Das Flüstern des Orangenbaums - Tariq Ali - E-Book
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Das Flüstern des Orangenbaums E-Book

Tariq Ali

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Beschreibung

Ein glanzvolles Reich – und ein zerrissener Herrscher: Der historische Roman »Das Flüstern des Orangenbaums« von Tariq Ali jetzt als eBook bei dotbooks. Ein Schatten zieht auf über Sizilien im 12. Jahrhundert. Nach vielen Jahren kehrt der Gelehrte Muhammad al-Idrisi an den Hof des Sultans von Palermo zurück. Für seinen weisen Herrscher hat Muhammad in der Sternstunde dieses glanzvollen Reiches die Welt vermessen. Doch wo einst Wissen, Toleranz und Friede hell erstrahlten, herrschen nun Zweifel und Unruhe. Mit Bestürzung begreift Muhammad, dass sich das Leben des Sultans dem Ende neigt – und mit ihm scheint auch Sizilien dem Untergang geweiht: Die Macht der katholischen Kirche bringt das empfindliche Gleichgewicht gefährlich ins Wanken, als sie ein furchtbares Opfer von dem Sultan verlangt. Ein Opfer, das alles für immer verändern könnte – auch Muhammads Leben … Eine Erzählung wie direkt aus Tausendundeiner Nacht: Ebenso schön, ebenso farbenprächtig – und genauso erbarmungslos! »Tariq Ali ist ein Meister der leisen Töne, ganz und gar unaufdringlich und obendrein noch ein spannender Erzähler.« Süddeutscher Rundfunk Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der Orient-Roman »Das Flüstern des Orangenbaums« von Bestseller-Autor Tariq Ali, auch bekannt unter dem ursprünglichen Titel »Der Sultan von Palermo«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 405

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Über dieses Buch:

Ein Schatten zieht auf über Sizilien im 12. Jahrhundert. Nach vielen Jahren kehrt der Gelehrte Muhammad al-Idrisi an den Hof des Sultans von Palermo zurück. Für seinen weisen Herrscher hat Muhammad in der Sternstunde dieses glanzvollen Reiches die Welt vermessen. Doch wo einst Wissen, Toleranz und Friede hell erstrahlten, herrschen nun Zweifel und Unruhe. Mit Bestürzung begreift Muhammad, dass sich das Leben des Sultans dem Ende neigt – und mit ihm scheint auch Sizilien dem Untergang geweiht: Die Macht der katholischen Kirche bringt das empfindliche Gleichgewicht gefährlich ins Wanken, als sie ein furchtbares Opfer von dem Sultan verlangt. Ein Opfer, das alles für immer verändern könnte – auch Muhammads Leben …

Eine Erzählung wie direkt aus Tausendundeiner Nacht: Ebenso schön, ebenso farbenprächtig – und genauso erbarmungslos!

»Tariq Ali ist ein Meister der leisen Töne, ganz und gar unaufdringlich und obendrein noch ein spannender Erzähler.« Süddeutscher Rundfunk

Über den Autor:

Tariq Ali wurde 1943 in Lahore/Pakistan geboren. Als 20-Jähriger emigrierte er nach London, wo er Politik und Philosophie studierte und Ende der 60er-Jahre zum Führer der englischen Studentenbewegung wurde. Heute arbeitet er als Schriftsteller, Filmemacher und Journalist. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zur Weltgeschichte und -politik, Bühnenstücke und Drehbücher, bevor ihm mit seinem ersten historischen Roman »Im Schatten des Granatapfelbaums« direkt der Sprung auf die Bestsellerlisten gelang.

Bei dotbooks veröffentlichte Tariq Ali auch seine Orient-Romane »Im Schatten der Akazie«, »Die Gärten von Marmara« und »Die Nacht des goldenen Schmetterlings«.

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eBook-Neuausgabe Juli 2020

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2005 unter dem Originaltitel »A Sultan in Palermo« bei Verso, London/NewYork. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Der Sultan von Palermo« im Heinrich Hugendubel Verlag

Copyright © der englischen Originalausgabe 2005 by Tariq Ali

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 by Heinrich Hugendubel Verlag, Kreuzlingen

Copyright © der Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung von shutterstock/Anna Poguliaeva, Marzolino und attilio pregnolato

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)

ISBN 978-3-96148-898-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Tariq Ali

Das Flüstern des Orangenbaums

Roman

Aus dem Englischen von Ursula Pesch und Karin Schuler

dotbooks.

Kapitel 1

Siqilliya 1153 –1154

Idrisis Gedanken zu Anfängen und zufälligen Begegnungen. Sein erstes Zusammentreffen mit Rujari.

Der erste Satz ist entscheidend. Das sagte ihm sein Gefühl, und das hatte er bei der Beschäftigung mit alten Handschriften gelernt. Wie gut die Alten dies verstanden, wie sorgfältig sie ihre Anfänge wählten, wie leicht ihnen die Arbeit von der Hand gegangen sein musste, nachdem sie einmal diese Entscheidung getroffen hatten. Wo anfangen? Wie anfangen? Er beneidete sie um die Möglichkeiten, die ihnen ihre Welt geboten hatte, um die Fähigkeit, nach Wissen zu suchen, wo immer sie beginnen wollten.

Die Menschen des Buches beharrten darauf, dass alles Wissen vor der Zeit ihrer eigenen Propheten wertlos sei. Doch seine Mutter hatte ihn gelehrt, dass sie damit nur ihre eigene Ignoranz offenbarten. Sie hatte erzählt, wie bei der Einnahme Qurtubas ihr Großvater, ein in der Stadt hoch angesehener Mathematiker, öffentlich gedemütigt und zusammen mit achtzig anderen Gelehrten dem Schwert übergeben worden war. Eine ganz besondere Elite von Kriegern des Propheten – Männer, die das Wissen mehr fürchteten als den Tod – hatte die Gelehrten ausgewählt und geköpft. Die Eiferer, die im Namen der Religion töteten, nannten die Welt der Alten das »Zeitalter der Unwissenheit«, eine Welt, in der die Menschen noch nicht die heilige Pflicht erfüllen mussten, einen einzigen Gott anzubeten. Zweifellos hatten sie Gott nach Herzenslust gelästert. Eine Welt ohne Abtrünnige! Schnell huschte ein Lächeln über sein Gesicht, bevor der Schatten sein Antlitz wieder verdunkelte.

Anders als wir, dachte er. Wir sind dazu bestimmt, im Strudel der ewigen Wiederholung zu ertrinken. Im Namen Allahs des Barmherzigen und Muhammads, seines Propheten, seines treuesten Boten. Der einzige Trost lag darin, dass die Gott lästernden Nazaräer noch viel schlimmer waren. Wie konnte Allah der Vater nur von Isa allein sein? Wie konnte der Allmächtige nur einen einzigen Sohn hervorbringen? Und warum hatten sich die Nazaräer diese Lüge ausgedacht? Wohl weil sie der römischen Welt und ihren Göttern zeitlich näher waren. Um die Menschen zu bekehren, mussten sie ihrem Glauben ein Quäntchen Magie zusetzen. Er wünschte sich von ganzem Herzen, dass sie die alten Götter oder zumindest die besten von ihnen behalten hätten. Zeus hätte doch Isas Vater sein können, oder Apollo, Ares oder Poseidon ... nein, Poseidon nicht. Was für eine dumme Idee. Mariam lebte weit entfernt vom Meer, und Yusuf war kein Fischer. Vielleicht hatte der hinkende, lüsterne Hephaistos ... Idrisi trat hinaus auf das Deck des königlichen Schiffes und atmete ein paar Mal tief durch. Seine Lungen mit Seeluft zu reinigen, war zu einem Ritual für ihn geworden. Er lächelte. Bald würde die Sonne untergehen. Das Meer war noch ruhig, und mit Poseidons Wohlwollen würden sie Palermo ohne weiteren Sturm erreichen. Dies war seine letzte Reise vor der Vollendung des Buches. Das Schiff hatte die Insel zweimal umrundet, und er hatte jede Einzelheit seiner Karte von Siqilliya noch einmal anhand der tatsächlichen Küstenlinie überprüft. Von Zeit zu Zeit waren sie an Land gegangen, um die Fässer mit Trinkwasser zu füllen und die frischen Kräuter zu sammeln, die er brauchte, um seine Rezepturen auszuprobieren. Idrisi war Geograf wie auch Arzt. Obwohl die Reise noch nicht einmal einen Monat gedauert hatte, fühlte er sich erschöpft. Er schlief mehr als sonst, und in den meisten Träumen ging er in seine Kindheit zurück – er sah seine Mutter, wie sie zu den Sternen hinauf blickte, die gepflasterten Straßen von Noto, die Narben der Blitzschläge an den Baumstämmen, die Frauen beim Melken von Kühen und Ziegen, das pockennarbige Gesicht seines Vaters. Wenn er sich allerdings am Nachmittag hinlegte, träumte er stets von Mayya, meist den immer gleichen Traum ohne größere Variationen. Sie lagen eng umschlungen nackt nebeneinander, nachdem sie sich geliebt hatten. Schauplatz war immer ihr Schlafgemach im Palastharem, vor dem die Eunuchen Wache standen. Sonst geschah nichts. Die Wiederholung ärgerte ihn so sehr, dass er sogar kurz daran dachte, zum Traumdeuter zu gehen, aber irgendetwas hielt ihn davon ab. Gestern Nacht hatte er zum ersten Mal einen anderen Traum gehabt. Er stand als Krieger in der Schlacht, doch beim Aufwachen erinnerte er sich nicht mehr an den Feind. Jetzt beobachtete er vom Deck aus das Farbenspiel des Meeres und fragte sich, ob er als Soldat etwas getaugt hätte. Er war mittelgroß mit sanften Zügen und einer weichen, hellen Haut, als ob sein Geschlecht erst in letzter Minute festgelegt worden wäre. Die Sonne hatte sein Gesicht gebräunt, wodurch das Weiß des Bartes noch deutlicher hervortrat. Der war im Stil eines Gelehrten aus Qurtuba sorgsam gestutzt. Mit seinen achtundfünfzig Jahren hatte er ein Alter erreicht, in dem die meisten Männer eher an die Vergangenheit als an die Zukunft denken. Das wäre bei ihm nicht anders gewesen, wenn ihn nicht ein gewaltiger Groll vorwärts getrieben hätte, von dem nur seine beiden engsten Freunde wussten – und selbst die konnten seine Gründe nicht verstehen. Für den Sultan und die Höflinge im Palast von Palermo war er ein Gelehrter von Bedeutung und ein ruhiger, gelassener Mensch. Sie ahnten nichts von dem, was hinter der Maske lag, wussten nicht, dass er sich insgeheim über die seltsamsten Dinge aufregte. Einmal hatte sein engster Freund Ibn Hamid, dessen Herz in großer Bedrängnis war, zum Himmel hinaufgeschaut und gemurmelt: »0 Poesie der Sterne«, und Idrisi war in Wut geraten und hatte ihm eine Lektion zur Astronomie und zur Bewegung der Erde erteilt. Hatte Ibn Hamid gemerkt, wie sich der Lauf jede Nacht wiederholte? Die Alten hatten versucht, die Geheimnisse der Himmel zu durchdringen, aber sie waren gescheitert. Wenn er Recht hatte, dann irrte al-Koran, doch wer war dann für den Irrtum verantwortlich? Allah oder sein Prophet? Ibn Hamid bekam Angst, dass man seinen Freund der Blasphemie beschuldigen könne, und riet ihm, solche Fragen der Zukunft zu überlassen.

Idrisis Antwort war ein verächtlicher Blick und tagelanges Schweigen gewesen. Jetzt war auch Ibn Hamid gegangen und hatte seinen Freund noch isolierter auf der Insel zurückgelassen. Es waren böse Worte gefallen, Idrisi musste sich vorwerfen lassen, dass er den Fremden in die Hände arbeitete, die die Insel besetzt hielten.

Vielleicht, dachte Idrisi, hätte auch er gehen und sich in Ifriqiya niederlassen sollen oder vielleicht in Bagdad, wo der Kalif ein Patron der Denker und Dichter war. Doch eine zufällige Begegnung hatte sein Leben verändert. Unverhofft wurde ihm mehr Freiheit geboten, als er sich je hatte träumen lassen. Seine Gedanken sprangen zurück zu jenem Spätnachmittag, an dem er mit einer Sondergenehmigung in der Bibliothek des Palastes von Sultan Rujari in Palermo gearbeitet hatte. Wie ein Kind hatte er sich über jede neue Entdeckung gefreut. Er erinnerte sich an die Erregung, die ihn überkam, damals vor fast siebenundzwanzig Jahren, als er den ersten Blick auf das alte griechische Al-Homa-Manuskript warf. Konnte dies das Werk sein, von dem sein Urgroßvater väterlicherseits vor vielen, vielen Jahren in Malaka gesprochen hatte? Sein Großvater hatte die Erinnerung daran seinem Vater anvertraut, und er hatte noch die laute, etwas aufgeregte Stimme seines alten Vaters im Ohr, der die Geschichte gliederte, indem er sich an den spannenden Stellen die weißen Haare aus seinem noch immer dunkelbraunen Bart zupfte. Er sprach davon, wie die qadis, aus Angst vor der Macht der Dichtung und ihrer Kraft, Gläubige in die Irre zu führen, bestimmt hatten: Es seien nur drei Abschriften der arabischen Übersetzung zugelassen, damit Theologen die heidnischen Religionen studieren könnten, die das Zeitalter der Unwissenheit in Arabien geprägt hätten in jener Zeit, als unser Prophet geboren wurde.

Zwölf Männer wurden mit der Aufgabe betraut – die besten Übersetzer aus dem Griechischen, die die Werke von Galen und Pythagoras, Hippokrates und Aristoteles, Sokrates und Platon ebenso übersetzt hatten wie die Komödien des Aristophanes. All diese Werke gab es in der Bibliothek in Bagdad. Die Übersetzer jedoch durften, obwohl sie sorgfältig ausgewählte, zuverlässige Bedienstete des Palastes waren, nicht das ganze Werk lesen. Die Kalligraphen, die die Abschriften fertigten, hatten Stillschweigen schwören müssen. Falls sie jemals auch nur ein Wort über ihre Arbeit irgendeinem Menschen – auch ihren Ehefrauen und Geliebten – gegenüber fallen lassen sollten, würde die Strafe auf dem Fuße folgen: Das Krummschwert des Henkers würde ihnen mit aufblitzender Klinge den Kopf vom Körper trennen.

Sein Vater hatte gelächelt: »Drohungen wirken nicht in unserer Welt. Ohne diese Drohung hätten die Kalligraphen das Werk vielleicht abgeschrieben und sich dann ihrer nächsten Aufgabe zugewandt. So aber weckte die Gefahr ihre Neugier. Während elf von ihnen die Verfügung des qadi akzeptierten, schaffte es der zwölfte, die Hälfte des ersten Gedichts und einen Großteil des zweiten zu kopieren und an seine Familie in Damaskus zu schicken. Sein Sohn, ebenfalls ein Übersetzer, arbeitete später in der Schule von Toledo. Er heiratete eine Frau aus Qurtuba. Ihr Enkel entdeckte das unvollständige Manuskript, das unter al-Koran in einer alten Truhe verborgen lag, und gestattete meinem Urgroßvater, es in seinem Haus zu lesen. So entdeckte unser Vorfahr, dass das griechische Buch in geheimen Fächern in der Bibliothek von Palermo aufbewahrt worden war. Nur mit einer Sondererlaubnis des Kalifen durfte man als Gelehrter die geheime Abteilung der Bibliothek betreten.«

Irgendwann im Laufe seines ersten Jahres in der Bibliothek des alten Palastes von Palermo, der längsten Reise, die sein Geist je unternommen hatte, war er über die geheime Abteilung gestolpert und hatte den Palastkämmerer informiert, der wiederum seinem Herrn die Nachricht überbrachte.

Sultan Rujari hatte seine Mahlzeit unterbrochen und war in die Bibliothek geeilt. Idrisi, der dem Nazaräerfürsten zum ersten Mal gegenüberstand, erklärte ihm, warum er so aufgeregt war. Der Sultan hatte noch nie von al-Homa gehört, verkündete aber, dass er das Manuskript sofort selbst studieren wolle. Sein gesprochenes Arabisch war zwar nicht perfekt, doch lesen konnte er die Sprache durchaus. Der Kämmerer nahm also das Manuskript und wollte die Bibliothek verlassen, als der Sultan die Enttäuschung auf dem Gesicht des jungen Gelehrten sah und seinem Bediensteten befahl, die besten Kalligraphen von Palermo zu suchen und sie an die Arbeit zu setzen. Er wollte eine neue Abschrift, die bei der Rückkehr aus Noto auf ihn warten sollte. Dann wandte er sich an den jungen Turbanträger, der eine demütige Haltung eingenommen hatte.

»Euer Name?«

»Muhammad ibn Abdallah ibn Muhammad al-Idrisi, Eure Majestät.«

»Meister Idrisi, wenn wir beide dieses Werk sorgfältig gelesen haben, werden wir miteinander darüber sprechen. Lasst uns das Wissen vergleichen, das wir aus ihm ziehen. Wenn das Arabisch der Übersetzung zu kompliziert ist, werde ich Ahmed aus Djirdjent holen lassen.«

***

Sechs Wochen später wurde der junge Gelehrte zu Rujari gerufen. Inzwischen hatte er sogar einige Verse aus al-Homas Werk auswendig gelernt.

»Ich verstehe einfach nicht, warum dieses Werk eure Theologen so beunruhigt hat?«

»Ich glaube, sie konnten es nicht ertragen, dass Götter und Menschen einen so lockeren Umgang miteinander pflegten, Herr der Weisen. Und Götter nach dem Abbild von Männern und Frauen konnten sie einfach nicht dulden. Einen anderen Grund kann ich mir nicht vorstellen.«

»Aber das ist doch das Schönste daran. Ihre Götter waren Teil von allem, was geschah: Kriege, Überschwemmungen, Unglücksfälle, Abenteuer im Himmel und auf dem Meer, Familienstreitigkeiten, Geburten, Hochzeiten, Todesfälle, Wiedergeburten. Glaubt Ihr, dass die Gattin des Seefahrers Odysseus, die alle irdischen Freier abwies, vielleicht dem Charme eines Gottes erlegen wäre? Ich wundere mich, dass es keiner von ihnen probiert hat. Ich muss sofort eine Übersetzung ins Lateinische anfertigen lassen, wenn es nicht schon eine gibt. Könntet Ihr das für mich herausfinden? Wenn nur der Vatikan eine hat, dann werden wir unsere eigene Übersetzung brauchen. Den Mönchen missfällt dieses Werk sicher ebenso wie dem qadi. Was hat Euch am meisten angesprochen? Die Tricks und Kniffe der Frauen? Oder die Angst vor dem Unbekannten? Oder das Leben als Reise, die nie zu Ende geht, unterbrochen nur von Geduldsproben?«

»Dies alles fand ich interessant, Eure Majestät, aber fasziniert war ich von etwas anderem: Al-Homas Gespür für Geografie hat mich verblüfft. Im zweiten Teil seines Werkes beschreibt er unser Meer und die Inseln, Länder und Bäume. In alten Zeiten sind die Menschen nicht so viel gereist wie wir heute. Die meisten wurden in dem Dorf begraben, in dem sie auch geboren worden waren. Al-Homa erzählte ihnen von einer anderen Welt außerhalb ihres Dorfes und ihrer Insel. Dem Menelaos legte er diese Worte in den Mund:

Irrte umher in Kypros, Phönikien, bei den Ägyptern, zu den Äthiopiern kam ich, Sidonern und den Erembern.

»Und was ist mit einäugigen Riesen und den Verführerinnen, die nicht weit von diesen Küsten Schiffe stranden ließen?«

»Der eine oder andere Unfug, erhabener Sultan, nichts weiter. Er offenbart die enorme Fantasie des Dichters, das ist alles. Wirklich bemerkenswert an diesem Werk ist in meinen Augen, dass die Beschreibungen von tatsächlich existierenden Dingen fast genau stimmen. Er hat unsere Insel besucht und sie Skylla genannt. Ich bin überzeugt davon, dass al-Homa ein Seefahrer war. Und er hat in einem Krieg gekämpft, aber es war die Landkarte seiner Reisen, die sein Gedächtnis prägte.«

»Der Kämmerer hat mir gesagt, dass auch Ihr ein Kartenzeichner seid.«

Idrisi verbeugte sich.

»Wenn Ihr die Arbeit in dieser Bibliothek abgeschlossen habt, möchte ich über all Eure Entdeckungen unterrichtet werden.«

In den nächsten dreizehn Monaten hatte Idrisi alles – Geliebte, Freunde, Schüler – für die Suche nach der Wahrheit aufgegeben. Der Sultan hatte ihm völlige Freiheit in seiner Bibliothek gelassen, und abgesehen vom Essen und den damit notwendigerweise verbundenen Körperfunktionen verbrachte er seine Tage über die Handschriften gebeugt. Die Palasteunuchen nannten ihn oft Abu Kitab, Vater des Buches. Später, als enger Vertrauter des Sultans, brachte ihm sein höherer Status einen pompöseren Titel ein: Jetzt sprach man vom Emir al-Kitab.

Jene Monate in der Bibliothek hatten ihn begeistert, denn al-Homa war nur der Anfang gewesen. Idrisi begab sich auf Ithaci und den anderen Inseln auf Spurensuche. Oft fragte er sich, ob al-Homa diese wunderbaren Werke allein geschrieben oder ob er die Geschichten geerbt und sie mit seinen eigenen göttlichen Worten zusammengeführt hatte. Und wie verblüffend war die Entdeckung, dass nur wenige Generationen nach al-Homa Xenophanes ihn mit ähnlichen Worten angeprangert hatte wie später die Theologen seiner Zeit: »Homer hat den Göttern alles zugeschrieben, was unter Menschen als ehrlos und tadelnswert gilt – Diebstahl, Ehebruch und Betrug.« Und hatten die Geschichtenerzähler in Bagdad, die die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht sammelten, Odysseus vor Augen, als sie ihre eigenen Geschichten von Sindbad dem Seefahrer schufen? All diese Fragen, ja sogar al-Homa selbst, gerieten jedoch bald in Vergessenheit, als Idrisi nach und nach weitere Schätze hob, die seinen Interessen noch mehr entgegenkamen.

Bei der Lektüre der arabischen Übersetzungen von Herodot, Aristoteles, Galen, Strabo und Ptolemaios war es ihm, als entdecke er ferne Länder, die ihm durch die Geschichten von Reisenden vertraut waren. Zwar hatten schon seine Privatlehrer ihn mit den griechischen Autoritäten bekannt gemacht, aber damals war er noch zu jung gewesen, um sie richtig zu schätzen. Ptolemaios' Ideen hallten in seinem Kopf nach wie die Töne einer fernen Flöte.

Eines Tages stieß er auf eine anonyme Handschrift, die ihn begeisterte. Wer war der Autor von »Die Bibliothek«? Noch immer erinnerte er sich an den ersten Satz: Der Himmel war der erste, der über die ganze Welt herrschte. Es war die Geschichte der Götter und ihrer Unterwerfung der Welt, zwar nicht so anregend zu lesen wie Ptolemaios oder selbst Strabo, aber doch sehr viel spannender. Hier las er von Herakles' kurzem Besuch auf Siqilliya. Der Himmel war der erste, der über die ganze Welt herrschte. Der Satz ging ihm nicht aus dem Kopf. Warum sollte er mit den Worten »Im Namen Allahs, des Wohltäters ...« beginnen wie jeder andere Gelehrte in seiner Welt. Warum?

Während seines ersten Jahres in der Bibliothek ließ der Sultan ihn oft in seine Gemächer rufen und befragte ihn gründlich nach seiner Lektüre. Rujari war nicht groß, aber er hatte seltsame, weit ausholende Gesten, und wenn er aufgeregt war, schwangen seine Arme hin und her wie Segel im Sturm. Idrisi war gerührt, dass ihn der Sultan so vorbehaltlos bei sich aufnahm.

»Was wollt Ihr mit all diesem Wissen anfangen, Meister Idrisi? Ihr könnt Eure eigenen Kinder unterrichten und die meinen, aber wird Euch das genügen?«

Idrisi erinnerte sich an das unruhige, selbstironische Lächeln, mit dem er bekannte, was er eigentlich wollte. »Wenn der Sultan es erlaubt, würde ich gerne eine Universalgeografie schreiben. Ich werde die Welt, die wir kennen, als Landkarte zeichnen und die Länder erforschen, die uns noch unbekannt sind. Das wird unseren Kaufleuten und den Befehlshabern auf unseren Schiffen nützen. Diese große Stadt ist der Mittelpunkt der Welt. Kaufleute und Reisende machen hier Halt, bevor sie in den Westen oder Osten gehen. Sie können uns viele Informationen liefern.«

Die Freude des Sultans war nicht zu übersehen. Er schickte nach dem Kämmerer und befahl ihm, dem Gelehrten und Meister Muhammad al-Idrisi von nun an jeden Monat die Summe von zehn Tari vom Diwan auszubezahlen. Außerdem sollte er in der Nähe des Palastes untergebracht werden. Als der Kämmerer sich verbeugte und gehen wollte, fiel Rujari noch etwas ein.

»Und er wird ein Schiff brauchen, ein stets seeklares Schiff, mit dem er segeln kann, wohin immer er befiehlt. Sucht einen zuverlässigen Kapitän für ihn.«

Idrisi fiel auf die Knie und küsste die Hände seines Wohltäters. Rujaris Großmut freute ihn, aber er machte sich auch Sorgen, weil sie außerhalb des Palastes Neid erregen konnte. Seine Arbeit würde ungehindert voranschreiten, aber die meisten Freunde würden ihm vielleicht von jetzt an mit Misstrauen begegnen. Jeden Freitagabend, wenn die Stadt zur Ruhe gekommen war, traf sich eine kleine Gruppe von Dichtern, Philosophen und Theologen – insgesamt dreißig Männer – in einem kleinen Zimmer mitten in der Ayn-al-Shifa-Moschee. Bis der mehfil vom Morgenruf des Muezzin gestört wurde, diskutierten sie dort Themen, die die Bedürfnisse der Gemeinschaft der Gläubigen auf der Insel betrafen. Bisher hatten sie ihn als einen der Ihren akzeptiert, aber wie lange noch?

Rujari verheimlichte nicht, wem seine Sympathien gehörten. Wie sein Vater ignorierte er den Papst, wo immer es ging, und verließ sich stattdessen auf die Loyalität seiner muslimischen Untertanen. Sie wussten, dass Sultan Rujari ihnen von sich aus kein Härchen krümmen würde. Es waren seine Barone und Bischöfe, die ihm giftige Gedanken einflüsterten. Sie waren entschlossen, alle Gläubigen zu bekehren oder von der Insel zu vertreiben. In den Basaren von Palermo, Siracusa und Catania kursierten Gerüchte, nach denen die englischen Mönche Rujari auf Drängen des Papstes rieten, die Wälder und Täler von Muslimen zu reinigen und sich dem heiligen Kreuzzug gegen die Anhänger des falschen Propheten anzuschließen. Manche sagten sogar, dass es schon ausgefeilte Pläne gebe, Noto niederzubrennen und die Überlebenden lebendig zu begraben. Solche Gerüchte sickerten gewöhnlich vom Palast aus in die Stadt. Jedes Kind in Palermo wusste, dass es im Palast kein Geheimnis gab, das die Eunuchen nicht ausspionierten.

Aber es gab auch andere Stimmen, denn bei Hofe hatte keineswegs eine Gruppierung allein das Sagen. Rujari war womöglich sogar eher geneigt, auf seine muslimischen Berater zu hören. Younis al-Shami, sein alter Lehrer aus Noto, der Gelehrte und Weise, der ihn in Arabisch, Astronomie und Algebra unterrichtet hatte, wurde mit Hochachtung behandelt. Er lebte noch immer im Palast und überwachte die drei Lehrer, die für die Ausbildung der Prinzen zuständig waren. Diese jungen Männer hatte er sorgsam ausgewählt, aber dennoch war er mit ihren Leistungen niemals zufrieden. Oft entließ er sie mit einem derben Fluch und übernahm selbst den Unterricht. Die Jungen kicherten und erzählten ihrem Vater alles über ihren Unterricht, weil sie genau wussten, dass ihn das amüsierte. Den Palastgerüchten nach traf Rujari keine wichtige Entscheidung, ohne Younis zu fragen, aber Gerüchte sind, wie jeder Eunuch bestätigen wird, nur verlässlich, wenn die Quelle gut ist.

Die Sonne brannte Idrisi jetzt zu stark. Er stieg die Leiter hinab und ging in seine Kabine zurück. Mit einem Seufzer ließ er sich in die weichen Kissen fallen, die heruntergebracht worden waren, um seinem Hinterteil die Unbequemlichkeit der rohen, am Boden festgenagelten Holzbank zu ersparen. Dann starrte er wieder auf die dickleibige Handschrift auf dem Tisch vor ihm. Ja, das Buch war abgeschlossen, nur der erste Satz fehlte. Auf der Reise – er spürte, dass es seine letzte sein würde – hatte er mehrere Wochen über den ersten paar Worten gebrütet. Die Wankelmütigkeit hatte sein Denken abstumpft. Er war fest überzeugt davon, dass es der Anfang war, der ihm Kopfzerbrechen bereitete, und kam deshalb gar nicht auf die Idee, dass es auch das Ende sein könnte. Immerhin hatte er fast elf Jahre an diesem Werk gearbeitet und ihm seine Zeit restlos gewidmet. Er dachte an seinen Freund Ibn Hamid, dessen Vorwürfe noch immer in seinem Kopf widerhallten; an seine Frau Zaynab, die ihn in Palermo zurückgelassen hatte und mit ihren beiden Töchtern wieder zu ihrer Familie nach Noto gezogen war; und vor allem an seinen jüngeren und liebsten Sohn, Walid, der ein Kaufmannsschiff nach China bestiegen hatte und ohne ein Wort des Abschieds aus ihrer Welt verschwunden war. Wenn die Zollwache ihn nicht auf dem Schiff gesehen hätte, wüsste er bis heute nicht, wo er geblieben war. Das war fünfzehn Jahre her, und seitdem hatten sie nichts von Walid gehört. Zaynab gab ihrem Mann die Schuld, sie warf ihm vor, er habe den Jungen vernachlässigt.

»Du verbringst mehr Zeit mit dem Sultan in seinem Palast als mit deiner Familie. Womöglich hat er ein paar Zimmer im Harem für dich.«

Und so war das Buch zu einem Archiv all seiner Gefühle geworden. Aber auch das Buch würde ihn bald verlassen, und das war, obwohl er sich dessen nicht bewusst war, der wahre Grund seiner Melancholie. Nicht die ersten Zeilen. Die waren nur ein Vorwand, um die Trennung hinauszuschieben. Das Plätschern der Wellen am Schiffsrumpf lullte ihn ein, aber er wusste, dass er es nicht länger hinauszögern konnte. Bald würden die Minarette in Sicht kommen. Er griff zur gespitzten Feder und tauchte sie ins Tintenfass.

Wenn er seinem Denken treu blieb, dann würde er mit dem alten Stil brechen und stillschweigend die Beschimpfungen erdulden, die unweigerlich folgen würden. Viele seiner Bekannten, von denen er einige sehr mochte, würden sich durch seine Entscheidung in ihrem Verdacht bestätigt sehen, dass er ein Verräter war, ein Apostat, der insgeheim dem Glauben abgeschworen und sich an den christlichen Sultan verkauft hatte.

Er konnte darauf erwidern, dass sein Vater den Anspruch erhob, in direkter Linie von der Familie des Propheten abzustammen. Das taten Tausende andere ebenso, würden sie einwenden. Jeder wusste, dass die Familie des Propheten nicht so groß gewesen war. Vielleicht sollte er doch dem alten Brauch treu bleiben und mit der altehrwürdigen Lobrede auf die Großmut Allahs, die unbeirrbare Hingabe seines Propheten, die Unvoreingenommenheit und Gerechtigkeit des Sultans und all den anderen blumigen Worten beginnen. Das würde allen gefallen und ihm die Arbeit an einem neuen Buch gestatten. Warum aber sollten er und andere wie er zu ewiger Wiederholung verdammt bleiben? Eine Antwort auf diese Frage hatte er noch immer nicht gefunden. Ganz auf den Aufruhr in seinem Inneren konzentriert, schritt er in der Kabine auf und ab. Vielleicht würde er dieses eine Mal alle überraschen. Er würde im Namen Satans beginnen, der aufbegehrt hatte, der abgefallen und bestraft worden war.

Bei dem Gedanken musste er lächeln. Auch die Wellen unter dem Schiff wollten ihn, so schien es, zu dieser Häresie ermutigen. Sie flüsterten: »Tu es. Tu es. Tu es.« Doch wenn er sein Ohr an die Schiffsplanken legte, um die Wellen besser zu hören, verstummten sie, und die Wankelmütigkeit überwältigte ihn wieder. Er zürnte seiner Welt und sich selbst.

Bisher hatte ihn seine einfache Aufgabe leidlich abgelenkt. Er beobachtete die Küstenlinien, gab sie in seinem Notizbuch wieder und sorgte dafür, dass die Karte, die auf dem Tisch festgesteckt war, ihr genaues Abbild wurde. Dies war seine dritte Reise rund um die Insel. Wenn er doch nur die ganze Welt so hätte kartieren können, ohne auf die Geschichten von Kaufleuten und Seefahrern angewiesen zu sein, die einander oft widersprachen, wenn sie die Form Chinas oder die südliche Hälfte Indiens beschrieben. Seltsam, wie oft sie sich ganz verschiedene Früchte aussuchten, um dieselbe Region zu beschreiben. Ein winziges Eiland vor China wurde zur Litschi oder zum Apfel, der Südteil Indiens zur Mango oder Birne.

Es gab Zeiten, in denen er sich nichts sehnlicher wünschte, als fliegen zu können und wie ein Falke über dem Meer zu schweben. Warum hatte Allah keine riesigen Vögel geschaffen, die einen Wagen am Himmel ziehen konnten? Dann hätte er von oben auf die Länder und Meere hinabschauen und seine Karten verbessern können. Es wäre so einfach gewesen. Oder auf einem Riesenfalken über die Kontinente zu fliegen. Nur so könnte er sicherstellen, dass seine Karte ein getreues Abbild der Erde lieferte. Er kannte die Konturen dieser Insel so gut wie seinen eigenen Körper. Manchmal stattete seine Fantasie die Landschaft, die er vom Meer aus sah, mit menschlichen Formen aus: ab und zu ein zorniger Gott der Alten, oft aber auch eine Frau. Manchmal beobachtete sie ihn, auf ihre Ellenbogen gestützt, und er lächelte über ihre griechischen Augen, bewunderte ihr helles Damaszenerhaar, das sternengleich schimmerte und in der Sonne die Farbe veränderte. Wenn das Schiff sich bewegte, erkannte er, dass sie ihn gar nicht ansah. Starr schaute sie nach Ifriqiya hinüber.

Dann senkte er den Blick und überlegte, wie lange es wohl bis zur nächsten Schönheit aus Stein dauern mochte. Wenn seine Schätzungen korrekt waren, würden sie die Nordspitze der Insel in anderthalb Tagen erreichen. Beim letzten Mal hatte die raue See die Reise verlängert. Drei Tage später hatte er sie gesehen, eine schöne Kriegerin, hoch aufgerichtet, zornig und bedrohlich, anders als die berüchtigten Sirenen in al-Homas Gedicht. »Ich bin kein Feind«, hatte er immer wieder geflüstert, während das Schiffvorüberglitt. »Ich bin ein Kartenzeichner. Ich will bewahren, nicht zerstören.« Auch sie hatte ihn verschmäht, und enttäuscht hatte er sich wieder den Wellen zugewandt, um sich bei ihnen zu beklagen.

Auf dieser letzten Reise jedoch hatte er nicht das geringste Interesse an seinen alten Freunden gezeigt. Er machte sich noch nicht einmal die Mühe, die Frauen anzuschauen, als die Winde das Schiff an ihnen vorbeitrieben. Er war mit seinen Gedanken woanders.

Die älteren Mitglieder der Besatzung, darunter der Koch mit dem ergrauenden Haar, waren schon viele Male mit ihm auf See gewesen. Sie kannten seine Stimmungen, verstanden seine Leidenschaften und respektierten, dass er von dem Ziel besessen war, eine Karte der Welt zu zeichnen. Sie hatten seine traurigen Augen und die Abwesenheit in seinem Blick gesehen, als ob die Zeit jede Bedeutung verloren hätte. Und sie zerbrachen sich den Kopf über ihn. Was mochte ihn wohl plagen? Vielleicht eine Liebesgeschichte? Der junge Mann mit den dunklen Augen aus Noto? Bestimmt sehnte er sich nicht immer noch nach der houri in Palermo? Oder vielleicht Mayya? Sie waren zu der Überzeugung gekommen, dass nur Mayya, die Kaufmannstochter, eine Erklärung für die Verzweiflung in den Augen des Meisters sein konnte. Mayya, die der Kartenmacher mehr geliebt hatte als jedes andere Wesen auf dieser Welt und die er zu seiner Frau hatte machen wollen; Mayya, die ihn hemmungslos betrogen hatte, während er auf Reisen war.

Der Sultan hatte gerufen, und sie war diesem Ruf bereitwillig ins königliche Schlafgemach und später in ihre eigene Zimmerflucht im Palastharem gefolgt. Wie der Kartenzeichner seinen Schmerz beherrscht und vor den Blicken der Neugierigen in Palermo verborgen hatte, war zum Gesprächsstoff in den Kaffeehäusern des Basars geworden, allerdings nur kurze Zeit. Im Basar waren andere Dinge wichtig, und das gebrochene Herz eines jungen Gelehrten fesselte die Aufmerksamkeit dort allenfalls für ein paar Stunden.

Für denselben Sultan Rujari hatte Muhammad al-Idrisi nun dieses Buch geschrieben. Er selbst hatte ihm den schlichten Titel Nuz'hat al-mushtaq oder Die Universalgeografie gegeben, aber Rujaris alter Lehrer Younis hatte ihm geraten, als Titel vielleicht doch eher al-kitab al-Rujari, Das Buch des Roger, zu wählen, weil das Buch schließlich ohne Rujaris großmütige Hilfe nie zustande gekommen wäre. Was blieb ihm angesichts einer solchen Anregung aus dem Herzen des Palastes anderes übrig, als sich zu verbeugen und zu gehorchen? Idrisi schluckte seinen Zorn hinunter, aber die Eunuchen des Hofes sorgten dafür, dass jeder kleine Krämer im Basar von Palermo von der Änderung des Titels erfuhr. Im Basar munkelte man, Idrisi verdanke Rujaris Gunst der Bereitwilligkeit, mit der er dem Sultan die Gunst seines Körpers gewährt habe. Der neue Titel schien diese Verleumdung zu bestätigen, und jeder schmückte die Geschichte mit pikanten Einzelheiten aus, bevor er sie weitergab. So entstand aus der Eitelkeit eines Herrschers ein vielschichtiges Epos, in dem ein Abkömmling des Propheten zutiefst erniedrigt wurde, und das nicht zum ersten Mal.

Der Gegenstand all dieser Aufmerksamkeit fragte sich allmählich, ob womöglich sein Verdruss wegen des neuen Titels noch größer war als der wegen der ersten Zeilen. Seit mehr als einem Jahr raubte ihm ein anderer Traum immer wieder den Schlaf und vertrieb die beglückende Erinnerung an seine Geliebte Mayya: Er sah Sultan Rujari vor sich, immer in derselben leuchtenden Satinrobe, wie er halb entblößt unter einem Zitronenbaum lag, der sich unter reifen Früchten bog. Rujari stand auf, warf die Robe von sich und wollte sich an einer angebundenen Hirschkuh vergehen, aber gerade in dem Augenblick, in dem die Vereinigung zwischen der Menschen- und der Tierwelt vollzogen werden sollte, erwachte Idrisi – in bebender Unruhe. Er sprang aus dem Bett, wanderte über den kalten Marmorboden und murmelte: »Du solltest nicht so oft in meinen Träumen erscheinen.« Dann trank er langsam ein paar Schluck Wasser, um seine geschundenen Nerven zu beruhigen. Nur schwer fand er wieder in den Schlaf. Warum hatte er diesen Traum nur, wenn er in Palermo war? Nie auf See und nie, wenn er seine Familie in Noto besuchte oder in Djirdjent im Haus seines engen Freundes, des Arztes Ibrahim bin Hiyya, übernachtete. Einmal hatte er versucht, mit ihm darüber zu reden, aber Ibrahim hatte gelacht und gesagt, er habe keinerlei Interesse an Traumdeuterei.

Mehr als einmal hatte Idrisi daran gedacht, Ibn Hammud aufzusuchen, den reichsten Seidenhändler im qasr, der neben seinen Geschäften Träume deutete und sich der Ängste beunruhigter Menschen annahm. Viele Menschen pilgerten zu ihm, und einmal stand auch Idrisi schon vor seinem Laden, aber er betrat ihn nicht. Seine Vorsicht war zu einem unüberwindlichen Hindernis geworden. Es war viel zu gefährlich. Ibn Hammud würde den Traum gewiss ausplaudern. Wahrscheinlich würde sogar eine ausgeschmückte Version ihren Weg in den Palast finden. Die Eunuchen würden einander den Traum kichernd erzählen, und jede neue Fassung würde noch peinlicher werden als die vorherige. Dann würden diese Haremswächter die Geschichte den Konkubinen auftischen, und eine von ihnen würde einen bereitwilligen Eunuchen dazu anstacheln, sie dem Sultan ins Ohr zu flüstern. Der Sultan würde in Zorn geraten, und das könnte das Ende von allem bedeuten. Nicht nur das Ende des Buches, sondern auch das seines Autors. Und wenn Rujari richtig in Wut geriet, dann würde er sein Mütchen auch an den Eunuchen kühlen. Das Risiko war einfach zu groß.

***

In den letzten zehn Jahren hatte das Buch Idrisis Leben ausgefüllt, doch als das Schiff sich Palermo näherte, wusste er, dass er endlich die letzten Zeilen schreiben musste. Der Sultan würde ungehalten werden. Er wollte das Buch lesen, doch er war dem Tode nahe, und seine Krankheit hatte ihn unduldsam werden lassen. Allah allein wusste, was mit dem armen Kartenzeichner nach dem Dahinscheiden seines Patrons geschehen würde. Wieder klang ihm der spöttische Abschiedsgruß seines besten Freundes in den Ohren, an dem Tag, als Ibn Hamid die Insel für immer verlassen und ein Schiff mit dem Bestimmungshafen Malaka in al-Andalus bestiegen hatte.

»Komm mit mir, Muhammad«, hatte der Dichter gesagt. »Hier wirst du immer nur ein armseliger Bettler in einer fremden Hauptstadt sein.«

Warum sollte er noch länger zögern? Warum sollte er nicht schreiben, was er wollte? Entschlossen zog sich Muhammad al-Idrisi in seine Kabine zurück, setzte sich an den Tisch und schrieb einen einzigen Satz auf die erste Seite seiner Universalgeografie:

Die Erde ist rund wie eine Kugel, und die Wasser haften an ihr und werden durch ein natürliches, unveränderliches Gleichgewicht auf ihr gehalten.

Geschafft. Dies würde der Anfang seiner persönlichen Ausgabe des Werkes sein. Auf den anderen wollte er Allah rühmen, den Propheten, den Sultan und alle, die für solche Schmeicheleien empfänglich waren. Ein Kompromiss, aber er war zufrieden damit.

Er stieg wieder an Deck und sog noch einmal tief die Seeluft ein. Palermo musste sehr nahe sein, denn die Brise trug die schweren Düfte von Kräutern, Blumen und Zitronen mit sich. Er kannte sie gut, er hatte die Pflanzen und Bäume sorgfältig katalogisiert. Keiner seiner Freunde wollte akzeptieren, dass sie sich von denen anderer Inseln unterschieden, und die Arroganz, mit der diese Männer ihr Unwissen zur Schau trugen, erzürnte ihn sehr. Er hatte sich ausführliche Notizen zu den Kräutern und Blumen der Mittelmeerinseln gemacht und nach so vielen Jahren der Arbeit und der Reisen konnte er eine Insel im Dunkeln allein an ihren Gerüchen erkennen. Er lächelte, als ihm jene Sommernacht einfiel, in der er auf Deck gelegen und zu den Sternen aufgeblickt hatte – nur das sanfte Plätschern des Meeres gegen das harte braune Holz des Schiffes war zu hören gewesen. Ihm war der Duft einer besonderen Thymianart in die Nase gekommen, und er hatte sofort gewusst, dass sie sich Sardinien näherten. Der Duft von Palermo traf ihn immer wie ein Peitschenschlag. Oft überwältigten ihn dabei bittersüße Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend.

Ein Junge – nicht älter als siebzehn oder achtzehn, mit bronzener Haut und langem, goldenem Haar – unterbrach seine Tagträumereien. Mit einem Glas Zitronen-sherbet kam er auf ihn zu und entblößte lächelnd schneeweiße Zähne. Wie hielt er sie nur so sauber? Er war froh, dass Simeon sich wieder gefangen hatte, aber sein Schuldbewusstsein minderte das kaum. Idrisi war still geblieben, als er eines Nachts die Schreie des Jungen hörte, er hatte nichts getan, obwohl er doch wusste, dass er allein durch sein Eingreifen die Qualen des Jungen hätte beenden können. Der Kommandant des Schiffes hatte ein althergebrachtes Recht ausgeübt. Ohne Rücksicht auf Simeons Schmerz und seine Zartheit hatte er ihn brutal vergewaltigt. Droit ancien de marinier. Und dann liefen Idrisi plötzlich Tränen über die Wangen, als ihm klar wurde, dass er an Walid gedacht hatte. Hatte ihn ein Kapitän ebenso brutal missbraucht wie sein Schiffsführer diesen Jungen? Weil er nicht wusste, wo sein Sohn war, schmerzten ihn die Qualen des jungen Flötenspielers besonders.

Nach der Vergewaltigung hatte der Junge eine Woche lang weder gegessen noch Flöte gespielt noch den Seeleuten ins Gesicht zu schauen gewagt, obwohl doch einige von ihnen selbst diese brutale Erniedrigung erduldet hatten. Auch sie hatten die gleichen unerträglichen Schmerzen erlitten, sie kannten seine Scham und hätten seine Not nachfühlen können. Andere hatten gelacht und ihn gehänselt, und mit der Zeit hatte sich der Junge erholt. Das erste Zeichen für seine Rückkehr zum alltäglichen Rhythmus des Lebens an Bord waren die klagenden Töne einer Flöte bei Sonnenuntergang, die Abschied nahmen vom sterbenden Tag. Kaum ein Auge war trocken geblieben. Der Mann, der Karten zeichnete, hatte sich, verzehrt von Schuldgefühlen, fest vorgenommen, einen besseren Platz für diesen Jungen zu finden. Idrisi trank den sherbet, gab das Glas zurück und strich über den Kopf des Jungen.

»Wart Ihr je in Bagdad, Meister? Habt Ihr das Haus der Weisheit gesehen, das große Räume hat, um den Himmel zu beobachten, und viel mehr Bücher als die Bibliothek unseres Sultans?«, fragte der Junge. »Wie sieht die Stadt aus? Stimmt es, dass unsere Stadt größer ist als Bagdad? Ist das überhaupt möglich? Und Qurtuba? Ihr kennt diese Stadt doch gut, Meister? Werdet Ihr eines Tages dorthin zurückkehren?«

Der Kartenzeichner nickte, aber bevor er etwas erwidern konnte, kamen die Minarette von Palermo in Sicht. Plötzlich war das Deck voller Männer, die »Allahu akbar« riefen und »Siqilliya sana-hallahu«, »Sizilien, möge Allah es bewahren!«, und sich auf die Ankunft vorbereiteten. Erschöpfte junge Männer, deren verbrannte Haut und müde Gesichter die Mühsal ihres Handwerks zeigten, holten die rostfarbenen Segel ein und legten sie auf Deck zusammen. Im Dämmerlicht stimmte die Besatzung ein leises, trauriges Lied an, während sie das Schiff in den Hafen ruderte. Der Kapitän wollte sich ein Lob für die Disziplin seiner Mannschaft abholen, trat zum Gelehrten und verbeugte sich, aber Idrisi ignorierte ihn, um ihn für die Vergewaltigung des Jungen zu strafen. Vor allem aber war der Autor der Universalgeografie mit der Beobachtung des immer noch klaren blauen Himmels und des Mondes beschäftigt, der schon hoch am Himmel stand und der sinkenden Sonne die Aufmerksamkeit streitig machte. Es muss wohl der siebte Monat des Jahres sein, dachte er. Er war fast vier Monate lang unterwegs gewesen. Zu lange. Und dann lag die schimmernde Stadt vor ihnen.

Die Seeleute sprachen im Chor »al-madina hama-hallahu«, »Allah schütze diese Stadt«, während sie an den Minaretten vorbeiglitten. Idrisi lächelte, als das Schiff in den Hafen einlief – ein ausdrucksloses Lächeln, ein leichtes Anheben der Augenwinkel, mehr nicht. Er war froh, wieder da zu sein. Die sanfte Brise streichelte sein Gesicht wie die leichte Berührung Mayyas, und unwillkürlich wanderte seine Hand zur Wange, um der Erinnerung nachzuspüren.

Ein Boot ging längsseits, um ihn an Land zu bringen. Er trat zu den Männern an Deck und dankte jedem einzelnen. Mit einem leisen Seufzer ließ er sich locker mit seidenen Bändern auf einen Stuhl binden, der dann zu dem Boot hinabgelassen wurde. Gerne wäre er einfach die Strickleiter hinabgeklettert, aber das ließ der Kapitän nicht zu. Als der Stuhl sein Ziel erreichte, grüßten ihn die Bootsleute: »Wa Salaam ...«

Die Männer trieben das Boot mit kraftvollen Ruderschlägen voran, und bald erkannte er am Pier die vertrauten Gesichter der Höflinge, die zu seinem Empfang ausgesandt worden waren. Er wusste, dass ihr Lächeln und ihre übertriebenen Willkommensgrüße geheuchelt waren und dass sie ihn hassten, weil er so leichten Zugang zum Palast hatte. In der Gruppe leuchtete der weiße Bart des Palastkämmerers Abd al-Karim, und er rief so laut, wie es seine Jahre erlaubten:

»Macht euch bereit, den Meister ibn Muhammad ibn Sharif al-Idrisi zu empfangen, der von einer langen Reise auf der Suche nach den Wurzeln des Wissens nach Hause zurückgekehrt ist.« Wie es der Brauch verlangte, antworteten die anderen und priesen die sichere Rückkehr des Schiffes und seines Passagiers.

»Es gibt nur einen Gott und das ist Allah und Muhammad ist sein Prophet. Willkommen zu Hause.«

Früher war der Ärger, den er in solchen Situationen empfand, durch die Anwesenheit seines Freundes Marwan aufgewogen worden, über dessen Willkommens-Grinsen er sich wirklich gefreut hatte. Aber auch Marwan hatte die Insel verlassen. Er hatte seine Ländereien und seine Bauern in Catania im Stich gelassen und war nach al-Andalus in die Stadt Ishbiliya geflohen. Hier hatte ihm der Sultan al-Mutammid Schutz und einen Broterwerb geboten. Die unregelmäßig eintreffenden Briefe enthielten immer dieselbe Botschaft. Auch Idrisi solle Palermo verlassen und in das Haus des Islam zurückkehren. Er antwortete nie, und irgendwann schrieb Marwan nicht mehr.

Jetzt war er allein.

»Wird der Meister getragen oder reitet er?«, fragte Abd al-Karim.

»Ist mein Pferd hier?«

»Ja.«

»Dann reite ich.«

»Der Sultan erwartet Euch heute Abend. Ein Bankett zu Ehren Eurer Rückkehr ist vorbereitet.«

»Und wenn uns ein Sturm aufgehalten hätte?«

Eine andere Stimme antwortete: »Das ist noch nie passiert. Du kehrst immer am festgesetzten Tag zurück, Ibn Muhammad al-Idrisi.«

Der Gelehrte lächelte. Die Stimme und das Gesicht erfreuten ihn. Es war der Berber Jauhar, der Marwans Schwester geheiratet hatte.

»Irgend etwas Neues von Marwan?«

Der Mann schüttelte den Kopf.

»Und du? Ist deine Familie wohlauf? Brauchst du etwas? Ich habe ein paar Seidenstoffe für Marwans Schwester mitgebracht. Wir haben sie gegen Nahrungsmittel getauscht. Ein Handelsschiff aus Genoa steckte in Schwierigkeiten.«

Der Mann lächelte.

»Und jetzt muss ich dich um einen Gefallen bitten. Geh zum Palast und entschuldige mich beim Sultan. Sag ihm, dass die Reise mich angestrengt hat und dass ich beim Bankett einschlafen würde. Morgen werde ich ihm meine Aufwartung machen und ihm von den neuen Entdeckungen berichten, um die er gebeten hat. Ich möchte heute Abend allein sein. Ich muss den Sternen etwas erzählen.«

Jauhar flüsterte mit besorgter Miene: »Das ist keine weise Entscheidung. Der Sultan ist krank. Das hat ihn unberechenbar gemacht. Er könnte deine Weigerung, ihn unverzüglich aufzusuchen, falsch verstehen. Mönche umschwirren ihn, Franken und Griechen. Geier. Sie flüstern dem Sultan Lügen ein. Man bezichtigt uns, eine Rebellion zu schüren.« Idrisi schüttelte den Kopf. Er wolle seine Pläne nicht ändern. »Seine erhabene Majestät weiß, dass ich der treueste seiner Diener bin, aber ich bin viele Tage gereist, ohne ein Bad nehmen zu können, und ich werde in diesem unschicklichen Zustand nicht vor die Augen des Sultans treten. Nach den Morgengebeten eile ich zu ihm. Berichte das dem Kämmerer.«

Die Höflinge hatten diesen Wortwechsel mit angehört und lächelten. Diesmal war er zu weit gegangen. Er würde seine Strafe bekommen. Sie würden alles daransetzen, um vor Jauhar beim Sultan anzukommen und Rujari ihre Version der Geschichte aufzutischen.

Idrisi ritt, von einem einzigen Diener begleitet, zu seinem Haus, das außerhalb des qasr nahe am Meer lag. Er hätte auch im Palastbezirk wohnen können, der Sultan hatte es ihm oft genug angeboten, aber Idrisi hatte darauf bestanden, dass er Einsamkeit zum Nachdenken brauchte. An seinem Manuskript arbeitete er in Räumen, die sich an die Palastbibliothek anschlossen, und oft speiste er mit dem Sultan, aber er wohnte in einem bescheidenen Haus in der Kalisa mit Blick auf das Meer.

Es war eine Wahl, die er nie bereut hatte. Den ständigen Anblick der See empfand er als tröstlich. Ob ruhig oder rau mit weißen Schaumkronen, nie ermüdete sie ihn, trotz der langen Reisen, die er unternommen, und trotz der Stürme, die ihn beinahe das Leben gekostet hatten. Es war ein kurzer Ritt, aber er genoss ihn. Böen des gleichen Windes, der schon das Schiff in die Bucht gebracht hatte, trugen nun Düfte von Kräutern, Wildblumen und Zitronen heran. Mit ihnen kamen auch einige schmerzliche Erinnerungen, aber er schob sie schnell beiseite.

Als er sich dem Pfad am Fuß des Hügels näherte, konnte er einen ersten Blick auf das Haus werfen. Das weiche Licht von Kerzen und Öllampen drang aus allen Fenstern. Dann schaute er genauer hin. Das Licht fiel auch aus den Fenstern über dem Hof, aus Zimmern, die seit Walids Abreise dunkel geblieben waren. Sein Herz raste, und jäh gab er dem Pferd die Sporen.

Kapitel 2

Familienleben und häusliche Narreteien. Idrisi durchkreuzt den Plan seiner Töchter, ihre Ehemänner in eine Falle zu locken und zu betrügen, ist aber entschlossen, seine Enkel zu erziehen.

Die Bediensteten erwarteten ihn wie immer vor dem Haus, mit hoch erhobenen Fackeln, um seinen Weg zu beleuchten. Er stieg ab und schüttelte jedem einzelnen die Hand. Bevor er jedoch die entscheidende Frage stellen konnte, stieg ihm der Duft von gegrilltem Lamm und frischen Kräutern in die Nase, eine Köstlichkeit von ganz besonderer Bedeutung.

Er eilte ins Haus, um zu sehen, ob Walid zurückgekehrt war, doch nur seine Töchter begrüßten ihn, ergriffen seine Hände und küssten sie. Idrisi umarmte sie und küsste sie sanft auf die Scheitel.

»Willkommen zu Hause, Abu Walid«, sagte Samar, die jüngere der beiden, deren rotes Haar im Schein der Öllampen leuchtete.

»Was führt dich hierher, Samar? Und dich, Sakina? Ich dachte, eure Mutter hätte euch verboten ...«

»Du hast deine Enkel seit drei Jahren nicht mehr gesehen, Abu Walid. Unsere Mutter hat unsere Reise gebilligt.«

Er kicherte leise. »Das Alter muss sie milde gestimmt haben. Schlafen die Kinder?«

Seine Töchter nickten.

»Und ich nehme an, ihr habt das Lamm nach den Anweisungen eurer Mutter zubereitet?«

Samar lachte. »Wir waren nicht sicher, ob du heute zurückkommen würdest, doch dann kam vor ein paar Stunden ein Bote vom Palast mit der Nachricht, dass dein Schiff gesichtet worden sei und du heute Nacht eintreffen würdest. Den Knoblauch und die Kräuter haben wir aus Noto mitgebracht.«

Er lächelte anerkennend. »Ich hoffe, dass sie ebenso frisch geblieben sind wie ihr.«

Bevor die beiden antworten konnten, klatschte er in die Hände, hob die Stimme ein bisschen und rief den Hausverwalter herbei. »Ist mein Bad bereit, Ibn Fityan?«

Der Eunuch verbeugte sich. »Thawdor wartet darauf, Eure Exzellenz mit Öl zu salben, und die Diener im Bad haben ihre Anweisungen. Wird Euer Ehren im Haus oder auf der Terrasse speisen?«

»Das sollen meine Töchter entscheiden.«

Wenn er auf der Marmorplatte lag, ließ er den Griechen normalerweise schweigend seine Arbeit verrichten. Aber nicht heute. »Hast du Kinder, Thawdor?«

Der Masseur erschrak. In den sechs Jahren, die er dem Haus diente, hatte der Herr kaum einmal das Wort an ihn gerichtet.

»Ja, mein Herr. Ich habe drei Jungen und ein Mädchen.«

»Ich nehme an, dass zwei Jungen der Kirche versprochen sind?«

»Ich glaube an Allah und seinen Propheten, aber meine Frau ist Nazaräerin und bestand darauf, dass einer von ihnen getauft wurde.«

Jetzt war es an Idrisi, erstaunt zu sein. »Aber dein Name ist griechisch, und ich dachte ...«

»Mein Name ist Thawdor ibn Ghafur, o Meister des Buches. Meine Mutter war Griechin, und obwohl sie zu unserem Glauben übertrat, bestand sie darauf, mir den Namen ihres Großvaters Thawdoros zu geben. Mein armer Vater konnte ihr einfach nichts abschlagen und gab seine Zustimmung.«

Idrisis Neugier war geweckt. Er würde Rujari bitten, ein Register aller gemischten Ehen auf der Insel erstellen zu lassen.

»Und was machen deine Jungen?«

»Sie sind schon junge Männer. Der Jüngste war auf Eurem Schiff bei dieser letzten Reise. Seine Mutter wird froh sein, ihn wiederzusehen.«

Als er das hörte, wurde der Hausherr unruhig. Er stand auf, band sich ein Handtuch um den nackten Leib und rief mit einem Händeklatschen die Diener. Zwei junge Männer betraten den Raum und verbeugten sich.

»Thawdor, beschreibe mir deinen Jungen.«

Danach war Idrisi sicher. »Simeon? Ich habe auf dem Schiff mit ihm gesprochen. Warum hat er nicht gesagt, dass du sein Vater bist?«

»Er hat wahrscheinlich nicht daran gedacht, es zu erwähnen. Ich wundere mich, dass er überhaupt die Kühnheit hatte, Euch anzureden, Herr.«