Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger - Wilhelm Heinrich Wackenroder - E-Book

Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger E-Book

Wilhelm Heinrich Wackenroder

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Beschreibung

Ein Meisterwerk der Frühromantik! Die autobiographisch geprägte Geschichte aus Wackenroders "Herzergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders" ist aus der Sicht des frommen Klosterbruders für die junge Künstlergeneration geschrieben worden. Anders als in den vorherigen Abhandlungen, in denen die bildende Kunst dominiert geht es in dieser letzten Erzählung um die Musik und um den Kirchenmusiker Joseph Berglinger, der mit ganz existenziellen Nöten kämpft. -

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Seitenzahl: 50

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Wilhelm Heinrich Wackenroder

Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger

in zwei Hauptstücken

Saga

Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph BerglingerCoverbild/Illustration: Shutterstock Copyright © 1797, 2020 Wilhelm Heinrich Wackenroder und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726642988

 

1. Ebook-Auflage, 2020

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

 

SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

– a part of Egmont www.egmont.com

Erstes Hauptstück

Ich habe mehrmals mein Auge rückwärts gewandt, und die Schätze der Kunstgeschichte vergangener Jahrhunderte zu meinem Vergnügen eingesammelt; aber jetzt treibt mich mein Gemüt, einmal bei den gegenwärtigen Zeiten zu verweilen, und mich an der Geschichte eines Künstlers zu versuchen, den ich seit seiner frühen Jugend kannte und der mein innigster Freund war. Ach, leider bist du bald von der Erde weggegangen, mein Joseph! und nicht so leicht werd ich deinesgleichen wieder finden. Aber ich will mich daran laben, der Geschichte deines Geistes, von Anfang an, so wie du mir oftmals in schönen Stunden sehr ausführlich davon erzählt hast, und so wie ich selbst dich innerlich kennengelernt habe, in meinen Gedanken nachzugehen, und denen, die Freude daran haben, deine Geschichte zu erzählen. –

Joseph Berglinger ward in einem kleinen Städtchen im südlichen Deutschland geboren. Seine Mutter mußte die Welt verlassen, indem sie ihn darein setzte; sein Vater, schon ein ziemlich bejahrter Mann, war Doktor der Arzneigelehrsamkeit, und in dürftigen Vermögensumständen. Das Glück hatte ihm den Rücken gewandt; und es kostete ihn sauren Schweiß, sich und sechs Kinder (denn Joseph hatte fünf weibliche Geschwister) durch das Leben zu bringen, zumal, da ihm nun eine verständige Wirtschafterin mangelte.

Dieser Vater war ursprünglich ein weicher und sehr gutherziger Mann, der nichts lieber tun mochte als helfen, raten und Almosen geben, so viel er nur vermögend war; der nach einer guten Tat besser schlief als gewöhnlich; der lange, mit herzlicher Rührung und Dank gegen Gott, von den guten Früchten seines Herzens zehren konnte und seinen Geist am liebsten mit rührenden Empfindungen nährte. Man muß in der Tat allemal von tiefer Wehmut und herzlicher Liebe ergriffen werden, wenn man die beneidenswerte Einfachheit dieser Seelen betrachtet, welche in den gewöhnlichen Äußerungen des guten Herzens einen so unerschöpflichen Abgrund von Herrlichkeit finden, daß dies völlig ihr Himmel auf Erden ist, wodurch sie mit der ganzen Welt versöhnt, und immer in zufriedenem Wohlbehagen erhalten werden. Joseph hatte ganz diese Empfindung, wenn er seinen Vater betrachtete – aber ihn hatte der Himmel nun einmal so eingerichtet, daß er immer nach etwas noch Höherem trachtete; es genügte ihm nicht die bloße Gesundheit der Seele, und daß sie ihre ordentlichen Geschäfte auf Erden, als arbeiten und Gutes tun, verrichtete – er wollte, daß sie auch in üppigem Übermute dahertanzen, und zum Himmel, als zu ihrem Ursprunge, hinaufjauchzen sollte.

Das Gemüt seines Vaters war aber auch noch aus andern Dingen zusammengesetzt. Er war ein emsiger und gewissenhafter Arzt, der Zeit seines Lebens an nichts als an der Kenntnis der seltsamen Dinge, die im menschlichen Körper verborgen liegen, und an der weitläufigen Wissenschaft aller jammervollen menschlichen Gebrechen und Krankheiten seine Lust gehabt hatte. Dieses eifrige Studium nun war ihm, wie es öfters zu geschehen pflegt, ein heimliches, nervenbetäubendes Gift geworden, das alle seine Adern durchdrang und viele klingende Saiten des menschlichen Busens bei ihm zernagte. Dazu kam der Mißmut über das Elend seiner Dürftigkeit, und endlich das Alter. Alles dieses zehrte an der ursprünglichen Güte seines Gemüts; denn bei nicht starken Seelen geht alles, womit der Mensch zu schaffen hat, in sein Blut über und verwandelt sein Inneres, ohne daß er es selber weiß.

Die Kinder des alten Arztes wuchsen bei ihm auf, wie Unkraut in einem verwilderten Garten. Josephs Schwestern waren teils kränklich, teils von schwachem Geiste und führten ein kläglich einsames Leben in ihrer dunklen, kleinen Stube.

In diese Familie konnte niemand weniger passen, als Joseph, der immer in schöner Einbildung und himmlischen Träumen lebte. Seine Seele glich einem zarten Bäumchen, dessen Samenkorn ein Vogel in das Gemäuer öder Ruinen fallen ließ, wo es zwischen harten Steinen jungfräulich hervorschießet. Er war stets einsam und still für sich, und weidete sich nur an seinen inneren Phantasien; drum hielt der Vater auch ihn ein wenig verkehrt und blöden Geistes. Seinen Vater und seine Geschwister liebte er aufrichtig; aber sein Inneres schätzte er über alles und hielt es vor andern heimlich und verborgen. So hält man ein Schatzkästlein verborgen, zu welchem man den Schlüssel niemandem in die Hände gibt.

Seine Hauptfreude war von seinen frühesten Jahren an die Musik gewesen. Er hörte zuweilen jemanden auf dem Klavier spielen und spielte auch selber etwas. Nach und nach bildete er sich durch den oft wiederholten Genuß auf eine so eigene Weise aus, daß sein Inneres ganz und gar zu Musik ward und sein Gemüt, von dieser Kunst gelockt, immer in den dämmernden Irrgängen poetischer Empfindung umherschweifte.

Eine vorzügliche Epoche in seinem Leben machte eine Reise nach der bischöflichen Residenz, wohin ein begüterter Anverwandter, der dort wohnte, und der den Knaben liebgewonnen hatte, ihn auf einige Wochen mitnahm. Hier lebte er nun recht im Himmel: sein Geist ward mit tausendfältiger schöner Musik ergötzt und flatterte nicht anders als ein Schmetterling in warmen Lüften umher.