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Eine spannende Kurzgeschichte zur Chicagoland Vampires-Serie! Der Formwandler Jeff Christopher ist ein begnadeter Hacker. Virtuelle Barrieren bringt er mühelos zu Fall, aber es ist ihm niemals gelungen, in die inneren Kreise der mächtigen Keene-Familie zu gelangen. Seit langer Zeit ist Jeff schon in Fallon Keene verliebt, die Schwester des Anführers eines mächtigen Rudels. Doch als das Totem der Keenes gestohlen wird - DAS Symbol ihrer Macht - bittet Fallon Jeff um seine Hilfe. Der sieht seine Chance, Fallon endlich näherzukommen. Aber die Suche wird schon bald zu einer gefährlichen Jagd. (Ca. 100 Seiten) "Neills grandioses Talent, mitreißend zu schreiben, entwickelt einen Sog, der einen packt und so schnell nicht mehr loslässt." (LoveLetter)
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Seitenzahl: 102
Titel
Zu diesem Buch
Motto
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Die Autorin
Die Romane von Chloe Neill bei LYX
Impressum
CHLOE NEILL
Ins Deutsche übertragen
von Marcel Aubron-Bülles
Zu diesem Buch
Der Gestwandler Jeff Christopher ist ein begnadeter Hacker. Virtuelle Barrieren bringt er mühelos zu Fall, aber es ist ihm niemals gelungen, in die inneren Kreise der mächtigen Keene-Familie zu gelangen. Seit langer Zeit ist Jeff schon in Fallon Keene verliebt, die Schwester des Anführers des Zentral-Nordamerika-Rudels. Doch als das Totem der Keenes gestohlen wird – DAS Symbol ihrer Macht – bittet Fallon Jeff um seine Hilfe. Der sieht seine Chance, Fallon endlich näherzukommen. Aber die Suche wird schon bald zu einer gefährlichen Jagd.
»Der ist toll, der auf die Zahmheit eines Wolfs baut …«
William Shakespeare
Chicago, Illinois
Magie lag in der Luft, eine Anspannung, aufgebaut durch die Last uralter Geheimnisse. Wir belauerten uns über den kleinen Tisch hinweg wie Feinde auf dem Schlachtfeld, die Waffen gezückt und kampfbereit.
Doch wir waren keine Feinde.
Aber was wir nun wirklich waren, wussten wir auch nicht.
»Spielst du jetzt endlich?«, fragte er. »Ich meine, wenn du Angst hast, dann kann ich dir gerne noch ein wenig Zeit lassen.«
»Ein Genie drängt man nicht«, erwiderte ich und warf einen Blick über meine Karten hinweg auf den Mann, der mir gegenübersaß.
Er war groß gewachsen und schlank. Sein hellbraunes Haar war lang genug, dass er es sich hinter die Ohren streichen oder vor die Augen fallen lassen konnte. Er sah mich mit seinen blauen, stets fröhlich funkelnden Augen an und lächelte. Obwohl er noch sehr jung zu sein schien – ein Jugendlicher voller Begeisterung –, war er doch ein erfahrener Krieger mit dem Herzen eines Tigers. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Jeff Christopher war ein Formwandler und gehörte dem Zentral-Nordamerika-Rudel an, jenem Rudel, das von meiner Familie geführt wurde.
Ich schlug die Beine übereinander. Rock, Strumpfhose und dunkle Stiefel halfen mir nicht wirklich, mich vor der Kälte zu schützen. Das Klein und Rot, die Bar, in der wir Karten spielten, war alt, schäbig und unglaublich frostig – und trotzdem wurde sie vom Zentral-Nordamerika-Rudel heiß geliebt.
Heute Abend waren wir praktisch allein, abgesehen von meiner Tante Berna, die hinter der Theke stand und unbemerkt – zumindest dachte sie das wohl – zum vierzehnten Mal Twilight las, und Robert Johnsons traurigen Gitarrenakkorden, die aus der Jukebox tönten. Aber die Sonne war ja gerade erst untergegangen. Schon bald würden die Formwandler der Stadt die Bar bevölkern, muskelbepackt, in Leder gekleidet, von Magie umgeben.
Ich zog die Kreuzvier und legte sie auf den ersten der drei Kartenstapel auf dem Tisch. Jeff warf mir einen kurzen, berechnenden Blick zu.
»Ist das ein Problem für dich?«, fragte ich.
»Ich will nicht schon wieder verlieren.« Er grinste. »Damit könnte mein männliches Ego einfach nicht umgehen.«
»Deinem männlichen Ego ist so ziemlich alles egal, solange ich dich nicht in Jacob’s Quest schlage.« Das war sein Lieblingscomputerspiel. Er war ein wahrer Meister darin, wie so ziemlich in allen Dingen, die mit Computern zu tun hatten.
»Stimmt«, sagte er. »Aber momentan steht’s zwölf zu neun, oder?«
»Zwölf zu acht«, verbesserte ich ihn und verkniff mir ein Grinsen. Bei meinen Karten war ein neunter Sieg für ihn nahezu ausgeschlossen. »Aber guter Versuch.«
Er lachte leise, nahm die Vier auf und schob sie zwischen seine Karten. Dann überlegte er, welche Karte er ablegen sollte. Wenn er eine Vier auf die Hand nahm – die praktisch nutzlos war –, dann hatte er wohl keine große Auswahl.
Jeff traf seine Entscheidung und warf eine Drei auf den Tisch. Eine gute Wahl, denn die Dreien waren noch wertloser als die Vieren. Aber das würde ihm trotzdem nicht helfen.
Jetzt war es an der Zeit, den Abzug zu betätigen und ihn aus seiner Qual zu erlösen.
Ich nahm eine Karte aus meiner Hand und legte sie mit einem hörbaren Schnappen auf den mittleren der drei Stapel.
»Ich kröne den König«, sagte ich mit einem Grinsen, während das Karoass siegreich auf dem Stapel thronte.
Jeffs Augen weiteten sich. Offensichtlich hatte er nicht gewusst, dass ich das Ass auf der Hand hielt, geschweige denn das Karoass, die vorletzte Karte von Krönt den König, eines der Lieblingskartenspiele unseres Rudels.
Jeff sah mich wieder an, und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Ich war mir sicher, dass das Ding noch im Dienstmagd-Blatt war.«
»War es auch. Ich habe es in der dritten Runde gezogen.«
Jeffs Augen funkelten amüsiert. Er hatte so ein schönes, unschuldiges Gesicht, das so gar nicht zu seiner Stärke und Leidenschaft zu passen schien. Genau wie ich war er dem Rudel treu ergeben.
Mein Name war Fallon, und ich war die einzige Tochter der Familie Keene. Gabriel, der Älteste, war der Anführer des Rudels. Ich war die Zweitälteste, und nach mir kamen Eli, Derek, Christopher und Ben. (Da meine Mutter schon immer einen merkwürdigen Humor hatte, hatte sie ihre Kinder nach dem Alphabet benannt). Adam war unser Jüngster, aber er hatte Gabriel, die Familie und das Rudel verraten. Er war kein Keene mehr.
Wenn Gabriel etwas zustoßen sollte, folgte ich auf den Thron, was mich zur ersten Anführerin in der Geschichte des Zentral-Nordamerika-Rudels machen würde. Theoretisch wäre Gabriels Sohn Connor der rechtmäßige Erbe, aber er war noch nicht einmal ein Jahr alt. Die Führung des Rudels konnte nicht an ein Kleinkind übergeben werden. Damit war ich die Nächste in der Reihe.
Und das machte mich zum attraktivsten Preis, den ein Formwandler bekommen konnte.
Ich legte meine Karten auf den Tisch und sammelte meinen Gewinn ein. Die Tischplatte, eine von einem guten Dutzend um uns herum, war über die Jahrzehnte vom Bier und Whiskey ganz speckig geworden. Ich musste zweimal nachfassen, um meine Vierteldollar einzusammeln.
»Und damit wären wir bei dreizehn«, sagte ich und ließ sie in meine Jackentasche gleiten.
»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich neun Mal gewonnen habe«, sagte Jeff mit einem Lächeln und legte die Karten zu einem ordentlichen Stapel zusammen. »Wir sind ziemlich dicht beieinander. Nahezu ebenbürtig.«
Damit meinte er nicht nur das Kartenspiel … Er meinte uns. Jenes Spiel, in dem wir beide nur hilflose Bauern waren. Mir wurde ganz mulmig.
»Es tut mir leid«, sagte er und legte seine Hand auf meine. Er musste meine Bestürzung bemerkt haben.
Seine Berührung sandte einen Impuls elektrischer Energie und Magie durch meinen Körper. Ein Gefühl von Vertrautheit und Gemeinsamkeit, das Jeff Christopher mit jeder Berührung und jedem herzerweichenden Lächeln auslöste.
Aber er war nicht für mich bestimmt. Das waren nun einmal die Tatsachen.
Ich zog meine Hand zurück und warf einen Blick auf meine Uhr. »Kein Problem. Ich muss los.«
Er versuchte erneut zu lächeln, was aber nicht sehr überzeugend wirkte. »Wirst du dich jetzt in einen Kürbis verwandeln?«
»Ich bin mit jemandem verabredet«, erwiderte ich, und diese wenigen Worte reichten aus, um die Fröhlichkeit in seinem Blick verschwinden zu lassen.
Er grübelte jedoch nicht lange – schon nach einem kurzen Moment sah er mich mit entschlossenem Blick an. »Mit jemandem?«, fragte er, wartete meine Antwort aber nicht ab. »Du meinst, mit einem potenziellen Partner.«
Das Rudel glaubte, dass jeder Anführer einen Partner brauchte – einen Mann oder eine Frau, der stark genug war, mit ihm das Rudel zusammenzuhalten. Da ich eines Tages ebendieser Anführer werden konnte, gehörte es zu den Aufgaben meiner Familie, potenzielle Partner für mich zu suchen. Ein Plan für den absoluten Notfall, der mich aber dazu zwang, regelmäßig zu Dates zu gehen.
Um als Partner zu bestehen, reichte es nicht aus, stark und intelligent zu sein. Jede Formwandlerfamilie nahm eine ganz bestimmte Tierform an. Die Keenes waren Wölfe, genau wie die ersten bekannten Formwandler Romulus und Remus, und das trug zu ihrem hohen Ansehen bei. Die Wölfe waren die Ersten Tiere des Ersten Rudels.
Die Wandlung war ein magischer Vorgang, die Form jedoch eine Frage der Genetik. Und genau hier lag das Problem.
Der charmante und hochintelligente Jeff Christopher war ein wunderschönes, mächtiges Tier: mit glattem Fell, großen raubtierhaften Augen, mächtigen Pranken, einem langen umherpeitschenden Schwanz.
Jeff war ein Tiger.
Die Regeln des Rudels – und seine Tradition – besagten, dass Formwandler, die unterschiedliche Formen annahmen, nicht zusammengehörten. Natürlich gab es Leute, die sich nicht an diese Regeln hielten. Aber diese Leute gehörten auch nicht zur Familie des Rudelführers und standen ebenso wenig an zweiter Stelle in der Thronfolge. Ich konnte es mir nicht erlauben, mit der Tradition zu brechen.
Gabriel und Jeff waren schon seit geraumer Zeit Freunde. Ich hatte ihn erst vor einigen Monaten kennengelernt. Gabriel vertraute und respektierte Jeff, der für Chuck Merit arbeitete, einen ehemaligen Polizisten, den ein früherer Bürgermeister zum Ansprechpartner für alle Übernatürlichen in Chicago ernannt hatte. Chuck Merits Büro gab es zwar offiziell nicht mehr, doch Jeff und sein Kollege Catcher Bell, ein Hexenmeister, kümmerten sich auch weiterhin um die Probleme der Übernatürlichen.
Gabriel hatte unsere Freundschaft nicht unterbunden und sich auch nicht darüber beschwert, wie viel Zeit wir miteinander verbrachten. Er ging davon aus, dass wir uns irgendwann auseinanderentwickeln würden. Und je mehr Monate verstrichen, desto größer wurde die Anzahl potenzieller Partner, die Gabriel an mir vorbeimarschieren ließ. Jeff war ein guter Mann, doch die Regeln waren nun mal die Regeln.
»Der Preis für Jeff Christopher ist zu hoch«, wiederholte Gabriel gerne. »Du kannst nicht ihn und das Rudel haben.«
Jeff kannte die Tradition wie jeder andere Formwandler auch. Ich glaube, er hatte gehofft, dass Gabriel oder das Rudel seine Meinung ändern würde. Das war nicht passiert. Doch die harten Fakten hatten nicht verhindert, dass es zwischen uns weiterhin knisterte.
»Geh nicht«, sagte er, kam zu mir herüber und setzte sich auf den Stuhl neben mir. Sein einzigartiger Geruch – der kräftige, berauschende Duft des Dschungels und sein warmes samtenes Parfüm – begleitete ihn, genau wie seine Magie. Die war in der Regel hell und strahlend, brachte Freude zum Ausdruck und glitzerte wie Sonnenstrahlen auf schäumender Brandung. Doch genau wie sein Gesicht hatte sich seine Magie verfinstert und fühlte sich nun wie die elektrisch aufgeladene Luft kurz vor einem Gewitter an.
Er berührte erneut meine Hand, was mir einen magischen Schlag versetzte. Ich wehrte mich mit aller Kraft gegen das, was er mir mit seiner Berührung verhieß. Unsere Beziehung war bisher nicht gerade platonischer Art gewesen, aber es gab Grenzen, die wir nicht überschritten hatten.
»Ich bin eine Keene«, ermahnte ich ihn … und mich selbst. »Das ist unsere Tradition. Das gehört zum Rudel, und das macht uns zu dem, was wir sind.«
»Es ist eine völlig überholte Tradition. Das werde ich Gabriel ins Gesicht sagen.« Er sah mich entschlossen an, aber ich kannte ihn zu gut. Jeff Christopher war dem Rudel treu ergeben.
»Es ist das einzig Richtige«, entgegnete ich, aber selbst ich nahm den leisen Zweifel in meinen Worten wahr.
Er hob seine Hand und strich mir eine meiner Locken hinters Ohr. »Du bist nicht nur eine Keene. Du darfst auch Fallon sein.«
Die Magie zwischen uns wurde immer stärker und verwandelte sich in einen unsichtbaren Bogen elektrischer Energie, der uns verband und mir eine Gänsehaut verursachte.
In mir erwachte die Lust, aber ich rang die brennende Begierde der Wölfin in mir nieder. Als ich aufstand und meinen Stuhl zurückschob, konnte ich ihre Enttäuschung deutlich spüren. Das quietschende Geräusch, das der Stuhl auf dem klebrigen schmutzigen Linoleumboden verursachte, klang wie ein Protest. Der Wölfin in mir war Jeff Christophers Tierform herzlich egal. Ihr reichte es vollkommen, dass er über Magie verfügte – dass er männlich, wild und ungezügelt war.
Es gab nicht den geringsten Zweifel, dass mich und Jeff Christopher wahre Magie verband. Doch Magie konnte nicht jede Schlacht gewinnen. Manchmal hatte die Familie Vorrang, denn sie bedeutete den einzig entscheidenden Sieg, den ein Mädchen erringen konnte.
»Sie zählen auf mich«, sagte ich und wich seinem Blick aus, weil ich fürchtete, er könnte meine Zweifel erkennen, auch wenn ich sie so tief wie möglich in mir vergraben hatte. »Die andere Option kennst du ja.«
Verzicht. Ich konnte Jeff Christopher haben, wenn ich meinen Anspruch auf das Rudel, auf die Thronfolge aufgab. Aber dann würde ich auch meine Familie aufgeben und all das, was ich von ihr gelernt hatte, alles, was mich auf meine mögliche Aufgabe als Rudelführerin vorbereitet hatte.