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Große Überraschung für die Jungen und Mädchen der Abenteuerklasse! Ganz unverhofft werden sie eingeladen, ihre Ferien gemeinsam bei Bärbels Onkel in Wetzikon zu verbringen. Und weil sie - wie sollte es auch anders sein! - stets auf Abenteuer aus sind, ist die Vorfreude groß. Denn was für spannende Erlebnisse wird diese Ferienzeit wohl mit sich bringen? Als sich dann in ihrer Nähe ein Banküberfall ereignet, scheint endlich alles so richtig aufregend zu werden. Doch bald müssen sie eine schreckliche Entdeckung machen: Die Gangster haben Roman entführt!
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Seitenzahl: 264
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Der Banküberfall
Die Abenteuerklasse – Band 2
Damaris Kofmehl
© 2016 Folgen Verlag, Bruchsal
Autor: Damaris Kofmehl
Cover: Eduard Rempel, Düren
ISBN: 978-3-94418-754-9
VerlagsSeite: www.folgenverlag.de
Kontakt: [email protected]
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Die Befreiung
Ferienpläne
Der große Coup
Der Automechaniker
Der Banküberfall
Wo ist Roman?
Eine gefährliche Beobachtung
Die Begegnung
Der Telefonanruf
Klatschtanten im Anmarsch
Schach am Vormittag
Entlarvt
Die Doppelagentin
Riskantes Manöver
Heißer als eine Bratwurst
Eine traurige Geschichte
Nervenkitzelnder Zwischenfall
Ist da was faul?
Reißender Wolf und schlauer Fuchs
Gespräch im Dunkeln
Wettlauf mit der Zeit
Die große Überraschung
Es ging auf Mitternacht zu. Nichts rührte sich im Gefängnis. Die grauen Wände der Gänge glotzten sich gleichgültig an und schwiegen. Ein Wächter machte seine Runde, und die dumpfen Klänge seiner Schritte verstärkten die Eintönigkeit und Einsamkeit der Mauern. Sein Atem ging langsam, regelmäßig und immer im Takt seiner Schritte. Es schien, als könne ihn nichts und niemand aus der Ruhe bringen, es sei denn, ein ungewöhnlicher Laut breche die Stille – aber nichts deutete auf etwas Auffälliges hin in dieser Nacht.
Ab und zu unterbrach der Mann seinen Gang, meistens, um ein paar Sekunden Pflichtlauschen durchzuführen – obwohl er ohnehin schon im voraus das Ergebnis wusste – oder um einen Blick auf die Uhr zu werfen, und einmal, um sich eine Zigarette anzuzünden. Danach setzte er seinen nächtlichen Routinemarsch fort. Wirklich nichts deutete darauf hin, dass Gefahr drohte, und niemand konnte ahnen, dass sich ein Unheil anbahnte, ein Unheil mit verheerenden Folgen. Nur einer wusste Bescheid. Ein einziger unter den vielen, die sich in diesem Gebäude befanden, kannte die Gefahr, und dieser eine war Walter Wolf. Seine Zelle lag auf der Westseite des Gefängnisses, dort, wo man ihn besonders gut unter Kontrolle hatte, denn Walter galt als einer der gerissensten Verbrecher der ganzen Schweiz. Unter keinen Umständen durfte man riskieren, dass er wieder auf freien Fuß kam. Deshalb hatte man ihn auch in dieses gut gesicherte Gefängnis überwiesen und ließ ihn nicht irgendwo anders seine neunjährige Strafe absitzen. Kein anderes Gefängnis nämlich war so gut mit Alarmanlagen ausgerüstet wie dieses hier. Tag und Nacht wurden die Zellen, das Gebäude und seine Umgebung genau überwacht, und es war unmöglich, unbemerkt herauszukommen – sogar für einen Gauner wie Walter. Trotzdem war natürlich Vorsicht geboten, denn wer Walter Wolf – oder Lupo, wie man ihn auch nannte – schon einmal näher kennengelernt hatte, sollte eigentlich wissen, dass er selbst in den hoffnungslosesten Situationen stets einen verrückten Ausweg fand, wie unbarmherzig und brutal er dabei auch handeln musste.
Damit hatte er sich in den vergangenen Jahren in der Verbrecherwelt einen Namen gemacht. Auf der Fahndungsliste stand er ziemlich weit oben, und es gab wahrscheinlich keinen Polizisten, der dem Namen »Lupo« nicht schon irgendwo einmal begegnet war. Sei es bei Banküberfallen, Rauschgifthandel oder Spionage, überall tauchte der gefürchtete Name auf, bei allen möglichen und unmöglichen Aktionen hatte Lupo seine Finger im Spiel, einfach überall, wo das große Geld lockte. Ständig versetzte er seine Mitmenschen in Panik und gab den Kriminalbeamten knifflige Rätsel auf. Man munkelte sogar, dass die Polizei ihren Laden schließen könnte, wenn es ihn nicht mehr gäbe. Nun, das war etwas übertrieben, aber immerhin hielt Walter seine Verfolger laufend in Trab und zwang sie oft dazu, seinetwegen Überstunden zu machen. Das war aber auch bitter nötig, wenn man ihm auf den Fersen bleiben wollte! Er war schlau wie ein Fuchs, listig wie eine Elster und darüber hinaus stark wie ein Stier. Wer es wagte, auch nur ein Wort gegen ihn auszusprechen, musste mit einem blauen Auge rechnen, und wer sich ihm widersetzte, konnte froh sein, wenn er nach einer Minute noch alle Knochen beisammen hatte. Alle mussten sich ihm bedingungslos unterordnen, wollten sie mit ihm auf gutem Fuß stehen – sonst wurde ihre Haut bald mehrfarbig. Sogar seine engsten Kumpel nahmen sich vor ihm in acht und waren auf der Hut bei allem, was sie taten und mit ihm besprachen. Mit seinen Muskeln konnte Walter einfach jeden in Schach halten.
Eine Kirchturmuhr schlug zwölf. Dichter, feuchter Nebel umhüllte die Landschaft und netzte die Straßen mit kleinen Wasserperlen. Es war stockfinster. Kein Geräusch war zu vernehmen, weder von Autos noch von Kneipen. Ausgestorben schien die ganze Gegend. Hier und da kläffte ein Hund, aber die schwere Luft erstickte jeden Laut.
Wie ein schwarzes Ungeheuer ragte das Gefängnis in die Dunkelheit hinein, und wenn die Scheinwerfer den finsteren, kahlen Betonmauern nachschlichen, die das Gebäude umgaben, wirkte die schauerliche Festung wie eine riesige, viereckige Burg. Unheimlich und bedrohlich gähnte sie zum pechschwarzen Himmel empor, als wollte sie jeden verschlingen, der sich in ihre Nähe wagte.
Walter saß auf der Bettkante und starrte durch das vergitterte Fenster seiner Zelle auf die schwarze Mauer.
Der Scheinwerfer beleuchtete den Flecken, den Walter anblickte, und kroch stumm weiter. Der Gefangene zuckte nicht einmal mit den Wimpern, als das Licht den fixierten Punkt anstrahlte. Er war mit seinen Gedanken ganz woanders. Dort, hinter der Mauer, winkte die Freiheit, und dort, jenseits dieses scheußlichen Gebäudes, wartete seine Bande. Irgendwo hinter dem Hügel mussten seine Kumpel jetzt auf der Lauer liegen und auf den geeigneten Zeitpunkt warten, irgendwo in dieser Waschküche.
Ein Lächeln flog über sein leeres Gesicht, als der Scheinwerfer wieder an seinem Blickfeld vorbeihuschte. »Da nützt euch selbst der stärkste Scheinwerfer nichts«, dachte er, »da nützt euch die höchste Mauer nichts. Auch die sicherste Alarmanlage kann mich nicht aufhalten, wenn die Zeit gekommen ist.« Und die Zeit war gekommen. Noch in dieser Nacht würde es eine leere Zelle mehr geben in diesem Gefängnis, und schon morgen würde die ganze Stadt davon sprechen, dass Walter Wolf aus dem Gefängnis geflohen sei. Wie hieß es wohl auf den Titelseiten der Zeitungen? »Gaunerkönig Walter Wolf ausgerissen!«? Oder vielleicht: »Das Meistertrio hat wieder einmal zugeschlagen!«? Nein, so lautete die Schlagzeile bestimmt nicht. Schließlich konnte niemand wissen, mit wessen Hilfe er aus dem Gefängnis entkommen war.
»Und wenn schon«, dachte er, »die sollen ruhig wissen, wie raffiniert und unübertrefflich meine Bande ist. Schließlich schadet es nichts, wenn alle vor mir in den Boden versinken, sobald sie mich erblicken. Immerhin habe ich mich zu einem der gefürchtetsten Gauner emporgearbeitet, und das will was heißen.« Der Scheinwerfer schlich an der Mauer entlang, erhellte jede Stelle für einen kurzen Augenblick und ließ sie wieder ins Dunkel der Nacht tauchen. Walter gähnte und fuhr sich durchs schwarze, krause Haar.
»Wenn bloß nichts schiefgeht«, dachte er, während er auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr starrte und der Bewegung des Sekundenzeigers folgte, »wenn sie mich nur rechtzeitig rausholen. Ich verspüre nicht die geringste Lust, hier zu verrosten.« Drei Jahre verbrachte er nun schon in dieser stickigen Kammer, und rund das Doppelte sollte er noch absitzen. Kein Wunder bei all den kleineren und größeren Verbrechen, die er in den letzten Jahren begangen hatte! Er, Silvio und Tom waren so ziemlich überall dabei gewesen, wo man dabei sein konnte. Wirklich zu dumm, dass sie ihn geschnappt hatten! Wirklich zu dumm! Er hätte sich ohrfeigen können, weil ihm dieser peinliche Fehler unterlaufen war. Ein voreiliger Entschluss, und schon saß er im Netz gefangen! Er sah die Szene noch genau vor sich: wie er aus der Post herausstürzte und sich plötzlich von allen Seiten von bewaffneten Polizisten umzingelt fand! Es war der schrecklichste Augenblick seines Lebens gewesen. Sein ganzer Stolz und Ruhm war auf einmal in sich zusammengestürzt, all seine Pläne wurden wie von einem wuchtigen Stein zerschmettert; all die riesigen, raffinierten Pläne waren mit einem Schlag vernichtet. Und Pläne hatte er massenhaft! Er wollte sich mit Hilfe seiner Bande an die Spitze der Verbrecher emporarbeiten, er wollte sich zum gefürchtetsten Mann aller Zeiten machen.
»Wartet nur«, knirschte er, »ihr werdet noch bitter büßen, was ihr mir angetan habt. Wenn ich erst mal draußen bin, zahle ich es euch heim, bis ihr auf den Knien angekrochen kommt und mich um Verzeihung bittet.« Leichter gesagt als getan. Walter wusste nur zu gut, welche Probleme sich ergaben, wenn er wieder auf freiem Fuß war. Alleine konnte er den großen Aufstieg nicht antreten, er brauchte Helfer, Kumpel wie Silvio und Tom, die ihm widerstandslos gehorchten und jeden Befehl ausführten, den er erteilte. Aber es würde nicht ganz einfach sein, die beiden Burschen wieder auf seine Seite zu bringen. In den drei Jahren Knast hatte sich Remo, sein Bruder, die Bande angeeignet, und wie den Zeitungen zu entnehmen war, verstand der Kerl sein Handwerk. Anscheinend waren ihm Silvio und Tom treu ergeben, und vielleicht hatten sie sich bereits so sehr an ihren neuen Boss gewöhnt, dass sie sich nicht mehr auf dessen Bruder umstellen wollten. Wie dem auch sei – wenn ihn die drei erst einmal herausgeholt hatten, würde sich alles von alleine regeln. Falls sich Remo freiwillig in den Hintergrund schob und ihm das Kommando überließ, wäre das Problem bereits gelöst. Und falls nicht, so gab es bestimmt einen anderen Weg, wie man den Bruder ausschalten konnte. Walter verließ sich in dieser Angelegenheit voll und ganz auf den Zufall. »Mir wird schon zur rechten Zeit etwas einfallen«, überlegte er selbstsicher, legte sich aufs Bett und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, »mir ist schon immer etwas eingefallen. Also wird mir auch diesmal etwas einfallen – sobald ich draußen bin …«
Remo warf einen Blick auf die Uhr.
»Noch acht Minuten, dann soll es losgehen.«
»Meinst du, das klappt, Boss?« fragte Tom.
»Natürlich klappt es! Wie kannst du bloß daran zweifeln'?«
»Ich dachte nur so«, sagte Tom kleinlaut, »ich meine, was ist, wenn sie Lupo in einen anderen Wagen schleppen?«
»Halt die Schnauze!« zischte Remo. »Ich hab dir schon mal gesagt, was ich in die Hände nehme, klappt hundertprozentig. Ich kann es nicht ausstehen, wenn jemand an meinen Plänen herumnörgelt, ist das klar?«
»Sonnenklar!« Tom tippte mit den Fingern auf dem Lenkrad herum.
Remo kurbelte die Scheibe herunter und spähte nach allen Richtungen. Es war stockfinster. Remos Augen hatten sich zwar bereits an die Dunkelheit gewöhnt, aber er konnte trotzdem nur mit Mühe den Wald von der Wiese unterscheiden, und der Feldweg, auf dem ihr Auto geparkt war, verlor sich im Nichts.
»Kommt er schon?« fragte Tom.
»Nein«, antwortete Remo, »es wird wohl noch ein Weilchen dauern. Von der Leitung bis hierher ist es ein ganzes Stück zu Fuß.«
»Ob er noch rechtzeitig kommt?«
Remo schlug mit der Faust aufs Armaturenbrett.
»Wenn du nicht endlich dies ewige Zweifeln lässt, stopf' ich dir dein Maul! Natürlich kommt er rechtzeitig. Silvio ist ein ausgezeichneter Läufer, auch wenn er etwas klein geraten ist.« Eine Weile schwiegen die beiden. Tom tippte auf das Lenkrad, und Remo starrte in die Nacht hinaus. Sehr wohl war es ihm in seiner Haut allerdings nicht. Er wusste nur zu genau, in welches halsbrecherische Abenteuer er sich mit seiner Bande eingelassen hatte. Eine Gefangenenbefreiung war seines Erachtens eine der kritischsten und gefährlichsten Aktionen, die man durchführen konnte. Wenn nur die kleinste Einzelheit nicht funktionierte, war damit zu rechnen, dass das ganze Unternehmen in die Hosen ging. Und das durfte auf keinen Fall geschehen! Walter musste rauskommen, koste es, was es wolle. Remo warf wieder einen Blick auf seine Armbanduhr. Vier Minuten vor eins. Sie brauchten also nicht mehr lange zu warten. In spätestens einer Minute würde Silvio aufkreuzen, und gegen ein Uhr sollte das Gas explodieren.
»Wo Silvio bloß so lange bleibt?« überlegte Tom ungeduldig.
»Spiel nicht die besorgte Mutter!« sagte Remo barsch. »Silvio ist ein zuverlässiger Bursche, das hat er schon oft genug bewiesen.«
»Natürlich«, stimmte Tom ihm ergeben zu.
»Na also«, meinte Remo, »dann hältst du jetzt endlich die Klappe. Deine Energie kannst du später besser gebrauchen.«
»Ja«, sagte Tom kleinlaut. Eine schwarze Gestalt tauchte aus dem Dunkel auf und kam direkt auf das Auto zu.
»Siehst du, da kommt er ja«, meinte Remo, aber gleichzeitig runzelte er die Stirn. Auch Tom schien etwas zu bemerken.
»Wenn das Silvio ist, fress' ich 'nen Besen!« murmelte er, ohne den Mann aus den Augen zu lassen. Er kniff die Augen zu einem schmalen Spalt zusammen und schüttelte entschieden den Kopf. Nein, das konnte unmöglich Silvio sein. Der Fremde war erstens viel zu dick und torkelte zweitens wie ein Betrunkener von Baum zu Baum. In der linken Hand hielt er eine Flasche, und dazu sang er aus voller Kehle. Remo stieß einen Fluch aus.
»Ein Besoffener! Der hat uns gerade noch gefehlt.«
»Was tun wir jetzt?« fragte Tom vorsichtig.
»Abwarten«, bestimmte Remo, »wenn er nicht bis ein Uhr verschwindet, ziehst du ihm die Pistole über den Schädel. Wir können jetzt keine Störenfriede gebrauchen.«
»Okay, Boss.«
Der Mann kam näher und rülpste zufrieden vor sich hin. Er setzte die Flasche an den Mund, nahm einen großen Schluck, wobei ihm die Hälfte über das Kinn rann und von dort aufs Hemd tropfte, strich sich mit dem Handrücken die rote Flüssigkeit weg und begann wieder in allen Tonlagen zu singen.
Remo kurbelte das Fenster herauf, denn der widerliche Kerl verbreitete im Umkreis von fünf Metern einen unausstehlichen Geruch nach Schnaps und Bier. Inzwischen hatte der Fremde das Auto und seine beiden Insassen entdeckt und schien sichtlich darüber erfreut zu sein. Er wankte johlend auf sein Ziel zu, stolperte und konnte sich gerade noch am Dach des Wagens festklammern.
»Guten hick Abend die hick Herren«, sagte er und stellte sich wieder auf die Beine. Remo und Tom verzogen keine Miene und starrten wie ausgestopfte Puppen geradeaus. Der Betrunkene lachte, so dass seine verstümmelten, schwarzen Zähne sichtbar wurden, und als sich die beiden nicht rührten, presste er seine knollige rote Schnapsnase an das Seitenfenster und blickte mit weit aufgerissenen, wässrigen Augen in den Wagen.
»Feine Gesellschaft hick«, meinte er, »können nicht hick nicht mal guten Tag hick sagen. Eine Sch… Schweinerei ist das!« Er lallte vor sich hin und trank dann die Flasche in einem Zug leer. In weitem Bogen warf er sie ins Gestrüpp. Remo schielte ungeduldig auf seine Uhr. Es war bereits eine Minute nach eins. Der Boss wurde wütend. »Ein Uhr und Silvio ist noch immer nicht hier! Und dieser ekelhafte Typ hat sich noch immer nicht verzogen.« »Soll ich ihn …?« Tom griff nach seiner Pistole, und auf Remos Handzeichen stieg er aus. Remo biss sich auf den Zeigefinger und blinzelte mit zusammengekniffenen Augen in die Nacht hinaus. Sein Blick war scharf wie der eines Adlers, aber in dieser nebligen Nacht war beim besten Willen nichts deutlich zu erkennen. Langsam wurde Remo unruhig. Wo trieb sich Silvio bloß herum? Ob er sich verlaufen hatte? Nein, unmöglich, er hatte sich die Strecke genau eingeprägt. Dass er sich verirrte, war ausgeschlossen.
»Aber was ist denn sonst dazwischengekommen?« überlegte er. Hatte er sich in der Zeit geirrt? »Kann nicht sein.« Der Boss schüttelte den Kopf. Silvio war den Weg mehrere Male gerannt, er wusste genau, wie viel Zeit er dafür brauchte. Remo stieß einen Fluch aus und starrte wütend in die Nacht hinaus. Silvios Verspätung konnte gewaltige Schwierigkeiten mit sich bringen. Wenn nun das Gas früher explodierte? Wenn die Krankenwagen nun hier vorbeifuhren, ehe Silvio zurückgekommen war? Dann mussten sie wohl oder übel auf ihn verzichten. Dabei brauchten sie für das gewaltige Unternehmen jeden einzelnen! Zu zweit einen Gefangenen zu befreien war einfach zu riskant. Das Ganze war schon zu dritt kein Kinderspiel, aber zu zweit hängte man es besser gleich an den Nagel.
»Wir können es nicht ins Wasser fallen lassen! Walter nützt uns im Gefängnis einen Dreck. Er muss da raus!« In diesem Augenblick riss Tom die Tür auf.
»Er kommt, Boss, er kommt!« Remo fuhr auf und war mit einem Satz draußen. Tatsächlich, da kam er angerannt, der Winzling. Er keuchte wie eine alte Dampflokomotive und war völlig außer Atem.
»Was ist geschehen?« wollte Remo wissen. »Du bist viel zu spät.« Silvio nickte.
»Ich weiß.« Er schluckte trocken und stützte sich erschöpft aufs Auto. »Zwei Polypen waren nur ein paar Meter von der Straßenbaustelle entfernt und unterhielten sich die ganze Zeit. Ich konnte unmöglich unbemerkt an die Gasleitung herankommen, solange die Kerle dort standen.«
»Weshalb hast du sie nicht weggelockt?« fragte Tom. Der kleine Silvio japste nach Luft und rang die Hände.
»Ich hab' alles versucht. Die beiden ließen sich nicht von der Stelle vertreiben.”
»Keine Einzelheiten jetzt«, sagte Remo ernst und griff Silvio am Arm, »hast du das Gas in die Leitung reingelassen?« Silvio nickte.
»Ja, hab' ich.« Er sah von einem zum andern. »In etwa fünf Minuten muss es explodieren.« Remo klopfte ihm auf die Schulter.
»Gut, dann dürfen wir keine Zeit mehr verlieren. Jede Minute ist kostbar.«
»Was soll ich mit dem Betrunkenen machen?« fragte Tom.
»Ist er noch bei Bewusstsein?« wollte Remo wissen. Tom lachte.
»Ich denke kaum. Ich habe nicht gerade sanft zugeschlagen. Eine Stunde wird er uns bestimmt keine Schwierigkeiten mehr machen.«
»Um so besser«, meinte der Boss. »Dann leg ihn irgendwo in die Büsche. Und dann gehst du auf deinen Posten.« Tom nickte und verschwand in der Dunkelheit. Er wusste, was er zu tun hatte. Sein Posten lag etwas weiter vorne bei der Straßenverzweigung. Hier sollte er den ersten Krankenwagen, der angerast käme, auf den Weg umleiten, auf dem seine beiden Komplizen lauerten.
Silvio hatte sich bereits mitten auf die Straße gelegt, und Remo stieg ins Auto und ließ die Scheinwerfer an, so dass sie seinen am Boden liegenden Kumpel direkt beleuchteten. Dann verließ er den Wagen und lehnte sich gegen die Kühlerhaube. Jetzt konnte nichts mehr schiefgehen! Das Gas hatte die Heizkörper der Gefängnisräume bestimmt schon erreicht und würde in Kürze explodieren.
»Und dann wird Alarm geschlagen, und Sanitäter und Feuerwehr werden alarmiert, und wir warten schön brav, bis der erste Krankenwagen hier ankommt.« Er lachte sich ins Fäustchen. Wie raffiniert hatte er sich doch alles ausgedacht! Seine langjährige Gaunererfahrung machte sich langsam bezahlt. Ein breites Grinsen huschte über sein Gesicht. Ob die Autos schon unterwegs waren? Er lauschte. Außer dem Rauschen der Bäume und dem Plätschern eines Baches war nichts zu vernehmen. Nein, halt, was war das? Remo spitzte die Ohren. Aus weiter Ferne vernahm er ein heulendes Geräusch, das rasch näher kam. Das mussten sie sein!
»Jungs, es geht los!« sagte Remo zu sich selbst und trat auf die Straße. Das Sirenengeheul kam näher und näher. In den folgenden Minuten ging es Schlag auf Schlag. Alles verlief nach Plan: das erste Auto wurde von Tom umgeleitet und bog in vollem Schuss in den kleinen Feldweg ein. Dort wurde es bereits von Remo und Silvio erwartet. Remo fuchtelte wild mit den Armen in der Luft herum und deutete immer wieder aufgeregt auf seinen Kameraden, der am Boden lag und sich nicht rührte. Unweigerlich bremste das Auto. Der Beifahrer stieg sofort aus und wollte sich um den Verletzten kümmern. »Haben wir aber ein Glück«, bemerkte Remo mit gekünstelt erleichterter Stimme, »ich glaube, er ist sehr schwer verletzt …«
»Nur keine Panik«, entgegnete der Mann, »ich werde tun, was ich kann.« Er kniete neben Silvio nieder, um ihn genauer zu untersuchen. In diesem Augenblick richtete Silvio sich auf und versetzte seinem Retter einen gewaltigen Schlag auf den Kopf, so dass der Sanitäter der Länge nach hinfiel. Im selben Moment packte Remo seine Pistole und richtete sie auf den Fahrer des Wagens. »Los, aussteigen!« befahl er und gab ihm mit der Waffe einen Wink. Der Fahrer stieg zögernd aus.
»Pfoten hoch!« Der Mann gehorchte notgedrungen. Er . hatte die Augen weit aufgerissen und brachte vor Schreck keinen Ton heraus.
»Zieh deine Kleider aus! Na los, wird's bald?!« kommandierte Remo.
»Was wollt ihr von uns?« fragte der Mann wie erstarrt.
»Deine Sanitätskleider, mehr nicht, alter Opa. Nun mach schon! Oder soll ich härtere Seiten aufziehen?”
»Das … das können Sie doch nicht machen!« stotterte der Mann.
»Doch, können wir«, schaltete sich Silvio ein und hielt die Kleider, die er seinem Opfer bereits abgenommen hatte. »Mantel, Hemd, Hose und Schuhe, wenn ich bitten darf?« sagte er und warf dem Fahrer ein Stück nach dem andern vor die Füße.
»Aber ein bisschen plötzlich!« schnarrte Remo. Dem Fahrer blieb nichts anderes übrig, als zu tun, was man von ihm verlangte. Als er schließlich nur noch in langen Unterhosen und im Unterhemd dastand, schlug ihm Remo mit seinem Schießeisen auf den Kopf, so dass er bewusstlos zusammenklappte. Dann fesselten die zwei Komplizen die beiden Sanitäter an den nächstbesten Baum und schlüpften in die Kleider. Sie waren zwar Silvio etwas zu groß und Remo zu schmal, aber zu diesem Zweck ging es.
In der Zwischenzeit tauchte auch Tom auf, ebenfalls in vollständiger Uniform. Er hatte sich den dritten vorgenommen, der hinten im Wagen saß.
Remo nickte seinen Kumpeln anerkennend zu.
»Ihr habt gute Arbeit geleistet. Jetzt aber nichts wie los!« Sie kletterten ins Krankenauto. Tom ließ den Motor an, fuhr rückwärts auf die Hauptstraße zurück und sauste dann mit einem Höllentempo Richtung Gefängnis.
»Mmm! Ist das herrlich!« Thomas verzog genüsslich die Augen und küsste sein Butterbrot. »Ein Gedicht, dieses knusprige, frischgebackene, köstlich duftende Butterbrot. Einfach herrlich!« Ruedi blickte seinen dicken Freund schief an.
»Ich hoffe, du platzt eines Tages vom vielen Essen«, meinte er, »das würde dir jedenfalls nicht schaden.«
»Tatsächlich nicht«, lachte Bärbel, die mit verschränkten Armen und Beinen auf ihrem Badetuch saß, »für dein Gewicht bist du nämlich viel zu klein geraten.« Der Dicke kaute genüsslich an seinem Brot herum und ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Ich finde es ja reizend, wie ihr um meine Linie besorgt seid«, grinste er, nachdem er alles hinuntergeschluckt hatte, »ihr vergesst dabei nur eins: Ich will gar nicht abnehmen.«
»Dein Pech«, seufzte Bärbel.
Es war der letzte Mittwoch vor den Sommerferien. Der Schulstress hatte kurz vor den Ferien merklich nachgelassen, und so fanden die meisten Schüler Zeit, einen gemütlichen Nachmittag im Halwilersee zu verbringen.
Bärbel und ihre Klassenkameraden hatten sich an ihrem sogenannten Stammplätzchen niedergelassen. Sie ergatterten es sich jedes Mal, wenn sie hier baden gingen, denn so wussten die Nachzügler, die im Laufe des Nachmittags noch aufkreuzten, stets, wo sie ihre Kameraden antrafen. »He, kommt doch auch wieder ins Wasser!« rief Hans den dreien vom See her zu. »Das Wasser ist richtig erfrischend.«
»Später!« entgegnete Ruedi, ohne aufzusehen.
»Spielverderber!« kam es zurück.
»Wenn ihr wollt, dass wir kommen, müsst ihr uns schon holen!« meinte Bärbel provozierend.
»Ist in Ordnung!« entschied Hans und gab Daniel, der ebenfalls im Wasser planschte, mit dem Kopf einen Wink. Die zwei Burschen wateten langsam aus dem See, während sich Bärbel und Ruedi auf den Angriff vorbereiteten. Einzig Thomas aß seelenruhig sein Butterbrot weiter und kümmerte sich nicht um die anderen.
»Na, auf wen haben wir es abgesehen?« fragte Daniel schmunzelnd.
»Bärbel zuerst«, antwortete Hans, und wie auf Kommando sprangen die beiden auf das Mädchen zu und packten es an Armen und Beinen. Doch Bärbel strampelte vergnügt und riss sich mit einem Ruck von den Kameraden los.
»Na warte, du kleines Biest«, lachte Hans, »dich kriegen wir schon.« Und sogleich hatte er sie wieder am rechten Bein geschnappt. Aber ehe er etwas unternehmen konnte, entschlüpfte das Mädchen seinen starken Armen wieder. Es wich Daniel, der sich ebenfalls bemühte, sie festzuhalten, geschickt aus und rannte kichernd ans andere Ende der Wiese. Natürlich machte es ihr großen Spaß, sich einfangen zu lassen, um gleich darauf wieder zu entkommen, und erst, als Daniel und Hans schließlich Ruedi zu Hilfe holten, gab sie sich geschlagen und wurde mit einem lauten ,Hau ruck' ins Wasser geworfen. Schallendes Gelächter ertönte, als das Mädchen aufs Wasser klatschte.
»So, die hätten wir«, lachte Ruedi, »und jetzt ist der nächste dran. Dicker, was hältst du davon?« Dem Jungen blieb beinahe ein Bissen im Hals stecken.
»Ihr habt doch nicht etwa vor …« sagte er entsetzt.
»Erraten«, grinste Daniel, nahm ihm sachte das Butterbrot aus der Hand und legte es auf die Wiese. Die drei packten ihren rundlichen Freund und zerrten ihn ans Wasser.
»Aber«, wandte Thomas ein, »man sollte nach dem Essen mindestens zwei Stunden warten, ehe man schwimmen geht.«
»Keine Sorge«, entgegnete Ruedi schmunzelnd, »ertrinken wirst du bestimmt nicht. Noch nie etwas davon gehört, dass Fett oben schwimmt?«
»Aber …« protestierte der Dicke. Doch er kam nicht mehr dazu, ein zweites Argument anzubringen, denn schon flog er durch die Luft und plumpste mit viel Lärm und spritzendem Wasser in den See.
»Los, hinterher!« rief Hans, und stürzte sich ins Wasser. Die beiden andern taten es ihm gleich, und kaum erschien Thomas schimpfend und prustend an der Oberfläche, drückten ihn die Kameraden wieder unter Wasser. Eine wilde Seeschlacht begann. Bärbel näherte sich den Jungen von hinten, fasste einen von ihnen an den Schultern und zwang ihn zu tauchen. Sofort ließen die andern von Thomas ab und warfen sich mit lautem Gejohle wieder auf das Mädchen. Nach fünfmaligem Tauchen fanden es Hans und Daniel an der Zeit, Ruedi auch einmal etwas außer Atem zu bringen, und so musste dieser für ein paar Minuten dran glauben. Erst nach einer Viertelstunde, als alle mindestens zehnmal das Seegras aus der Nähe hatten betrachten dürfen, beendeten die fünf das Wasserspiel und schwammen an Land.
»Puh! Das hat vielleicht gut getan«, meinte Ruedi erschöpft, während er sich abtrocknete.
»Und jetzt habe ich einen Höllenhunger«, sagte Thomas und griff nach seinem halben Butterbrot. Die anderen schmunzelten, gaben aber ausnahmsweise keinen Kommentar.
»Was haltet ihr von einer Partie Karten?« fragte Bärbel nach einer Weile. Die Knaben waren einverstanden, und Bärbel begann, die Karten zu mischen. Sie wollten eben zu spielen beginnen, als es im nahen Gebüsch raschelte und ein Mädchen auftauchte. Es war schlank, hatte kurzes, dunkelbraunes Haar und große, graublaue Augen.
»Hallo allerseits!« begrüßte es die fünf.
»Hallo, Conny!« riefen sie zurück. »Spielst du mit uns eine Runde?«
»Klar«, antwortete Conny und gesellte sich zu ihren Kameraden, »seid ihr schon lange hier?«
»Den ganzen Nachmittag«, gab Bärbel Auskunft.
»Und wo habt ihr Britta und Paula gelassen?« fragte Conny weiter.
Hans lachte.
»Denen war es langweilig. Sie sind zum Kiosk gegangen, um sich einen Comic zu kaufen. Du kennst die beiden ja, bei denen muss immer was los sein.«
»Sie kommen bestimmt gleich zurück«, fügte Bärbel hinzu. Sie hatte kaum ausgesprochen, da kamen die beiden Mädchen auch schon angelaufen. Sie hatten feuerrote Köpfe, waren völlig außer Atem und ließen sich erschöpft auf ihre Badetücher fallen.
»Was ist denn in euch gefahren?« lachte Bärbel. »Werdet ihr von Banditen verfolgt?«
»Stellt euch vor«, begann Paula dramatisch, »das Regensdorfer Gefängnis ist explodiert!«
»Ist ja grauenhaft!« stellte Daniel fest und schlug die Hände über dem Kopf zusammen.
»Schrecklich!«, rief Hans genauso gekünstelt aus. »Furchtbar!«
»Hört doch mit dem Theater auf!« schimpfte Bärbel, die es nicht ausstehen konnte, wenn sich jemand auf diese Art über einen andern lustig machte. »Mit solchen Dingen ist nicht zu spaßen!«
»Da, seht!« fuhr Britta aufgeregt fort und streckte den andern eine Zeitung unter die Nase. »,Explosion im Regensdorfer Gefängnis!' Soll ich euch den Bericht vorlesen?«
»Und dafür habt ihr eine ganze Zeitung gekauft!« grinste Daniel kopfschüttelnd. »Nun ja, ist schließlich nicht mein Geld.« Die andern überhörten diese Bemerkung. Sie bildeten einen Halbkreis um Britta, und diese begann zu lesen:
»Explosion im Regensdorfer Gefängnis. Gegen ein Uhr in der Nacht vom 18. auf den 19. Juli explodierten im Regensdorfer Gefängnis in sämtlichen Räumen und Zellen aus bisher noch unerklärlichen Gründen die Heizkörper. Die über 30 Verletzten wurden sofort ins Krankenhaus gefahren. Tote gab es keine. Zahlreiche Häftlinge nutzten das allgemeine Chaos zu einem Fluchtversuch, konnten aber mit einigen Ausnahmen wieder gefasst werden. Unter den entkommenen Flüchtlingen befindet sich einer der berüchtigsten Verbrecher, Walter Wolf, Lupo genannt, der zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Die Polizei vermutet, dass es sich bei diesem nächtlichen Ereignis um ein Attentat handelt, denn einige Stunden nach der Explosion wurden in nicht allzu weiter Entfernung drei geknebelte Sanitäter aufgefunden, die auf dem Weg zur Unfallstelle von drei ihnen unbekannten Männern überfallen und ihrer Sanitätskleider beraubt worden waren. Möglicherweise wurde also mindestens eine Person mit einem gestohlenen Krankenwagen und durch Komplizen, die sich als Sanitäter ausgaben, unauffällig aus dem Gefängnis geschmuggelt.«
»Das ist ja allerhand!« meinte Conny nachdenklich.
»Tatsächlich!« gab ihr Bärbel recht.
»Grässlich, nicht?« begann Paula zu plappern. »Wenn ich mir nur vorstelle, dass dieser Walter Wolf, oder wie er heißt, plötzlich hier auftaucht und jemanden von uns entführt … ein schrecklicher Gedanke. Stellt euch doch mal vor, was da alles passieren könnte, nicht auszudenken. Meine Güte, wenn ich mir das alles vorstelle …«
»Ach, halt die Klappe«, fuhr ihr Hans ins Wort, »ewige Schwatztante!« Paula presste wütend die Lippen zusammen, konnte ihr Mundwerk aber beherrschen.
»Wenn ihr euch nur gegenseitig auffressen könntet!« entrüstete sich Bärbel und sah die beiden vorwurfsvoll an. »Aber lassen wir dieses Thema. Sprechen wir besser über etwas anderes. Weil wir gerade alle beisammen sind: Was habt ihr für Ferienpläne?« Diese Frage änderte die Stimmung im Nu. Sogar Thomas, der sonst sehr selten für ein Thema – Essen und Geruhsamkeit ausgenommen – zu begeistern war, rückte mit seinem Badetuch näher und spitzte die Ohren.
»Habt ihr in der ersten Woche schon etwas vor?« fragte Bärbel geheimnisvoll. Die meisten schüttelten den Kopf. Nur Britta und Paula erklärten, sie gingen für einige Tage zu einer Bauernfamilie, um dort im Haushalt zu helfen. »Am Mittwoch oder Donnerstag sind wir aber bereits wieder zurück«, sagte Paula, »weshalb fragst du?«
»Mein Onkel hat mich zu sich eingeladen«, berichtete Bärbel, »er hat ein großes Haus in Wetzikon am Wildbach. Falls ihr Lust habt mitzukommen, seid ihr alle herzlich willkommen.« Den Kameraden blieb für einen Augenblick die Spucke weg.
»Aber Bärbel«, wandte Conny ein, »dann wären wir ja zu sechst, wenn alle dürfen. Bist du sicher, dass dein Onkel für so viele Personen Platz hat? Ich meine, darfst du denn so viele Freunde mitnehmen, wie du willst?« Bärbel winkte ab.
»Ihr solltet mal an Silvester dort sein. Da wimmelt es nur so von Gästen, und die meisten übernachten auch gleich noch im Haus. Nein, ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Mein Onkel ist ein gastfreundlicher Mensch, wenn's sein muss, bringt er sogar ein Dutzend Elefanten in seinem Haus unter. Er sagte mir übrigens wörtlich, dass er sich riesig freuen würde, wenn ich meine ganze Klasse mitbrächte.«
»Das ist ja toll«, meinte Hans, »ich bin sofort dabei.«
»Ich auch«, ertönte es von allen Seiten.
»Fein«, sagte Bärbel, »und was ist mit euch, Britta und Paula? Ihr seid auch am Mittwoch oder Donnerstag noch herzlich eingeladen.«
»Ehrlich?« fragte Paula unsicher.
»Natürlich«, versicherte ihnen Bärbel.
»Und wir werden auch bestimmt alle Abenteuer aufsparen, bis ihr da seid«, fügte Daniel spöttelnd hinzu. »Seid ihr also dabei?« wiederholte Bärbel ihre Einladung. »Klar!« kam es wie aus einem Munde. Die Kinder konnten ja nicht ahnen, welche Aufregung diese Ferienwoche noch mit sich bringen würde …
»Auf unsern Erfolg!« Die Biergläser stießen mit einem dumpfen Klirren aneinander, und ein Teil des schäumenden, goldbraunen Getränkes schwappte über den Rand. »Auf meine Bande!«, »Auf Lupo!«, »Auf Remo!« Die Männer tranken das Glas in einem Zug leer, wischten sich mit dem Handrücken über den Mund und klopften ihrem Boss auf die Schultern.
»Schlau wie ein Fuchs«, grölte Tom, »schnell und unauffällig. Ein Hoch auf unseren raffinierten Boss!« Und alle sangen im Chor: »Hoch soll er leben, hoch soll er leben, dreimal hoch!« Remo schienen diese Lobsprüche nicht im geringsten zu schmeicheln. Gelassen feilte er an seinen Fingernägeln herum.
»Ihr seid von eurem Boss ja ziemlich begeistert«, stellte Walter fest, »ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass sich mein Bruderherz so rasch emporarbeitet.« Er warf Remo einen verächtlichen Blick zu, den der mit einem siegesbewussten Lächeln erwiderte. Der kleine Silvio streckte sich daraufhin und begann, allerlei Lobenswertes über seinen Chef auszusprudeln.
»Weißt du, Lupo, ich möchte nicht behaupten, dass du ein schlechter Boss warst, aber Remo hat so eine feine Art, die Leute um den Finger zu wickeln. Was du mit Gewalt aus ihnen herausquetschen würdest, versucht Remo mit bloßen Worten.«
Walter nickte langsam.
»Ich weiß«, sagte er, »ich kenne meinen Bruder – zu genau, möchte ich behaupten.«
»Er ist großartig«, stimmte Tom seinem Kumpel zu, »du hättest ihn sehen sollen, als er sich im Gefängnis nach dir durchfragte – ohne auch nur einmal deinen Namen zu nennen selbstverständlich. Oder vor einigen Wochen bei einem Postüberfall in … in Rapperswil, soviel ich mich erinnern kann.«
»Zürich, Tom – Rapperswil liegt ein paar Wochen weiter zurück«, verbesserte ihn Remo scheinbar uninteressiert. »Ach ja, das war ja in Zürich. Nun, jedenfalls hat er dort …«,Tom musste sich das Lachen verkneifen, »ein solches Glanzstück erlebst du nur einmal. Wir schnappten uns das Geld, Silvio und ich, stürzten hinaus, er kam uns entgegen, übernahm die Tüte, wir rannten weiter, und er brachte die Beute in Sicherheit. Aber weißt du, wie?« Er schüttelte lachend den Kopf. »Er hatte sich als Blinder verkleidet, mit Blindenstock und so. Hätte nie gedacht, dass das hinhauen würde, ich meine, ist doch erstaunlich, dass sich niemand um ihn kümmerte. Aber er sagte, das klappt, und es hat geklappt. Während alle Welt glaubte, wir beide hätten das Geld, spazierte Remo gemütlich mit den Piepen in der Einkaufstasche davon. Wer verdächtigt schon einen Blinden! Das war vielleicht ein Ding.« Lupo schien nicht beeindruckt zu sein.
»Remo konnte schon von klein auf gut schauspielern«, sagte er nur.
»Allerdings«, meinte Silvio, »auf diesem Gebiet ist er erstklassig. Einmal, das war, glaub ich, in Bern, da hat er sich als Frau verkleidet, wirklich verblüffend gut, und …«
»Lass doch«, fuhr ihm Remo ins Wort, während er an seinem Daumennagel herumschmirgelte, »es interessiert ihn ja doch nicht.«
»Es interessiert mich sogar brennend«, antwortete Walter wie zum Trotz, »schließlich hat ein alter Boss das Recht, zu erfahren, was sich in seiner Abwesenheit in der Bande alles zugetragen hat.«
»Dafür ist später immer noch Zeit«, meinte Remo, um dieses Thema endgültig abzubrechen, »sprechen wir vom Geschäft.«
»Vom Geschäft«, wiederholte Lupo und zog den Mund schief, »ich dachte mir doch gleich, dass du mich nicht aus Bruderliebe aus dem Knast geholt hast.«
»So was wäre mir tatsächlich nie in den Sinn gekommen«, bemerkte Remo tonlos. Er schien zu überlegen. Aus der Hemdtasche nahm er eine Zigarettenschachtel, öffnete sie und bot den Männern an. Nur Walter bediente sich. Dann klaubte Remo sich selbst eine Zigarette heraus und schob sie zwischen seine Lippen. »Feuer?« Er streckte seinem Bruder ein gelbes Feuerzeug vors Gesicht und ließ ihn die Zigarette an der blauen Flamme anzünden.
»Sprechen wir also vom Geschäft«, sagte Walter, während er sich in seinem Stuhl zurücklehnte, ein Bein übers andere schlug und die Arme vor der Brust verschränkte. »Worum geht's?«
Remo nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarette, wobei sich in seinen Wangen eine kleine Mulde bildete, und stieß den eingesogenen Rauch durch Mund und Nase in den Raum. Der Rauch kringelte sich, trübte die Luft für einen kurzen Augenblick und löste sich dann langsam auf.
»Zwei Millionen«, sagte Remo.
»Und«, sagte Lupo, indem er seine Zigarette aus dem Mund nahm, »wie viel springt dabei für mich raus?« Remo überlegte.
»Dreihunderttausend.«
»Was?« Walter sprang auf. »Bloß dreihundert? Und was gedenkst du mit dem Rest zu tun? Weihnachtskerzen kaufen oder was?«
»Siebenhundert für mich, fünfhundert für Silvio, fünfhundert für Tom.«
»Und damit soll ich mich zufriedengeben? Ich bin immerhin der alte Boss, nicht? Siebenhundert für mich, sonst steige ich aus.«
»Dreihundert«, antwortete Remo ruhig, und die Zigarette wankte in seinem Mundwinkel, »dreihundert und keinen Rappen mehr. Ist das klar?« Walter setzte sich gerade hin und beugte sich über den Tisch.
»Hör mal, Brüderchen«, brummte er, wobei er sich mit einem Ellbogen aufstützte und mit dem Zeigefinger auf Remo deutete, »ich verhandle nicht gerne.«
»Dreihundert«, sagte Remo ohne aufzusehen und mit einer Stimme, die keinen Widerstand duldete.
»Aus Dank, dass du mich aus der Kiste geholt hast?«
»Ich habe Kopf und Kragen dafür riskiert«, knirschte Remo, »und es hat mich zudem eine schöne Stange Geld gekostet. Also gib dich gefälligst zufrieden und halt die Klappe.«
»Und wenn ich mich weigere mitzumachen?« fragte Lupo mit einem bösen Lächeln im Gesicht.
»Das wirst du nicht«, antwortete sein Bruder seelenruhig, »ohne dich wird nämlich das ganze Unternehmen platzen. Dann hat niemand von uns etwas davon, und jeder könnte sich ohrfeigen, dass wir's nicht doch durchgeführt haben. Nein mein Lieber, soviel Geld lässt man sich nicht einfach durch die Finger gehen, und deshalb ist es wohl besser, du machst uns keine Schwierigkeiten. Sonst könnte es mir vielleicht noch einfallen, dir von deinem Anteil hunderttausend als Unkostenbeitrag für deine Befreiung abzuzapfen.« Walter brummte etwas Unverständliches vor sich hin. Er musste einsehen, dass es im Moment keinen Zweck hatte, die Pläne seines jüngeren Bruders zu durchqueren. Es war vorerst besser, stumm hinzunehmen, was man von ihm verlangte – obwohl es dazu für einen Mann wie Lupo viel Überwindung brauchte.
Die Wohnzimmertür wurde aufgestoßen, und hinter vier prall gefüllten Biergläsern erschien ein magerer Bursche. Er mochte etwa siebzehn Jahre alt sein, trug eine Küchenschürze und zerrissene, abgetragene Jeans. Remo wandte den Kopf und winkte den Jungen zu sich.
»Komm, Jörg. Ich möchte dich meinem Bruder vorstellen.« Jörg kam schüchtern näher und stellte die Gläser auf den Tisch.
»Das ist Lupo«, erklärte Remo und deutete auf Walter. Der Junge streckte dem großen, stämmigen Kerl unsicher die Hand entgegen. Aber als dieser kräftig zu lachen begann, zog er sie erschrocken zurück.
»Meine Güte, ist das ein komischer Vogel!« grölte Lupo und schlug mit der Faust so stark auf den Tisch, dass die Biergläser zu wackeln begannen. »Gehört dieses Klappergestell zum Personal? Wenn ich dem ins Gesicht spucke, wird er garantiert umfallen, so zerbrechlich wie der aussieht. Wo hast du den denn aufgegabelt?«
»Du solltest dir besser überlegen, was du in den Mund nimmst, Walter«, warnte ihn sein Bruder, und Jörg zugewandt, sagte er: »Du kannst jetzt gehen.«
»Einen Augenblick noch«, sagte Lupo und erhob sich. Er ging lässig auf den Jungen zu, fasste ihn am Kinn und blickte ihm abschätzig ins Gesicht. »Wie alt bist du denn?« Jörgs Augen wichen dem kalten Blick aus. »Bist du schwerhörig?« rief Lupo, als der Junge nichts antwortete, und hob ihn mit der Hand am Kinn beinahe vom Boden weg.
Die Augen des Knaben verrieten seine Gefühle, aber er sagte noch immer nichts.
»Lass ihn gehn!« befahl Remo.
»Warum sagt der Junge denn nichts?« wollte sein Bruder wissen und ließ ihn los.
»Er ist siebzehn«, sagte Remo anstelle des Jungen. Er gab Jörg einen Wink, und der verschwand darauf Nebenzimmer.
»So, so«, meinte Walter, während er wieder an den Tisch zurückkehrte, »er ist siebzehn. Und weshalb hat er nicht selbst geantwortet? Ist ihm die Luft ausgegangen oder wie?«
»Er ist stumm«, sagte Remo.
»Ach!« machte Lupo und wusste einen Moment lang nicht, was er sagen sollte, »du bist schlauer, als ich dachte, Brüderlein. Ein Junge, der nicht sprechen kann, wird auch nichts Geheimes verraten. Wie heißt das Sprichwort doch gleich? Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.« Er lachte überheblich und wollte noch etwas hinzufügen, aber Remo kam ihm zuvor.
»Zurück zu unserem Vorhaben«, sagte er sachlich, »wir haben bisher nur von Geld gesprochen. Es ist Zeit, dass ich euch endlich erzähle, worum es geht.« Er nahm einen letzten, tiefen Zug von seiner Zigarette, drückte sie im Aschenbecher aus und beugte sich nach vorn. »Am 5. August dieses Jahres, also in ungefähr zwei Wochen, wird in Uster eine Wanderausstellung eingerichtet. Es ist eine besonders wertvolle Ausstellung, antike Schätze, Schmuckstücke und Figuren von unschätzbarem Wert, die aus dem Grab eines unbekannten ägyptischen Pharao stammen.« Silvio rieb sich die Hände.
»Und diesen Fisch schnappen wir uns, stimmt's, Boss?« »So was darf man sich nicht entgehen lassen«, nickte Remo. »Natürlich müssen bis dahin noch viele Dinge geklärt werden. Es wird eine mühsame und harte Zeit für uns alle. Aber wenn man bedenkt, wie viel dabei für uns rausspringt, lohnt es sich auf jeden Fall.« Er überlegte eine Weile. »Ich habe das Unternehmen schon bis ins kleinste ausgearbeitet«, fuhr er fort. »Als erstes brauchen wir genügend Geld, um Leute zu bezahlen, die uns dabei helfen sollen. Ich schlage deshalb vor, wir starten am nächsten Dienstag einen kleinen Banküberfall hier in Wetzikon.«
»Toll!« rief Silvio begeistert, der die ganze Zeit über unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht war. »Darf ich mit Tom wieder …«
»Das besprechen wir später«, schnitt ihm Remo das Wort ab, »erst einmal müsst ihr mir versprechen, während der zwei Wochen bis zum großen Coup keine Dummheiten anzustellen. Ein voreiliger Entschluss, und der Fisch fällt ins Wasser, und wir tauchen womöglich mit. Keiner handelt also auf eigene Faust; wenn etwas gemacht wird, dann nur auf meinen Befehl, ist das klar?« Tom und Silvio nickten. Lupo blieb ruhig sitzen; seine Augen verrieten, dass er damit nicht einverstanden war.
»Dasselbe gilt für dich, Bruder«, sagte Remo, der den inneren Widerstand Walters zu spüren schien, »ich bin hier der Boss, begriffen?« Er erhielt keine Antwort.
»Hallo Roman!
Wie geht es Dir? Mir geht es ausgezeichnet. Nächste Woche beginnen ja bereits die Sommerferien, und deshalb haben wir es in der Schule richtig gemütlich. Herr Gerber gibt uns keine Hausaufgaben mehr, und so können meine Klassenkameraden und ich jede freie Minute zum Halwilersee gehen. Hast Du in Bauma auch so tolles Wetter? Hier in Wohlen brennt die Sonne nur so, es ist richtig heiß. Letzte Nacht gab es ein Riesengewitter, und den ganzen Tag über war es sehr schwül gewesen. Stell Dir vor, der Blitz hat einen Baum getroffen. Der ist jetzt mittendurch gespalten. Das war vielleicht ein Knall, als der Blitz einschlug! Sonst ist aber noch alles ganz geblieben.
Was machst Du so? Du hast mir geschrieben, dass Du nun Fahrstunden nimmst. Das finde ich toll. Wann machst Du denn die Fahrprüfung? Oder kann ich Dir schon gratulieren? Du, wir müssen uns unbedingt wieder einmal sehen. Seitdem wir uns kennengelernt haben, ist bereits über ein dreiviertel Jahr vergangen, und immer, wenn wir etwas unternehmen wollten, ist etwas dazwischengekommen. Aber diesmal muss es einfach klappen. Bärbel – ich habe Dir doch schon von ihr erzählt – hat mich und alle andern nach Wetzikon zu ihrem Onkel eingeladen. Das ist doch nur ein Katzensprung von Bauma entfernt. Könnten wir uns da nicht einmal treffen? Wir sind die ganze erste Ferienwoche dort. Meinst Du, da lässt sich etwas einrichten? Ich würde mich riesig freuen! Dann könnte ich Dir auch endlich einmal meine Freunde vorstellen. Was meinst Du dazu? Schreib mir doch möglichst bald, ob Du ein Datum finden kannst, das wäre wirklich toll. Ich denke, wir haben uns genug zu erzählen. Also dann
Tschüss
Deine Conny
Roman legte den Brief lächelnd zur Seite und blieb eine Weile gedankenversunken liegen. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und blickte an die kahle Steindecke seiner Höhle. Hier in dieser Höhle, die er eigenhändig in eine kleine Wohnung umgewandelt hatte, hier hatten sie sich damals kennengelernt. Er erinnerte sich genau, wie er Conny bewusstlos am Fuß einer Felswand aufgefunden und in diese Höhle gebracht hatte. Nie würde er ihre Stimme vergessen, als sie die Augen aufschlug und schüchtern fragte: »Wo bin ich?« Dass er mit diesem jungen Mädchen einen Flüchtling aufgenommen hatte, wusste er zu jenem Zeitpunkt noch nicht. Erst nach einer Weile erzählte ihm Conny bereitwillig, dass sie von ihren Pflegeeltern ausgerissen sei. Sie sei ständig geschlagen und gehänselt worden und habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Roman verstand sie sehr gut, denn auch seine Vergangenheit war nicht gerade beneidenswert.
Seine Mutter konnte ihn nicht ausstehen, und sein Vater, den er geliebt hatte, starb schon sehr früh. In seiner scheinbar ausweglosen Situation begann er zu rauchen und zu stehlen. Oft wusste er nicht mehr, was er tat, bis die entscheidende Wende kam und er Jesus in sein Herz aufnahm. Er erzählte Conny damals auch, wie er zu seinem besten Freund Jesus gefunden hatte, aber sie brachte den Schritt zu Jesus nicht fertig. Roman pflegte sie dann gesund und lieh ihr sein Fahrrad für den restlichen Fluchtweg nach St. Gallen. Seither hatten sie sich nicht mehr gesehen. Aber eines Tages bekam er einen Brief von ihr, in dem sie ihm schrieb, wie ihre abenteuerliche Flucht ausgegangen sei. Sie berichtete, dass sie sich der Polizei gestellt habe und nach Wohlen zu ihren Pflegeeltern zurückgekehrt sei und dass nun auch sie Jesus in ihr Leben aufgenommen habe. Sie sei nun ein ganz neuer Mensch geworden und schaue die Welt mit neuen Augen an. Roman dankte seinem Freund im stillen für Connys neues Leben und dafür, dass er sie hatte kennenlernen dürfen.
»Sie ist das tollste Mädchen der Welt«, murmelte er vor sich hin, faltete den Brief wieder auseinander und las ihn nochmals durch. Er stellte sich Conny vor, wie sie neben ihm sitzen und ihn mit ihren großen, graublauen Augen strahlend ansehen würde. Ob sie sich wohl verändert hatte? Wohl kaum. In einem dreiviertel Jahr konnte man sein Äußeres bestimmt nicht groß verändern. Trotzdem war Roman neugierig, ob Conny noch so aussah, wie er sie in Erinnerung hatte.
»Ich muss sie sehen«, schoss es ihm durch den Kopf. Er las den Brief ein drittes Mal durch und begann zu überlegen. »Die erste Woche der Sommerferien, das ist die Woche vom 25. bis 30. Juli, hm … ich könnte da natürlich einen freien Tag nehmen, schließlich habe ich im Geschäft schon genug Überstunden gemacht.« Er runzelte die Stirn. »Ja, das ließe sich bestimmt machen. Ich könnte am Dienstag nach der Arbeit mit dem Motorrad nach Wetzikon fahren und dann den ganzen Mittwoch bei Conny verbringen.« Der Gedanke, das Mädchen wieder einmal zu sehen, ließ sein Herz höher schlagen.
»Bis bald, Conny!« dachte er bei sich.
*
Die Schüler konnten die gemeinsamen Ferien bei Bärbels Onkel kaum mehr erwarten, und die wenigen Tage bis dahin kamen ihnen viel zu lange vor. Endlich war es soweit! Vollbepackt mit Rucksäcken und Koffern trafen sich die sechs Kameraden auf dem Bahnhof und traten die Zugfahrt nach Wetzikon an. Alle waren gespannt darauf, was sie in Wetzikon erwartete, und während der ganzen Fahrt überschütteten sie Bärbel mit Fragen.
»Wie sieht eigentlich dein Onkel aus?«
»Haben wir große Zimmer als Schlafräume?«
»Werden wir am Bahnhof abgeholt?«
»Seid ihr aber ungeduldig«, meinte Bärbel kopfschüttelnd, »wartet's doch ab, wir sind schließlich gleich dort.« Sie streckte den Kopf zum Fenster hinaus und blinzelte nach vorn. Der Zug verlangsamte sein Tempo. »Es wird Zeit, das Gepäck zu nehmen. Ich sehe schon den Bahnhof«, sagte das Mädchen und zog den Kopf wieder zurück. Schnell setzten alle ihre Rucksäcke auf und schleppten die Koffer in den Vorraum hinaus. Thomas hatte reichlich Mühe mit seinem Gepäck, war er doch mit einem Riesenkoffer, einer Reisetasche und einem Gestellrucksack ausgerüstet! Mit Ach und Krach gelang es ihm, den Rucksack aufzusetzen, und nach etlicher Anstrengung brachte er es fertig, aufzustehen und das Handgepäck im Abteilgang vor sich hinzustellen. Klar, dass sich der Dicke nach diesem Erfolgserlebnis mit einem Bonbon belohnen wollte, und so bemühte er sich, in den Rucksack auf seinem Rücken zu greifen, um die Bonbontüte herauszuklauben. Aber in diesem Moment quietschten die Bremsen, der Zug wurde mit einem Ruck zum Stillstand gebracht, der arme Thomas verlor das Gleichgewicht und fiel bäuchlings auf sein Reisegepäck. Die anderen mussten sich das Lachen verkneifen und halfen ihrem rundlichen Kameraden, wieder auf die Beine zu kommen. Der nämlich wurde von der Last seines Gestellrucksackes so platt auf den Koffer gedrückt, dass er es unmöglich allein geschafft hätte, seine in der Luft baumelnden Füße wieder auf den Boden zu kriegen. Völlig erschöpft taumelte Thomas schließlich aus dem Zug.
Onkel Christoph erwartete seine Besucher bereits. Er war groß und kräftig gebaut, trug ein weißes Hemd, graue Hosen und elegante schwarze Lackschuhe. Die Jacke hatte er über den linken Arm gelegt, und die Ärmel seines leuchtend weißen Hemdes waren fein säuberlich nach oben gekrempelt, und zwar beide auf den Millimeter genau gleich weit.
»Hallo, Onkel Christoph!« stieß Bärbel hervor, als sie den Mann erblickte, und schüttelte ihm die Hand. »Freut mich, euch zu sehen«, begrüßte der Onkel die Klassenkameraden, »war die Reise anstrengend?« »Außerordentlich!« stöhnte Thomas und verdrehte die Augen.
»Weißt du, er hätte beinahe die Station verpasst«, erklärte Bärbel ihrem Onkel lächelnd.
»Nein so was!« meinte der Mann und wandte sich dem Dicken zu, »dann bist du bestimmt Thomas.« Etwas verblüfft nickte der Junge.
»Wie haben Sie denn das so schnell herausgefunden?« Der Onkel lachte.
»Ach, das ist ganz einfach. So wie euch Bärbel geschildert hat, gibt es unter euch nur einen, der es fertigbringt, die Station beinahe zu verpassen.« Die Kinder blickten einander verschmitzt an. »Aber jetzt seid ihr ja alle da«, fuhr der Onkel fort, um Thomas eine peinliche Situation zu ersparen, »und ich hoffe, ihr werdet bei mir eine unvergessliche Zeit verbringen. Ihr könnt mich übrigens ruhig duzen und Christoph nennen.« Damit schüttelte er jedem die Hand, und Bärbel stellte ihrem Onkel die Kinder vor. »Na, dann kommt!« sagte Christoph, indem er ein Gepäckstück vom Boden aufhob. »Wir wollen hier schließlich keine Wurzeln schlagen. Mein Wagen steht da hinten, gleich um die Ecke.« Er lief breitbeinig voraus, und die sechs Freunde nahmen ihr Gepäck und folgten ihm. Bärbel wartete freundlicherweise noch, bis auch Thomas seine Siebensachen aufgeladen hatte.
»Sag mal, Bärbel«, fragte Thomas nebenbei, »was hast du deinem Onkel eigentlich über mich so erzählt?« Das Mädchen warf den Kopf zurück und lachte schallend auf.
»Dreimal darfst du raten, Dicker.« Sie klopfte dem Jungen freundschaftlich auf den Rücken. »Aber nimm's nicht so tragisch, und zerbrich dir nicht den Kopf darüber. Es wäre doch zu schade, wenn du bereits am ersten Abend vor lauter Kopfschmerzen nicht schlafen könntest.«
Christophs Haus lag nicht weit von Wetzikon entfernt hinter einem sanften Hügelzug, der in weicher Wölbung ins flache, offene Land überging. Groß und herrschaftlich blickte das Landhaus in die weite Ebene, die mit Äckern, Feldern und Wiesen übersät war und erst in weiter Ferne durch einen bewaldeten Hügelzug abgeschlossen wurde. Eine Seite des Hauses grenzte an einen schmalen Waldgürtel, und ihm entlang schlängelte sich ein Bächlein, das lustig plätscherte. Die ganze Gegend bot einen idyllischen Anblick, der durch das einsame Haus keineswegs gestört wurde. Im Gegenteil; hatte man sich dieses malerische Bild einmal eingeprägt, schien es einem, als stünde dieses Haus schon seit Urzeiten da und als sei jede kleinste Veränderung daran störend, so gut fügte es sich in die Landschaft ein.
Ein ratterndes Motorengeräusch brach in die friedliche Stille ein. Christophs knallroter Wagen holperte um eine Kurve. Bei jeder kleinen Unebenheit der Landstraße schüttelte und rüttelte es die sieben Personen gehörig durch, und bei jeder größeren Mulde oder Erhebung wurde Christoph so gegen sein Steuer gedrückt, dass er die Hupe auslöste. Anscheinend war sein Sicherheitsgurt schon recht altersschwach. Alle zehn bis zwanzig Sekunden drang ein Knall aus dem Innern des Motors und ließ die ganze Kühlerhaube vibrieren. Eben hob es die Kameraden wieder in die Höhe. Einzig Thomas konnte von der Federung des Sitzes nicht vom Fleck gedrückt werden.
»Einen abenteuerlichen Wagen hast du da«, bemerkte Daniel, »das ist genau das Auto, von dem ich schon lange träume. Er sollte höchstens etwas leiser rattern.«
»Ja, mein guter alter Oskar«, lachte Christoph, »er ist eben nicht mehr der Jüngste.«
»Stört dich das Rattern denn nicht?«
»Ach, weißt du, man gewöhnt sich an alles«, erwiderte Christoph gelassen.
»Und dieses Geknalle? Man könnte glauben, dein Auto hat Schluckauf. Das ließe sich doch sicher reparieren.« Der Mann schüttelte den Kopf. »Das lohnt sich bei meinem guten alten Oskar nicht mehr. Die nächste Aktion, die ich starten muss, ist, ihn auf den Schrotthaufen zu bringen. Und bis dahin genieße ich alle seine Macken noch in vollen Zügen.« Es hupte wieder, diesmal noch lauter als zuvor. »Du scheinst dich für Autos zu interessieren, hab' ich recht?«
Daniel nickte. »Das kann man schon sagen. Früher wollte ich sogar mal Rennfahrer werden.« Der Onkel pfiff bewundernd durch die Zähne.
»Sieh an, sieh an. Wenn das so ist, musst du dich unbedingt einmal in Wetzikon im Autohaus Bergmann umsehen«, meinte er, »dort stehen die verrücktesten Karren. Autofanatiker können sich dort nicht satt sehen. Ihr könnt ja mal einen kleinen Stadtbummel unternehmen und in das Autohaus reinschauen, ihr werdet es bestimmt nicht bereuen.«
»Au fein!« stieß Daniel hervor und sah die anderen an. »Was haltet ihr davon?« Die Jungs waren einstimmig dafür. »Klasse«, meinte Daniel, »dann können wir uns ja einen ganzen Nachmittag Autos angucken. Wirklich toll. Wie lange ist das Autohaus denn offen?«
»Nicht so hastig, Junge!« dämpfte Christoph seinen Übermut. »Hast du denn die Ladys schon gefragt, ob sie überhaupt mitwollen?«
»Um uns brauchst du dich nicht zu kümmern, Christoph«, erklärte Bärbel, »wenn es uns langweilig wird, unternehmen wir eben alleine was. Kein Problem für uns, nicht wahr, Conny?«
»Nein, bestimmt nicht«, bestätigte das Mädchen, »aber vielen Dank für die Aufmerksamkeit.«
Unerwartet bremste der Wagen, und ein letztes Mal flogen alle in die Höhe.
»So, da wären wir!« gab Christoph bekannt und stieg aus. Die sechs Passagiere taten es ihm gleich.
»Das war vielleicht eine halsbrecherische Angelegenheit«, stöhnte Ruedi und bewegte seine steifen Glieder. Obwohl Oskar nicht gerade ein Kleinwagen war, hatte Ruedi die ganze Fahrt über zwischen Conny und Thomas eingequetscht sitzen müssen und fühlte sich nun plattgedrückt und verrenkt.
»Ist dir nicht gut?« fragte Bärbel scherzend. Ruedi schwang seine Arme und schüttelte gleichzeitig die Beine.
»Ich fühle mich miserabel«, sagte er etwas verärgert. »Du konntest wenigstens vorne sitzen. Aber ich saß eingeklemmt zwischen Conny und einem fetten Rhinozeros. Du kannst dir nicht vorstellen, wie …«
»Was soll ich sein?« fuhr ihm Thomas ins Wort. »Ein was bitte?«
»Ein Rhinozeros bist du«, wiederholte Ruedi, »ein riesengroßes, dickes, fettes Rhinozeros. Ohne dich könnte ich jetzt wenigstens noch einigermaßen aufrecht stehen. Du hast mir sämtliche Rippen zusammengestaucht.«
»Und dabei habe ich auf unserer Zugreise doch bloß zwei Päckchen Chips und eine Tüte Bonbons gegessen«, meinte Thomas mit einer unschuldigen Miene.
»Dann hast du eben eine schlechte Verdauung«, schimpfte sein Freund, »während der Autofahrt kam es mir jedenfalls vor, als hätte sich dein Bauchumfang um mindestens zehn Zentimeter vergrößert!«
»Gibt es irgendwelche Probleme?« Christoph trat zwischen die beiden vermeintlichen Streithälse.
»Nein, nein, es ist alles in bester Ordnung«, winkte Bärbel lachend ab. Sie kannte ihre Kameraden nur zu gut.
Was äußerlich wie Streit aussehen mochte, war doch nur kameradschaftlicher Spaß am Necken.
»Ruedi behauptet bloß, Thomas habe ihm zu wenig Platz gelassen«, erklärte das Mädchen seinem Onkel.
»War es euch zu eng?« erkundigte sich der Mann besorgt. »Das tut mir aber leid. Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich mit meinem offiziellen Wagen zum Bahnhof gekommen.«
»Mit deinem offiziellen?« wiederholte Daniel erstaunt. »Heißt das, du hast zwei Autos?«
Christoph nickte.
»Ich besitze noch einen Mercedes. Aber ich dachte, ich hole euch mit meinem guten, alten Oskar ab. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ich ein Volumen von sieben Personen hineindrängen müsste.« Thomas stutzte.
»Sieben Personen?« Er begann möglichst unauffällig zu zählen. Dann stieß er Conny sanft in die Seite. »Hast du eine Ahnung, weshalb er auf sieben kommt? Wir sind doch ohne ihn nur zu sechst.« Conny schmunzelte. »Wahrscheinlich hat er deinen Schatten mitgezählt«, lautete ihre Antwort. Thomas zog die Augenbrauen hoch und überlegte, kam jedoch nicht auf eine vernünftige Lösung.
Der Onkel führte die Kinder auf ihre Zimmer. Bärbel und Conny erhielten eine niedliche kleine Dachkammer im zweiten Stock. Darin standen drei frischbezogene Betten, ein handgemalter Kasten und ein niedriges Holztischchen, das mit einem rotweiß karierten Tischtuch und einem zierlichen Strohblumenstrauß geschmückt war. Die Zimmerdecke war abgeschrägt, und so sah man aus dem in die Schräge eingebauten Dachfenster über den Kronen einiger Tannen nur noch den strahlend blauen, wolkenlosen Himmel. Die beiden Zimmer der Jungen lagen einen Stock tiefer, ziemlich genau unterhalb dieser Dachkammer.
Die Kinder stellten ihr Gepäck in den Zimmern ab und ließen sich dann in dem Gebäude etwas herumführen. Es kam ihnen mit all den größeren und kleineren Zimmern beinahe wie ein Palast vor. Bibliothek, Büro, Speisezimmer, Partyraum, Wohnzimmer – es fehlte wirklich nichts. »Meine Güte«, staunte Hans, »das ist ja enorm. Brauchst du da keinen Wachhund?«
»Doch«, entgegnete Christoph, »da braucht man schon einen tüchtigen Hund. Ich habe eine Schäferhündin.« »Wie heißt sie?« wollte Conny wissen.
»Trixi. Sie ist eine echte Polizeihündin.«
»Eine Polizeihündin? Das ist ja toll«, meinte Ruedi. »Ja, sie ist wirklich toll«, bestätigte der Onkel, »ich werde sie euch nach dem Mittagessen vorstellen. Jetzt ist sie noch mit einer guten Bekannten auf einem Spaziergang.«
»Sie ist sicher gut dressiert, nicht wahr?« fragte Hans. »Das kann man schon sagen. Sie hat mir schon gute Dienste geleistet. Bereits dreimal hat sie Diebe erfolgreich am Eindringen gehindert. Ich bin wirklich stolz auf sie. Und in der nächsten Zeit wird sie sogar Nachwuchs bekommen. Aber genug geredet. Kommt, das Mittagessen wird gleich fertig sein!«
*
Christoph hatte nicht übertrieben, als er sagte, aus dem Autohaus Bergmann bringe man einen Autofanatiker nicht mehr so leicht heraus. Vom kleinsten bis zum größten, vom jüngsten bis zum ältesten Wagen gab es eine Menge zu sehen. Beinahe jede Automarke war vertreten, vom Fiat bis zum Rolls-Royce. Klar, dass sich die Jungs nur noch über Autos unterhielten und sich an Wissen zu übertrumpfen versuchten. Conny und Bärbel standen bewundernd daneben, denn sie verstanden überhaupt nichts von all dem, was sich ihre Gefährten gegenseitig kundtaten.
»Wie kann man bloß so viel über Autos wissen!” wunderte sich Bärbel.
»Dafür wissen wir in anderen Dingen besser Bescheid als sie«, tröstete sich Conny, »du musst ihnen nur mal eine Stricknadel in die Hand drücken und …« Sie hielt inne. Die Jungen hatten sich vor einen braunen Simca gestellt und schienen heftig zu diskutieren.
»Und ich sage euch, der hat Vierradantrieb«, hörte sie Hans sagen.
»Quatsch«, wandte Ruedi ein, »so was haben nur Geländewagen und ganz wenig andere.«
»Der läuft mit Hinterradantrieb«, meldete sich Daniel, »hundertprozentig.«
»Ich dachte, Simcas hätten Vorderradantrieb«, mischte sich Thomas ein, obwohl er sich seiner Sache nicht ganz sicher war.
»Jetzt ist das Chaos perfekt«, lachte Ruedi. Er schlenderte um das Auto herum und begutachtete es von allen Seiten. Es schien fabrikneu zu sein und glänzte in der Sonne. Kein Kratzer war zu sehen, keine Beule, kein Rostfleck. Ruedi presste sein Gesicht an eine Scheibe und warf einen Blick ins Innere des Wagens. Währenddessen diskutierten die Jungen heftig weiter, und als sich die beiden Mädchen auch noch ins Gespräch einmischten, obschon sie so gut wie nichts von der Sache verstanden, schlug Ruedi vor, einen Mechaniker nach dem Antrieb des Wagens zu fragen.
»Der wird es wohl wissen.«
»Wenn ihr meint«, sagte Daniel achselzuckend, »aber ich schließe mit euch jede Wette ab, das ist ein Karren mit Hinterradantrieb.«
»Das werden wir ja sehen«, entgegnete Hans. In der Werkstatt nebenan war ein großes, verbeultes Auto mit einer Maschine in die Luft gehoben worden, und ein Mann in einem blauen Arbeitsanzug stand darunter und hantierte mit Zange und Schraubenzieher am Fahrgestell herum. Er war derart in seine Arbeit vertieft, dass er die sechs Kameraden erst bemerkte, als sie unmittelbar vor ihm standen.
»Entschuldigen Sie die Störung«, begann Daniel, »aber wir haben ein kleines Problem, das Sie vielleicht lösen könnten.« Der junge Mann wischte sich die schwarzen Hände an einem genauso schmutzigen Tuch ab.
»Und?« fragte er etwas mürrisch. Daniel deutete auf den Simca.
»Der Simca dort drüben«, sagte er, »was hat der für einen Antrieb? Ich meine, Vorderrad, Hinterrad oder Vierradantrieb? Wissen Sie, die einen von uns behaupten dieses, die andern jenes, und da dachten wir uns, ein Mann vom Fach könnte uns bestimmt Auskunft geben.«
»So, dachtet ihr«, brummte der Mann nur. Die Kameraden – vor allem die Jungs – brannten darauf, die Antwort zu hören, aber sie wurden noch auf die Folter gespannt.
»Tom!« rief jemand durch die Werkstatt. Der Mann hob den Kopf. Ein Mitarbeiter schlängelte sich zwischen Autoreifen und Werkzeug hindurch und kam direkt auf den Mechaniker zu.
»Was gibt's?« wollte der wissen.
»Dein komischer Junge ist wieder hier«, meldete der andere, »er hat irgend etwas für dich. Irgend so einen Zettel. Ich wollte ihn nehmen, aber der Junge bestand darauf, dir den Wisch persönlich zu überreichen. Scheint ja eine wichtige Nachricht zu sein. Er wartet übrigens draußen auf dich.«
»Sag ihm, er soll herkommen. Ich kann im Moment nicht weg.«
»Okay, ich sag's deinem Postboten.«
Die Kameraden waren sich nicht schlüssig, wie sie sich nun verhalten sollten. Einerseits traute sich niemand, ihre Frage zu wiederholen, andererseits würde diese mürrische Person bestimmt nicht von selbst darauf kommen, ihnen eine Antwort zu geben. Doch zum Glück täuschten sie sich.