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Der Bürgerkrieg erschüttert das Sol-System. Er hat den Mars verwüstet und am Ende Terra erreicht. Für Flavius bedeutet dies einen blutigen Alptraum, der ewig weiterzugehen scheint. Inzwischen ist er zum Legionsführer aufgestiegen, doch innerlich ist er ausgebrannt und dem Wahnsinn nahe. Leukos Herrschaft über den Mars bröckelt, nachdem die Ballungszonen Weitkrater und Marksbury vernichtet worden sind. Dennoch sieht der Oberstrategos keinen anderen Ausweg, als den Kampf fortzusetzen. Eine Chance gibt es nur noch, wenn Terra als Bollwerk der Optimaten fällt. Die Mutterwelt der Menschheit aber steht als uneinnehmbare Festung vor den Loyalisten und der Feind ist weiterhin übermächtig. Die noch verbliebenen Streitkräfte der Loyalisten setzten schließlich in einem finalen Angriff alles daran, auf dem blauen Planeten zu landen...
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Seitenzahl: 366
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Verlorene Leben
Landungsgemetzel
Festung Terra
Den Mars halten
Die Welt von Tapsi und Dumpfi
Geteilte Macht?
Finanzkrieg
Schlacht um Vartham
Wir beide verlieren
Canmerigas Trümmerfelder
Cytasbors Gräben
Mein Omega
Unter den Giftwolken
Ewiger Kampf
Das Imperium in der Krise
Yussams Angebot
Ich existiere noch
Die Reise ins Nichts
Der Archon des Krieges
Unser Zeitalter
„Im aureanischen Zeitalter war die Höherzüchtung, die Erschaffung eines edleren Menschentums, das höchste Ideal. Zugleich warnten unsere Vorfahren vor einer Herrschaft der Maschine und der damit verbundenen Degeneration ihrer Schöpfer.
Doch sind ihre mahnenden Worte im Strom der Zeit verklungen. Wir haben die Technologie dennoch angebetet und uns ihr freudig hingegeben. Je weiter wir in die Tiefen der Galaxis vorstießen, desto mehr haben wir die Maschine umarmt und ihr vertrauensvoll die Kehle hingehalten. Das Fleisch von so vielen wurde Kabel, Stahl und Plastin; die Technologie sollte uns erneuern, immer wieder, bis in alle Ewigkeit.
Jetzt stehen Heere aus künstlichen Menschen vor Terras Toren. Sie behaupten, beseelt zu sein. Sie sagen zu uns, dass sie die neue Menschheit sind und wir nur noch eine sterbende Art. Sie rufen uns zu, dass sie unsere Brüder und Schwestern sind und wir uns nicht vor ihnen zu fürchten brauchen, doch erschauern wir, wenn wir sie sehen.
Sie sind tatsächlich beseelt, die Eisernen Menschen, die auf unserer Türschwelle stehen. Ich glaube ihnen, dass sie einst Menschen aus Fleisch und Blut gewesen und jetzt weitaus mehr sind. Ich glaube ihnen sogar, dass sie uns nicht feindlich gesinnt sind.
Aber ich weiß auch, dass eine neue Art und eine alte nicht zusammenleben können, ohne dass die eine die andere vernichtet.“
(Sonnenhüter Gylgamor der Traurige am Vorabend der Technologienacht)
Legatus Flavius Princeps weinte still in seinen Helm, während er langsam einen Fuß vor den anderen setzte und in den Schatten eines zerbombten Habitatsgebäudes trat. Der Soldat aus Vanatium bemühte sich, sein leises Schluchzen gänzlich verstummen zu lassen, doch gelang es ihm nicht.
Vor sechs Wochen war Flavius von Aswin Leukos persönlich zum Führer der glorreichen 592. Legion von Terra, die inzwischen mit neuen Rekruten auf volle Stärke gebracht worden war, ernannt worden. Trotzdem weinte er pausenlos, seit der Vorstoß im Morgengrauen begonnen hatte.
„Ich muss leise sein. Die Vox-Kanäle sind offen, alle können mich hören“, dachte Flavius, doch die Tränen liefen ihm hartnäckig die Wangen herunter.
Irgendwo jenseits der Ruinenhäuser und Rauchschwaden rumorten die Geschütze noch immer, die Luft hinter dem schützenden Helmvisier war von Biophagingas geschwängert. Allerdings hatte sich der giftige Nebel bereits so weit zersetzt, dass er von den Filtersystemen abgehalten werden konnte.
Um Flavius und seine Legionäre herum war alles Leben schon vor Tagen ausgelöscht worden. Magmabomben waren vom Himmel gekommen; im Umkreis vieler Kilometer hatten sie sämtliche Siedlungen dem Erdboden gleichgemacht und unzählige Seelen vertilgt. Die Landungsinvasion im Herzen von Zyberia lief nach wie vor, obwohl es an allen Fronten schlecht für die Angreifer aussah. Manilus Sachs hatte die Führung der 592. Legion inzwischen auf Flavius übertragen und stand nun an der Spitze einer Truppe aus verdienten Veteranen, die meist aus dem Proxima Centauri System stammten und schon im thracanischen Bürgerkrieg mitgekämpft hatten.
Der hünenhafte Zenturio hatte es gut gemeint, hatte seinem alten Freund Flavius einen Ehrendienst erweisen wollen, indem er ihn vom Kohortenführer zum Legatus befördert hatte, doch empfand dieser keine Freude darüber, dass er nun die legendäre Kampfformation befehligen durfte.
Eugenia Gotlandt war seit fünf Monaten tot. Optimatische Bomber, die den Mars angeflogen hatten, hatten ein Feldlager und dabei auch mehrere Lazarettgebäude zerstört. Im Zuge dieses Angriffs war Eugenia, die kurz vor der Entbindung ihre Zwillinge gestanden hatte, von einer Brandbombe getroffen worden.
Jetzt war sie für immer fort. Genau wie der kleine Junge in ihrem Leib, der das Licht der Welt niemals hatte erblicken dürfen.
Lediglich das Mädchen war gerettet worden. Doktor Phyrrus, der den Bombenangriff wie durch ein Wunder überlebt hatte, hatte den Säugling aus Eugenias Leib herausgeschnitten und ihn vor dem Tod bewahrt.
Inzwischen hatte sich Flavius die Unterlippe blutig gebissen, wobei die Tränen nicht aufhörten zu fließen. Er war nicht einmal mehr in der Lage, eine Schar dummer Rekruten anzuführen, dachte er. Geschweige denn kampferfahrene Legionäre.
„Vorrücken in Richtung T-67!“, brachte Flavius mit belegter Stimme heraus.
Er räusperte sich, schluckte Tränen und Speichel herunter. Wenn jemand fragte, hatte er die Nase aufgrund eines defekten Helmfilters verstopft. Oder er erzählte den Männern irgendeinen anderen Unsinn, falls sie ihn auf sein Schniefen und Schlucken ansprachen.
Vielleicht antwortete er ihnen auch überhaupt nicht, denn im Grunde war es ihm längst gleich, ob ihn seine Legionäre respektierten oder verachteten. Eugenias Tod hatte ihn endgültig gebrochen. Er war der letzte Sargnagel für seine gepeinigte Seele gewesen.
Wie in Trance schritt Princeps über das Trümmerfeld, das der Orbitalschlag hinterlassen hatte. Dabei fühlte er sich zwischen den zerschmetterten Habitatsbauten, die sich um ihn herum in den grauen Aschehimmel erhoben, wie eine Ameise.
Ganz egal, wie dieser Krieg ausging: Ob die Loyalisten das Goldene Reich retteten oder die aureanische Kaste unterging; ob er ein Held war oder bloß eine ersetzbare Made, Flavius Geist wurde von einer bleiernen Gleichgültigkeit beherrscht, die ab und zu von bodenloser Trauer abgelöst wurde.
Der Krieg würde niemals enden, dachte Princeps. Er schmeckte die salzigen Tränen, die unaufhörlich seine Wangen herunter liefen, während er dagegen ankämpfte, die Nerven zu verlieren, sich einfach auf den Boden zu setzen und dort auf das Ende der Zeit zu warten.
Gelegentlich erreichten Funksprüche seine Ohren. Flavius antwortete schluchzend und kaum verständlich.
„Was bin ich bloß für ein erbärmliches Wrack?“, ging es ihm durch den Kopf.
Dass man einen Halbtoten wie ihn zum Führer der 592. Legion von Terra ernannt hatte, war vollkommen lächerlich.
In Momenten wie diesen wusste Flavius nicht, ob er sich selbst hassen oder bedauern sollte. Im Grunde hasste er vor allem sein Leben, das seit so vielen Jahren an den Wahnsinn dieses Krieges gekettet war.
Vielleicht war der Tod ein Ausweg, sinnierte er. Vielleicht aber auch nicht. Vermutlich war er längst tot und befand sich schon in den Tiefen der Hölle, denn nichts anderes war diese zerbombte Mondlandschaft, durch die er marschierte. Sie war ein Abgrund der Unterwelt, durch den die Ascheschwaden wehten.
Flavius versuchte, sich mit aller Kraft zusammenzureißen, klammerte sich an das, was von seinem Verstand noch übrig geblieben war, doch gelang es ihm kaum. Er hatte den Glauben an eine Erlösung für immer verloren. Der Tag, an dem ihm Dr. Phyrrus von Eugenias Tod berichtet hatte, war auch sein Todestag gewesen. Er hatte sein Ende als menschliches Wesen besiegelt. Jetzt war er nur noch eine Hülle, die über die verwüstete Erde schritt.
Die Nacht war kalt, genau wie Flavius Seele. Schon seit Tagen hatte der frisch ernannte Legatus mit so gut wie niemanden mehr gesprochen. Selbst seinen alten Freund Kleitos schwieg er nur noch hartnäckig an. Allerdings wusste der Legionär aus Wittborg zumindest, was der Grund für Flavius seltsames Verhalten war.
Manilus Sachs befand sich mit seinen Soldaten an einem anderen Frontabschnitt, so dass ihn Flavius seit einer Weile nicht mehr gesehen hatte. Ab und zu meldete sich der Zenturio über das Vox-Netzwerk, doch Flavius hatte wenig Interesse daran, mit ihm zu sprechen. Auch Kleitos und Manilus hatte Eugenias Tod erschüttert; Flavius jedoch war durch dieses Ereignis vollständig zerschmettert worden.
Was ihn noch auf den Beinen hielt, war die jahrelange Routine des Soldatenlebens. Princeps kannte kaum mehr etwas anderes. Die Zeiten, in denen er ein normaler Mensch gewesen war, lagen schon so weit zurück, dass sie so gut wie vergessen waren. Krieg, Mord, Tod und Zerstörung waren alles, was Flavius noch begriff.
Um ihn herum ertönte das ewig gleiche Gemurmel von Legionären, die in den Eingeweiden eines Grabensystems hockten und auf das Morgengrauen warteten. Die Landungsoffensive war längst fehlgeschlagen. Tief im Inneren wusste Flavius das, doch behielt er seine Meinung für sich.
Viele der Soldaten hofften noch, dass es ihnen gelingen würde, einen stabilen Brückenkopf zu errichten, von dem aus sie weiter nach Westen und Süden vorstoßen konnten. Princeps aber glaubte, die Lage besser überblicken zu können. Die terranische Abwehr hielt stand, während sich die Verluste der Loyalisten maximierten. Tausende waren bereits gestorben und Tausende würden noch folgen. Inzwischen formierte sich der Feind überall rund um die Landungszone und rückte in gewaltiger Zahl im Schutz von Panzern und Kampfläufern vor.
Flavius leerer Blick wanderte über die dunklen Konturen von Cargobehältern und Autokanonentürmen. Wieder einmal wünschte er sich, dass eine Bombe aus dem blauschwarzen Nachthimmel direkt auf seinen Kopf fiel, um sein Leid zu beenden. Er saß auf einer eisernen Treppe, die aus dem Graben heraus führte, und stierte schweigend auf die vielen Stellungen. Der schwache Schein glühender Thermostrahler waberte in den gegrabenen Durchgängen.
„Die Toten warten auf das Abschlachten“, sagte Flavius so leise, dass nur er selbst es hören konnte.
Er blickte zu seinen Kameraden herüber, Legionäre in beigefarbenen Panzerrüstungen saßen überall, einige gingen auch ziellos entlang der Gräben durch die Nacht. Sie erinnerten Princeps an gefangene Raubtiere, die stumpfsinnig hinter Gitterstäben im Kreis liefen.
Der allgegenwärtige Brandgeruch, den das Magmabombenfeuer hinterlassen hatte, schwängerte hartnäckig die Luft. Winzige Aschepartikel wehten an Flavius geröteten Augen vorbei.
Die alten Völker Terras hatten sich die Hölle einst als gewaltiges Flammenmeer vorgestellt, ging es ihm in diesem Augenblick durch den Kopf. Wenn es tatsächlich so war, dann befand er sich hier und jetzt in der schwärzesten und trostlosesten Unterwelt. Nur ein böser Gott konnte sie erschaffen haben, nur ein zutiefst sadistischer Schöpfer konnte ihn zu diesem Schicksal verdammt haben.
Die im Hintergrund schwarz aufragenden Ruinen der Habitatsgebäude erinnerten Flavius daran, wie wenig wert ein einzelnes Menschenleben doch war. Es zählte genauso wenig wie eine Million Menschenleben, wenn die Bomben vom Himmel kamen und die Luft zu flimmern begann. Dann versanken ganze Landstriche in den Feuern und alles hörte auf zu existieren.
Aswin Leukos hatte Zyberia ausgewählt, um seine Legionen landen zu lassen. Hier war die Orbitalabwehr des Feindes relativ schwach - zumindest hatte das loyalistische Oberkommando dies behauptet.
Die Soldaten, die sich in der zerbombten Landungszone befanden, wussten es inzwischen besser, denn der Feind war sehr gut auf diesen Angriff vorbereitet gewesen und setzte sich verbissen zur Wehr. Die Verluste waren gewaltig, auch wenn diese Nacht im Schatten eines trügerischen Friedens verstrich.
Als Eugenias Gesicht vor seinem geistigen Auge erschien, wurde Flavius Herz noch schwerer. Die meiste Zeit über gelang es ihm, den Schrecken ihres Todes zu verdrängen, doch in der Nacht, wenn es still war, war dies nicht mehr so einfach möglich.
Nichts war ihm geblieben nach all den Jahren. Diese Erkenntnis schmerzte wie tausend glühende Nadeln, die ihm zugleich ins Fleisch gebohrt wurden. Das letzte Stück Sonnenschein, Eugenia, war aus seinem Leben verschwunden und würde niemals mehr zurückkehren. Was geblieben war, waren das Leid und die Schwärze dieser kalten, schrecklichen Nacht.
Mit hämmerndem Herzen presste sich Flavius an eine graue Betonwand; er spähte um die Ecke und erkannte den Grund für das aufgeregte Geschrei seiner Männer. Elefanten, Panzer, Kampfläufer, mobile Geschütze und Massen von Legionären und Auxilia wurden zwischen den Ruinenhäusern sichtbar. Am Himmel erschienen Schwärme von Transportgleitern.
Das also war die Gegenoffensive der Optimaten, dachte Flavius. Der Landungsversuch in Zyberia war endgültig fehlgeschlagen, blitzte es in seinem Hirn auf.
Die Panzerverbände der Loyalisten eröffneten nach und nach das Feuer auf den vorrückenden Feind. Überall fauchten Blasterstrahlen und Plasmaladungen durch die Ruinenlandschaft, die das orbitale Bombardement hinterlassen hatte.
„Legatus Princeps, ziehen Sie sich mit Ihren Soldaten bis nach A-48 / 16 zurück! Haben Sie das verstanden?“, schallte es aus dem Helmlautsprecher.
„Ja, habe ich.“ Flavius zog eine holographische Landkarte näher an seine Augen heran und vergrößerte sie per Sprachbefehl.
„A-48 / 16 ist mehr als siebzig Kilometer von unserer derzeitigen Position entfernt“, antwortete Princeps dem Mann vom Oberkommando, der irgendwo im Orbit in einem Raumschiff saß.
„Das wissen wir, Legatus Princeps, aber wir können euch nur in einer halbwegs sicheren Position evakuieren“, erklärte dieser.
„Evakuieren?“, rief Flavius.
„Ja, Legatus, der Feind ist kurz davor, unsere Landungsstreitmacht einzukesseln. Befolgen Sie jetzt den Befehl, wir schicken Transporter.“
Der blonde Legionsführer aus Vanatium stieß einen Fluch aus, er gab den Befehl an seine Männer weiter; diese räumten daraufhin panisch ihre Stellungen.
„Herr Legatus, schwingen Sie Ihren königlichen Arsch aus dem Graben“, rief Kleitos, der zu Princeps Rechten im Dreck hockte und seinen Blaster umklammerte.
Wortlos folgte ihm Flavius zwischen zwei eingestürzten Häusern hindurch. Dutzende Legionäre liefen ihm mit eingezogenen Köpfen hinterher. Hoch über den Soldaten schlug eine Artilleriegranate ein, Betonstücke regneten in die Tiefe. Flavius fluchte still.
Sie würden es niemals schaffen, auf Terra Fuß zu fassen, dachte er verzweifelt. Auch die zweite Landungsoffensive hatte sich in ein verlustreiches Debakel verwandelt und noch war sie nicht vorbei. Noch gab es Myriaden Möglichkeiten, den blauen Planeten nicht mehr lebend zu verlassen.
Jenseits des Labyrinths aus zerbrochenen Betonmauern hagelten weitere Granaten aus den Ascheschwaden, die sich vor die Himmelskuppel geschoben hatten. Flavius spürte den Boden unter den Sohlen seiner Stiefel vibrieren. Er begann schneller zu laufen, seine Männer taten es ihm gleich.
„Der angegebene Evakuierungspunkt ist viel zu weit entfernt, Legatus. Was denkt sich das Oberkommando eigentlich? Wieso holen die uns nicht sofort hier raus? Sehen die denn nicht, dass wir voll in der Scheiße sitzen?“, dröhnte die sich überschlagene Stimme eines Optios aus Flavius Hörmuschel. Princeps verzog das Gesicht, als das Gebrüll des Unterführers noch lauter wurde und dieser eine Kaskade wilder Flüche nachschob.
„Legatus Princeps, sagen Sie doch was? He!“
„Ja!“, gab Flavius mit gleichgültiger Ruhe zurück. „Der Evakuierungspunkt ist sehr weit weg und wir müssen zusehen, dass wir ihn lebend erreichen. Sie haben die Situation klar erkannt, Optio Drakheim.“
„Was Sie nicht sagen!“, schnauzte der Mann am anderen Ende der Vox-Verbindung zurück. „Die vom Oberkommando ticken nicht mehr sauber.“
„Mag sein...“, erwiderte Flavius, der das Tempo erhöht hatte und allmählich nach Luft rang.
„Mag sein?“
„Ja!“
Erneut fluchte der Optio. Der Kommunikationsersuch eines weiteren Unterführers wurde von Flavius Helmanzeige verkündet. Das hielt den ersten jedoch nicht davon ab, noch lauter zu schreien.
„Hier kommen gleich Caedes Bomber, Legatus. Wie können Sie so ruhig bleiben? Was ist los mit Ihnen?“
„Führen Sie Ihre Männer nach A-48 / 16. Das ist der Befehl und ich gebe ihn weiter. Wer heute sterben wird, weiß nur der Göttliche und dem ist es egal“, keuchte Flavius, um die Voxverbindung zu dem Optio in der nächsten Sekunde zu beenden.
Sofort prasselten weitere Stimmen auf ihn ein. Auch Zenturio Sachs ereiferte sich angesichts des jüngsten Evakuierungsbefehls, der einen langen und tödlichen Marsch durch die zerbombte Trümmerlandschaft bedeutete. Wenn sich der geordnete Rückzug am Ende in eine heillose Flucht in Richtung Evakuierungszone verwandelte, dann hatten die Optimaten leichtes Spiel mit ihren Feinden. Vor seinem geistigen Auge sah Flavius bereits das Abschlachten, das sich ankündigte. Diese Landungsoffensive würde nicht weniger katastrophal enden wie die erste vor fünf Monaten. Das war bereits jetzt absehbar.
„Achtet auf Caedes Bomber. Flugabwehrschützen bereithalten!“, rief Flavius durch das Vox-Netzwerk, während er schneller zu rennen begann und hoffte, zwischen den Ruinenhäusern Deckung zu finden.
In der Ferne begann das vertraute Geheul der näher kommenden Bomber den vernebelten Horizont zu erfüllen. Der Tod schwang seine Sense wieder einmal mit teuflischer Freude über ihren Köpfen. Viele Legionäre und Milizsoldaten würden heute sterben. Vielleicht auch er selbst, dachte Flavius.
Allerdings hatte er schon lange damit aufgehört, sich wegen derartiger Kleinigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Es kam, wie es kam. Leben oder Tod. Für ihn war der Unterschied längst marginal.
Seit Tagen marschierten Flavius und Kleitos durch das trostlose Gewirr aus verkohlten Häusergerippen und Stützträgern. Noch immer lag ein feiner Nebel, die Soldaten bezeichneten ihn als „Totenschleier“, über der zerbombten Landungszone.
Leukos Flotte hatte im Umkreis vieler Kilometer alles und jeden ausgelöscht. Magmabomben hatten die feindlichen Orbitalstellungen verbrannt - genau wie alles andere.
Dass es den Loyalisten für ein paar Tage gelungen war, einen Brückenkopf auf der Erdoberfläche zu errichten, hatte das Oberkommando als gewaltigen Erfolg gefeiert, doch für Flavius und die noch lebenden Soldaten der ersten Stunde war es bloß eine neue, grausige Kulisse in einem unendlich fortlaufenden Alptraum.
Yacuta war eine Trümmerwüste geworden. Jetzt, wo beide Seiten kaum mehr Hemmungen kannten, ihre tödlichsten Waffen einzusetzen, konnte es innerhalb von Sekunden vorbei sein.
„Wenn die Luft zu flimmern beginnt, dann schlägt der Sensenmann zu“, ging es Flavius durch den Kopf.
Magmabomben, Boreas-Raketen oder Giftgas; es konnte jederzeit über die marschierende Kolonne aus Legionären hereinbrechen und dann war es aus.
„Welch grandiose Vorstellung...“, fügte Flavius in Gedanken hinzu.
Stumpf schmunzelte er in sich hinein. Zumindest würde es schnell gehen und das ewige Leid wäre vorbei, sagte er sich.
Neben ihm ging Kleitos mit herabhängendem Kopf.
Grauweiße Asche tanzte um seine Legionärsstiefel und wirbelte durch die Luft; schwarze Häuserwände, aus denen zerschmolzene Stahlträger herausragten wie Gedärme aus aufgeschlitzten Bäuchen, umgaben die Soldaten.
Hier hatte sich einst der Außenbezirk einer Stadt befunden. Jetzt war er nur noch ein leeres Gräberfeld.
Ab und zu erkannte Flavius verdrehte Körper unter der Asche, die das gesamte Land bedeckte. Selbst die Vegetation war verglüht.
„Sag etwas, sonst drehe ich durch“, erklang Kleitos Stimme auf dem persönlichen Vox-Kanal. Sie riss Flavius aus seinen Gedanken.
„Was soll ich sagen? Keine Präsenz derzeit“, antwortete Princeps.
„Ich kann irgendwie nicht mehr richtig atmen. Aber wenn ich das Visier öffne, kommt mir bloß Brandgeruch entgegen“, klagte Kleitos.
„Hast du den helminternen Filter schon umgestellt?“
„Ja, schon mehrfach. Scheiße, ich kann das alles nicht mehr ertragen, diese Asche macht mich wahnsinnig.“
„Ich habe noch ein oder zwei von diesen Pillen. Du weißt schon. Die bringen dich runter.“
„Echt?“
„Ja!“
„Dann lass uns irgendwo hingehen und ich nehme so ein Ding. Bitte, ich knall sonst durch.“
Flavius winkte Kleitos zu sich herüber. Er blieb stehen, während die anderen Legionäre stumpfsinnig an ihm vorbeizogen wie eine Kuhherde. Wenig später standen die beiden Freunde im Schutze eines Haufens aus Mauerresten.
Kleitos ließ das Visier nach oben fahren, er keuchte lautstark.
„Gib schon her!“, drängte er mit blassem, eingefallenen Gesicht.
„Wortlos überreichte ihm Flavius eine kleine Pille, die ihm Jarostow sofort aus der Hand riss, um sie sich in den Mund zu schieben. Surrend ging sein Helmvisier wieder nach oben.
„Was ist das für ein Zeug?“, wollte Kleitos wissen. „Wirkt ja verdammt schnell.“
„Zentralic, wird aus Synthmüll gewonnen.“
„Also habe ich gerade Müll gefressen.“
Flavius lachte ausdruckslos. „Wir fressen seit Jahren Müll, Alter.“
„Mag sein. Besser als durchzudrehen.“ Kleitos setzte sich auf den Boden, sein Kopf sank herab.
„In der Hölle brennen die bösen Seelen, sagten die Priester der alten Zeit immer.“ Flavius blickte sich um. „Zu uns kam die Hölle bereits zu Lebzeiten. Also können wir auch Müll fressen.“
Das Heulen nahender Caedes Bomber lies Flavius das Blut in den Adern gefrieren. Er krallte sich an seinen Blaster und sah panisch zum Himmel hinauf. Hungrigen Raubvögeln gleich stürzten sich mehrere der gefürchteten Flieger aus den Wolken in die Tiefe. Das schreckliche Getöse, das aus ihren Bordlautsprechern dröhnte und den Tod verhieß, wurde augenblicklich lauter.
Flavius sprintete in Richtung einer herausgebrochenen Betonwand und warf sich schreiend in den Staub. Hinter ihm sprangen die Legionäre panisch auseinander. Ein paar Herzschläge später detonierten die ersten Schrapnellbomben zwischen den loyalistischen Soldaten. Rasiermesserscharfe Nanosplitter bohrten sich durch Schilde und Körperpanzer. Flavius brüllte auf und kroch unter ein großes Betonstück, während um ihn herum das Chaos regierte.
Mittlerweile war das Kreischen der Caedes Bomber dermaßen laut, dass er sein eigenes Geschrei kaum mehr hören konnte. Bombe um Bombe hagelte vom Himmel.
Blut, Rüstungsteile und Eingeweide wurden durch die Staubschwaden geschleudert.
Die Attacke aus der Luft war ebenso unerwartet wie verheerend. Hunderte Legionäre pressten die Gesichter in den Dreck und beteten, nicht in der nächsten Sekunde von einer Schrapnellwolke zerfleischt zu werden. Schließlich drehten die Caedes Bomber wieder ab, um ihre tödliche Fracht auf einen anderen Truppenverband regnen zu lassen.
Flavius zitterte am ganzen Körper, sein Verstand war wie ausgelöscht. Überall hörte er das Wehklagen getroffener Legionäre, der Schrapnellangriff hatte ein Blutbad unter seinen Kameraden angerichtet. Wo er hinsah, erblickte er zerfetzte Leichen und furchtbar verstümmelte Soldaten.
„Princeps! Kannst du mich hören? Verfluchte Scheiße, melde dich!“
Flavius biss sich auf die Unterlippe, bis sie zu bluten begann. Das war Manilus Sachs.
„He! Antworte gefälligst!“, schrie der Zenturio.
„Ich glaube, sie haben mich nicht getroffen“, schnaufte Flavius, der nicht mehr in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen.
„Mich aber! Verdammt!“
„Was?“
„Mein...mein Bein! Ich kann es nicht mehr bewegen, Princeps!“
„Was soll das heißen?“
„Da ist so ein Ding durchgegangen! Ich blute wie verrückt!“, rief Sachs entsetzt.
Flavius robbte unter dem Betonstück heraus. Er ließ seinen Helmvisier nach oben fahren und sah die Auswirkung des Bombenangriffs mit eigenen Augen. Ringsherum lagen verstümmelte Legionäre; Arme und Beine waren abgerissen worden, zersplitterte Rüstungssegmente lagen in roten Blutpfützen.
Dann sah er seinen Freund Kleitos. Der bullige Legionär eilte auf ihn zu und ruderte mit den Armen.
„Es hat Manilus erwischt!“ Flavius, komm! Wir müssen zu ihm!“, schrie er außer sich.
Flavius unterdrückte den Drang, seinen Mageninhalt in den Staub zu würgen. Der Geruch von frisch vergossenem Blut drang ihm in die Nase, er torkelte durch einen Malstrom aus Schmerzensschreien und greifbarer Todesangst. Irgendwo hinter dem Horizont hörte er das Heulen der Caedes Bomber verklingen.
In tiefer Sorge um seinen Freund lief er Kleitos hinterher.
Dieser schrie immer wieder, dass sie nach Manilus schauen müssten. Princeps ahnte indes das Schlimmste. Nach wenigen Minuten stand er mit Jarostow im Schatten einer gewaltigen Häuserruine. Vor seinen Augen lag Sachs auf dem Boden, das linke Bein des Zenturios war seltsam verdreht. Der Unterschenkelschützer war von zahlreichen Nanoschrapnellen durchbohrt worden, kleine Blutrinnsale hatten sich gebildet.
Als Manilus seine beiden Freunde erkannte, riss er den Helm vom Kopf und schleuderte ihn von sich.
„Malogors Arsch!“, fauchte er mit schmerzverzerrtem Gesicht. „Mir hat`s das Bein weggefetzt.“
Flavius beugte sich zu Manilus herab. „Das wird schon wieder. Wir werden dich tragen und irgendwo in Sicherheit bringen.“
Sachs fasste ihn am Unterarm. „Das ist eine gute Idee.“
Gerade als sich Kleitos bereit machen wollte, dem hünenhaften Veteranen aufzuhelfen, ertönte ein markerschütterndes Geschrei irgendwo hinter den Bergen aus Betontrümmern.
Princeps zuckte zusammen. Kleitos tastete nach seinem Blaster. Es folgte ein wütendes Gebrüll aus zahllosen Kehlen. Flavius kletterte auf einen Stahlträger und versuchte, einen Blick durch das Gewirr aus zerschmetterten Häuserwänden zu werfen. Entsetzt machte er die Konturen halbnackter Gestalten mit seltsam deformierten Körpern aus. Tief im Inneren wusste er, wen die Optimaten losgelassen hatten, um die überlebenden Loyalisten niederzumetzeln.
„Anaureanische Chemosoldaten!“, stieß Flavius aus.
Aus Kleitos Gesicht wich auch noch der letzte Rest an Farbe, der nach dem Schrapnellbombenangriff geblieben war.
„Lasst mich los! Mit etwas Glück schafft ihr es noch bis zu einem der Transporter. Dann kommt ihr zwei wenigstens lebend aus der Landungszone heraus“, knurrte Sachs. Er stieß Flavius von sich und fiel wieder auf den Boden zurück; Kleitos machte Anstalten, ihm aufzuhelfen, doch der Zenturio winkte ab.
„Diese verrückten Mistkerle sind gleich da. Wenn ihr glaubt, mich schleppen zu können, dann liegt ihr falsch.
Verschwindet! Rennt!“
„Aber, Manilus, wir werden dich nicht hier zurücklassen“, ereiferte sich Flavius.
„Doch, das werde ihr ganz sicher, wenn ihr noch ein bisschen Hirn im Schädel habt“, gab der Zenturio zurück.
Schon sprangen die ersten Anaureaner mit wahnsinnigem Geschrei über die Schuttberge. Sachs lächelte Flavius auf eine geradezu väterliche Weise an.
„Bei Malogor, verschwindet endlich, ihr zwei. Worauf wartet ihr denn noch?“
„Aber Manilus...“, brachte Jarostow bloß heraus.
„Mach, dass du wegkommst, oder willst du in Stücke gehackt werden? Hau ab, Kleitos! Ich befehle es dir! Gilt auch für dich, Flavius!“
Wie in Trance drehte sich Princeps um und begann zu rennen. Es dauerte nur wenige Sekunden, da tat es ihm Kleitos gleich. Manilus Sachs biss indes die Zähne zusammen und schleppte sich unter schmerzhaftem Geheul in Richtung eines Betonbrockens.
Der Zenturio schob eine Energiezelle in seinen Blaster und aktivierte ein Pilum. Derweil schwärmten die anaureanischen Berserker wie ein Teppich aus Irrsinn und verdrehtem Fleisch durch das Ruinenmeer.
Als sie Manilus erblickten, rannten sie geifernd und brüllend auf ihn zu. Sachs drehte sich ein letztes Mal um, er sah Flavius und Kleitos in einiger Entfernung zwischen den zerbombten Häusern verschwinden.
„Dann ist es heute endlich soweit“, sagte der Zenturio zu sich selbst.
Anschließend grinste er gequält und schleuderte ein Pilum in Richtung der Angreifer. In einer mächtigen Explosion detonierte der Wurfspeer und zerfetzte ein halbes Dutzend Feinde. Doch die Masse der Ungoldenen war gewaltig. Ameisengleich fielen sie über die noch lebenden Loyalisten her.
Manilus Sachs tötete einen weiteren Anaureaner mit einem gezielten Kopfschuss, er aktivierte ein neues Pilum und schleuderte es halb blind vor Schmerzen in Richtung der Mutantenkrieger. Der wuchtigen Explosion folgten Schmerzensschreie und Zorngebrüll, was Sachs ein letztes Grinsen entlockte.
„Das gefällt euch nicht, was?“, spie er den Ungoldenen entgegen, die in blindwütiger Raserei auf ihn zu stürmten.
Schließlich stieß der Zenturio ein langgezogenes Knurren aus. Er sammelte seinen letzten Trotz zusammen, schleuderte den Blaster von sich und zückte sein Gladius. Eisern krallte er sich an dem Betonstück fest, obwohl seine Beine unter ihm nachgeben wollten.
„Komm schon!“, zischte er, als der erste Berserker auf ihn zu sprang.
Was als taktischer Rückzug begonnen hatte, war zu einem mörderischen Kampf ums nackte Überleben geworden.
Rund um Flavius, der in Todesangst gehüllt in Richtung der Landezone rannte, hagelten Plasmageschosse vom Himmel.
Mit heulenden Triebwerken stürzten sich Dutzende von Transportgleitern aus den trüben Wolken herab; sie landeten zwischen den panisch fliehenden Loyalisten, um sofort ihre Schotts aufspringen zu lassen und die Männer aufzunehmen. Die Mutantenberserker folgten den flüchtenden Loyalisten wie blutgierige Wölfe. Flavius stolperte über ein Betonstück, flog einige Meter weit und krachte mit der Schulter gegen ein rostiges Metallgitter. In der gleichen Sekunde eröffneten die Transportgleiter das Feuer auf die Ungoldenen.
Unmittelbar hinter Flavius wurde ein Kamerad versehentlich von der tödlichen Salve einer Bordkanone getroffen und in eine Wolke aus Fleischfetzen und Rüstungssplittern verwandelt.
Ächzend zog sich Flavius an dem Gitter hoch, dann rannte er mit schmerzenden Gliedern und wie Feuer brennenden Lungen weiter durch das Gewirr aus flüchtenden Legionären.
Zornig kreischende Anaureaner, die durch Mutagen- Injektionen und Chemodrogen in geifernde Wahnsinnige verwandelt worden waren, wurden zwischen den Ruinengebäuden sichtbar. Sie schwangen Kettenäxte und trugen Splitterpistolen. Die furchteinflößenden Krieger kamen blitzartig näher und schlachteten jeden ab, der ihren Weg kreuzte. Flavius feuerte mit dem Blaster auf einen deformierten Muskelberg, der einem Legionär mit der Axt den Rücken gespalten hatte.
Der rötliche Strahl bohrte sich durch die breite Brust des Ungoldenen, doch dieser schlug weiter um sich, als hätte er bloß einen Kratzer abbekommen. Princeps ignorierte die übrigen Wahnsinnigen, die gleich einer Sturmflut zügelloser Brutalität über seine Männer herfielen, während er weiter auf die Transporter zueilte.
Die optimatische Artillerie feuerte nun ebenfalls auf die flüchtenden Loyalisten, um sie wie Beutetiere in Richtung der Mutantenkrieger zu treiben. Dass sie dabei auch ihre ungoldenen Hilfssoldaten trafen, war den Schützen offenbar gleich.
Wie in Trance rannte Flavius immer geradeaus, sprang über blutüberströmte Leichen, Schutthaufen und Panzersperren.
Die Landungsoffensive war endgültig gescheitert. Hunderttausende von Legionären und Milizsoldaten flohen vor dem wütenden Ansturm der Verteidiger, die in endloser Zahl vorrückten.
„Wie weit noch bis zum Landefeld? Wo bei allen Drecklöchern der Unterwelt seid ihr?“, brüllte Flavius durch das Vox-Netzwerk.
„Folgen Sie einfach den Richtungspfeilen der Helmanzeige, aber beeilen Sie sich, feindliche Bomber sind im Anflug“, kam es ein paar Sekunden später zurück.
Über Flavius zischte ein blaues Plasmagewitter durch die Wolkenbänke, als die loyalistische Landungsschiffe das Feuer auf die Caedes Bomber der Optimaten eröffneten.
„Alles ist verloren, nur weg von hier! Weg von Terra!“, schoss es Princeps durch den Kopf, der wie ein gehetztes Tier rannte und rannte.
Irgendwann erblickte er endlich die Konturen der wartenden Transportgleiter, die die Legionäre evakuieren sollten - viel zu wenige jedoch, um die panisch fliehenden Soldatenmassen zu retten.
Flavius mobilisierte seine letzten Kraftreserven und sprintete in Richtung der Gleiter, deren geöffnete Schotts ihm in diesen Sekunden wie die Tore ins Paradies erschienen.
Von Schild, Gladius, Blaster und Pila hatte sich der Legat längst entledigt, um schneller laufen zu können. Diesmal gab es keinen Raum mehr für Heldentaten, denn die Schlacht war längst verloren und die Landungsoffensive gescheitert.
Vor Erschöpfung ächzend sprang Flavius schließlich auf ein offen stehendes Schott zu. Er prallte mit dem Oberkörper gegen einen anderen Legionär, der zwei weitere Kameraden seinerseits zu Boden riss. Krachend schlug Flavius auf den Metallboden des Gleiterrückraums. Um ihn herum ertönte wildes Geschrei. Ab und zu schlugen Projektile gegen die Außenhülle des Transporters.
Flavius schloss die Augen. Er betete dafür, dass der Gleiter so schnell wie möglich abhob und es sicher bis in den Orbit schaffte.
„Nur weg von Terra!“ Dies war Flavius einziger Gedanke in dem mörderischen Chaos, das ihn verschlungen hatte.
„Verfluchte Scheiße, warum antwortest du nicht, Jarostow?“
Mit zitternden Fingern wischte sich Flavius die Schweißperlen von der Stirn, während er verzweifelt nach Luft rang. Seine Lungen brannten, als ob sie mit Säure gefüllt wären.
„Kleitos?“
„Ja, ich lebe! Ich lebe!“, brach eine aufgeregte Stimme aus der Hörmuschel.
Flavius zuckte zusammen, anschließend lächelte er erleichtert und dankte dem Göttlichen, die Stimme seines Freundes zu hören.
Unter seinen Füßen setzte sich der Transportgleiter vibrierend in Bewegung. Triebwerke heulten auf. Princeps hämmerte gegen die Metallverkleidung neben seinem Kopf, dann stieß er einen Jubelschrei aus.
Schnell gewann der Flieger an Höhe. Jenseits der Wolken loderte das Plasmafeuer der Schiffsgeschütze; noch war die Gefahr nicht gebannt, doch war es weitaus sicherer im Inneren dieses Transportgleiters als inmitten der Landezone, die sich in ein Schlachthaus verwandelt hatte.
Langsam schleppte sich Princeps zu einem der Außenfenster und sah nach unten. Neben ihm murmelten seine Kameraden mit bleichen Gesichtern durcheinander. Der Gleiter raste in die Höhe, tauchte durch die Wolken und wurde darüber von einem strahlend blauen Himmel in Empfang genommen. Flavius brüllte die Anspannung aus sich heraus, mehrere Soldaten taten es ihm gleich.
Während Flavius mit hämmerndem Herzen in die Tiefe starrte und die Gedanken in seinem Schädel rotierten wie glühende Plasmabohrer, sah er, wie sich nach und nach ein orangerotes Leuchten unter den Wolkenfetzen ausbreitete. Es dauerte nur einen Sekundenbruchteil, bis Princeps begriffen hatte, was soeben geschehen war. Die Synapsen in seinem Körper begannen einen wilden Tanz aufzuführen, Flavius zuckte am ganzen Körper, dann hielt er sich den Kopf und begannen schrill zu schreien.
Kurz darauf riskierte er einen weiteren Blick aus dem Außenfenster des Gleiters, der höher und höher stieg. Unter ihm lösten sich die Wolken auf, sie wurden förmlich von der sich ausbreitenden Gluthölle verzehrt und vom Himmel gefegt.
„Magmabomben!“, hörte er einen Legionär hinter sich rufen.
Die Landungszone hatte sich in einen Malstrom aus wirbelnden Feuerstürmen verwandelt. Zahllose Transportgleiter, die noch nicht hoch genug gestiegen waren, wurden von den Flammenfingern der gefürchteten Bomben ergriffen und explodierten. Princeps brüllte, als würde man ihm bei lebendigem Leib die Haut vom Körper reißen. Unter ihm erbebte der Gleiter, der mit heulenden Triebwerken durch die oberen Schichten der Atmosphäre raste.
Für einen Moment glaubte Flavius zu spüren, wie die Hitze der Massenvernichtungswaffen durch seinen Körperpanzer schnitt und bis in die Tiefen seiner Eingeweide vordrang. Er wusste nicht, ob ihm sein angstverseuchtes Hirn einen Streich spielte oder ob er sich gleich tatsächlich in eine lebende Fackel verwandelte.
„Sie haben es getan! Der Feind hat Magmabomben abgeworfen!“, rasten die Gedanken durch Flavius Schädel. Erneut hielt er sich den Kopf, presste sich die Hände auf die Schläfen und schnappte gleich einen gestrandeten Fisch nach Luft.
Es dauerte eine Weile, bis er wieder bei so klarem Verstand war, dass er noch einmal zum Fenster kriechen konnte, um nach unten zu sehen.
Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Das gesamte Land unter ihm brannte, überall loderte eine Feuersbrunst, die so heiß wie ein Schmelzofen war.
Nichts und niemand am Boden konnte diesen Vernichtungsschlag überlebt haben, ging es Flavius durch den Kopf. Er hatte es wieder einmal in letzter Sekunde geschafft, den richtigen Transporter zu erreichen. Es war pures Glück, dass er noch atmete.
Um ihn herum war es bedenklich still geworden. Die meisten Legionäre hockten in Schockstarre auf dem Boden des Rückraumes und gaben keinen Laut mehr von sich.
„Magmabomben! Magmabomben! Magmabomben!“, rumort es in Princeps Schädel, der plötzlich zu stechen und zu schmerzen begann.
Flavius erbrach sich in eine Ecke, wo er kurz darauf wie ein angeschossenes Tier zusammenbrach und sich nicht mehr rührte, bis ihn einer seiner Kameraden schüttelte und anschrie.
Das Transportschiff raste mit heulenden Triebwerken durch die äußersten Ausläufer der Atmosphäre, Flavius wagte einen erneuten Blick durch eines der Außenfenster.
Das gewaltige Gerippe eines in Stücke geschossenen Angriffskreuzers streifte seinen Blick; Qualm drang aus riesigen Löchern, die die terranischen Orbitalgeschütze in den Leib des Raumriesen gebissen hatten. Der Bug des Schiffes senkte sich herab.
Gleich einem tödlich verwundeten Wal hing der Kreuzer in der Luft. Der Transporter wich einer Vielzahl kleiner und größerer Trümmerstücke aus, die aus den höher liegenden Schichten der Erdumlaufbahn langsam herabsanken. Das mörderische Abwehrfeuer der Verteidiger hatte die loyalistische Flotte wie ein Hammerschlag getroffen, zahlreiche Schlachtschiffe waren von Laserlanzen zerfetzt worden, Schwärme von Transportgleitern und Raumbombern noch im Anflug vom Himmel geholt worden.
Die meisten Legionäre, die es bis in die Landungszone geschafft hatten, waren dort von der feindlichen Übermacht niedergemetzelt worden. Schockiert blickte Flavius durch das Gewirr aus Trümmern, das vom Himmel regnete.
Terra hatte sich als genau das unüberwindliche Bollwerk erwiesen, dass die optimatische Propaganda ausgemalt hatte. Wieder einmal war Flavius dem Tod nur durch enormes Glück entronnen.
Vor seinem geistigen Auge explodierten die Magmabomben in dieser Sekunde noch tausendmal. Ihr orangerotes Flimmern sollte sich für alle Zeiten in seinen Verstand einbrennen. Als er sich vom Fenster weg drehte, sah er in das vernarbte Gesicht eines alten Legionärs. Der Mann hatte den Helm vom Kopf genommen und schaute ebenso zu Tode erschrocken drein wie er selbst. Kreidebleich starrte der Soldat ins Leere, er bekam kein Wort mehr über die Lippen, sein Mund klaffte wie eine Wunde über dem Kinn.
„Das war knapp...“, sagte Flavius - mehr zu sich selbst.
„Ja, verdammt knapp“, antwortete der Legionär mit stark thracanischem Akzent.
Princeps überlegte, sein Unterkiefer bewegte sich, als würde er etwas zerkauen. Dennoch blieb er atemlos stumm. Der Thracanos glotzte ihn an, er war bleich wie ein Sterbender.
„Hätte…hätte gedacht, dass sie mich diesmal kriegen“, stammelte Flavius, der kaum in der Lage war, einen vernünftigen Satz zu formulieren.
Mittlerweile raste der Transportgleiter durch den erdnahen Weltraum. Die feindlichen Orbitalgeschütze würden ihn nicht mehr erreichen, hoffte Flavius. Allerdings war die Gefahr deshalb noch lange nicht gebannt. Optimatische Kriegsschiffe lauerten überall rund um den blauen Planeten, um die Rettungskreuzer der Loyalisten zu beschießen und die gescheiterte Landungsoffensive in eine noch größere Katastrophe zu verwandeln.
Nach wie vor stand der Thracanos vor Flavius und sah ihn mit leerem Blick an, als erwartete er eine sinnvolle Antwort aus dem Mund des Legatus. Doch da konnte er lange warten, dachte Princeps. Er war derart erschöpft und verwirrt, dass er sich kaum mehr an seinen Namen erinnerte.
Schließlich flog der Transporter mit Maximalgeschwindigkeit in den offenen Raum hinaus. Er würde sie schnellstens zurück auf den roten Planeten bringen, wo es sicher war.
Flavius rügte sich direkt nach diesem Gedanken selbst. Sicher war auch der Mars nicht, blitzte es in seinem Hirn auf. Wäre er sicher, dann wäre Eugenia noch am Leben.
Nein, sicher war gar nichts in diesen Tagen. Vielleicht würden sie den Mars nach diesem Debakel auch bald verlieren und auf die endgültige Niederlage zusteuern.
„Hauptsache, sie haben uns nicht erwischt, nicht wahr?“,
sagte der Thracanos und nickte Flavius zu.
Dieser wischte sich einen Strom aus Schweißperlen von der Stirn und murmelte so etwas wie eine Zustimmung.
Dann wandte er sich von dem Legionär ab, humpelte zurück zum Außenfenster des Gleiters und sah hinaus in den Weltraum, der bloß einem schwarzen Brei glich.
Überall im Rückraum des Transporters lagen sich die überlebenden Legionäre in den Armen. Einige stießen Freudenschreie aus, manche saßen aber auch bloß stumm und mit gesenkten Häuptern auf dem Boden.
Flavius fühlte sich mehr tot als lebendig. Sein Herz schlug heftig, sein Atem ging noch, doch hatte er nicht mehr das Gefühl, ein Mensch zu sein. Er war nur noch ein mit Hautfetzen überspanntes Gerippe, das laufen und töten konnte. Die Bezeichnung „Mensch“ verdiente dieses groteske Etwas nicht.
Nicht tot zu sein, bedeutete, weiter ein Teil dieses ewigen Krieges zu bleiben, kam es Flavius schmerzlich in den Sinn. Er schlug mit der gepanzerten Faust gegen die stählerne Außenwand des Gleiters und zischte eine bittere Verwünschung in die Endlosigkeit des Weltalls.
Auch die zweite Landungsoffensive der Loyalisten war gescheitert. Der Feind hatte überwältigend gesiegt und würde bald zum Gegenangriff übergehen. Alles zuvor gewonnene war innerhalb weniger Tage gänzlich zu Staub zerfallen. Die Wahrheit war noch deprimierender als alles andere.
„Es war alles umsonst! Alles!“, wisperte sich Flavius selbst zu.
Hinter einer Scheibe aus wärmegenerierendem Glas bewegte sich das winzige Ding, das Dr. Phyrrus aus Eugenias todgeweihtem Leib gerettet hatte. Es zuckte mit den Füßchen und seine Hände, die so zart wirkten, als könnte sie der kleinste Windhauch fortwehen, bewegten sich.
Schläuche und Kontaktsensoren übersäten den Körper des Kindes; Dr. Phyrrus wandte dem schweigend dastehenden Flavius das verbrannte Gesicht zu.
„Die Kleine klammert sich ans Leben“, meinte er.
„Das tut sie“, murmelte Princeps mit ausdruckslosem Blick.
„Es tut mir leid um Eugenia“, fuhr der Medicus mit brüchiger Stimme fort. Er wischte sich eine Träne von der entstellten Wange. „Sie war mir im Laufe der Jahre fast zu einer Tochter geworden.“
Flavius sagte nichts. Er betrachtete das Wesen, das er gezeugt hatte, mit leeren Augen. Es war ein seltsames Konstrukt aus rosafarbenem Fleisch und winzigen Knochen, was dort in der Brutglocke lag.
Seine Tochter, Eugenias Kind, sein Kind, dachte Flavius.
Wie lange würde es wohl existieren? Wie lange würde es wohl dauern, bis der Krieg ihm auch dieses zerbrechliche Wesen wieder wegnahm?
Allerdings hatte Princeps nicht vor, irgendwelche Gefühle für das neugeborene Ding zu entwickeln. Diesen Fehler machte er schon lange nicht mehr. Leben waren vergänglich wie der feine Marsstaub draußen in den Wüsten - einzelne ebenso wie Millionen.
Im Laufe der Jahrtausende hatten die Menschen eine gewaltige Zahl von Hilfsmitteln entwickelt, die Leben schneller beenden konnten. Es fing beim einfachen Blaster mit seiner Strahlenschußfolge an und hörte bei Gasschwaden auf, die hunderte Meter in den Himmel ragten und tagelang als dichter Nebel über der Erde standen, um zuverlässig und flächendeckend alles zu töten.
Princeps zählte all die Waffen auf, die er kannte. Er hatte im Laufe der Jahre schon so viele Tötungswerkzeuge gesehen und eine Menge von ihnen ausprobiert. Flavius unterbrach den Strom seiner Gedanken, verstört schaute er auf das Fleischding in der Brutglocke herab.
Was hatte sich der Göttliche nur bei diesem Wesen gedacht? Warum hatte er ihm diese Kreatur gegeben? Was bei allen Tiefen der Unterwelt sollte er damit anfangen?
Der Säugling bewegte sich, Flavius sah winzige Knochen unter dünner, blasser Haut. Blaue Augen glotzten aus einem übergroßen Kopf durch die Glasscheibe.
Es war geistlos, dieses Ding. Flavius verzog den Mund.
Was sollte das alles? Für einen derart lächerlichen Scherz war er längst zu alt.
„Sie wirkt stabil. Die Blutwerte sind gut. Allerdings wird sie weiterhin in meiner Obhut bleiben müssen“, erklärte Dr. Phyrrus.
Princeps drehte den Kopf. Er war direkt zu dem in die Jahre gekommenen Medicus geeilt, nachdem sie ihn zurück auf den Mars gebracht hatten. Doch wofür? Für dieses Etwas dort unten?
„Verstehe!“, brummte er nach einem Moment des Schweigens.
„Ich werde der Kleinen heute Mittag noch eine Xeraxinjektion geben, um das Immunsystem zu stärken. Es ist ein Wunder, dass sie noch lebt.“
„Ja, sicherlich.“ Flavius verzog keine Miene. Es würde Dr.
Phyrrus nicht gelingen, dass er ihm Gefühle für das Ding entlockte. Flavius tappte nicht mehr so einfach in Fallen hinein. Er war stets umsichtig; lebte noch, weil er sich auf nichts mehr einließ.
„Wir werden alle unsere Zeit brauchen, um zu verarbeiten, was mit Eugenia geschehen ist“, meinte der Arzt und schob die Mundwinkel nach unten. Flavius nickte mit maskenhaft starrem Gesicht, doch gab er keine Antwort.
„Wenn du allein mit ihr sein willst, dann gehe ich in den Nebenraum. Ich habe noch einige Krankendaten, die ich bearbeiten muss. Derzeit fehlt es uns ja nicht an Verletzten, nicht wahr?“, scherzte Dr. Phyrrus mit dem typischen Galgenhumor eines langjährigen Feldarztes.
„Nein!“, brummte Flavius.
„Nein?“ Dr. Phyrrus hob verwundert die Brauen.
„Nein!“, kam erneut zurück.
„Also willst du nicht mit ihr allein sein?“
„Nein! Ich…ich sollte jetzt wieder gehen. Muss auch noch im Lager Sachen erledigen“, brachte Princeps mühsam heraus.
„In Ordnung“, antwortete Dr. Phyrrus. Seine verbrannten Wangen zuckten.
„Tut mir leid. Ich muss wieder gehen.“
Flavius machte auf dem Absatz kehrt und hatte es plötzlich sehr eilig, das Krankenzimmer zu verlassen. Es dauerte nicht lange, da rannte er beinahe durch die Gänge des Hospitalkomplexes, in dem Dr. Phyrrus arbeitete, seit das Feldlazarett zerstört worden war.
Plötzlich wurde Flavius übel. Die Bilder des kleinen Dings, das aus Eugenias Leib herausgewühlt worden war, bereiteten ihm Kopfschmerzen. Er musste sich davon fernhalten, ging es ihm durch den Kopf.
Dieses rosafarbene Etwas mit seinen winzigen Händen und Füßen hatte nichts in seinem Leben verloren. Es war sinnlos, so etwas wie Hoffnung zuzulassen. Sie war stets trügerisch, dachte er. Ganz egal, welches Gewand sie sich überstreifte, um ihre Opfer zu täuschen. Hinter der Hoffnung, die eine trügerische Fassade war, verbarg sich nur eine endlose Hölle.
„Was soll das alles?“, zischte Flavius, als er aus dem Hauptportal des Gebäudes trat und den Hospitalkomplex hinter sich ließ.
Aswin Leukos hatte den Mars erobert, ebenso die Venus und den Merkur. Doch nun musste er die gewonnenen Planeten auch halten. Sobos ruchloser Massenmord an den Bewohnern von Weitkrater und Marksbury hatte ihn seine eifrigsten Unterstützer und Sympathisanten gekostet.
Viele Millionen verarmte Aureaner, die darauf gehofft hatten, dass der Loyalistenführer endlich Platons Reformpläne umsetzte, waren von den Eisstürmen der Boreas-Kältebomben ausgelöscht worden. Dieser Akt der Barbarei hatte den gesamten Mars schockiert und die Loyalisten nachhaltig geschwächt.
Ein Teil der marsianischen Oberschicht tendierte weiterhin zu Sobos, während die restliche Bevölkerung gespalten war. Die eine Hälfte erkannte Leukos als Mann mit ehrenvollen Absichten an, die andere war unsicher oder stand ihm gar ablehnend gegenüber.
Wie würde es erst sein, wenn die Optimaten erneut auf dem Mars landeten und ihre neu ausgehobenen Armeen an die Front warfen?
Leukos Regiment stand auf tönernen Füßen - und es zeigte mit jedem verstreichenden Tag mehr Schwachstellen auf.
Während das übrige Sol-System in einem Zustand aus Angst und Unsicherheit verharrte, stand Terra weiterhin als unüberwindlich erscheinendes Bollwerk da.
Nach wie vor war Juan Sobos ein Imperator, den Milliarden Aureaner und Anaureaner liebten, auch wenn Teile der aureanischen Unterschicht bereits von ihm abgefallen waren, da sie am meisten unter den Kürzungen der Sozialleistungen zu leiden hatten.
Alles in allem änderte das jedoch nichts an der Tatsache, dass die süße Dekadenz, die Sobos dem einfachen Volk gebracht hatte, als nie gekannte Freiheit bejubelt wurde.
Zudem florierte die terranische Wirtschaft wie seit langem nicht mehr. Gewaltige Geldmengen wurden durch die imperiale Zentralbank in den ökonomischen Kreislauf gepumpt; die Kurse an der Neo-Börse stiegen rasant in die Höhe und mutige Spekulanten wurden zu Herren über Berge von Verrechnungseinheiten.
Auf Dauer konnte er nur verlieren. Das wusste nicht bloß Leukos. Selbst Magnus Shivas, der weise Berater und Freund, dessen scharfer Verstand bisher stets die größten Probleme gemeistert hatte, war inzwischen ratlos.
Die brutale Vernichtung von Weitkrater und Marksbury hatten die Optimaten, die noch immer sämtliche Medien auf Terra kontrollierten, inzwischen Leukos in die Schuhe geschoben. Da der Oberstragetos die Millionenmassen in den Megaballungszonen nicht hatte ernähren können, hatte er sie einfach kaltblütig ermordet.
Umso öfter die Lüge wiederholt wurde, umso mehr Bürger des Imperiums glaubten sie. Selbst auf den anderen Planeten des Sol-Systems wuchsen durch diese zersetzende Propaganda die Zweifel an Leukos und seinem Geisteszustand. Natürlich behaupteten die loyalistisch kontrollierten Medien hartnäckig das Gegenteil, was am Ende dazu führte, dass in Milliarden Köpfen bloß Verwirrung zurückblieb.
Nun, da Weitkrater und Marksbury nur noch gespenstische Meere aus dunklen Ruinen waren, mangelte es Leukos an Millionen Soldaten. Der Plan, die Reihen der loyalistischen Armee mit neuen Rekruten aus den Giga-Ballungszonen aufzufüllen, war durch Sobos grausamen Vernichtungsschlag zunichte gemacht worden.