Das Ende - Richard Laymon - E-Book

Das Ende E-Book

Richard Laymon

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Beschreibung

Er wartet auf euch ... in schattigen Schluchten ... in dunklen Wäldern ... er lauert ... um euch alles zu nehmen ... euer Glück ... eure Liebe ... euer Leben ... Er kommt immer näher ... jagt euch ... bis zum Ende!

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Seitenzahl: 332

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Das Buch

»Bass ging weiter, Faye dicht an seiner Seite. Das fremde Paar lag noch ein gutes Stück entfernt und rührte sich nicht. Der Mann trug eine Jeans, aber kein Oberteil. Er lag auf der Seite zusammengerollt und verdeckte die Frau teilweise. Die Beine der Frau waren jedoch zu sehen. Sie war offensichtlich nackt. Eine Brust war zu erkennen, aber die andere blieb hinter der Schulter des Mannes verborgen. Bass und Faye blieben stehen, unschlüssig, wie sie sich verhalten sollten. Da bewegte der Mann einen Arm. Er drehte sich auf den Rücken und gab den Blick auf die Frau frei. Sie hatte keinen Kopf mehr …«

Mit einem ausführlichen Verzeichnis aller im Wilhelm Heyne Verlag erschienenen Werke von Richard Laymon.

Der Autor

Richard Laymon wurde 1947 in Chicago geboren und studierte in Kalifornien englische Literatur. Er arbeitete als Lehrer, Bibliothekar und Zeitschriftenredakteur, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete und zu einem der bestverkauften Spannungsautoren aller Zeiten wurde. 2001 gestorben, gilt Laymon heute in den USA und Großbritannien als Horror-Kultautor, der von Schriftstellerkollegen wie Stephen King und Dean Koontz hoch geschätzt wird.

RICHARD LAYMON

DAS ENDE

ROMAN

Aus dem Amerikanischenvon Marcel Häußler

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.
Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.
Die Originalausgabe AMONG THE MISSINGerschien bei Leisure Books.
Copyright © 1999 by Richard Laymon Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München. Published in arrangement with Lennart Sane Agency AB Redaktion: Lars Zwickies Coverillustration:Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,unter Verwendung eines Fotos von © Tony Watson / Arcangel Satz: Schaber Datentechnik, Austria ISBN: 978-3-641-19116-0V002
www.heyne.de

Dieses Buch ist den Jungs von Deadline Press gewidmet

Peter Enfantino, Robert Morrish und John Scoleri

Danke für die Bücher und den Spaß.Möge es von beidem mehr geben.

1

DAS RENDEZVOUS

Als er das Auto hörte, stand der Mann auf. Er wischte sich Kiefernnadeln von der Jeans, lief aus dem Wald und trabte zum Straßenrand hinab. Während er sich dem mondbeschienenen Asphalt näherte, tauchten im Süden Scheinwerfer in der Kurve auf. Sie standen tief und dicht beisammen.

Könnte ein Jaguar sein.

Er sah auf die Uhr. 2:32.

Das muss sie sein. Eine Stunde zu spät.

Grinsend hielt er den Daumen raus.

Das Auto raste auf ihn zu, die Scheinwerfer wurden größer, und der Motor zerriss die Stille.

Es ist tatsächlich ein Jaguar. Warum bremst sie nicht?

Er wandte den Blick ab, als der Wagen vorbeischoss. Dann sah er ihm nach. Die Rücklichter verschwanden in der Kurve hinter den Bäumen.

»Schlampe«, murmelte er.

Aber der Motorenlärm entfernte sich nicht. Aus dem Röhren wurde ein unregelmäßiges Brummen. Ein paar Sekunden später tauchten die Rücklichter wieder auf, begleitet von den weißen Rückfahrscheinwerfern. In ruckartigen Schüben kam der Jaguar auf ihn zu.

Er hielt vor ihm.

»Soll ich dich mitnehmen, Fremder?«, rief eine vertraute Stimme aus dem Fenster.

»Das wäre nicht schlecht.«

Als er die Tür aufmachte, ging die Innenbeleuchtung an. Er bückte sich tief, um in den Wagen zu steigen, und betrachtete die Frau hinter dem Steuer. »Hübsches Outfit«, sagte er.

»So was trägt man heutzutage zum Rendezvous.«

Es war ein durchsichtiges weißes Nachthemd, das an dünnen Schnüren von ihren Schultern hing, die Brüste betonte und ihren Schoß kaum bedeckte.

»Die Tür?«

»Fast vergessen bei der schönen Aussicht.« Er schlug sie zu, und das Licht erlosch.

»Danke«, sagte sie.

»Sehr gern.«

»Und wo sollen wir hinfahren?«

»Hm … mir ist alles recht.«

»Nicht zu weit weg?«, fragte sie und fuhr los. »Unter diesen Umständen darf ich nicht so lang wegbleiben.«

»Wie viel Zeit hast du?«

»Ich sollte zu Hause sein, bevor es hell wird. In dem Outfit möchte ich nicht unbedingt gesehen werden. Nicht von jedem.« Sie lächelte ihn an. »Nur von ganz besonderen Menschen wie dir.«

»Du bist auch was ganz Besonderes.«

»Überrascht es dich, dass ich wirklich gekommen bin?«, fragte sie.

»Ich hatte allmählich Zweifel.«

»Tja, aber ich bin gekommen, oder?«

»Etwas zu spät.«

»Ein klitzekleines bisschen.«

»Mrs. Parkington kommt so sicher wie der Tod, könnte man sagen.«

»Das ist nicht besonders witzig.«

»Entschuldigung.«

»Solche Scherze passen eher zu Grant, diesem überheblichen Arschloch. Ständig reißt er irgendwelche Witze. Gemeine Witze. Ich weiß wirklich nicht, warum ich noch mit ihm verheiratet bin.«

»Weil er so gut aussieht?«

Sie lachte. »Das ist wirklich lustig. Sehr gut.« Sie streckte die Hand aus und tätschelte seinen Oberschenkel. »Also, wo sollen wir hinfahren?«

»Was hältst du vom Harrah’s in South Tahoe?«

»Für solche Spiele hab ich die falschen Klamotten an, Freundchen.«

»Da gibt’s nicht nur ein Kasino, sondern auch sehr schöne Zimmer.«

»Hm, ist Tahoe nicht ein bisschen weit?«

»Eine knappe Stunde.«

»Das ist mir zu weit. Ich will nicht die ganze Nacht durch die Gegend fahren. Fällt dir kein hübscher, romantischer Ort ein, der vielleicht nur fünf Minuten weg ist?«

»Tja …«

»Hilf mir, Mann. Ich habe keine Ahnung. Was mich angeht, könnten wir auch im verfickten Schwarzwald sein.«

»Ist nicht jeder Wald verfickt, wenn man in der richtigen Stimmung ist?«

»Hör auf, sonst bin ich gleich nicht mehr in Stimmung.«

»Wie wär’s mit dem Woody-Pines-Motel?«

»Wo ist das?«

»Weiß ich nicht. Ich habe es erfunden.«

Sie gab ihm einen Klaps aufs Bein. »Hör auf damit.«

»Ich weiß was.«

»Einen echten Ort?«

»Einen herrlichen, romantischen Ort mit Blick auf den Fluss.«

»Das klingt vielversprechend.«

»Da haben wir den Sternenhimmel über uns, die Bäume rauschen im Wind, und das Wasser glitzert im Mondlicht.«

»Fantastisch! Wo ist es?«

»Die Schleife.«

»Die Schleife?«

»Du kennst die Schleife nicht?«

»Wir sind erst seit zwei Monaten hier, mein Lieber. Man kann kaum erwarten, dass ich jede Ecke dieser hinterwäldlerischen, wenn auch idyllischen Gegend kenne. Wenn du mich also aufklären würdest …«

»Es ist eine Flussbiegung, eine Schleife im Silver River.«

Sie nickte. »Der fließt in den Silver Lake, nehme ich an.«

»Genau. Der Fluss wird an der Schleife breit und langsam, und es gibt einen hübschen Sandstrand.«

»Sand? Ich weiß nicht …«

»Du musst dich schnell entscheiden. Gleich kommt die Abzweigung.«

»Ich habe eine Decke dabei. Der Sand sollte kein zu großes Problem sein.«

»Fahr lieber langsamer.«

Sie nahm den Fuß vom Gaspedal und sagte: »Er kommt überall hin.«

»Wer?«

»Der Sand. Die fiesen kleinen Körner kriechen gern an Stellen, wo sie nichts zu suchen haben.«

»Die Abzweigung ist direkt hinter der Kurve.«

»Ah.« Sie bremste leicht. »Wir können es ja mal versuchen.«

»Klar. Pass auf, du musst gleich abbiegen.«

»Rechts?«

»Links.« Er sah aufmerksam zum Straßenrand. »Hier!«

Sie trat hart auf die Bremse und steuerte den Jaguar in einer scharfen Linkskurve auf eine unbefestigte Straße. Der dichte Wald sperrte das Mondlicht aus. »Das ist ein bisschen unheimlich«, sagte sie.

»Ich beschütze dich.«

»Du bist so ein Gentleman.«

»Das war Graf Dracula auch.«

Sie sah ihn an. »Hör auf damit.«

»Vampire sind echte Gentlemen, bis sie einem die Fänge in den Hals schlagen.«

Wieder gab sie ihm einen Klaps aufs Bein. »Aufhören! Du machst mir Angst.«

»Tut mir leid.«

»Wie weit geht die Straße noch?«

»Nicht mehr weit«, sagte er.

»Das will ich hoffen.«

Kurz darauf wichen die Bäume vom Straßenrand zurück und ließen das Mondlicht durch. Die Straße führte auf eine breite Lichtung – einen Parkplatz, auf dem nur eine Mülltonne und ein einzelnes dunkles Auto standen.

»Oje«, sagte sie. »Wir haben Gesellschaft.«

»Mach dir deswegen keine Sorgen.«

Sie parkte neben der Mülltonne. »Wo ist denn jetzt deine Flussbiegung?«

»Wir müssen runterlaufen.«

»Ah, toll. Weit?«

»Nicht besonders.«

Sie drehte den Zündschlüssel, und Stille trat ein. Sie schaltete die Scheinwerfer aus. Dunkelheit senkte sich über die Lichtung vor ihnen.

»Bereit?«, fragte sie.

»Bereit.« Er versuchte, die Tür zu öffnen.

»Nach unten drücken.«

Er drückte den Hebel nach unten, und das Schloss schnappte auf. »Komplizierter Mechanismus«, sagte er beim Aussteigen.

»Man muss eben wissen, wie man damit umgeht. Wie bei einer Frau.« Sie blieb neben der Fahrertür stehen. »Warte kurz, ich hole die Decke.« Sie betätigte einen Hebel. Der Sitz klappte nach vorn.

»Du bist ja wirklich gut vorbereitet.«

»Warum nicht? Man kann nicht immer mit einem Bett rechnen. Und so gern ich auch draußen bin, ich habe doch lieber was zwischen mir und dem Boden. Besonders, wenn es Sand ist.« Sie beugte sich hinter den Sitz.

Der Mann schloss seine Tür. Er trat auf die andere Seite des Autos und sah sie gebückt dastehen. Ihre schlanken Beine wirkten im Mondlicht blass. Das Nachthemd war hochgerutscht und gab den Blick auf ihren Hintern frei.

Sie richtete sich mit einer zusammengeknüllten Decke in der Hand auf.

»Voilà!«, sagte sie.

»Ich trage sie.«

»Ich wusste doch, dass du ein Gentleman bist. Aber danke, ich behalte sie lieber. Ist nämlich ein bisschen frisch hier draußen.« Sie breitete die Decke aus und wickelte sich darin ein. »Du bist der Eingeborene, also erklär es mir. Es ist mitten im August. Tagsüber ist es meistens glühend heiß, aber sobald es dunkel wird, scheint die nächste Eiszeit anzubrechen. Woran liegt das?«

»So ist es eben in den Bergen«, sagte er. »Wir sind hier auf einer Höhe von über tausendfünfhundert Metern.«

»Frierst du nicht?«

»Nein.« Er bot ihr seine Hand an.

Sie hielt mit einer Hand die Decke um ihre Schultern zusammen, streckte die andere durch den Schlitz, nahm seine Hand und drückte sie.

»Nervös?«, fragte er.

»Ein bisschen.«

»Ich auch.«

»Du bist nicht nervös. Das sagst du nur.«

»Glaubst du?« Er legte sich ihre Hand auf die Brust. »Spürst du das?«

»O Gott! Ist das dein Herz?«

»Allerdings.«

»Du bist wirklich nervös.« Sie klopfte ihm auf die Brust. »Oder nur erregt?«

»Das bleibt mein Geheimnis.«

»Ich könnte es bestimmt rausfinden.«

»Willst du nicht lieber warten, bis wir unten am Fluss sind?«

»Nicht unbedingt. Hier oben ist wenigstens kein Sand.«

»Aber hier haben wir auch keinen herrlichen Blick auf den mondbeschienenen Fluss.«

»Ah, stimmt.«

Er führte sie eine grasbewachsene Anhöhe hinter dem Parkplatz hinauf. Von dort sah er den Anfang des Pfads, der sich den bewaldeten Hang hinabschlängelte. Weiter hinten konnte er zwischen den Bäumen einen hellen Streifen Strand, das dunkle geschwungene Band des Flusses und den Wald am anderen Ufer erkennen.

»Sieht wirklich hübsch aus da unten«, sagte sie.

»Hübsch und ungestört.«

»Hoffentlich. Was glaubst du, wem das Auto gehört?« Sie sah über die Schulter zurück zum Parkplatz.

»Campern vielleicht. Manchmal lassen Wanderer ihre Autos hier stehen, wenn sie auf längere Touren gehen. Sie könnten meilenweit entfernt sein.«

»Wenn jemand in der Nähe ist«, sagte sie, »müssen wir woanders hingehen. Ich habe keine exhibitionistische Ader.«

»Niemand wird da sein. Es ist fast drei Uhr.«

Sie drückte seine Hand. »Warst du schon mal mit ihr hier?«

»Hey. Vergiss sie, die Schlampe.«

»Ich frag ja nur.«

»Lass es.«

»Tut mir schrecklich leid.«

Am Fuß des Hangs endete der Pfad im hellen, mondbeschienenen Sand.

»Warte mal kurz.« Sie ließ seine Hand los, griff unter die Decke und bückte sich.

»Was machst du?«

»Ich ziehe meine Schläppchen aus. Ich will nicht, dass sie hinterher voll Sand sind.« Kurz darauf sagte sie: »Uhhh, ist das kalt! Zum Glück hab ich die Decke mitgenommen, sonst würden wir uns den Hintern abfrieren, sobald wir uns hinlegen. Brrr.« Sie richtete sich auf, behielt aber beide Hände unter der Decke. »Fertig.«

Nebeneinander gingen sie weiter zum Fluss.

»Warum ist der Sand so viel kälter als die Luft?«, fragte sie. »Steckt da irgendeine Logik hinter?«

»Berg-Logik.«

»O Gott, ich hab mich mit Daniel Boone eingelassen.«

Er lachte.

»Aber mir gefällt es. Riech nur die Luft!« Sie lief voraus, wirbelte herum und tänzelte rückwärts. »Das ist so köstlich. So belebend!« Plötzlich schoss eine ihrer Hände unter der Decke hervor und warf die beiden Schuhe nach ihm. »Fang!«

Er fing einen, verfehlte jedoch den anderen. Als er in die Hocke ging, um ihn aufzuheben, riss sie sich die Decke von den Schultern und schleuderte sie ihm entgegen. »Fang!«

Sie segelte vor ihm auf den Boden.

Lachend zog sie sich das Nachthemd über den Kopf. Sie warf es in die Luft. Der Wind breitete es aus und trug es in die Höhe. Der dünne weiße Stoff wirbelte herum wie ein übermütiges Gespenst.

»Lass es nicht wegfliegen!« Sie rannte mit schwingenden Armen durch das Mondlicht und die Schatten.

Am Ufer blieb sie stehen. Sie sah sich um. »Kommst du?«, rief sie.

»Könnte noch einen Moment dauern.« Er stand mit ihren Schuhen und der Decke in der Hand auf. »Ich muss erst dein Nachthemd jagen.«

»Ach, lass es.«

»Nein, ich hole es.« Kurz zuvor hatte der niedrige Ast einer Kiefer das herumflatternde Nachthemd eingefangen.

»Ich gehe ins Wasser!«

»Ich komm gleich nach.« Er lief zu dem Nachthemd, löste es vorsichtig von dem Ast und ging damit zurück zum Strand, die Decke und die Schuhe an die Brust gedrückt.

Sie stand nackt am Ufer und sah ihn über die Schulter an.

»Lass dir nicht die ganze Nacht Zeit!«, rief sie.

»Ich komme.«

»Ich hoffe, das soll kein Orgasmus-Wortspiel sein, wie Grant sie so gern mag.«

»Was?«

»Vergiss es.« Sie drehte sich nach vorn und tauchte einen Fuß ins Wasser.

»Wie ist es?«

»Gerade so erträglich.«

Vor der dunklen Wasseroberfläche wirkte ihre Haut völlig weiß. Sie hatte keine Bräunungsstreifen. Sie hätte aus frischem Schnee modelliert oder aus Elfenbein geschnitzt sein können – weiß von Kopf bis Fuß, außer dem sichelförmigen grauen Schatten zwischen ihren Pobacken.

Als sie langsam ins Wasser watete, verschwanden ihre Füße in der Dunkelheit. Dann kletterte das schwarze Nichts an ihren Waden empor. Sie ging mit ausgestreckten Armen weiter, um das Gleichgewicht zu halten, und die Schwärze verschluckte ihre Oberschenkel und schließlich das Gesäß.

Sie wandte sich um.

Auf ihrer weißen Vorderseite zeichneten sich dunkle Stellen ab: die Augen, der Mund, die Nippel. Unter den Brüsten waren sichelförmige Schatten, die ihn an den auf ihrem Hintern erinnerten. Aber diese verliefen horizontal und waren viel kleiner.

»Kommst du rein?«, rief sie.

»Worauf du dich verlassen kannst.«

Er ließ die Decke, das Nachthemd und die Schuhe in den Sand fallen, dann zog er sein Hemd aus.

»Hübsche Brust, Süßer! Jetzt lass den Rest sehen!«

Er warf das Hemd auf den Haufen. So schnell er konnte, zog er Schuhe und Socken aus. Dann ließ er die Jeans runter.

»Wow!«

»Selber wow!«, rief er.

»Ich bin beeindruckt.«

»Du siehst auch nicht übel aus.«

»Steh nicht einfach da rum. Komm rein und zeig mir, was du mit dem Ding anfangen kannst.«

»Schon unterwegs!« Er ging um den Kleiderhaufen herum und auf den Fluss zu.

»Komm und fang mich!« Sie lachte und sprang kopfüber hinein. Das Wasser schlug über ihr zusammen, und einen Moment lang schien der Fluss verlassen – als wäre sie nie da gewesen. Dann tauchte ihr Gesicht wieder auf, ein lachendes Oval. »Hast du es schon mal im Wasser gemacht?«, fragte sie, während sie auf ihn zuglitt.

»Ein paar Mal.«

»Wie war’s?«

»Trocken.« Er sprang hinein und schwamm unter Wasser auf sie zu. Als er auftauchte, stand ihm das Wasser bis zu den Schultern, und sie war in Reichweite. Er nahm ihre Hand und zog sie zu sich.

»Deine Haare sind nass«, sagte er.

»Sie werden schon wieder trocknen.« Sie rieb sich an ihm.

»Aber nicht in einer Stunde oder so.«

»›Oder so‹ kann lang dauern.«

»Es kann für immer sein.« Er schlug unter der Oberfläche mit der Faust nach ihr. Der Wasserwiderstand bremste den Schlag und nahm ihm die Wucht, aber der Treffer war hart genug.

Ihre Augen traten vor Entsetzen hervor. Sie riss den Mund weit auf. Würgend schnappte sie nach Luft. Vergeblich.

Er schlug noch einmal gegen dieselbe Stelle, genau auf den Solarplexus.

Dann packte er sie im Nacken und drückte sie nach unten. Er schwang sich auf ihren Rücken, umklammerte ihren Hals und presste ihr die Knie in die Seiten. Sie wand sich unter ihm. Sie versuchte, sich wegzudrehen. Sie versuchte, ihn abzuwerfen. Einmal gelang es ihr, den Kopf aus dem Wasser zu strecken. Bevor ihr Mund auftauchte, beugte er sich nach vorn, verlagerte sein Gewicht und drückte ihren Kopf wieder unter die Oberfläche.

Danach schien sie aufzugeben.

Er blieb auf ihr sitzen, hielt sie unter Wasser und zählte langsam bis dreihundert.

Er stieg von ihr herab, packte sie an den Haaren und zog sie zum Ufer. Als das Wasser ihm noch bis zur Hüfte reichte, duckte er sich unter sie und hob sie auf die Schultern. Er trug sie zum Strand und ließ sie auf die Decke fallen.

Er sah auf sie hinab. Die Brise auf seiner nassen Haut ließ ihn erschaudern.

Sie hatte die Decke mitgebracht. Die Schlampe hätte auch an Handtücher denken können.

Er trocknete sich mit ihrem Nachthemd ab, aber es war so klein und dünn, dass er es mehrmals auswringen musste. Schließlich war er halbwegs trocken. Er warf das Nachthemd zur Seite.

Dann ging er zum Beginn des Pfads. Er drehte sich zum Fluss, zählte zehn Schritte nach rechts ab und sank auf die Knie.

Mit beiden Händen wühlte er im Sand. Die kalten Körner taten ihm an den Fingerspitzen weh, aber er arbeitete weiter. Nach einigen Sekunden fragte er sich, ob er an der falschen Stelle grub.

Schließlich fand er, was er gesucht hatte.

Er zog es aus dem Sand und stand auf.

Als er zur Leiche der Frau ging, glitzerte das Mondlicht auf dem polierten Stahl der Bügelsäge, die er in seiner Hand hielt.

2

FLUSSFAHRT

Bass Paxton hinterließ eine Spur im Tau, als er über den Rasen zum Haus ging. Er stieg die Verandastufen hoch und klopfte an der Tür. Sie wackelte im Rahmen. Durch das Fliegengitter sah er, wie Faye sich ihm in der düsteren Diele näherte.

Sie öffnete die Tür, warf sich in seine Arme und küsste ihn.

Bass drückte sie fest an sich. Er tätschelte ihr durch das Bikinihöschen den Hintern. Dann schob er sie von sich und sagte: »Guten Morgen, Süße.«

»Guten Morgen, Fremder.«

Er lachte. »Fremder? So lang ist es auch wieder nicht her, oder?«

»Zwei Tage ist lang. Sehr lang. Weil ich dich so vermisse.«

»Tja, erst die Arbeit, dann das Vergnügen.«

»Von wegen«, sagte sie und lächelte ihn an. »Auf jeden Fall ist es schön, dass du wieder da bist.«

»Das Vergnügen ist ganz meinerseits.«

Sie wandte sich ab und trat zurück ins Haus. »Ich habe das Picknick fast fertig. Möchtest du lieber Senf oder Mayo auf dein Truthahnsandwich?«

»Schwere Entscheidung.«

»Oder beides?«

»Senf wäre gut.«

»Dann kriegst du Senf.«

Auf dem Weg zur Küche betrachtete er sie. Die Ärmel ihres T-Shirts waren abgeschnitten. Ebenso die untere Hälfte. Es endete knapp unter ihrem Brustkorb und ließ einen breiten Streifen nackter Haut frei. Das knappe Bikinihöschen trug sie tief auf der Hüfte. Es umspannte ihren festen Hintern und bewegte sich bei jedem Schritt. Ihre Beine waren schlank und gebräunt. Sie lief barfuß.

»Du sieht heute Morgen wirklich gut aus«, sagte Bass.

Sie grinste ihn über die Schulter an. »Danke, danke.«

In der Küche ging sie zum Kühlschrank. »Wein oder Bier?«

»Bier.«

»War ja klar.« Sie nahm ein Sixpack Budweiser heraus und reichte es Bass. »Ich glaub, ich bleib beim Wein.« Sie holte eine Flasche Chablis und den Senf aus dem Kühlschrank und schloss die Tür.

»Kann ich dir irgendwie helfen?«, fragte Bass.

»Nein, schon okay. Leiste mir einfach Gesellschaft. Ich bin sofort fertig.«

Er lehnte sich gegen die Arbeitsplatte und sah zu, wie Faye die Sandwichs zubereitete.

Sie war eine Augenweide.

Wahrscheinlich die hübscheste Frau, die er kannte, wenn man Pac außen vor ließ. Und er versuchte, Pac außen vor zu lassen, da sie mit seinem besten Freund verheiratet war.

Er fragte sich, wie Pac so angezogen aussehen würde.

Ich werde es nie erfahren, dachte er.

Aber sie konnte nicht viel besser aussehen als Faye. Das war unmöglich.

»Von mir aus können wir los«, sagte sie kurz darauf.

»Der Fluss wartet.« Bass nahm den Picknickkorb und die Kühlbox und ging zur Tür. Faye folgte ihm. Bevor sie das Haus verließen, schnappte sie sich noch zwei Badetücher und ihre große Stoffhandtasche.

Sie zog die Tür zu und schloss sie ab. Während sie die Fliegengittertür zumachte, fragte sie: »Wie weit paddeln wir?«

»Ganz bis zum See runter.« Bass stieg die Verandastufen hinab.

»Von wo aus?«, fragte Faye.

»Von der Schleife.«

»Die ganze Strecke von der Schleife bis zum See?«

»Es sind nur ungefähr dreißig Kilometer. Ich habe einen Leihwagen unten am Jachthafen stehen, damit können wir zurückfahren.«

»Aber dreißig Kilometer? Ist das nicht wahnsinnig weit mit einem Kanu?«

»So weit nun auch wieder nicht. Außerdem geht es flussabwärts. Die Strömung nimmt uns die meiste Arbeit ab.«

»Trotzdem …«

»Es wird dir gefallen. Hinterher willst du es bestimmt jeden Samstag machen.«

»Da bin ich aber froh, dass ich Sonnenmilch mitgenommen habe.«

»Ja«, sagte Bass. Als er zum Kofferraum seines uralten Pontiac Grand Prix ging, musste er sich ducken, um sich nicht den Kopf am Heck des Kanus zu stoßen, das auf dem Dach befestigt war. Er stellte den Korb und die Kühlbox ab.

Seit vor ein paar Wochen der Kofferraum während eines Kanuausflugs aufgebrochen worden war, funktionierte das Schloss nicht mehr richtig. Er wusste nicht, was der Dieb zu finden erwartet hatte. Vielleicht hatte der Idiot geglaubt, es müssten jede Menge Kostbarkeiten darin sein, weil es so ein riesiger Kofferraum war.

Er hatte nichts gestohlen außer dem Ersatzreifen – ein abgefahrenes altes Ding, mit dem niemand mehr etwas anfangen konnte.

Aber er hatte das Schloss kaputt gemacht.

Mit dem Schlüssel ließ sich der Kofferraum nicht mehr öffnen, deshalb schlug Bass mit der Faust auf die Klappe. Der Riegel rastete aus. Er trat zurück und sah zu, wie die Klappe sich hob.

Er lud den Korb und die Kühlbox ein. »Hast du sonst noch was für den Kofferraum?«, fragte er.

Faye schüttelte den Kopf. »Wann reparierst du das Ding endlich?«

»Vielleicht nie. Irgendwie gefällt es mir so.«

Er brauchte zwei Versuche, bis das Schloss einrastete und die Klappe geschlossen blieb.

Auf dem ungepflasterten Parkplatz oberhalb des Flusses stand nur ein einziges Auto, ein blauer Jaguar neben der Mülltonne.

»Damit wurde garantiert kein Kanu transportiert«, sagte Bass.

»Vermutlich nicht.«

Er und Faye stiegen aus dem Auto.

Faye trat zurück und sah zu, wie Bass die Seile löste, mit denen das Aluminiumkanu am Bug und am Heck an die Stoßstangen des Pontiac gebunden war. Dann öffnete er die Spanngurte, die es am Dachgepäckträger hielten.

»Kannst du mir helfen, es runterzuheben?«

»Ich weiß nicht, Bass.«

»Es ist nicht besonders schwer.«

»Für dich vielleicht nicht.«

»Bei deinem ganzen Fitnesstraining sollte es kein Problem sein, eine Seite von dem kleinen Ding zu halten.«

»Gut, ich versuch’s.«

Bass nahm den Bug und Faye das Heck. »Okay«, sagte er. »Bereit?«

»Glaub schon.«

»Los!«

Gemeinsam hoben sie das Kanu vom Gepäckträger. Sie hielten es hoch und traten ein paar Schritte zur Seite.

»Gar nicht so schlimm«, sagte Faye. »Ich dachte, es wäre viel schwerer.«

»Du bist stärker, als du glaubst.«

»Kann sein.«

Wenn sie die Arme über dem Kopf hielt, tauchten die Rundungen ihrer Brüste unter dem ausgefransten Rand des T-Shirts auf.

»Kannst du es runter zum Fluss tragen?«, fragte Bass, während er den Anblick genoss.

»Wie weit ist es denn bis zum Fluss?«

»Er liegt am Fuß des Hangs hinter dir.«

Sie schenkte ihm ein dünnes Lächeln. »Ich kann mich gerade schlecht umdrehen.«

»Du würdest ihn sowieso nicht sehen. Zu viele Bäume im Weg.«

»Ich weiß nicht, wie weit ich das Ding tragen kann.«

»Gib einfach dein Bestes.«

»Verdammt, du hast mir nicht gesagt, dass das ein Ausdauertest wird.«

»Du hältst dich gut.«

»Warum tragen wir nicht erst die anderen Sachen runter? Die leichten Sachen?«

»Meinst du, dadurch wird es einfacher?«

Sie grinste. »Klar.«

»Dann müssten wir das Kanu absetzen. Und wieder hochheben.«

»Ach, das stört mich nicht. Machen wir es so, okay?«

Es war völlig sinnlos, das Boot erst wieder abzustellen, aber er wollte keinen Streit provozieren. Er zwang sich zu einem Lächeln. »Gut. Setzen wir es ab.«

Langsam ließen sie das Kanu auf den Boden herab. Faye richtete sich auf. Sie strich sich das kurze blonde Haar aus der Stirn und holte tief Luft. »Puh«, sagte sie. »Ich bin froh, dass ich das hinter mir habe.«

»In ein paar Minuten müssen wir es wieder hochheben.«

»So habe ich Zeit, mich zu erholen.«

»Ah. Okay.« Bass ging zum Kofferraum und schlug auf die Klappe. Das Schloss öffnete sich, und die Klappe schwang nach oben. Er nahm die Badetücher heraus und warf sie Faye in hohem Bogen zu, damit sie sich strecken musste. »Fang«, rief er.

Als sie hochsprang, rutschte ihr das abgeschnittene T-Shirt kurz über die Brüste. Lachend schnappte sie die Badetücher aus der Luft.

»Gut gefangen«, sagte Bass.

»Gut geworfen.«

Er nahm den Picknickkorb aus dem Kofferraum, stellte ihn hinter dem Auto ab und hievte die Kühlbox heraus.

»Meinst du, ich kann meine Handtasche im Auto lassen?«, fragte Faye.

»Vielleicht keine schlechte Idee. Falls wir kentern.«

»Na toll. Kentern?«

»Es ist nicht gerade wahrscheinlich.«

»Nimmst du deine Brieftasche mit?«

Er klopfte auf die Gesäßtasche seiner abgeschnittenen Jeans. »Ich brauche sie. Ich muss Auto fahren, wenn wir am See sind.«

»Ah, klar. Dann lasse ich meine Handtasche hier. Glaubst du, sie ist hier sicher?«

»Vermutlich. Versteck sie einfach unter dem Vordersitz.«

»Was ist mit meinem Handy?«

»Lass es am besten auch hier. Das sollte nun wirklich nicht in den Fluss fallen.«

»Es soll überhaupt nichts in den Fluss fallen.«

»Höchstwahrscheinlich wird außer unseren Paddeln auch gar nichts ins Wasser eintauchen.«

»Hoffentlich.«

Faye nahm eine Flasche Sonnenmilch aus der Handtasche, öffnete die Beifahrertür und schob die Tasche unter den Sitz.

»Bereit?«, fragte Bass.

»Ja.« Sie schloss die Tür.

Bass schlug den Kofferraum zu. Das Schloss rastete beim ersten Versuch ein. Während er den Picknickkorb und die Kühlbox aufhob, ging Faye mit der Sonnenmilch und den Badetüchern voraus.

»Ganz schön weit bis nach unten«, sagte sie.

»Ist nicht so schlimm, wie es aussieht.«

»Wer’s glaubt.« Lachend begann sie, den Pfad hinabzusteigen.

Bass folgte ihr. Er versuchte nicht, sie einzuholen, sondern ging mit seiner Last gleichmäßig weiter und beobachtete sie. Obwohl sie sich beschwerte, wirkte sie zufrieden und schien den Ausflug zu genießen.

Sie lief den Pfad hinab, drehte sich um und wartete lächelnd, bis Bass näher kam. »Schlaf nicht ein«, rief sie und eilte weiter.

»Ich spare meine Kräfte für das Kanu«, entgegnete er.

Sie sah sich zu ihm um und verzog das Gesicht. »Ich weiß! Vergessen wir das Kanu. Warum lassen wir es nicht einfach oben beim Auto? Wir können stattdessen schwimmen gehen. Im Sand liegen, die Sonne genießen und direkt hier am Strand Picknick machen.«

»Wo bleibt da der Spaß?«

»Ach, uns fällt schon was ein.«

»Du kannst ja bleiben, wenn du willst. Ich fahr mit dem Kanu zum See runter.«

»Und ich soll ohne dich hierbleiben?«

»Du hast schon ganz andere Sachen ohne mich gemacht.«

Ihre gute Laune schien zu verpuffen. »Mein Gott, Bass, ich weiß, was ich getan habe. Ich habe dir gesagt, dass es mir leidtut. Was soll ich denn noch machen?«

»Ich weiß nicht.«

»Warum musstest du jetzt damit anfangen?«

»Tut mir leid. Vergiss es.« Bass stellte den Korb und die Kühlbox neben den Pfad und ging zu ihr. Er nahm ihr die Badetücher und die Sonnenmilch ab und ließ alles fallen.

Faye warf sich in seine Arme. Sie klammerte sich an ihn und drückte das Gesicht gegen seine Brust. »Es tut mir leid.« Sie weinte. »Es tut mir so verdammt leid.«

»Schon gut.« Er strich ihr sanft über den Rücken.

»Ich wünschte, es wäre nie passiert.«

»Schon gut.«

»Ich liebe dich, Bass.«

»Ich weiß. Ich liebe dich auch.«

»Es war so dumm. Ich habe es nur getan …«

»Hey, hey. Ist schon gut.«

»Wenn du den Verlobungsring zurückhaben …«

»Nein. Natürlich nicht. Das ist Schnee von gestern. Alles ist in Ordnung.«

Er spürte, wie sie mit ihrem nassen Gesicht an seiner Schulter nickte.

»Und wir werden trotzdem heiraten«, sagte er. »Wenn du noch willst.«

Sie schniefte. »Klar will ich. Natürlich. Ich will dich unbedingt heiraten.«

»Dann lass uns jetzt zum Fluss runtergehen, bevor der Samstag vorbei ist.«

Sie sah zu ihm auf. Ihr Gesicht war gerötet und feucht, die Nase lief. Sie wischte sich trocken, und Bass küsste sie. Dann gab er ihr einen sanften Klaps auf den Hintern. Sie zuckte ein wenig zusammen und lachte.

»Gehen wir«, sagte er.

Sie drückte ihn einmal fest, dann ließ sie ihn los. Als Bass den Pfad hinauflief, hob sie ihre Sachen auf. Sie wartete, bis er den Korb und die Kühlbox geholt hatte, und wischte sich mit einem der Badetücher die Tränen aus dem Gesicht.

»Los«, sagte Bass, während er auf sie zustürmte.

Lachend wirbelte sie herum und hüpfte vor ihm den Hang hinunter.

Am Ende des Pfads blieb sie plötzlich stehen.

Bass, der sie beinahe über den Haufen gerannt hätte, wich nach rechts aus und hielt neben ihr. »Guck mal«, sagte sie und zog ein wenig den Kopf ein.

Bass sah zum Fluss.

Jetzt, da keine Bäume mehr im Weg standen, sah er zwei Menschen dicht am Ufer im Sand liegen.

»Was machen die da?«, flüsterte Faye.

»Schlafen.«

»Sie ist nackt.«

»Sieht ganz so aus«, sagte Bass.

»Was sollen wir jetzt tun?«

»Sie uns genauer ansehen?«

Obwohl Fayes Augen vom Weinen noch gerötet waren, wirkte sie wieder fröhlich und warf ihm einen gespielt empörten Blick zu.

»So tun, als ob sie nicht da wären?«, schlug Bass vor.

»Sie wachen garantiert auf. Ich meine, wir müssen noch das Kanu runterholen und so.«

»Und?«, sagte Bass.

»Sie ist nackt. Ich will nicht, dass sie aufwachen und uns hier sehen. Außerdem wissen wir nicht, was das für Leute sind.«

»Tja, aber eins weiß ich sicher. Wir lassen uns von denen nicht unsere Kanufahrt verderben. Wir machen einfach weiter, als wären sie gar nicht da.«

»Aber sie sind da.«

»Wir haben das gleiche Recht, an diesem Strand zu sein wie sie.«

»Aber sie ist nackt.«

»Wahrscheinlich will sie nur nahtlos braun werden.«

»Lass uns zurückgehen, Schatz. Bitte.«

»Nein. Mach dir wegen denen keine Gedanken. Wenn wir sie stören, Pech. Sollen sie doch die Polizei rufen.«

Faye lachte nervös und drückte sich schnell ein Badetuch vor den Mund. »Wir haben Freunde bei der Truppe, stimmt’s?«

»Allerdings.«

»Mann, das wäre eine schöne Überraschung für die beiden.«

»Egal, niemand ruft die Polizei. Wir kümmern uns um unsere Angelegenheiten, und die sollen sich um ihre kümmern.«

Faye nickte mit zusammengepressten Lippen.

»Komm«, sagte Bass.

Er ging weiter, Faye dicht an seiner Seite. Das Paar lag noch ein gutes Stück entfernt und rührte sich nicht. Der Mann trug eine Jeans, aber kein Oberteil. Er war schlank und durchtrainiert. Seine Füße waren nackt. Er lag auf der Seite zusammengerollt und verdeckte die Frau teilweise. Ihre Beine waren jedoch zu sehen. Das Schamhaar glitzerte in der Sonne. Eine Brust war zu erkennen, aber die andere blieb hinter der Schulter des Mannes verborgen.

»Ich habe eine Idee«, flüsterte Faye. »Wenn wir singen …«

»Warum sollten wir?«

»Um sie zu warnen, dass wir kommen. Dann kann die Frau sich was anziehen, bevor wir ihnen auf die Pelle rücken.«

»Ich hatte nicht vor, ihr auf die Pelle zu rücken.«

»Das ist mein Ernst.«

»Ich dachte, wir wollten sie nicht wecken.«

»Es wäre besser so«, sagte Faye.

»Okay. Was sollen wir singen?«

»Wie wär’s mit ›We’re off to See the Wizard‹?«

»Ich kenn den Text nicht.«

»Wovon kennst du denn den Text?«

»›Things to Do in Denver When You’re Dead‹«

»Das kenn ich nicht. Wie wär’s mit ›Deck the Halls‹? Das musst du doch kennen.«

»Klar.«

»Bereit? Los.«

Sie begannen zu singen.

Der Mann bewegte einen Arm. Er drehte sich auf den Rücken und gab den Blick auf die Frau frei. Sie hatte keinen Kopf.

Faye schrie auf und taumelte gegen Bass’ Schulter. Er zog sie eng an sich und hielt sie fest, während der Mann sich aufsetzte.

»Keinen Schritt näher!«, brüllte der Mann. Er sah zu Bass und Faye, dann zu der Frau neben ihm. Schließlich sprang er auf und rannte zum Fluss.

»Mein Gott!«, stieß Bass hervor. »Er hat ihren Kopf!«

Faye drückte das Gesicht fest an seine Brust.

Der Mann rannte in vollem Tempo in den Fluss, und das Wasser spritzte unter seinen nackten Füßen.

»Ich verfolge ihn.« Bass ließ Faye los.

»Nein! Bleib bei mir!« Sie klammerte sich an ihn.

Der Mann sprang ins Wasser und schwamm los.

»Er entkommt. Ich muss ihn verfolgen.«

»Nein! Nicht! Er bringt dich um!«

»Ich kann nicht einfach hier stehen und ihn …«

»Bleib hier! Bitte!« Sie umarmte Bass noch fester als zuvor. »Bleib. Lass ihn abhauen. Es spielt keine Rolle.«

»Aber …«

»Nein! Du kannst mich hier nicht allein lassen!«

»Okay. Okay.«

Er versuchte nicht, sich zu befreien. Sie blieben im Sand stehen und hielten sich in den Armen, während der Mann zum anderen Ufer schwamm, an Land kletterte und nach einem kurzen Blick zurück im dichten Kiefernwald verschwand.

3

DER SHERIFF

Rusty Hodges, der Sheriff von Sierra County, drückte den Abzug seiner Smith & Wesson 44er Magnum. Der Schuss zerriss die Stille, und der Revolver machte einen Satz wie ein starker, aber schreckhafter Hund. Zehn Meter vor ihm traf das Hohlspitzgeschoss eine mit Wasser gefüllte Bierdose. Die Dose flog in die Luft, drehte sich und verspritzte Wasser. Es glitzerte im Sonnenlicht wie flüssiges Silber. Die Dose fiel auf den Waldboden und rollte weg.

Das reicht für heute, dachte Rusty. Kann nicht schaden, mit einem Erfolgserlebnis aufzuhören.

Außerdem hatte er die zwei Dutzend Bierdosen, die er mit auf die Lichtung genommen hatte, schon zerschossen.

Er warf seinen Gehörschutz in den Kofferraum des Streifenwagens. Dann leerte er die Trommel des Revolvers. Sechs warme, glänzende Patronenhülsen fielen in seine Hand. Er schüttete sie in die linke Vordertasche der Uniformhose und klopfte dagegen. Sie klimperten fröhlich.

Aus dem Karton im Kofferraum nahm er sechs frische Patronen. Er hielt sie in der linken Hand und trat einen Schritt zur Seite, um sie im Sonnenlicht zu betrachten.

Schönheiten, dachte er.

Sie waren glatt und schwer. Die abgeflachten Spitzen glänzten silbern, die Hülsen golden.

Er erinnerte sich an die Zeile eines Gedichts aus der Highschool. Ein Werk der Schönheit ist ein Glück für immer.

Und das waren wirklich Werke der Schönheit.

Er überlegte, ob Frauen bei ihrem Lieblingsschmuck dasselbe empfanden.

Lächelnd schob er eine Patrone nach der anderen in die engen Kammern der Trommel.

Er nahm an, es war eine schlechte Eigenschaft, so begeistert von Waffen und Munition zu sein. Eine Menge Leute würden ihn für verrückt halten, wenn sie es wüssten. Man sollte keine Waffen mögen. Nicht heutzutage. Deshalb hielt er sich bei dem Thema sehr zurück.

Als seine Hand leer war, ließ er die Trommel mit dem Daumen einrasten. Er hielt sich die linke Hand vors Gesicht. Sie war groß und schmutzig. Er atmete den Geruch von Öl und Messing und Schießpulver ein.

Er schloss die Augen.

Man sollte diesen Duft in Flaschen abfüllen, dachte er, und ihn als Männerparfüm verkaufen.

Er schob die Waffe in das Holster.

Man könnte es Gunfire nennen, dachte er und grinste.

»Scheiße«, murmelte er. »Die Leute würden es einem aus den Händen reißen.«

Er nahm eine Mülltüte aus dem Kofferraum.

»Besonders am Vatertag.« Er lachte leise.

Mit dem Plastiksack in der Hand schlenderte er vom Auto weg. Gerade als er an der offenen Tür vorbeiging, knisterte das Funkgerät. »Hauptquartier an Wagen Eins.« Er ließ den Müllsack fallen, beugte sich hinein und nahm das Mikro.

»Wagen Eins«, sagte er. »Was gibt’s, Madge?«

»Wir haben einen Mordfall, Rusty.« Sie klang aufgeregt. »Wir haben endlich wieder einen Mordfall. Ende.«

»Freu dich nicht so, Schätzchen. Das gehört sich nicht für eine Dame. Wo ist es passiert?«

»An der Schleife. Die Leiche wurde an der Flussbiegung gefunden. Und ein Verdächtiger wurde gesehen, wie er vom Tatort geflüchtet ist, aber das war gegen neun Uhr null. Ende.«

Rusty sah auf die Uhr. 9:35 Uhr. »Ruf Pac dazu«, sagte er. »Sie ist bestimmt zu Hause. Wo ist Jack?«

»Er macht Mittag in Wilma’s Grill.«

»Schick ihn zur Schleife, sobald er sich meldet. Und ruf George Birkus an, er soll den Leichenwagen schicken. Ich bin auf dem Weg. Wer erwartet mich?«

»Bass Paxton. Er hat die Leiche gefunden. Er hat von einem Autotelefon am Ende der Straße angerufen.«

»Welches Ende der Straße?«

»Auf dieser Seite der Schleife. Du weißt schon. Da, wo alle parken. Nicht die andere Stelle, wie auch immer die heißt.«

»Sweet Meadow.«

»Genau. Da nicht. Es ist die nähere Stelle.«

»Der Parkplatz an der Schleife?«

»Habe ich das nicht gerade gesagt?«

»Kann gut sein.«

»Sei nicht so ein Arsch, Sheriff.«

»Entschuldigung.«

»Er wartet auf dich. Bass Paxton. Am Parkplatz an der Schleife.«

»Verstanden. Ich bin in zwanzig Minuten da.«

Gut fünfzehn Minuten später erreichte Rusty die Abzweigung zur Schleife. Er kannte die unbefestigte Straße gut. Als Junge war er mit seinen Freunden zum Silver River gewandert, um im Sand herumzutollen, in der kalten Strömung zu schwimmen und am Ufer oder in den umgebenden Wäldern zu zelten. Später war er mit seinen jeweiligen Freundinnen im Auto dort langgefahren, hatte sie zum Fluss hinabgeführt, im Sand mit ihnen herumgetollt und war mit ihnen geschwommen. Das erste Mal mit Millie war im Sand an der Schleife gewesen. Mein Gott, was für eine Nacht! Später waren sie an jedem Jahrestag dorthin zurückgekehrt. Es war ein ganz besonderer Ort für sie beide.

Und jetzt hatte irgendein Arschloch dort einen Mord begangen.

Er hätte es woanders machen sollen.

Der Kiefernwald lichtete sich, und Rusty fuhr über die nackte Erde des Parkplatzes. Ein Jaguar stand neben der Mülltonne. Er rollte daran vorbei und fuhr näher an Bass Paxtons alten roten Grand Prix heran.

Die Fenster waren heruntergelassen. Bass saß hinter dem Steuer. Auf dem Beifahrersitz war eine Frau. Rusty konnte ihr Gesicht nicht richtig erkennen, aber er vermutete, dass es Faye Everett war. Die beiden waren seit ein paar Jahren zusammen, mal mehr, mal weniger.

Bass winkte und öffnete die Tür.

Rusty steuerte um ein Kanu neben dem Pontiac herum und hielt an. Als er ausstieg, kam Bass zu ihm.

»Morgen, Bass.«

»Rusty.«

»Man hat mir gesagt, du hättest eine Leiche gefunden.«

Bass rümpfte die Nase, als hätte er etwas Verdorbenes gerochen. »Stimmt. Faye und ich wollten das Kanu zum Fluss runterbringen und sind direkt darauf zugegangen.«

»Wo?«, fragte Rusty.

»Unten am Ufer.«

»Liegt sie noch da?«

Bass nickte.

»Mann oder Frau?«

»Eine Frau.«

»Bist du absolut sicher, dass sie tot ist? Sonst müssen wir einen Krankenwagen …«

»Sie ist tot. Sie wurde enthauptet.«

Rusty starrte ihn mit offenem Mund an. »Ent… was?«

»Enthauptet. Ihr wurde der Kopf abgeschnitten.«

»Du willst mich verarschen.«

»Leider nicht.«

Kopfschüttelnd ging Rusty zu dem Jaguar. Er sah sich den orangefarbenen Aufkleber in einer Ecke der Windschutzscheibe genauer an. »Wisst ihr irgendwas über das Auto?«

»Es stand schon da, als wir gekommen sind.«

Rusty öffnete die Tür und beugte sich hinein. Er versuchte, das Handschuhfach aufzuklappen, wo sich der Fahrzeugschein befinden musste, aber es war abgeschlossen.

Unter dem Fahrersitz lugte ein brauner Lederriemen hervor. Rusty schob einen Finger hindurch und brachte eine Handtasche zum Vorschein. Er stellte sie auf den Sitz und öffnete sie. Darin lag eine Brieftasche aus Twill. Er nahm sie heraus, schlug sie auf und zog den Führerschein aus dem Plastikfach. Nachdem er ihn einen Moment lang betrachtet hatte, steckte er ihn sich in die Hemdtasche.

Er nickte Bass zu. »Gehen wir runter und sehen es uns an.«

»Muss ich? Ich meine, ich würde Faye nur ungern allein lassen.«

»Sie kann mitkommen.«

»Ich glaub nicht, dass sie das will. Sie ist ziemlich durcheinander. Vorhin war ihr speiübel. Sie hat immer noch wahnsinnige Angst.«

»Frag sie, ob sie mitkommen will. Sie sollte nicht allein hier oben bleiben, und ich muss runtergehen und es mir ansehen.«

»Ich rede mit ihr.«