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Wilhelm Heinrich Wackenroder war Jurist und Schriftsteller und gilt als Mitbegründer der deutschen Romantik. In diesem Band finden sich seine Werke: Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst
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Seitenzahl: 325
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Schriften und Dichtungen
Wilhelm Heinrich Wackenroder
Inhalt:
Wilhelm Heinrich Wackenroder – Biografie und Bibliografie
Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders
An den Leser dieser Blätter
Raffaels Erscheinung
Sehnsucht nach Italien
Der merkwürdige Tod des zu seiner Zeit weitberühmten alten Malers Francesco Francia, des ersten aus der Lombardischen Schule
Der Schüler und Raffael
Ein Brief des jungen florentinischen Malers Antonio an seinen Freund Jacobo in Rom
Das Muster eines kunstreichen und dabei tiefgelehrten Malers, vorgestellt in dem Leben des Leonardo da Vinci, berühmten Stammvaters der Florentinischen Schule
Zwei Gemäldeschilderungen
Einige Worte über Allgemeinheit, Toleranz und Menschenliebe in der Kunst
Ehrengedächtnis unsers ehrwürdigen Ahnherrn Albrecht Dürers
Von zwei wunderbaren Sprachen und deren geheimnisvoller Kraft
Von den Seltsamkeiten des alten Malers Piero di Cosimo aus der Florentinischen Schule
Wie und auf welche Weise man die Werke der großen Künstler der Erde eigentlich betrachten und zum Wohle seiner Seele gebrauchen müsse
Die Größe des Michelangelo Buonarroti
Brief eines jungen deutschen Malers in Rom an seinen Freund in Nürnberg
Die Bildnisse der Maler
Die Malerchronik
Das merkwürdige musikalische Leben des Tonkünstlers Joseph Berglinger
Phantasien über die Kunst für Freunde der Kunst
Erster Abschnitt
I. Schilderung wie die alten deutschen Künstler gelebt haben: wobei zu Exempeln angeführt werden Albrecht Dürer, nebst seinem Vater Albrecht Dürer dem Alten
II. Eine Erzählung, aus einem italienischen Buche übersetzt
III. Raffaels Bildnis
IV. Das jüngste Gericht von Michael Angelo
V. Die Peterskirche
VI. Watteaus Gemälde
VII. Über die Kinderfiguren auf den Raffaelschen Bildern
VIII. Ein paar Worte über Billigkeit, Mäßigkeit und Toleranz
IX. Die Farben
X. Die Ewigkeit der Kunst
Zweiter Abschnitt
Anhang einiger musikalischer Aufsätze von Joseph Berglinger
I. Ein wunderbares morgenländisches Märchen von einem nackten Heiligen
II. Die Wunder der Tonkunst
III. Von den verschiedenen Gattungen in jeder Kunst, und insbesondere von verschiedenen Arten der Kirchenmusik
IV. Fragment aus einem BriefeJoseph Berglingers
V. Das eigentümliche innere Wesen der Tonkunst, und die Seelenlehre der heutigen Instrumentalmusik
VI. Ein Brief Joseph Berglingers
VII. Unmusikalische Toleranz
VIII. Die Töne
IX. Symphonien
Der Traum
Schriften und Dichtungen , W. H. Wackenroder
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
86450 Altenmünster, Loschberg 9
Deutschland
ISBN:9783849639501
www.jazzybee-verlag.de
www.facebook.com/jazzybeeverlag
Deutscher Romantiker, geb. 1773 in Berlin, gest. daselbst 13. Febr. 1798 als Referendar beim Kammergericht, musste sich nach dem Willen seines Vaters dem Rechtstudium widmen, während er, schon auf dem Gymnasium innig mit Ludwig Tieck befreundet, mit ganzer Seele der Kunst zugewendet war. Durch Fasch und Reichardt der Musik, durch K. Ph. Moritz der bildenden Kunst, durch E. J. Koch der altdeutschen Literatur zugeführt, beschäftigte sich W. auch während seiner Universitätsjahre in Erlangen und Göttingen vorzugsweise mit Kunststudien. Besuche der Bildersammlungen in Kassel und Salzdahlum und vor allem Ausflüge nach Nürnberg, wo ihm die deutsche Vergangenheit greifbar entgegentrat, nährten die Begeisterung seiner tiefinnerlichen, kindlichen Natur, die im Widerstreit mit einem aufgedrungenen Berufe verkümmerte. Schon 1797 war von ihm eine Sammlung seiner Aufsätze über Kunst u. d. T.: »Herzensergießungen eines kunstliebenden Klosterbruders« (mit einer Vorrede und einigen Zugaben von Dieck) im Druck erschienen. Aus seinem Nachlass gab Dieck die »Phantasien über die Kunst« heraus (1799; neue Ausg. von Minor in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Bd. 145). Auch an Tiecks Roman »Franz Sternbalds Wanderungen« hatte W. Au teil. Durch seine gläubig verehren de Hingabe an alt deutsches Wesen und altdeutsche Kunst wurde er für die weitere Entwickelung der deutschen Poesie und Malerei von vorbildlicher Bedeutung. Vgl. Wölflin in den »Studien zur Literaturgeschichte« (Hamb. u. Leipz. 1893); Koldewey. W. und sein Einfluß auf Tieck (Leipz. 1904).
In der Einsamkeit eines klösterlichen Lebens, in der ich nur noch zuweilen dunkel an die entfernte Welt zurückdenke, sind nach und nach folgende Aufsätze entstanden. Ich liebte in meiner Jugend die Kunst ungemein, und diese Liebe hat mich, wie ein treuer Freund, bis in mein jetziges Alter begleitet: ohne daß ich es bemerkte, schrieb ich aus einem innern Drange meine Erinnerungen nieder, die du, geliebter Leser, mit einem nachsichtsvollen Auge betrachten mußt. Sie sind nicht im Ton der heutigen Welt abgefaßt, weil dieser Ton nicht in meiner Gewalt steht, und weil ich ihn auch, wenn ich ganz aufrichtig sprechen soll, nicht lieben kann.
In meiner Jugend war ich in der Welt und in vielen weltlichen Geschäften verwickelt. Mein größter Drang war zur Kunst, und ich wünschte ihr mein Leben und alle meine wenigen Talente zu widmen. Nach dem Urteile einiger Freunde war ich im Zeichnen nicht ungeschickt, und meine Kopien sowohl, als meine eigenen Erfindungen mißfielen nicht ganz. Aber immer dachte ich mit einem stillen, heiligen Schauer an die großen gebenedeiten Kunstheiligen; es kam mir seltsam, ja fast albern vor, daß ich die Kohle oder den Pinsel in meiner Hand führte, wenn mir der Name Raffaels oder Michelangelos in das Gedächtnis fiel. Ich darf es wohl gestehen, daß ich zuweilen aus einer unbeschreiblichen wehmütigen Inbrunst weinen mußte, wenn ich mir ihre Werke und ihr Leben recht deutlich vorstellte: ich konnte es nie dahin bringen, – ja ein solcher Gedanke würde mir gottlos vorgekommen sein, – an meinen auserwählten Lieblingen das Gute von dem sogenannten Schlechten zu sondern, und sie am Ende alle in eine Reihe zu stellen, um sie mit einem kalten, kritisierenden Blicke zu betrachten, wie es junge Künstler und sogenannte Kunstfreunde wohl jetzt zu machen pflegen. So habe ich, ich will es frei gestehn, in den Schriften des H. von Ramdohr nur weniges mit Wohlgefallen gelesen; und wer diese liebt, mag das, was ich geschrieben habe, nur sogleich aus der Hand legen, denn es wird ihm nicht gefallen. Diese Blätter, die ich anfangs gar nicht für den Druck bestimmt, widme ich überhaupt nur jungen angehenden Künstlern, oder Knaben, die sich der Kunst zu widmen gedenken, und noch die heilige Ehrfurcht vor der verflossenen Zeit in einem stillen, unaufgeblähten Herzen tragen. Sie werden vielleicht durch meine sonst unbedeutende Worte noch mehr gerührt, zu einer noch tiefern Ehrfurcht bewegt; denn sie lesen mit derselben Liebe, mit der ich geschrieben habe.
Der Himmel hat es so gefügt, daß ich mein Leben in einem Kloster beschließe: diese Versuche sind daher das einzige, was ich jetzt für die Kunst zu tun imstande bin. Wenn sie nicht ganz mißfallen, so folgt vielleicht ein zweiter Teil, in welchem ich die Beurteilungen einiger einzelnen Kunstwerke widerlegen möchte, wenn mir der Himmel Gesundheit und Muße verleiht, meine niedergeschriebenen Gedanken hierüber zu ordnen und in einen deutlichen Vortrag zu bringen. –
Die Begeisterungen der Dichter und Künstler sind von jeher der Welt ein großer Anstoß und Gegenstand des Streites gewesen. Die gewöhnlichen Menschen können nicht begreifen, was es damit für eine Bewandtnis habe, und machen sich darüber durchaus sehr falsche und verkehrte Vorstellungen. Daher sind über die inneren Offenbarungen der Kunstgenies ebenso viele Unvernünftigkeiten, in und außer Systemen, methodisch und unmethodisch abgehandelt und geschwatzt worden, als über die Mysterien unsrer heiligen Religion. Die sogenannten Theoristen und Systematiker beschreiben uns die Begeisterung des Künstlers von Hörensagen, und sind vollkommen mit sich selbst zufrieden, wenn sie mit ihrer eiteln und profanen Philosophasterei umschreibende Worte zusammengesucht haben, für etwas, wovon sie den Geist, der sich in Worte nicht fassen läßt, und die Bedeutung nicht kennen. Sie reden von der Künstlerbegeisterung, als von einem Dinge, das sie vor Augen hätten; sie erklären es, und erzählen viel davon; und sie sollten billig das heilige Wort auszusprechen erröten, denn sie wissen nicht, was sie damit aussprechen.
Mit wie unendlich vielen unnützen Worten haben sich nicht die überklugen Schriftsteller neuerer Zeiten bei der Materie von den Idealen in den bildenden Künsten versündigt! Sie gestehen ein, daß der Maler und Bildner zu seinen Idealen auf einem außerordentlicheren Wege, als dem Wege der gemeinen Natur und Erfahrung gelangen müsse; sie geben zu, daß dies auf eine geheimnisvolle Weise geschehe: und doch bilden sie sich und ihren Schülern ein, sie wüßten das Wie; – denn es scheint, als würden sie sich schämen, wenn irgend etwas in der Seele des Menschen versteckt und verborgen liegen sollte, worüber sie wißbegierigen jungen Leuten nicht Auskunft geben könnten.
Andre sind nun gar in der Tat ungläubige und verblendete Spötter, welche das Himmlische im Kunstenthusiasmus mit Hohnlachen gänzlich ableugnen, und durchaus keine besondere Auszeichnung oder Weihe gewisser seltener und erhabener Geister annehmen wollen, weil sie sich selber allzu entfernt von ihnen fühlen. Diese liegen indessen ganz außer meinem Wege, und ich rede mit ihnen nicht.
Aber die Afterweisen, auf welche ich deutete, wünsche ich zu belehren. Sie verwahrlosen die jungen Gemüter ihrer Schüler, indem sie ihnen so kühn und leichtsinnig abgesprochene Meinungen über göttliche Dinge beibringen, als wären es menschliche, und ihnen dadurch den Wahn einpflanzen, als stände es in ihrer Macht, dreist zu ergreifen, was die größten Meister der Kunst, – ich darf es freiheraus sagen, – nur durch göttliche Eingebung erlangt haben.
Man hat so manche Anekdoten aufgezeichnet und immer wieder erzählt, so manche bedeutende Wahlsprüche von Künstlern aufbehalten und immer wiederholt; und wie ist es möglich gewesen, daß man sie so bloß mit oberflächlicher Bewunderung anhörte, daß keiner darauf kam, aus diesen sprechenden Zeichen das Allerheiligste der Kunst, worauf sie hindeuteten, zu ahnden? und nicht auch hier, wie in der übrigen Natur, die Spur von dem Finger Gottes anzuerkennen? Ich, für mein Teil, habe von jeher diesen Glauben bei mir gehegt; aber mein dunkler Glauben ist jetzt zur hellsten Überzeugung aufgeklärt worden. Glücklich bin ich, daß der Himmel mich ausersehen hat, seinen Ruhm durch einen einleuchtenden Beweis seiner unerkannten Wunder auszubreiten: es ist mir gelungen, einen neuen Altar zur Ehre Gottes aufzubauen. – Raffael, welcher die leuchtende Sonne unter allen Malern ist, hat uns in einem Briefe von ihm an den Grafen von Castiglione folgende Worte, die mir mehr wert sind als Gold, und die ich nie ohne ein geheimes dunkles Gefühl von Ehrfurcht und Anbetung habe lesen können, hinterlassen, worin er sagt:
»Da man so wenig schöne weibliche Bildungen sieht, so halte ich mich an ein gewisses Bild im Geiste, welches in meine Seele kommt.«1
Über diese bedeutungsvollen Worte nun ist mir neulich ganz unerwartet, zu meiner innigen Freude, ein helles Licht aufgesteckt worden.
Ich durchsuchte den Schatz von alten Handschriften in unserm Kloster, und fand, unter manchem nichtsnützigen bestäubten Pergament, einige Blätter von der Hand des Bramante, von denen es nicht zu begreifen ist, wie sie an diesen Ort gekommen sind. Auf dem einen Blatte stand folgendes geschrieben, wie ich es, ohne weiteren Umschweif, zu deutsch hierhersetzen will:
»Zu meinem eigenen Vergnügen, und um es mir genau aufzubewahren, will ich hier einen wunderbaren Vorfall aufzeichnen, welchen der teure Raffael, mein Freund, mir unter dem Siegel der Verschwiegenheit vertraut hat. Als ich ihm vor einiger Zeit meine Bewunderung wegen seiner über alles schön gemalten Madonnen und heiligen Familien aus vollem Herzen zu erkennen gab, und mit recht vielen Bitten in ihn drang, mir doch zu sagen, von woher er denn in aller Welt die unvergleichliche Schönheit, die rührenden Mienen und den unübertrefflichen Ausdruck in seinen Bildern der heiligen Jungfrau entlehnt habe; so ward er, nachdem er mich eine Zeitlang mit seiner ihm eigenen, jünglinghaften Schamhaftigkeit und Verschlossenheit hingehalten hatte, endlich sehr bewegt, fiel mir mit Tränen um den Hals, und entdeckte mir sein Geheimnis. Er erzählte mir, wie er von seiner zarten Kindheit an, immer ein besondres heiliges Gefühl für die Mutter Gottes in sich getragen habe, so daß ihm zuweilen schon beim lauten Aussprechen ihres Namens ganz wehmütig zumute geworden sei. Nachher, da sein Sinn sich auf das Malen gerichtet habe, sei es immer sein höchster Wunsch gewesen, die Jungfrau Maria recht in ihrer himmlischen Vollkommenheit zu malen, aber er habe es sich noch immer nicht getraut. In Gedanken habe sein Gemüt beständig an ihrem Bilde, Tag und Nacht, gearbeitet; allein er habe es sich gar nicht zu seiner Befriedigung vollenden können; es sei ihm immer gewesen, als wenn seine Phantasie im Finstern arbeitete. Und doch wäre es zuweilen wie ein himmlischer Lichtstrahl in seine Seele gefallen, so daß er die Bildung in hellen Zügen, wie er sie gewollt, vor sich gesehen hätte; und doch wäre das immer nur ein Augenblick gewesen, und er habe die Bildung in seinem Gemüte nicht festhalten können. So sei seine Seele in beständiger Unruhe herumgetrieben; er habe die Züge immer nur umherschweifend erblickt, und seine dunkle Ahndung hätte sich nie in ein klares Bild auflösen wollen. Endlich habe er sich nicht mehr halten können, und mit zitternder Hand ein Gemälde der heiligen Jungfrau angefangen; und während der Arbeit sei sein Inneres immer mehr erhitzt worden. Einst, in der Nacht, da er, wie es ihm schon oft geschehen sei, im Traume zur Jungfrau gebetet habe, sei er, heftig bedrängt, auf einmal aus dem Schlafe aufgefahren. In der finsteren Nacht sei sein Auge von einem hellen Schein an der Wand, seinem Lager gegenüber, angezogen worden, und da er recht zugesehen, so sei er gewahr geworden, daß sein Bild der Madonna, das, noch unvollendet, an der Wand gehangen, von dem mildesten Lichte strahle, und ein ganz vollkommenes und wirklich lebendiges Bild geworden sei. Die Göttlichkeit in diesem Bilde habe ihn so überwältigt, daß er in helle Tränen ausgebrochen sei. Es habe ihn mit den Augen auf eine unbeschreiblich rührende Weise angesehen, und habe in jedem Augenblick geschienen, als wolle es sich bewegen; und es habe ihn gedünkt, als bewege es sich auch wirklich. Was das Wunderbarste gewesen, so sei es ihm vorgekommen, als wäre dies Bild nun gerade das, was er immer gesucht, obwohl er immer nur eine dunkle und verwirrte Ahndung davon gehabt. Wie er wieder eingeschlafen sei, wisse er sich durchaus nicht zu erinnern. Am andern Morgen sei er wie neugeboren aufgestanden; die Erscheinung sei seinem Gemüt und seinen Sinnen auf ewig fest eingeprägt geblieben, und nun sei es ihm gelungen, die Mutter Gottes immer so, wie sie seiner Seele vorgeschwebt habe, abzubilden, und er habe immer selbst vor seinen Bildern eine gewisse Ehrfurcht gefühlt. – Das erzählte mir mein Freund, mein teurer Raffael, und es ist mir dieses Wunder so wichtig und merkwürdig gewesen, daß ich es für mich, zu meiner Ergötzung niedergeschrieben habe.« –
So ist der Inhalt des unschätzbaren Blattes, welches in meine Hände fiel. Wird man nun deutlich vor Augen sehen, was der göttliche Raffael unter den merkwürdigen Worten versteht, wenn er sagt:
»Ich halte mich an ein gewisses Bild im Geiste, welches in meine Seele kommt.«
Wird man, durch dieses offenbare Wunder der himmlischen Allmacht belehrt, verstehen, daß seine unschuldige Seele in diesen einfachen Worten einen sehr tiefen und großen Sinn aussprach? Wird man nun nicht endlich begreifen, daß all das profane Geschwätz über Begeisterung des Künstlers, wahre Versündigung sei, – und überführt sein, daß es dabei doch geradezu auf nichts anderes, als den unmittelbaren göttlichen Beistand ankomme?
Aber ich füge nichts mehr hinzu, um jeden, über diesen so wichtigen Gegenstand der ernsten Betrachtung, seinem eigenen Nachdenken zu überlassen.
Durch einen seltsamen Zufall hat sich folgendes kleine Blatt bis jetzt bei mir aufbewahrt, das ich schon in meiner frühen Jugend niederschrieb, als ich vor dem Wunsche, endlich einmal Italien, das gelobte Land der Kunst, zu sehen, keine Ruhe finden konnte.
Bei Tage und in der Nacht denkt meine Seele nur an die schönen, hellen Gegenden, die mir in allen Träumen erscheinen, und mich rufen. Wird mein Wunsch, meine Sehnsucht immer vergebens sein? So mancher reist hin und kommt zurück, und weiß dann nicht, wo er gewesen ist, und was er gesehen hat, denn keiner liebt so innig das Land mit seiner einheimischen Kunst.
Warum liegt es so fern von mir, daß es mein Fuß nicht in einigen Tagereisen erreichen kann? Daß ich dann vor den unsterblichen Werken der großen Künstler niederknie und ihnen alle meine Bewunderung und Liebe bekenne? Daß ihre Geister es hören, und mich als den getreusten Schüler bewillkommen? –
Wenn zufällig von meinen Freunden die Landkarte aufgeschlagen wird, muß ich sie immer mit Rührung betrachten; ich durchwandre mit meinem Geiste Städte, Flecken und Dörfer, – ach! und fühle nur zu bald, daß alles nur Einbildung sei.
Wünsch ich mir doch kein glänzendes Glück dieser Erde; aber soll es mir auch nicht einmal vergönnt sein, dir, o heilige Kunst, ganz zu leben?
Soll ich in mir selbst verschmachten
Und in Liebe ganz vergehn?
Wird das Schicksal mein nicht achten,
Dieses Sinnen, dieses Trachten
Stets mit Mißvergnügen sehn?
Bin ich denn so ganz verloren,
Den Verstoßnen zugeweiht?
O beglückt, wer auserkoren,
Für die Künste nur geboren,
Ihnen Herz und Leben weiht!
Ach, mein Glück liegt wohl noch ferne,
Kommt noch lange mir nicht nah!
Freilich zweifelt' ich so gerne, –
Doch noch oft drehn sich die Sterne, –
Endlich, endlich ist es da!
Dann ohne Säumen,
Nach langen Träumen,
Nach tiefer Ruh,
Durch Wies' und Wälder,
Durch blühnde Felder
Der Heimat zu!
Mir dann entgegen
Fliegen mit Segen
Genien, bekränzt,
Strahlenumglänzt!
Sie führen den Müden
Dem süßen Frieden,
Den Freuden, der Ruh,
Der Kunstheimat zu!
So wie die Epoche des Wiederauflebens der Wissenschaften und der Gelehrsamkeit die vielumfassendsten, als Menschen merkwürdigsten, und am Geiste kräftigsten gelehrten Männer hervorbrachte; so ward auch die Periode, da die Kunst der Malerei aus ihrer lange ruhenden Asche, wie ein Phönix, hervorging, durch die erhabensten und edelsten Männer in der Kunst bezeichnet. Sie ist als das wahre Heldenalter der Kunst anzusehen, und man möchte (wie Ossian) seufzen, daß die Kraft und Größe dieser Heldenzeit nun von der Erde entflohen ist. Viele standen an vielen Orten auf, und erhoben sich ganz durch eigene Stärke: ihr Leben und ihre Arbeiten hatten Gewicht, und waren der Mühe wert, in ausführlichen Chroniken, wie wir sie noch von den Händen damaliger Verehrer der Kunst besitzen, der Nachwelt aufbewahrt zu werden; und ihr Geist war so ehrwürdig, als es uns noch ihre bärtigen Häupter sind, die wir in den schätzbaren Sammlungen ihrer Bildnisse mit Ehrfurcht betrachten. Es geschahen unter ihnen ungewöhnliche, und vielen jetzt unglaubliche Dinge, weil der Enthusiasmus, der itzt nur in wenigen einzelnen Herzen, wie ein schwaches Lämpchen flimmert, in jener goldenen Zeit alle Welt entflammte. Die entartete Nachkommenschaft bezweifelt oder belacht so manche bewährte Geschichte aus diesen Zeiten als Märchen, weil der göttliche Funken ganz aus ihrer Seele gewichen ist.
Eine der merkwürdigsten Geschichten dieser Art, die ich nie ohne Staunen habe lesen können, und bei der mein Herz doch nie in Versuchung zu zweifeln geführt ward, ist die Geschichte von dem Tode des uralten Malers Francesco Francia, welcher der Ahnherr und Stammvater der Schule war, die sich in Bologna und der Lombardei bildete.
Dieser Francesco war von geringen Handwerksleuten geboren, hatte sich aber durch seinen unermüdeten Fleiß und seinen immer hinaufstrebenden Geist, zu dem höchsten Gipfel des Ruhmes aufgeschwungen. In seiner Jugend war er zuerst bei einem Goldarbeiter, und er bildete so künstliche Sachen in Gold und Silber, daß sie jeden, der sie sah, in Erstaunen setzten. Auch grub er lange Zeit die Stempel zu allen Denkmünzen, und alle Fürsten und Herzoge der Lombardei setzten eine Ehre darin, sich von seinem Griffel auf ihren Münzen abbilden zu lassen. Denn es war damals noch die Zeit, da alle Vornehmen des Landes und alle Mitbürger den vaterländischen Künstler durch ihren ewigen, lautschallenden Beifall stolz zu machen vermochten. Unendlich viele fürstliche Personen kamen durch Bologna, und versäumten nicht, ihr Bildnis von Francesco zeichnen, und nachher in Metall schneiden und prägen zu lassen.
Aber Francescos ewig beweglicher, feuriger Geist strebte nach einem neuen Felde der Arbeit, und je mehr seine heiße Ehrbegier gesättigt ward, desto ungeduldiger ward er, sich eine ganz neue, noch unbetretene Bahn zum Ruhme aufzuschließen. Schon vierzig Jahre alt, trat er in die Schranken einer neuen Kunst; er übte sich mit unbezwinglicher Geduld im Pinsel, und richtete sein ganzes Nachdenken auf das Studium der Komposition im großen, und des Effektes der Farben. Und es war außerordentlich, wie schnell es ihm gelang, Werke hervorzubringen, die ganz Bologna in Verwunderung setzten. Er ward in der Tat ein vorzüglicher Maler; denn wenn er auch mehrere Mitstreiter hatte, und selbst der göttliche Raffael zu der Zeit in Rom arbeitete, so konnte man immer mit Recht auch seine Werke zu den vornehmsten rechnen. Denn allerdings ist die Schönheit in der Kunst nicht etwas so Armes und Dürftiges, daß Eines Menschen Leben sie erschöpfen könnte; und ihr Preis ist kein Los, das nur allein auf Einen Auserwählten fällt: ihr Licht zerspaltet sich vielmehr in tausend Strahlen, deren Widerschein auf mannigfache Weise von den großen Künstlern, die der Himmel auf die Welt gesetzt hat, in unser entzücktes Auge zurückgeworfen wird.
Francesco lebte gerade unter der ersten Generation der edlen italienischen Künstler, welche um so größere und allgemeinere Achtung genossen, da sie auf den Trümmern der Barbarei ein ganz neues, glänzendes Reich stifteten; und in der Lombardei war gerade er der Stifter, und gleichsam der erste Fürst dieser neugegründeten Herrschaft. Seine geschickte Hand vollendete eine unzählbare Menge von herrlichen Gemälden, die nicht nur durch die ganze Lombardei (in welcher keine Stadt von sich nachsagen lassen wollte, daß sie nicht wenigstens eine Probe seiner Arbeit besäße), sondern auch in die andern Gegenden von Italien gingen, und allen Augen, die so glücklich waren sie zu betrachten, seinen Ruhm laut verkündigten. Die italienischen Fürsten und Herzoge waren eifersüchtig, Bilder von ihm zu besitzen; und von allen Seiten strömten ihm Lobsprüche zu. Reisende verpflanzten seinen Namen allerorten, wo sie hingelangten, und der schmeichelhafte Widerhall ihrer Reden tönte in sein Ohr zurück. Bologneser, die Rom besuchten, priesen ihren vaterländischen Künstler dem Raffael, und dieser, der auch einiges von seinem Pinsel gesehen und bewundert hatte, bezeugte ihm in Briefen, mit der ihm eigentümlichen sanften Leutseligkeit, seine Achtung und Zuneigung. Die Schriftsteller der Zeit konnten sich nicht enthalten, sein Lob in alle ihre Werke einzuflechten; sie richten die Augen der Nachwelt auf ihn, und erzählen mit wichtiger Miene, daß er wie ein Gott verehrt sei. Einer von ihnen2 sogar ist kühn genug, zu schreiben, daß Raffael, auf den Anblick seiner Madonnen, die Trockenheit, die ihm noch von der Schule von Perugia angeklebt, verlassen, und einen größeren Stil angenommen habe.
Was konnten diese wiederholten Schläge anders für eine Wirkung auf das Gemüt unsers Francesco haben, als daß sein lebhafter Geist sich zu dem edelsten Künstlerstolze emporhob und an einen himmlischen Genius in seinem Inneren zu glauben anfing. Wo findet man jetzt diesen erhabenen Stolz? Ver- gebens sucht man ihn unter den Künstlern unsrer Zeiten, welche wohl auf sich eitel, aber nicht stolz auf ihre Kunst sind.
Raffael war der einzige, den er von allen ihm gleichzeitigen Malern allenfalls für seinen Nebenbuhler gelten ließ. Er war indes nie so glücklich gewesen, ein Bild von seiner Hand zu sehen, denn er war in seinem Leben nie weit von Bologna gekommen. Doch hatte er, nach vielen Beschreibungen, sich in der Idee von der Manier des Raffaels ein festes Bild gemacht, und sich, besonders auch durch dessen bescheidenen und sehr gefälligen Ton gegen ihn in seinen Briefen, fest überzeugt, daß er selber ihm in den meisten Stücken gleichkomme, und es in manchen wohl noch weiter gebracht habe. Seinem hohen Alter war es vorbehalten, mit seinen eigenen Augen ein Bild von Raffael zu sehen.
Ganz unerwartet empfing er einen Brief von ihm, worin jener ihm die Nachricht erteilte, er habe eben ein Altargemälde von der heiligen Cäcilia vollendet, welches für die Kirche des heiligen Johannes zu Bologna bestimmt sei; und dabei schrieb er, er werde das Stück an ihn, als seinen Freund, senden, und bat, daß er ihm den Gefallen erzeigen möchte, es auf seiner Stelle gehörig aufrichten zu lassen, auch, wenn es auf der Reise irgendwo beschädigt sei, oder er sonst im Bilde selbst irgendein Versehen oder einen Fehler wahrnähme, überall als Freund zu bessern und nachzuhelfen. Dieser Brief, worin ein Raffael demütig ihm den Pinsel in die Hände gab, setzte ihn außer sich selbst, und er konnte die Ankunft des Bildes nicht erwarten. Er wußte nicht, was ihm bevorstand!
Einst, als er von einem Ausgange nach Hause kam, eilten seine Schüler ihm entgegen, und erzählten ihm mit großer Freude, das Gemälde vom Raffael sei indes angekommen, und sie hätten es in seinem Arbeitszimmer schon in das schönste Licht gestellt. Francesco stürzte, außer sich, hinein. –
Aber wie soll ich der heutigen Welt die Empfindungen schildern, die der außerordentliche Mann beim Anblick dieses Bildes sein Inneres zerreißen fühlte. Es war ihm, wie einem sein müßte, der voll Entzücken seinen von Kindheit an von ihm entfernten Bruder umarmen wollte, und statt dessen auf einmal einen Engel des Lichts vor seinen Augen erblickte. Sein Inneres war durchbohrt; es war ihm, als sänke er in voller Zerknirschung des Herzens vor einem höheren Wesen in die Kniee.
Vom Donner gerührt stand er da; und seine Schüler drängten sich um den alten Mann herum, und hielten ihn, fragten ihn, was ihn befallen habe? und wußten nicht, was sie denken sollten.
Er hatte sich etwas erholt, und starrte immerfort das über alles göttliche Bild an. Wie war er auf einmal von seiner Höhe gefallen! Wie schwer mußte er die Sünde büßen, sich allzu vermessen bis an die Sterne erhoben, und sich ehrsüchtig über ihn, den unnachahmlichen Raffael, gesetzt zu haben. Er schlug sich vor seinen grauen Kopf und weinte bittere, schmerzende Tränen, daß er sein Leben mit eitelm, ehrgeizigem Schweiße verbracht, und sich dabei nur immer törichter gemacht habe, und nun endlich, dem Tode nahe, mit geöffneten Augen auf sein ganzes Leben als auf ein elendes, unvollendetes Stümperwerk zurücksehen müsse. Er hob mit dem erhobenen Antlitz der heiligen Cäcilia auch seine Blicke empor, zeigte dem Himmel sein wundes, reuiges Herz, und betete gedemütigt um Vergebung.
Er fühlte sich so schwach, daß seine Schüler ihn ins Bett bringen mußten. Beim Herausgehen aus dem Zimmer fielen ihm einige seiner Gemälde, und besonders seine sterbende Cäcilia, welche noch dort hing, in die Augen; und er verging fast vor Schmerz.
Von der Zeit an war sein Gemüt in beständiger Verwirrung, und man bemerkte fast immer eine gewisse Abwesenheit des Geistes bei ihm. Die Schwächen des Alters und die Ermattung des Geistes, welcher so lange in immer angestrengter Tätigkeit bei der Schöpfung von so tausenderlei Gestalten gewesen war, traten hinzu, um das Haus seiner Seele von Grund aus zu erschüttern. Alle die unendlich mannigfaltigen Bildungen, die sich von jeher in seinem malerischen Sinn bewegt hatten, und in Farben und Linien auf der Leinwand zur Wirklichkeit übergegangen waren, fuhren jetzt, mit verzerrten Zügen, durch seine Seele, und waren die Plagegeister, die ihn in seiner Fieberhitze ängstigten. Ehe seine Schüler es sich versahen, fanden sie ihn tot im Bette liegen. –
So ward dieser Mann erst dadurch recht groß, daß er sich so klein gegen den himmlischen Raffael fühlte. Auch hat ihn der Genius der Kunst, in den Augen der Eingeweihten, längst heilig gesprochen, und sein Haupt mit dem Strahlenkreise umgeben, der ihm als einem echten Märtyrer des Kunstenthusiasmus gebührt. – –
Die obige Erzählung von dem Tode des Francesco Francia hat uns der alte Vasari überliefert, in welchem der Geist der Urväter der Kunst noch wehte.
Diejenigen kritischen Köpfe, welche an alle außerordentliche Geister, als an übernatürliche Wunderwerke, nicht glauben wollen noch können, und die ganze Welt gern in Prosa auflösen möchten, spotten über die Märchen des alten ehrwürdigen Chronisten der Kunst, und erzählen dreist, Francesco Francia sei an Gift gestorben.
Zu jener Zeit, als die bewundernde Welt noch Raffael unter sich leben sah, – dessen Name nicht leicht über meine Lippen geht, ohne daß ich ihn unwillkürlich den Göttlichen nenne, – zu jener Zeit, – o wie gern gäb' ich alle Klugheit und Weisheit der spätern Jahrhunderte hin, um in jenem gewesen zu sein! – lebte in einem kleinen Städtchen des florentinischen Gebiets ein junger Mensch, den wir Antonio nennen wollen, welcher sich in der Malerkunst übte. Er hatte von Kindheit auf einen recht eifrigen Trieb zur Malerei, und zeichnete als Knabe schon alle Heiligenbilder emsig nach, die ihm in die Hände fielen. Aber bei aller Stetigkeit seines Eifers und seiner recht eisernen Begier, irgend etwas Vortreffliches hervorzubringen, besaß er zugleich eine gewisse Blödigkeit und Eingeschränktheit des Geistes, bei welcher die Pflanze der Kunst immer einen unterdrückten und gebrechlichen Wuchs behält, und nie frei und gesund zum Himmel emporschießen kann: eine unglückliche Konstellation der Gemütskräfte, welche schon manche Halbkünstler auf die Welt gesetzt hat.
Antonio hatte sich schon nach verschiedenen Meistern seiner Zeit geübt, und es war ihm so weit gelungen, daß ihm selber die Ähnlichkeit seiner Nachahmungen ungemeines Vergnügen machte und er über seine allmählichen Fortschritte sehr genaue Rechnung hielt. Endlich sah er einige Zeichnungen und Gemälde Raffaels; er hatte seinen Namen schon oft mit großen Lobeserhebungen aussprechen hören, und er schickte sich den Augenblick an, nach den Werken dieses hochgepriesenen Mannes zu arbeiten. Als er aber mit seinen Kopien gar nicht zustandekommen konnte, und nicht wußte, woran es lag, legte er ungeduldig den Pinsel aus der Hand, besann sich, was er tun wollte, und setzte endlich folgendes Schreiben auf:
»An den allervortrefflichsten Maler, Raffael von Urbino.
Vergebt mir, daß ich nicht weiß, wie ich Euch anreden soll, denn Ihr seid ein unbegreiflicher und außerordentlicher Mann; und ich bin überdies gar nicht geübt, die Feder zu führen. Ich habe auch lange bei mir überlegt, ob es wohl schicklich sei, daß ich Euch schriebe, ohne Euch von Person jemals gesehn zu haben. Aber da man ja überall von Eurer leutseligen und freundlichen Gemütsart reden hört, so habe ich mich es endlich unterstanden.
Doch ich will Euch Eure kostbare Zeit nicht mit vielen Worten rauben, denn ich kann mir denken, wie fleißig Ihr sein müßt; sondern ich will nur gleich mein Herz vor Euch aufschließen und Euch meine Bitte recht angelegentlich vortragen. Ich bin ein junger Anfänger in der vortrefflichen Malerkunst, welche ich über alles liebe, und welche mein ganzes Herz erfreut, so daß ich fast nicht glauben kann, daß, wenn ich (wie es natürlich ist) Euch und andre berühmte Meister dieser Zeiten ausnehme, irgend jemand anders solche innerliche Liebe und so einen unaufhörlichen Drang zu der Kunst trüge. Ich bestrebe mich aufs allerbeste, dem Ziel, das ich in der Entfernung vor mir sehe, immer ein wenig näher zu rücken; ich bin keinen Tag, ja, ich möchte beinahe sagen, keine Stunde müßig; und ich merke, daß ich jeden Tag, so wenig es auch sein mag, weiterkomme. Nun habe ich mich schon nach vielen unsrer heutigestages berühmten Männer wohl geübt; aber da ich angefangen habe, Eure Arbeiten nachzumalen, ist es mir gewesen, als wenn ich gar nichts wüßte und noch einmal von vorn anfangen sollte. Ich habe doch schon so manchen Kopf auf der Tafel zustandegebracht, woran weder in den Umrissen, noch in den Lichtern und Schatten etwas Falsches oder Unrechtliches gefunden werden mochte; aber wenn ich die Köpfe Eurer Apostel und Jünger Christi, sowie Eurer Madonnen und Christkindlein, auch Zug für Zug auf meine Tafel übertrage, mit solcher Pünktlichkeit, daß mir die Augen brechen möchten – und ich denn das Ganze übersehe, und es mit dem Original vergleiche, so bin ich erschrocken, daß es himmelweit davon entfernt und ein ganz anderes Gesicht ist. Und doch sehen Eure Köpfe, wenn man sie zum erstenmal betrachtet, beinahe leichter aus als andre; denn sie haben ein gar zu natürliches Ansehen, und es ist, als wenn man darin die Personen, die es sein sollen, gleich erkennte, und als wenn man sie schon lebendig gesehen hätte. Auch finde ich bei Euch nicht ebensolche schwere und außerordentliche Verkürzungen der Glieder, womit wohl andre Meister heutigestages die Vollkommenheit ihrer Kunst zu zeigen und uns arme Schüler zu quälen pflegen.
Darum, soviel ich auch immer nachgegrübelt habe, weiß ich mir doch durchaus das Besondere nicht zu erklären, was Eure Bilder an sich haben, und kann gar nicht ergründen, worin es eigentlich liegt, daß man Euch nicht recht nachahmen und Euch nie ganz und gar erreichen kann. O leistet mir hierin Euren Beistand – ich bitte Euch dringend und flehentlich darum, und sagt mir (denn Ihr könnt es gewiß am besten), was ich tun muß, um Euch nur einigermaßen ähnlich zu werden. O wie tief will ich mir das einprägen! wie eifrig will ich es befolgen! – Ich bin – vergebt mir – manchmal wohl gar darauf gefallen, Ihr müßtet irgendein Geheimnis bei Eurer Arbeit besitzen, wovon sich kein anderer Mensch einen Begriff machen könnte. Gar zu gern möchte ich Euch nur einen halben Tag lang bei der Arbeit zusehen; doch Ihr laßt vielleicht keinen dazu. Oder, wenn ich ein großer Herr wäre, würde ich Euch tausend und tausend Goldstücke für Euer Geheimnis anbieten.
Ach habt Nachsicht mit mir, daß ich mich unterstehe, so vielerlei vor Euch zu schwatzen. Ihr seid ein außerordentlicher Mann, der wohl auf alle andre Menschen mit Verachtung heruntersehen muß.
Ihr arbeitet wohl Tag und Nacht, um so herrliche Sachen zuwege zu bringen; und in Eurer Jugend seid Ihr sicher in einem Tage so weit gekommen, als ich nicht in einem Jahre. Nun, ich will doch auch inskünftige meine Kräfte anstrengen, soviel ich nur immer vermögend bin.
Andere, die heller sehen als ich, loben ja auch den Ausdruck in Euren Bildern über alles, und wollen behaupten, daß niemand so gut wie Ihr gleichsam die Beschaffenheit des Gemüts in den Personen vorzustellen wisse, so daß man aus ihren Mienen und Gebärden sozusagen ihre Gedanken erraten könnte. Doch, auf diese Sachen verstehe ich mich nur noch wenig.
Ich muß aber endlich aufhören, Euch lästig zu fallen. Ach, was würde es mir für ein erquickender Trost sein, wenn Ihr auch nur mit wenigen Worten Euren Rat erteilet Eurem Euch über alles verehrenden
Antonio.«
So lautete Antonios Sendschreiben an Raffael; – und dieser schrieb ihm lächelnd folgende Antwort:
»Mein guter Antonio,
Es ist schön, daß Du so große Liebe zu der Kunst trägst und Dich so fleißig übest; Du hast mich sehr damit erfreut. Aber was Du von mir zu wissen verlangst, kann ich Dir leider nicht sagen; nicht, weil es ein Geheimnis, das ich nicht verraten wollte – denn ich wollte es Dir und einem jeden von Grunde des Herzens gern mitteilen –, sondern weil es mir selber unbekannt ist.
Ich sehe Dir an, daß Du mir das nicht glauben willst; und doch ist es so. Sowenig als einer Rechenschaft geben kann, woher er eine rauhe oder eine liebliche Stimme habe, sowenig kann ich Dir sagen, warum die Bilder, unter meiner Hand, grade eine solche und keine andere Gestalt annehmen.
Die Welt sucht viel Besonderes in meinen Bildern; und wenn man mich auf dies und jenes Gute darin aufmerksam macht, so muß ich manchmal selber mein Werk mit Lächeln betrachten, daß es so wohl gelungen ist. Aber es ist wie in einem angenehmen Traum vollendet, und ich habe während der Arbeit immer mehr an den Gegenstand gedacht, als daran, wie ich ihn vorstellen möchte.
Wenn Du das, was Du etwa an meinen Arbeiten Eigentümliches findest, nicht recht begreifen und nachahmen kannst, so rate ich Dir, lieber Antonio, Dir sonst einen oder den andern der mit Recht berühmten Meister jetziger Zeiten zum Muster zu erwählen; denn ein jeder hat etwas Nachahmungswürdiges, und ich habe mich mit Nutzen nach ihnen gebildet und nähre mein Auge noch immer mit ihren mannigfachen Vorzüglichkeiten. Daß ich nun jetzt aber gerade diese und keine andre Art zu malen habe, wie denn ein jeder seine eigene zu haben pflegt, das scheint meiner Natur von jeher schon so eingepflanzet; ich habe es nicht durch sauren Schweiß errungen, und es läßt sich nicht mit Vorsatz auf so etwas studieren. Fahre indessen fort, Dich mit Liebe in der Kunst zu üben, und lebe wohl.«
Geliebter Bruder! Wundre Dich nicht, daß ich Dir so lange nicht geschrieben, denn allerhand Beschäftigungen haben mir meine Zeit unglaublich verkürzt. Aber jetzt will ich Dir öfter schreiben, weil ich Dir als meinem liebsten Freunde meine Gedanken und Empfindungen mitzuteilen wünsche. Du kennst meine Klagen, daß ich mich sonst immer als ein ganz unwürdiger, verlorner Schüler der edlen Malerkunst fühlte; jetzt aber hat meine Seele einen wunderbaren, unbegreiflichen Schwung erhalten, so daß ich freier und dreister Atem hole und nicht mehr mit so demutsvollem Erröten vor den Bildern der großen Meister dastehe.
Und wie soll ich Dir nun schildern, wie und wodurch sich dieses ereignet hat? Der Mensch ist sehr arm, lieber Jacobo; denn wenn er auch einen recht kostbaren Schatz im Busen trägt, so muß er ihn wie ein Geiziger verschließen und kann seinem Freunde nichts davon mitteilen oder zeigen. Tränen, Seufzer, ein Händedruck sind dann unsre ganze Sprache. So ist es jetzt mit mir, und darum möcht' ich Dich jetzt vor mir haben, um Deine liebe Hand zu nehmen und sie auf mein pochendes Herz zu legen. – Ich weiß nicht, ob andre Menschen schon so empfunden haben wie ich, – ob es schon andern gegönnt war, durch die Liebe einen so schönen Weg zur Anbetung der Kunst zu finden. Denn wenn ein Wort meine Gefühle ausdrücken soll, so muß es Liebe sein, die jetzt mein Herz und meinen Geist regiert.
Es ist mir zumute, als wenn ein Vorhang von meinem Leben hinweggezogen wäre, und ich nun erst das zu sehn bekäme, was die Menschen immer die Natur und die Schönheit der Welt nennen. Alle Berge, alle Wolken, der Himmel und sein Abendrot sind jetzt anders und näher zu mir herabgezogen; mit Liebe und unaussprechlicher Sehnsucht möcht' ich jetzt Raffael umfangen, der nun unter den Engeln wohnt, weil er für uns und diese Erde zu gut und zu erhaben war: heiße Tränen der Begeisterung, der reinsten Ehrfurcht treten in mein irdisches Auge und machen meinen Sinn himmlischtrunken, wenn ich jetzt vor seinen Werken stehe und sie mir tief in Sinn und Herz einpräge. Ich kann nun wohl sagen, daß ich nun erst fühle, was die Kunst von allem übrigen Treiben und Arbeiten der sterblichen Menschen unterscheidet; ich bin reiner und heiliger geworden, und darum bin ich nun erst zu den heiligen Altären gelassen. Wie bet' ich jetzt die Mutter Gottes und die erhabenen Apostel in jenen begeisterten Bildern an, die ich sonst nur mit kaltem Auge und halbgeübtem Pinsel Zug für Zug nachzeichnen wollte: – jetzt stehn mir die Tränen in den Augen, meine Hand zittert, mein innerstes Herz ist bewegt, so daß ich (möcht' ich sagen) fast ohne Bewußtsein die Farben auf die Leinwand trage, und dennoch gerät es mir so, daß ich hernach damit zufrieden bin. O wenn doch jetzt Raffael noch lebte, daß ich ihn sehn, ihn sprechen, ihm meine Gefühle sagen könnte! Er muß sie gekannt haben, denn ich finde sie, ich finde mein ganzes Herz in seinen Werken wieder: alle seine Madonnen sehn meiner geliebten Amalia ähnlich.