhl um, und mit einem stöhnenden »Retten Sie mich!«, brach sie an Mr Markhams Brust zusammen.
Er hielt die schlaffe Gestalt gezwungenermaßen fest und fand, dass sie eine recht drückende Last auf seinem Arm war. Seine Gefährtin, ein schlankes Kind von keinen achtzehn Jahren, lief zum Fenster. »Oh, es ist nur ein alter Schuppen dort rechts, der Feuer fing!«, sagte sie.
Mr Markham bemühte sich, die ohnmächtige Miss Merriot zu sich zu bringen. »Fassen Sie sich, Madam! Um Gottes willen keine Hysterie! Es besteht keine Gefahr. Verflucht, Letty, heb den Stuhl auf!«
Miss Letty eilte vom Fenster zu Miss Merriots umgefallenem Stuhl. Mr Markham hielt die bewusstlose Dame fest umschlungen, und die Wut über seine missliche, hilflose Lage trug zu der ohnehin schon satten Farbe seines Gesichts noch bei.
»Der Teufel hole diese Person, sie wiegt eine Tonne!«, fluchte Mr Markham. »Heb den Stuhl auf, sage ich!«
Miss Letty bückte sich, um den Stuhl aufzuheben. Sie hörte hinter sich eine Tür aufgehen und sah, als sie sich umdrehte, Mr Merriot.
Plötzlich wurde Miss Merriot lebendig. Mit großen Augen sah Miss Letty, dass diese Dame nicht länger leblos war, sondern offensichtlich kämpfte, um von Mr Markham loszukommen.
Im Nu hatte Mr Merriot die kurze Entfernung zurückgelegt.
»Lassen Sie meine Schwester los, Sir!«, schrie er in wundervoller Wut.
Miss Merriot wurde weggestoßen. »Himmelherrgott, sie hat sich doch selbst ...«, begann Mr Markham. Weiter kam er jedoch nicht. Sein Kinn kam in plötzliche Berührung mit Mr Merriots Degengriff, säuberlich platziert, und Mr Markham plumpste schwer mitten zwischen die Tischbeine.
»Oh, sauber, sauber, meine Güte!«, schwor Miss Merriot. »So wahr ich lebe, der ist zu Boden gegangen wie ein Ochs! Setz die Kutsche in Fahrt, Peter, und Sie, Kind, hinauf mit Ihnen in mein Zimmer.«
Miss Lettys Hand wurde mit festem Griff gepackt. Völlig verblüfft wurde sie von der tüchtigen Miss Merriot fortgewirbelt.
Miss Merriots Bruder steckte den Degen ein und ging in den Hof hinaus. John schien aus dem finsteren Nichts aufzutauchen und kam ihm entgegen. »Alles in Ordnung, Sir?«
Mr Merriot nickte. »Wo ist die Kutsche des lieben Herrn, John?«
John deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Angespannt?«, fragte Mr Merriot.
»Ja, zur Abfahrt bereit. Die Leute sind im Schankraum – ausgedörrt nach dem großen Brand. Ein Stallknecht hält die Pferde.«
»Ich will diesen Stallknecht nicht dort haben«, sagte Mr Merriot. »Fahr die Kutsche über Stilton hinaus, John, und versteck sie irgendwo, wo der Herr sie nicht allzu bald finden kann.«
»So? Eine Kutsche und Pferde verstecken, ja?«, knurrte John.
»Ja, John«, sagte Mr Merriot heiter. »Sag diesem Stallknecht, dass ich augenblicklich ein Pferd gesattelt haben will. Eines unserer eigenen, wenn es sein muss. Ich werde den lieben Herrn hinter dir herhetzen, John. Gott beflügle dich.«
»Ah, ein verrücktes Paar, ihr beide!«, sagte John, ging jedoch zu der Stelle, wo die Lichter der Kutsche blinkten. Mr Merriot hörte, wie er dem Stallknecht den Befehl übermittelte und ihm anbot, die Pferde für ihn zu halten. Er hörte den Stallknecht zu den Ställen laufen und kehrte gelassen lächelnd in den Kaffeesalon zurück.
Miss Merriot war wieder die Treppe heruntergekommen, stand nun neben dem zu Boden gestürzten Mr Markham und betrachtete ihn ruhig. »Na, Peter, alles verrichtet?«, fragte sie.
Hufgeklapper und Rädergerumpel auf dem Kopfsteinpflaster beantworteten ihre Frage. John war auf und davon; sie hörten die Kutsche auf der Straße nach London dahinrollen, Miss Merriot lachte und machte ihrem Bruder einen spöttischen Knicks. »Mein Kompliment. Du hast wirklich Köpfchen. Und was können wir jetzt für den armen Herrn da tun? Wasser, mein Peter, und eine Serviette. Pass auf, wie besorgt ich sein kann.« Sie sank in die Knie und bettete Mr Markhams Kopf in ihren Schoß. Wieder lachte Mr Merriot vergnügt, als er ihr das Wasser und die Serviette reichte.
Der Wirt kam hereingelaufen und starrte entsetzt auf das, was er da sah. »Sir – Madam! Die Kutsche des Herrn ist weg! Oh Himmel, Madam! Der Herr –?«
»Ist sie weg?« Mr Merriot zeigte sich interessiert. »Ei, ei! Und die Dame wahrscheinlich drin?«
Dem Wirt blieb der Mund offen. »Ja, das wird’s sein! Aber was ist denn dem Herrn passiert, Sir? Guter Gott, sagen Sie ja nicht ...«
»Der arme Herr!«, sagte Miss Merriot und drückte die nasse Serviette an Mr Markhams Stirn. »Ich möchte schwören, der Trunk hat ihm den Kopf verdreht. Ein Unfall, Wirt. Er wird schon nicht dran sterben.«
»Eine Warnung für alle Entführer«, sagte Mr Merriot fromm.
In den Augen des Wirts glitzerte Verständnis auf. »Sir, er wird toben, wenn er zu sich kommt.«
»Eine Warnung für Ihn, mein Guter, nicht dabei zu sein«, sagte Mr Merriot.
Seine Stimme hatte einen bedeutsamen Klang. Dem Wirt dämmerte, dass es, je weniger er von der Sache wusste, umso besser für ihn wäre, nach allen Seiten hin gesehen. Als Mr Markham ein Stöhnen hören ließ, ging er diskret hinaus. Mr Markham kam langsam zu sich und öffnete mühsam die Augen. Er erinnerte sich nicht sofort an alles, war sich jedoch seines geschwollenen Kiefers bewusst, der ihm schmerzte. Eine kühle Hand lag auf seiner Stirn, und etwas Nasses wurde auf sein wundes Kinn gelegt. Stöhnend verdrehte er die Augen aufwärts und gewahrte ein schönes, von goldenen Ringellocken eingerahmtes Gesicht über sich geneigt. Er starrte zu ihm auf, versuchte, seinen benommenen Verstand zu sammeln, und vage schien ihm, dass er dieses Gesicht mit den schönen, leicht ironischen blauen Augen und dem seltsam festen Kinn schon einmal gesehen hatte. Er blinzelte, verzog die Stirn in dem Bemühen, sich zusammenzureißen, und sah den zarten Mund lächeln.
»Gott sei Dank, es geht Ihnen besser!«, sagte eine gurrende Stimme. »Ich habe Todesängste ausgestanden! Lieber Sir, ich bitte Sie, bleiben Sie ganz ruhig liegen; es war ein grausamer Schlag, und oh, welch ein Missverständnis! Peter, ein Glas Wein für den Herrn! Da, Sir, lassen Sie mich nur Ihren Kopf heben.«
Mr Markham ließ es gezwungenermaßen zu und nippte an dem Wein, der ihm an die Lippen gehalten wurde. Etwas von dem Nebel in seinem Gehirn verzog sich. Er stützte sich auf den Ellbogen und blickte um sich.
»Oh, es geht Ihnen viel besser!«, flötete die Stimme. »Aber sachte, Sir! Ich flehe Sie an, übernehmen Sie sich nicht.«
Mr Markhams Blick blieb schließlich auf einer geblümten Weste hängen. Er hob die Hand an den Kopf, und seine Augen wanderten langsam von der Weste zu Mr Merriots ernstem Gesicht empor. Mr Merriot hatte sich, das Weinglas in der Hand, auf ein Knie niedergelassen; Mr Merriot heuchelte tiefe Besorgnis.
Die Erinnerung kam zurück. »Verdammt, Sie sind der Bursche –« Mr Markhams Hand fuhr an seinen Unterkiefer; er starrte Peter Merriot wütend an. »Haben Sie – bei Gott, Sir, haben Sie –?«
»Lassen Sie sich auf einen Stuhl helfen, Sir«, sagte Mr Merriot sanft. »Sie sind wirklich sehr mitgenommen, und das ist auch kein Wunder. Sir, ich kann Sie nicht genug um Entschuldigung bitten.«
Mr Markham stand jetzt auf den Beinen, benommen und verwirrt.
»Haben Sie mich niedergeschlagen, Sir? Antworten Sie!«, keuchte er.
»Ach, Sir, ja!«, sagte Mr Merriot. »Ich kam herein und entdeckte, dass meine Schwester, wie ich meinte, in Ihren Armen kämpfte. Können Sie mich darum tadeln, Sir? Meine Tat erfolgte im Impuls des Augenblicks!«
Mr Markham wurde auf einen Stuhl gesetzt. Er rang nach Worten, die Hand noch immer an seinem Unterkiefer. »Kämpfte?! Sie warf sich in einem Ohnmachtsanfall auf mich!«, rief er heftig.
Miss Merriot kniete mit der Serviette in der Hand zu seinen Füßen. Mr Markham stieß sie mit einem ohnmächtigen Knurren beiseite. »Sie sind mit Recht böse, Sir«, seufzte Miss Merriot. »Es war alles meine Torheit, aber, oh Sir, als der Wirbel losging und sie draußen Feuer schrien, wusste ich kaum, was ich tat!« Ihr blonder Kopf war bescheiden in Verwirrung gesenkt.
Mr Markham beachtete sie nicht. »Sie tadeln? Sie tadeln? Und ob ich das kann, Sir!«, sagte er wütend. »Ein verdammter kleiner Hund, der – der –« Die Worte fehlten ihm; er saß da, hielt sein Kinn und schäumte vor Wut.
Mr Merriot sagte von oben herab: »Sie sind aufgebracht, Sir, und, wie ich glaube, aus verzeihlichen Gründen. Daher beachte ich nicht, was Sie sagen. Ich habe Sie um Entschuldigung gebeten für einen – wie ich behaupte, verständlichen – Irrtum, den ich begangen habe.«
»Junger Hund«, fuhr ihn Mr Markham an und stürzte den Rest des Weins hinunter. Das schien ihn wiederherzustellen. Er erhob sich unsicher, und sein hitziger Blick schoss wieder durchs Zimmer. »Letty!«, stieß er hervor. »Wo ist das Mädchen?«
»Lieber Herr, Sie sind wirklich noch nicht bei sich!« Miss Merriot legte ihm beruhigend die Hand auf den Arm. »Außer mir gibt es hier kein Mädchen.«
Sie wurde abgeschüttelt. »Kein Mädchen, sagen Sie?«, brüllte Mr Markham und torkelte zu dem gegenüberliegenden Zimmer im Gang. »Letty!«, brüllte er. »Letty, sage ich! Himmelherrgott, ihr Mantel ist weg!« Er kam zurück, das Gesicht vor Wut und Verdacht dunkelrot angelaufen, und packte Mr Merriots straffe Schulter. »Heraus damit! Wo ist sie? Wo haben Sie sie versteckt? Mich werden Sie nicht hinters Licht führen, mein feiner Herr!«
Miss Merriot, die sich wachsam in der Nähe gehalten hatte, warf sich zwischen die Männer und klammerte sich an ihren Bruder. »Nein, nein!«, rief sie. »Keine Degen, ich flehe Sie an! Sir, Sie fantasieren! Es gibt kein Mädchen hier, das ich gesehen hätte.«
Mr Merriot schob seine Schwester beiseite. »Aber halt!«, sagte er langsam. »Soviel ich mich erinnere, war eine Dame im Zimmer, als ich hereinkam. Ein schwarzhaariges Kind. Meine Schwester war überreizt, Sir, und hat es wahrscheinlich vergessen. Ja, eine Dame war da.« Er blickte suchend herum, als erwartete er, sie in irgendeinem Winkel hocken zu sehen.
»Verdammt, das nützt Ihnen nichts!«, schrie der wütende Mr Markham, ging mit langen Schritten zur Tür des Schankraums und brüllte nach dem Wirt.
Dieser kam, mit einem unbehaglichen Ausdruck im Gesicht, schnell herbei. Als Antwort auf Mr Markhams wütende Frage sagte er nervös, in der Panik des Brandes sei jemand mit der Kutsche Seiner Ehren davongefahren, und er zweifle kaum, dass die Dame darin saß.
Mr Markham fuhr herum, sah Peter Merriot an, und in seine Augen trat ein roter Schimmer, während seine Hand an seinem Degengriff herumtastete. »Ah, das haben Sie zu verantworten!«, knurrte er.
Mr Merriot, der eben eine Prise nehmen wollte, hielt inne. »Wie bitte, Sir?«, fragte er etwas überrascht. »Eine Dame, die in Ihrer Postkutsche davonfuhr, und ich soll das zu verantworten haben? Ich verstehe Sie nicht, Sir. Wer ist die Dame, und warum sollte sie sich auf diese Weise davonmachen? Das ist denn doch recht ungehobelt von ihr, behaupte ich.«
Mr Markham schien unentschlossen. »Das geht Sie nichts an«, sagte er wütend. »Aber wenn ich entdecke, dass Sie es waren, der das bewerkstelligt hat – wohin fuhr die Kutsche?«
»Nach – auf London zu, Sir«, antwortete der Wirt nervös. »Aber das ist nur das, was Tom sagt. Ich habe es nicht selbst gesehen, wirklich, Sir ...«
Mr Markham sagte etwas zwischen den Zähnen, worauf der Wirt einen entsetzten Blick auf Miss Merriot warf. Die Dame blieb jedoch ungerührt.
»Sattelt mir sofort ein Pferd! Wo ist mein Hut?«
Mr Merriot dämmerte etwas. »Du liebe Güte, eine Entführung, Kate! Wahrhaftig, Sir, mir scheint, mein – äh – Ungestüm kam wirklich zur Unzeit. Natürlich ein Pferd! Sie dürften die Kutsche recht bald einholen. Ein Pferd für den Herrn!« Mr Merriot stob in den Hof hinaus, den Wirt vor sich herdrängend.
»Es ist bereits gesattelt, Sir, aber Tom sagt, der Herr hat es schon vor bald einer halben Stunde angeschafft«, sagte der verdutzte Wirt.
»Gesattelt und bereit, eh? Dann schau Er dazu, dass es an die Tür herangeführt wird, denn der Herr hat es eilig.«
»Ja, Sir, aber wie kommt es, dass das Pferd schon bestellt wurde, während der Herr noch wie ein Toter dalag?«
»Bestellt? Eine List, Mann, eine List und Sein Diener sehr wahrscheinlich im Sold der Dame. Am besten, Er hält den Mund. Ah, siehe den schmerzlich beraubten Herrn!«
Mr Markham stapfte heraus, den Hut tief in die Stirn gezogen, und es gelang ihm, sich mithilfe zweier verschreckter Stallknechte in den Sattel zu schwingen. Er nahm die Zügel auf, drehte sich um, starrte finster auf Mr Merriot hinunter. »Mit Ihnen rechne ich später ab«, versprach er wütend, spornte sein Pferd an und stürmte in die Finsternis davon.
Miss Merriot kam heraus und legte dem Bruder eine Hand auf die Schulter. »Der liebe Herr!«, bemerkte sie. »Sehr schön, Peter – aber was kommt jetzt?«
Bruder und Schwester gingen in den Kaffeesalon zurück. Als sie ihn durch die eine Tür betraten, kam eine kleine Gestalt auf Fußspitzen zur anderen herein und blieb auf einer Zehe balancierend stehen, als wollte sie sofort wieder flüchten. »Ist er weg?«, hauchte Miss Letitia.
Peter Merriot trat vor und ergriff die Hand der Dame. »Ja doch, Kind, für den Augenblick – weg«, sagte er und führte sie zum Kamin.
Sie schlug ein Paar großer, stiefmütterchenbrauner Augen zu ihm auf. »Oh, ich danke Ihnen, Sir!«, sagte sie. »Und auch Ihnen, liebe Madam.«
Miss Merriot errötete leicht, worauf wieder der humorvolle Blick in Peters Augen trat. Er blickte ernst auf Miss Letty nieder und zog einen Stuhl herbei. »Setzen Sie sich, Madam, und lassen Sie uns die Geschichte hören, bitte. Ich möchte gerne wissen, wie wir Ihnen dienlich sein dürfen.«
»Das waren Sie schon«, schwor die Dame und faltete die Hände im Schoß. »Meine Geschichte ist die reinste Torheit, Sir – eine bösartige Torheit, die sich jedoch aus schrecklichster Verfolgung ergab.«
»Sie entsetzen mich, Madam.«
Miss Merriot kam zum Kamin und setzte sich neben die kleine Dame, die prompt ihre Hand ergriff und sie küsste. »Ich weiß nicht, was ich ohne Sie angefangen hätte!«, rief sie inbrünstig. »Denn ich hatte fest entschieden, dass ich gar nicht nach Gretna Green fahren wollte. Sehen Sie, ich hatte ihn noch nie vorher betrunken gesehen. Es war ein schreckliches Erwachen. Er wurde völlig anders, sobald wir außerhalb Londons waren, und – und ich bekam Angst – ein bisschen.« Sie sah errötend auf. »Wissen Sie, wenn ich ihn daheim sah, war er so ganz anders.«
»Verstehe ich richtig, meine Liebe, dass Sie zustimmten, mit dem Herrn durchzubrennen?«, erkundigte sich Miss Merriot.
Miss Letitia nickte so heftig, dass die schwarzen Locken flogen. »Ich dachte, es würde so romantisch werden«, seufzte sie. Dann strahlte sie auf. »Und das wurde es auch, als Sie ihm den Schlag versetzten«, fügte sie, an Peter gewandt, hinzu. »Es war entschieden wunderbar!«
»Sie sind nur der Romantik wegen mit ihm durchgebrannt?«, fragte Mr Merriot amüsiert.
»Deshalb und wegen meines Papas«, sagte Letty. »Und weil ich mich gelangweilt habe. Oh, haben Sie es nie kennengelernt, Ma’am, wie das ist, eingesperrt zu sein und so streng bewacht zu werden, dass Sie vor Langeweile fast zu sterben bereit sind?«
»Aufrichtig gesagt habe ich bisher eine Art Seeräuberleben geführt«, sagte Miss Merriot. »Aber fahren Sie fort, Kind.«
»Ich bin eine Erbin«, verkündete Letty in düsterstem Ton.
»Meinen Glückwunsch, Ma’am«, sagte Mr Merriot mit einer Verbeugung.
»Glückwunsch! Ich wollte, ich wäre ein armes Weib, Sir! Sowie ein Mann ins Haus kommt, bildet sich Papa sofort ein, dass er nur hinter meinem Geld her sei. Das sagte er auch über Gregory Markham. Und ich glaube, er hatte wirklich recht«, sagte sie nachdenklich. »Ma’am, ich glaube, Väter sind – sind die reinste Plage.«
»Auch wir haben gelitten, Kind«, sagte Miss Merriot.
»Dann, Ma’am, werden Sie mit mir fühlen. Mein Papa stellte ein hassenswert unangenehmes Frauenzimmer als meine Duenna an, und ich bin so bewacht und behütet, dass mir nie etwas Amüsantes widerfährt, obwohl man mich nach London gebracht hat. Rechnen Sie zu alledem, Ma’am, noch Sir Anthony Fanshawe hinzu, und Sie werden einsehen, warum ich so weit gekommen bin, dass ich alles getan hätte, nur um wegzukommen!«
»Ich habe das Gefühl, dass wir Sir Anthony zu missbilligen haben, Kate«, sagte Mr Merriot.
»Es ist nicht so, dass ich ihn nicht gern hätte«, erklärte Letty. »Ich habe ihn schon immer gern gemocht, aber stellen Sie sich vor, Ma’am, wenn von einem verlangt wird, einen Mann zu heiraten, den man schon sein ganzes Leben lang kennt! Außerdem einen Mann von seinem Alter und seiner Veranlagung!«
»Sie scheinen mir wahrhaftig ein Opfer väterlicher Tyrannei zu sein, Kind«, sagte Miss Merriot. »Wir werden Sir Anthony der ewigen Verdammnis überantworten.«
Darüber musste Letty kichern. »Oh, niemals, Ma’am! Er ist das Muster aller Vorsicht und Tugenden! Und mindestens fünfunddreißig Jahre alt!«
Mr Merriot schnippte ein Stäubchen Schnupftabak von seinem Ärmel. »Und um diesem Graubart zu entfliehen, warfen Sie sich jenem jungen Adonis dort drüben an die Brust, nehme ich an?«
Miss Letty ließ den Kopf hängen. »Er – er ist auch nicht sehr jung, glaube ich«, gestand sie. »Und ich weiß, ich war sehr dumm und sehr schlecht. Aber ich habe ihn wirklich für viel, viel unterhaltsamer als Tony gehalten. Man kann sich um nichts in der Welt Tony aufgeregt oder in einer Klemme oder auch nur in Eile vorstellen. Und Gregory sagte so hübsche Sachen, und es war alles so romantisch, dass ich mich irreführen ließ.«
»Die Sache ist auch der minderbemitteltsten Intelligenz klar, Madam«, versicherte ihr Mr Merriot. »Ich empfinde in zunehmendem Maß den Wunsch, den phlegmatischen Sir Anthony kennenzulernen.«
Seine Schwester lachte. »Ja, der ist nach deinem Geschmack. Aber was ist unser nächster Schritt?«
»Oh, sie fährt mit uns nach London. Bitte, Ma’am, dürfen wir Ihren Namen erfahren?«
»Letitia Grayson, Sir. Mein Papa ist Sir Humphrey Grayson of Grayson Court im Gloucestershire. Er leidet an der Gicht. Vermutlich werden Sie ihn ohnehin bald sehen, denn ich habe einen Brief für ihn hinterlassen, und er müsste ihn eigentlich finden.«
»Demnach erwarten Sie seine Ankunft«, sagte Miss Merriot. »Das löst das Problem. Peter, bestell ein Schlafzimmer für Miss Grayson.«
Als Mr Merriot zur Tür schlenderte, wurde eine Hand vertrauensvoll in die Hand Kates geschoben.
»Bitte, wollen Sie mich Letty nennen?«, bat Miss Grayson schüchtern.
Mr Merriot an der Tür zog eine seltsame Grimasse und ging in den Schankraum.
Der Wirt hatte sich kaum von seiner sehr verständlichen Verblüffung über die Entdeckung erholt, dass sich der vermeintliche Flüchtling noch immer in seinem Haus befand, als das Geräusch einer Kutsche hörbar wurde, die ungewöhnlich rasch die Straße entlangholperte. Sie fuhr vor dem Gasthof vor, und im Licht der Lampen sah Mr Merriot seinen Diener herunterspringen. Er stieß einen leisen Pfiff aus. »Das dürfte der Herr Papa sein«, sagte er nachdenklich. »Auch Sein viertes Zimmer wird benötigt, Herr Wirt.« Er ging in den Kaffeesalon zurück und sah, dass Miss Letty bereits am Fenster stand und hinausspähte.
»Ihr Papa, wie ich glaube«, verkündete Mr Merriot.
»Ich fürchte, ja«, stimmte ihm Miss Letty zu. »Und doch – bei der Gicht, die ihn so sehr plagt – oh Gott! So wahr ich lebe, es ist Anthony!«
Miss Merriot warf ihrem Bruder einen belustigten Blick zu. »Und somit sind deine Wünsche in Erfüllung gegangen, mein Peter. Wir sind ganz Spannung, Letty.«
Mr Merriot stand neben Kates Stuhl und nahm eine Prise. Die Tür öffnete sich und ließ einen Herrn von hohem Wuchs ein, der sehr gemächlich hereinkam.
»Gott, das ist ja ein Mammut«, flüsterte Miss Merriot ihrem Bruder zu.
»Oh – bist du etwa eifersüchtig?«, erwiderte er.
Der groß gewachsene Herr blieb auf der Schwelle stehen und hob sein Monokel, durch das er milde den Raum überblickte. Er war wirklich ein sehr stattlicher Herr, mit breiten Schultern und schönen Beinen, und schien das ganze Zimmer zu beherrschen; er war zweifellos eine imposante Erscheinung. Seine Zopfperücke war von schlichtem Braun, den Hut trug er unter den Arm geklemmt. Zwar lugte der Griff seines Degens aus den Falten seines Mantels, in der Hand hielt er jedoch seinen Spazierstock.
»Der Herr dürfte verärgert sein«, murmelte Mr Merriot und betrachtete die Linien um seinen Mund und die straff gezogenen Wangenmuskeln.
»Ach herrje, woran du das nur erkennst, mein Lieber!«, sagte Miss Merriot staunend, die nur sah, dass die grauen Augen des imposanten Herrn ruhig und gelangweilt dreinblickten. Sie erhob sich mit vornehmer Miene und machte einen schwungvollen Knicks. Man durfte nicht zulassen, dass der Herr in dieser Weise den Raum beherrschte. Anscheinend war er es so gewöhnt. »Mach deinen Kratzfuß«, warf sie über die Schulter zurück. »Wir werden beobachtet.«
Der strenge Ausdruck um Sir Anthonys Mund verschwand. Er lächelte und ließ eine Reihe sehr ebenmäßiger weißer Zähne sehen. Mit ungezwungener Anmut verneigte er sich. »Madam, Ihr Gehorsamster! Sir, der Ihre!«
Mr Merriot nahm Miss Letty bei der Hand. »Erlauben Sie mir, Ihnen Miss Grayson zurückzuerstatten, Sir«, sagte er und überging einen empörten Protest seitens der Dame.
Sir Anthony bekundete keinerlei Wunsch, Miss Grayson in Empfang zu nehmen, die ihn trotzig anblitzte. Er lächelte noch immer, machte aber keinerlei Anstalten, ihre Hand zu ergreifen. »Du verdienst Prügel, Letty«, sagte er liebenswürdig.
Miss Grayson wurde rot. »Aber nein, Sir – haben Sie vielleicht Ihren Spazierstock zu diesem Zweck mitgebracht?«, wollte sie wissen.
»Nein, meine Liebe, aber ich wäre glücklich, dir diesbezüglich entgegenzukommen.«
Amüsiert ließ Peter Merriot sein vergnügtes Lachen hören. »Weiß Gott, ein strenger Freiersmann.«
»Sie sind – sehr rüde und – und – hassenswert!«, erklärte Miss Grayson wütend.
Sir Anthony legte seinen Spazierstock und Hut ab und zog den Mantel aus. Als interessiere er sich nicht weiter für Miss Grayson, zog er seine Tabakdose heraus, öffnete sie und bot sie Mr Merriot. Seine Hand war sehr weiß und schön geformt, wirkte aber dennoch so, als besäße sie einiges an Kraft. »Sir«, sagte er und lächelte träge, obwohl seine grauen Augen unter den schweren Lidern wachsam waren, »wollen Sie mir erlauben, Ihnen im Namen meines Freundes Sir Humphrey Grayson für Ihre Dienste an seiner Tochter zu danken.«
Mr Merriot nahm eine Prise. Graue Augen trafen graue; der humorvolle Ausdruck umspielte Mr Merriots Mund. »Gott, welche Feierlichkeit!«, sagte er. »Ich stehe Miss Grayson ganz zu Diensten.«
Miss Grayson vergaß ihre Würde. »Tony, es war wundervoll! Sein Degen war im Nu heraus, und ich dachte schon, er sei drauf und dran, ihn diesem grässlichen Markham hineinzurennen. Aber gerade als es so ungeheuerlich war, dass man es gar nicht in Worte fassen kann, schien die Spitze seines Degens aufwärts zu blitzen, und der Degengriff traf Markham am Kinn.« Sie führte es mit der kleinen Faust an ihrem eigenen hübschen Kinn vor. »Er ging nieder wie ein Klotz«, endete sie dramatisch. Ihr Blick fiel auf Miss Merriot, die neben dem Kamin Platz genommen hatte. »Und Miss Merriot war auch prachtvoll, Tony, denn sie tat so, als fiele sie ohnmächtig in Markhams Arme.«
Mr Merriot blickte etwas spöttisch auf seine Schwester hinunter. »Meine Liebe, ich stelle dich in den Schatten«, murmelte er. Dann wandte er sich wieder Sir Anthony zu.
»Und somit betrauern wir unseren abgereisten Freier. Aber sagen Sie, wo haben Sie meinen Diener John gefunden?« Er schenkte Wein ein und reichte dem imposanten Herrn ein Glas.
»In Stilton«, erwiderte Sir Anthony. »Kurz bevor ich meinen Freund Mr Markham erblickte. John bemühte sich, eine bespannte Kutsche zu verstecken, was meinen – hm – Verdacht erweckte. Er wurde dazu gebracht, sich mir anzuvertrauen.«
Mr Merriot betrachtete nachdenklich dieses kantige, schöne Gesicht. »Es würde mich interessieren, wie?«, sagte er, denn er kannte seinen John.
Ein eigenartig anziehendes Lächeln huschte über Sir Anthonys Gesicht. »Durch mein charmantes Benehmen vermutlich, Sir«, sagte er.
Vom Kamin her kam Gelächter. »Ich beginne Wohlwollen für diesen imposanten Herrn zu entwickeln«, bemerkte Miss Merriot zu niemandem im Besonderen. »Und haben Sie den ach so lieben Mr Markham auch getroffen, Sir?«
»Kaum, Madam. Ich möchte eher sagen, ich sah den lieben Mr Markham an mir vorbeiziehen – in einer Wolke von – Straßenschmutz, glaube ich.«
»Ob er Sie wohl gesehen hat?« Miss Merriots Augen strahlten vor Lachen.
»Ich bin fast davon überzeugt«, sagte Sir Anthony.
»Dann nehme ich an, dass wir seine Rückkehr nicht zu erwarten haben?« Miss Merriot hob wissend eine Braue.
»Wohl kaum, Madam«, sagte Sir Anthony gelassen.
Miss Merriot sah Miss Grayson an. »Also, Kind, ich muss sagen, mir gefällt der imposante Herr«, sagte sie. »Sir, haben Sie eigentlich schon gegessen?«
»Bisher hatte ich keine Zeit dazu, Madam, aber ich habe Grund zu der Hoffnung, dass der Wirt soeben das Abendessen für mich zubereitet.«
Höchst gelegen kam soeben der Wirt herein, die Kellnerin mit einem beladenen Tablett an den Fersen. Ein frisches Gedeck wurde aufgelegt, ein gebratenes Huhn vor Sir Anthony gestellt und eine neue Flasche entkorkt.
»Sie erlauben, Madam?« Sir Anthony verbeugte sich in Richtung Miss Merriot.
»Bitte, Sir, nehmen Sie Platz. Sie werden schon heißhungrig sein.«
»Ich gestehe, ich hasse es, mir mein Abendessen entgehen zu lassen«, sagte Sir Anthony und begann das Huhn zu zerlegen. »Wie Sie sehen, ist einiges von mir vorhanden, das erhalten werden will«, fügte er zwinkernd und mit einem Blick auf sein vornehmes Volumen hinzu.
Miss Grayson unterbrach Miss Merriots Gelächter. »Essen!«, stieß sie verächtlich hervor und klopfte ungeduldig mit dem Fuß auf den Boden. Sir Anthony ignorierte es. »Also Tony, ich muss schon sagen – da kommst du fast hundert Meilen weit her, um mich, wie ich annehme, zu retten, und jetzt hast du keine andere Sorge, als dass du dein Abendessen versäumt hast!«
»Dieser Gedanke hat mich die letzten zwanzig Meilen vollkommen in Anspruch genommen«, sagte Sir Anthony ungerührt.
»Und das, während ich in Gefahr war!«, rief Miss Grayson beleidigt.
Sir Anthony hob die Augen von seinem Huhn und blickte kühl zu ihr hinüber. »Oh, warst du in Gefahr?«, erkundigte er sich. »Meiner Meinung nach kam ich bloß her, um einer Indiskretion ein Ende zu setzen.«
»Gefahr! In den Händen eines solchen Ungeheuers!« Miss Grayson war empört. »Ich staune, Sir, dass Sie erst fragen müssen!«
Sir Anthony schenkte sich und Mr Merriot ein. »Meine liebe Letty«, sagte er, »du hast uns so häufig versichert, Mr Markham sei ein Vorbild aller Tugenden, dass ich dir die Ehre erwies, dein Urteil zu respektieren.«
Miss Grayson wurde puterrot und sah drein, als wollte sie gleich weinen. »Das hast du gar nicht, Tony! Du bist nur einfach – unangenehm. Und er ist kein Vorbild der Tugend. Er ist ein hassenswertes Scheusal – und du auch!«
»Pst, Kind, der Herr ist hungrig und wird sich wohler fühlen, sowie er sein Huhn gegessen hat«, sagte Mr Merriot.
»Ich bin kein Kind!«, fuhr Miss Grayson auf, war in einem Wirbel von Röcken weg und an Miss Merriots Seite. Aus der Obhut von Miss Merriots Arm rief sie in weinerlichem Trotz: »Und eher ginge ich mit jenem Ungeheuer nach Gretna Green, als Sie zu heiraten, Sir Tony!«
Sir Anthony blieb ungerührt. »Meine liebe Letty, glaube mir, wenn du diese Albernheit begangen hast, um meinen Höflichkeitsbezeugungen zu entfliehen, dann war das nicht im Geringsten nötig. Soweit ich weiß, habe ich dich nie gebeten, mich zu heiraten. Und ich habe auch nicht die geringste Absicht, es zu tun.«
Dieser Ausspruch riss Miss Graysons Kopf von Kates Schulter hoch. Großäugig und erstaunt sah sie Sir Anthony an, der intensiv mit einem Hühnerflügel beschäftigt war.
»Ich muss annehmen«, sagte Miss Merriot scharf, »dass der Herr ein Original ist.«
Mr Merriot wandte sich ab, um sein lachendes Gesicht zu verbergen. »Diese Familienarrangements –!«, sagte er.
»Aber – aber – Papa sagt –«, begann Miss Grayson. »Aber Tony – du willst mich gar nicht heiraten?«
»Nein«, sagte Sir Anthony. Miss Grayson blinzelte, schien jedoch nicht verletzt zu sein. »Warum nicht?«, fragte sie in naiver Neugierde.
Sir Anthony blickte auf, und in seinen Augen stand ein Zwinkern. »Ich vermute, Letty, weil ich nicht den richtigen Geschmack habe.«
»Hm!« Miss Grayson verdaute das schweigend. Dann machte sie sich von Kates Arm los und ging langsam zum Tisch. Sir Anthony erhob sich bei ihrem Herannahen und empfing eine kleine Hand in seiner großen. »Tony, wirst du das auch Papa sagen?«, fragte sie.
»Das habe ich ihm schon gesagt, meine Liebe.«
»Wie hat er es aufgenommen?«, fragte Miss Grayson ängstlich.
»Mit Fassung, Kind.«
»Bin ich froh!«, sagte Miss Grayson mit einem Seufzer der Erleichterung. »Wenn du mich nicht heiraten willst, Tony, dann kann ich beruhigt heimfahren. Ich kann dir sogar verzeihen, dass du so unangenehm bist.«
»Und ich«, sagte Sir Anthony, »kann mein Abendessen beenden.«
Auf ein Pochen an der Tür rief Miss Merriot: »Herein!« Mr Merriot betrat das große Schlafzimmer und ging zu dem Kamin, an dem Kate stand. Mr Merriot sah Kate an, eine Augenbraue hochgezogen, und sagte: »Na, mein Liebes, und hast du ihr auch einen Gutenachtkuss gegeben?«
Miss Merriot schleuderte die Schuhe von den Füßen und antwortete im selben Tonfall: »Was – und du hast dich schon von diesem imposanten Herrn getrennt?«
Mr Merriot blickte ins Feuer; langsam kamen ein Lächeln und die Spur eines Errötens.
»Gott, Kind!«, sagte Miss Merriot. »Hast du etwas für dieses Mammut übrig? Es ist ein höchst ehrbarer Herr, mein Lieber.«
Mr Merriot hob die Augen. »Ich glaube, ich möchte ihn nicht gern ärgern«, bemerkte er. »Aber ich würde ihm vertrauen.«
Miss Merriot begann zu lachen. »Sei ein Mann, mein Peter, ich flehe dich an!«
»Ach!«, seufzte Mr Merriot. »Ich fühle mich ganz als Frau.«
»Oh, Prue, meine Prue, er ist ein Whig mit ehrbarem Gemüt! Willst du ihn zum Gatten nehmen?«
»Du scherzt wohl, Robin. Stellst du dir vor, ich sei schon nach zweistündiger Bekanntschaft verliebt? Ah, du bist eifersüchtig, weil der Herr von so imposantem Wuchs ist. Habe ich es nicht schon gesagt?«
»Meine Größe kommt mir sehr zustatten. Ich glaube, nur kleine Männer haben Verstand. Mein Kompliment übrigens zu deiner Fechtkunst.«
»Der Alte Herr brachte mir wenigstens den einen oder anderen Trick bei, der es wert ist, ihn zu beherrschen«, sagte die Dame gelassen und zog den Jackenärmel hoch, um einen befleckten Hemdärmel vorzuweisen. »Das letzte Glas ging den Arm hinunter«, sagte sie lächelnd.
Ihr Bruder nickte. »Nun, für einen Abend hat es genug Arbeit gegeben«, bemerkte er. »Wir wollen sehen, was morgen geschieht. Ich wünsche dir eine gute Nacht, Kind, und bitte sehr – träume von deinem Mammut.«
»Ich brauche wohl wirklich ein Mammut, damit es zu mir passt«, sagte Madam Prudence. »Bitte sehr, und du träume von deinem Zwerglein, Robin.«
Sie ging hinaus und summte das Bruchstück eines alten Liedes vor sich hin. Es war ihr klar, dass ihr Bruder dem nächsten Morgen mit gemischten Gefühlen entgegensah, sie jedoch besaß eine gewisse Gemütsruhe, die gut zu ihr passte, und sah ihre Welt ruhigen, unbesorgten Auges an.
Sie war zu sehr an ein gefährliches Leben gewöhnt, um leicht verstört zu werden, und nur allzu sehr darin geübt, mit Robin die Rolle zu tauschen, um vor ihrer gegenwärtigen Lage zurückzuschrecken. Sie vertraute ihrem Verstand; wenn er sie im Stich ließ, dann verließ sie sich kleinlaut auf den Einfallsreichtum ihres Erzeugers. Es war unmöglich, in seine Fußstapfen zu treten, ohne für die Arglist des Alten Herrn Bewunderung zu entwickeln. Prudence empfand ihm gegenüber Liebe, aber auch einige Ironie. Sie gab lachend zu, dass er nicht zu verstehen war, aber es störte sie nicht. Sie tanzte zwar nach seiner Pfeife, aber Abenteurergeist ging ihr ab. Zwar mochte sich Robin über das Geheimnis, mit dem sich der Vater zu umgeben liebte, ärgern, aber er genoss dennoch die buntscheckige Laufbahn und besaß eine spitzbübische Waghalsigkeit, die ihn in mehr brenzlige Situationen brachte, als sie der Alte Herr ersann. Im Übrigen jedoch betrachtete Robin die Welt mit einem Ernst, der Prudence abging. Er war begeisterungsfähig, und für ihn war das Leben mehr als nur das unterhaltsame Schauspiel, für das Prudence es hielt.
Anscheinend hatte er sich dieses letzte unglückselige Wagnis zu Herzen genommen. Sicher, er war davon unmittelbarer betroffen gewesen als seine Schwester. Sie nahm an, es war sein Temperament, das in ihm die Begeisterung für ein Wagnis weckte, in das man sich nur aus Abenteurergeist und über Gebot des Vaters eingelassen hatte. Sie erinnerte sich, dass Robin nach der Schlacht von Culloden geweint hatte, den Kopf in ihrem Schoß vergraben, in dem alten Haus in Perth – geweint in leidenschaftlicher Wut und herzzerreißend. Dann hatte er die Tränen mit einem Fluch und der Versicherung abgewischt, dass er eine verlorene Sache ein für alle Mal hasse. Prudence war es gleichgültig, ob Charles Stewart oder der deutsche Georg auf dem Thron saß; sie unterstellte ihrem Erzeuger eine ähnliche Gleichgültigkeit. Sie war in diese Rebellion aus weiß Gott was für Gründen hineingerissen worden; sie hatte sich in ihren Maschen verfangen, noch ehe die anderen es wussten. Das war die Art Mr Colneys. Er hielt eine schöne Rede, und es schien, dass sie alle Jakobiten waren. Ein Jahr zuvor, in Florenz, waren sie ganz und gar Franzosen; vordem hatte es eine gewisse Spielhölle in Frankfurt gegeben, deren Eigentümer ganz plötzlich seinen Sohn und seine Tochter mitgenommen hatte, um die Finger in eine Pastete von M. de Saxes Herstellung zu stecken.
Franzosen, Deutsche, Jakobiten – für Prudence war alles eins. Aber mit diesem England war es etwas anderes. Sie entwickelte eine Liebe dazu und fand es anheimelnd. Zweifellos hatte sie das von ihrer Mutter, jenem großen, schönen, lächelnden Geschöpf, das in Dieppe starb, als Robin noch ein Kind war.
Am nächsten Morgen machte Prudence vor ihrer Abreise nach London Robin gegenüber eine Bemerkung.
Robin lachte sie aus; er war eifrig damit beschäftigt, sich zu schminken. »Gott, meine Liebe, du entsprichst genau dem Bild englischer Gediegenheit«, sagte er. »Reitest du mit dem Mammut?«
»Ich glaube, ja«, sagte Miss Prudence. Ihr Blick fiel auf John, der Master Robins Rasierzeug wegpackte. »Ach herrje, Kind, hast du dich rasiert? Du, der kein Härchen am Kinn hat!«
Das entlockte dem Diener ein grimmiges Lächeln. »Seht euch lieber vor, ihr beiden«, sagte er. »Wir sind drauf und dran, unseren Kopf in eine Schlinge zu stecken. Ich garantiere euch, der Herr mit den trägen Augen sieht allerlei.«
»Was scheust du vor dem Mammut zurück?«, sagte Robin. »Ich könnte es auf mich nehmen, ihm vor der Nase herumzutanzen.«
Der Diener sah seinen jungen Herrn mit rauer Zuneigung an. »Ja, Sie sind ein Listiger, Master Robin, aber der imposante Herr ist trotzdem hellwach, wenn Sie ihn auch für noch so stumpfsinnig halten.«
Prudence saß rittlings auf einem Stuhl, die Arme auf die Lehne und das Kinn auf die Hände gestützt. Sie betrachtete John und sagte gelassen: »Wo steckt der Alte Herr, John?« In dem unbewegten Gesicht regte sich nichts. »Ich habe mit ihm mehr Jahre zusammengelebt als Sie, Miss Prue, und ich nehme es daher nicht auf mich, die Frage zu beantworten.«
»Wie lange hast du mit ihm zusammengelebt, John?«
»Schon vor Ihrer Geburt, Mistress.«
Robin legte die Hasenpfote hin und stand auf. »Ja, du bist verteufelt verschwiegen, John, was? Vielleicht weißt du, was er jetzt wieder vorhat?«
»Vielleicht ja, vielleicht nein«, war die unbefriedigende Antwort. »Welches Kleid, Euer Gnaden, soll es heute sein?«
Zwanzig Minuten später betrat Robin den Kaffeesalon in einem Barchentkleid mit rosa Bändern. Die Kapuze war zugunsten eines Strohhuts mit Rosetten und weiterer Bänder abgelegt worden, aber Prudence, sehr schlicht in hellbraunen Reithosen und einem Mantel aus rotem Tuch, trug einen schönen ärmellosen Damenmantel über dem Arm, den sie gleich darauf Madam Robin um die Schultern legte.
Miss Letty war erpicht darauf, abzufahren. Sie brachen rechtzeitig auf, Robin und die Dame saßen sittsam in der Kutsche, der angebliche Mr Merriot und Sir Anthony ritten als Begleitung einige Schritte dahinter.
Natürlich kamen Fragen – Prudence war darauf vorbereitet und kannte kein Zaudern. Sie sprach von einem Heim in Cumberland – das schien genügend weit – und der Kavalierstour in Europa. Sir Anthony hatte sie auch gemacht – das war selbstverständlich. Sie sprachen freundschaftlich und gefahrlos über ausländische Städte. Prudence entfaltete eine bemerkenswerte Kenntnis aller möglichen Orte; sie hatte ja sozusagen den größten Teil Europas im Gedächtnis und besaß eine eingehende Kenntnis von Schlupfwinkeln, die vom schöneren Geschlecht nicht besucht wurden. Einmal sah sie, wie sich die geraden Brauen hoben, und erwartete ruhig die weitere Entwicklung des Gesprächs.
»Für Ihre Jahre haben Sie ungeheuer viel gesehen, Master Peter«, sagte Sir Anthony.