Der Mörder stirbt zuletzt - Horst Bieber - E-Book

Der Mörder stirbt zuletzt E-Book

Horst Bieber

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Beschreibung

Wir ehren einen großartigen deutschen Krimiautor und wollen sein außerordentliches Lebenswerk auszeichnen.
Horst Bieber kann auf eine beachtliche Vielzahl erfolgreich veröffentlichter Kriminalromane zurückblicken. Für diese hier veröffentlichte Sonderedition baten wir den Autor, einige seiner Lieblingswerke vorzuschlagen. Die Entscheidung, welche vier Titel es letztendlich in diesen Band schaffen, fiel dem Auswahlgremium im Verlag nicht leicht, gibt es doch zu viele Kriminalromane, die für diesen Band prädestiniert gewesen wären. Horst Bieber zeichnet sich durch seine Gaben zur genauen Beobachtung sowie einer außergewöhnlichen und beeindruckenden Erzählsprache aus, die seine Bücher zu etwas ganz Besonderem machen. Lassen sie sich in eine Welt entführen, die voller Mord, Habgier, Intrigen, Verrat und Rache ist …

Für seinen Roman SEIN LETZTER FEHLER erhielt Horst Bieber 1987 den Deutschen Krimi Preis.

Zu »Nachts sind alle Männer grau«:
Jörn Ammert, Kriminalrat a.D. aus dem Kieler LKA, hat vor vier Monaten den Dienst quittiert und macht nun Ferien in einem winzigen Nest nahe Amberg. In einem der Nachbarhäuser der »Anlage« sind drei auffallende Blondinen eingezogen. Eines Morgens liegt vor eine der Hütten ein toter Mann mit einem Wurfmesser im Rücken in seinem eigenen Blut. Die ermittelnde Oberkommissarin Franziska Thayer sucht bei dem Ex-Kollegen Ammert Rat und Hilfe.
In welcher Beziehung stehen die drei Blondinen zu dem Toten? Großmutter Isolde, Tochter Irene und die Enkelin Ina gelangen schnell in das Zentrum der Ermittlungen und schließlich ist auch das Leben Jörn Ammerts bedroht …

In diesem Band sind folgende Kriminalromane enthalten:
Nachts sind alle Männer grau
Gudrun will Geld sehen
Kassensturz
Die Kommissarin gibt auf

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Horst Bieber

 

 

Der Mörder stirbt zuletzt

 

Sonderedition zur Ehrung des Lebenswerkes

 

 

Vier Kriminalromane 

 

 

 

 

 

 

 

Impressum

 

Neuausgabe

Copyright © by Authors

© Copyright dieser Lizenzausgabe by XEBAN-Verlag.

Verlag: XEBAN-Verlag: Kerstin Peschel, Am Wald 67, 14656 Brieselang; [email protected]

Lizenzgeber: Edition Bärenklau / Jörg Martin Munsonius

www.editionbaerenklau.de

Cover: © Copyright by Kathrin Peschel nach Motiven, 2024

Korrektorat: XEBAN-Verlag

 

Alle Rechte vorbehalten!

 

Das Copyright auf den Text oder andere Medien und Illustrationen und Bilder erlaubt es KIs/AIs und allen damit in Verbindung stehenden Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren oder damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung erstellen, zeitlich und räumlich unbegrenzt nicht, diesen Text oder auch nur Teile davon als Vorlage zu nutzen, und damit auch nicht allen Firmen und menschlichen Personen, welche KIs/AIs nutzen, diesen Text oder Teile daraus für ihre Texte zu verwenden, um daraus neue, eigene Texte im Stil des ursprünglichen Autors oder ähnlich zu generieren. Es haften alle Firmen und menschlichen Personen, die mit dieser menschlichen Roman-Vorlage einen neuen Text über eine KI/AI in der Art des ursprünglichen Autors erzeugen, sowie alle Firmen, menschlichen Personen , welche KIs/AIs bereitstellen, trainieren um damit weitere Texte oder Textteile in der Art, dem Ausdruck oder als Nachahmung zu erstellen; das Copyright für diesen Impressumstext sowie artverwandte Abwandlungen davon liegt zeitlich und räumlich unbegrenzt beim XEBAN-Verlag. Hiermit untersagen wir ausdrücklich die Nutzung unserer Texte nach §44b Urheberrechtsgesetz Absatz 2 Satz 1 und behalten uns dieses Recht selbst vor. 13.07.2023 

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Mörder stirbt zuletzt 

Nachts sind alle Männer grau 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

Gudrun will Geld sehen 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

8. Kapitel 

9. Kapitel 

10. Kapitel 

11. Kapitel 

12. Kapitel 

13. Kapitel 

14. Kapitel 

15. Kapitel 

16. Kapitel 

17. Kapitel 

18. Kapitel 

19. Kapitel 

20. Kapitel 

22. Kapitel 

23. Kapitel 

24. Kapitel 

Kassensturz 

1. Kapitel 

2. Kapitel 

3. Kapitel 

4. Kapitel 

5. Kapitel 

6. Kapitel 

7. Kapitel 

Die Kommissarin gibt auf 

1. Teil 

2. Teil 

3. Teil 

 

Das Buch

 

 

 

Wir ehren einen großartigen deutschen Krimiautor und wollen sein außerordentliches Lebenswerk auszeichnen.

Horst Bieber kann auf eine beachtliche Vielzahl erfolgreich veröffentlichter Kriminalromane zurückblicken. Für diese hier veröffentlichte Sonderedition baten wir den Autor, einige seiner Lieblingswerke vorzuschlagen. Die Entscheidung, welche vier Titel es letztendlich in diesen Band schaffen, fiel dem Auswahlgremium im Verlag nicht leicht, gibt es doch zu viele Kriminalromane, die für diesen Band prädestiniert gewesen wären. Horst Bieber zeichnet sich durch seine Gaben zur genauen Beobachtung sowie einer außergewöhnlichen und beeindruckenden Erzählsprache aus, die seine Bücher zu etwas ganz Besonderem machen. Lassen sie sich in eine Welt entführen, die voller Mord, Habgier, Intrigen, Verrat und Rache ist …

 

Für seinen Roman SEIN LETZTER FEHLER erhielt Horst Bieber 1987 den Deutschen Krimi Preis.

 

Zu »Nachts sind alle Männer grau«:

Jörn Ammert, Kriminalrat a.D. aus dem Kieler LKA, hat vor vier Monaten den Dienst quittiert und macht nun Ferien in einem winzigen Nest nahe Amberg. In einem der Nachbarhäuser der »Anlage« sind drei auffallende Blondinen eingezogen. Eines Morgens liegt vor eine der Hütten ein toter Mann mit einem Wurfmesser im Rücken in seinem eigenen Blut. Die ermittelnde Oberkommissarin Franziska Thayer sucht bei dem Ex-Kollegen Ammert Rat und Hilfe.

In welcher Beziehung stehen die drei Blondinen zu dem Toten? Großmutter Isolde, Tochter Irene und die Enkelin Ina gelangen schnell in das Zentrum der Ermittlungen und schließlich ist auch das Leben Jörn Ammerts bedroht …

 

In diesem Band sind folgende Kriminalromane enthalten:

Nachts sind alle Männer grau

Gudrun will Geld sehen

Kassensturz

Die Kommissarin gibt auf

 

 

***

Der Mörder stirbt zuletzt

 

Sonderedition zur Ehrung des Lebenswerkes

 

 

Nachts sind alle Männer grau

 

Personen: 

› Björn Ammert: Kriminalrat a.D., macht Urlaub 

› Konrad Erxner: Ammerts Freund und Ex-Kollege, noch im Dienst 

› Franziska (»Franzi«) Thayer: Oberkommissarin, leitet in Wolkenstief die Kriminalpolizei-Abteilung 

› Jochen Schönbusch: Kommissaranwärter in der Inspektion Wolkenstief 

› Hannes Bürger: möchte von der Schutz- zur Kriminalpolizei wechseln 

› Isolde Gärtner (62): beteiligt an dem Geschäft ihres Vaters resp. Bruders, lebt in Kiel 

› Hagen Gärtner (64): Isoldes Bruder, Geschäftsmann in Kiel. 

› Irene Gärtner (42): lebt in Bremen, Geschäftsführerin eines Supermarktes für Bürobedarf und Schreibwaren 

› Ina Gärtner (22): ist Goldschmiedin und lebt in Berlin-Charlottenburg. 

Die drei Gärtnerinnen sind Urlaubsnachbarinnen von Björn Ammert in Riehlsbach nahe Amberg.

› Anika Lester: Verkäuferin in der Riehlsbacher Drogerie 

› Veronica Lester: Anikas Mutter 

› Thomas Perlach: Privatdetektiv mit sehr eigenen Absichten 

› Ines Lohmeyer: Fotografin und Perlachs momentane Freundin mit einem Studio in der Hamburger Speicherstadt 

› Ludwig Odderkamp: war mal mit Isolde Gärtner befreundet 

› Lothar Emmertin: war mal mit Odderkamp befreundet 

› Hasan Turulut: will seinen Bruder Bamir rächen 

› Kasim Turulut: macht allem ein schnelles Ende 

› Andrea Holtz: liegt seit Monaten im Koma 

› Anna-Maria Holtz: Andreas geschiedene Schwester 

› Kurt Follensiek: sprichwörtlich ungeschickter Kriminalbeamter 

 

 

Alle Namen, Personen, Firmen und Taten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

 

 

***

 

 

1. Kapitel

 

Auf der anderen Seite des Tales kletterte die Sonne langsam über die Berge. Schlaftrunken schielte er auf die Uhr und lauschte dann dem sanften, stetigen Pfeifen des morgendlichen Windes, das den Raum hartnäckig und durchdringend füllte. Es klang wie der höhnische Triumph des Lichtes über die vertriebene Dunkelheit.

Zehn Minuten später stand er auf. Seit er vor zwei Wochen das winzige Häuschen bezogen hatte, wurde er jeden Morgen gegen fünf Uhr wach, wenn die Sonne auf der anderen Seite des Tales über die Hügel gestiegen war, und seit gut einer Woche hatte er die Versuche aufgegeben, noch einmal einzuschlafen. Inzwischen faszinierten ihn die heraufziehenden Tage, die Kühle der Luft, der Tau auf dem Gras, die Frische der Farben, der fröhliche Lärm der Vögel. Alles das verflüchtigte sich viel zu rasch unter der ungewöhnlichen Hitze dieses Sommers, die schon lange vor Mittag lähmte und drückte, bis endlich die Berge auf seiner Seite Schatten warfen.

Langsam schlenderte er durch seinen Teil des völlig verwilderten Gartens. Im Ferienhaus-Katalog hatte es »naturbelassen« geheißen, und mittlerweile lächelte er über die Kunst des Vermieters oder des Maklers, Verwahrlosung so positiv zu umschreiben. Auch »Ferienhaus-Anlage« war im Grunde genommen eine fast betrügerische Frechheit für die drei Häuschen hoch am Hang über dem Ort, der sich unten im Tal an die Bundesstraße schmiegte. Die zweimal zehn Stufen zum unbefestigten Fahrweg hinunter hingen lebensgefährlich schief, einige bröckelten unter jedem Tritt, der hölzerne Handlauf ließ sich wie ein Pumpenschwengel hin- und her bewegen, die Holzzäune verfaulten. Solide gebaut und halbwegs gepflegt waren nur die drei Garagen am Ende des Wegs. Beim Einzug war er zu müde gewesen, sich über die unverfrorene Irreführung zu erregen, und als er die erste Erschöpfung weggeschlafen hatte, stellte er fest, dass er sich daran gewöhnen konnte. Immerhin gab es fließend Wasser und Strom, einen funktionierenden großen Kühlschrank mit einem Gefrierfach und einen Elektroherd mit drei Platten.

In den beiden Nachbarhäusern rührte sich noch nichts. Bis jetzt hatte er jeden Kontakt mit den Mieterinnen vermieden, und die drei Frauen zogen sich auch stets betont unauffällig zurück, wenn er zufällig in ihre Nähe kam. Nach dem Äußeren zu schließen waren sie miteinander verwandt, drei große, ansehnliche, ja beeindruckende Blondinen, deren Alter er schwer zu schätzen vermochte. Zu dritt bewohnten sie die beiden Häuschen links von ihm, an sich angenehme Nachbarinnen, leise und höflich bei den wenigen unvermeidlichen Begegnungen vor den Garagen oder im Supermarkt am dörflichen Brunnenplatz.

Einmal hatte er sie unfreiwillig überrascht, als er vom Hügelkamm quer über die Wiese auf sein Haus zugelaufen war. Sie sonnten sich nackt auf den altmodischen, aber bequemen hölzernen Liegestühlen. Er stoppte jäh und rang scheußliche zehn Sekunden mit sich, wie er sich nun verhalten solle. Erst danach merkte er, dass sie alle drei fest schliefen, ihn überhaupt nicht bemerkt hatten, und wie ein Dieb oder ertappter Voyeur schlich er lautlos und erleichtert in sein Haus. Die Hecken zwischen den Grundstücken waren dicht, wie undurchdringlich, bis auf einen freigehaltenen Durchschlupf.

Leise lachend balancierte er die Treppe hinunter. Eine gymnastische Gleichgewichtsübung runter und erst recht rauf mit schweren Einkaufstüten oder -körben in den Händen. Gestern hatte er die Zeit vergessen, und als er daran dachte, seine Vorräte zu inspizieren, hatte der Supermarkt schon geschlossen. Zu zwei Tassen extrem dünnen Pulverkaffees hatte es eben noch gelangt; er würde ins Dorf radeln oder auch in den größeren Nachbarort Wolkenstief und dort warten müssen, bis die Geschäfte öffneten. Er klopfte auf die Hosentaschen, jawohl, Portemonnaie und Schlüssel waren da.

Der Mann hatte sich vor dem mittleren Haus auf den oberen Teil der Treppe gelegt und schien auf dem Bauch liegend eingeschlafen zu sein. Er schlief fest, den Kopf zur Seite gedreht, den Mund weit aufgerissen, was ihn albern aussehen ließ. Ammert betrachtete ihn erstaunt, so warm waren die Nächte hier nun wirklich nicht, um ohne Decke im Freien zu übernachten; und danach erst bemerkte er den Griff, der dem Mann aus dem Rücken ragte. Von wegen im Freien schlafen ohne Decke, nur mit einem Oberhemd und einer Jeanshose bekleidet. Kopfschüttelnd wollte Ammert schon weitergehen, als er endlich schaltete. Das war ein Dolch- oder Messergriff, und die Klinge steckte bis zum Heft tief im Körper des unbekannten Mannes.

Ammert holte tief Luft und zögerte. Er hatte Hunger und verspürte eigentlich überhaupt keine Lust, sich um fremde Menschen, ob tot oder lebendig, zu kümmern; sollten sich doch die drei auffallend blonden Frauen mit ihrem »Gast« vor der Tür beschäftigen. Was hatte er mit einem Mann zu schaffen, den er privatim nicht kannte und für den er beruflich nicht zuständig war? Nicht sein Bier – und dennoch zögerte er, sich auf den Sattel zu schwingen. Ärgerlich über sich, seine Neugier und seine Unfähigkeit, einfach den Kopf wegzudrehen, lehnte er das Rad an die Garagenwand und lief eilig den Weg zurück, stolperte die ersten Stufen hoch und blieb dann wie festgenagelt stehen. Zwei eiskalte Fäuste umklammerten seinen Kopf. Er musste sich nicht bücken und den Puls an der Halsschlagader fühlen, um zu wissen, dass der unbekannte Mann tot war, und zwar schon seit Stunden.

Eine lange Minute bewegte Ammert sich nicht. Sein Kopf schien völlig leer, er brauchte alle Energie, gleichmäßig durchzuatmen und hinter dem Rauschen in seinen Ohren noch die Vögel zu hören. Er warf jetzt einen langen Schatten, der den größten Teil der Leiche bedeckte. Die hellen Haare der Leiche glänzten regelrecht im Sonnenlicht. Eine Woge von Übelkeit drohte Ammert plötzlich zu überschwemmen, er schluckte verzweifelt und drehte endlich den Kopf weg. Unter den Achseln spürte er klebrige Feuchtigkeit.

Vorsichtig stieg er um den Toten herum und kletterte kurzatmig den Wiesenhang hoch. Seine Gedanken wirbelten durcheinander, er handelte jetzt wie ein Automat, der aus einer frischen und schmerzhaften Erinnerung angetrieben wurde, und wunderte sich, dass er die Sonnenstrahlen auf seinem Rücken als unerträglich heiß empfand.

»Hallo!«, rief er mit kraftloser Stimme und bummerte mit der Faust gegen die Tür.

»Hallo! Machen Sie auf!«

Nach einer unendlich langen Zeit fragte eine scharfe Frauenstimme hinter der Tür: »Wer sind Sie? Was wollen Sie?«

»Guten Morgen, ich bin Ihr Nachbar. Björn Ammert ist mein Name. Auf Ihrer Treppe liegt ein toter Mann. Bitte machen Sie auf!«

Eine halbe Minute blieb es völlig still, dann ertönte ein erstickter Schrei, halb aus Erschrecken, halb aus Empörung zusammengesetzt: »Was soll denn dieser Quatsch?«

»Hier draußen liegt ein toter Mann«, wiederholte er hilflos.

Drinnen rasselten Schlüssel, ein Riegel wurde zurückgezogen, die Tür öffnete sich.

»Was fällt Ihnen ein? Sind Sie verrückt geworden?« Die Blondine schnaubte vor Zorn. »Für Ihre albernen Witze konnten sie sich keine bessere Zeit …?«

»Da!«, unterbrach er sie und trat zur Seite, mit dem Zeigefinger nach unten deutend, und sie verstummte sofort. Von unten, vom Fahrweg aus, sah der Unbekannte vielleicht wie ein Schlafender aus, aber von oben herab konnte kein Zweifel bestehen, dass er tot war.

»Wer … wer …?«, flüsterte die Blondine. Sie schwankte und griff nach dem Türrahmen.

»Ich weiß es nicht«, sagte Ammert mit trockenem Mund. »Ich habe ihn nie vorher gesehen.«

Einen Moment glaubte er, sie würde näher herangehen, aber ihr Fuß zuckte sofort zurück, und er bemerkte, dass sie am ganzen Leib zitterte.

»Wie kommt er – der Mann – hierher?«

Ammert zuckte die Achseln; auf diese Frage erwartete sie doch wohl nicht ernsthaft eine Antwort von ihm, die Verwirrung hatte den Satz formuliert.

»Was machen wir – was soll ich?« Ihre Zunge stolperte.

»Wenn Sie ein Handy haben, alarmieren Sie die Polizei. Ich fahre ins Dorf und kaufe nur schnell etwas zum Frühstück ein«, bestimmte er. »Rühren Sie die Leiche nicht an, gehen Sie auch nicht hin! Sie könnten Spuren zerstören. Nichts anfassen, nichts verändern! – haben Sie das verstanden?«

»Ja – ja«, nickte sie, und er war sich nicht sicher, dass sie es wirklich begriffen hatte. Die Sonne schien ihr ins Gesicht, sie blinzelte wie geblendet.

»Ich komme dann gleich zurück.«

»Ja – ja«, flüsterte sie wieder.

»Bis gleich!«

Zum Fahrweg sprang und hüpfte er den Abhang hinunter, und als er sich unten umdrehte, stand sie noch immer regungslos in der Tür. Er konnte nicht erkennen, ob sie ihm nachschaute oder den Blick nicht von der Leiche abwenden konnte. Wahrscheinlich hatte er sie aus tiefstem Schlaf hochgerissen.

Das Fahren erforderte alle Konzentration, der steile Weg abwärts bestand aus zwei steinigen, holprigen Furchen, sein Rad bockte und sprang und stieß wie ein zorniges Pferd. Nach vierhundert Metern kam er auf eine schmale, aber ausgebaute Straße, die mit mäßiger Neigung schräg am Hang hinunterführte und sich auf halber Höhe in einer gefährlich engen Haarnadelkurve um 180 Grad drehte; die Straße mündete direkt vor dem Dorfeingang in die Bundesstraße. Sechs Uhr. Riehlsbach war noch nicht zum Leben erwacht, die Bauern molken wohl schon, und der Brunnenplatz, das Zentrum des Ortes, lag völlig verwaist. Nur die Bäckerei hatte schon geöffnet. Ammert lehnte sein Rad an die Bank vor dem Eingang.

Die Brötchen dufteten gut, er kaufte aber nicht gerne in dieser Bäckerei ein, der immer mürrische, meist unrasierte Mann verlangte Phantasiepreise für Kaffee, Miniportionen Butter, Aufschnitt und Käse in Folienpackung und immer stockig riechende Industriemarmelade.

Ammerts Magen knurrte Protest, als er sich aufs Rad schwang und zurückfuhr. Die Steigung war beträchtlich, er hatte in den kleinsten seiner zwölf Gänge zurückgeschaltet und ächzte dennoch gewaltig. Salzige Schweißtropfen liefen ihm übers Gesicht, und an der Einmündung des Fahrwegs stieg er ab und schob die restliche Strecke.

Die Leiche lag jetzt im vollen Sonnenlicht. Ein kräftiger Mann, muskulös, breitschultrig, aber schlank, mit vollem, gewelltem, hellbrünettem Haar. Das Alter war schwer zu schätzen, solange er auf dem Bauch lag, aus dieser Entfernung schien jede Zahl zwischen vierzig und siebzig möglich. Er hatte sich gut gehalten. In puncto Aussehen und Gestalt konnte er es mit vielen jüngeren Männern aufnehmen. Das hellblaue Oberhemd, rund um den Einstich dunkel von jetzt geronnenem Blut verfärbt, sah teuer aus. Dünne graue Socken und weiß-blaue Joggingschuhe, grau vor Staub.

»Haben Sie die Polizei erreicht?«, rief Ammert laut und richtete sich auf. Die drei Blondinen standen vor der Tür des nächsten Hauses, alle trugen sie dünne, enge hellbeige Cordhosen und weiße Blusen. Aus der Entfernung sahen sie wie Drillinge aus, und offenbar legten sie es darauf an, die Familien-Ähnlichkeit noch durch gleiche Kleidung und gleiche Frisuren herauszustreichen, die sonst schulterlangen Haare hatten sie jetzt zu kunstvoll unordentlichen Knoten hochgesteckt.

»Ja, sie kommen, so rasch sie können«, rief die linke Frau zurück.

Direkt an der Hauswand hatten die Hecken, die parallel zu den Treppen die Grundstücke trennten, jeweils eine Lücke, durch die er sich zwängte, um zum letzten Haus hinüberzugehen. Dabei spürte er ihre ausdruckslosen Blicke, so, als wollten sie ihm gern sagen, dass er auch in dieser Situation ein unerwünschter Eindringling sei.

»Guten Morgen«, grüßte er höflich und überlegte, welche Frau er vorhin aus dem Schlaf gerissen hatte. »Ich heiße Ammert, Björn Ammert.«

Nach einer fast unhöflichen Pause antwortete eine: »Guten Morgen, Herr Ammert. Wir heißen Gärtner – alle drei.« Die beiden anderen nickten kurz und unverbindlich. Ihre Abneigung war fast mit Händen zu greifen, deshalb nötigte er sich ein freundliches Lächeln ab: »Jetzt heißt es warten.«

Aus der Nähe betrachtet unterschieden sie sich doch beträchtlich. Die Blondine links war die jüngste; sie hatte, was auch das perfekte Makeup nicht verbarg, Ringe unter den Augen, als habe sie schlecht geschlafen und am Abend zuvor gesumpft. Auf ihrer Stirn glänzte ein dünner Schweißfilm. Die Bluse spannte über ihrem mächtigen Busen, und die Hose saß sehr stramm über dem winzigen Bäuchlein. Unter seinem schnellen prüfenden Blick schlug sie die Augen nieder. Sie war mit sich und ihrem Äußeren unzufrieden und ärgerte sich, wenn Fremde zum selben Urteil kamen.

Die Frau neben ihr war sichtlich älter, kühl, schlank, mit einem glatten Gesicht, in dem nur zwei scharfe Linien entlang des Mundes verrieten, dass sie viel und nicht nur Schönes gesehen und erlebt hatte.

Die Blondine rechts war die attraktivste der drei Frauen. Um ihren Mund spielte ein verstecktes Lachen, als freue sie sich über Abwechslung, und in ihrem Blick lag längst nicht so viel Abneigung wie in den Mienen ihrer Begleiterinnen.

Ein Motor heulte auf und beendete die peinlich werdende Stille. Ein Streifenwagen quälte sich den Fahrweg hoch, und wie auf Kommando setzten sie sich alle in Bewegung.

Fast eine Stunde hockte Ammert vor seinem Haus auf der unbequemen Holzbank und beobachtete die Aktivität nebenan. Die Beamten hatten sie gebeten, in ihren Häusern zu warten. Ein zweiter Streifenwagen erschien, dann ein Kleinbus, aus dem die Männer und Frauen der Spurensicherung stiegen, alle in weißen Overalls. Zuletzt ein Auto, das seine besten Jahre und die letzte Wäsche sichtlich lange hinter sich hatte. Eine Frau in Jeans und T-Shirt stieg aus, gähnte, zog sich weiße Handschuhe an und übernahm routiniert und energisch das Kommando. Der Frieden des Ferienmorgens war endgültig zerstört.

Solche Szenen hatte er oft im Fernsehen und in der Realität verfolgt, Spurensicherung, Fotograf, Arzt, Zeichner, zuletzt die Träger mit der verschließbaren Zinkwanne. Es schien an jedem Tatort das gleiche, organisierte Durcheinander zu sein, vielleicht mit dem einzigen Unterschied, dass hier alles eine Spur gemächlicher ablief als in anderen Fällen. Als der Arzt zur Seite trat, bückte sich ein Mann zu dem Toten und zog das Messer heraus; der Fotograf knipste, so schnell er konnte. Als die Leiche auf den Rücken gedreht wurde, stand Ammert auf, ging hin und musterte den toten Mann gründlich. Die Gesichtszüge waren schlaff geworden. Nein, den hatte er noch nicht gesehen. Als er zurückging, traten die Blondinen an den toten Mann heran und schauten ihn auch gründlich an, bis sie wie auf Befehl alle die Köpfe schüttelten – nein, unbekannt. Die Sonne wärmte bereits unangenehm kräftig, als die meisten Wagen wieder abfuhren. Zurück blieben die Frau, die das Kommando geführt hatte, und ein junger Mann, dem die Hitze schwer zu schaffen machte; alle Augenblicke wischte er sich mit einem schon feuchten Taschentuch über die Stirn. Ammert brummte, als das Paar zuerst zum äußersten Häuschen hinaufstieg, um mit den Blondinen zu reden. Er hatte Hunger und wollte endlich frühstücken. Mürrisch verzog er sich ins Haus.

Fast eine dreiviertel Stunde später klopfte es. Die Frau grinste burschikos, als ahne sie seine schlechte Laune: »Herr Ammert?«

»Ja.«

»Guten Morgen. Thayer ist mein Name, Kriminalpolizei. Mein Kollege Schönbusch. Dürfen wir reinkommen?«

»Aber sicher!«

Sie warf nur einen flüchtigen Blick auf die Einrichtung, der Vermieter hatte an diesem Haus wie wohl an den beiden anderen gespart, es lohnte wirklich kein zweiter Blick.

»Das ist wieder eine Hitze«, stöhnte sie und griff nach einem Stuhl. Ammert nickte und musterte Schönbusch, der sich ebenfalls setzte und ein schwarzes Notizbuch aufschlug. Er hatte ein rundes, etwas feistes Gesicht. Zehn oder fünfzehn Kilo weniger, und er wäre ein ganz ansehnlicher Bursche gewesen.

»Ich würde Ihnen gern etwas zu trinken anbieten, aber es gibt nur noch Bier.«

Sie schüttelte sich: »Lieber nicht!« Schönbusch schnitt eine enttäuschte Grimasse und zerrte das feuchte Taschentuch hervor.

»Herr Ammert, wir brauchen Ihren Namen, Geburtsdatum und Anschrift.«

»Natürlich.« Auf ihren lockeren Ton ging er nicht ein. »Björn Ammert. Ammert mit zweimal Martha, geboren am 22. September 1965 in Neumünster, wohnhaft in Lübeck, Glockengasse 22.«

Schönbusch schrieb erstaunlich schnell.

»Und Ihr Beruf, Herr Ammert?« Sie lachte entschuldigend.

»Ich bin arbeitslos.«

»Seit wann?«

»Seit vier Monaten.«

»Und was haben Sie vorher gemacht?«

Weil er von Anfang an gewusst hatte, dass diese Frage unvermeidlich kommen würde, konnte er gleichmütig antworten: »Ich war Polizeibeamter.«

Schönbuschs Kopf ruckte hoch, als traue er seinen Ohren nicht. Auch sie fuhr zusammen und wiederholte hastig: »Polizeibeamter?«

»Ja. Im Landeskriminalamt Schleswig-Holstein.«

»Bei der …?« Sie schluckte.

»Mein letzter Rang war Kriminalrat. Vorher habe ich sieben Jahre als Erster Hauptkommissar eine Mordkommission geleitet.« Um sie nicht einzuschüchtern oder gegen sich aufzubringen, bemühte er sich um einen sachlichen Ton. Trotzdem starrte Schönbusch ihn verwirrt an, und auch sie zwinkerte nervös. Ihre höflich-lockere Selbstsicherheit war von einer Sekunde auf die andere geschwunden; stattdessen verkrampfte sie sich, er bemerkte es an ihren Händen, die sie unwillkürlich faltete und wieder streckte. »Vor vier Monaten bin ich aus der Polizei ausgeschieden.«

»Erster im Ersten«, murmelte sie perplex.

Über das vertraute Wortspiel lächelte er nur schmal. Sie war erste Hälfte dreißig, schätzte er, für eine Frau recht groß und kräftig, aber schlank. Dunkelbraune, große Augen in einem länglichen, aparten Gesicht mit einem breiten Mund. Ihre rötlichbraunen Haare trug sie kurz geschnitten, als reue sie einerseits das Geld für häufige Friseur-Besuche. Und andererseits war es bestimmt zeitsparend, mit zehn Fingern, einmal durchgezogen, fertig frisiert zu sein. Überhaupt machte sie den Eindruck einer resolut-praktischen Frau. Ihre Armbanduhr war groß, hässlich und garantiert wasserdicht, stoß- und schlagfest. Sie hatte schmale Hände mit kräftigen, langen Fingern, kurz geschnittene, hellrot lackierte Nägel. Zupackend, dachte er. Wie Andrea, mit der sie viel Ähnlichkeit hatte, nicht im Aussehen, aber vom Typ her.

Schönbusch räusperte sich, sie holte tief Luft: »Das ist – also, dann können wir ja …«

»Einen Moment bitte, Frau Thayer.« Es tat ihm leid, aber er musste die Positionen sofort klarstellen. »Ich war Polizeibeamter, bin es nicht mehr, damit es keine Missverständnisse gibt.«

»Ja, ja, ich verstehe.« Die leichte Röte stand ihr nicht schlecht. »Es ist nur – einmal Kollege, immer Kollege.«

»In diesem Fall leider nicht.«

Sie spürte die Zurechtweisung und atmete tief durch. »Gut, dann tun wir so – auch wenn’s mir schwer fällt. Also, Herr Ammert. Dann erzählen Sie bitte, wie Sie die Leiche gefunden haben.«

»Ich bin, wie jeden Tag in der letzten Woche, um fünf Uhr wach geworden, habe einen dünnen Kaffee gekocht und wollte gegen sechs Uhr mein Fahrrad aus der Garage holen, um ins Dorf zu fahren. Oder auch nach Wolkenstief, ich muss einkaufen. Der Mann lag auf der Treppe, so wie Sie ihn geborgen haben. Ich bin hingegangen, habe festgestellt, dass er tot ist, und an der Tür des mittleren Häuschens geklopft, bis eine der Blondinen öffnete.«

»Welche?«, fragte sie rasch.

»Ich weiß es nicht. Sie hat sich nicht vorgestellt, sie kämpfte noch mit dem Schlaf, und ich sagte ihr nur, sie solle niemanden in die Nähe der Leiche lassen, den Körper auf keinen Fall bewegen und über Handy die Polizei alarmieren. Dann bin ich nach Riehlsbach gefahren.«

»Kennen Sie den Mann?«

»Nein.«

»Haben Sie ihn früher schon einmal gesehen?«

»Nein.« Absichtlich lachte er kurz. »Und bei dieser Antwort dürfen Sie sich auf den früheren Kollegen verlassen.«

»Ja«, erwiderte sie gedehnt. »Wir haben keine Ahnung, wer er ist. Er hatte nichts bei sich, nur ein Taschentuch in den Jeans und fünf Einhundert-Euroscheine.«

»Lose in der Tasche?«

Sie nickte. »Und knapp zwanzig Euro in kleinen Scheinen und Münzen. Sonst nichts.«

Über dieses »sonst nichts«, grübelte er einen Moment. Also hatten ihre Leute keine Autoschlüssel gefunden, und wie war der Mann auf die Stufen des Nebenhauses gekommen?

»Haben Sie gesehen oder gehört, wie er hier erschienen ist?«

»Nein.« Gestern Nachmittag war Ammert im Freibad gewesen, in Kollern, das man zu Fuß über den sogenannten Kreuzkamm erreichen konnte, der sich hinter den Ferienhäusern erhob, oder über die Straße, die er bevorzugte, weil es sich dort bequem radeln ließ. Um achtzehn Uhr war er im Bad aufgebrochen, hatte sich noch beeilt, aber als er dann Riehlsbach erreichte, hatte der Supermarkt gerade geschlossen. Also war er in den Hirschen gegangen und hatte zu Abend gegessen. Danach musste er, von der Sonne, dem riesigen panierten Jägerschnitzel und den drei Bieren regelrecht erschlagen, sein Rad den ganzen Weg hinaufschieben. Eine Flasche Bier aus seinem Kühlschrank hatte er sich noch gegönnt und war gegen neun Uhr wie ein Klotz ins Bett gefallen.

Zum ersten Mal sah sie ihn direkt an: »Für diese Aussage brauchen Sie keinen Zeugen.« Dabei krauste sie die Nase; wenn sie lachte, bekam sie tatsächlich Grübchen.

»Wieso das?«

»Haben Sie sich heute Morgen mal im Spiegel angesehen?«

»Nein«, erwiderte er erstaunt.

»Ich wette, das gibt einen prachtvollen Sonnenbrand, vor allem auf Ihrer Nase.«

Sie hatte den Satz noch nicht beendet, als er die Hitze auf seiner Stirn spürte. Es stimmte, im Bad hatte er den letzten spärlichen Rest der Sonnenschutz-Creme aufgebraucht, und bevor das Bier gestern wirkte, hatte er seine trocken-kribbelnde Haut unangenehm deutlich gefühlt. Schönbusch schmunzelte anerkennend, sichtlich froh darüber, dass die flapsige Bemerkung seiner Chefin die leichte Spannung vertrieben hatte.

»Wie lange wohnen Sie hier schon?«

Heute war Dienstag. »Am vergangenen Samstag vor zwei Wochen bin ich eingezogen.« Die Zeit war verdammt rasch verflogen.

»Und wie lange wollen Sie noch bleiben?«

»Ich habe für vier Wochen gebucht.«

Sie stand auf, puhlte aus einer Jeanstasche ein ziemlich zerknautschtes Zigaretten-Päckchen und zwinkerte verlegen: »Haben Sie vielleicht Feuer?«

»Aber sicher.« Am liebsten hätte er sie gelobt, das zählte zu den kleineren Tricks, Zeugen einzuwickeln, Vertrauen herzustellen. Oder auch Zeit zu schinden, um sich die nächste Frage gründlich zu überlegen.

»Wann sind denn ihre Nachbarinnen eingezogen?«

»Am Sonntag – ein Tag nach mir.«

»Kennen Sie sie?«

»Nein. Ich habe mich erst heute vorgestellt. Bis dahin war es bei ›Guten Tag‹ und ›Guten Abend‹ geblieben.«

Ihr nachdenklicher Blick erheiterte ihn, aber er ließ sich nichts anmerken. »Sie kennen den Mann auch nicht«, sagte sie unschlüssig. »Haben die drei Hübschen – äh, Ihre Nachbarinnen in der Zeit einmal Besuch bekommen?«

»Nicht, dass ich wüsste. Ich übrigens auch nicht.«

»Das haben die drei Frauen auch ausgesagt.« Ihr Ton deutete an, dass sie sich weder auf sein Verhalten noch auf das seiner Nachbarinnen einen Reim machen konnte. Ein Mann fuhr allein in die Ferien und versuchte nicht, mit drei auffallenden und attraktiven Blondinen ins Gespräch zu kommen. »Und gestohlen worden ist bei Ihnen nichts?«

»Nein, Geld und Wertsachen habe ich unten in der Volksbank deponiert, einschließlich Führerschein und Kfz-Schein. Ich gondele mit Kopien durch die Landschaft.« Er hatte keine Lust, sich den Spaß am Schwimmen dadurch zu verderben, dass er immer auf seine Decke achten musste; und noch weniger Lust verspürte er, sich alle Papiere neu zu beschaffen.

»Als Sie gestern Abend zurückkamen – waren die Gärtnerinnen da zu Hause?«

»Das weiß ich nicht. Gesehen habe ich keine von Ihnen.« Er überlegte einen Moment. »Die rechte Garage war geschlossen, aber die mittlere stand offen und war leer.« Er hatte die linke Garage gemietet, wahrscheinlich hatte der Eigentümer nur wegen der Garagen die Frechheit aufgebracht, das Ganze eine »Anlage« zu nennen. Die drei Frauen besaßen zwei Autos, eines in Kiel, eines in Bremen zugelassen, fuhren aber immer gemeinsam in einem Wagen fort. »Ich habe nicht mehr gehört, dass ein Auto zurückgekommen ist.« Heute Morgen, als er sein Rad holte, waren beide Garagentore geschlossen.

»Sobald wir wissen, wer der Tote ist, finden wir auch heraus, wie er hierhingekommen ist«, sagte sie unvermittelt und bemühte sich um einen zuversichtlichen Ton. Dort, wo der Fahrweg auf die ausgebaute Straße mündete, zweigte auch ein Fußweg ab, der ins Dorf hinunterführte. Aber der Weg war steil und holprig, auf lange Strecken vom Regen ausgewaschen, er wurde selten und bei Dunkelheit so gut wie nie benutzt. Der Mann konnte genauso gut aus dem benachbarten Lingental über den Kreuzkamm gekommen sein. Hinter den drei Häusern verlief das Gelände auf sechzig, siebzig Metern recht eben, bevor es anstieg und die Wiese von Nadelwald abgelöst wurde. Bis zum Kamm mochten es für einen geübten Fußgänger fünfzehn bis zwanzig Minuten sein, und der niedrige Holzzaun auf der Rückseite der Häuser markierte allenfalls die Grenze eines Grundstücks, stellte aber kein wirkliches Hindernis dar. Durchaus möglich, dass der Unbekannte vom Kamm heruntergelaufen und über den Zaun des mittleren Grundstücks gestiegen war. »Wie war es denn gestern Abend? Sehr dunkel?«

»Nein, klarer Himmel und ein kitschig schöner zunehmender Mond. Nicht gerade hell, aber doch so, dass man sich mühelos bewegen konnte, auch mit Sonnenbrand und Bier im Bauch.«

»Haben Sie heute Nacht Kampfgeräusche oder ungewöhnliche Laute gehört?«

»Nein, nichts.«

»Auch nicht aus den Nachbarhäusern?«

»Nein.«

»Dann muss der Mörder sein Opfer überrumpelt haben.«

»Denkbar. Aber lassen Sie das Messer einmal von einem Fachmann begutachten, es könnte ein Wurfmesser sein, sodass der Täter großen Abstand zu seinem Opfer halten konnte.«

Sie sah ihn ungläubig an. »Haben Sie gesehen, wie tief die Klinge zwischen den Rippen steckte?«

»Ja, bis zum Heft. Da war ein Könner am Werk. Einer, der keinen Lärm gemacht hat. Zumindest nicht genug für mich.«

Sie lachte. »Verstehe. Unser Bier schmeckt Ihnen?«

Er nickte ihr zu: »Tut es. Verraten Sie mir etwas über die Todeszeit?«, erkundigte er sich halblaut.

»Zwischen ein und drei Uhr in der Nacht«, gab sie bereitwillig Auskunft. Schönbusch hatte alles notiert und schielte nun begehrlich auf ihr Zigarettenpäckchen, was seine Chefin beharrlich ignorierte. »Ein anderes Thema, Herr Ammert. Der Mann lag vor dem mittleren Haus – wissen Sie, wer das Haus bewohnt?«

»Nein. Ich habe zwar nicht darauf geachtet, aber mein Eindruck ist, dass die Frauen keinen festen Schlafplatz haben. Mal schlafen zwei gleich nebenan, mal zwei in dem äußeren Haus.« Er zuckte die Achseln. »Sie haben mich nie nahe herankommen lassen, und aus der Entfernung sehen sie für mich alle drei ziemlich gleich aus. Wie heute Morgen zum Beispiel. Vielleich brauche ich doch eine Brille.«

»Ja, das mit der Ähnlichkeit ist mir auch aufgefallen«, erwiderte sie zerstreut. Was sie jetzt beschäftige, wusste er ziemlich genau. Neben dem großen Wohnraum – wobei groß sehr relativ zu nehmen war – gab es eine winzige Kammer mit zwei Betten entlang der Holzwände und einen schmalen Mittelgang. Die Möblierung des Wohnraums bestand aus einem zweisitzigen Sofa, auf dem sich höchstens ein jugendlicher Zwerg ausstrecken konnte, dazu zwei Sessel. Eine dritte Person konnte vernünftig nur auf einer Luftmatratze auf dem Boden schlafen. Warum diese Lösung – zwei Zweibetthäuser für drei Personen? Vermutlich hatte Frau Kollegin das auch gefragt, aber die Antwort des blonden Trios würde sie ihm nicht auf die Nase binden.

Gut eine Minute kaute sie auf ihren Lippen, seufzte endlich und stand auf: »Ja, vielen Dank, Herr Ammert. Das war’s denn – vorerst. Ich muss bestimmt noch einmal mit Ihnen reden.«

»Jederzeit!«, willigte er ein. Was sollte er auch anderes sagen? Alles in allem hatte sie die vertrackte Situation gut gemeistert, sogar genug Selbstbeherrschung bewiesen, ihn nicht zu fragen, warum er den Polizeidienst quittiert hatte. Schönbusch griente etwas dümmlich, auf seiner Stirn perlten wieder Schweißtropfen. Er verbarg seine Erleichterung schlechter.

Nachdem sie gegangen waren, rauchte er die letzte Zigarette – eigentlich hatte er sich für den Urlaub vorgenommen, völlig auf die Glimmstängel zu verzichten – und befahl sich, dabei an nichts zu denken. Den ersten Akt des Dramas hatte er gut überstanden, jetzt war Pause, und beim zweiten Akt – es nutzte nichts, sich zu früh zu sorgen.

Als er auf die Garage zuging, winkte ihm von der Tür des letzten Hauses eine der Blondinen heftig zu und sauste in halsbrecherischem Tempo die Stufen herunter. »Ach, entschuldigen Sie«, keuchte sie und musste die Arme schwenken, um das Gleichgewicht zu behalten, »fahren Sie zufällig ins Dorf hinunter?«

»Ja«, sagte er abweisend, »ich muss einkaufen.«

»Würden Sie mich bitte mitnehmen?«

Diese Bitte konnte er schlecht abschlagen. »Ja, gern.«

Sie schien seine Verstimmung zu spüren. »Ich heiße Irene Gärtner«, pustete sie und streckte ihm die Hand hin. »Wir hatten noch gar keine Gelegenheit, uns näher bekannt zu machen.«

Das war nun so hübsch und so höflich gelogen, dass er unwillkürlich schmunzelte. »Dann sollten wir die Chance nutzen«, stimmte er zu und wuchtete das Tor hoch.

Auf der Fahrt hinunter schwieg sie, erst als er wie durch ein Wunder einen schattigen Parkstreifen auf dem Brunnenplatz gefunden hatte, wandte sie sich an ihn: »Haben Sie’s sehr eilig?«

»Nein«, murmelte er, »ich habe Urlaub. Niemand drängt mich.«

»Dann erlauben Sie mir, Sie zu einem Kaffee oder einem Eiskaffee einzuladen.« Weil er amüsiert die Augenbrauen hochzog, setzte sie fast ärgerlich hinzu: »Natürlich geht’s mir um den Toten.«

»Das dachte ich mir schon, Frau Gärtner. Ich brauche nur noch Zigaretten.« Es gab ein winziges Geschäft, das Tabakwaren und Zeitungen, Zeitschriften, Postkarten plus Briefmarken und Taschenbücher verkaufte. Außerdem konnte man dort Filme entwickeln und Positive herstellen lassen.

Der Buschtelegraf hatte wohl schon ausführlich getrommelt. Denn als sie das kleine, freundlich-helle Café betraten, drehten sich alle Köpfe zu ihnen um, einige Gäste starrten sie offen an, andere ließen sich Zeit und übten sich in vorgeblicher Diskretion. Ihr fiel es nicht auf, aber Ammert registrierte es automatisch. Er war einmal in einer vergleichbaren Situation von einem bewaffneten Ausbrecher, der bei seinem Anblick in Panik geriet, angeschossen worden; seitdem behielt er gerne alle fremden Menschen im Auge. Um diese Zeit war das Café immer gut besucht, viele Frauen hatten eingekauft und warteten auf den Bus; Schulkinder, die nicht in die Ferien gefahren waren, vertrieben sich hier die Zeit an dem Billard im Nebenzimmer; Männer tranken einen Schnaps und konnten ehrlich leugnen, während der Dienstzeit in einer Kneipe gewesen zu sein. Die beiden Mädchen in schwarzen Hosenröcken und weißen Blusen sausten pausenlos wie die Weberschiffchen hin und her.

»Zwei Portionen Kaffee«, bestellte er und steckte sein Päckchen wieder ein. Es roch nicht nach Rauch und es sah ganz so aus, als sei das Café eine Nichtraucherzone.

»Sofort!«

Irene Gärtner kam umgehend zur Sache: »Haben Sie den Mann gekannt?«

»Nein«, erwiderte er bedächtig, »ich habe ihn nie vorher gesehen oder getroffen.«

»Wir auch nicht.«

»Wer ist wir?« Sie war gar nicht so perfekt geschminkt, wie er gedacht hatte. Das Braun war echt, und der rosa Lippenstift passte in der Farbe dazu. Finger- und Zehennägel waren im gleichen Ton rosa lackiert. Und weil er gelernt hatte, genau hinzuschauen, fiel ihm auch auf, dass die Sonne einige Strähnen ihrer offensichtlich naturblonden Haare fast weiß gebleicht hatte.

Unvermittelt lachte sie auf. »Das fragen viele. Mit ›wir‹ meine ich auch meine Mutter und meine Tochter.«

Das war eine kleine Überraschung, er blinzelte, worauf sie maliziös kicherte: »Tatsächlich drei Generationen Gärtnerinnen, Herr Ammert.«

»Drei sehr bemerkenswerte Generationen«, verbeugte er sich ironisch.

»Danke. Wir haben den Mann vorher auch nie gesehen. Wir haben auch keine Ahnung, wer er sein könnte. Oder was er dort oben gewollt hat.«

»Ich auch nicht, Frau Gärtner.«

»Wie ist er eigentlich – gestorben?«

»Das weiß ich auch nicht. Durch einen Messerstich aus der Nähe oder ein Wurfmesser aus größerer Entfernung. Die Beamtin konnte oder wollte mir nichts verraten.« Er zögerte, fügte aber doch hinzu: »In vielen Fällen ist es gar nicht so leicht, eine exakte Todesursache festzustellen.«

»Ja, ich weiß, ich lese auch Krimis.«

Er blieb ernst: »Ist Ihnen aufgefallen, dass er für einen nächtlichen Spaziergang viel zu dünn angezogen war? Wahrscheinlich ist er auch ein Feriengast hier in der Nähe, und wenn die Polizei erst einmal herausgefunden hat, wer vermisst wird, geht es mit der Aufklärung voran.«

»Hoffentlich », stöhnte sie. »Gar so lange möchte ich hier nämlich nicht mehr bleiben. Meine Stellvertreterin hat für Mitte September Urlaub angemeldet und ich habe ihr zugesagt, Anfang September zurück zu sein.«

Er schaute sie fragend an, was ihr nicht entging. »Ich lebe in Bremen und bin Geschäftsführerin in einem Supermarkt für Büro- und Schreibbedarf.«

Er nickte nur. »Haben Sie heute Nacht was Ungewöhnliches gehört?«

»Nein«, erwiderte sie prompt, »keinen Laut.«

»Es sieht natürlich so aus, als habe der Mann versucht, in ein Haus einzudringen«, mutmaßte er vorsichtig, doch sie durchschaute ihn: »Ach, ach, Herr Ammert, da war diese Frau Thayer doch viel direkter.«

»Ich bin kein Kriminalbeamter.«

»Gottseidank! Nein, sie wollte wissen, ob eine von uns diesen Mann erwartet habe. Oder wenigstens von früher kannte – ob der also ein – hm – erotisches Abenteuer gesucht oder erhofft hatte.«

»Auch das ist ein naheliegender Verdacht bei drei so attraktiven Frauen«, versetzte Ammert trocken.

»Na ja, so kann man’s auch formulieren«, murrte sie, aber er hatte nicht den Eindruck, dass sie ernstlich verärgert oder gar beleidigt war. »Sie hat uns sogar angeboten, unter vier Augen mit ihr zu reden, damit wir ein sozusagen erotisches Geständnis ablegen können, und war ziemlich baff, als Mutter ihr ohne Schnörkel erklärte, dass über Männer, kurze wie längere Verhältnisse, one-night-stands und Beziehungen, die Bett-Qualität von Liebhabern in unserer Familie so offen wie ausführlich gesprochen werde.«

Weil das eine Spur zu burschikos klang, um ganz aufrichtig zu sein, brummte er unverbindlich, was ihr aber als Antwort ausreichte: »Dummerweise habe ich heute Nacht allein in dem mittleren Haus geschlafen, und die Kommissarin war nicht davon abzubringen, dass der Mann zu mir wollte.«

»Nehmen Sie’s nicht tragisch! Spätestens jetzt oder heute Nachmittag, wenn sie einen ersten Bericht für den Staatsanwalt schreibt, wird sie sich fragen, woher der Mann wissen konnte, dass er Sie in dieser Nacht allein in dem mittleren Haus antreffen würde.«

»Das habe ich ihr auch vorgehalten.«

»Aber sie hat’s nicht so recht geglaubt?«

»Nein, sie wollte partout wissen, wie wir die Betten verteilt haben, und als ich ihr sagte, das wechsele jeden Tag, gerade so, wie’s uns in den Sinn käme, schien sie gar nicht begeistert zu sein.«

»Ihre Mutter und Ihre Tochter haben auch nichts Ungewöhnliches gehört?«

»Nein, wir gehen alle früh zu Bett und schlafen dann durch.«

»Genau wie ich!« Sie hatte ihren Blick nicht völlig unter Kontrolle. Genau das hatte sie erfahren wollen. Die List verübelte er ihr nicht, sie machten sich eben doch Sorgen, kein Mensch wurde gern in einen Mordfall verwickelt. Er hätte ihr auseinanderlegen können, dass die Kriminalbeamtin zuerst die Frage untersuchen würde, wo der Mann gestorben war. War es nicht auf der Treppe, musste sie klären, wie die Leiche dorthin gekommen war: Getragen? Mit einem Auto gebracht, das auf dem Fahrweg im ersten oder zweiten Gang doch viel Lärm gemacht hätte? Sie würde nach einem Gefährt suchen, das sich zum Transport eines Toten eignete. Dabei würde sie nie vergessen, dass der Fundort der Leiche vom Täter ganz willkürlich gewählt sein konnte, um eine falsche Spur zu legen und die Kripo zu verwirren.

»Sie wollten noch einkaufen?«, riss sie ihn endlich aus seiner Grübelei.

»Ja, das letzte Stück trocken Brot habe ich heute Morgen als Frühstück in dünnen Kaffee tunken müssen.«

»Scheußlich. Ich komme mit – wenn Sie nichts dagegen haben.«

Das hatte er eigentlich, aber den Grund wollte er ihr nicht unter die Nase reiben. Zwei Wochen hatten sie ihn nach allen Regeln der Kunst geschnitten, und am Tage danach legten sie es darauf an, mit ihm in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Das musste nichts bedeuten, aber das erlernte Misstrauen angesichts überraschender Änderungen im Verhalten fremder Leute saß ihm tief in den Knochen. Mehr als zwei Jahrzehnte Gewöhnung ließen sich nicht so leicht abstreifen. Obwohl – Kollegin Thayer würde auch ihn routinemäßig verdächtigen.

»Dann wollen wir mal!«

Sie zahlte tatsächlich. Wieder folgten ihnen alle Blicke, als sie das Café verließen, er spürte deutlich, wie sie sich straffte und versteifte. In ihrem Beruf dürfte sie wohl kaum mit vielen Fremden in Berührung kommen. An der Tür drehte Ammert sich noch einmal um und sein Blick fiel auf einen stämmigen jungen Mann, der in dem kleinen Raum am hintersten Tisch vor der Wand saß und zum Ausgang sah. Ammert hatte noch nie einen Menschen getroffen, der so stark schielte. Genau so auffällig war eine wulstige kreisrunde rote Narbe auf der Stirn. Auf die Entfernung war nicht auszumachen, ob er der Blondine und ihrem Begleiter nachsah oder eine der flotten, jungen Bedienungen bewunderte.

Im Supermarkt schnappte sie sich einen Wagen und trennte sich von ihm. Er ließ sich Zeit und belud sein Gefährt so hoch, dass es Mühe kostete, damit noch unfallfrei Kurven zu bewältigen. Es gab sogar eine Regalabteilung mit Seifen, Sonnencreme und Pflastern. An der einzigen besetzten Kasse stand sie hinter ihm, und ihr Wagen war noch voller als seiner. Sie zahlte mit einem Fünfhundert-Euro-Schein – und das Mädchen starrte sie halb ängstlich, halb bewundernd an. Zum Glück kam sie nicht auf die Idee, die junge Verkäuferin mit der Bemerkung »Keine Angst, ich habe ihn erst heute Morgen frisch gedruckt« zu verwirren.

Auf der Rückfahrt schnaufte sie: »So, vielen Dank, ich musste unbedingt raus aus dem Haus.« Er beließ es bei einem unverbindlichen Nicken, weil er sie nicht ermuntern wollte. »Sie sind immer viel mit dem Rad unterwegs, nicht wahr?«

»Ja. Autofahren muss ich noch genug.«

Sie wollte noch etwas bemerken, überlegte es sich aber anders und bedankte sich herzlich, als er sie absetzte und ihr noch half, die vollen Tüten über schwankende Treppenstufen bis zur Haustür zu tragen.

Er räumte seine Vorräte ein, aß ein Brot aus der Hand und packte seine Badetasche. Die Sonne brütete aus einem jetzt schmutzig-blauen Himmel, es musste über 30 Grad haben, und er freute sich auf ein Bad. Den Wagen hatte er gleich wieder in seine Garage gestellt und das Rad herausgeholt. Nach der Hoppelei auf dem Fahrweg schaltete er stolz wie ein Rennfahrer in den höchsten Gang hoch. Das Rad war eine Wucht, er hatte es spontan am Montag nach seiner Ankunft in Wolkenstief gekauft, zur Freude des Händlers, der wohl selten ein so gutes Geschäft machte, und die Ausgabe hatte Ammert noch nicht bereut. Außerdem hatte er sich beim Fahrradhändler ein Schnabelkännchen mit Schmieröl geleistet und allen Tür-, Schrank- und Fensterscharnieren drei, vier Tröpfchen spendiert, damit das nervtötende, bis in die Zahnwurzeln dringende Kreischen und Kratzen aufhörte.

Die Bundesstraße führte am Hang entlang; oberhalb von Wolkenstief senkte sich der Hügelzug, der aus ihm unerfindlichen Gründen Kreuzkamm genannt wurde, bis ins Tal, und die Straße führte um die Nase herum ins benachbarte Lingental. Dort existierte ein schnurgrader Abschnitt bis nach Kollern, und weil auch in ihm ein Kind steckte, raste er die Neigung hinunter, ein Auge fest auf dem Tacho. Bis jetzt war seine Rekordmarke 70 km/h, es ging sicher noch schneller, aber ein letzter Rest von Verstand warnte ihn, dass dann an Bremsen oder Ausweichen überhaupt nicht mehr zu denken war.

Das Schwimmbad war wie jeden Tag fast überfüllt, hauptsächlich von Kindern besucht, die hier ihre Schulferien verbrachten. So hübsch der Landstrich einem Urlauber aus dem flachen Norddeutschland erscheinen mochte – mit Reichtum und Sehenswürdigkeiten war er nicht gesegnet. Industrie gab es so gut wie gar nicht, die meisten lebten wohl von der Landwirtschaft, und der Zustand vieler Höfe verriet, dass die Bauern mit dem Cent rechnen mussten. Einige hatten es mit Fremdenverkehr versucht, wie sein Deikesbauer mit der »Ferienhausanlage«, aber außer Ruhe und anstrengenden Spazierwegen, die nicht einmal besonders gut markiert waren, die Berge rauf und runter, hatte die Region einem Wanderer wenig zu bieten, und Sonnenmonate wie dieser heiße August waren die Ausnahme.

Mit viel Glück fand er noch einen Platz im Schatten, breitete seine Decke aus und stürmte ins Wasser. Schon jetzt, Mitte des Monats, hatte der August alle Rekordmarken an Sonnenscheindauer und Trockenheit übertroffen. Selbst das kalte Wasser war aufgeheizt, aber immer noch jene acht, neun Grad kühler, die für kurze Zeit den trügerischen Eindruck von Frische hervorriefen. Hinterher döste er auf seiner Badedecke und faulenzte, wie er es nie für möglich gehalten hätte. Er waR 45 Jahre alt und hatte zum ersten Mal seit vielen Jahren das Gefühl, sich total entspannen zu können und mehr noch: sich entspannen zu dürfen. Das Nichtstun zu genießen; und nicht nur mit Blick auf die Dienstvorschrift zu betreiben, dass der Beamte verpflichtet sei, durch überlegte und dosierte Erholung dem Staat seine Arbeitskraft zu erhalten. Sonne und Schatten wanderten weiter, er zog geduldig mit, und als er seinen Liegeplatz wegen der Nachbarn nicht mehr verschieben konnte, cremte er sich ein.

»Wie gut, dass Sie Ihren Rücken nicht sehen können«, tadelte eine helle Frauenstimme hinter ihm.

Überrascht drehte er sich um. Eine der blonden Gärtnerinnen – aber nicht Irene, sondern – sie deutete seinen verdutzten Ausdruck richtig: »Ich bin Ina, die jüngste.«

»Sehr erfreut«, murmelte er nicht eben geistreich.

»Wirklich?«, lachte sie fröhlich. »Legen Sie sich mal auf den Bauch. Ihr Rücken ist krebsrot, im Moment könnten Sie ein Spiegelei darauf braten. Es wird höchste Zeit, den Brand zu löschen.«

Warum er widerspruchslos gehorchte, wusste er nicht. Heute Mittag die Mutter, jetzt die Tochter – die Mutter hatte ihm besser gefallen, die Tochter sah etwas ordinär aus, weil leicht übergewichtig, dachte er. Für den knappen Bikini schleppte sie einen zu großen Busen und zu viele Pfunde mit sich herum, oben wie in der Mitte, und die Ringe unter ihren Augen wirkten nicht interessant, sondern auf ihn eher abstoßend. Die Haare hatten wohl einen goldblonden Ton, standen ihr aber wirr vom Kopf ab. Eine Schönheit war sie nicht.

Unter der kühlen Creme zuckte er zusammen, sie verrieb energisch eine beachtliche Menge aus der neu erworbenen Großtube, und das Gefühl von unangenehmer Spannung unterhalb der Schulterblätter löste sich auf.

»So, fertig«, fand sie. »Es wurde auch höchste Eisenbahn.«

Ächzend rollte er herum, und sie setzte sich wie selbstverständlich neben ihn. »Vielen Dank.«

»Gern geschehen.« Ihr Blick aus großen, dunkelblauen Augen war offen, und in ihrer ganzen Art lag nichts, was er als Flirt missverstehen konnte. Als ob sie sich aufrichtig freute, einen alten Bekannten zu treffen. »Das Bad hätten wir früher entdecken müssen.«

»Sind Sie zum ersten Mal hier?«

»Ja, leider«, seufzte sie. »Mutter und Großmutter liegen lieber allein im Garten.«

»Und Sie?«

»Ach, ich gehe gerne schwimmen, aber sie wollen mich in meinem Zustand nicht gern allein ziehen lassen.«

»In Ihrem Zustand?«, wiederholte er tölpelhaft.

Sie drehte den Kopf und grinste erstaunt: »Ja, ich bin schwanger. Sagen Sie bloß, das haben Sie noch nicht bemerkt!«

»Nein«, schüttelte er verwirrt den Kopf. Das erklärte ihre Figur und die Ringe um die Augen, das ja. Aber sie konnte doch nicht viel älter sein als zwanzig, höchstens zweiundzwanzig. Sein Gesicht verriet seine Überlegungen.

Jetzt stöhnte sie theatralisch. »Es scheint in unserer Familie zu liegen. Alle Frauen haben vor und spätestens mit fünfundzwanzig ihr erstes Kind bekommen. Es gab auch schon Geburten vor zwanzig.«

Erstaunlich, sie hatte seine Gedanken präzis gelesen. Ihr lockerer Ton legte eine flapsige Bemerkung nahe, etwa von der Art, dass dazu ja immer zwei gehörten, doch im letzten Moment bremste er sich. Warum, das wusste er selbst nicht so genau, vielleicht wollte er sich instinktiv nicht in eine Art Vertraulichkeit mit den drei Gärtnerinnen hineinziehen lassen. Für seinen Geschmack schalteten sie zu schnell von distanziert auf kontaktfreudig um, so schnell, dass er dahinter eine Absicht vermuten musste.

»Ich glaube mich an kluge Artikel zu erinnern, dass Schwimmen für Schwangere gut ist.«

»Das haben Sie wirklich sehr artig formuliert. Herr Ammert«, spottete sie.

Trotzdem hockte sie noch eine halbe Stunde neben ihm, danach begleitete er sie ins Wasser. Sie schwamm ausgezeichnet und brauchte überhaupt keinen Aufpasser oder Wächter, und als sie vergnügt auf dem Rücken dahintrieb und er neben ihr her paddelte, unterhielten sie sich wie alte Bekannte. Hübsch genug war sie bestimmt gewesen, Männer anzulocken, aber hinter der scheinbar naiven Offenheit meinte er doch eine scharfe Beobachtungsgabe zu entdecken. Was das andere Geschlecht betraf, so war sie älter als erste Hälfte zwanzig, aber es hatte nichts mit der kaltschnäuzigen Nüchternheit einer jungen Frau zu tun, die zu früh schon durch zu viele Betten gewandert war. Warum war sie schwanger geworden und warum wollte sie das Kind haben? Der Gedanken war verlockend, sie auszufragen, aber er widerstand ihm. In manchen Äußerungen erkannte er noch einen unbekümmerten Teenager, eine ganz normale junge Studentin etwa, die Semesterferien hatte und fröhlich eine unbeschwerte Zeit genoss. Über ihre Schwangerschaft machte sie sich offensichtlich nicht die geringsten Sorgen, als sei es ganz normal, so früh Mutter zu werden. Auf der anderen Seite beherrschte sie die Kunst, mit ihm, einem gut zwanzig Jahre älteren Mann, freundlich und locker zu plaudern, ohne albern zu werden oder die Distanz zu verletzten, die sie aufgebaut hatte und beizubehalten wünschte. Leise schmunzelnd schaute er sie öfter an. Weder altklug noch frühreif. Er wurde nicht recht schlau aus ihr, und sie durchschaute ihn. »Sie haben keine Kinder?«

»Nein, ich bin auch nicht verheiratet.«

»Kinder gibt’s auch ohne Trauschein.«

»Sicher. Mir hat eine Psychologin mal gesagt: ›Pubertät ist die Zeit, in der die Eltern schwierig werden.‹ Und auf diese Erfahrung habe ich nie viel Wert gelegt.«

Sie lachte. »Den Spruch muss ich mir merken.«

Über die Kommissarin Thayer hatte sie sich geärgert: »Sehr hartnäckig.«

»So?«

»Und wie! Dass drei Frauen in dieser einsamen Gegend alleine Urlaub machen, will ihr nicht in den Kopf.«

»Es ist auch ungewöhnlich, Frau Gärtner.«

»Wir sind auch eine sehr unkonventionelle Familie, Herr Ammert.« Das war zwar leicht dahingesagt, und doch mit einem Unterton der Zurechtweisung, den er nicht überhören konnte.

»Darauf trinken wir einen Schluck. Für Sie Milch, wie ich vermute?«

»Leider.« Sie zog einen Schmollmund. »Kennen Sie das Stoßgebet kleiner Mädchen? – Lieber Gott, lass die Vitamine doch im Pudding sein!«

»Sie meinen, so wie das Kalzium in der Cola?«

»Zum Beispiel.«

Den Vater ihres Kindes erwähnte sie mit keinem Wort. Um achtzehn Uhr verabschiedete sie sich: »Sie sind wahrscheinlich mit dem Rad gekommen? Soll ich Sie mitnehmen?«

»Nein, vielen Dank, ich strampele gern noch etwas.«

Sie nickte und sagte unvermittelt: »Morgen kaufe ich mir einen Badeanzug.« Mit diesen Worten ging sie los Richtung Umkleidekabinen, und er wunderte sich, dass sie sein stummes Missfallen so genau registriert hatte. Ob sie schon berufstätig war oder noch in einer Ausbildung steckte?

An der Treppe erwartete ihn Schönbusch. Er fühlte sich unwohl und verbarg es nicht, hüstelte nervös, als er aufstand, und musste sich ein paarmal kräftig räuspern: »Entschuldigen Sie bitte, Herr Rat, aber Oberkommissarin Thayer hätte gern mit Ihnen gesprochen.« Sein Blick heftete sich fest auf einen imaginären Punkt über Ammerts Schulter.

»Wo? Jetzt sofort?«

»In der Dienststelle in Wolkenstief. Ich soll Ihnen ausrichten, sie würde auf Sie warten. Ich meine, es eilt nicht – also, Sie sollen nicht hetzen …« Ammert hatte den Wagen unten auf der Straße schon an der zusätzlichen Antenne erkannt. Die Pause war vorbei, der Vorhang hob sich zum zweiten Akt. Schönbusch stotterte tapfer weiter: »Ich bringe Sie auch gern zurück, wenn Sie fertig – äh, wenn alles besprochen …«

»Nein, danke«, schnitt er ihm das Wort ab. »ich nehme meinen Wagen und fahre hinter Ihnen her.«

»Ja, natürlich, ganz, wie Sie wünschen.« Die Erleichterung, nicht mit Ammert in einem Auto sitzen zu müssen, ließ ihn strahlen.

Wie Ammert sich gedacht hatte, legte Schönbusch ein forsches Tempo vor, das Auto verlieh ihm ein Stück des Selbstbewusstseins, das ihm fehlte oder unter dem Speckgürtel erstickt war.

Für eine Stadt war Wolkenstief noch zu klein, für ein Dorf aber etwas zu groß geworden. Den dreieckigen Dorfplatz mit den alten Fachwerkhäusern hatte man liebevoll restauriert, das Rathaus aus graubraunen Bruchsteinen überragte die Nachbargebäude und rief Assoziationen an Schwindsucht wach: Hoch, schmal, schwachbrüstig. Nach hinten heraus war ein moderner Bürotrakt aus Beton und Glas unter einem Flachdach angeklebt worden, der viel Phantasielosigkeit des Architekten verriet. Den linken Teil des Untergeschosses nahmen das Revier und die Kriminalinspektion Wolkenstief ein, beide litten unter der bundesweit bekannten Polizeikrankheit der Enge und Raumnot. Schönbusch hatte sich noch vor dem Eingang verdächtig rasch verabschiedet, und Ammert griente, als er den Gang zum Dienstzimmer der Oberkommissarin Franziska Thayer hinunterlief. Ob ihre Kollegen sie Franzi nannten? Es roch nach Papier, Staub, Bohnerwachs und der bundeseinheitlichen Möbelpolitur für Ämter. Irgendwann würde er auch herauskriegen, wo diese entsetzlichen, praktischen Büromöbel hergestellt wurden, die so schäbig und so hässlich, aber leider auch so unverwüstlich waren.

Als er klopfte, öffnete Franziska Thayer die Tür: »Guten Abend, Herr Ammert.« Sie gab ihm nicht die Hand, obwohl sie zuerst daran gedacht hatte; es würde eine eher unangenehme Unterredung werden.

»Guten Abend.« Immerhin entschuldigte sie sich nicht dafür, dass sie ihn hergebeten hatte.

»Das Protokoll Ihrer Aussage ist fertig.«

»Deswegen haben Sie mich doch nicht kommen lassen?«

»Nein«, gab sie zu und holte tief Luft. »Nicht allein deswegen. Ich habe – ich habe mit ihrem ehemaligen Präsidium telefoniert.«

»Und anschließend mit dem LKA in Kiel«, ergänzte er müde.

Sie nickte nur und griff nach einer großen Thermoskanne. Tassen, Sahne und Zucker standen schon bereit, sie goss Kaffee ein, der nicht nach Dienstqualität gekocht war, und als er ihr eine Zigarette anbot, bediente sie sich nach kurzem Zögern.

»Ich weiß nicht, wie ich anfangen soll«, gestand sie plötzlich offen und versuchte nicht länger, ihre Verlegenheit zu kaschieren. »Es war – nun ja, es war auch viel Neugier dabei. Warum Sie den Dienst quittiert haben.«

»Und? Wissen Sie es nun?«

»Nein. Das wollte – nein, man hat mich an das LKA verwiesen, und dort wollte mir am Telefon kein Mensch Auskunft geben.«

Nachdenklich musterte er sie und überlegte. Sie konnte ihn nicht zwingen, mit der Wahrheit herauszurücken, und aus dem Landeskriminalamt würde sie nur die Formel erfahren, auf die sie sich bei seinem Ausscheiden vertraglich geeinigt hatten: Auf eigenen Wunsch vorzeitig den Dienst quittiert.

Genau diese Formel benutzte sie nun: »Auf eigenen Wunsch den Dienst vorzeitig quittiert.«

»Ja.«

»Verzeihen Sie, das glaube ich Ihnen nicht.«

»Das dürfen Sie ruhig, es gab keinen dienstrechtlichen Anlass, mich rauszuwerfen, ich bin freiwillig gegangen.«

»Würden Sie mir erzählen, warum?«

»Warum interessiert Sie das?«

»Weil es mich natürlich verwundert«, sagte sie leise. »So jung Erster im Ersten. Dann Rat, ins Landeskriminalamt berufen. Und dort nach zwei Jahren ausgeschieden.«

»Nach dreiundzwanzig Monaten«, berichtigte er sachlich. »Es war ein Kuhhandel, Frau Thayer. Am Ende eines internen Untersuchungsverfahrens gegen mich, wegen des von der Presse erhobenen Vorwurfs der fahrlässigen Tötung. Beide Seiten haben sich der Formel verpflichtet, dass ich auf eigenen Wunsch ausgeschieden bin. Über alles andere wollen beide Seiten Schweigen bewahren.«

Sie schnappte nach Luft, und er griente schmal. »Manche Umstände sprachen gegen mich, viele Kollegen, denen ich dienstlich schmerzhaft auf die Hühneraugen getreten war, wollten mir meine Version der Geschichte nicht glauben, und zum Schluss siegte der berüchtigte Korpsgeist; die Amtsleitung machte mir ein Angebot: Freiwilliger Abschied, dafür kein Skandal und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft. Der Schild muss sauber bleiben.«

»Nein«, flüsterte sie und wagte nicht, ihn anzuschauen. Ihre Zigarette hatte sie im Aschenbecher vergessen, der blaue Rauchfaden stieg senkrecht hoch. Irgendwo klapperte eine uralte Schreibmaschine. Düster betrachtete er sie, aber sie wollte nichts sagen und schaute angestrengt auf ihre gefalteten Hände. Was hatte sie erwartet? Einen Zornesausbruch oder eine wortreiche Verteidigung? Den Schild sauber halten, das Verhalten musste sie doch kennen, alle Behörden bemühten sich, unauffällig ihre Teppiche anzuheben und den Dreck darunter zu kehren. Und er hatte mitgespielt, eisern geschwiegen, als trotzdem die ersten Artikel erschienen. Er hatte nie daran gezweifelt, dass es irgendwo im LKA oder in der Staatsanwaltschaft, vielleicht auch im Präsidium, eine undichte Stelle gab, dazu war das Amt zu groß und er, der neue Besen und Re-Organisator, zu unbeliebt. Mit dem Makel musste er leben, und mittlerweile ging es besser, als er gefürchtet hatte.

»Das habe ich nicht geahnt«, sagte sie endlich schwerfällig.

Eine Antwort sparte er sich. »Haben Sie den Mann identifiziert?«

»Nein. Nicht die geringste Vorstellung, wie und warum er sich auf diese Treppe verirrt hat.« Sie blätterte in einer Akte, hörbar um einen neutralen Tonfall bemüht. »Mit Ihrer Vermutung haben Sie übrigens Recht gehabt. Es war ein Wurfmesser, aber der Sachverständige wundert sich, woher es stammen soll. Kein Zirkusartist würde mit einer solchen Waffe auftreten, und ein Laie wäre nicht in der Lage, so präzis und so wuchtig zu treffen.«

»Haben Sie Fingerabdrücke auf dem Heft gesichert?«

»Ja, aber der Amtsschimmel trabt noch.«

»Schweißspuren? Verwertbares DNA-Material?«

»Nein, bisher leider nicht. Vermutlich hat der Tau zu viel abgewaschen.«

»Was meint denn der Sachverständige zu dem Messer? Woher kann es stammen?«

»Das kann er nicht bestimmen. Wir müssen die Waffe zum BKA schicken. Da müssen die Chemiker und Metallurgen ran.«

»Wird der Tote irgendwo vermisst?«

»Nicht in der näheren Umgebung.« Sie zuckte die Schultern. »Wir haben uns bis jetzt natürlich auf telefonische Nachfragen beschränken müssen, vernünftige Porträts des Toten bekomme ich erst morgen früh. Die ganze Kriminalinspektion besteht aus vier Leuten, einer ist in Urlaub, einer kümmert sich um eine hässliche Serie von Vergewaltigungen, und Schönbusch …«, sie lächelte gequält, und er hätte sich gern angeschlossen. Jede Wette, dass sie nicht freiwillig in Wolkenstief gelandet war.

»Offiziell ist er wohl nicht als vermisst gemeldet?«

»Nein.«

»Und wie steht’s mit Fingerabdrücken?«

»Der Amtsschimmel trabt auch in diesem Fall noch.«

»Er muss eine Jacke oder einen Pullover oder einen Anorak bei sich gehabt haben.«

»Zwei Männer suchen noch die Umgebung ab, aber große Hoffnungen mache ich mir nicht.«

»Fußspuren in der Nähe der Leiche?«

»Nein, nichts.« Sie klappte die Akte zu. »Sie haben sich doch den Toten genau angesehen – doch, doch, Herr Ammert, solche Gewohnheit streift man nicht ab.«

»Na schön«, gab er nach, »die Frisur – da war kein billiger Figaro am Werk gewesen. Und seine Hände lassen darauf schließen, dass er keine Handarbeit leistete. Die Armbanduhr müsste ein Werkszeichen oder eine Seriennummer zeigen, vielleicht führt das weiter.«

»Alles bereits angeleiert.«

»Weiter: Warum waren Hemd und Hose nicht feucht vom Tau?«

»Richtig. Selbst wenn er erst um drei Uhr ermordet worden ist, müsste der Tau seine Sachen durchfeuchtet haben. Wir haben aber diesen Morgenwind im Tal, der kann eine Menge weggetrocknet haben.«

»Der Staub auf den Jogging-Schuhen war ebenfalls trocken.«

»Ja. Im Profil der Sohlen steckte Erde, aber Sie wissen ja selbst, wie lange solche botanisch-mineralogischen Untersuchungen dauern.«

Danach verstummten sie wie auf Kommando. Er wollte ihr nicht sagen, dass die Routine weitergehen müsse, und sie schien zu überlegen, ob sie ihn weiter einweihen sollte. Schließlich langte sie nach der Kanne und verteilte den restlichen Kaffee gerecht. »Diese Gärtner-Familie. Ich werde aus den drei Frauen nicht schlau.«

»Ich auch nicht!«, versetzte er trocken. »Und ich glaube mittlerweile, genau darauf legen sie es an, weil sie etwas verbergen möchten, was ihrer Meinung nach keinen anderen was angeht.«

»Großmutter, Mutter und Kind – und die Kleine ist schwanger – ach, das wussten Sie schon?«

»Die Mutter, die mittlere, hat mich heute Vormittag zum Kaffee eingeladen. Und ihre Tochter hat mir heute im Freibad den Rücken eingecremt.«

»Dann fehlt noch die Großmutter.«

»Der Tag ist ja noch nicht vorbei.«

»Heute Morgen haben Sie mir gesagt, die Damen hielten auf Distanz.«

»Sehr entschlossen sogar. Und genau so entschieden haben sie diese Distanz aufgegeben und suchen nun meine Bekanntschaft.«

»Wissen die, was Sie früher …?«

»Nein, nicht von mir!«

»Ich werde mich hüten!«, versprach sie eilig.

»Die Gärtnerinnen sind wohl beunruhigt und scheinen zu vermuten, ich wüsste, wer der Tote ist.«

Zu seinem Erstaunen schüttelte sie den Kopf: »Nicht beunruhigt. Die Damen sind sogar ungewöhnlich gelassen. Also, ich habe den Eindruck, es braucht sehr viel mehr als nur einen Mord vor ihrer Haustür, um sie aufzuregen.«

»Denkbar«, räumte er ein.

»Was treiben die hier? Hier ist nichts los, kaum Sehenswürdigkeiten, keine Gesellschaft. Und wenn es Komplikationen wegen der Schwangerschaft geben sollte, müsste Ina mit dem Hubschrauber nach Nürnberg oder Amberg gebracht werden.« Einen Moment stockte sie. »Zuerst habe ich wegen der Schwangerschaft der Kleinen gedacht, sie wollten … aber die Gegend hier ist stockkonservativ, die Frauen müssten selbst zu legalen Abbrüchen weit weg fahren, geschweige denn …«

»Ich hatte den Eindruck, dass diese Ina sich auf das Kind freut.«

»Mutter und Großmutter gleichfalls.« Sie kaute auf den Lippen und schaute an ihm vorbei. Bei einem anderen Zeugen hätte sie ihre Ratlosigkeit nicht so offen gezeigt.

»Was machen die Frauen eigentlich beruflich. Wovon leben sie?«

»Großmutter Isolde hat von ihrem Vater die Hälfte einer Import-Exportfirma geerbt, die ihr Bruder Hagen führt. Als ich sie gefragt habe, hat sie nur gemurmelt, sie habe einiges Geld gut angelegt.«