Das aureanische Zeitalter - Alexander Merow - E-Book

Das aureanische Zeitalter E-Book

Alexander Merow

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Beschreibung

Als Mitglied der höchsten Kaste der Menschheit lebt Flavius Princeps ein sorgloses Leben in Wohlstand und Überfluss. Seit Generationen hat die Erde keinen Krieg mehr gesehen und auch für Flavius ist der Gedanke an etwas anderes als Genuss bloß eine abstrakte Vorstellung. Eines Tages jedoch zeigt sich der Schatten gewaltiger politischer Umwälzungen in der Ferne. Ein neuer Imperator kommt an die Macht und beschwört mit ehrgeizigen Reformen einen bedeutungsschweren Konflikt herauf. Flavius, dem die Politik bisher gleichgültig war, wird unerwartet für die terranische Legion zwangsrekrutiert. Es dauert nicht lange, da ist er Teil eines Machtkampfes, der so umfassend ist, dass er das gesamte Sternenreich der Aureaner zu erschüttern droht...

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Inhalt

Das aureanische Zeitalter

Wieder auf Terra

Der Abschied des Xanthos

Gewitterstimmung

Politische Gegensätze

Partys und Attentate

In Terras Legion

Aufbruch nach Proxima Centauri

Kälteschlafangst

Der Mordauftrag

Die Reformen des Platon

Ankunft auf Thracan

Verwirrung

Die Vergeltungsaktion

Der Untergang von San Favellas

Machtwechsel

„Wir stehen hier in der Asche unserer Welt und haben am Ende doch gesiegt. Gesiegt im größten, schrecklichsten und zugleich auch bedeutungsvollsten Konflikt der gesamten Geschichte. In der Niederlage unserer Feinde liegt der Keim einer neuen Ordnung, die nun aus der verbrannten Erde erwachsen wird. Wir werden wieder auferstehen, herrlicher und stärker, als es sich viele von uns in diesen dunklen Stunden vorstellen können. Daran glaube ich felsenfest.

All die Opfer, die wir gebracht haben, werden nicht vergebens gewesen sein, denn wir haben eine Zukunft geboren, die einst hell und strahlend sein wird. Unsere Ordnung wird alles für immer verändern, sie wird Jahrhunderte überdauern und sich immer wieder im Inneren erneuern, auf dass sie unbesiegbar sein möge!“

(Artur Tschistokjow, Radioansprache nach seinem Sieg im III. Weltkrieg)

Das aureanische Zeitalter

Die Morgensonne schob sich zwischen den aufragenden Gebäuden von Asaheim gemächlich nach oben und hüllte die riesige Zentralstadt in ihren majestätischen Schein. Oben am Himmel flogen zahllose Gleiter und gewaltige Transportraumschiffe langsam über das sich von Horizont zu Horizont erstreckende Häusermeer hinweg und bewegten sich in Richtung des Weltraumbahnhofes am äußersten Ende der Metropole.

Der Kalender zeigte heute den 02. Mai des Jahres 15289 n. Chr., wenn man die Zeitrechnung der vorgeschichtlichen Menschheit zu Grunde legte. Seit nicht weniger als 91 Jahren herrschte Imperator Xanthos der Erhabene, man hatte ihn in seinen jungen Jahren auch »den Schönen« genannt, über die Erde und die ihr tributpflichtigen Kolonieplaneten, welche sich über die benachbarten Sonnensysteme und den Perseus-Spiralarm der Milchstraße verteilten.

Das von Xanthos dem Erhabenen regierte Imperium auf Terra bezeichnete sich stolz als das Goldene Reich, denn nirgendwo waren die Zeichen menschlicher Technologie und Zivilisation so markant wie hier. Keine in den Tiefen des Alls gegründete Kolonie konnte es mit seiner Herrlichkeit aufnehmen. Auf dem blauen Planeten, wo einst alles seinen Anfang genommen hatte, formte die Menschheit bereits seit Äonen den Boden und hatte ihn inzwischen von einem Kontinent zum anderen mit den strahlenden Zeugnissen ihrer Existenz bedeckt.

Das 16. Jahrtausend, nach alter Zeitrechnung, war in jeder Hinsicht eine Epoche des Aufstiegs; der letzte große Krieg auf Terra, der im Osten Ajans stattgefunden und über eine Milliarde Menschenleben gefordert hatte, lag mittlerweile schon fast 1400 Jahre zurück. Seitdem herrschte Frieden, von sporadischen Konflikten auf ein paar Kolonieplaneten abgesehen.

Somit widmeten sich die Bewohner des Goldenen Reiches mehr denn je den Annehmlichkeiten eines von Technologie geprägten Lebens. Über 80 Milliarden Menschen bevölkerten die Erde, wobei sie Riesenstädte bewohnten, die manchmal halbe Länder bedeckten, bis in die luftigen Höhen des Himmels hinaufragten oder sich sogar bis auf den Boden des Meeres ausdehnten.

Vor 1000 Jahren war der Antrieb für Raumschiffe bereits so sehr verbessert worden, dass inzwischen gewaltige Entfernungen zwischen den Sternen zurückgelegt werden konnten und die Menschheit mit jedem weiteren Jahr tiefer in noch unerforschte Regionen der Milchstraße gelangte.

Alles in allem stellte das 16. Jahrtausend einen kulturellen Höhepunkt der menschlichen Entwicklung dar, wie er seit den Zeiten des legendären Imperators Gunther Dron nicht mehr erreicht worden war.

Der stetige Weiteraufstieg des goldenen Menschentums schien keine Grenzen zu kennen und die Schrecken der Vergangenheit waren nicht viel mehr als belächelte Mythen aus unaufgeklärten Zeiten.

So schien die Sonne auf Asaheim und die glückliche Erde herab, um ihre Strahlen bis in den letzten Winkel einer Welt zu senden, die sich mit jedem Tag neu am Glanze ihrer eigenen Erhabenheit labte.

Für die reichen Aureaner, jene Angehörigen der höchsten Kaste der Menschheit, die seit über sechs Jahrtausenden das Rückgrat der terranischen Zivilisation darstellte, waren Probleme, die sich auf das tägliche Überleben bezogen, schon seit Generationen so gut wie unbekannt.

Diese Menschen lebten in einem Zustand höchsten Komforts und waren nicht selten vollkommenen vergeistigt. Sie verfügten meist über einen überquellenden Wohlstand und kamen schon mit dem Bewusstsein, dass es ihnen im Leben niemals an etwas mangeln würde, auf die Welt.

Waren sie vor langer Zeit noch die führenden Köpfe gewesen, wenn es darum gegangen war, Kriege zu führen, neue Planeten zu kolonisieren oder den technischen Fortschritt voran zu treiben, so hatte sich in ihren Reihen inzwischen eine gewisse Lethargie eingeschlichen.

Der Gefahr des gesundheitlichen Verfalls, in einer Epoche, in der ihnen jede körperliche Arbeit von Dienern oder Maschinen abgenommen wurde, versuchten sie durch eine fast besessene Ausübung sportlicher Tätigkeiten entgegen zu wirken. Sport wurde seit vielen Generationen groß geschrieben und hatte einen gesellschaftlichen Status erlangt, der beinahe religiöse Züge annahm.

Wer nicht vorweisen konnte, dass er seinen Körper durch sportliche Betätigung gesund hielt, wurde von seinen Kastengenossen schief angesehen. Allerdings hatte der Kult des Sports in den letzten drei Jahrhunderten ein wenig von seiner einstigen Bedeutung eingebüßt. Somit kam es immer häufiger vor, dass Kinder aus reichen Familien schon in jungen Jahren faul und des rundum abgesicherten Lebens überdrüssig wurden.

Zudem lebten auch nicht mehr alle Aureaner in einem Zustand des ewigen Wohlstandes. Wenn man es genau betrachtete, nahm die Zahl derer, die in einer Zeit der automatisierten Produktion nutzlos waren, mit jedem Jahr stetig zu.

Die gewaltigen Megastädte auf Terra quollen mittlerweile vor Menschen über. Zwar konnten diese dank eines umfangreichen Systems der sozialen Absicherung noch immer auf einer hohen Stufe existieren, doch lebten sie im Endeffekt ohne jemals eine Aufgabe zu haben.

Demnach belasteten Milliarden Bürger, die nirgendwo mehr als Arbeitskräfte gebraucht wurden, die Staatsfinanzen des Goldenen Reiches in erheblichem Maße. Irgendwann, so prophezeiten es die Gelehrten, würde das Sozialsystem des Imperiums, das viele Generationen lang funktioniert hatte, aufgrund dieser Entwicklung zusammenbrechen.

Archon Xanthos der Erhabene hatte dieses Problem schon vor Jahrzehnten erkannt und seiner Lösung einen großen Teil seiner Regierungszeit gewidmet.

Er unternahm nicht nur alles, damit jährlich Millionen Siedler die Erde verließen, um in den Kolonien eine neue Heimat zu finden, sondern bemühte sich auch, Milliarden von Aureanern ein Leben voller sinnvoller Arbeiten zu gewährleisten.

Vielfach wurden sie als Verwaltungskräfte in die aufgeblähte Bürokratie des Goldenen Reiches eingebunden, wobei auf Xanthos Geheiß sogar auf diverse Computersysteme verzichtet wurde, um an ihre Stelle Menschen aus Fleisch und Blut zu setzen.

Zuletzt gab es auch noch die Anaureaner, jene Angehörigen der unteren Kaste der Menschheit, welche die öden Regionen außerhalb des Goldenen Reiches in Massen bevölkerten.

Die strikte Trennung der beiden Kasten hatte der Codex Varna, jenes von Xanthos dem Erhabenen vor vier Jahren erlassene Gesetz, noch einmal bekräftigt, nachdem das noch aus der Epoche Gunther Drons stammende Kastensystem in den letzten Jahrhunderten zu bröckeln begonnen hatte.

Dennoch hatten die Anaureaner, die zusammen mit Cyborgs und Arbeitsdroiden gerne als entbehrliche Hilfsarbeiter auf Raumschiffe geschickt wurden, im Gefolge der Aureaner die Sterne bereist und sich mit ihnen über viele Planeten ausgebreitet.

Weiterhin hatte es die traditionelle Kastengesetzgebung auch nicht verhindern können, dass sich die reichen Patrizierfamilien immer mehr anaureanische Diener in ihre Häuser geholt hatten. Aus Sicht vieler Nobilen waren die Angehörigen der unteren Kaste durchaus als kostengünstige Arbeitskräfte nutzbar.

In den neu errichteten Kolonien waren die anaureanischen Helfer inzwischen fast unentbehrlich geworden, denn Terra mangelte es im 16. Jahrtausend mehr denn je an Rohstoffen. Demnach ging es im Falle vieler neu entdeckter Planeten nicht nur darum, den aureanischen Kolonisten eine Heimat zu geben, sondern auch zusätzliche Rohstoffquellen für die wachsende Menschheit zu finden. Oft gruben sich gewaltige Maschinen durch die Oberflä - chen der Himmelskörper, um alles an verwertbarem Material aus dem Boden herauszuwühlen, was sie finden konnten. Nicht selten erstreckten sich diese Abbauzonen über endlose Quadratkilometer, wobei Tausende von Arbeitern die Grabegebiete bevölkerten.

Das Sternenreich rund um den Planeten Dron, der einst nach dem verehrten Imperator des 10. Jahrtausends benannt worden war, hatte sich in den letzten Epochen zu einem eigenständigen Menschenimperium entwickelt, das seine Unabhängigkeit gegenüber Terra immer wieder in verheerenden Kriegen behauptet hatte.

Von allen menschlichen Kolonien, die sich jemals gegen das Goldene Reich erhoben hatten, war es allein dem Sternenreich von Dron gelungen, einen eigenen Machtstatus zu erkämpfen.

Zuletzt hatte es Imperator Marius Salax Mitte des 14. Jahrtausends in einem über 50 Jahre andauernden Krieg versucht, die selbstbewussten Kolonisten wieder im Namen der Erde zu unterwerfen. Doch obwohl er eine Kriegsflotte nach der anderen und Abermillionen gepanzerte Soldaten gegen das Sternenreich hatte anrennen lassen, war er am Ende geschlagen worden.

Mit unglaublicher Hartnäckigkeit hatten die Menschen von Dron, die Dronai, den terranischen Invasoren getrotzt und ihnen in einem jahrzehntelangen Guerillakrieg schwere Verluste zugefügt.

Seitdem schwelten die Feindseligkeiten zwischen Dron und Terra unter der Oberfläche. Offiziell hatten beide Seiten allerdings einen Friedensvertrag geschlossen, in dem die Unabhängigkeit der rebellischen Kolonie anerkannt worden war.

Xanthos der Erhabene hatte die Beziehungen zu den Dronai während seiner Regierungszeit indes immer weiter verbessern können. Gleiches galt für Hunderte von kleineren Menschenkolonien, die sich zwar häufig die Unabhängigkeit von der Erde wünschten, jedoch nicht die Macht besaßen, Terras Streitkräfte herauszufordern.

Dadurch, dass Xanthos seine Brüder auf den fernen Planeten äußerst zuvorkommend behandelte und die an Terra zu entrichtenden Tributraten mehrfach heruntergesetzt hatte, war es ihm gelungen, ein relativ harmonisches Verhältnis zu den Kolonisten herzustellen.

Nach Ansicht des Imperators war es falsch, den vielen Millionen Menschen, deren Vorfahren die Erde oft schon vor Jahrtausenden verlassen hatten, mit allzu großer Härte begegnen, denn dies hatte Folgen für den interstellaren Handel und konnte gar zu ausbleibenden Rohstofflieferungen führen.

Obwohl die letzten Epochen von Frieden geprägt gewesen waren, zeigte ein Blick auf die Geschichte der Menschheit ein anderes Bild. Dabei wurde schnell deutlich, dass eine derart lange Periode ohne Konflikte die Ausnahme darstellte.

Beständig hatten die Menschen in der Vergangenheit ihre Waffen gegeneinander gerichtet, wobei die Kriege zwischen Völkern und Glaubensgemeinschaften oft ganze Zeitalter lang gewütet hatten.

Das Goldene Reich war, wie die Chroniken zu berichten wussten, selbst in grauer Vorzeit durch einen apokalyptischen Kampf entstanden und im Laufe seiner langen Geschichte mehrfach in verfeindete Teilreiche zerbrochen, die sich wieder und wieder bekriegt hatten. Uralte Datenarchive zeugten von finsteren Epochen des Zerfalls. Andere beschrieben Kämpfe auf Mond und Mars; in Zeiten, in denen der Mensch noch kaum seinen Fuß auf die nächstliegenden Gestirne gesetzt hatte.

Besonders vor dem 10. Jahrtausend war Terra mehrfach von gewaltigen Kriegen verwüstet worden. Namen wie der des Sagenkönigs Artur oder des Einigers Gutrim Malogor, der die Erde im Namen der Aureanerkaste zurückerobert hatte, zeugten von endlosen Konflikten in der terranischen Geschichte, deren Nachwirkungen noch immer anhielten.

Auf Außerirdische war die Menschheit indes noch nicht getroffen. Allerdings ahnte man, dass die Weiten des Weltraums nicht leer waren. Bereits im 8. Jahrtausend hatte eine Forschungssonde die Überreste einer nichtmenschlichen Zivilisation auf dem Planeten Barrac aufgespürt. Außerdem hatte es noch den berühmt gewordenen »Elysia-Vorfall« im 12. Jahrtausend gegeben, als eine menschliche Handelsflotte von Schiffen unbekannter Herkunft angegriffen worden war.

In den letzten Jahren waren schließlich Gerüchte von der Präsenz einer offenbar feindlich gesinnten Alienspezies im Bereich des äußeren Perseusarms aufgekommen.

Da es sich bei dieser galaktischen Region jedoch um ein kaum besiedeltes Gebiet handelte, hatten die terranischen Machthaber die Berichte der Kolonisten weitgehend ignoriert.

Flavius sah mit melancholischem Blick auf den langsam größer werdenden blauen Planeten herab. Die Scutus näherte sich Terra, der geliebten Mutter Erde, mit noch immer beträchtlicher Geschwindigkeit. Bald sollte Flavius endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüren.

Wie sehr hatte sich der junge Mann diesen Tag herbeigesehnt! In diesem Moment konnte er nicht verhindern, dass ihm ein paar Freudentränen die Wangen herunterliefen.

»Heute hast du es endlich hinter dir, Princeps!«, hörte er ein Mitglied der Schiffsbesatzung neben sich sagen. Er spürte, wie ihm der Mann väterlich auf die Schulter klopfte.

»Gott sei Dank!«, stieß Flavius aus. Er lächelte dem Astronauten zu.

»War es denn wirklich so schlimm?«, wollte dieser wissen.

»Reisen durch das All sind einfach nichts für mich. Das habe ich jetzt erkannt«, bemerkte der junge Raumfahrer, während er weiter die Erde betrachtete.

»Ich habe schon einen ganzen Haufen Flüge hinter mich gebracht und war bereits über 100 Jahre in Tiefschlafkammern, aber ich kann gut verstehen, dass das nicht jedermanns Sache ist«, gab der Mann zurück.

Flavius schwieg. Erfreut musterte er die weißen Wolkenfetzen über Terras tiefem Blau, das er nun immer genauer erkennen konnte. Nach einer Weile setzte das Raumschiff zum Landeanflug an; Princeps atmete erleichtert auf.

Noch einmal dachte er darüber nach, was er überstanden hatte, und fragte sich, warum er damals so dumm gewesen war, sich auf einen Weltraumflug einzulassen.

Vor 19 Jahren war Flavius als Mitglied eines wissenschaftlichen Untersuchungstrupps zum Planeten Furbus IV geschickt worden, um dort die Zerstörung einer Siedlerkolonie zu untersuchen.

Furbus IV war etwa 7,4 Lichtjahre von Terra entfernt und stellte lediglich eine Kolonie der untersten Klassifizierungskategorie dar. Die dort befindlichen Kolonisten hatten die Aufgabe gehabt, eine Mine zum Abbau von Erzen zu errichten, doch eines Tages war der Kontakt zu ihnen abgebrochen.

Fragmente von Funksprüchen hatten nach einigen Jahren die Erde erreicht, in denen von einem Überfall durch Unbekannte berichtet worden war. Irgendwann hatte sich niemand mehr gemeldet und es hatte weitere Jahre gedauert, bis die schwerfällige Bürokratie des Goldenen Reiches die bruchstückhaften Botschaften ausgewertet und die Anweisung zu einer Untersuchung der mysteriösen Vorfälle gegeben hatte.

Zu Beginn dieser Reise war Flavius gerade einmal 20 Jahre alt gewesen und hatte sich mit dem Flug zu einem fernen Planeten einen Traum erfüllt. Das jedenfalls hatte er am Anfang gedacht.

Damals hatte sich Princeps zu einem »wissenschaftlichen Mitarbeiter mit militärischem Zusatztraining« ausbilden lassen und war frohen Mutes an Bord der Scutus gegangen.

Die Tatsache, dass er seine Eltern und seine Geschwister über 19 Jahre lang nicht mehr wiedersehen würde, hatte er in seiner Euphorie, endlich einen Raumflug miterleben zu dürfen, ausgeblendet.

Doch bereits nach wenigen Tagen, nachdem das Raumschiff das heimatliche Sonnensystem hinter sich gelassen hatte, war Flavius Begeisterung der Furcht gewichen.

Mehrere Jahre Kälteschlaf hatten auf ihn gewartet, nur um am Ende eines nervenzermürbenden Raumfluges auf der Oberfläche eines trostlosen Planeten, fernab jeder Zivilisation, auszusteigen.

Zwar war Flavius Körper während des künstlichen Tiefschlafs so gut wie nicht gealtert, doch hatte er an Bord der Scutus dennoch kostbare Lebenszeit vergeudet.

Als seine Kameraden von der Crew die Kühlzelle über seinem Kopf verschlossen und seinen Geist für Hunderte von Tagen in der Dunkelheit eingesperrt hatten, hatte er gedacht, er würde das Grauen nicht überleben.

Dieser erste Weg zur Schlafkammer war der mit Abstand schrecklichste Augenblick seines ansonsten so behüteten Lebens gewesen, wie er es sich jetzt selbst eingestand. Flavius hatte geschrien und geweint und vollkommen die Nerven verloren. Mit drei Männern hatten sie ihn festgehalten und ihm dann mehrere Beruhigungsspritzen gegeben.

»Mach dir keine Sorgen!«, hatte einer der Ingenieure an Bord noch gesagt, bevor die Kammer geschlossen und versiegelt worden war.

Flavius war damals, als die dicke Stahltür der Kühlzelle über seinem Kopf eingerastet war, von einem Zustand furchtbarster Panik ergriffen worden. Aufgeregt hatte er in seine Atemmaske gekeucht, während sein Herz wie ein Dampfhammer gepumpt und das Adrenalin seine Blutbahn entzündet hatte.

Nach einer Weile hatten ihn die Narkosemittel endlich beruhigt, bis sein Bewusstsein schließlich wie ein verzweifelt glimmendes Streichholz erloschen war. Irgendwann hatte der Tiefschlaf eingesetzt und ihn erlöst. Wo sein Geist in der Zeit der künstlichen Totenstarre gewesen war, wusste er bis heute nicht.

Mitglieder von Raumschiffbesatzungen für interstellare Reisen einzufrieren, war im 16. Jahrtausend kein Kunststück mehr. Die dafür notwendige Technologie war immer weiter verbessert worden und die Zahl derer, die aus dem künstlichen Schlaf nicht mehr aufwachten, hatte sich inzwischen auf ein Minimum reduziert. Dennoch kam es ab und zu vor, dass der Körper eines in den Tiefschlaf versetzten Menschen im Laufe der oft Jahre andauernden Reise durch das All seine Funktion für immer einstellte.

Jetzt, wo die endlos erscheinende Reise vorbei war, gelang es Flavius endlich, über die ganze Angelegenheit zu schmunzeln. Tief im Inneren war der junge Astronaut sogar ein wenig stolz, es heil überstanden zu haben.

Flavius Princeps war ein Aureaner wie Milliarden andere. Seine Eltern gehörten nicht zu den reichsten Angehörigen ihrer Kaste, aber auch keineswegs zu den Ärmeren. Norec Princeps, sein Vater, verdiente sich seinen Lebensunterhalt als Beamter im weit verzweigten Bürokratiesystem des Imperiums und seine Mutter Crusulla arbeitete halbtags als Magisterin im größten Bildungswerk der Stadt.

Flavius war das Jüngste von drei Kindern und genoss demnach, nicht selten zum Unwillen seiner Geschwister, einen Sonderstatus, denn seine Eltern liebten ihn über alles. Umso schwerer war es ihnen damals gefallen, gerade ihn zu den Sternen reisen zu lassen.

Ein Aureaner wie Princeps hatte es materiell äußerst gut und gewöhnte sich schon früh an die Annehmlichkeiten eines Lebens voller Technologie. Es hatte Flavius in seiner Jugend nie an etwas gemangelt und die Vorstellung, eines Tages einmal nicht alle gewünschten Luxuswaren und Unterhaltungen per Knopfdruck zu bekommen, war für ihn fast unvorstellbar.

Zu anderen Zeiten hätten die Menschen gesagt, dass er wie ein Kaiser lebte, doch seine persönlichen Verhältnisse waren in dieser Epoche nichts Ungewöhnliches, da der größte Teil seiner unmittelbaren Umgebung auf ebenso großem Fuß lebte.

Princeps war athletisch gebaut, hatte ein langgezogenes, schmales Gesicht und wache blaue Augen. Seine Haare besaßen die Farbe von reifem Weizen und meistens trug er sie zusammengebunden als kleinen Knoten am Hinterkopf, wie es im Golden Reich allerorts Mode war.

Der junge Mann maß knappe 1,85 m und war damit ein wenig kleiner als die meisten anderen Goldmenschen seiner Generation. Offiziell war Flavius noch immer 22 Jahre alt, denn die Zeit in der Kühlzelle konnte aufgrund der Tatsache, dass man nicht dem Alterungsprozess ausgeliefert war, nicht zu seinen »echten« Lebensjahren hinzugerechnet werden.

Insgesamt stellte Flavius einen äußerst ansehnlichen Jüngling dar, wobei seine beeindruckende Schlagfertigkeit und hohe Intelligenz das Bild seiner Persönlichkeit perfekt abrundeten.

Gerne trieb er Sport und liebte vor allem den Holographischen Schwertkampf und das Phalangieren. Zudem war er ein begabter Zeichner und im Fach „Terranische Geschichte“ kannte er sich besser aus als die meisten seiner Altersgenossen.

Trotzdem hatte Princeps schon seit frühester Jugend eine gewisse Unzufriedenheit empfunden, was dazu geführt hatte, dass er seiner behüteten Existenz stets mit einer gewissen Geringschätzung gegenübergetreten war.

Immer wieder hatte er sich Träumen von Abenteuern und interstellaren Reisen hingegeben und sich schließlich freiwillig gemeldet, um einen Flug zu den Sternen zu erleben.

Heute war dieser Flug, der bloß ein einziger Höllentrip gewesen war, endlich vorüber. Die Scutus stieß mit einem leisen Zischen durch die Atmosphäre des blauen Planeten und machte sich zur Landung bereit.

»Ich habe es überstanden!«, sagte Flavius leise zu sich selbst und spürte, wie eine weitere Freudenträne an seiner Wange herunterlief.

Niemals wieder würde er ein Raumschiff betreten, schwor er sich in diesem Augenblick. Den Rest seines Lebens würde er mit den Füßen auf Terras fester Erde verbringen.

Wieder auf Terra

Princeps hatte sich durch das Menschengewühl des Weltraumbahnhofes von Thoringan gekämpft und endlich den Hauptausgang des gewaltigen Gebäudekomplexes erreicht. Aufgeregt suchte er die an ihm vorbeihuschenden Menschenschwärme nach seinen Eltern und Geschwistern ab.

Schon eine halbe Stunde stand er hier, umgeben von hastigen und umtriebigen Scharen, während er gespannt nach seinen Lieben spähte, die er 19 Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. Eine Zeitspanne, in der sich zwangsläufig viel verändert haben musste.

Schließlich erblickte Flavius sie. Seine Mutter Crusulla, deren graue Haare für ihn ungewohnt aussahen, stieß einen lauten Freudenschrei aus, als sie ihn erkannte. Sie rannte als Erste auf ihn zu.

Vater eilte ihr hinterher und Xentor, sein Bruder, und Karina, seine Schwester, folgten. Den beiden Geschwistern trotteten noch drei freundlich lächelnde Kinder hinterher. Offenbar hatten Xentor und Karina inzwischen Familien gegründet und Nachwuchs bekommen.

»Mein Junge!«, stieß Crusulla aus vollem Herzen aus und warf sich ihrem Sohn an den Hals. Flavius gab ihr einen Kuss auf die Wange und betrachtete freudig ihr gealtertes Gesicht.

Im nächsten Moment kam Norec und schüttelte Flavius die Hand. Der ansonsten so sachliche Beamte konnte sich diesmal die Freudentränen nicht verkneifen.

»Ist das Onkel Flavius?«, quiekte ein Mädchen, das nach der Hand ihres Vaters griff.

»Ja! Das ist dein Onkel!«, rief Xentor lachend. Er umarmte seinen jüngeren Bruder.

»Endlich bist du wieder auf Terra. Das ist der schönste Augenblick in meinem Leben«, weinte Crusulla vor Glück, um ihren Sohn wieder und wieder an sich zu drücken.

»Wie habe ich euch vermisst! Ihr habt euch ganz schön verändert«, bemerkte Flavius.

»Du willst sagen, dass wir älter geworden sind, nicht wahr?«, erwiderte Karina.

»Das blieb wohl nicht aus – in 19 langen Jahren«, gab Princeps zurück und war erleichtert, wieder zu Hause zu sein.

Sein Vater war jetzt 69 Jahre alt und seine Mutter 66. Xentor ging mittlerweile schon auf die 43 zu; Flavius konnte es kaum fassen. Selbst Karina hatte das vierte Lebensjahrzehnt inzwischen schon überschritten.

Sie alle waren für Princeps ein ungewohnter Anblick, was allerdings nach 19 langen Jahren nichts Ungewöhnliches war. Flavius hingegen fühlte sich, als wäre er in einer Zeitblase gefangen gewesen und erst vor kurzem wieder freigelassen worden. Und so war es in gewisser Hinsicht auch. Immerhin hatte er wie ein Stück Fleisch in einer Tiefkühlkammer gelegen, während der Rest seiner Familie gelebt hatte.

Vor allem seine Mutter redete auf dem Heimflug nach Vanatium ununterbrochen auf ihn ein, als wolle sie die Jahre seiner Abwesenheit mit übergroßer Zuneigung ausgleichen. Norec hingegen wollte wissen, ob sich der Flug zu den Sternen denn »gelohnt« hätte, doch Flavius druckste bloß herum und vermied eine klare Antwort.

»Es war ganz interessant«, murmelte er, obwohl er eigentlich sagen wollte, dass es grauenhaft gewesen war. Doch der junge Mann fürchtete sich, seine damalige Fehlentscheidung offen zuzugeben.

Als Flavius in den Habitatskomplex, in dem er seine Kindheit verbracht hatte, zurückkehrte, überkamen ihn nostalgische Gefühle und er brach einmal mehr in Tränen aus.

Zu Hause, in der Wohnung seiner Eltern, erwartete den Heimkehrer ein üppiges Festmahl; einschließlich einer minutenlangen Ansprache seines Vaters.

»Unser Sohn Flavius ist ein wahrer Held! Ohne solch mutige Raumfahrer, würde es unser Sternenreich nicht geben!«, betonte Norec stolz.

Die Familie verbrachte noch einen wundervollen Tag mit gutem Essen und langen Gesprächen. Trotzdem fühlte sich Flavius tief im Inneren von seinen Angehörigen entfremdet. Alles war zwar einerseits vertraut, jedoch andererseits auch vollkommen neu und manchmal geradezu verstörend.

Jetzt hatte der junge Raumfahrer erst einmal ein ganzes Jahr Urlaub. Es war eine gesetzliche Vorschrift, dass man nach einer mehr als sechs Monate andauernden Raumreise das Anrecht auf ein volles Jahr Freizeit hatte, damit sich Körper und Psyche erholen konnten.

»Mal sehen, was die nächsten Tage so bringen«, dachte Flavius, während er überlegte, was er nun mit seiner Zeit anstellen sollte.

Der Heimgekehrte hatte das Gästezimmer, wobei es sich eigentlich um sein ursprüngliches Kinderzimmer handelte, bezogen und sich dort notdürftig eingerichtet. Inzwischen war er bereits seit einer Woche wieder zu Hause.

Crusulla hegte und pflegte ihren Sohn nach wie vor ohne Pause, als wäre er noch ein kleiner Säugling. Meistens freute sich Flavius über so viel Mutterliebe, manchmal jedoch ging sie ihm auch auf die Nerven.

Der junge Mann hatte sein Zimmer bisher kaum verlassen und schlich nur gelegentlich einmal ins Wohnzimmer, um sich vor den Simulations-Transmitter zu hocken oder ein Nickerchen auf dem Sofa zu machen. Flavius fühlte sich ausgelaugt und müde. Gelegentlich litt er auch unter Schwindelanfällen, Orientierungsstörungen und Panikattacken, was er auf die Nachwirkungen seiner Raumreise zurückführte.

Jetzt, wo er wieder auf Terra in der Obhut seiner Eltern war, wusste er zunächst wenig mit seiner Zeit anzufangen. Das normale Leben verwirrte ihn und da Norec und Crusulla meistens bis spät nachmittags arbeiteten, verbrachte er die meisten Stunden des Tages allein. Das war seltsam und häufig auch unangenehm.

Schließlich raffte sich Flavius auf, die Wohnung seiner Eltern zu verlassen und herunter auf die Straße zu gehen.

Nachdem er mit dem Aufzug 79 Stockwerke nach unten gefahren war und die große Eingangshalle seines Habitatskomplexes hinter sich gelassen hatte, ging er durch eine der großen Zugangstüren hinaus.

Hunderte von Menschen drängten sich dicht an dicht auf dem Bürgersteig zusammen. Jenseits des Gewühls konnte Princeps eine mit Gleitern im Fahrmodus vollgestopfte Straße erkennen. Dahinter schoben sich weitere Habitatskomplexe in den Himmel.

Flavius taumelte zurück und atmete schwer. Eine weitere Angstattacke kündigte sich an, denn an so viele Menschen musste er sich erst wieder gewöhnen. Hastig verschwand er in der Eingangshalle seines Wohnblocks und setzte sich dort in eine Ecke. Schweißperlen hatten sich auf der Stirn des jungen Mannes gebildet; verwirrt starrte er ins Leere.

»Alles klar?«, hörte er plötzlich eine sanfte Stimme über sich.

Flavius drehte den Kopf zur Seite und lächelte erschöpft.

»Ja, ich habe nur leichte Kopfschmerzen«, murmelte er.

Eine Frau hatte sich neben ihn gestellt; sie musterte ihn mit freundlicher Miene.

»Wohnen Sie auch in diesem Komplex?«, wollte sie wissen.

»Im 79. Stockwerk«, antwortete Princeps kurzatmig.

»Dann kann ich Ihnen ja auf dem Kopf herumspringen«, scherzte die Dame. »Ich wohne im 104. Stock.«

»Mein Kopf dröhnt schon genug, aber danke für das Angebot«, erwiderte Flavius mit einem gequälten Grinsen.

»Es ist aber nichts Ernstes, oder?«, fragte sie.

»Nein, nein! Das geht schon wieder vorbei«, kam zurück.

»Möchten Sie meinen Neuro-Sanator haben? Ich kann ihn aus meiner Wohnung holen.“

»Schon gut! So schlimm ist es nicht! Ich bin übrigens Flavius. Flavius Princeps!«

»Asgara Trevoc!«, erklärte sie freudig und streckte ihre Hand aus.

»Ich kenne hier kaum noch jemanden, weil ich 19 Jahre lang im Weltall war«, sagte Flavius.

»Sie waren bei den Sternen?« Asgara erschien beeindruckt.

»Ja, auf Furbus IV!«

»Von diesem Planeten habe ich noch nie etwas gehört.«

»Ist auch nicht so wichtig. Jedenfalls bin ich jetzt wieder hier, kenne aber keinen mehr. Das ist irgendwie traurig.

Ich bin in diesem Habitatskomplex aufgewachsen, fühle mich aber fremder denn je«, erklärte Princeps.

Asgara blickte mit ihren hellgrauen Augen auf ihn herab und neigte den Kopf zur Seite. Sie war hübsch, wie Flavius zugeben musste, und ihr Lächeln strahlte eine angenehme Milde aus.

»Das wird mit der Zeit bestimmt besser. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt zur Arbeit. Vielleicht sieht man sich ja noch einmal, Herr Princeps«, sagte die junge Frau schließlich, um sich dann zu verabschieden.

Flavius schaute ihr hinterher und hielt sich anschließend erneut der Kopf. Mit einem leisen Murren ging er zu den Aufzügen und fuhr zurück in den 79. Stock. Irgendwie war heute nicht der richtige Tag, um durch die Straßen von Vanatium zu spazieren, dachte er, während er in die Wohnung seiner Eltern schlich.

Es dauerte noch mehrere Wochen, bis sich Flavius halbwegs akklimatisiert hatte. Letztendlich hatte er beschlossen, wieder etwas für seinen Körper zu tun und widmete sich seitdem dem Phalangieren, einem in der aureanischen Kaste äußerst beliebten Mannschaftssport.

Schon vor seiner Reise in den Weltraum war er im Phalangier-Club seines Stadtteils aktiv gewesen und nun hatte Flavius den Entschluss gefasst, das sinnlose Herumlungern mit schweißtreibendem Training zu vertauschen.

Seiner gebeutelten Psyche würde der Sport ebenfalls gut tun, hoffte er.

So entfaltete Princeps schon in den ersten Tagen, nachdem er sich ordnungsgemäß beim örtlichen Phalangier-Club angemeldet hatte, eine fieberhafte Aktivität und befand sich meistens mehrere Stunden am Tag auf dem Übungsplatz.

Hier lernte er schnell weitere Burschen aus seiner Alterklasse kennen, wobei er sich den meisten gut verstand.

Nach einiger Zeit hatte sich ein junger Mann namens Lucius an seine Fersen geheftet; er hielt Flavius unentwegt Vorträge über seine weiblichen Bekanntschaften und die Partys in der Stadt.

Princeps fand den selbstsicheren Teamkameraden zwar gelegentlich etwas anstrengend, doch brachte ihn dieser mit seinen flapsigen Sprüchen zumindest zum Lachen, was besser als nichts war.

Auch mit dem Trainer der „Löwen von Crax“, wie sich örtliche Phalangier-Mannschaft nannte, kam Flavius gut zurecht. Somit war er froh, dass er im Zuge seiner sportlichen Tätigkeiten wenigstens die eine oder andere Bekanntschaft hatte schließen können.

Dank seiner intensiven Bemühungen auf dem Übungsplatz, gelang es ihm nach nur drei Wochen bis in die erste Reihe des Phalangier-Teams aufzusteigen. Flavius Eltern waren beeindruckt, als sie diese Nachricht hörten, während ihr jüngster Sohn tagelang mit stolzgeschwellter Brust über den Trainingsplatz lief.

Lucius war ebenfalls einer der besten Spieler in der 100 Mann zählenden Löwen-Mannschaft und war vom Trainer ebenfalls in die erste Reihe gerufen worden.

»Wir stehen jetzt immer zusammen vorne!«, hatte er Flavius verkündet und ihm grinsend auf den Schulterpanzer seiner Plastonitrüstung geschlagen.

»Ich freue mich darauf!«, hatte Princeps seinem neuen Bekannten geantwortet und endlich einmal zufrieden gewirkt.

Von diesem Zeitpunkt an bildeten Lucius und er ein Zweierteam, das sich im Spiel gegenseitig abwechselnd mit Schild und Lanze schützte. In den Trainingssimulationen erwiesen sich die beiden als hervorragendes Gespann.

Schließlich begannen sich die Löwen von Crax auf die Bezirksmeisterschaften vorzubereiten, wobei Flavius fast pausenlos die Lanze schwang. Es galt, die „Falken von Crax“, die „Craxer Hopliten“, die „Vanatium-Crax Schildträger“ und etwa ein Dutzend weitere Teams vom Spielfeld zu fegen.

Die Bezirksmeisterschaften zu gewinnen, war in dieser Zeit Flavius höchstes Lebensziel. Allmählich begann er sich wieder wie ein ganz normaler Mensch zu fühlen.

Mehrere Tausend Zuschauer hatten sich heute auf den Tribünen der großen Arena im Zentrum von Vanatium eingefunden. Flavius befand sich im Herzen des Kampfplatzes, wo um den Titel des Bezirksmeisters gerungen wurde.

Dieses einmal im Jahr stattfindende Sportspektakel erhellte auch an diesem Tag den ansonsten oft gähnend langweiligen Alltag der jungen Aureaner im Stadtteil Crax.

Flavius gehörte nun ebenfalls wieder zu ihnen, wie ihm schnell bewusst geworden war. Doch das zog er weiteren Weltraumreisen definitiv vor.

Irgendwo auf der Tribüne befand sich vielleicht auch die hübsche Asgara aus seinem Habitatskomplex, nach der er in den letzten Wochen immer wieder Ausschau gehalten hatte.

Flavius kniff die Augen zu einem dünnen Schlitz zusammen und hielt seine Hand darüber, um die blendenden Sonnenstrahlen abzuhalten. Nach einigen Minuten gab er es auf, Asgara in der Masse der jubelnden Zuschauer zu suchen, denn dafür war diese viel zu groß.

»Stellt euch auf, Leute!«, schrie der Teamführer über den Platz und Princeps reihte sich in den 100 Spieler zählenden Block seiner Teamkameraden ein.

Gegenüber formierte sich die gegnerische Mannschaft ebenfalls zu einem starren Viereck; die Rivalen schlugen mit ihren drei Meter langen Lanzen aus Plastonit gegen ihre roten Schilde mit den Falkensymbolen, die aus dem gleichen Material angefertigt waren.

»Löwen! Löwen! Löwen!«, schallte es von der Tribüne; Flavius schenkte ein paar hübschen Frauen am Spielfeldrand ein Lächeln.

Eine Durchsage ertönte und die beiden Teamblöcke postierten sich hinter ihren jeweiligen Aufstellungslinien.

Daraufhin schwoll das Geschrei der Zuschauer zu einem donnernden Getöse an.

Princeps musterte seine mit zahllosen kleinen Sensoren versehene Rüstung, die Bauch, Brust und Oberschenkel schützte. Er versuchte, sich zu konzentrieren.

»Mach heute keinen Mist mit deinem Schild!«, bemerkte sein Nebenmann Lucius, der mit ihm in der ersten Reihe des Teamblocks stand und nervös auf das Signal zum Start der ersten Runde wartete.

»Keine Angst, ich halte es dir immer vor die Nase«, antwortete Flavius, verschnaufte kurz und klappte das Visier seines Helms herunter.

Das Spiel begann und beide Teamblöcke bewegten sich zwei Nashörnern gleich aufeinander zu. Sofort nahm Flavius einen seiner beiden Wurfspeere in die Hand und schleuderte ihn mit voller Wucht auf den gegnerischen Block. Mit einem leisen »Klack« traf die mit Kontaktsensoren versehene Spitze der Waffe auf den Brustpanzer eines Gegners, dessen Rüstung rötlich zu leuchten begann.

»Treffer!«, jubelte Princeps, während der Spieler aus der gegnerischen Mannschaft fluchend vom Platz trottete.

Dann bohrten sich die langen Plastonitlanzen der beiden Teams mit einem lauten Krachen in den jeweils gegenüberliegenden Block und mehrere Rüstungen leuchteten auf beiden Seiten auf. Es gelang Flavius, einem Gegner die Lanze in den Unterleib zu rammen, so dass auch dieser vom Schiedsrichter ausgezählt wurde.

Beide Mannschaften hatten sich inzwischen wie zwei ringende Hirschkäfer ineinander verhakt und keine Seite schaffte es, die andere entscheidend zurückzudrängen.

Nach einigen Minuten ließ der Schiedsrichter die beiden Teams wieder Aufstellung nehmen und beendete die Runde.

»Wir führen 18 zu 16!«, bemerkte Lucius und klopfte Princeps auf die Schulter. »Guter Wurf übrigens!«

»Danke! Ich tue, was ich kann. Vielleicht treffe ich ja gleich den Teamkapitän«, gab jener zuversichtlich zurück.

Nach einer kurzen Verschnaufpause ging es weiter und die beiden Teamblöcke rannten in der nächsten Runde gegeneinander an.

Flavius war inzwischen so euphorisch und aufgeheizt, dass er ohne jede Deckung aus der Phalanx sprang und Lucius einfach hinter sich zurück ließ. Ohne weiter darüber nach zu denken, griff er an. Princeps wich mehreren Wurfspeeren aus und rammte dem Kapitän der gegnerischen Mannschaft die Lanze so hart gegen den Brustpanzer, dass dieser einige Meter weit nach hinten geschleudert wurde.

Damit hatte das gegnerische Team seinen Anführer verloren; die Löwen von Crax erhielten auf einen Schlag zehn Punkte. Flavius badete ihm frenetischen Jubel der Zuschauer. Er stellte sich wieder in die erste Reihe der Phalanx und riss die Fäuste hoch.

Anschließend nahmen die Löwen ihre Kontrahenten Stück für Stück auseinander und zerlegten den feindlichen Kampfblock mit Wurfspeeren und Plastonitlanzen.

Spieler Princeps war der Held des Tages und seine Mannschaftskameraden bedankten sich bei ihm für seinen kühnen Vorstoß. Mit einem glücklichen Lächeln schlenderte Flavius am Ende des Tages vom Platz. Es war herrlich, wieder zu Hause zu sein.

Die Löwen von Crax hatten die Bezirksmeisterschaft gewonnen und Flavius war stolz auf seine sportlichen Leistungen, während der Jubel der Zuschauer noch lange in seinen Ohren nachhallte.

Jetzt saß er wieder in der Wohnung seiner Eltern im oberen Bereich des Habitatskomplexes G-4122. Draußen strahlte die Sonne und schickte ihre Lichtstrahlen durch das große Küchenfenster.

Vor ein paar Minuten hatte sich Flavius noch die neuesten Nachrichten aus aller Welt auf dem Simulations-Transmitter seines Vaters angesehen. Dann war ihm langweilig geworden und er hatte sich in die sonnendurchflutete Küche zurückgezogen.

Draußen flogen einige Gleiter am Himmel vorbei; sie glänzten vor dem blauen Horizont wie leuchtende Edelsteine. Flavius betrachtete sie mit nachdenklicher Miene.

Plötzlich hörte er, wie sich die Wohnungstür mit einem leisen Summen aufschob, nachdem der Erbgut-Scanner im Eingangsbereich das genetische Profil seines Vaters erkannt hatte. Dieser kam schnellen Schrittes nach oben und stellte sich schließlich in die Küche.

»Wie geht es dir heute, Junge?«, fragte er und setzte sich zu Flavius an den Tisch.

»Gut, alles klar!«, gab dieser lächelnd zurück.

»Du warst vorgestern Nacht ganz schön unruhig. Wir haben dich im Schlaf reden gehört. Was war denn los?«

Princeps wunderte sich, er zuckte mit den Achseln.

»Nichts! Ich habe geredet?«

»Ja, ich wollte dich schon gestern darauf ansprechen.

Kannst du dich an keinen bösen Traum erinnern?«

»Nicht, dass ich wüsste, Papa.“ Flavius war verwundert.

»Dein Bio-Scanner hat auch erhöhte Adrenalinwerte angezeigt…«

»Mein Bio-Scanner? Hast du ihn dir angesehen?«

»Tut mir leid, aber deine Mutter und ich haben uns Sorgen gemacht. Ich will dir ja keine Angst machen, aber du wirktest vollkommen panisch und hast in deinem Bett wild um dich geschlagen.«

Flavius wusste nicht, was er erwidern sollte. Schweigend starrte er auf den Küchentisch. Anschließend zuckte er wieder mit den Achseln.

Norec Princeps stand auf, ließ sich von einem kleinen Automaten ein mineralisches Getränk machen und setzte sich. Dann fixierte er seinen Sohn mit seinen von kleinen Fältchen umgebenen Augen und hob die weißgrauen Brauen an.

»Wie war es denn auf deiner Reise zu den Sternen? Du hast Mutter und mir bisher noch überhaupt nichts erzählt. Ist alles glatt gelaufen?«

»Es war die Hölle! Ich betrete nie wieder ein Raumschiff…«, sagte Flavius kleinlaut.

Sein Vater räusperte sich. »Und auf diesem Planeten gab es wirklich nichts zu sehen?«

»Naja, zu sehen gab es da schon etwas, aber ihr würdet es mir sowieso nicht glauben. Es war ein öder Ort mit wenig Vegetation und sehr kalt. Dort gab es nur eine kleine Siedlerkolonie mit einigen Hundert Menschen, aber die existiert jetzt auch nicht mehr.«

»Damals hast du uns nur gesagt, dass ihr irgendwelche Dinge erforschen sollt, bist aber nie ins Detail gegangen.

Was habt ihr denn dort bloß gemacht? Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“

Flavius lächelte gequält und erklärte, dass man ihm anfangs selbst nicht genau gesagt hatte, was sie auf Furbus IV erforschen sollten. Angeblich hatte das wissenschaftliche Team, dem er als Assistent zugeteilt worden war, die Rohstoffe des Planeten genauer untersuchen und den Siedlern beim Aufbau von Mienen helfen sollen, doch das war nicht ganz die Wahrheit gewesen.

»Ich habe auf diesem Planeten seltsame Dinge gesehen, Vater«, murmelte Flavius und fummelte sich nervös an seinem Haarknoten am Hinterkopf herum.

»Was denn für Dinge?«, hakte Norec nach.

»Dort hatte wohl ein Kampf stattgefunden. Jedenfalls war die kleine Station der menschlichen Kolonisten vollkommen zerstört als wir dort ankamen. Es war total unheim