Das graue Loch - Horst Bieber - E-Book

Das graue Loch E-Book

Horst Bieber

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Beschreibung

Vor knapp einem Jahr wurde Inge Weber, nur mit Slip und BH bekleidet, kauernd und desorientiert auf einer Bank an einem Autobahnrastplatz gefunden. Sie kann sich an nichts erinnern, weiß nicht ihren Namen, nicht, woher sie kommt, nicht, wie sie zu dem Rastplatz gekommen ist und warum sie fast unbekleidet war.
Hauptkommissar Grembowski, der in den vergangenen Monaten alles Erdenkliche getan hat – er hat sich sogar an ›Aktenzeichen XY … ungelöst‹ gewandt –, um die wahre Identität von Inge Weber herauszufinden, glaubt bis heute nicht, dass die Frau tatsächlich an einer Amnesie leidet.
Als er bei seinen Ermittlungen nicht weiterkommt, wird ihm der Fall entzogen und sein Kollege Jens Rogge darf sich daran versuchen. Rogge ist misstrauisch, was kann er anderes tun, als sein Kollege Grem getan hat? Warum wartet man nicht einfach, bis Inge Weber irgendwann ihr Gedächtnis wiederfindet? Immerhin scheint sie sich mit ihrem Schicksal ganz gut abgefunden zu haben: Sie hat einen Job in einer Bäckerei und sogar einen Freund.
Rogge ahnt, dass Kriminalrat Simon, von dem die Anweisung kommt, ihnen irgendetwas verschweigt, dennoch beginnt er auf die ihm eigene Art zu ermitteln: Er mietet sich in dem Ort nahe des Autobahnrastplatzes ein und hört und sieht sich um. Dadurch setzt er Dinge in Bewegung … und er bringt auch einiges in Erfahrung, schließlich sogar einen Namen. Allerdings ist es zu diesem Zeitpunkt für Inge Weber bereits fast zu spät. Längst ist sie in das Visier mehrerer Interessengruppen gerückt … Und die meinen es nicht gut mit ihr!

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Horst Bieber

 

 

Das graue Loch

 

 

 

Ein Kriminalroman 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Neuausgabe

Copyright © by Authors

© Copyright dieser Lizenzausgabe by XEBAN-Verlag.

Verlag: Xeban-Verlag: Kerstin Peschel, Am Wald 67, 14656 Brieselang; [email protected]

Lizenzgeber: Edition Bärenklau / Jörg Martin Munsonius

www.editionbaerenklau.de

Cover: © Copyright by Claudia Westphal nach Motiven, 2024

Korrektorat: Katharina Schönfeld

 

Alle Rechte vorbehalten!

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt beim XEBAN-Verlag. Hiermit untersagen wir ausdrücklich die Nutzung unserer Texte nach §44b Urheberrechtsgesetz Absatz 2 Satz 1 und behalten uns dieses Recht selbst vor. 13.07.2023 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Das graue Loch 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

Horst Bieber – sein Leben und Wirken 

 

Das Buch

 

 

 

Vor knapp einem Jahr wurde Inge Weber, nur mit Slip und BH bekleidet, kauernd und desorientiert auf einer Bank an einem Autobahnrastplatz gefunden. Sie kann sich an nichts erinnern, weiß nicht ihren Namen, nicht, woher sie kommt, nicht, wie sie zu dem Rastplatz gekommen ist und warum sie fast unbekleidet war.  

Hauptkommissar Grembowski, der in den vergangenen Monaten alles Erdenkliche getan hat – er hat sich sogar an ›Aktenzeichen XY … ungelöst‹ gewandt –, um die wahre Identität von Inge Weber herauszufinden, glaubt bis heute nicht, dass die Frau tatsächlich an einer Amnesie leidet.

Als er bei seinen Ermittlungen nicht weiterkommt, wird ihm der Fall entzogen und sein Kollege Jens Rogge darf sich daran versuchen. Rogge ist misstrauisch, was kann er anderes tun, als sein Kollege Grem getan hat? Warum wartet man nicht einfach, bis Inge Weber irgendwann ihr Gedächtnis wiederfindet? Immerhin scheint sie sich mit ihrem Schicksal ganz gut abgefunden zu haben: Sie hat einen Job in einer Bäckerei und sogar einen Freund.

Rogge ahnt, dass Kriminalrat Simon, von dem die Anweisung kommt, ihnen irgendetwas verschweigt, dennoch beginnt er auf die ihm eigene Art zu ermitteln: Er mietet sich in dem Ort nahe des Autobahnrastplatzes ein und hört und sieht sich um. Dadurch setzt er Dinge in Bewegung … und er bringt auch einiges in Erfahrung, schließlich sogar einen Namen. Allerdings ist es zu diesem Zeitpunkt für Inge Weber bereitsfast zu spät. Längst ist sie in das Visier mehrerer Interessengruppen gerückt … Und die meinen es nicht gut mit ihr! 

 

 

***

Das graue Loch

 

Ein Kriminalroman von Horst Bieber

 

 

1. Kapitel

 

Schloss Rilsbruch war zu einem richtigen Schmuckstück renoviert worden. Die Mauerflächen erstrahlten in einem samtenen Ocker, sämtliche Fenster waren erneuert worden. Wie beim Bau Mitte des 18. Jahrhunderts hatte man das Dach wieder mit Schiefer gedeckt. Auf den Wegen lag neuer, noch fast weißer Kies und der frisch angesäte Rasen schimmerte hellgrün.

Harald Lanckenbroick schnaufte beeindruckt. »Du meine Güte, wie viele Millionen hast du denn da reingesteckt?«

Klaus Ochtenhoff winkte lässig ab. »Nicht so viel, Harald. Gar nicht so viel. Das Land hat mir kräftig unter die Arme gegriffen. Denkmalschutz hat seine schlechten, aber auch seine guten Seiten.«

»Idioten«, brummte Lanckenbroick.

»Aber nützliche Idioten.«

»Was machen die anderen?«

»Die warten schon auf uns.«

Fünf Männer saßen um den ovalen Tisch in der Bibliothek und pochten zur Begrüßung mit den Fingerknöcheln auf das kirschrote Holz.

»Bitte um Entschuldigung«, sagte Lanckenbroick statt einer Begrüßung. »Aber meine Maschine hatte fast eine Stunde Verspätung.«

»Macht gar nichts«, erwiderte Bernhard Litten gemütlich. »So haben wir wenigstens in Ruhe einen Schluck trinken können.«

»Gut, dann wollen wir mal.« Ochtenhoff fungierte wegen seiner Rolle als Gastgeber auch als eine Art Versammlungspräsident.

»Um wie viel hat uns unser neuer Freund – wenn man ihn überhaupt so nennen soll – denn betrogen?«

Helmut Vossler, der Kassenverwalter, zog ein mehrfach zusammengefaltetes Blatt Papier aus der Innentasche seiner Jacke und faltete es fast zeremoniell auf. Aus Vorsicht verzichteten die Mitglieder der Runde darauf, wichtige Dinge schriftlich festzuhalten, und wenn es sich nicht vermeiden ließ, etwas aufzuschreiben, wurde das Papier so rasch wie möglich verbrannt. Von ihren Sitzungen fertigten sie weder Protokolle an noch ließen sie ein Tonband mitlaufen. Bloß keine Spuren hinterlassen war das Motto ihrer Treffen. Deswegen ließ sich auch niemand bis zum Parkeingang von Schloss Rilsbruch fahren, sondern stieg vorher aus, schickte den Chauffeur weg und lief ein großes Stück zu Fuß. Sie hatten Angst vor Verrat, Spitzeln und dummen Zufällen und mussten sich jetzt doch mit einem Fall von Verrat und Untreue in ihren Reihen beschäftigen.

»Sieben Millionen«, sagte Vossler endlich knapp und begann, das Blatt in kleine Fetzen zu zerreißen.

»Mehr nicht?«, schnarrte Thomas Schallbeck.

»Das Geld können wir verschmerzen. Aber vergiss nicht, der Kerl weiß jetzt zu viel.«

»Was soll er schon wissen?«, widersprach Schallbeck.

»Er kennt unsere Namen und Absichten und er weiß, dass wir uns aus bestimmten Gründen treffen und – kooperieren.«

Bei dem letzten Wort lachten alle leise. Kooperieren war hübsch und verniedlichte ihre Ziele und Absichten.

»Womit sich die Frage erhebt, was wir mit dem Kerl anstellen.«

»Eine Bemerkung noch, bevor wir abstimmen.« Ochtenhoff war ernst geworden. »So wie ich ihn einschätze, hat er irgendwo einen ausführlichen Bericht über uns deponiert. Den Mann zu beseitigen nutzt uns nicht viel. Wir brauchen den Bericht.«

Lanckenbroick stimmte rasch zu. »Erst diesen Bericht, dann alle weiteren – Maßnahmen.«

»Okay, in dieser Reihenfolge«, pflichtete Ochtenhoff bei. »Dann stimmen wir ab. Wer ist für eine notfalls drastische, aber auf jeden Fall finale Lösung?«

Nach kurzer Bedenkzeit hoben alle sieben Männer eine Hand.

»Alles klar«, sagte Ochtenhoff. »Der Rest ist eine Aufgabe für unsern Freund Litten.«

»Ohne finanzielle Limits?«, erkundigte sich Litten.

»Ohne«, sagte Ochtenoff rasch.

Alle zuckten zusammen, als Vossler sein Feuerzeug klicken ließ und die Fetzen, die er in einen großen Glasaschenbecher gelegt hatte, sorgfältig anzündete.

Ochtenhoff schaute Lanckenbroick an. »Also, wie war’s, Harald?«

»Gemischt. Die Anlage funktioniert, aber die Ausbeute ist kleiner, als wir zugesagt hatten, nur zweihundertfünfzig Liter täglich statt vierhundert. Was da technisch nicht funktioniert, kann ich nicht beurteilen.« Lanckenbroick hatte den großen Vorteil, dass er fließend Arabisch las, sprach und schrieb, aber von Technik und Chemie verstand er nichts; er war Kaufmann und auf diesem Gebiet im Nahen und Mittleren Osten unentbehrlich, da er alle Eigentümlichkeiten und Tricks dieses Marktes kannte. »Ich denke, darum muss sich Freund Peter kümmern.«

Peter Hülsken verzog das Gesicht. Er verreiste nicht gerne, vor allem besaß er eine tiefe Abneigung gegen Dolmetscher, die bei komplizierten technischen Problemen zu schnell abschalteten.

Lanckenbroick zwinkerte ihm zu. »Keine Sorge, Peter, der Obermotz dort ist Chemieingenieur und hat in den Vereinigten Staaten studiert. Ihr könnt direkt miteinander verhandeln.«

»Wenigstens etwas«, brummte Hülsken. »Das Alkoholverbot besteht immer noch?«

»Immer noch. Sogar Rotwein ist verboten.«

»Das war ein guter Übergang. Wie viele Flaschen muss ich noch aus dem Keller holen?«, fragte Ochtenhoff in die Runde. Wenn sie tagten, hatte das gesamte Personal Ausgang. Die sieben Männer einigten sich auf vier weitere Flaschen.

Von den sieben Männern konnte sich nur Siegfried Drostenmayer nicht der bald heiter werdenden Stimmung anschließen. Er wusste, dass sie auf eine finale Lösung nicht verzichten durften, aber sie gefiel ihm trotzdem nicht. Obwohl er zugeben musste, dass sie selten so dreist übers Ohr gehauen worden waren. Der Einzige, der seine Skrupel teilte, war Hülsken, sie blinzelten sich gelegentlich zu, sagten aber nichts.

Solche Krisen gab es immer wieder einmal, die mussten für die große, gemeinsame Sache ausgestanden und bereinigt werden. Cannes war kein gutes Pflaster für sie, erst Höhner, dann dieser Tepper.

Nach zwei Stunden beendeten sie ihre Sitzung. Ochtenhoff brachte die leeren Flaschen in einen Glascontainer an der Straße, nachdem er seine Gäste verabschiedet hatte.

Hülsken und Drostenmayer gingen ein längeres Stück zusammen, sie mussten sich erst vor Kelsterbrück trennen.

»Was geschieht jetzt mit seiner Frau?«, fragte Hülsken beiläufig, aber Drostenmayer ließ sich nicht täuschen. »Du hast dich in sie verguckt.«

»Nein, nicht verguckt, aber sie hat mir gut gefallen, das stimmt, viel besser als er.«

»Hoffentlich hat er ihr nichts erzählt, sonst ist sie auch dran. Du kennst die Spielregeln – aussteigen gibt es nicht.«

»Was passiert jetzt eigentlich?«

»Litten hat mehrere skrupellose Trupps für schmutzige Arbeiten an der Hand. Die wird er wohl losschicken.«

»Ich halte der Frau die Daumen.«

Vor ihnen tauchten die ersten Häuser von Kelsterbrück auf. Hülsken bog ab. Er würde eine andere Autobuslinie benutzen als Drostenmayer. So wenig wie möglich zusammen gesehen zu werden zählte zu den einfacheren Vorsichtsmaßnahmen.

 

 

2. Kapitel

 

Karin Tepper stieg als Letzte aus der S-Bahn und wartete, bis der Zug abgefahren war und die anderen Fahrgäste den Bahnsteig verlassen hatten. In den vergangenen Jahren hatte sich einiges verändert, neue Bänke, andere Kübel mit Blumen, ein Wartehäuschen aus Glas anstelle des hässlichen Betonkastens. Doch der Lautsprecher schepperte und klirrte noch wie früher und die Pflastersteine bildeten Buckel und Senken. Neugierig schaute sie sich um. Heimweh hatte sie nie verspürt, aber jetzt freute es sie doch, dass sie alles sofort wieder erkannte. Im Zug hatten einige Fahrgäste sie neugierig wie eine alte Bekannte angeschaut, doch niemand hatte gegrüßt oder sie angesprochen. Vor dem Ausgang wandte sie sich nach rechts, lief ein Stück am Bahndamm entlang und bog in die Unterführung ein. Hier war es angenehm kühl. Draußen brannte die Sonne aus einem dunkelblauen Himmel, für Anfang September war es zu warm. Ihre Schritte hallten laut wider. Jetzt waren die Taunus-Höhen schon deutlich zu sehen, unwillkürlich ging sie langsamer. Früher hatte sie die Stille des Ortes oft bedrückt, manchmal gereizt, weil sie meinte, in der Einsamkeit zu viel von ihrem Leben zu verlieren.

Keine Sentimentalität!, ermahnte sie sich spöttisch.

An die meisten Häuser erinnerte sie sich, als sei sie erst gestern fortgegangen, und an der Einmündung des Melissenwegs schluckte sie, schwankte einen Moment, ob sie umkehren sollte, und gab sich einen Ruck. Kneifen war nicht länger erlaubt. Vor dem Haus Nummer 14 holte sie tief Luft und stieß das Gartentörchen auf.

Eine junge Frau in Jeans und dünnem Hemdchen öffnete. Links klammerte sich ein strohblonder Junge an ihr Bein, rechts ein Mädchen. Die Ähnlichkeit der Gesichter war so verblüffend, dass Karin leise lachte, es mussten Zwillinge sein, auch wenn das Mädchen jetzt schüchtern den Kopf verbarg, während der Junge sie trotzig musterte.

»Guten Morgen, Frau Alberts, mein Name ist Tepper, Karin Tepper.«

»Guten Morgen«, erwiderte die junge Frau zurückhaltend.

»Hätten Sie vielleicht fünf Minuten Zeit für mich?«

»Um was geht es denn?« Jetzt war ihr Ton so abweisend, dass Karin Tepper begriff: »Keine Sorge, ich will Ihnen nichts verkaufen, keine Versicherung andrehen und Sie auch nicht überreden, einer Sekte beizutreten.«

»Ja?«

»Frau Alberts, vor sieben Jahren habe ich in diesem Haus gewohnt, zusammen mit meinem Mann. Ich bin damals weggelaufen, mit einem Freund nach Amerika gezogen und jetzt suche ich meinen Ehemann.«

Damit hatte sie die junge Mutter verwirrt, sie zwinkerte ungläubig, runzelte die Stirn und kicherte plötzlich; »Das ist ja – Bitte, kommen Sie doch herein.«

Das Mädchen schielte neugierig auf die Besucherin, der Junge blies die Backen auf, als wolle er etwas Unfreundliches loswerden, aber die Mutter wusste mit ihnen umzugehen: »Los, ihr Racker, eine Viertelstunde lasst ihr mich in Frieden, sonst gibt’s heute Mittag keinen Nachtisch, verstanden?«

Vor dieser Drohung kapitulierten sie, in höchster Eile wuselten sie nach hinten ins Haus, eine Tür knallte wie ein Kanonenschuss und die Mutter seufzte: »Ein Kind war geplant, zwei sind’s geworden und Arbeit machen sie für drei.«

»Meine Mutter pflegte immer zu behaupten, lieber einmal Zwillinge als zweimal den ganzen Ärger.«

»Das sage ich vielleicht auch einmal, wenn ich’s hinter mir habe.«

Das Haus hatte sich zu Karin Teppers Erleichterung sehr verändert, nicht der Schnitt der Zimmer, aber die Einrichtung. Wolfgang hatte viel Wert auf Stilmöbel gelegt, auf echte Teppiche und die passende Dekoration, ihr war es manchmal wie ein halbes Museum vorgekommen, in dem man sich nur vorsichtig bewegen durfte, doch in diesem Punkt hatte er überhaupt nicht mit sich reden lassen. Jetzt war der große Wohnraum praktisch eingerichtet und überall verriet Kinderspielzeug, wer hier lebte und zurzeit den Ton angab.

»Gehen wir auf die Veranda? Ich kann Ihnen einen Eistee anbieten.«

»Das wäre wundervoll.«

Auch der Garten hatte viel von seiner früheren, steifen Eleganz eingebüßt. Eine große Sandkiste, ein Schaukelgestell, ein aufblasbares Planschbecken, seltsam, jetzt wirkte er einladender, obwohl der Rasen schwer gelitten hatte.

»Wir haben das Haus erst vor vier Jahren gekauft«, sagte die junge Mutter entschuldigend. »Über einen Notar, den Namen und die Anschrift kann ich Ihnen heraussuchen.«

»Vielen Dank.«

»Den Namen Tepper habe ich nie vorher gehört.«

»Ich weiß nicht, was Wolfgang – mein Mann – nach meinem Weggang gemacht hat.« Während der Bahnfahrt hatte sie eingesehen, dass sie ihre Geschichte oft erzählen musste, und auch mit jenen Einzelheiten, die sie lieber verschwiegen hätte. Die junge Frau sah sie erwartungsvoll an. Sie hatte ein offenes Gesicht und verheimlichte nicht, dass sie auf Karins Geständnis gespannt war.

»Wir hatten damals Krach, großen Krach. Eine Ehekrise, ich dachte an Scheidung und Wolfgang interessierte sich nur für sein Geschäft. Bis mir ein Mann über den Weg lief, ein Schwede, der in Frankfurt arbeitete. Frisch geschieden und auf dem Sprung, für seine Firma in die Vereinigten Staaten zu ziehen.« Gedankenverloren trank Karin einen Schluck, der Tee war angenehm kalt und säuerlich. »Er hat mich überredet und ich hab mich überreden lassen.«

Die junge Frau gluckste mitfühlend.

»Eines Morgens hab ich einen Koffer gepackt und in der Küche einen Brief zurückgelassen. Ich gehe weg.«

»Ohne Nachsendeadresse?«

»Ohne alles. Am Nachmittag saßen wir in einem Flugzeug nach Stockholm und von dort sind wir drei Wochen später nach Los Angeles geflogen.«

»Haben Sie Ihrem Mann nie geschrieben? Oder ihn mal angerufen?« Eine Spur von Missbilligung schwang in ihrer Stimme mit und Karin schüttelte energisch den Kopf: »Nie. Es sollte ein Schnitt werden und es wurde ein Schnitt.« Alles wollte sie nicht beichten, bestimmt nicht einer Fremden, und außerdem wusste sie selbst ja noch nicht, was aus Wolfgangs Schwierigkeiten geworden war, ob er sie gemeistert hatte.

»Und Ihr – Freund? Der Schwede?«

»Oh, Martin – er hieß Martin Carlsson – wusste, dass ich verheiratet war. Er hat mir mehr als einmal die Heirat angeboten, aber ich wollte nicht. Keine Scheidung, keine neue Ehe, so ganz hat’s ihm nicht gefallen, aber er hat sich damit abgefunden.«

»Und was macht er jetzt?«

»Er ist tot. Vor vier Monaten mit seinem Sportflugzeug abgestürzt.«

»Das tut mir leid«, stotterte die junge Frau bestürzt und Karin glaubte ihr das Mitgefühl.

»Jetzt will ich also reinen Tisch machen. Aber dazu muss ich erst einmal meinen Ehemann finden.«

»Ja, das verstehe ich – aber viel helfen kann ich Ihnen nicht. Vielleicht kennt der Notar seine Anschrift.«

»Ja, das ist gut möglich«, stimmte Karin zu und stand auf. »Grüßen Sie Ihre beiden Kinder von mir und richten Sie ihnen doch aus, sie hätten sich den Nachtisch redlich verdient.«

»Das warten wir erst mal ab«, erwiderte die Mutter düster. »In dem Alter ist so viel Ruhe eher verdächtig. Aber ich weiß mittlerweile, wo die Haupthähne für die Wasserleitungen sind.«

Es war ihr leichter gefallen, als sie es sich noch in der S-Bahn ausgemalt hatte. Und ein Notar konnte sehr gut eine Anschrift haben, Karin Tepper atmete tief durch und beschloss, an ihrem Plan festzuhalten.

Das Haus Oleanderweg 9 hatte sie immer bewundert, oft auch mit Neid betrachtet, weil es groß und doch gemütlich war. Oder nicht groß, sondern großzügig, innen wie außen. Gut, Richard verdiente sich dumm und dämlich, trotzdem bedeutete Geld ihm nicht viel, was Wolfgang immer bissig kommentiert hatte: »Der hat auch gut reden.«

Zu der Zeit hatte sie es schon vermieden, ihm zu widersprechen, ein Wort genügte bereits, einen fürchterlichen Zank auszulösen, aber sie hatte oft gedacht, das Geld komme zu Richard, weil er ihm nicht hinterherlief, während Wolfgang sich für jede Mark zu zerreißen schien. Seine unverhüllte Geldgier hatte sie oft geängstigt, fast noch mehr als seine Wut, wenn eines seiner Geschäfte geplatzt war oder ein anderer mehr herausgeholt hatte als er. Darunter hatte auch ihre Freundschaft mit Richard und Vera gelitten, Wolfgang fühlte sich immer als der Unterlegene. Zum Schluss lehnte er jede Begegnung mit dem befreundeten Paar ab und Karin war allein hingegangen, entspannte sich und vergaß gleichwohl nicht einen Moment, dass ihr Mann ihr Vorwürfe machen würde, weil sie Richard und Vera nicht aufgeben wollte.

Nach dem zweiten Klingeln wurde geöffnet, die große, schlanke Frau mit den langen dunkelgrauen Haaren musterte sie aufmerksam.

»Guten Tag«, sagte Karin leise.

»Guten … nein, das ist … Karin!«

Ihre Stimme zitterte: »Ja, ich bin’s, Vera.«

»Karin Tepper. Ein Wunder ist geschehen. Du hast dich sehr verändert, aber nein, ich habe dich sofort wieder erkannt.« Vera trat einen Schritt vor und umarmte sie, beide hatten Mühe, die Tränen zurückzuhalten.

»Kind, Karin, dass ich dich noch einmal wieder sehe!«

»Das Kind ist schon einundvierzig Jahre alt.«

»Und ich bin fünfundsechzig und könnte immer noch deine Mutter sein. Herein mit dir! Mein Gott, so eine Überraschung. Wenn ich das Richard erzähle …«

Die Tränen flossen schließlich doch, als in der Diele ein alter Boxer mit eisengrauem Maul schwerfällig aufstand und auf sie zuwankte.

»Emmo!«, stammelte Karin und der Hund legte den Kopf schief, als müsse er dem Tonfall nachlauschen, bevor er ihre Hand beschnupperte und wie ein Blasebalg schnaufte. Dann jaulte er auf und leckte ihre Hand.

»Er ist blind geworden«, erklärte Vera. »Aber er hat dich wieder erkannt.«

Karin kniete nieder, um den alten Kämpen zu umarmen, der sich an sie presste und nicht verstand, warum die Freundin weinte. Was hatten sie früher miteinander gerauft oder um Stöcke gekämpft, lieber ließ der Hund sich in die Höhe heben und herumschwenken als den Biss zu lockern. Nachdem sie ihn in den Swimmingpool geworfen hatte, sann der Boxer auf Rache; mehr als einmal hatte sie nicht an ihn gedacht und vor dem Pool gestanden, den Rücken der Veranda zugekehrt, bis ein lebendiges Geschoss gegen ihre Schulterblätter prallte und sie ins Wasser schleuderte. Danach verzog er sich blitzschnell, mit seinem Schwanzstummel wedelnd und über das ganze Gesicht lachend. Selbst Richard schaffte es nicht mehr, ihm diese Attacken abzugewöhnen, aber Emmo war ein kluger Hund und achtete darauf, dass auch Wasser im Becken war, wenn er zum großen Sprung ansetzte.

»Emmo! Wenn du wüsstest, wie sehr ich dich vermisst habe!«

»Er dich auch. Komm, so viel Überraschung ist einen Sherry wert.«

»Ist Richard da?«

»Nein, er treibt sich auf dem Golfplatz herum, und weil er ein altmodischer Mensch ist, weigert er sich, ein Handy mitzunehmen. Immer noch Sherry muy seco?«

»Immer noch, Vera.«

Der alten Freundin musste Karin ihre Geschichte ausführlich erzählen und Vera nickte zustimmend. Von Wolfgang Tepper hatte sie nie viel gehalten, das aber erst ausgesprochen, als die Ehe bereits in die Brüche gegangen war. Ob sie Karins Entscheidung, Hals über Kopf mit einem anderen Mann auszureißen, wirklich billigte, ließ sie sich nicht anmerken, sie war eine so kluge wie taktvolle Frau, die weder predigte noch tadelte, erst recht nicht vorschnell verurteilte.

»Nein, wo Wolfgang heute steckt, wissen wir auch nicht«, bedauerte sie. »Es gab noch einen unschönen Auftritt, drei oder vier Tage, nachdem er deinen Brief gefunden hatte. Da erschien er hier, ziemlich betrunken, und warf uns vor, wir hätten dich aufgehetzt, wir seien schuld an dem Bruch, wir hätten jede Versöhnung hintertrieben, nun ja, du kennst ihn ja. Seine Fähigkeit, anderen die Verantwortung für sein Scheitern zuzuschieben, hatte unter seinem Alkoholpegel nicht gelitten.«

»Und danach?«

»Von ihm direkt haben wir nichts mehr gehört. Aber Richard traf dann zwei oder drei Monate später einen Nachbarn und der erzählte ihm, dass Wolfgang das Haus verkauft habe und weggezogen sei. Ohne sich von seinen Nachbarn zu verabschieden.«

»Das sieht ihm ähnlich.«

»Ja, es hat uns nicht – verwundert.« Vera konnte unnachahmlich sticheln und Karin lachte leise. Emmo lag zu ihren Füßen und knurrte milde, wenn sie mit dem Streicheln aufhörte.

»Du weißt, dass Wolfgang damals in geschäftlichen Schwierigkeiten steckte?«

»Das ist die Untertreibung des Tages, liebe Karin.«

Es hätte sie nicht überraschen dürfen, Vera erfuhr immer alles, was sich in der Nachbarschaft und in ihrem Bekanntenkreis abspielte. Das Angenehme – oder auch Irreführende – war, dass sie nicht immer zu erkennen gab, was sie wusste.

»Ja, entschuldige. Wolfgang war pleite, nachdem er sich verspekuliert hatte, und der Staatsanwalt interessierte sich für ihn.«

»Das war schon damals kein Geheimnis.«

»Von seinen Geschäften habe ich nie etwas verstanden. Oder begriffen.«

»Das glaube ich dir sofort. Bei seiner Art von Geschäften empfahl es sich, die Zahl der Mitwisser klein zu halten.« Das kam sehr trocken heraus und Karin musterte ihre alte Freundin unschlüssig. Bei aller Freundlichkeit verfocht Vera sehr feste Grundsätze von Anstand und Moral, und wer die verletzte, verspielte ihre Freundschaft. Wie Wolfgang, den sogar der Staatsanwalt verdächtigt hatte, einen gigantischen Betrug inszeniert zu haben.

»Warst du schon auf dem Einwohnermeldeamt?« Vera wollte das Thema wechseln und Karin ging erleichtert darauf ein.

»Nein, ich bin erst gestern gelandet und heute gleich zu unserem alten Haus gelaufen.«

»Die Nachbarn haben also auch keine Ahnung, wo Wolfgang abgeblieben ist«, sagte Vera lebhaft. »So, und nun will ich mehr über Martin Carlsson hören.«

Zwei Stunden später brach Karin auf, Emmo fiepte jämmerlich. Richard war noch nicht zurückgekommen, deshalb musste sie ihre Hoteladresse hinterlassen und zahlreiche Eide schwören, dass sie nicht wieder spurlos untertauchen würde.

In der S-Bahn starrte sie aus dem Fenster, ohne etwas zu sehen. Vera und Richard hatten ihr damals angeboten, zu ihnen zu ziehen, bis die Scheidung ausgesprochen war. Das Angebot hatte Karin geholfen, sich zu entschließen, weil sie sich darauf verlassen durfte, im schlimmsten Fall ein Dach über dem Kopf zu haben und nicht allein zu bleiben. Doch Martin hatte nicht viele Worte aufwenden müssen, um sie zur Flucht zu überreden. Ein Schnitt sollte es werden und dazu gehörte ein anderer Platz als dieser saubere, ruhige Taunus-Ort, in dem sie alles an Wolfgang und ihre eigenen Fehler erinnerte.

Abends rief Richard im Hotel an: »Wie Vera schon sagte, ein Wunder, und zwar eines der netteren Art. Du hockst doch nicht etwa den ganzen Abend auf deinem Zimmer?«

»Nein, du Unverbesserlicher«, log sie. »Noch zwei Minuten, um das Gesicht anzustreichen, dann wartet eine alte Freundin zum Essen auf mich.«

»Wehe, du kommst nicht bald noch mal vorbei. Der arme Emmo schnüffelt im ganzen Haus nach dir.«

»Bald, Richard, ich hab’s Vera doch versprochen.« Das Wochenende brauchte sie noch für sich, doch das wollte sie den alten Freunden nicht erklären.

Eine Stunde musste sie warten, bis das schüchterne Mädchen hereinkam: »Frau Tepper? Herr Dr. Schütz lässt bitten.«

Alle Notare, mit denen sie bis jetzt zu tun gehabt hatte, waren würdevolle ältere Herren gewesen, um deren ergraute Häupter die Aura des Gesetzes glänzte. Schütz war entweder viel zu jung für ein Notariat oder hatte sich unverschämt gut gehalten, tief gebräunt, mit rabenschwarzen Haaren und dunklen, lebhaften Augen. Er erhob sich nicht, sondern schnellte hoch, als hasste er seinen würdevollen Ledersessel, auf dem er nicht herumzappeln durfte.

»Schütz. Guten Tag, Frau Tepper, was kann ich für Sie tun?«

»Mir fünf Minuten Zeit geben, um eine verrückte Geschichte anzuhören.«

»Verrückte Geschichten sind gut, davon lebe ich«, erwiderte er fröhlich.

»Ich heiße Karin Tepper und war verheiratet mit einem Wolfgang Tepper, bin es vielleicht noch, ich weiß es nicht.«

»Das ist in der Tat ungewöhnlich«, gab der Notar zu und zwinkerte.

»Ich habe nämlich vor sieben Jahren meinen Mann verlassen, nein, ich bin ausgerissen, um es deutlich zu sagen, und mit einem anderen Mann in die Vereinigten Staaten gezogen. Seit diesem Tag habe ich von meinem gesetzlichen Ehemann nie wieder etwas gehört.«

Schütz rieb sich die Hände, er schien ein seltsam unernster Mensch zu sein.

»Nun will ich ihn finden und bin deshalb zu unserem alten Haus gefahren. In dem er nicht mehr wohnt, das Haus ist verkauft worden, vor vier Jahren an ein Ehepaar Alberts und Sie haben den Verkauf beurkundet oder wie man das nennt.« Sie brach ab, weil Schütz eine unbeschreibliche Grimasse schnitt, bevor er mit beiden Händen in seinen Haaren wühlte, als habe er zu viel davon und wolle ihr eine Strähne schenken. »Ist etwas?«

»Mich laust der Affe!«

In letzter Sekunde schluckte sie den Einwand herunter, das tue er schon selbst. »Das darf doch nicht …« Er drückte auf eine Taste der Sprechanlage: »Eva? Bitte sofort die Akte Tepper, Wolfgang … Nein, in der Treuhänderabteilung … Danke.«

Als er sich Karin wieder zuwandte, sah er eine Spur ernsthafter aus: »Gedulden Sie sich bitte eine Minute? Ich glaube, ich warte bereits seit sieben Jahren auf Sie.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte sie verwirrt.

»Gleich, Eva ist sehr – da ist sie ja schon.« Das junge Mädchen lächelte und reichte ihm hastig eine Akte, die er sofort aufschlug, ein kaum hörbares »Danke« murmelnd. Wer für ihn arbeitete, musste sich seinem Tempo anpassen.

»Tatsächlich – Sie heißen Karin Tepper, nicht wahr?«

»Ja, ja.«

»Können Sie sich irgendwie ausweisen – Pass, Personalausweis, Geburts- oder Heiratsurkunde?«

»Ich habe alles dabei«, stotterte Karin betäubt.

»Umso besser. Dann werden Sie diesen Raum sehr viel reicher verlassen, als Sie ihn betreten haben.«

»Ich verstehe nicht …«

»Entschuldigung, der Reihe nach – und setzen Sie sich besser fest hin!«

Vor sieben Jahren war Wolfgang Tepper hier erschienen, um eine Vermögensfrage mit dem Notar zu bereden. Seine Ehefrau Karin hatte ihn Knall auf Fall verlassen und war seitdem nicht mehr erreichbar. Ihren Entschluss, ihn nie wieder zu sehen, hatte sie in einem handschriftlichen Brief niedergelegt, den er eines Abends in der leeren Küche gefunden hatte. An die leere Kaffeekanne gelehnt, wie sich das so gehörte.

Sie nickte atemlos.

In diesem Schreiben hieß es wörtlich: »Mach mit dem Haus und den Möbeln, was du willst.«

»Das stimmt«, warf sie eilig ein und Schütz lachte: »Kennen Sie diese Handschrift?«

Dabei hielt er ihr die Akte hin und sie schnappte nach Luft: »Das ist doch mein Brief …«

»Genau. Ihr Mann wollte das Haus verkaufen – er brauchte Geld, nicht wahr?«

»Ja, er war mit seiner Firma in Schwierigkeiten geraten …«

»Es bestand der Verdacht eines betrügerischen Konkurses«, berichtigte Schütz, und obwohl er dabei schmunzelte, erreichte die Heiterkeit seine Augen nicht.

Sie seufzte: »Ja. Für einige Zeit hatte der Staatsanwalt sogar mich in Verdacht, da mitgemacht zu haben, aber ich wusste wirklich nichts von den Geschäften meines Mannes.«

»So hat Ihr Mann es auch dargestellt. Jedenfalls eilte es ihm mit dem Verkauf und von mir wollte er wissen, ob diese Passage in dem Brief eine Blanko-Einverständniserklärung sei und wie er es mit Ihrem Anteil halten müsse. Sie waren nämlich im Grundbuch als hälftige Eigentümerin eingetragen.«

»Und?«

»Er hat verkauft und ich habe für Ihren Anteil ein Treuhandkonto eingerichtet.«

»Wie bitte?«

»Für Ihren Anteil, Frau Tepper. Er wollte alles Geld einstreichen, aber da haben ich und das Gericht nicht mitgespielt. So, und wenn Sie mir nun beweisen, dass Sie wirklich Karin Tepper, die Ehefrau des Wolfgang Tepper sind, können Sie bald über eine gute halbe Million Mark verfügen.«

Abends saß sie an der Hotelbar und kniff sich ab und zu in den Arm, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Nicht einmal in ihren größten Fantasien hatte sie sich ausgemalt, sie werde noch Geld für das Haus bekommen, sie hatte es in dem Moment abgeschrieben, vergessen, als sie mit Martin in das Flugzeug gestiegen war. Sie brauchte kein Geld, Martin hatte ihr alles vererbt, was er besaß, und das war nicht wenig. Außerdem hatte die Lebensversicherung nach seinem Absturz gezahlt und sie hatte nicht geahnt, dass die Police auf eine halbe Million Dollar lautete. Dazu jetzt mehr als 500.000 Mark, es war nicht zu glauben. Sie kicherte albern und nippte an ihrem Drink. Unvorstellbar. Ein Märchen. Hinter ihr schmalzte der junge Pianist, sie drehte sich um und warf ihm eine Kusshand zu.

Doch in einem Punkt hatte der Besuch bei diesem Unernsten mit einer Enttäuschung geendet. Schütz hatte keine Ahnung, wo sich Wolfgang zurzeit aufhielt. Während des Verkaufs hatte Wolfgang in Frankfurt gewohnt, in der Odenwaldstraße. Dorthin schickte ihm Schütz auch die Benachrichtigung des Grundbuchamtes, doch dieser Umschlag kam mit dem Vermerk Adressat unbekannt verzogen zurück. Zwei Wochen lang hatte Schütz alles versucht, Einwohnermeldeamt, Post, Bank, Vermieter, aber ohne Erfolg; niemand konnte ihm mitteilen, wohin Wolfgang gezogen war. Zum Schluss hatte es den Notar so geärgert, dass er sogar eine Privatdetektei beauftragte, aber auch die konnte den Aufenthaltsort nicht ausfindig machen. Wolfgang Tepper hatte sich in Luft aufgelöst, nachdem die Überweisung des alten Herrn, der das Haus erworben hatte, auf dem Konto eingegangen war und er über seine Hälfte verfügte. Schon dreißig Monate später gab der neue Eigentümer das Haus auf, weil der alte Herr nach einem schweren Sturz ein Pflegefall geworden war. Über Schütz verkaufte er das Haus an das junge Ehepaar Alberts.

Musste sie Wolfgang eigentlich aufstöbern? Gab es nicht auch eine Möglichkeit, sich ohne ihn scheiden zu lassen?

»Ich nehme noch einen«, sagte sie zu dem Barkeeper, der schon eine ganze Weile überlegte, warum eine so attraktive Frau allein in einer wenig belebten Hotelbar saß.

»Gerne.«

Was wollte sie denn von ihrem Mann hören? Dass er ihr verziehen hatte? Als ob sie darauf überhaupt Wert legte! Wie es ihm ergangen war? Wenn er nun vor der Justiz abgetaucht war, die sich damals so intensiv für seine Geschäfte interessiert hatte? War das überhaupt schon verjährt?

»Ihr Drink.«

»Vielen Dank. Fragen Sie doch bitte den Klavierspieler, ob er auch etwas trinken möchte.«

»Selbstverständlich, gnädige Frau.« Sein geschultes Gesicht verriet kein Erstaunen; sie hatte doch nicht etwa Gefallen an diesem Tasten-Schlaffi gefunden?

Gut, also ohne Wolfgang. Und nun? Diese Drinks schmeckten nach Obst, aber enthielten wohl mehr Alkohol, als man ihnen ansah. Was fing sie jetzt mit ihrem Leben an?

»Hei, Karin, tut mir leid, dass ich mich verspätet habe, aber die City war wieder einmal dicht.«

Gerd hatte sie fast schon vergessen, sie zuckte schuldbewusst zusammen und hielt still, als er sie umarmte und küsste.

»Du bist es tatsächlich. Und schöner denn je!«

»Du siehst auch nicht schlecht aus«, antwortete sie hastig. Daran hätte sie denken sollen, Gerd Arkenthin war schon immer ein berüchtigter Schürzenjäger gewesen und hatte auch vor der Frau seines angeblich besten Freundes Wolfgang nicht Halt gemacht. Ihn abzuweisen hatte sie viel Mühe gekostet, doch jedes Nein schien ihn nur noch mehr anzufeuern.

»Danke für das Kompliment«, erwiderte er eitel und schnipste nach der Bedienung. »Wo hast du dich bloß all die Jahre über versteckt?«

Es half nichts, sie musste ihre Geschichte wiederholen, aber irgendetwas warnte sie, ihre finanziellen Verhältnisse ehrlich zu schildern oder das Geld aus dem Hausverkauf zu erwähnen. Der Pianist wünschte einen Gin Tonic, was Gerd erbost zur Kenntnis nahm, sie genehmigte sich noch einen dieser wundervollen fruchtigen Drinks und hätte fast gelacht, als sie zum ersten Mal seine Hand von ihren Beinen entfernen musste. Sehr gekränkt gehorchte er und sie erkannte in seiner Schmollmiene plötzlich Wolfgang wieder, der es auch nicht vertragen hatte, zurückgewiesen zu werden, und ein Nein nicht hinnehmen konnte. Es ernüchterte sie wie eine kalte Dusche und deshalb rückte sie mit ihrem Hocker ein Stück zur Seite.

»Gerd, ich muss Wolfgang finden«, erklärte sie so ernsthaft, dass selbst er begriff – an ihm hatte sie kein Interesse.

»Da bist du bei mir an der falschen Adresse«, knurrte er.

»Wieso denn das? Ich denke – ich habe immer gedacht, du bist sein bester Freund?«

»Das war ich vielleicht einmal.«

»Was heißt das im Klartext?«

»Wir haben uns – Moment mal – vor sieben Jahren das letzte Mal getroffen. Richtig, du warst schon abgehauen und er hatte sich eine kleine Wohnung in Frankfurt gemietet.«

»In der Odenwaldstraße.«

»Stimmt! Woher weißt du das?«

»Ich sagte doch, ich suche ihn.« Den Teufel würde sie tun, den Notar Dr. Schütz ins Gespräch zu bringen.

»Ah, richtig, ja, so.« Machte der Alkohol hellsichtig oder bildete sie sich nur ein, dass Gerd jetzt scharf überlegte, wie weit sie sich mit Lügen und Erfindungen abspeisen ließ? »Damals stand Wolfgang ziemlich unter Druck, finanziell, meine ich.«

»Ich weiß, ich bin damals auch vom Staatsanwalt vorgeladen worden.«

»Wirklich? – Also, von seinen Geschäften hat er mir nie viel erzählt.« Woher nahm sie nur die Gewissheit, dass dieser Satz schamlos gelogen war? »Wolfgang brauchte Geld, ganz dringend, und hat Gott und die Welt angebettelt. Ich konnte ihm nur eine Kleinigkeit leihen, so flüssig war ich zu der Zeit auch nicht.«

Das warst du nie, berichtigte Karin bei sich. Wieso war ihr früher nie aufgefallen, dass der schöne Gerd Arkenthin nur ein Blender und Schnorrer war? »Na ja, und eines Tages brauchte ich meine Mäuse zurück, ziemlich dringend sogar, aber da war er aus der Wohnung verschwunden. Ohne Nachsendeadresse«, setzte er giftig hinzu und musterte sie von der Seite,

»Wie hoch waren eigentlich seine Schulden?«, nuschelte sie harmlos und drehte sich nach dem Pianisten um, der gerade den Flügel zuklappte und ihr fröhlich zuwinkte. Was sie genauso freudig zurückgab.

»Was hast du bloß mit dem blöden Kerl?«

»Nichts, er hat nur so schön gespielt. Also: Wie viel?«

»Ich schätze, um die vier Millionen.«

»Donnerwetter!«, sagte sie ehrlich beeindruckt.

»Das waren seine privaten Schulden. Ich möchte nicht wissen, wie viel seine Anlegerkunden verloren haben.«

»Um die zwanzig«, versetzte sie heiter. »Das weiß ich vom Staatsanwalt, der Wolfgang anklagen wollte. Wegen betrügerischen Konkurses, Betrug, Unterschlagung und noch so einer Sache, Verstoß gegen das Kreditgesetz oder so ähnlich.«

»Bist du deswegen abgehauen?«

»Nicht nur, lieber Gerd.« Sein Gesicht hellte sich auf, seine Hand bewegte sich schon wieder und sie drohte ihm mit dem Zeigefinger: »Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten. Nein, nicht nur deswegen. Ich hatte ihn satt, bis oben hin, und dann bin ich einem richtigen Mann begegnet.«

»Diesem Carlsson.«

»Ja, Martin. Du darfst mir glauben, wenn ich eine Anschrift von Wolfgang hätte, würde ich alles schriftlich erledigen.«

Daran hatte Arkenthin zu kauen, geistesabwesend bestellte er noch einen Whisky und spielte mit seinem Feuerzeug, während er sichtlich grübelte. Endlich murmelte er: »Der teure Wolfgang hatte eine Menge Leute angepumpt, bevor er das Weite suchte.«

»Das kann ich mir gut vorstellen.«

»Und einige sind immer noch nicht bereit, ihr Geld abzuschreiben.«

»Auch das verstehe ich.«

»Deswegen glaube ich nicht, dass man ihn so leicht aufstöbern kann.«

»Denkbar«, stimmte sie so aufgekratzt zu, dass er sie misstrauisch von der Seite anschielte. »Aber versuchen möchte ich es, das verstehst du doch?«

»Vielleicht«, brummte er vor sich hin. Ach nein, das lief alles nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte, und am meisten amüsierte sie, dass man in seinem Gesicht lesen konnte wie in einem aufgeschlagenen Buch. Der gute Gerd hatte geglaubt, sie entweder ins Bett zerren zu können oder sein Geld zurückzubekommen, und wahrscheinlich hatte er auf beides spekuliert. Diesen Zahn würde sie ihm ziehen, und zwar ohne Betäubung, deshalb rutschte sie von ihrem Hocker: »Es war nett, dich einmal wieder zu sehen, aber jetzt muss ich gehen. Gute Nacht, Gerd, und danke für die Einladung.«

Bevor er protestieren konnte, hatte sie schon den Ausgang erreicht.

 

 

3. Kapitel

 

Das Zimmer war klein und nüchtern möbliert, ein Schreibtisch, zwei Stühle für Besucher, die Wände mit Aktenschränken zugestellt. Auf dem Fensterbrett kümmerten mehrere Kakteen und ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass andere Pflanzen wahrscheinlich längst verdurstet wären. Denn der große Mann mit dem schmalen, scharfen Gesicht und der Adlernase sah nicht so aus, als verschwendete er einen Gedanken an so etwas Überflüssiges wie Blumen.

»Sie erinnern sich nicht mehr an mich?«

»Nein. Müsste ich denn, Frau –« er schaute auf ihre Visitenkarte, die er säuberlich genau auf die Mitte der grünen Schreibunterlage platziert hatte – »Frau Tepper?«

»Es ist lange her, jetzt sieben Jahre, da habe ich auch vor Ihnen gesessen, allerdings in einem anderen Gebäude und in einem anderen Zimmer.«

Oberstaatsanwalt Dr. Driesch lächelte höflich und wünschte sich, sie möge endlich zur Sache kommen. Hübsch war sie ja, sogar attraktiv, aber schöne Frauen beeindruckten ihn schon lange nicht mehr, zumindest nicht, wenn er ihnen im Gebäude der Staatsanwaltschaft begegnete und noch nicht wusste, wen er vor sich hatte, eine Zeugin, eine Geschädigte oder eine Beschuldigte.

»Sie hatten damals ein Ermittlungsverfahren gegen meinen

Ehemann, Wolfgang Tepper, eingeleitet. Verdacht auf Konkursbetrug und noch ein paar andere Delikte.«

»Tepper, Wolfgang«, wiederholte er nachdenklich. In seinem Hinterkopf bimmelte ein winziges Glöckchen.

»Und eine Zeit lang hatten Sie mich verdächtigt, ich sei an den Geschäften meines Mannes beteiligt gewesen.«

»Es dämmert, aber im Moment noch zu schwach.«

»Eines Tages haben Sie mir dann erklärt, es bestünde kein Verdacht mehr gegen mich. Am nächsten Tag habe ich meinen Mann verlassen, übrigens ohne Aussprache, für ihn kam es wie der Blitz aus heiterem Himmel, und bin mit einem anderen Mann nach Amerika gezogen.«

»Ist Ihr Mann denn angeklagt und verurteilt worden?« Verflixt, woran erinnerte ihn dieser Name Tepper bloß?

»Das weiß ich eben nicht. Ich bin aus dem Haus gegangen und habe seitdem mit meinem Mann nie wieder gesprochen oder etwas von ihm gehört.« Sie verzog den Mund, »Ich weiß nicht einmal, ob ich noch mit ihm verheiratet bin.«

»Das kann unter Umständen fatal werden«, stimmte er zu und sie schmunzelte über seinen trockenen Humor.

»So, und nun habe ich alles versucht, Wolfgang – meinen Mann – aufzustöbern. Bank, Einwohnermeldeamt, Rechtsanwalt, Nachbarn, seine Freunde, seine frühere Mitarbeiterin, Nichts, nichts und nochmals nichts.«

»Deshalb sind Sie zu mir gekommen?«

»Ja, Sie sind sozusagen meine letzte Hoffnung.«

Allmählich fand er Gefallen an der verrückten Geschichte. »So weit sollte man es nicht kommen lassen, dass ein Staatsanwalt die letzte Hoffnung darstellt.«

»Ach, enttäuschen Sie mich nicht. Ist mein Mann denn nun angeklagt und verurteilt worden? – Halt, halt, schauen Sie mich nicht so grimmig an. Denn dann muss er doch in einem Gefängnis gewesen sein und bei der Entlassung eine Anschrift angegeben haben.«

»Theoretisch korrekt, Frau Tepper. Aber praktisch kann ich Ihnen keine Auskunft geben.«

»Können Sie nicht oder dürfen Sie nicht?«

»Über das Zweite denke ich nach, wenn das Erste nicht mehr zutrifft.« Er griente und legte den Kopf schräg, weil sie die komplizierte Antwort erst einmal auseinander sortieren musste, und als sie dann entrüstet schnaufte, lachte er unterdrückt: »Frau Tepper, ich muss einfach in die Akten steigen. Tut mir leid, aber auch Staatsanwälte vergessen.«

»Und sieben Jahre sind eine lange Zeit«, ärgerte sie ihn fröhlich. »Darf ich morgen wiederkommen?«

»Rufen Sie besser vorher an, morgen ist eine lange Verhandlung terminiert.« Aus einer Schublade holte er eine Karte und reichte sie ihr über den Tisch. »Ich will sehen, was ich für Sie tun kann.«

»Vielen Dank, Herr Dr. Driesch. Bis morgen dann.«

Der Duft ihres Parfüms hing noch eine Weile in der Luft. Er schnupperte, mit den Gedanken weit weg. Der Name Tepper hatte etwas wachgerufen, und wenn er sich auf sein Gefühl verließ, war das nicht angenehm gewesen. Eher ärgerlich … Ach was, es würde ihm ja doch keine Ruhe lassen.

Er steckte den Kopf in das Sekretariatszimmer: »Frau Schilde, tut mir leid, Sie müssen sofort ins Archiv. Tepper, Wolfgang, ein Ermittlungsverfahren vor etwa sieben Jahren wegen betrügerischen Konkurses oder Betruges. Ach so, und auch seine Frau, Tepper, Karin.«

»Mach ich, aber zuerst müssen diese Briefe raus.«

»Natürlich«, willigte er rasch ein. Mit einer gereizten Hildegard Schilde legte er sich nicht gerne an und objektiv betrachtet wurde sie von ihm und seinem Kollegen überlastet. Es kniff an allen Ecken und Kanten, die Arbeit nahm zu, das Personal wurde abgebaut.

Kurz vor Dienstschluss knallte ihm die Sekretärin zwei Hängemappen auf den Schreibtisch: »Ich gehe jetzt.«

»Danke, und einen schönen Abend noch.«

Tepper, Wolfgang, tatsächlich betrügerischer Konkurs, Betrug, Unterschlagung und Urkundenfälschung in wenigstens zehn Fällen. Eine Investment- und Anlage-Beratungsfirma – verflucht, er hatte doch Recht gehabt. Eine Buchführung nach Art der sumerischen Keilschrifttäfelchen, Ganze Bestände der Korrespondenz vernichtet, als die Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume durchsuchte, na klar, der Kerl hatte einen Tipp bekommen oder geahnt, dass mehrere enttäuschte Kunden ihn angezeigt hatten. Gesamtschaden um die 18,6 Millionen, der Betrug sprang einem förmlich entgegen, aber es fehlten die Beweise, die schriftlichen Unterlagen. Und Tepper hatte gestrampelt wie der Frosch, der in den Milchkrug gefallen war. Einer der leider nicht seltenen Fälle, in denen man alles wusste und kaum etwas beweisen konnte. Darüber hatte Driesch sich aufgeregt, das tat er auch heute noch, sieben Jahre klüger und zynischer, aber dass ihm dieser Fall im Gedächtnis … Da steckte das Blatt. Die Anweisung des leitenden Oberstaatsanwaltes, das Ermittlungsverfahren einzustellen. Er hatte remonstriert, Donnerwetter, damals pflegte er noch einen saugroben Ton, der aber auch nichts genutzt hatte, zweite Anweisung und der beiläufige Hinweis auf eine mögliche Änderung der Geschäftsverteilung. Driesch grunzte. Der Leitende gehörte zur Gattung der arroganten Besserwisser und hatte von oben herab genäselt: »Den kriegen Sie ja doch nicht, verschwenden Sie nicht wertvolle Zeit an eine aussichtslose Sache.« Was sachlich vielleicht nicht einmal falsch war, aber der Ton bestimmte nun mal die Musik und der hässliche Gedanke, dieser Tepper habe irgendwo einen Gönner, der eine schützende Hand über ihn hielt, hatte ihn noch viele Wochen gequält, nachdem er der Anweisung gefolgt war. Tepper, Karin – nein, von ihrer Unschuld hatte er sich selbst überzeugt.

Am nächsten Tag nieselte es, das Zimmerchen war kühl und Karin hauchte auf ihre kalten Finger.

»Das Ermittlungsverfahren gegen Ihren Mann ist eingestellt worden«, erklärte Driesch nüchtern und beobachtete die Frau scharf. Die Auskunft schien sie zu erstaunen, aber vielleicht schauspielerte sie auch nur überzeugend.

»Das ist ja – dann wissen Sie also nicht, wo Wolfgang – mein Mann – jetzt steckt?«

»Nein, Frau Tepper, die Justiz hat kein Interesse mehr an Ihrem Mann.«

»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte sie hilflos und Driesch zuckte die Achseln: »Haben Sie einmal an einen Privatdetektiv gedacht?«

»Da war ich schon, bei Altmann & Müller, aber die haben abgewinkt. Keine Chance, meinen sie.«

»Das spricht für ihre Seriosität«, versetzte er burschikos. »Tja, das wär’s dann wohl, Frau Tepper.«

Für Feiern hatte Norbert Driesch nicht viel übrig, erst recht nicht, wenn sie in der deprimierend hässlichen Kantine der Staatsanwaltschaft stattfanden. Aber vor der Verabschiedung seines Kollegen Samtleben konnte er sich nicht drücken und deshalb handelte er mit sich selbst einen Kompromiss aus: Er würde sich erst nach den feierlichen Reden dort blicken lassen; dann war zwar das kalte Buffet bis auf klägliche Reste geplündert, aber darauf verzichtete er ohnehin gern. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit, ein paar private Sätze mit Samtleben zu wechseln, den er wegen seiner ruhigen, bedächtigen Art mehr als die meisten anderen Kollegen schätzte. Bei ganz viel Glück traf er auch die Neue … Er klemmte die Mundwinkel ein.

Die Reihen hatten sich tatsächlich schon gelichtet, aus Erfahrung erkannte Driesch, dass sich bereits die harten Kerne bildeten, die bis kurz vor Mitternacht durchhalten würden, entweder hier oder in einer Kneipe neben dem Landgericht. Es roch durchdringend nach Wein und Bier, unter der Decke schwebte der blaue Baldachin aus Zigaretten- und Pfeifenrauch und aus einer Gruppe erscholl ein Lachen, wie es nur deftige Männerwitze auslösten. In der entferntesten Ecke hielt der leitende Oberstaatsanwalt Hof und Driesch schnitt eine Grimasse. Der Leitende hieß Hommel, der Spitzname Hammel ergab sich also unvermeidlich und wie ein Leithammel benahm er sich gelegentlich auch. Zu Beginn seiner Laufbahn war Hommel schnell befördert worden, alle prophezeiten ihm eine blendende Karriere, aber aus unerfindlichen oder gut geheim gehaltenen Gründen erlitt sie einen Knick. Seitdem kompensierte Hommel seine Frustrationen durch peinliche Anbiederung oder ebenso unverständliche Feindseligkeit. Driesch ging ihm aus dem Weg, zwischen ihnen herrschte eine Art brüchiger Waffenstillstand, den keiner von ihnen testen oder durch mehr als unvermeidliche Kontakte belasten wollte.

»Ich habe Sie schon vermisst«, tadelte Samtleben neben ihm vergnügt und Driesch lachte ihm zu: »Sie kennen doch meine klaustrophobischen Anwandlungen.«

»Es war wirklich unerträglich eng.«

»Wie alles in diesem Hause.«

Den Doppelsinn hatte Samtleben natürlich verstanden und deshalb gestand er verschwörerisch: »Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit …«

»Ah ja?«

»Doch, doch. Einerseits leugne ich nicht, dass ich den Betrieb vermissen werde, aber auf der anderen Seite übt der Gedanke, mit all dem nichts mehr zu tun zu haben, einen gewaltigen Reiz aus.«

»Sie waren klug genug, sich rechtzeitig ein Hobby zuzulegen.«

Vor drei Jahren hatte Samtleben seinen ersten Aufsatz über die Entwicklung der niederen Gerichtsbarkeit im Erzbistum Trier veröffentlicht, der von der historischen wie der juristischen Zunft sehr wohlwollend aufgenommen worden war, und Driesch wusste, dass der Kollege jetzt jede freie Stunde in Archiven und Bibliotheken verbrachte.

»Ach, Hobby, Herr Driesch. Das alte Geschäft auf der Basis der Freiwilligkeit.«

»Aber immerhin ohne einen Leithammel im Nacken.«

»Dafür allerdings danke ich aus ganzem Herzen.«

»Ich wünsche Ihnen viel Glück, viel Zeit und viel Gesundheit. Dass ich Sie nicht gern davonziehen sehe, wissen Sie ja.«

Samtleben kniff ihm ein Auge zu; sie gaben sich nicht die Hand, dazu verstanden sie sich zu gut. Außerdem war beiden klar, dass Samtleben noch mehr als einmal hier zu Besuch erscheinen würde, er zählte zu den glücklichen Menschen, die ohne Groll und Kränkung aus ihrem Beruf schieden.

Eine Viertelstunde schlich Driesch durch den Saal, redete ein paar Sätze mit einigen Kolleginnen und Kollegen, hielt sich aber bei keiner Gruppe länger auf, weil er in einer Ecke die neue Kollegin Brigitte Damerow entdeckt hatte. In großen Kurven pirschte er sich an sie heran und zweimal begegneten sich zufällig, aber viel versprechend ihre Blicke.

»Sieh da, Herr Kollege Driesch.«

Als die joviale Stimme hinter ihm ertönte, verfluchte Driesch seine Unaufmerksamkeit. Auch der Leithammel hatte sich in Bewegung gesetzt und kreuzte nun seinen Weg. Nach einem Blick in das leicht gerötete Gesicht stand fest, dass Hommel die Phase der Leutseligkeit erreicht hatte.

»Wir haben Sie schon vermisst.«

Du verdammter Lügner, dachte Driesch erbost. Laut erklärte er möglichst ausdruckslos: »Ich wurde von einer Frau aufgehalten.«

»Das ist doch eine angenehme Belästigung.«

»Nicht unbedingt, Herr Hommel. Eine Frau Tepper, Karin Tepper.«

»Sagt mir nichts, der Name.«

»Vor sieben Jahren habe ich gegen ihren Ehemann Wolfgang ermittelt. Betrügerischer Konkurs, Betrug, Urkundenfälschung.«

Hommel runzelte die Stirn, auch bei ihm schien ein Glöckchen anzuschlagen.

»Der Kerl, der rechtzeitig alle Unterlagen beseitigt hatte.«

Jetzt zog Hommel die Augenbrauen zusammen, aber Driesch strahlte in schönster Harmlosigkeit: »Sie haben mich damals angewiesen, die Ermittlungen einzustellen.«

»Hab’ ich das?«

Darauf nickte Driesch nur, gespannt, wie sich Hommel aus der Affäre ziehen würde, doch der Leitende verschwendete keinen Gedanken daran, dass ein Untergebener ihm wegen einer Entscheidung grollen könnte, sondern erkundigte sich neugierig: »Und was wollte seine Frau – wie hieß sie noch?«

»Tepper, Karin Tepper.«

»Ah ja! Und was wollte sie von Ihnen?«

»Sie war nach Amerika entschwunden, noch bevor das Verfahren eingestellt wurde. Nun hat sie’s wieder in die Heimat verschlagen und ich soll ihr helfen, den Ehemann zu finden.«

»Nach sieben Jahren?«, meckerte Hommel.

»Die Liebe geht seltsame Wege«, erwiderte Driesch spöttisch und der Leitende klatschte in die Hände: »Sie sagen es, Kollege Driesch, so ist es.«

Damit entfernte er sich, um eine andere Gruppe mit seiner Gegenwart zu belästigen, und Driesch blies viel Luft ab. Je länger er mit Hommel zu tun hatte, desto unsympathischer wurde ihm der Mann, was, so stand zu befürchten, auf Gegenseitigkeit beruhte. Nun ja, alles zu seiner Zeit, er zuckte die Schultern, als müsse er den Leitenden abschütteln, und steuerte energisch die Gruppe um die neue Kollegin an.

Brigitte Damerow betrachtete Driesch offen und ein wenig herausfordernd, wie er fand. Ihre Mundwinkel zuckten.

»Der letzte Mohikaner«, moserte sie ihn an.

»Vorsicht, keine vorwitzigen Urteile. Der Hammel hat mich eben mit Herr Kollege angeredet.«

Die beiden jüngeren Staatsanwälte staunten und vergaßen einen Moment, was sie zusammengeführt hatte; Brigitte Damerow riss dagegen die dunkelbraunen Augen weit auf: »Und was hat das zu bedeuten? Lob, Tadel, Strafversetzung oder vorzeitige Beförderung?«

»Das kommt ganz darauf an. Wenn er schlechte Laune hat, heißt es, er beginnt einen Rückzug. Wenn er gute Laune hat, will er damit ausdrücken: Vergessen Sie nicht, ich bin Ihr Vorgesetzter.«

»Das verstehe ich nicht!«, räumte sie ein und die beiden Kollegen amüsierten sich. »Hier geht’s ja – merkwürdig zu.«

»Streng dienstlich, Frau Kollegin.«

»Frau – das ist ja ätzend – Sagen Sie mal, haben Sie jetzt gute oder schlechte Laune?«

»Tja, eigentlich schlechte, aber bei Ihrem Anblick wird sie von Sekunde zu Sekunde besser.« Driesch wusste, dass er alberte, was so gar nicht zu ihm passte, die beiden anderen Männer warfen sich bereits Blicke zu und zerkauten ein wissendes Lächeln, aber er schaffte es einfach nicht, sich in Brigitte Damerows Gegenwart normal zu geben. Zumal sie gern zu lachen schien und mit ihren feuerroten Löckchen und unzähligen Sommersprossen ganz bestimmt kein Kind von Traurigkeit war. Er hatte sich in ihre dunklen Kulleraugen verguckt, die sie prachtvoll rollen konnte. Was sie jetzt wieder tat, ein schneller Blick streifte seinen Ehering, bevor sie ihm ihr leeres Glas hinstreckte: »Mit trockenem Hals höre ich ausgesprochen schlecht.«

 

 

4.

---ENDE DER LESEPROBE---