Das Buch der gespiegelten Zeit - Dagmar Dornbierer - E-Book

Das Buch der gespiegelten Zeit E-Book

Dagmar Dornbierer

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Beschreibung

Unterhaltsames Schmökern und inspirierende Lektüre. Für den gemütlichen Leseabend, die sonnige Ferienwoche oder den verregneten Sonntagnachmittag. Dieses Buch ist eine Sammlung an Erzählungen, die aus gedanklichen Spiegelungen, vorbeifliegenden Eindrücken und Inspirationen und der Arbeit am Theater entstanden sind. Die Geschichten führen durch Zeiten und Fantasiewelten. Die Geschichten werden begleitet von vielen Anregungen zum Musik hören, Bilder betrachten, genießen. Eine entspannende Lektüre für angenehme Stunden. Spiegelflächen projizieren Bilder, die oft überraschend und unerwartet neue Ausblicke öffnen. Spiegelflächen blicken manchmal zurück in der Zeit, manchmal voraus. Spiegelflächen helfen dem Betrachter, einen Schritt zurück zu treten und zu schauen – und oft genügt dieser Augenblick der Betrachtung, um die Schönheit in der Gegenwart zu sehen.

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VON DER AUTORIN SIND AUSSERDEM ERSCHIENEN:

Jan Hus – Der Wahrheit Willen

(2015) ISBN-9783734754517

Frauen mittendrin Teil I. – Eliane und ihre GeschiCHten

Gegenwartsliteratur, Vergnügliches aus der Schweiz

(2016) ISBN- 9783837044799

Impressionen

Poesie aus vier Jahrzehnten und in drei Sprachen

(2016) ISBN-9783837045017

IN VORBEREITUNG: (2016-2018)

Frauen mittendrin Teil II. – Marcelas stille Integration

Gegenwartsliteratur, Vergnügliches aus der Schweiz

ISBN-9783837045215

Maria Mancini Fürstin Colonna

Eine Romanbiographie aus dem 17. Jahrhundert

Capitor, Malerin des Bastarden

Historischer Roman aus dem 17. Jahrhundert

Die Handschrift

Historischer Roman aus dem 15. Jahrhundert

Die Autorin

Dagmar Dornbierer ist in verschiedenen Sparten, Kulturen und Sprachen zu Hause. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie auch schon jahrelang als selbständige Antiquitätenhändlerin, Übersetzerin und Dolmetscherin. Sprachen sind ihre Instrumente und Werkzeuge – fünf davon beherrscht sie fliessend und in vier weiteren findet sie sich gut zurecht. Seit ihrer Jugend studiert und recherchiert sie historische Themen. Ihre umfangreichen Kenntnisse über europäische Kultur- und Alltagsgeschichte legten zehn Jahre lang ein solides Fundament zu Theaterproduktionen mit dem Tanz-&-Musiktheater von Bernhard Gertsch, wo sie ihre Vielseitigkeit als Theaterautorin, Tänzerin und Schauspielerin beweisen konnte. Vor allem die Epochen der Renaissance und des Barock bieten eine unerschöpfliche und detailreiche Fülle an lebendigem und biographischem Material für ihre Erzählungen.

Theaterautorin:

2015 –„Jan Hus – der Wahrheit Willen“

Schauspiel zum Todesjahr des tschechischen Reformators

Theaterproduktionen

(Skript, Schauspiel, Tanz, Kostüme, Ausstattung – D. Dornbierer)

2004 & 05 – „Dichterin und Edelmann“ (Schauspielskizze aus der Renaissance)

2005 – „Zwischen Renaissance und Barock“ – (Tanzendes Europa um 1600)

2005 – „Jan Palach“ – (Tschechische Performance mit Text, Bild und Ton)

2005 – „Salongespräche in Mozarts Prag“ (Musiktheater, Gesang und Tanz)

2006 – „Himmlisches und Irdisches“ (Schauspiel mit Renaissancetänzen)

2007 – „Sofonisba Anguissola erzählt“ (Szenen aus dem Leben der Malerin)

2008 – „Un ballo a Venezia“ (Skript: „Tafelfreuden der Renaissance“)

2009 – „Ein Abend mit tschechischer Poesie“ (Für Deutschsprachige)

2012 – „Tanz durch die Zeiten“ (Szenische Darstellung mit Tänzen aus fünf Jahrhunderten / 14. – 19. Jahrh.)

Mitwirkung:

(Schauspiel, Tanz, Ausstattung – D. Dornbierer)

2008 – „Idyll und Wirklichkeit“

(Szenische Darstellung des Rokoko von B. Gertsch)

2013 – „Das Leben der Cristine de Pizan

(Texte, Musik & Tanz des 14. Jahrhunderts)

2012 & 13 – „Ein Totentanz“

(Szenische Darstellung mit Musik und Tanz v. B. Gertsch)

2014 – „Museumsnacht Schaffhausen“

(Tänze des späten Mittelalters mit Texten aus Sebastian Brants „Narrenschiff“, Regie: B. Gertsch)

„Kunst ist der Versuch der Menschheit, den Geist der Inspiration in greifbare Werke zu bannen.“ (D.D)

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Gespiegelte Zeit

- Laura von den Spiegeln (2005)

- Blendwerk (2005)

- Der Geist der Zeit (2002)

- Zeitreisen (2009)

Zeit für Sinnlichkeit

- Wie viele Farben hat der Sand? (2005)

- Artemis im Reich des Hades (2008)

- Das Cello – Almas Traum (2011)

- La bella Amarilli und vergangene Tafelfreuden (2008)

Keltische Zeit

- Isolde von Irland erzählt (2001)

- Ein Lied lebt länger als die Stimme der Vögel (2001)

- Das Land von Lyoness (2001)

- Das Fragment von Lanzelot und Guinever (2009)

Goldene Zeiten

- Passacaglia (2012)

- Diego und Adriana (2009)

- Sofonisba, Malerin des Königs (2007)

- Auf dem Fundament der Wirklichkeit (2009)

- Bittersüsses Gift (2009)

Zeit für ein Märchen

- Der Winterriese (2013)

Zeit für Bertrachtungen

- Betrachtung und Wahrnehmung (2014)

- Bewusst leben (2007)

- Hommage an Božena Němcová (2002)

Zeit der nicht ganz ernst zu nehmenden Betrachtungen

- Clio, die Muse (2004)

- Sonntags zu Hause (2003)

- Der Meister der Kampfkunst (1996)

- Was ist Glück? (2016)

Anhang

In Anhang zu diesem Buch warten weitere Inspirationen in Form von Quellen, von Musikempfehlungen, Literatur- und Bildverzeichnissen und einigen, eher technischen Erklärungen zu Lebensdaten historischer Personen, zu Orten, Begebenheiten, und anderem mehr.

Vorwort

Ich bin eine Sammlerin. Ich sammle Ideen, Anregungen, Gedankensplitter und Wortfragmente. Wie eine gute Hausfrau verwerte ich, was sich gerade anbietet, was saisongerecht ist, und was andere vielleicht zurück weisen - das sich jedoch in meinen literarischen Speisefolgen hervorragend verwerten lässt. Wie aromatische Wildkräuter, die in der Natur oft unbemerkt bleiben, sammle ich Eindrücke, Klänge, Stimmungen, Beobachtungen und auch neu Gelerntes. Damit würze ich meine geistigen Gerichte, in der Hoffnung, dass sie denjenigen, die sie vorgesetzt erhalten zur sättigenden Nahrung gereichen. Wobei der Wunsch mitschwingt, dass alle, die ein Häppchen probiert haben, einen Nachschlag verlangen mögen…

So sammelte ich im Laufe der Zeit viele Inspirationen, aus denen unter anderem auch die vorliegenden, Erzählungen, philosophischen Skizzen und Essays, und anderes mehr entstanden. Vieles ergab sich auch aus meiner Tätigkeit für Tanztheaterprojekte, an denen ich während zehn Jahren, mit dem Tänzer, Schauspieler, Choreographen und Regisseurs Bernhard Gertsch zusammen gearbeitet hatte. Es war eine intensive Zeit. Ich schrieb Texte und ganze Theaterstücke, ich tanzte, ich stellte Rollen dar. Ich entwarf Drucksachen vom Programmheft bis zur Eintrittskarte, kümmerte mich um Kostüme, Requisiten und Ausstattung. Ich transportierte Menschen und Material in meinem Kleinwagen, richtete Bühnen und Garderoben ein. Ich lernte viele interessante Menschen kennen, ich lernte mich selbst neu kennen, und ich lernte vieles über die oft sehr anstrengende Arbeit, die es braucht, um eine erfolgreiche Aufführung „über die Bühne“ zu bringen. „Die ganze Welt ist eine Bühne und wir alle stellen unsere Rollen dar…“ sagte einer, der es wissen musste, ein Mann, der sich Shakespeare nannte. Er war schliesslich aufs Innigste mit der Zusammenarbeit vertraut, die ein solches „Zusammenspiel“ benötigt, um zu einem Gesamtkunstwerk aus Wort, Bild, Klang und Bewegung zu werden.

Das vorliegende Buch ist ein Spiegel all jener Jahre aber auch derer, die ihnen vorausgingen. Der Titel: „Das Buch der gespiegelten Zeit“ reflektiert all jene Inspirationen, die Ideen hervorgebracht hatten, welche wiederum zu Inspiration anregten.

Spiegelflächen projizieren Bilder, die oft überraschend und unerwartet, neue Ausblicke öffnen. Spiegelflächen blicken manchmal zurück in der Zeit, manchmal voraus. Spiegelflächen helfen dem Betrachter einen Schritt zurück zu treten und zu schauen – und oft genügt dieser Augenblick der Betrachtung, um die Schönheit in der Gegenwart zu sehen.

Sollten die Erzählungen in diesem Band die Leser zum Nachdenken oder nochmaligem, langsamerem Durchlesen anregen; sollten sie Überlegungen und Schlüsse ermöglichen oder einfach nur den Genuss von Lektüre, Musik und Ambiente erlauben – als einer vielschichtigen Verbindung des Geistes, der Gefühle und des Körpers zugleich – so wäre mein Wunsch erfüllt, mein Publikum an diesem Vergnügen teilnehmen zu lassen.

Gespiegelte Zeit

Laura von den Spiegeln

Inspiration:

Das Lied „Laura degli specchi“von Eugenio Fianardi, gesungen von Alice; Gläserne Märchenwelten; Spiegelbilder, gläserne Musikinstrumente.

In einem Haus aus Glas lebt Laura

inmitten Spiegelschein.

Ihr Spiegelbild betrachtet Laura,

vervielfacht in glänzend gläsernen Reih’n.

Laura singt, Laura spricht.

Tausendfach zerstiebt das Licht,

kein Schatten stört und kein Gedanke…

...doch um die Liebe weiss Laura nicht…

Danach:

Musik für Glasharfe oder Glasharmonika von W. A. Mozart

und frisches Quellwasser aus geschliffenem Kristallpokal

In Lauras Haus gab es viele Spiegel. Spiegel hingen an den Wänden der Räume, zierten Gänge, und Treppen und glitzerten sogar im Halbdunkel des Kellers und Dachbodens. Laura liebte ihre Spiegel. Sie erzählten ihr Geschichten, liessen sie in fremde Welten blicken, zeigten ihr das Leben der Menschen in der Stadt. Besonders gerne warfen die Spiegel Lauras eigenes Bild zurück, wenn sie an ihnen vorbei ging. Die Spiegel logen nie. Sie zeigten Laura das wahre Abbild all dessen, was sie zu sehen wünschte.

Spiegel aller Grössen funkelten im Licht kristallener Lüster. Ihre Rahmen glühten golden, schimmerten im geheimnisvollen Glanz edler Hölzer oder prunkten mit Zierrat aus kostbaren Edelsteinen. Ihre gläsernen Flächen waren geschliffen, poliert und blank geputzt. Die Gläser der ältesten Spiegel waren gebogen, so als hätte man sie aufgebläht und zeigten eigenartig gekrümmte Bilder.

In Lauras Haus waren die Wände aus Glas, die Fussböden aus blendend glänzendem Marmor und durch die Decken flimmerte des Nachts das Licht der Sterne. Wenn Laura Gäste einlud, so stellte sie schneeweisse Lilien in kristallene Vasen – und wenn die Gäste eingetroffen waren, so tranken sie aus reich geschliffenen Pokalen und assen von gläsernen Tellern. Es funkelte dann allerorten, blitzte, flirrte und schillerte.

Die Menschen der Stadt kamen gerne zu Laura. Für eine Weile vergassen sie ihre Häuser aus Stein, Kalk, Putz und Lehm und wähnten sich in einem Traum. Die Menschen der Stadt sahen Laura durch die Räume gehen. Sie sahen ihre Gewänder aus silberdurchwirkten und himmelblauen Schleiern, sie sahen die Schmuckstücke aus funkelnden Adamantsteinen, die an Lauras Hals und Handgelenken um die Wette blinkten. Sie sahen die kristallene Pracht, welche von den Spiegeln hundertfach zurück gestrahlt wurde und seufzten vor Bewunderung. Als sie nach Hause gingen, bedankten sie sich, doch niemand stellte jemals Fragen. Niemand fragte, niemand wunderte sich, niemand bot Hilfe an, niemand verstand wirklich. Die Menschen der Stadt hielten Laura für die glücklichste Frau der Welt, weil sie so anders war als sie selbst. Laura lebe in einem Traum, sagten sie, Laura sei glücklich, da sie keine Sorgen kenne, meinten sie, Laura würde durch ihre Spiegel ins Zauberreich der Feen blicken, glaubten sie, Laura sei selbst eine Fee, dachten sie.

Laura hatte die Menschen der Stadt gern. Sie lud gerne ein zu ihren gläsernen Festen, doch wenn spät in der Nacht die letzten Gäste das Haus verliess, trauerte sie keinem von ihnen nach. Wenn das Haus wieder still und durchscheinend geworden war, holte Laura ihre Glasharfe hervor und begann zu spielen. Dann schwebten durch die Nacht Melodien von lauterer Schönheit. Reinste Töne schwangen sich zu den leise zitternden und klirrenden Glastropfen der Lüster empor und wanden sich wie Bänder aus durchsichtig verflochtenen Klängen um die silbernen Flächen der Spiegel. Die Laute perlten von den Wänden wie Tautropfen, strichen über die Blütenkelche der Lilien und rannen über den kühlen Marmor des Fussbodens, um als Nebelschwaden aufzusteigen.

Es waren die Spiegel, welche die spinnwebfeinen Nebelschleier in sich aufnahmen, ihre silbrig gläsernen Flächen davon beschlagen liessen. Die Spiegel begannen zu leben, ihre Flächen erzitterten unter der sanften Berührung der Klänge und wandelten sich zu gekräuselten Wasserflächen, über die leiser Abendwind wehte.

Wenn die Spiegel zu leben begannen, wenn der Klang der Glasharfe das Haus zum Seufzen brachte, begann Laura zu singen. Sie sang jedes Mal dasselbe Lied. Ihr eigenes Lied. Sie sang es für sich selbst, für die Menschen der Stadt, für ihr Haus, für ihre Spiegel. Wer ihrem Gesang lauschte, blieb vor Verzauberung stehen. Wer ihrem Gesang lauschte, konnte nicht sehen, dass die Spiegel die Töne hundertfach zurück strahlten wie Lauras Spiegelbild. Wer Lauras Gesang lauschte konnte nicht sehen, dass sie glücklich war. Glücklich mit ihren Spiegeln, ihrem kristallenen Haus, ihrer gläsernen Welt. Kein Gedanke störte die Töne, kein Gefühl bedrängte den Klang, kein ausgesprochenes Wort hemmte den Laut.

Eines Nachts jedoch, wagte sich Laura hinaus in den Garten, wo ein alter Brunnen stand. Das Wasserspiel war längst versiegt, da es niemand pflegte. Gräser und Unkraut wucherten um den Fuss der Brunnenschale, und auf dem Figurenschmuck hatten sich Moose festgesetzt. Laura blieb stehen. Sie hörte das Aufseufzen ihrer geliebten Spiegel nicht, sie hörte nicht, wie sie ihr leise Warnungen zuflüsterten. Sie hatte nur Augen für den Brunnen. Hatte sie jemals das Haus verlassen? Hatte ihr Fuss jemals das wachsende Gras berührt? Hatten ihre Finger jemals über den spröden Stein der Brunnenschale gestrichen? Laura wusste es nicht. Wenn sie einatmete, nahm sie keinen Lilienduft mehr wahr, sondern Dünste, die der Erde selbst entströmten, Gerüche, die aus den Kronen der Bäume zu ihr nieder fielen und Düfte, die aus vielen kleinen Blumenkelchen zu ihr aufstiegen.

Zum ersten Mal in ihrem Leben schenkte Laura ihren geliebten Spiegeln keine Beachtung. Neugierig und aufgeregt sog sie die unbekannten, balsamischen Düfte ein, die von allen Seiten zu ihr drängten. Ihre Hände strichen voll Verzückung über Steine, Moose, abgefallene Rindenstücke und frisches Gras. Der Atem der Erde hüllte sie ein, sie gab sich den neuen Empfindungen hin und ihr gläsernes Haus verblasste allmählich in ihrer Erinnerung.

Laura begann leise zu singen, doch ihr Lied war nicht mehr von den kristallenen Klangbändern der Glasharfe eingeschnürt. Es bebte, taumelte, schwankte zwischen Empfindungen, die sie niemals gefühlt hatte, deren Anwesenheit sie nie gewahr wurde. Durch den Zauber ihrer Stimme begann sich das Brunnenbecken auf einmal mit Wasser zu füllen. Klares Wasser floss in schwellendem Strahl aus den so lange Zeit trockenen Rohren, es spritze auf die steinerne Einfassung, wurde zurück geschlagen, tanzte in sich kräuselnden Wellen auf der Oberfläche, bis das das Brunnenspiel wieder zu neuem Leben erwachte. Lebendiges Kristall, sprühende, stiebende, prasselnde Wassertropfen, die in den Farben des Regenbogens glitzerten. Durch den Fall des Wasserschleiers hindurch sah Laura, wie die Brunnenfiguren anfingen sich zu bewegen, wie sie ihre Farbe veränderten, wie sie sich streckten, schüttelten und sich dem funkelnden Nass entgegenreckten, nur um blitzschnell wieder zurück zu springen.

Eine neue Stimme mischte sich in Lauras Lied. Eine Stimme, so fremd, schwang sich in den nächtlichen Himmel, so dass Laura nach und nach verstummte, und nur noch diesem reinen, so eigenartigen Klang zuhören wollte. Laura wusste nicht, dass sie dem Gesang einer Nachtigall lauschte. Sie wusste nicht, dass die lebendig gewordenen Brunnenfiguren Tiere waren. Laura hatte noch nie Tiere gesehen. Die fremdartigen Geschöpfe standen vor ihr ohne Furcht und sahen sie mit unergründlichem Blick an. Sie sah sich umringt von kleinen, ungleichen, pelzigen Wesen, mit spitzen Ohren, schwarzen Stupsnasen, weichen Pfoten und buschigen Schweifen. Die haarigen Fellkleider waren verschiedenartig gefärbt. Von braunrot, über schwarz bis zu streifenartigen Mustern reichten die Farbtöne.

Vor Laura stand ein Hirsch, in dessen jungem Geweih die Nachtigall ihr Lied sang. Der Hirsch hatte dunkle, tief glänzende, sanfte Augen, in denen sich Lauras Abbild spiegelte. Laura erschrak. Sie sah sich selbst, doch es war nicht die Laura von den Spiegeln, nicht die Laura mit den Schleiergewändern, nicht die Laura mit der kristallenen Glasharfe und den funkelnden Adamantsteinen an Hals und Handgelenken. Was sie sah, war ein Mädchen mit roten Wangen, kräftigen Händen und blossen Füssen. Keine himmelblauen, silberdurchwirkten Schleier, sondern grobes, grünes und weisses Leinen hüllte ihren Körper ein, bauschte sich über Hüften, fiel bis zu den Knöcheln, war um die Taille straff gezogen, umfloss die Arme und kräuselte sich um Schultern und Hals.

Laura strich mit der Hand über den samtigen Hals des Hirsches, fühlte die weichen Nüstern in ihrer Handfläche und blickte lange in die waldteichtiefen Augen. Der Hirsch senkte sein Knie und Laura verstand. Auf dem Rücken des Hirsches ritt sie ihrem gläsernen Haus mit den Spiegeln entgegen. Die Spiegel waren verstummt. Lautlos starrten ihre silbern glänzenden Kristallflächen von den Wänden. Das Haus war ganz still, die Glasharfe lag zerbrochen neben einem welkenden Lilienstrauss.

Dreimal hob der Hirsch seinen goldenen Huf und berührte die kristallene Wand des Hauses, das Laura so lange Zuflucht und doch Gefängnis gewesen war……..

Niemand hatte Laura auf dem Rücken eines Hirsches mit goldenen Hufen in den Wald reiten sehen. Niemand hatte all die kleinen Tiere gesehen, die sie begleiteten. Niemand hatte die Nachtigall singen gehört.

Am darauf folgenden Morgen wunderten sich die Menschen der Stadt jedoch sehr, dass an der Stelle von Lauras gläsernem Kristallschloss ein ganz gewöhnliches Haus aus Stein, Kalk, Putz und Lehm stand. Ein ganz gewöhnliches Haus, wie alle in jener Stadt. Die Wände bröckelten sogar ein wenig, die Eingangstür hing etwas schief in den Angeln, die Fenster waren ein wenig trüb. Doch drinnen – und da wunderten sich die Menschen der Stadt noch mehr – hingen Spiegel an jeder Wand. Spiegel hingen in den Räumen, zierten Gänge, und Treppen und glitzerten sogar im Halbdunkel des Kellers und Dachbodens.

Blendwerk

Inspiration:

Musik der späten Renaissance.

Betrachten der Bilder meines kurz zuvor aufgeführten Theaterstückes

„Dichterin und Edelmann“

und das schöne Gefühl einer geglückten Uraufführung.

Dazu:

Zu geniessen des Nachts, zur Musik von J.H. Kapsberger/1640

„Passacaglia in re & Passacaglia in sol“

in der Aufnahme mit Rolf Lislevand, Theorbe

Ein geschliffener Kristallkelch voll bernsteinfarbenen, edlen Tokajer-Weins.

Der Raum erfüllt mit Düften von Sandelholz, Zimt, Rosen...

Nur ganz kurz hatte der Dichter das Aufleuchten der Spiegelung gesehen. Einen Augenblick und doch eine kleine Ewigkeit lang. So lange, wie zwei Schmetterlingsflügel brauchen, um sich zu entfalten. So lange, wie eine Träne die Wange herunter rinnt. So lange, wie ein scheues Lächeln zweier sich unverhofft Begegnenden aufleuchtet. Dieser Tag öffnete die Schleusen der Seele, und die Werke des Dichters verströmten fortan den Schmelz wahrhaft tief und innig empfundener Eingebung.

Der Dichter hatte gesehen, und das Gesehene brannte sich in sein Herz. Reflexion, Spiegelung, Schemen. Bilder hinter regennassen Fensterscheiben. Undeutlich und doch schmerzhaft klar. Verschwommen und doch brennend rein. Nebelhaft und doch fest umrissen.

Fasziniert blickte der Dichter in den Festsaal einer längst vergessenen Zeit, einer längst vergessenen Welt. Dort erhellte der Glanz von leise bebenden Kerzenflammen den Raum, füllte ihn mit goldenem Licht und liess den Schein allmählich über die kostbare Täfelung gleiten. Wie durchscheinend zartes Alabaster schimmerten Wachskerzen in goldenen Haltern. Goldenes Licht überall. Goldene Spiegelungen wurden als stiebende Lichtfunken von Gegenständen zurück geworfen und erhellten die Gestalt einer jungen Frau. Das Licht umhüllte sie wie ein Schleier. Es tanzte über den Brokat ihres Kleides, flammte in den Verschlingungen ihrer Haarflechten auf, liebkoste zart ihren Nacken, um sich sodann schimmernd und gleissend über ihre Schultern zu ergiessen und endlich im Samtflor ihres Mieders zu versickern.

Die Verzückung des Dichters wich der Neugier. Wer war die Geheimnisvolle? Was tat sie an jenem Ort? Wie hiess sie? Der Wunsch, in ihr Gesicht blicken zu können, wuchs in ihm, verstärkte sich, wurde heftig und drängend. Die Neugier wich dem Begehren. Eine jähe, dumpfe Sehnsucht erfasste den Dichter, bezwang seinen Geist und liess seinen Körper erzittern. Die Vision hielt seine Sinne umklammert und verhiess doch keine Hoffnung auf Erfüllung. Er stellte sich vor, es dem Licht gleich zu tun, und er streckte seine Hände vor, um das lockende Blendwerk zu berühren. In seiner Einbildung glitten seine Finger bereits sanft über die Schultern des Mädchens, tasteten sich zögernd ihren Nacken hinauf und wühlten sich in die schwellende Fülle ihres Haars. Unstillbares Verlangen glühte in seinem Innern, brennend wie die funkensprühenden Lichterflammen – ein alles beherrschender Wunsch, ihr Gesicht zu sehen, es zu sich zu drehen, mit zartester Berührung über Stirn und Wangen zu streichen, dem anmutigen Schwung des Brauenbogens nachzufühlen, die Farbe ihrer Augen zu erkunden – und tief, tief darin zu versinken. Dann würde er die Rundung ihres Kinns anheben – sehr sanft – und er würde sich vollends dem Zauber ihrer duftenden Lippen hingeben........

Die Vision verschwand. Mit einem Mal war sie erloschen und nichts mehr erinnerte daran, dass sie einmal sichtbar gewesen war.

An seiner glühenden Stirn fühlte der Dichter nur das kühle, regennasse Glas des Fensters.

Der Geist der Zeit

Der Traum der grossen Zeit— Rolle für Barocktanz

Der Geist der Zeiten— Rolle für Ausdruckstanz

Inspiration:

Manchmal hört man Musik, die so faszinierend ist, dass sie die Idee für eine Inszenierung geradewegs in sich trägt. Man hört zu – und sieht die bereits fertige Darstellung und Choreografie, wie sie sich vor dem inneren Auge abspielen, als würde man einen Film sehen. Idee und Ausführung sind vorgegeben – und doch – wird der ätherische Eindruck nie in Wirklichkeit zu sehen sein. Wunderschöne Konzepte, die niemals sichtbar gemacht wurden. Meist geschieht dies aus recht trivialen Gründen: Es mangelt an Voraussetzungen, es mangelt an einem Rahmen, es mangelt an Personen - oder die Komplexität von Rechten und Nutzniessungen erlaubt keine schöpferische Freiheit, etc.

Bei einem solchen skizzierten Projekt, handelte es sich um die Idee Barocktanz aus dem 17. Jahrhundert mit modernem Ausdruckstanz zu kombinieren, nach musikalischen Motiven aus Henry Purcells „Fairy Queen“ und begleitet von gelesenen Texten.

Trotzdem – ich plädiere für Sammlungen unverwirklichter künstlerischer Ideen, die es wert sind dokumentiert und für später Nachkommende bewahrt zu werden. Ausgereift, jedoch ungeboren – darauf wartend, dass jemand ihre inneliegende Schönheit und Kraft in der Welt der Form verwirklicht.

Dazu:

Henry Purcell _ „The Fairy Queen“

und

ein Kelch spritzigen Champagners, jenes “Modegetränks”, das im letzten

Viertel des 17. Jahrhunderts seinen Siegeszug an den barocken Festen begann

Zeit heisst Verstehen

Begreifen des unbegreiflich Scheinenden.

Der Geist der Zeit tanzt durch die Jahrhunderte.

Aus der Zukunft taucht er hinab in den Strom der

Vergangenheit...

Er horcht, verweilt, lauscht den Klängen einer grossen Epoche.

Verzaubert von der Farbenpracht der Töne,

lockt er den Traum jener grossen Zeit hervor.

Noch verschliesst der Traum sich dem Geist der Zeiten.

In sich selbst gekehrt kann er die Zukunft nicht sehen.

Kann er den Geist der Zeiten nicht wahrnehmen.

Nur über die klingende Brücke der Musik

können die beiden sich begegnen.

Ein Regenbogen des Klanges verbindet Zeit mit Zeit,

Vergangenes entsteht wieder, neue Gewänder tragend, im Jetzt.

Endlich beginnt der Traum der grossen Zeit zu erwachen.

Zögernd fühlt er seine Zukunft, leise bewegt ihn ein

Herzschlag, die Sehnsucht eines Lebens,

welches er noch nicht zu berühren wagt.

Allmählich und sanft, öffnet sich sein Blick für all das,

was er einst entfachte.

Den Grund zum strahlend Nachfolgenden gelegt zu haben,

wärmt seinen Sinn, und er atmet auf vor Freude und Stolz.

Damals und Jetzt berühren sich in der Unendlichkeit - im Tanz.

Zeitreisen

Inspiration:

Die Alchemie menschlicher Beziehungen. Entwicklung, Wiederholen, Lernen. Erlösung und Beginn eines neuen Kreislaufs.

Ein weiteres Beispiel einer Idee, die skizziert, besprochen und konzipiert wurde – und eigentlich hätte man von da an kontinuierlich, konzentriert und konsequent weiter arbeiten können – wie dergleichen „kon-Wörter“ auf eine geschäftlich akribischer Arbeitsweise hinweisen. Oder vielleicht implizieren? Auch so ein Wort. Wie „strukturiert“, oder „zielorientiert und sachbezogen“ …. Doch in der ebenso alltäglichen Welt der schöpferischen Gedanken (um das mittlerweile stark abgegriffenen Wort „Kreativität“ zu vermeiden…) ist nicht immer alles messbar und projizierbar. Wie allerdings viele Beispiele aus der Geschäftswelt zeigen, ist dies auch dort nur der Idealfall und somit Wunschdenken.

Doch zurück zur Inspiration der folgenden Erzählung. Es hätte eine Zusammenarbeit mit einer Koautorin werden sollen, dabei die bestechend klaren und aussagekräftigen Wendungen der spanischen Sprache nutzend. Wir schrieben tatsächlich mehrere Kapitel, doch dann wurde dieses Vorhaben unerwartet von einer Welle eingreifender Ereignisse überrollt. Die Erzählungen jedoch, blieben erhalten. Die folgende und hier erweiterte Auskopplung in deutscher Sprache bildete mein erstes Kapitel des gemeinsamen Projekts.

Aufeinander treffen.

Begegnung, bei der Widerstand nicht denkbar ist. Widerstand, der nicht vorgesehen, obwohl vorhanden ist. Ein Widerstand, der sich von ungreifbarer Erinnerung nährt. Unbewusste Erinnerung, die vor bereits Durchlebtem warnt.

Zueinander streben.

Mächtige, herrisch befehlsgewohnte Anziehung, deren Mahlstrom mitreissender Kräfte einem unentrinnbaren Mittelpunkt zusteuert.

Aufatmen.

Sich bewusst zu werden, dass man gefunden hat, nicht ahnend, dass man suchte. Im Mittelpunkt des Mahlstroms herrscht Frieden, in der Mitte des Wirbels liegen Stärke und Klarheit. Doch der Weg durch die Mitte des Wirbels ist eng. Es genügt seine Wände zu berühren, um an den Rand der zermalmenden Kräfte geschleudert zu werden.

Auseinander gehen.

Abschied nehmen im aufkeimenden Bewusstsein einer neuen Suche, eines erneuten Findens, eines angstvoll zu erwartenden, sich wiederholenden Verlustes.

Er und sie – ein Mann und eine Frau. Sie trafen sich, fanden zueinander, verloren sich. Jahrhundert für Jahrhundert und Leben für Leben, betraten sie dieselben Wege mit denselben Schritten, begangen dieselben Fehltritte und Irrtümer – die Pfade unterschieden sich lediglich durch Äusserlichkeiten voneinander.

Die Weisen lehren, dass Seelen durch Gemeinsamkeiten aufeinander zustreben – dass sie dazu bestimmt sind den sich aufwärts windenden Pfad immer von Neuem zu durchlaufen, bis der Zeitpunkt erreicht sei, an dem sie sich von allen Zwängen und Verkettungen lösen, durch welche ihr Vorwärtsstreben auf dem Weg des Wachstums behindert wurde. Durch Zeitalter hindurch wird der Menschheit immer wieder der Weg zur Entfaltung gewiesen, doch es liegt an den Menschen selbst, ihre Kräfte und Fähigkeiten zu erproben und ihre Talente anzuwenden. Zu lernen, Fertigkeiten zu erwerben und sich Weisheit anzueignen, dazu ist der Mensch bestimmt. Den eigenen Weg zu gehen und das eigene, jedem einzeln bestimmte Ziel zu verfolgen, bis man an jene Grenze anlangt, welche die Erscheinungen der Formenwelt vom Reich des Geistes trennt.

Er und sie – ein Mann und eine Frau. Sie waren seit Zeitaltern unterwegs. Allein und gemeinsam. Vereint und wieder getrennt durchschritten sie Leben für Leben die Pfade der Zeit. Hinter ihnen lagen durchmessene Weiten, Ozeane der Jahrhunderte, unendlich viele Orte. Sie hatten unzählige Bilder gesehen, zahllose Klänge vernommen und Myriaden von Worten gesprochen. Im Verlauf der Zeitalter hatten sie nachgedacht, sich besonnen – hatten gelernt. Sie hatten Weisheit erlangt, ihre Gaben und Talente vervollkommnet und die Fähigkeiten von Körper, Seele und Geist in Einklang gebracht. Allein – etwas fehlte noch. Eine Kleinigkeit, eine Einzelheit. Ein besonderer Aspekt, dessen Fehlen die gesamte Alchemie der so langen Vorbereitungszeit zunichte machte und die Transformation zur heilbringenden Essenz verunmöglichte.

Er und sie – ein Mann und eine Frau – hatten Weisheit erlangt – und doch waren sie immer noch auf der Suche nach der unscheinbaren Zutat, welche die Weisheit mittels Liebe wandelt. Liebe ist die schwierigste Probe des Lebens. Liebe, welche die Freiheit des Gegenübers erkennt und anerkennt. Liebe, die ohne Erwartung Segen erteilt. Leben für Leben hatten die Weisen ihnen Gelegenheiten geboten, an denen sie die letzte Prüfung der Liebe hätten bestehen können. Die Weisen verfügen über unendliche Geduld, doch auch Meister der Weisheit können leiden. Sie leiden mit ihren Schülern, und die Schüler leiden durch die Prüfungen, welche die Weisen gezwungen sind anzuwenden, damit ihre Anvertrauten die Essenz des Lebens verstehen.

Er und sie – ein Mann und eine Frau – hatten Fähigkeiten erreicht, die sie von anderen Menschen unterschieden. Sie hatten Kenntnisse erlangt, die ihre Leben oft gefährlich machten, Fertigkeiten, die sie mit ihrem Leben verteidigen mussten. In jedem dieser Leben trafen sie aufeinander. Manchmal lange, manchmal flüchtig. Leben für Leben vergassen sie, begannen von vorne, suchten sich von neuem. Jede erneute Begegnung vollzog sich leidenschaftlich, sehnsuchtsvoll, steigerte sich zu einer unwiderstehlichen Kraft. Jedes Scheitern brachte grösseres Leid und mehr Schmerzen, die abgegolten werden mussten.

Er und sie – ein Mann und eine Frau – hielten stand und ertrugen die mit jedem Mal schwieriger werdenden Erfahrungen. Es war ihr auserkorener Pfad – der Pfad Läuterung, der menschliche Wesen vor die Tore der Göttlichkeit führt.

Zeit für Sinnlichkeit

Wie viele Farben hat der Sand?

Inspiration:

Ein Tuareg-Schmuckstück und ein wunderschönes Lied.

“Snow on the Sahara”, Anggun, Columbia Records /1997

Manche Menschen nennen mich „Dasha“. Es ist ein Pseudonym, ein Kunst- und Künstlername, eine Bezeichnung meiner Person, die nicht ganz ernst gemeint ist und auch nicht ernst genommen wird. Voreiniger Zeit habe ich erfahren, dass dieser Name bei Tuareg-Frauen häufig ist. Seitdem gefällt er mir besser, denn ich hege für die Tuareg grosse Sympathien. Ich fühle mich ihnen verbunden: sie sind stolz, sie sind schön, sie sind bereit für ihre Identität zu kämpfen – und trotzdem liessen sie es zu, dass sie unterdrückt und fast ausgelöscht wurden. Der Wandel der Zeit jedoch, brachte Hoffnung, und die geheimnisvollen Bewohner der Wüste nehmen ihr Recht auf Leben in die eigenen Hände. Ja, ich fühle mich ihnen sehr vebunden….

Wenn du fortgehst, bleibe ich,

wartend, die Hoffnung für dich wahrend bis zu deiner Wiederkehr…

Wenn der Wüstensand die Sicht dir verwehrt

werde ich das Mondlicht sein, das deinen Weg erhellt.

Wenn die Strahlen der Sonne deine Augen blenden,

so werde ich beten, dass Schnee fällt auf die Dünen der Sahara.

Man sagt, die Tuareg-Männer würden ihre Frauen in höchsten Ehren halten. Man sagt, ihre Art zu leben sei deshalb so einzigartig, weil sie weise und zärtlich zu lieben wissen.

Deinen Leib werde ich schützen vor Gefahr

und deine Seele bewahren vor Trugbildern und Schein.

Rufe mich in der Nacht.

Rufe mich, wenn die Schatten der Reue dein Herz verdunkeln.

Rufe mich –

und ich hülle dich in golddurchwirkte Schleier der Zuversicht.

An der Wand gegenüber meinem Schreibtisch hängt ein grosses Bild eines verschleierten Tuareg-Mannes. Nur die Augen sind zu sehen in der Umrahmung seines Gesichtsschleiers. Der Blick ist fest und doch samtig. Als würden mir diese Augen jedesmal Mut zusprechen, wenn ich sie ansehe. Als würden sie mich anlächeln, wenn mir mal nicht nach Lächeln ist. Als würden sie mich umarmen und mir dabei doch alle Freiheit der Welt lassen. Ich schaue oft in diese Augen...... Wie viele Farben kännen diese Augen sehen? Wie viele Farben hat der Sand, und wie viele das Blau des Himmels?

Ich wahre die Hoffnung für dich,

auf deinem Weg durch den Wüstensand ….

…und vom Himmel herab fällt Schnee auf die Dünen der Sahara…

Ich bin stolze Besitzerin eines Tuareg-Schmuckstücks. Ein viereckiges, silbernes Amulett an einer Kette aus kleinen, schwarzen Glasperlen. Es fühlt sich an, als wäre es eigens für mich angefertigt worden. Es verschmilzt mit meinem Wesen, liegt sanft auf meiner Haut. Wenn ich mit den Fingern darüber streiche, so vereinigt sich die Berührung mit dem Blick jener dunklen, feucht glänzenden Augen unter dem blauvioletten Schleier – und die Welt ist wieder voller Hoffnung.......

Artemis im Reich des Hades

Inspiration

Gespräch mit einem gelehrten Herrn, dessen ganze Gelehrsamkeit ihm nur von geringem Nutzen war.

Gespräch um die angeblich dunkle Seite der Frau…

Gedanken über die menschliche Natur, über falsche Interpretationen mythologischer Erzählungen, über Einweihungen und über männliche Argumente, die manchmal, wie die fehlgeleiteten Jagdhunde des Aktaion, sämtliche erdverbundenen Wesenszüge des Menschen zerreissen und zerfleischen, um sie gleich darauf verzweifelt zu vermissen.

Danach:

Ein Spaziergang durch den Wald; am Ufer eines Bachs sitzend nachdenken; die Natur beobachten und aus der Aktaion-Sage eigene Schlüsse ziehen.

Wieder zurückgekehrt, zu Hause Musik geniessen:

Ottorino Respighi: „Trittico Botticelliano“

Warum nur bezeichnet man den Höhepunkt dieses Seinsim-Glück als den Kleinen Tod? Warum nur werden diese Momente der Verschmelzung von Glück und Lebensgenuss mit dem Wort “sterben” benannt – als Begriff eines Endes? Oder ist dies nur die schmerzvolle und ablehnende Einstellung dem Tod gegenüber, welche unsere abendländische Kultur prägt? Allerdings – wenn ein kleiner Tod so herrlich sein kann, wie erst fühlt sich dann ein grosser Tod an? Ketzerische Gedanken. Die Angst vor dem Tod wird angelernt. Abschied, Verlust und Loslassen können schmerzlich sein. Doch die Erfahrung eines “schönen Todes” als des Durchschreitens der Himmelspforte, hat eine sehr viel weiter reichende Bedeutung, als das allgemein gelehrte Bild. Eine Menschheit, die sich der Glücksmomente bewusst ist, sie geniesst, sie gar wiederholen kann – ohne sich in eine Sucht zu versteigen – ist selbstbewusst, in sich ruhend, grosszügig, schöpferisch.......

Wahrhaft ketzerische Gedanken.........

Memento mori......

Einmal mehr erwies sich, dass grosse Gelehrsamkeit sich gut zum Ordnen der Dinge eignet, jedoch um zu verstehen, und um die Grossartigkeit der Welt weise anzuerkennen – dazu braucht es mehr…

Du sprichst von schamloser Heiligkeit und berührst dabei doch den Gegensatz – die heilige Schamlosigkeit. Ist dir bewusst, auf welch schwankenden Grund du dich da begibst? Du nennst mich Artemis, die jungfräuliche Jägerin, doch ich bin es nicht. Wenn Artemis die eine Seite der Heiligkeit und einer kristallenen Reinheit verkörpert, so ist dies eben nur eine Seite. Die andere Hälfte des Wesens einer Frau – und mögen sie Unwissende auch die „dunkle Seite“ nennen – gilt es aus eigenem Antrieb zu erkennen und leben lernen zu wollen. Die Einweihung in das Element der Erde ist schwierig und einfach zugleich. Pythagoras hatte eine auf die Geschlechter abgestimmte Einweihung in die Mysterien gefordert. Wie recht er doch hatte, und wie verehrungswürdig erscheint mir dies. Mit Gelehrsamkeit und angesammeltem Wissen hat das nichts zu tun. Erkenntnis geht einen Schritt weiter. Weisheit ist nicht Wissenschaft.

Nun – lehne dich zurück, geniesse und erkenne – sofern du zur Erkenntnis durch Genuss imstande bist:

Als die Göttin Artemis sich eines Tages langweilte, beschloss sie aus Mitgefühl ihre Verwandte Persephone, in deren Verbannung in der Unterwelt, zu besuchen. So stieg denn Artemis hinab ins Reich des Hades – und was musste sie, überrascht und erstaunt – feststellen? Da war Persephone, der alle in der Oberwelt nachtrauerten, deren unglückliches Schicksal man sich wohlig erschaudernd zuflüsterte – Persephone, die gegen ihren Willen von einem selbstsüchtigen Herrscher Entführte, Verschleppte, gar Versklavte…