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Es ist zum Verzweifeln. Claudias älterer Sohn ist hyperaktiv und bringt sie mit seinem Temperament schier um den Verstand. Ihr jüngerer Sohn leidet an Allergien und Neurodermitis. Für beide gilt: Diagnose unheilbar. Doch damit kann sich Claudia nicht abfinden. Alle in der Familie leiden zu stark unter der Situation! Krampfhaft sucht sie nach Alternativen - und taucht immer tiefer in die Esoterik ein. Ein Heilmittel findet sie nicht. Einem Nervenzusammenbruch nahe, wagt Claudia einen letzten Versuch - und erlebt ein erstaunliches Wunder ...
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Seitenzahl: 161
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SCM Hänssler ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.
ISBN 978-3-7751-7525-8 (E-Book)
ISBN 978-3-7751-6085-8 (lieferbare Buchausgabe)
Datenkonvertierung E-Book: CPI books GmbH, Leck
© 2021 SCM Hänssler in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-haenssler.de · E-Mail: [email protected]
Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006
SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen.
Weiter wurde verwendet:
Hoffnung für alle ® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®.
Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel (HFA).
Kontakt zur Autorin: [email protected], www.damariskofmehl.ch
Lektorat: Christina Bachmann
Umschlaggestaltung: Erik Pabst, www.erikpabst.de
Autorenfoto: © Nakischa Scheibe
Bilder im Innenteil: © Privat
Satz: typoscript GmbH, Walddorfhäslach
Dieses Buch basiert auf einer wahren Geschichte.Sie wird aus Claudias sowie Damaris Kofmehls Perspektive weitergegeben und muss nicht unbedingt die Ansichten oder die Empfindungen von Dritten widerspiegeln.Einige Namen und Details wurden aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und anderen Gründen geändert.
Über die Autorin
Glaubst du an Wunder?
Neurodermitis
So geht es nicht weiter
Neue Wege
Kristalle und Essenzen
Stress pur
Nichts wird besser
Es eskaliert
Der heilige Freitagabend
Schirm, Stein oder Schwamm
Die Heilung
Urs
Es muss alles weg!
Vater und Sohn
Wie es weiterging
Möchtest du Jesus in dein Herz einladen?
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Life on Stage
Faszinierende Musicals zu wahren Lebensgeschichten kombiniert mit berührenden Inputs von Eventpfarrer Gabriel Häsler.
— www.lifeonstage.com —
Damaris Kofmehl
ist Bestseller-Autorin und schreibt Bücher, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Ihre Buchrecherchen führten sie unter anderem nach Südamerika, Pakistan, Australien und in die USA. Sie lebt in der Schweiz.
— www.damariskofmehl.ch —
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Oft suchen wir nach dem Übernatürlichen, wenn nicht mehr alles so gut läuft. Wenn wir diese Unruhe und Unzufriedenheit in uns spüren, wenn unsere Seele aufgewühlt ist. Wenn wir mit unserer eigenen Kraft nicht mehr weiterkommen, die Schulmedizin nicht mehr weiterhilft, die Umstände aussichtslos sind.
Gibt es Hilfe da draußen? Gibt es eine Macht, einen Gott, irgendetwas, das mir helfen kann? Oder bin ich in diesem großen Universum ganz auf mich allein gestellt?
In diesem Buch begleiten wir Claudia auf ihrer verzweifelten Suche nach Hilfe. Es ist die wahre Geschichte einer Frau, die alles dafür gegeben hätte, damit ihr Sohn geheilt würde. Es ist die faszinierende Geschichte eines erstaunlichen Wunders. Und es ist die Geschichte von einem Gott, der heute noch real erfahrbar ist – auch für dich.
Auf den letzten Seiten dieses Buches werde ich dir erklären, wie auch du diesen Gott ganz praktisch in dein Leben einladen kannst. Nun wünsche ich dir viel Freude beim Lesen der Lebensgeschichte von Claudia.
Gabriel HäslerLife on Stage Redner, Januar 2021
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
Das Schreien riss Claudia aus dem Schlaf. Augenblicklich saß die junge Mutter senkrecht im Bett.
Nicht schon wieder!, dachte sie, warf die Decke zurück und eilte aus dem Schlafzimmer. Sie stieg die Treppe zum Kinderzimmer hoch und öffnete die Tür. Das Schreien kam von Florians Bett. Der Eineinhalbjährige schrie wie ein Weltmeister. Dabei hatte Claudia so gehofft, dass er endlich schlafen würde.
»Ach Florian«, tröstete sie ihren Kleinen und hob ihn hoch. »Was ist denn los?«
Florian krallte sich an seine Mutter wie ein Äffchen und kreischte ihr ins Ohr, während sie ihm gut zuredete. Vergeblich. Er hatte Ausdauer im Weinen. Das raubte ihr den letzten Nerv. Manchmal trug sie ihn stundenlang durchs Wohnzimmer, bis seine Schreianfälle vorübergingen. Sie konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen hatte.
»Sch, sch«, machte sie, wippte Florian auf ihren Armen auf und ab und hin und her. »Hör doch bitte auf zu weinen. Mama ist ja bei dir. Du weckst noch deinen kleinen Bruder auf.«
Das war natürlich längst geschehen. Der sechs Wochen alte Benjamin wimmerte in seinem Kinderbettchen. Claudia beugte sich zu ihm und streichelte seine Wangen. Das Licht vom Flur fiel durch den Türspalt ins Zimmer und schien direkt auf Benjamins Gesichtchen. Und da sah sie es zum ersten Mal: rote Flecken. Sein ganzes Gesicht war voll davon.
Was ist denn das?, wunderte sie sich. Sie stellte Florian auf den Boden, worauf er noch lauter tobte und energisch versuchte, wieder an seiner Mami hochzuklettern. Doch ihre ganze Aufmerksamkeit galt nun ihrem Jüngsten und dem seltsamen Ausschlag in seinem pausbäckigen Gesicht.
Sie hob Benjamin vorsichtig aus dem Bett und machte das Licht an. Sein ganzes Köpfchen war voller geröteter Stellen. Und nicht nur sein Köpfchen. Beim genaueren Hinsehen fand Claudia auch rote Flecken am Haaransatz, am Hals, an den Ärmchen in den Armbeugen. Das war auch der Grund, warum Benjamin weinte. Es hatte nichts mit dem Schreikrampf seines Bruders zu tun, sondern mit diesem Ausschlag, der ihn plagte. Augenblicklich spielte Claudia mehrere Möglichkeiten in ihrem Kopf durch. Röteln? Masern? Schließlich war Benjamin noch nicht dagegen geimpft worden. Der Arzt hatte gesagt, die Impfung sei erst in ein paar Monaten fällig. Oder vielleicht eine allergische Reaktion? Aber worauf? Er bekam doch nur Muttermilch.
»Oh, mein Spatz«, flüsterte Claudia und küsste Benjamin zärtlich auf die Stirn. »Morgen geht Mama mit dir zum Doktor. Dann wissen wir, was dir fehlt, und der Doktor macht dich wieder gesund.«
Sie löschte das Licht, wiegte das Baby hin und her und legte es behutsam in sein Bettchen zurück, um sich wieder Florian zuzuwenden, der immer noch penetrant weinte und schrie. Claudia seufzte, hob den Knirps erneut hoch und trug ihn eine Weile wiegend durchs Kinderzimmer. Sie war so müde. Warum konnte der Junge nicht endlich aufhören zu weinen? Warum konnte er nicht wenigstens eine Nacht einfach durchschlafen? Sie hätte selbst so dringend wieder mal eine Portion Schlaf gebraucht! Und was war das für ein Ausschlag auf Benjamins Gesicht und Körper? Musste sie sich deswegen Sorgen machen?
Nach einer gefühlten Ewigkeit gelang es Claudia schließlich, Florian wieder ins Bett zu bringen. Sie blieb so lange bei ihm, bis er eingeschlafen war. Dann schlich sie sich auf Zehenspitzen aus dem Kinderzimmer und stieg leise die Treppe hinunter in der Hoffnung, kein Weinen mehr hinter sich zu hören. Es blieb still. Endlich! Als sie sich erschöpft zurück unter ihre Bettdecke verkroch, drehte sich ihr Mann Urs zu ihr um.
»Alles in Ordnung mit den Jungs?«, murmelte er im Halbschlaf.
»Zumindest schlafen sie wieder«, flüsterte Claudia zurück. »Aber morgen muss ich mit Benjamin zum Kinderarzt. Er hat so einen komischen roten Ausschlag am ganzen Körper. Ich hoffe, es ist nichts Ernstes.«
»Ist bestimmt nichts Ernstes. Zerbrich dir nicht den Kopf deswegen«, raunte Urs, küsste sie und lächelte sie an. »Und jetzt versuch zu schlafen. Gute Nacht, mein Schatz.«
»Gute Nacht, Urs.«
Benjamin lag unter einer Wärmelampe auf dem Untersuchungstisch, während der Kinderarzt die roten Flecken auf seinem kleinen nackten Körper genauer unter die Lupe nahm.
»Neurodermitis«, stellte er ziemlich rasch seine Diagnose und wandte sich Claudia zu. »Das ist eindeutig Neurodermitis.«
Also doch, dachte Claudia und ließ die Schultern hängen. Sie hatte es insgeheim vermutet. Sie war durchaus vertraut mit Hautkrankheiten. Ihr Mann hatte zwar keine chronische Ekzemerkrankung wie Neurodermitis. Aber seine Haut reagierte sehr empfindlich auf Zitrusfrüchte und manchmal bekam er deswegen gerötete Stellen auf der Stirn und an den Nasenflügeln.
»Es gibt viele Babys mit Neurodermitis. Aber kein Grund zur Sorge, Frau Weber. Bei vielen wächst sich die Krankheit schnell wieder aus.«
»Und was kann man dagegen tun?«
»Ein Heilmittel gibt es leider nicht. Hautreinigung und Hautpflege sind am wichtigsten. Sie müssen darauf achten …«
»Florian, nein!«
Claudia eilte zu Florian, der gerade dabei war, den Schreibtisch des Kinderarztes zu erklimmen, um sich sein Stethoskop zu schnappen.
»Nehmen Sie Platz, Frau Weber.« Der Arzt deutete auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und nahm ebenfalls Platz. Claudia setzte den zappeligen Florian auf ihren Schoß und hielt ihn fest. Doch er wand sich aus ihrem Griff und steuerte bereits auf das nächste faszinierende Erkundungsobjekt zu: den Drehstuhl des Kinderarztes. Er legte sich bäuchlings darauf und begann damit, in der Praxis herumzukurven.
»Florian, komm sofort her! Lass das!«, rief Claudia entnervt. Florian grinste nur und sauste weiter in abenteuerlicher Fahrt quer durch den Raum. »Florian!« Es war ihr furchtbar peinlich, doch der Arzt nahm es mit Humor.
»Lassen Sie ihn. Es wird schon nichts kaputtgehen.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher, Herr Doktor.«
Sie dachte zurück an ihre eigene Kindheit und wie sie mit den Skiern hinter ihrem Wohnblock den Hügel hinuntergefahren und in den Büschen gelandet war. Sie war ein wildes Kind gewesen und ständig in Bewegung, genau wie Florian. Noch bevor sie in den Kindergarten gekommen war, hatte sie sich bei einem Sturz mit dem Fahrrad beide Schneidezähne abgebrochen. Dann wieder war sie von der Schaukel gefallen, weil sie zu hoch und zu wild geschaukelt hatte. Loch im Kopf. Oder sie hatte an der Stange über dem Kellereingang herumgeturnt und war runtergefallen. Wieder ein Loch im Kopf. Eigentlich hätte es sie nicht verwundern müssen, dass ihr Sohn keinen Moment still sitzen konnte. Sie schämte sich trotzdem in Grund und Boden für sein Verhalten. Gerade knallte Florian mit dem Drehstuhl gegen das Tischbein des Untersuchungstisches. Der Tisch war zum Glück stabil, doch sein kleiner Bruder obendrauf wurde bei dem Zusammenprall trotzdem kurz durchgeschüttelt. Claudia musste sich zusammenreißen, um nicht aufzuspringen und Florian wegzuzerren.
»Also, zurück zu Benjamin«, sagte der Kinderarzt, während Florian im Hintergrund entdeckte, dass man mit dem Drehstuhl auch wunderbar Karussell fahren und sich um die eigene Achse drehen konnte. »Neurodermitis ist wie gesagt nicht heilbar. Aber man kann die Krankheit mit Salben, Fetten und Kühlen behandeln. Wenn Benjamin älter ist, wird er beginnen, sich zu kratzen, um den Juckreiz zu unterbinden. Dadurch wird die Haut aber noch mehr geschädigt. Das heißt, es juckt noch mehr und er wird noch mehr kratzen. Es ist ein nie endender Kreislauf.«
»Und wie kann man ihn durchbrechen?«
»Es ist ein Ausprobieren. Hilfreich ist Salben und Kühlen. Verwenden Sie hautfreundliche und atmungsaktive Textilien, legen sie Umschläge und Verbände mit Schwarztee auf. Wenn es schlimmer wird, gibt es auch kortisonhaltige Cremen und Salben. Eine Kortisonsalbe gebe ich Ihnen gleich mit.«
Während der Kinderarzt weiterredete und Florian den Knopf an der elektrischen Liege entdeckt hatte und begeistert die Liege hoch- und runterfahren ließ, pochten Hunderte von Gedanken gegen Claudias Schläfen. Neurodermitis also. Der arme Benjamin. Gerade mal sechs Wochen auf der Welt und schon musste er sich mit dieser lästigen Hautkrankheit herumschlagen.
Ich muss ihm Handschuhe besorgen, damit er sich nicht kratzen kann, überlegte Claudia. Am besten gehe ich gleich in der Apotheke vorbei und kaufe eine gute Fettsalbe. Hoffentlich wächst sich die Krankheit bald wieder aus. Für zwei Kinder, die nachts weinen, habe ich echt keine Kraft.
[ Zum Inhaltsverzeichnis ]
In den nächsten Tagen und Wochen forschte Claudia fleißig nach, wie man Neurodermitis bei Babys behandeln konnte. Sie fand allerlei gute Tipps, die sie gleich ausprobierte. Mehrmals täglich cremte sie Benjamin ein. An den Stellen, wo die Haut gereizt oder kaputt war, klopfte sie die Salbe möglichst sanft in die Haut. Gegen den Juckreiz halfen Umschläge mit Wasser oder Schwarztee. Sie tränkte dazu Geschirrhandtücher in schwarzen Tee und legte die Lappen für zehn bis fünfzehn Minuten auf die juckenden und entzündeten Stellen. Danach entfernte sie die Wickel und cremte die Haut erneut ein. Wenn die Haut sich sehr verschlechterte, strich sie Zink- oder Kortisonsalbe unter die feuchten Verbände. Kühlen war ebenfalls wichtig. Sie verwendete Kühlelemente, die sie in ein Tuch einwickelte und auf die wunden Stellen drückte.
Auch auf die Kleidung musste Claudia achten. Es hieß, Baumwolle, Leinen und Synthetikkleidung seien am besten. Die Kleider müssten luftdurchlässig sein. Wolle sei zu vermeiden, da sie die Haut reize. Claudia entfernte alle Schilder aus der Kleidung und drehte ein paar Hemdchen auf links, damit die Nähte nicht auf Benjamins Haut scheuerten. Sie verwendete keinen Weichspüler mehr und kaufte Bettwäsche aus reiner Baumwolle. Selbst die Kuscheltiere tauschte sie gegen solche aus, die laut Hersteller hautverträglich waren.
Kaum hatte sie alles umgestellt, merkte sie, dass Benjamin auch auf Baumwolle reagierte. Also wieder alles umstellen. Diesmal auf Seide, denn Seide schien tatsächlich der einzige Stoff zu sein, der seine Haut nicht reizte. Claudia wurde Stammgast in der Apotheke, las jedes Buch zu dem Thema, das ihr in die Finger kam. Sie war bereit, alles zu tun, um ihrem Kind zu helfen.
Eigentlich wäre die Belastung durch Benjamins Krankheit schon genug gewesen. Aber da war ja auch noch Florian. Der Knirps war einfach nicht zu bändigen. Er hatte Energie für drei und einen sturen Kopf, gegen den Claudia nicht ankam. Florian war am 9. März 1994 zur Welt gekommen und bereits im Krankenhaus als Neugeborener aus der Reihe gefallen. Alle Babys lagen auf dem Bauch. Nur nicht Florian. Und wenn er auf dem Bauch lag, hob er bereits sein Köpfchen, als wolle er allen zeigen, dass er hier war, um die Welt zu erobern. Kaum konnte er laufen, war es definitiv vorbei mit der Ruhe. Florians Bewegungsdrang war unerschöpflich.
»Florian, nein!«, war so ziemlich der häufigste Satz von Claudia, die langsam, aber sicher an ihre Grenzen kam.
Im Juni 1996, als Benjamin neun Monate alt war, kam der Tag, als die junge Mutter wirklich nicht mehr konnte. Es war ein sonniger Frühsommertag. Während Florian freudig schreiend die Nachbarskatze durch den Garten jagte, saß Benjamin friedlich im Laufgitter und spielte mit ein paar Bauklötzen. Das Laufgitter war nicht etwa dazu da, damit Benjamin nicht abhauen konnte, sondern als Schutz vor Florian. Florian ging normalerweise nicht gerade zimperlich mit seinem kleinen Bruder um. Er schubste ihn gerne herum oder riss ihn an den Haaren und dann gab es immer Tränen.
Claudia hob Benjamin aus dem Laufgitter und setzte sich mit ihm aufs Sofa, um ihn zu stillen. Sie hatte gelesen, dass Stillen bei Neurodermitis gut sei. Darum wollte sie ihn möglichst lange stillen. Das Fläschchen nahm er sowieso nicht. Das hatten sie erst kürzlich versucht und die Milch war in hohem Bogen auf dem Teppich gelandet.
Soeben kam Florian freudestrahlend durch die offene Terrassentür ins Wohnzimmer gelaufen, Nachbars Katze in den Armen. Er hielt sie ziemlich umständlich fest und die Katze ließ es sich sogar gefallen, auch wenn sie nicht sehr glücklich dabei aussah.
»Florian, nicht im Haus. Spiel draußen mit der Katze.«
Aber Florian schleppte die Katze bereits zum Sofa, stellte sie dort ab wie eine Trophäe und sauste wieder fort, auf der Suche nach dem nächsten Sammlerobjekt.
»Florian, nicht zu weit weg! Bleib dort, wo ich dich sehen kann!«, rief ihm Claudia hinterher, auch wenn sie wusste, dass er nicht mehr zuhörte.
Die Katze stakste über Claudias Beine und schmiegte sich schnurrend an Benjamin. Er streckte seine kleinen Fingerchen nach ihr aus und streichelte sie glucksend. Sie genoss es, stupste ihn mit dem Kopf an und schnurrte lauter. Als Florian wieder hereingestürmt kam und zielstrebig auf die Katze zusteuerte, um sie zu packen, huschte sie schnell davon. Diesmal rannte ihr Florian nicht nach, sondern kletterte stattdessen aufs Sofa und hüpfte darauf herum wie auf einem Trampolin.
»Florian, nein! Florian! Hör auf damit!«
Florian dachte nicht daran aufzuhören. Es war viel zu lustig, wie seine Mama und Benjamin durch sein Gehopse mithopsen mussten. Irgendwann wurde es Claudia zu bunt. Sie packte den Jungen am Arm und zerrte ihn neben sich aufs Sofa.
»Ich sagte Nein! Nein!«
Überrascht von ihrer strengen Stimme starrte Florian sie für ein paar Sekunden verdutzt an. Aber dann wirbelte er jäh herum, pikste Benjamin ohne Vorwarnung ins Auge, grinste und war schon wieder fort.
»Florian, es reicht! Florian, komm sofort her!«
Natürlich war der Knirps längst um die Ecke im Garten verschwunden, wo er nun mit einem Plastikschwert gegen einen imaginären Feind ankämpfte. Es war zum Verzweifeln mit ihm. Konnte er denn nie das tun, was man ihm sagte? Benjamin schrie unterdessen wie am Spieß und Claudia wiegte ihn sanft und tröstete ihn. Sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Plötzlich bemerkte sie, dass sich auf Benjamins Gesichtchen und an seinen Händen ein neuer Ausschlag mit roten Flecken ausbreitete und seine Augen zuschwollen.
Die Katze!, schoss es Claudia jäh durch den Kopf. Er muss allergisch auf Katzenhaare sein! Oje, auch das noch!
Claudia streichelte Benjamin mitfühlend über die roten Wangen und ein Kloß bildete sich in ihrem Hals.
»Ach, mein Kleiner, was musst du nicht alles ertragen«, seufzte sie.
Rasch stand sie auf, ging in die Küche, holte ein Gefrierelement aus dem Gefrierschrank, wickelte es in ein Tuch und legte es Benjamin kühlend auf die geröteten Stellen auf Gesicht und Händchen und auf die geschwollenen Augen. Es war einfach nicht fair. Immer wieder kam etwas Neues dazu. Hörte das denn nie auf?
Im Flur ging die Tür auf. Urs kam von der Arbeit nach Hause. Sofort hörte Claudia, wie Florian herbeigestürmt kam.
»Papa! Papa!«
»Hallo, mein Großer!«
Rasch schluckte Claudia den Kloß in ihrem Hals herunter, atmete tief durch und trat mit einem Lächeln auf den Flur, wo ihr Mann Florian fröhlich herumwirbelte.
»Noch mal, noch mal!«, rief der Knirps, als Urs ihn auf den Boden stellte, um seine Frau zu begrüßen.
»Hallo, mein Schatz«, sagte er und küsste Claudia. »Na, wie war dein Tag?«
»Herausfordernd«, gestand Claudia mit einem schwachen Lächeln. Die ausführliche Version musste warten. Jetzt wurde ihr Mann erst einmal von Florian in Beschlag genommen. Und das konnte dauern.
»Papa, Papa, komm, ich muss dir was zeigen!« Florian zerrte seinen Vater ins Wohnzimmer, wo er ihm stolz eine Zeichnung präsentierte, die er gemalt hatte. Die Wachspastellkreiden lagen immer noch überall verstreut auf dem Boden. Einige Bodenfliesen hatten ebenfalls etwas Farbe abgekriegt.
Jetzt, da ihr Mann zu Hause war, fiel die Anspannung des Tages wie ein schwerer Rucksack von Claudia ab, und sie konnte endlich etwas verschnaufen. Sie ließ sich mit Benjamin aufs Sofa fallen, während Urs mit Florian herumalberte, ihn Huckepack durchs Wohnzimmer trug und sich wie ein Pferdchen von ihm antreiben ließ. Claudia musste schmunzeln bei dem Anblick. Was hatte sie doch für ein Glück, einen Mann wie Urs zu haben. Er war nicht nur ein liebevoller Ehemann, sondern auch ein guter Vater, der seine Kinder liebte und Zeit mit ihnen verbrachte. Zwar nicht immer so viel Zeit, wie Claudia sich gewünscht hätte, aber zumindest erheblich viel mehr Zeit, als ihr Vater früher mit ihr verbracht hatte – nämlich so gut wie gar keine. Ihre Gedanken schweiften zurück zu ihrer eigenen Kindheit, die nicht unbedingt sorglos gewesen war …
Ihre Eltern waren viel zu jung gewesen, als Claudia am 16. März 1967 ungeplant in ihr Leben hereingeplatzt war. Dass sie kein Wunschkind war, bekam sie schon in frühster Kindheit schmerzhaft zu spüren. Heinz, ihr Vater, war nicht in der Lage, ihr Anerkennung oder Liebe zu geben. Er arbeitete hart, und wenn er nach Hause kam, hatte er keine Zeit für sie. Sobald es Konflikte mit Elsbeth, Claudias Mutter, gab, zog er sich in den Bastelraum zurück und bastelte stundenlang an seinen Modellflugzeugen herum. Nie spielte er mit seiner Tochter oder half ihr bei den Hausaufgaben. Nie gab er ihr das Gefühl, geliebt zu sein, oder sagte ihr, dass er stolz auf sie wäre. Sie war eben einfach da. War halt dumm gelaufen.