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Der kleine Orkstamm der Mazauk lebt in den trostlosen Steppen des Nordens. Als die Orks wieder einmal einen besonders harten Winter vor sich haben, beschließen sie, im Süden bei den Menschen zu plündern, um sich Nahrung zu verschaffen. Grimzhag, der Sohn des Orkhäuptlings Morruk, begleitet die Krieger seines Stammes bei ihrem Raubzug nahe einer großen Karawanenstraße. Als die Orks den Händler Zaydan Shargut überfallen, macht dieser ihnen ein unerwartetes Angebot. Grimzhag und die anderen Krieger willigen ein, den Kaufmann bei seinen Plänen zu unterstützen. Doch dann stellt sich heraus, dass es ein schwerer Fehler war, Zaydan zu vertrauen. Eine Reihe von Ereignissen mit katastrophalen Folgen nimmt ihren Lauf...
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Seitenzahl: 356
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Prolog
Der Stamm der Mazauk
Zaydan der Händler
Der Freund der Orks
Die Verzweifelten der Steppe
Die Rückkehr der Mazauk
Grimzhags Kopf
Gegenschlag
Die Reise nach Westen
Cuglakks Prophezeiung
Frieden und Liebe
Kazhad Mal
Wie eine Feuersbrunst
Der rebellische Goblin
Sprachrohr der Götter
Der Befreier
Wartet nur ab
»König Arasig besiegte die Orks nach zahlreichen Feldzügen und trieb sie aus Aurania heraus. Seit ewigen Zeiten war dieses Volk bereits ein erbitterter Feind der Menschen gewesen und hatte ganz Antariksa allein durch seine unerträgliche Anwesenheit vergiftet. Doch der große Vereiniger der Menschenstämme des Westens zeigte kein Erbarmen mit den Orks, nachdem er ihnen auf dem Schlachtfeld das Rückgrat gebrochen hatte. Er war fest entschlossen, die grünhäutigen Widerlinge ein für allemal vom Antlitz der Erde zu fegen und zögerte nicht, auch ihre Stammländer mit Feuer und Schwert heimzusuchen.
Als Arasig und seine Heere nach ihrem letzten, großen Feldzug aus den Dunklen Landen zurückkehrten, waren die Grünhäute so gut wie vernichtet. Nur wenige von ihnen hatten dem Zorn unserer Ahnen entgehen können, doch dieser klägliche Rest des Orkvolkes sollte sich niemals wieder gegen uns erheben.
Somit haben wir es heute dem heiligen Arasig zu verdanken, dass die Macht der Orks für immer gebrochen und Aurania den Menschen geschenkt wurde. Der größte aller Menschenkönige hatte die endlosen Kämpfe gegen dieses kriegerische, grausame und zutiefst bösartige Volk mit seinem glorreichen Sieg beendet.«
(Ludger von Reethland, Hofchronist von Kaiser Adalsang II.)
Grimzhag zog einen Pfeil aus seinem Köcher und spähte noch einmal an dem Felsen vorbei, hinter dem er sich auf die Lauer gelegt hatte. Der Ruumph hatte ihn offenbar nicht gehört, denn er beugte sich hinab und begann aus dem Tümpel vor sich zu saufen. Ein lautes Plätschern ertönte, als das Tier seine lange Zunge vor- und zurückschnellen ließ. Der junge Ork starrte auf die von einem langen, struppigen Fell bedeckte Kreatur und hielt für einen kurzen Moment den Atem an.
Dann schoss er und blickte dem Pfeil nach, der sich mit einem leisen Knirschen in den Hinterkopf des Ruumphs bohrte. Noch im gleichen Moment brach das Tier mit einem kaum hörbaren Brummen zusammen und plumpste kopfüber in den Tümpel. Grimzhag sprang hinter dem Felsen hervor und reckte die Faust in die Höhe.
»Was für ein Schuss!«, hörte er einen anderen Ork hinter sich rufen und wandte sich diesem mit einem breiten Grinsen zu, das seine Fangzähne entblößte. »Das Vieh ist reif für den Spieß!«, schrie Grimzhag und rannte in Richtung des Ruumphs, um ihn aus dem Wasser zu ziehen.
Der andere Ork, sein Freund Zugrakk, folgte ihm und war noch immer fasziniert von Grimzhags Zielsicherheit. Gemeinsam zerrten sie die tote Kreatur, aus deren Schädel der Pfeil ragte, aus dem Tümpel und setzten sich dann auf den staubigen Boden der Steppe.
»Erledigt!«, schnaufte Zugrakk und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ein Schuss, der dem Sohn eines Häuptlings würdig ist!«, bemerkte Grimzhag voller Stolz und klopfte seinem Freund auf die Schulter.
»Ja, das muss ich zugeben«, knurrte Zugrakk und schien ein wenig eifersüchtig zu sein. Heute Abend hatte Grimzhag, der jüngste Sohn von Morruk, dem Häuptling der Mazauk, jedenfalls etwas am Lagerfeuer zu erzählen und konnte vor den älteren Kriegern und vor allem seinem Vater prahlen.
Die beiden Grünhäute schleppten den Ruumph unter lautem Schnaufen und Stöhnen in Richtung des Orklagers, das vor einigen Sonnen im Schutze einer kleinen Hügelkette aufgeschlagen worden war. Hier wurden die beiden Orks bereits von ihren Stammesgenossen erwartet. Angesichts des Ruumphs lief ihnen augenblicklich das Wasser im Maule zusammen.
»Ein fettes, leckeres Exemplar. Endlich gibt es wieder Fleisch!«, schwärmte einer der Alten, ein Ork mit runzeliger, graugrüner Haut und nur noch wenigen Zähnen im Kiefer.
»Kannst du das überhaupt noch kauen, Trogg?«, neckte ihn Grimzhag und deutete auf seine Beute.
»Meine Zähne reichen noch aus, um dir den Kopf abzubeißen, kleines Brüllmaul«, knurrte der verschrumpelte Ork und stieß dann ein brüllendes Lachen aus.
Zugrakk deutete auf einige der älteren Krieger, die noch ein Dutzend weitere Ruumphs ins Lager trugen. Offenbar hatten sie heute alle Erfolg bei der Jagd gehabt, was nicht immer selbstverständlich war.
»Ah, noch mehr fettes Fleisch. Sehr schön! Und glaube mir, du kleiner Wurm, ich kann noch ‘ne Menge zerkauen«, meinte Trogg und leckte sich über die Lippen.
»Matschkäfer vielleicht…«, kam von Zugrakk zurück, der den alten Ork mit dem Ellbogen in die Seite knuffte.
»Ihr zwei frechen Mistkerle! Der alte Trogg sollte euch mal die Arme brechen, was?«, sagte dieser scherzhaft und hielt Zugrakk die knochige Faust vor die Nase.
Grimzhag winkte ab und trottete davon. Sein Freund lief ihm hinterher und sie gingen in ein großes, rundes Zelt aus bemalten Tierhäuten. Hier hatten ein paar Goblins bereits damit begonnen, die Ruumphs von ihrem Fell zu befreien und sie auszuweiden.
»Das wird wieder ein leckerer Braten, junger Ork«, schnaufte einer von ihnen, sah kurz zu Grimzhag auf und riss weiter Ruumphinnereien aus einem blutverschmierten Fellhaufen.
»Freue mich schon drauf. Eine so große Anzahl dieser Tiere haben wir lange nicht mehr zur Strecke gebracht«, antwortete der Sohn des Häuptlings und verließ das Zelt anschließend wieder, nachdem er die Arbeit der Goblins inspiziert hatte. In der Ferne hörte man die Cramogg, die andersgeschlechtlichen Grünhäute, welche immer in einiger Entfernung der Krieger ihr Lager aufschlugen, lärmen und schreien. Auch sie waren mit der Ausweidung und Zubereitung der erlegten Ruumphs beschäftigt.
Um Grimzhag und Zugrakk herum begannen die älteren Orks nun damit, große Lagerfeuer zu entfachen und überall brach ein hungriges Knurren und erwartungsvolles Grunzen aus, denn gleich würde eine Menge Ruumphfleisch gebraten werden.
»Und? Hast du auch etwas getroffen, kleiner Brüller?«, hörte Grimzhag plötzlich hinter sich und drehte sich blitzartig um, als eine gewaltige, dunkelgrüne Klaue auf seine Schulter gedrückt wurde. Es war Morruk, sein Erzeuger, der Häuptling der Mazaukorks.
»Er hat einen Ruumph mit einem gezielten Schuss in den Hinterkopf getötet«, antwortete Zugrakk an Grimzhags Stelle und sah respektvoll zu der riesenhaften Grünhaut herauf, die den Orkstamm anführte.
»Ist das wahr?«, hakte Morruk nach.
»Ja, klobige Faust!«, gab Grimzhag zurück und entblößte seine Fangzähne, um ein stolzes Lächeln anzudeuten.
»Gut, mein Sohn. Mit dir kann man vielleicht doch etwas anfangen«, sagte der Häuptling anerkennend und verschwand wieder, ohne seinen Sprössling noch einmal anzusehen.
Dreimal war die orangerote Sonne seit der großen Jagd schon über der Steppe aufgegangen und dreimal hatten die beiden Monde des Nachts geleuchtet. Die Orkhorde hatte sich, so gut es ging, die Bäuche mit fettem Ruumphfleisch vollgeschlagen und ein zufriedenes Brummen und Knurren erfüllte das Lager der Krieger. Wieder war die Dämmerung hereingebrochen und zahlreiche Orks und Goblins, ihre kleineren, schwächlichen Verwandten, drängten sich um eine Vielzahl von Lagerfeuern, die die dunkle Steppe gleich einem Meer von Fackeln erhellten.
Grimzhag und sein Freund Zugrakk, der selten von dessen Seite wich, hockten neben dem Schamanen Soork auf dem Boden und nagten an einem saftigen Ruumphschenkel, während der in die Jahre gekommene Ork mit der bemerkenswerten Fähigkeit des weitreichenden Denkens wieder einmal einige Schwänke aus seiner Jugend erzählte und die älteren Krieger zwischendurch auflachten.
»Vor langer Zeit lebten unsere Ahnen in mächtigen Städten aus Stein. Noch bevor die Menschlinge und Bartwichte so mächtig geworden waren und uns aus den fruchtbaren Ländern des Westens vertrieben haben. Nach der Niederlage gegen den Menschenkönig Arasig vor vielen Hundert Sonnenzyklen jedoch mussten sie nach Osten fliehen und leben seitdem in diesem wunderschönen Land«, sagte Soork mit einigem Sarkasmus. Morruk, der Häuptling, sah genervt auf den Schamanen herab und bemerkte: »Der alte Soork und seine Geschichten von der ebenso alten Orkherrlichkeit. Damals waren wir die Größten, wie? Fällt deinem wurmstichigen Hirn denn nicht mal was Besseres ein?«
Grimzhag musste grinsen und einige der Krieger ebenfalls. Soork schob seine breite Unterlippe nach oben, so dass sie fast die kurze Nase bedeckte.
»Die Menschlinge haben den großen Krieg damals gewonnen und daher hatten sie auch das Recht, uns zu vertreiben. Wer auf dem Schlachtfeld verliert, der muss sich fügen. Damals haben wir eben Pech gehabt und müssen heute noch darunter leiden. Aber es ist, wie es ist – so haben die Götter die Welt gemacht«, sprach der Anführer des Stammes und hob die Klaue.
»Ich dachte nur, dass die jungen Krieger vielleicht etwas Interesse an der Geschichte unseres Volkes haben«, entschuldigte sich der Schamane kleinlaut.
»Nur weil du zur Blutlinie der Geistesbegabten gehörst, heißt das nicht, dass du jeden Gedanken auch tausendmal aussprechen sollst«, knurrte ihn Morruk an und befahl ihm zu schweigen.
»Jetzt mal etwas anders, Krieger!«, rief er dann mit seiner tiefen, rauen Stimme. »Thronak hat mir gestern erzählt, dass die Madengesichter vom Wargu-Stamm wieder in unserem Gebiet gewildert haben. Er hat gesehen, wie sie über 50 Ruumphs weggeschafft haben. Außerdem haben sie etwa ein Dutzend Warnox erlegt. Das geht eindeutig zu weit. Was meint ihr?«
»Ein Dutzend Warnox?« Grimzhag fletschte die Zähne.
»Warnox-Kühe!«, fügte sein Vater wütend hinzu.
»Wir sollten ihnen eine letzte Warnung zukommen lassen. Wenn sie die wieder ignorieren, dann statten wir den Wargu einen Besuch ab!«, brüllte ein breitschultriger Krieger mit vernarbtem Gesicht und fuchtelte mit seinem Hackebeil herum.
Die anderen Orks und Goblins – Letztere fühlten sich in Gegenwart ihrer größeren Vettern immer besonders stark – knurrten zustimmend.
»Dann schicken wir den Wargu also einen von uns, um ihnen noch einmal zu sagen, dass sie sich von unserem Gebiet fernhalten sollen. Wie klingt das?«, fragte Morruk die Krieger vor sich.
»Ja! Das ist eine gute Idee!«, gaben die Grünhäute zurück.
»Gut!« Der riesenhafte Orkhäuptling stieß seinem auf dem Boden sitzenden Sohn mit dem Fuß in die Rippen und starrte auf ihn herunter.
»Das ist eine Aufgabe für meinen werten Sprössling! Er soll endlich zeigen, dass er kein Snag mehr ist! Gehe morgen zu Bahdrok, diesem hässlichen Gnogggesicht, und teile ihm mit, dass es demnächst Ärger gibt, wenn sich seine Krieger hier noch einmal blicken lassen!«
Die wenigen um das Lagerfeuer versammelten Goblins reagierten mit eingeschüchtertem Geflüster, denn die Bezeichnung »Snag« war eine Beleidigung; bedeutete sie doch so viel wie »Sklave« oder auch »feiger Goblin«. Aber natürlich hatte niemand der kleineren Grünhäute den Mumm, sich deshalb bei Morruk zu beschweren.
»Ich danke dir, Wütender!«, antwortete Grimzhag wenig begeistert und sah hilfesuchend zu seinem Freund Zugrakk herüber.
Morruk setzte sich wieder zu seinen Kämpfern und schnitt ein gewaltiges Stück Fleisch aus dem bereits halb verbrannten Ruumph, der über dem Feuer schmorte.
»Und trete bei Bahdrok entschlossen auf, Grimzhag. Ansonsten lacht er dich bloß aus und befördert dich mit einem Tritt aus seinem Zelt«, sagte der Häuptling und starrte seinen Sohn mit zwei im Feuerschein leuchtenden, grauen Augen an.
Die Macht der Orks war in den letzten zwei Jahrtausenden stetig geschwunden. Zwar hatte es in dieser Zeit immer wieder ein paar große Kriegsherren gegeben, die das überall gehasste Volk in eine Reihe glorreicher Schlachten und zu großen Siegen geführt hatten, doch hatte das nichts daran geändert, dass die früher einmal gefürchteten Grünhäute mehr und mehr in die weiten Einöden des Ostens verdrängt worden waren.
Selbst mächtige Häuptlinge wie Azhog der Verwüster, der das große Menschenreich im Westen vor sechs Jahrhunderten mit seiner gewaltigen Horde beinahe in die Knie gezwungen hatte, waren auf Dauer nicht in der Lage gewesen, den Niedergang der Orks aufzuhalten. Das Gleiche galt für einige seiner Nachfolger, die es trotz anfänglicher Erfolge nicht geschafft hatten, der Macht der Menschen, Zwerge und Elben zu widerstehen.
Westlich des Felssäulengebirges, das wie eine titanische Mauer aus grauschwarzem Gestein den Kontinent der Menschen abschirmte, war das Volk der Orks schon vor langer Zeit ausgerottet worden. Nun fristeten die wahren Kinder der alten Götter, wie sich die Grünhäute selbst nannten, ein schattenhaftes Dasein in den Dunklen Landen und der dahinter liegenden Steppe, die sich bis in den unwirtlichen Norden von Antariksa erstreckte. Hier zogen die Stämme der Orks seit Jahrhunderten durch die trostlosen Weiten, lebten als Nomaden oder hausten in schmutzigen Siedlungen, die die Einöde übersäten.
Dabei waren sie die rechtmäßigen Herren der Welt, wie es die alten Legenden behaupteten und es noch heute viele Orks glaubten. Aber welche Rolle spielten schon alte Legenden in einer Zeit, in der die anderen Völker Antariksas, allen voran die Menschen des Westens, in großen, befestigten Städten lebten und sich immer weiter ausbreiteten. In die Dunklen Lande und die noch weiter östlich liegenden, endlos erscheinenden Steppen wagten sie sich jedoch kaum hinein.
Aber hier gab es auch nicht viel zu gewinnen, denn diese Länder waren unfruchtbar und daher als Siedlungsgebiete oder Kolonien für Menschen ungeeignet.
Jene Grünhäute, zu denen auch Grimzhag und sein Stamm gehörten, lebten seit Jahrhunderten als Nomaden im Norden der großen Steppe, jenseits des Eisgebirges, welches zwischen den Dunklen Landen und den Weiten des Ostens in den Himmel ragte. Es handelte sich um einen kleinen, unscheinbaren Orkstamm, der bisher noch kaum von sich Reden gemacht hatte. Meistens blieben die Mazaukorks in dem ihnen vertrauten Gebiet und zogen nur selten nach Westen.
Sie wagten sich nicht zu nahe an das Eisgebirge heran, um nicht mit den dort lebenden, barbarischen Großmenschen in Konflikt zu geraten. Zu ihren Nachbarn zählten neben anderen Orkstämmen auch nomadisierende Goblinhorden und eine Reihe menschlicher Reiterstämme, vor allem die Remok, Tukmars, Drugai und Khoran-Treg.
Noch weiter im Südosten ragte die Große Mauer von Manchin in den Himmel, welche die Mazauk jedoch nur aus den Erzählungen ihrer Nachbarstämme kannten. In ihre Nähe trauten sie sich aus Angst vor den mächtigen Armeen des Menschenreiches von Manchin nicht.
Fern im Westen, noch jenseits der Dunklen Lande und dem Felssäulengebirge, lag das mächtige Imperium von Leevland, dessen Reichtum und Glanz legendär waren.
Doch von Leevland, Manchin und den anderen Reichen der Menschen lebten die Mazaukorks weit entfernt. Sie selbst waren weder reich, noch glänzend, noch gefürchtet. Alles was sie darstellten, war nur noch ein Schatten, ein kläglicher Rest eines einst großen Volkes aus Kriegern und Eroberern, vor dem ganz Antariksa gezittert hatte. Aber die alten Zeiten, von denen die Stammesältesten und Geistesbegabten an den nächtlichen Lagerfeuern so gerne erzählten, waren schon lange vergangen. Nur die wenig hoffnungsvolle Gegenwart war geblieben.
Zugrakk sah seinen Freund etwas ratlos an und wusste nicht, was er in diesem Moment sagen sollte. Der junge Ork, der etwa die gleiche Größe wie Grimzhag, aber eine etwas hellere Haut und im Gegensatz zu dem Häuptlingssohn tiefrote Augen hatte, war selten sprachlos. In diesem Moment aber fehlten ihm die Worte.
»Ich mache mich jetzt auf den Weg zu den Wargu«, sagte Grimzhag und stieg auf das leise brummende Gnogg, welches er als Reittier benutzte. Ein Gnogg war eine bullige, muskelbepackte Kreatur mit einem breiten Maul voller Reißzähne, das einem großen, behaarten Schwein ähnlich sah. Die Orks der Steppen züchteten diese schwer zu zähmenden Wesen seit langer Zeit als Reittiere. Dieses Exemplar war jedoch recht friedlich, denn es hatte sein bisheriges Leben ausschließlich im Lager der Mazauk verbracht und hütete sich davor, jene zu beißen oder niederzutrampeln, die es fütterten.
»Sei vorsichtig! Bahdrok soll ein recht übellauniger Ork sein, der sich ungern Vorschriften machen lässt«, rief Zugrakk seinem Freund hinterher, doch dieser war damit beschäftigt, nicht von der haarigen Bestie, die immer schneller zu rennen begann, herunterzufallen.
Drei Stunden lang dauerte der Ritt zum Lager des Wargustammes, der den Mazauk zahlenmäßig deutlich überlegen war und mit dem es bereits in der Vergangenheit Konflikte gegeben hatte.
Als Grimzhag die vielen runden Zelte und grobschlächtigen Hütten am Horizont erblickte, drosselte er die Geschwindigkeit seines mittlerweile laut schnaufenden Reittieres und ließ das Gnogg schließlich außerhalb des Lagers anhalten. Ein paar Orks und Goblins schauten misstrauisch zu ihm herüber und kamen kurz darauf mit erhobenen Speeren auf ihn zu.
»Wer bist du? Was willst du?«, knurrte Grimzhag ein brutal wirkender Krieger entgegen und hielt ihm die rostige Spitze seines Spießes vor die Nase.
»Ich bin der Sohn von Morruk, dem Häuptling der Mazauk. Bringt mich ins Zelt des ehrwürdigen Bahdrok«, antwortete der junge Ork mit den grauen Augen und versuchte, ruhig zu bleiben.
»Was willst du von unserem Obersten?«, wollte die kräftige Grünhaut wissen und dachte nicht daran, seinen Speer zu senken. Einige weitere Orks und Goblins brummten erregt und kreisten Grimzhag ein.
Dieser hob beschwichtigend die Klaue und ein leises Pfeifen verriet, dass er immer nervöser wurde.
»Ich habe eine Nachricht von Morruk, meinen Vater. Lasst mich zu eurem Häuptling!«, forderte Grimzhag und pfiff noch lauter.
»Mitkommen!«, sagte einer der Orks und führte den ungebetenen Gast schweigend zu einem großen Zelt, das mit furchterregenden Symbolen, seltsamen Hieroglyphen und Tierblut verziert war.
Das war die Behausung von Bahdrok, dem Anführer des Wargustammes. Grimzhag schob einige Felle, die die Eingangstür darstellten, zur Seite und betrat das unheimlich wirkende Innere des Zeltes. Nur ein schwach glimmendes Feuer spendete ein wenig Licht und Grimzhag sah sich den finster dreinblickenden Fratzen älterer Krieger und Bahdroks kantigem Gesicht gegenüber.
»Oh, Besuch kommt!«, knurrte der Ork, richtete sich auf und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust. Seine Getreuen taten es ihm gleich und rötlich leuchtende Augen starrten Grimzhag durch das Halbdunkel an.
Es war eine mehr als unangenehme Situation und der junge Ork hoffte, dass alles friedlich verlaufen würde. Er versuchte sämtlichen Mut zusammenzunehmen, um Bahdrok halbwegs entschlossen gegenüberzutreten. Sein nicht zu überhörendes Schnaufen und Pfeifen verriet jedoch, dass er unter größter Anspannung stand. Der Häuptling des rivalisierenden Klans kam einen Schritt auf Grimzhag zu und grinste ihn hämisch an.
»Wer wagt es, mir auf die Nerven zu gehen?«, grunzte er.
»Ich bin der Sohn von Morruk von den Mazauk. Ich soll euch ausrichten, dass es mein Vater nicht duldet, dass eure Kämpfer weiter in unserem Gebiet wildern. Außerdem...ich...«, stammelte Grimzhag und rang nach Luft.
»Morruks Sohn? Wildern? Wovon redest du, Snagschnauze?«, schrie Bahdrok und einer seiner Orks legte plötzlich die Klaue auf Grimzhags Schulter.
»Ihr habt in unserem Gebiet gejagt und man hat euch gesehen. Das solltet ihr in Zukunft unterlassen, sonst wird mein Vater...«, sagte Grimzhag, doch wurde er unterbrochen.
»Sonst schickt sein Vater seine gewaltige Horde!«, beendete Bahdrok den Satz und lachte brüllend auf.
»Wir wollen keinen Krieg, aber dieses ständige Jagen in unserem Gebiet geht einfach zu weit«, meinte Grimzhag.
»Geht einfach zu weit!«, wiederholte Bahdrok und schielte zu seinen Kriegern herüber. »Das geht echt zu weit!«
Bevor Grimzhag noch etwas sagen konnte, sah er eine klobige, dunkelgrüne Faust auf sein Gesicht zufliegen. Die Wucht des Schlages schleuderte ihn geradezu aus dem Zelt heraus. Bahdrok setzte ihm nach und trat ihm noch einmal in die Rippen, so dass Grimzhag wie ein verprügelter Goblin über den staubigen Boden davon kroch, während ihn eine Gruppe älterer Orks auslachte und ihr Häuptling lauthals drohte und schimpfte.
Schließlich hatte es der junge Krieger verdammt eilig, wieder aus dem Lager der Wargu herauszukommen und rannte vor Schmerzen stöhnend und blutendem Maul zurück zu seinem Gnogg, um augenblicklich davon zu reiten. Dieser Verhandlungsversuch war gescheitert, dachte Grimzhag, und verschwand wieder in den Weiten der Steppe. Aber wenigstens hatte ihm Bahdrok kein Messer in die Kehle gerammt, was oft eine beliebte Form der Argumentation unter Grünhäuten darstellte. Das war immerhin etwas.
Grimzhag hatte noch einen älteren Bruder namens Margukk. Sein ältester Bruder, Morgrakk, war vor vier Sonnenzyklen bei einer Auseinandersetzung mit den Orks vom Stamm der Gubla erschlagen worden. Die Cramogg, die ihn auf die Welt gebracht hatte, kannte Grimzhag kaum. Er sah sie nur selten, denn die andersgeschlechtlichen Orks siedelten grundsätzlich getrennt von den Kriegern, wie es schon immer Brauch gewesen war. Zweimal im Jahr traf man sich zur Paarung, ansonsten blieb es bei sporadischen Kontakten. Meistens sah man nur eine kleine Anzahl ausgewählter Cramogg, die den Kriegern das zubereitete Essen herüberbrachten und dann sofort wieder verschwanden.
Bis zum siebten Lebensjahr blieben die männlichen Jungorks zunächst bei den Weibchen und wurden von diesen aufgezogen. Anschließend kamen sie zu ihren Geschlechtsgenossen, die sich dann um sie kümmerten und sie zu brauchbaren Jägern und Kriegern erzogen.
Bei den Goblins war es ähnlich, denn auch sie gehörten zur Art der Grünhäute. Wenn die Orks in größeren Siedlungen und Städten lebten, bezogen die Cramogg stets ihr eigenes, abgeschottetes Viertel, wo sie die meiste Zeit unter sich blieben. So war es seit Anbeginn der Zeit und kaum ein Ork hatte diese Regeln jemals in Frage gestellt.
Als Grimzhag seinem Vater von seinem kurzen Besuch bei den Wargu erzählte, bekamen sein älterer Bruder und der Stammesführer fast zeitgleich einen Wutanfall und brüllten Zeter und Mordio. Morruk war jetzt davon überzeugt, Bahdrok und seinem Stamm endlich eine Lektion erteilen zu müssen und die Wildereifrage nach alter Orktradition zu regeln – mit Gewalt!
Tagelang stampfte der riesenhafte Häuptling daraufhin durch das Lager und zählte die Krieger, die er unter seinem zerlumpten Banner gegen die Wargu führen konnte. Allzu viele waren es jedoch nicht, wie er schnell feststellte. Bahdrok hatte hingegen fast das Doppelte an Kämpfern zur Verfügung und Grimzhag stellte sich mehr als einmal die Frage, ob ein Krieg gegen den verfeindeten Stamm wirklich eine gute Idee war. Sein Vater hatte ihm allerdings bereits gratuliert, dass er endlich einmal etwas auf die Nase bekommen hatte.
»Prügel schaden nie und machen einen Ork hart!«, lautete ein altes Sprichwort und Morruk wusste sicherlich, wovon er sprach.
Es vergingen noch zwei Wochen, dann hatte der Häuptling der Mazauk etwa 200 Orkkrieger und weitere 100 Goblins um sich geschart. Demnach war es an der Zeit, Bahdrok und seine Horde herauszufordern. Morruk schickte einen Goblin zu seinem Rivalen und ließ diesen die Kriegserklärung überbringen. Einen Tag später kam ein Gnoggreiter der Wargu ins Lager der Mazauk und warf den erwartungsvollen Orks den abgeschlagenen Kopf des Boten vor die Stiefel.
Damit waren die Formalitäten geklärt; nun herrschte Krieg. Inzwischen verstand auch Grimzhag, warum es meistens Goblins überlassen wurde, anderen Orkstämmen derartige Botschaften zu überbringen.
So zog der Stamm der Mazauk unter Morruks Führung und lautem Getrommel in den Kampf gegen die Wargu. Die gegnerischen Horden hatten sich mitten in der Steppe verabredet, um ihre Streitigkeiten diesmal mit Speer, Schwert und Axt zu klären. Grimzhag und sein Freund Zugrakk erlebten den ersten richtigen Kampf ihres noch jungen Lebens.
Der dämlich grinsende Trommler neben Grimzhag ging ihm bereits seit einer Weile auf die Nerven, doch die bullige Grünhaut war offenbar so sehr mit Pilzbier, einem stimulierenden Gebräu, das gerne im Vorfeld gewalttätiger Auseinandersetzungen eingenommen wurde, vollgelaufen, dass sie wie ein Irrer auf ihrer Pauke herumhämmerte. Selbst Morruk warf dem Ork mit der Trommel inzwischen wütende Blicke zu, denn er versuchte, sich auf den bevorstehenden Kampf zu konzentrieren.
In einiger Entfernung hatte sich Bahdroks grölende Horde versammelt und die verfeindeten Orks schlugen ihrerseits die Schilde und Schwerter zusammen, um einen ohrenbetäubenden Lärm zu machen. Die Sonne brannte auf die Steppe herab, wo sich heute die Krieger zweier unbedeutender Orkstämme versammelt hatten, um sich für ein Stück Ödland samt der dazugehörigen Wildtiere die Schädel einzuschlagen.
Grimzhag versuchte es nicht zu zeigen, aber er zitterte vor Aufregung am ganzen Körper und sein nervöses Pfeifen wurde immer lauter und lauter. Bahdroks Horde war fast doppelt so groß wie die Kriegerbande, die Morruk zusammengetrommelt hatte. Sein Bruder Margukk, zu dem Grimzhag kein sehr gutes Verhältnis hatte, stand irgendwo am anderen Ende der brüllenden Menge aus Orks und Goblins. Zugrakk aber, sein bester Freund, war an seiner Seite, ununterbrochen pfeifend und schnaufend, genau wie er selbst.
»Ruhig bleiben, kleiner Brüller! Wir machen die heute fertig und klären die Angelegenheit, wie es vernünftige Orks tun«, knurrte Morruk, nachdem er zu seinem jüngsten Sohn herübergekommen war und ihm mit seiner Klaue ermutigend auf den Helm gehauen hatte. Dann verschwand er wieder, eine riesige Streitaxt hinter sich her schleifend.
»Snagabkömmlinge!«, schrien Bahdroks Krieger und kamen langsam näher.
»Steppenwürmer!«, brüllten die Mazaukorks aus voller Kehle zurück und schwangen ihre Äxte, Schwerter und Speere.
»Die anderen Völker sind sicherlich zufrieden, wenn wir uns ständig wegen Kleinigkeiten gegenseitig erschlagen«, brummte Grimzhag und sah zu Zugrakk herüber.
Dieser kratzte sich an seinem ausladenden Kinn und wunderte sich. »Wie kommst du denn auf einen so seltsamen Gedanken?«
»Der ging mir gerade durch den Kopf...«, antwortete Grimzhag und war selbst überrascht.
»Wie kannst du in einem solchen Moment an Menschlinge und so weiter denken?«, kam von Zugrakk.
»Ich weiß auch nicht. Manchmal denke ich einfach zu sehr«, erwiderte der Häuptlingssohn verlegen.
In nächsten Augenblick wurde Grimzhags Denkprozess jedoch jäh unterbrochen, denn Bahdrok stieß einen markigen Kriegsschrei aus und seine Horde stürmte wie eine losgelassene Gnoggherde nach vorne. Morruk reckte seine gewaltige Axt in die Höhe und gab ebenfalls den Befehl zum Angriff.
Ehe sich Grimzhag und Zugrakk versahen, befanden sie sich in einem unüberschaubaren Chaos. Brüllende Grünhäute prügelten mit allem, was ihre Fäuste schwingen konnten, aufeinander ein.
Im Augenwinkel erkannte Grimzhag seinen Vater, der seine riesenhafte Axt wirbeln ließ und einen gegnerischen Ork mit einem gezielten Hieb beinahe in zwei Hälften zerteilte. Mit einem letzten, schmerzerfüllten Quieken taumelte die tödlich verwundete Grünhaut vor Morruk ins Gras. Dieser holte bereits zum nächsten Schlag aus.
Sein jüngster Sohn hielt sich derweil lediglich schützend den Schild vor das Gesicht und wusste nicht so recht, was er mit dem Spieß in seiner anderen Klaue anfangen sollte. Doch es blieb Grimzhag auch diesmal keine Zeit, lange darüber nachzudenken, denn ein kreischender Goblin rannte auf ihn zu und versuchte ihm mit einem rostigen Krummsäbel seine ungeschützten Beine abzuschlagen. Ruckartig ließ Grimzhag seinen Speer nach vorne schnellen und durchbohrte die Brust des Goblins in der nächsten Sekunde. Die kleine Grünhaut brach gurgelnd zusammen und blieb im Staub liegen. Jetzt nahm Grimzhag allen Mut zusammen, um selbst anzugreifen. Das schäbige Kettenhemd, das der Schmied der Mazauk vor einiger Zeit im Auftrag Morruks für ihn angefertigt hatte, knirschte leise, als er vorstürmte und die Spitze seiner Waffe in den Rücken eines wesentlich größeren Orks bohrte. Dieser drehte sich verwirrt grunzend um und starrte Grimzhag zornig an. Dann jedoch wurde sein Blick ausdruckslos und er fiel gleich einem gefällten Baum zur Seite.
Grimzhag betrachtete die vom Blut gefärbte Klinge seiner Waffe. »Geht doch!«, brummte er überrascht.
Von hinten drängten sich die älteren Krieger des Stammes an ihm vorbei und stießen ihn unsanft zur Seite. Mit wütendem Gebrüll stürzten sie sich auf Bahdroks Kämpfer und schlugen mehrere von ihnen zu Boden. Doch nur wenig später hielten die Kämpfenden plötzlich inne und der laute Ruf eines Kriegshorns schallte über die Ebene. Die Schlacht war vorbei, denn Morruk hatte Bahdrok im Getümmel erschlagen. Mit lautem Gebrüll riss er seine Axt aus der aufgeschlitzten Brust seines Feindes. Damit war der Kampf, gemäß den alten Orktraditionen, schlagartig beendet.
Grimzhag atmete erleichtert auf und suchte nach seinem Freund Zugrakk. Derweil schimpften die Grünhäute des Wargu-Stammes wild durcheinander und sprangen sich gegenseitig an die Kehlen.
»Das kann doch nicht wahr sein!«, schrie ein alter Ork und schleuderte wütend sein Schwert auf seine Mitstreiter.
»Das passiert, wenn man den Häuptling nicht richtig deckt!«, beschwerte sich ein anderer.
Morruk brüllte noch immer und nahm seinem toten Gegner voller Genugtuung eine Kette aus Gnoggzähnen vom Hals, um sie als Trophäe an sich zu nehmen. Zugrakk kam jetzt ebenfalls herbei gehumpelt, leise quiekend und sich den blutenden Arm haltend.
»Verfluchter Snag!«, grollte er. »Der hat mich mit seinem Speer voll erwischt!«
»Sei froh, dass dein Kopf noch auf dem Rumpf sitzt«, antwortete Grimzhag beruhigt und entblößte freudig die Fangzähne.
Kurz darauf zogen die Krieger beider Stämme wieder ab. Die Mazauk jubelten und verhöhnten ihre Gegner, während diese frustriert und wetternd davongingen und Bahdroks Leibwächter beschuldigten, den Häuptling unzureichend geschützt zu haben.
»Ich habe es immer gesagt. Wer nicht auf den Obersten achtet, landet irgendwann im Dreck. Erst einen auf Leibwache machen und sich dann dämlich anstellen«, hörte Grimzhag einen verschrumpelten Altork meckern. Der Häuptlingssohn ging zu seinem Erzeuger herüber und Zugrakk folgte ihm; trotz des verletzten Armes mit lautem Siegesgeschrei. Sie waren noch am leben. Das war ein besonders großer Grund zur Freude.
Das Saufgelage nach der kurzen Schlacht gegen Bahdroks Stamm dauerte einen ganzen Tag und zog sich bis tief in die darauffolgende Nacht hin. Diesmal durften sogar ein paar Cramogg ins Kriegerlager herüberkommen, um die Verwundeten zu versorgen und vor allem Pilzbier auszuschenken. Das hatten sich die Helden verdient, meinte Morruk.
»Wir haben 36 Orks und 29 Goblins verloren. Damit kann man leben«, grunzte der Häuptling stolz und erhob sein Trinkhorn unter dem lauten Gejohle seiner Krieger.
»Da habe ich schon Schlimmeres erlebt«, lallte ein in die Jahre gekommener, stark angetrunkener Orkveteran, dem ein Auge fehlte. »Damals gegen die Ragzgul gab es richtig viele Tote. Da war das noch harmlos.«
»Und? Hast du auch einen erledigt?«, fragte Margukk seinen jüngeren Brüder und grinste hämisch.
»Ja, ich glaube schon. Einen Goblin und einen Ork«, gab Grimzhag zurück.
»Du glaubst es?« Der ältere Sohn des Häuptlings verdrehte seine ebenfalls hellgrauen Augen.
»Zwei habe ich getötet. Bin mir ganz sicher. Und du?«
»Ich habe Vater den Rücken gedeckt!«, sagte Margukk.
»Den Rücken gedeckt?«
»Ich habe aufgepasst, dass Vater nicht von hinten angegriffen wird«, gab Margukk barsch zurück.
»Das hört sich an, als hättest du dich hinter ihm versteckt«, höhnte Grimzhag sich einen wütenden Blick einfangend.
»Was willst du damit sagen, kleiner Brüller?«, fauchte der ältere Bruder.
»Lass mich einfach in Ruhe und hau ab!«, erhielt er als Antwort.
»Hast du mich einen Feigling genannt? Hä?«
»Hau ab!«
»Ob du mich einen Feigling genannt hast?«
»Ich sagte, dass du verschwinden sollst!«, knurrte Grimzhag und ballte die Faust.
»Heute wird gefeiert, ihr zwei streitsüchtigen Dummköpfe! Hört mit dem Unsinn auf. Ständig müsst ihr euch an die Gurgel gehen!«, meinte einäugige Orkveteran.
»Ich bin der Sohn des Häuptlings. Pass auf, wie du mit mir redest, alter Krieger!«, fuhr ihn Margukk an.
Der runzlige Ork lachte. »Ich kannte deinen Vater schon, da warst du noch nicht einmal ausgebrütet. Also komm mir nicht so.«
Fluchend zog Morruks ältester Sohn ab und ging schließlich zurück in sein Zelt.
Grimzhag brummte erheitert. Er klopfte dem alten Ork auf die Schulter.
»Dein Bruder ist ein kleiner Großkotz. Das muss ich einfach mal loswerden. Ständig will er der Größte sein.
Das nervt nicht nur mich«, meinte der Veteran.
»So ist er eben! Ich kam mit ihm auch noch nie klar«, gab Grimzhag zurück und unterstrich seine Aussage mit einem bekräftigenden Knurren.
»Das war dein erster Kampf, nicht wahr?«
»Ja!«
»Und du hast zwei Feinde erlegt – oder auch nur einen. Völlig egal. Jeder fängt mal als einfacher Ork an, oder?«
»So sieht es aus, Einauge.«
»Also lass dich von deinem blöden Bruder nicht nerven. Ich halte dich für den besseren Krieger«, sagte der alte Ork väterlich und überreichte Grimzhag einen Becher Pilzbier.
Der Schamane Soork aus der Blutlinie der Geistesbegabten lief neben Grimzhag her und hielt ihm wieder einmal einen Vortrag. Offenbar hatte er sich vorgenommen, den Sohn des Häuptlings auch zu einem Denker zu machen. Morruk gefiel das überhaupt nicht, denn die ständig im großen Stil denkenden Geistesbegabten, die fast immer die Schamanen der Orks stellten, waren dem riesenhaften Stammesführer seit jeher suspekt.
»Es wird ein sehr, sehr harter Winter werden, kleiner Brüller.« Soork hielt die Nase in den Wind und schnüffelte. Dann hob er den knochigen Zeigefinger und entblößte ein paar gelbliche Zähne.
»Sollen wir denn hier bleiben oder weiter nach Süden ziehen?«, fragte Grimzhag den Schamanen.
»Weiter nach Süden ziehen? Wo es etwas wärmer ist?« Soork brummte nachdenklich.
»Ja, das wäre doch sinnvoll. Hier werden wir nur frieren und hungern. So wie jeden Winter, den wir in der nördlichen Steppe hinter uns bringen«, meinte Grimzhag.
»Aber nach Süden können wir nicht ziehen. Das hier ist unser Gebiet«, sagte Soork.
»Die Steppe ist groß. Warum müssen wir denn im Winter hier bleiben?«, hakte der Häuptlingssohn nach und gab sich mit der kurzen Antwort des Schamanen nicht zufrieden.
Der Geistesbegabte murrte genervt. »Grimzhag, wir sind von feindlichen Stämmen umgeben. Noch weiter im Norden treiben sich reitende Menschlinge oder Goblinnomaden herum. Im Osten ziehen andere Grünhautstämme durch das Land. Die lassen uns Mazauk doch nicht einfach in ihr Gebiet. Sie werden genau so reagieren, wie dein Vater auf die Wargu, wenn wir bei ihnen wildern oder uns dort breit machen wollen.«
Grimzhags Gesicht wurde zu einer wütenden Fratze. Er schob den Unterkiefer nach vorne und bewegte für einen Augenblick die Fangzähne hin und her. Ein lautes Grollen, das aus den Tiefen seines Bauches heraufkletterte, unterstrich die schlechte Laune des Häuptlingssohns.
»Also wieder nur Frieren und Hungern? Dieses Stück Steppe ist etwas für Würmer, aber nicht für Orks! Die ganze verfluchte Steppe ist nichts als der Arsch von Antariksa!«, schimpfte Grimzhag.
»Du kennst Antariksa doch gar nicht, kleiner Brüller. Woher willst du dann wissen, wo ihr Arsch ist?«, lachte Soork.
»Das war auch nur so ein Bild aus Worten, Schamane. Verstehst du nicht, was ich meine?«
»Natürlich, kleiner Brüller!«
Grimzhag stampfte auf und war noch immer erregt. Sein lautes Pfeifen verriet es. Soork sah ihn verwundert an und wippte mit dem Oberkörper leise knurrend vor und zurück.
»Warum tun sich die Orks nicht zusammen und ziehen nach Süden. Warum hausen wir seit Jahrhunderten in Steppe und Ödland?«, zischte Grimzhag.
Soork verdrehte die Augen. »Die Orks sollen sich zusammentun? Das kannst du vergessen, kleiner Brüller. Sie bekämpfen sich gegenseitig – bis zum letzten Krieger. Und warum unsere Vorfahren hier in dieser Gegend gelandet sind, habe ich dir und deinem Bruder doch schon oft erzählt.«
»Ich weiß!«, knurrte der Häuptlingssohn und kratzte sich an der Schläfe. »Weil wir den großen Krieg verloren haben.«
»Ja, richtig! Du kennst meine Geschichten, Grimzhag. Und ich werde sie auch nicht ewig wiederholen, denn dein werter Erzeuger regt sich doch nur auf, wenn ich von den alten Zeiten spreche«, erklärte Soork.
»Hast du mir denn etwas noch nicht erzählt, Schamane?«
Der Ork mit der runzligen Haut aus der Blutlinie der Vieldenker sah sich um.
»Kennst du die alte Sage vom Ursprung der Welt eigentlich?«
Grimzhag verneinte die Frage mit einem Würgelaut und erschien interessiert.
»Nun, die solltest du vielleicht noch kennen, junger Krieger. Eine uralte Legende, die seit vielen tausend Sonnenzyklen von Ork zu Ork weitererzählt wird, berichtet, dass die Vorfahren aller Völker, die Antariksa heute bewohnen, einst vom Himmel herabgestiegen sind. Die Urväter der Orks, Menschlinge, Khuz und Elben kamen vor sehr, sehr langer Zeit von einem anderen Ort nach Antariksa, weil es die Götter ihnen befohlen hatten.
Die mysteriösen Creex aber waren schon vorher auf unserer Welt gewesen, wie die äonenalte Sage berichtet, und ob auch sie einst vom Himmel kamen, geht aus der Legende nicht hervor. Jedenfalls hatten die Götter von Anfang an den Orks die Vorherrschaft über die anderen Völker Antariksas gegeben, denn sie waren es, laut der Überlieferung aus grauer Vorzeit, die das fliegende Schiff gesteuert hatten, das einst vom Himmel kam, als die Welt noch jung war.
Die Menschlinge, Elben und Khuz, die mit ihnen herab vom Himmel stiegen, waren nämlich ihre Gefangenen gewesen – so wie es der Wille der Götter gewesen war.
Als das fliegende Schiff den Boden Antariksas schließlich erreicht hatte, zogen die verschiedenen Völker aus der Eiswüste im Norden weiter nach Süden und suchten sich einen Platz, wo sie siedeln konnten. Die Orks zogen nach Aurania und in die Dunklen Lande, die Elben auf die Insel Galathol und die Khuz in das Felssäulengebirge. Die Menschlinge teilten sich hingegen auf. Die eine Gruppe von ihnen, die sich als die „Goldenen“ bezeichnete, besiedelte ebenfalls einen Teil Auranias, während die andere Gruppe, die die „Steinernen“ genannt wurde, in die Wüsten und Dschungel von Suzlan auswanderte, wo sie auf die geheimnisvollen Creex trafen.
Auf diese Weise kamen die Völker, die heute Antariksa bewohnen, vom Himmel auf die Erde. Ganz so, wie es die Götter gewollt hatten. Aber das ist natürlich nur eine uralte Legende, die von jedem Volk auf verschiedene Weise interpretiert und ausgelegt wird. Im Grunde ist sie wahrscheinlich bloß Unsinn.«
Der Schamane lächelte und Grimzhag sah ihn nachdenklich an. Brummend kratzte er sich an der Stirn und fragte: »Dann haben wir Orks einst Antariksa beherrscht?«
»Laut der alten Legende ja. Aber was daran wahr ist, weiß heute niemand mehr«, antwortete Soork.
Schließlich kam der Winter über die Steppe und hüllte die endlosen Weiten in Schnee und Eis. In diesem Sonnenzyklus war die kalte Zeit besonders schlimm und es war so frostig wie seit langem nicht mehr. Ein weißes Laken bedeckte bald das ganze Land und die wilden Tiere verkrochen sich in ihren Höhlen und Verstecken, um dem eisigen Winter zu entgehen.
Die Mazaukorks aber mussten Hunger leiden und merkten schnell, dass sie nicht ausreichend Vorräte in den wärmeren Monaten gesammelt hatten, um alle Mitglieder des Stammes versorgen zu können. So starben zuerst viele der Goblins, die den größeren Orks untergeordnet waren und immer als Letzte etwas zu essen bekamen. Dann folgten die alten und gebrechlichen Orks und einige der Cramogg. Es war eine furchtbare Zeit des Leids und obwohl der Schamane des Stammes die Götter um Hilfe anflehte und sie bat, den schrecklichen Winter endlich zu beenden, wüteten die Schneestürme weiter und die Steppe blieb in den Klauen der Kälte gefangen. Am Ende fraßen die Orks sogar einige der Goblins, um selbst bis zur Zeit des Tauwetters zu überleben.
Als der Schnee nach einigen Monaten wieder zurückging, hinterließ er ein trauriges Bild. Die Krieger des Mazaukstammes waren ausgehungert und schwach, während sich die wilden Tiere, ihre einzige Nahrungsquelle in der kargen Einöde, noch immer in ihren Höhlen verkrochen und sich nicht herauswagten.
Da hatte Grimzhags Bruder Margukk eine Idee. Er überredete die noch lebenden Krieger des Stammes unter seiner Führung nach Süden zu reiten, wo die langen Karawanenstraßen vom Reich Manchin nach Westen durch die Steppe führten. Dort wollten sie ein paar der reisenden Händler überfallen, um an Nahrung, Kleidung und andere wichtige Dinge zu kommen. Da die Karawanenstraßen im Süden bereits wieder vom Schnee befreit waren, konnten die Orks davon ausgehen, dass sie dort irgendwo auf einen Handelszug treffen würden.
Häuptling Morruk hatte nichts gegen den verwegenen Plan seines ältesten Sohnes, denn er wusste, dass sie nichts mehr zu verlieren hatten. So zögerte Margukk nicht lange und führte einige Dutzend Orkkrieger und einen Haufen Goblins zu der großen Karawanenstraße, um dort einen Überfall durchzuführen. Grimzhag und sein Freund Zugrakk wussten hingegen nicht so recht, was sie von Margukks Idee halten sollten, doch letztendlich wurden auch sie von ihren knurrenden Mägen dazu verleitet, dem ältesten Häuptlingssohn zu folgen.
»Wir schlagen blitzschnell zu und hauen dann sofort wieder ab. So schwer kann das doch nicht sein, oder?«, knurrte Margukk in Grimzhags Richtung.
Dieser klammerte sich an sein laut schnaufendes Gnogg, das so schnell es konnte durch die Steppe raste.
»Wenn du das sagst!«, rief Grimzhag zurück.
»Benimm dich gefälligst wie ein Ork, Snagschnauze! Was haben wir denn noch zu verlieren? Der ganze Stamm hungert sich die Seele aus dem Leib und diese Menschlinge haben immer genug zu fressen«, meinte Margukk.
»Und was ist mit den Soldaten von Manchin? Die Menschlinge werden ihre Karawanen doch nicht unbewacht reisen lassen«, mischte sich Zugrakk ein und fing sich daraufhin das wütende Brummen Margukks ein.
»Du machst einfach, was ich dir befehle, Krieger. Die Manchinen werden nicht jeder Karawane eine halbe Armee hinterherschicken. Also halt dein Maul und reite weiter!«, schnaubte der ältere Häuptlingssohn.
Sein Bruder verkniff sich die nächste Bemerkung und trieb sein Reittier zu noch größerer Eile an. Die Kriegerbande hatte noch einen weiten Weg vor sich und wenn es sich Grimzhag recht überlegte, hatten die Mazauk wirklich nichts mehr zu verlieren. Eigentlich war es sogar gut, dass endlich jemand die Initiative ergriffen hatte. In diesem Fall war es zwar sein großmäuliger Bruder Margukk gewesen, aber alles war besser als der ewig nagende Hunger.
»Und du hast auch wirklich alles gut geplant, ja?«, vergewisserte sich Grimzhag schließlich doch noch einmal. Er ritt noch ein wenig näher an Margukk heran.
»Geh mir nicht mit deinen dummen Fragen auf die Nerven! Was gibt es da schon groß zu planen? Hä? Wir schnappen uns die erstbeste Karawane und holen uns unsere Beute. So einfach ist das!«, grollte der Anführer der Bande und hob die Klaue.
»Besser gut geplant, als nachher tot«, murmelte Grimzhag leise, doch seine Stimme wurde vom tiefen Stöhnen seines überanstrengten Gnoggs übertönt.
»Was ist, Snagschnauze?«, röhrte Margukk.
»Schon gut! Ich habe nur laut gedacht! Wir schaffen das schon, Bruder!«, antwortete der kleine Brüller und machte eine beschwichtigende Geste.
»Ja, sicher! Ich habe die Lage voll im Griff und außerdem will ich jetzt kein Gejammer mehr hören. Schau dir die Snags an. Selbst die machen sich keine Sorgen und freuen sich schon auf das fette Fleisch, das wir uns greifen werden.« Margukk deutete auf die hinter ihm reitenden Goblinschützen.
Die kleineren Grünhäute grinsten erwartungsvoll und machten tatsächlich den Eindruck, als ob sie Margukks Plan völlig vertrauten. Grimzhag und Zugrakk betrachteten sie einen kurzen Moment und schwiegen. Dann blickten sie wieder nach vorn, wo sich die weite Steppe in alle Himmelsrichtungen ausdehnte.
Mehrere Sonnen später hockten Margukk und seine Krieger hinter einigen Felsen in der Nähe der großen Handelsstraße, die nach Westen führte, und warteten auf eine vorbeiziehende Karawane.
»Sind wir überhaupt genug?«, flüsterte Zugrakk und musterte sein Schwert mit der breiten, gezackten Klinge. »Was ist, wenn die Menschlinge viele Soldaten mit sich führen?«
»Wir greifen die erste Karawane an. Egal, wie viele Soldaten dabei sind!«, zischte ihn Margukk wütend an und hielt sich seinen laut rumorenden Magen.
»Mein Bruder hat ausnahmsweise einmal Recht. Ich bin das Hungern leid und wenn wir nicht bald etwas zu beißen bekommen, dann sind wir am Ende«, meinte Grimzhag. Sein älterer Bruder bleckte die Zähne und lugte über den Rand eines Felsbrockens.
Hier im Süden, viele Tagesritte vom Lager der Mazaukorks entfernt, war es schon etwas wärmer und angenehmer. Der Plan war, dass jeder Krieger sein Gnogg mit so viel Beute wie möglich beladen sollte, um anschließend wieder nach Norden zu verschwinden. Für den Fall, dass noch mehr zu transportieren war, führte die Gruppe ein paar zusätzliche Reittiere mit sich.
Plötzlich begannen die Goblins aufgeregt zu tuscheln. Margukk ermahnte sie, den Mund zu halten, doch die Snags deuteten nach Südosten, wo sich die Umrisse einer Karawane am Horizont abzeichneten.
»Da sind welche!«, brummte Zugrakk und pfiff leise vor innerer Anspannung.
»Sollen wir jetzt einfach aus unserem Versteck springen und auf die Menschlinge zurennen?«, fragte Grimzhag seinen älteren Bruder.
»Ja, natürlich! Was denn sonst, Dummkopf?«, fauchte Margukk ohne jedes Verständnis für die dumme Frage und verpasste Grimzhag einen Schubs.
»Kannst du irgendwo Soldaten ausmachen?«, wisperte Zugrakk nervös.
»Nur drei Reiter mit schweren Rüstungen und langen Lanzen. Sonst sehe ich keine!«, gab der Häuptlingssohn zurück.
Die Karawane näherte sich langsam und die Goblins zogen ihre Pfeile aus den Köchern. Die Kriegertruppe wartete noch eine Weile, während die Wagen der Menschen, die hoffentlich mit reicher Beute und Nahrungsmitteln vollgepackt waren, ahnungslos durch die staubige Steppe rollten.
Grimzhag schloss die Augen und bat die Höheren um Beistand für den bevorstehenden Überfall. Im Grunde war der Plan, einen Händlerzug der Menschen auszurauben, eher dumm als verwegen, dachte der junge Ork. Außerdem war die Taktik »losrennen und angreifen« zwar sehr traditionell und orkisch, aber zugleich auch nicht gerade ausgefeilt.
Bald war die Karawane, die aus einem Dutzend Planwagen bestand, in Reichweite der Goblinbögen gekommen. Margukk knurrte angriffslustig.