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Christoph Brechtel ist Diplompsychologe, Psychotherapeut, Verhaltenstrainer und Coach. In diesem Buch wirft er vergnügliche Schlaglichter auf die Geschichte der Medizin von der Antike bis heute. Er beschreibt den aktuellen Stand des technologischen Fortschritts in den unterschiedlichen Fachbereichen und verfolgt eine chronologische Linie vom Wartezimmer bis zur Palliativmedizin, sozusagen "von der Wiege bis zur Bahre". Einen deutlichen Schwerpunkt setzt er beim Thema Gesundheit und Lebensstil zu der Frage: Was können wir selbst tun, um gesund zu bleiben. Hier geht er in den verschiedenen Kapiteln zur Vorsorge und Wiedererlangen der Gesundheit auch ins Detail. Im weiteren Verlauf beschreibt er die häufigsten Erkrankungen und plädiert für eine empathische Praxis und ein interdisziplinäres Team im Krankenhaus. Neben der klassischen Medizin gibt er einen kurzen Überblick über Psychotherapie, Neurologie und Psychiatrie. Einzelne Kapitel beschäftigen sich mit Spezialthemen, wie z.B. die Vitamine und Hormone und deren Wirkungsweisen. Mit Hilfe des umfangreichen Stichwortverzeichnisses ist das Nachschlagen bestimmter Themen oder das Finden spezieller Begriffe schnell möglich.
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Seitenzahl: 238
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Vorbemerkung:
Ich bitte um Ihr Verständnis, wenn ich (aus Gründen der besseren Lesbarkeit) nicht immer „Arzt und Ärztin“, „Patient und Patientin“, etc. aufgezählt habe. Wenn nur die männliche Form genannt wird, ist immer auch die weibliche mitgemeint. Und umgekehrt.
Christoph Brechtel
Das neue Weiß ist digital
Gesundheit und Krankheit in Zeiten des medizinischen Fortschritts
www.tredition.de
© 2016
Christoph Brechtel
Titelbild:
Sarah Brechtel
Fotos:
Laura Brechtel
Verlag: tredition GmbH, Hamburg
ISBN:
978-3-7345-1801-0 (Paperback)
978-3-7345-1802-7 (Hardcover)
978-3-7345-1803-4 (eBook)
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
Der Onkel Doktor
Die Anonymität des gläsernen Patienten
Gesundheit für alle?
Hippokrates, Galenos und Isfahan
Der technologische Fortschritt
Die „moderne“ Medizin
Digitale Technik
Der „moderne“ Patient
Ausstattung einer modernen Praxis
Das deutsche Gesundheitssystem
Mythos Wartezimmer
Wie lange muss ich warten?
Kann ich mich im Wartezimmer anstecken?
Unser Lebensstil
Warum ist Veränderung so schwierig?
Ernährung und Gesundheit
Gewicht
Gewichtsformeln
Diäten
Allesesser, Vegetarier & Co
Vitamine und ihre Wirkungsweise
Die richtige Kombination
Alkohol
Rauchen
Bewegung
Früherkennung, Vorsorge und Laborwerte
Hormone
Hormongruppen
Wie wirken sie?
Wo entstehen sie?
Welche Störungen lösen sie aus?
Unser Lächeln
Wie finde ich den richtigen Hausarzt?
Was sind die häufigsten Krankheiten?
Die empathische Praxis
Das ärztliche Gespräch
Die Triade der Empathie
Compliance in der Medizin
Psychologie & Psychotherapie
Psychoanalyse
Verhaltenstherapie
Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie
Gesprächspsychotherapie
Systemische Therapie
Neurologie & Psychiatrie
Neurologie
Psychiatrie
Der Patient im Mittelpunkt
Das interdisziplinäre Team um den Patienten
Die therapeutischen Maßnahmen
Das Klinik Management
Im Krankenhaus
Die teuersten Krankheiten
Keime im Krankenhaus
Rekonvaleszenz und Rehabilitation
Demenz
Palliativmedizin
Die häufigsten Todesursachen
Tod
Stichwortverzeichnis
Literaturverzeichnis
Über den Autor
Der Onkel Doktor
Der eine oder andere von Ihnen mag sich noch daran erinnern: Es war ein Mann (eher selten eine Frau) in einem blütenweißen Kittel. Und er trug ein Stethoskop um den Hals: die Ohrhörer meist silberne Röhren, die Schläuche aus roten oder schwarzen Gummi und am Ende baumelte das Abtast- und Hörgerät. Und so wussten Sie: Das war der Onkel Doktor!
Der hatte möglicherweise auch schon Opa, Oma, Papa und Mama behandelt. Und jetzt waren Sie dran.
Nostalgie pur! Auch wenn viele Ärzte und Ärztinnen so ein Stethoskop heute immer noch gerne benutzen und auch tragen (vielleicht nicht mehr um den Hals, aber dann doch lässig in der Kitteltasche): Es ist das alte Symbol des Onkel Doktor.
Heute steht hinter diesem Arzt (und auch hinter immer mehr Ärztinnen) ein riesiges international vernetztes Wissen über medizinische Themen aller Fachrichtungen sowie eine hochmoderne komplexe digitale und pharmazeutische Industrie und ein unüberschaubares Angebot von Werkzeugen, Ersatzteilen, medizinischen Instrumenten, sterilen Produkten, diagnostischen Geräten, Elektronik, Software, Pflegeprodukten, Entsorgungsmanagement, etc. Und nicht zu vergessen: Eine komplizierte Bürokratie und Verwaltung, die aus allen Nähten platzt.
Das Weiß ist zum größten Teil geblieben. Weiß gilt ja aus der Sicht der Physik nicht als Farbe (nach Isaak Newton handelt es sich um eine gleichmäßige Verteilung aller Spektralfarben. Für Maler dagegen sind weiß und schwarz selbstverständlich Farben, die es in allen möglichen Abstufungen gibt).
Und das Weiß steht für Reinheit, Sauberkeit, Hygiene, Klarheit und Makellosigkeit. Ich meine, das passt sehr gut zum Anspruch, den die Medizin an sich selbst stellt. Zum Beispiel der typische weiße Kittel für den Arzt/die Ärztin. In der Chirurgie sind die Kittel, Laken und Tücher inzwischen nach der Kleiderordnung der BGU (Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik) grün oder blau (grün für Operationen im infizierten Gewebe, blau bei anderen Eingriffen. Dies hilft auch bei der Steuerung der Wäscheströme in den Krankenhäusern. Denn die OP-Bekleidung wird nach Gebrauch gesondert gereinigt).
Aber die meisten medizinischen Geräte, Maschinen, Instrumente, Laborausstattungen sind traditionell weiß.
Und neuerdings digital.
Die Anonymität des gläsernen Patienten
Stellen Sie sich bitte folgende Szene vor:
Ein Arzt sitzt vor einer Konsole. Auf einem riesigen, hochauflösenden 3-D-Bildschirm betrachtet er Knochen, Muskeln, Blutgefäße, Nervenbahnen und untersucht die Bauchorgane seines Patienten, der im Operationsraum nebenan liegt. Operiert wird er von einem absolut sterilen Roboter, der vom Computer der Arztkonsole gesteuert wird. Der Arzt kann während der Operation genau sehen, wo der Patient gerade berührt wird und natürlich jederzeit eingreifen, falls etwas Unvorhersehbares passiert. Aber das kommt eher nicht vor, denn der Operationsverlaufist vorher geplant, simuliert und mehrfach getestet worden. Jetzt operiert der Roboter ruhig, schnell, emotionslos und perfekt programmgesteuert. Natürlich so, dass der Patient nach der OP weder Schmerzen noch Narben hat.
Was meinen Sie? Eine Zukunftsphantasie?
Nein, es ist nur ein ganz klein wenig in die Zukunft gedacht. Schon heute funktioniert daran fast alles. Zum Beispiel die Neuronavigation, bei Hirnoperationen: Computer setzen die hochauflösenden Bilder von MRT (Magnetresonanztomographie) oder CT (Computertomographie) zusammen und errechnen ein einziges, dreidimensionales Bild. Dank dieses exakten Bildes kann sich der Arzt per Computer durch den Körper des Patienten führen lassen.
Und den Roboter gibt es auch schon: Bereits im Jahr 2014 kam der elektronische Assistent bei rund 570.000 Gehirn-, Knie-, Hüft- und Prostata-Operationen in den USA (in Deutschland ist die Zahl nicht erfasst worden) zum Einsatz. Das Ganze ist nur noch viel zu teuer.
Der enorme (vor allem der technologische) Fortschritt der modernen Medizin hat nicht nur zu großen Erfolgen in der Diagnostik und der Behandlung von Krankheiten geführt, sondern auch zu einer Veränderung der individuellen Arzt-Patienten-Beziehung; man nennt es auch: das „Vertrauensverhältnis“. Der technische und administrative Aufwand ist größer geworden, das ausführliche Gespräch mit dem Patienten wird mit zunehmender Patientenzahl immer kürzer.
Durch den Fortschritt bei der allumfassenden medizinischen Datenaufnahme ist der Patient „gläsern“ geworden - zumindest, was seine biologischen Messwerte betrifft. Aber über die Person (Persönlichkeit, Psyche, Motivation) des Patienten weiß der Arzt wenig oder nichts. Um umgekehrt auch nicht: Letztlich bleiben beide irgendwie anonym. Die oben geschilderte Szene funktioniert schließlich auch, wenn Arzt und Patient noch nie miteinander gesprochen haben (ich hoffe nur sehr, dass die Entwicklung nicht in diese Richtung geht).
Andererseits verliert der Patient bei der großen Menge der medizinischen Befunde und Fachgebiete und bei der täglichen Informationsflut leicht auch mal den Überblick. Manche Patienten glauben, dass der Fortschritt der Medizin so hoch sei, dass es bald keine (unheilbaren) Krankheiten mehr gäbe. Somit neigen sie möglicherweise dazu, die Verantwortung für ihre Gesundheit („Gesundheitsmündigkeit“) in die Hände des Arztes abzugeben. Dies ist ein Irrtum!
Die Medizin ist zur Behandlung, Linderung und Begleitung von Krankheiten zuständig. Davon lebt die Medizin. Für die eigene Gesundheit ist der Mensch selbst zuständig. Davon lebt er.
In der aktuellen Situation „jongliert“ der Arzt/die Ärztin in einem Spannungsfeld zwischen Patientenverantwortung, überbordenden administrativen Vorschriften und Regelungen, materiellen Vorgaben und Leitlinien, Wirtschaftlichkeit, Qualitätsmanagement und Regressansprüchen. Dies behindert die individuelle, empathische Arzt-Patienten-Beziehung; auch wenn sich alle Beteiligten Mühe geben! Hinzu kommt die Erschöpfung des Personals (besonders in Kliniken und großen Praxisgemeinschaften) durch lange Arbeitszeiten und Überstunden.
Der Standard der Medizin in Deutschland ist Weltklasse. Der Fortschritt ermöglicht es, das Leben (insbesondere der alten Menschen mit Krankheiten) nicht nur zu verlängern, sondern auch komfortabel zu gestalten. Dies führt demographisch dazu, dass es immer mehr 80- und 90-jährige Menschen gibt. Jeder will nur das Beste haben und hat auch einen rechtlichen Anspruch darauf. Wenn aber jeder „nur das Beste“ erhält, wird das Gesundheitssystem unbezahlbar. Die Politik verweigert sich bis heute dieser Fragestellung.
Und es gibt Jahr für Jahr immer mehr Patienten: In einer Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2013 haben 96,9% aller in Deutschland lebenden Männer und Frauen im Alter von 18 bis 79 Jahren ambulante und stationäre Leistungen in Anspruch genommen.
Die höchste Prozentzahl der Besuche bei niedergelassenen Ärzten erreicht der Allgemeinmediziner (Hausarzt) mit 79,4%. Knapp verfolgt vom Zahnarzt mit 71,7% und dem Frauenarzt mit 69,6% (nur Frauen). Dann folgt mit großem Abstand der Augenarzt (29,9%) und der Orthopäde (24%). Am untersten Ende steht der Psychotherapeut mit 4,3% (und das, obwohl in den letzten Jahren psychische undpsychiatrische Erkrankungen deutlich zugenommen haben).
Einstellungen, Wahrnehmungen und Meinungen zur modernen Medizin sind so vielfältig wie das Leben. Kritische Haltungen und euphorische Zustimmung sind etwa gleich häufig. Aber eins ist klar: Wunder bewirkt die Medizin nicht. Andererseits muss aber auch ein kleines Unwohlsein nicht mit allen Mitteln der modernen Technologie therapiert werden.
Wir können uns darauf verlassen, dass auch weiterhin neue Arzneien, neue diagnostische und therapeutische Verfahren entwickelt werden, die neue Erfolge bringen. Unsere Lebensqualität und Lebenserwartung wird weiter steigen. Aber bereits heute können wir alle Möglichkeiten nutzen, die es schon gibt. Allerdings gibt es nur wenige, die alle diese Möglichkeiten kennen. Oder verstehen.
Warum das so ist?
Weil immer mehr „Neuigkeiten“ hinzukommen. Weil Medien (TV-, Radio- und Internet-Sender, Reportagen und Berichte in Tageszeitungen, Illustrierten, Blogs, im E-Mail-Postfach, in sozialen Netzwerken und in sogenannten Wissensportalen) förmlich überquellen mit neuen, sensationellen oder auch völlig unwichtigen Informationen. Früher nannte man das Informationsgesellschaft. Heute ist es ein Informationschaos. Wie soll man eine Orientierung finden, wem soll man glauben?
Das kennen Sie doch auch: Ich erhalte täglich sehr viele E-Mails (vor allem Werbung im Spam-Ordner) mit „neuesten medizinischen Erkenntnissen“-manchmal sogar „bisher noch völlig geheimes Wissen“. Da gibt es total unbekannte Mittelchen gegen alles Mögliche: Super leicht Abnehmen! Das Altern für viele Jahre aufhalten! Keine Schmerzen mehr haben! Demenz verhindern! Länger gesund leben! Und das Tollste: „Hier finden Sie Geheimnisse, die kennt kein Arzt!“. Stimmt! Ich habe gefragt!
Oder noch verschwörerischer: „Das hält Ihr Arzt vor Ihnen geheim!“ Und Sie können davon ausgehen: Je länger dieser Werbetext ist, je nachhaltiger er Sie persönlich anspricht, je öfter sich die Aussagen wiederholen, desto teurer wird es am Ende. Manchmal wird dieses Geheimwissen sogar (natürlich nur einmal) kostenlos angeboten. Wenn Sie sich beeilen: Denn morgen gilt das Angebot schon nicht mehr. Alles klar? So geht das!
Ein Paradies für Verschwörungstheorien: Ärzte verhindern Gesundheit, weil sie sonst nichts mehr verdienen! Medikamente, die wirklich heilen, werden geheim gehalten und nicht angeboten! Schon gar nicht von derPharmaindustrie, denn auch die verdient an Ihrer Krankheit. Und keiner sagt die Wahrheit! Außer natürlich der „Doktor“ aus der E-Mail-Werbung, der Ihnen ganz persönlich helfen will. Nur er allein kennt natürliche und sogar übernatürliche Mittel, Supernahrungsmittel und geheime Drogen, die völlig unschädlich sind, aber nachweislich sensationelle Heilerfolge erbringen. Ihm können Sie vertrauen, das zeigen ja schon die vielen begeisterten Zuschriften seiner Kunden. Und wussten Sie, dass die milliardenschweren Hersteller von Insulin und Blutzucker-Messgeräten mit Analysestäbchen alles - wirklich alles – tun, um zu verhindern, dass Diabetes geheilt werden kann? Haben Sie nicht auch schon gehört, dass in den 1980er Jahren ein Forscher, der das Gegenmittel entdeckte, von Agenten der Pharmalobby ermordet wurde, bevor er seine Entdeckung veröffentlichen konnte? Und es stimmt natürlich auch nicht, dass wir auf dem Mond gelandet sind. Das wurde alles in einem Hollywoodstudio gedreht! Bewusste Irreführung also. Verschwörungstheorien gibt es überall! Eben auch in der Medizin. Es ist erstaunlich, wie leicht dieses „Geheimwissen“ und selbst die abstrusesten Vorstellungen Gläubige finden. Glauben heißt nicht wissen! Aber weil wir ja alle nicht unwissend bleiben wollen, auch wenn wir nichts wissen (oder beweisen können), dann hilft der Glaube. Denn er versetzt angeblich nicht nur Berge, sondern heilt auch Krankheiten. Manchmal hilft das wirklich, weil der Glaube an die Wirksamkeit einer Methode die Selbstheilungskräfte verstärkt. Und auch in der modernen Medizin kann man nicht alles erklären. Das heißt aber nicht, dass dann die Mythen und der Aberglaube wahr sind.
Allein die Vielfalt des (nicht geheimen) schulmedizinischen Wissens ist inzwischen so groß, dass auch Ärzte nicht alles wissen. Die Informationsabfrage über das Internet kann da helfen. Ebenso ist die digitale Abstimmung mit den Fachkollegen (Telemetrie und Telediagnose) ein sinnvolles Instrument. Wenn man die Zeit dafür aufbringen kann!
Der medizinische Laie hat dazu nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, selbst wenn er weiß, wonach er suchen muss. Was fehlt, ist eine generelle Übersicht, eine Orientierungshilfe im medizinischen Dschungel. Und vor allem die Information: „Was können Sie selbst für Ihre Gesundheit tun?“
Denn das ist ja ganz alleine Ihre Verantwortung. Solange Sie jung und gesund sind, fällt Ihnen nichts auf: Sie halten Ihre Gesundheit für selbstverständlich. Sie können aber auch ganz bewusst und gezielt etwas tun, um Ihre Gesundheit zu erhalten. Und selbst, wenn Sie nie krank werden, ist es gut, wenn Sie über das Wissen zur Gesundheit, zur Vorbeugung und zu Behandlungsmöglichkeiten verfügen.
Natürlich ist im Krankheitsfall jede sinnvolle Behandlung zielführend. Aber denken Sie immer daran: Auf Ihrer eigenen Einstellung und Ihrer aktiven Mitwirkung basiert letztendlich die komplette Heilung. Das Zusammenspiel von Persönlichkeit und ärztlicher Kunst fördert die Genesung.
Gesundheit für alle?
„Gute Ärzte behandeln keine Krankheiten, sondern Menschen mit Krankheiten.“ (aus „Der Medicus“)
Ich habe im vorigen Kapitel den Begriff „Gesundheitsmündigkeit“ erwähnt. In einem Zitat (aus Reader’s Digest 09/13) erläutert Kristine Sørensen, Projekt-Koordinatorin des „European Health Literacy Project“ der Universität Maastricht in den Niederlanden, den Begriff wie folgt:
„Wir definieren Gesundheitsmündigkeit als die Fähigkeit, sich Zugang zu Gesundheitsinformationen zu verschaffen, sie zu verstehen, zu bewerten und im Alltag so anzuwenden, dass sich dadurch die eigene Lebensqualität verbessert.“
Diese Gesundheitsmündigkeit ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstverantwortung eines jeden. Das 21. Jahrhundert ist der Beginn eines Quantensprungs des technologischen Fortschritts in der Medizin und die daraus resultierende Spezialisierung in Diagnostik und Therapie.
Die europäische Region der Weltgesundheitsorganisation (WHO) entwickelte 1999 das Rahmenkonzept „Gesundheit für alle“ (Gesundheit 21):
Zitat:
„Drei Grundwerte bilden die ethische Grundlage:
Gesundheit als fundamentales Menschenrecht;
gesundheitliche Chancengleichheit und Solidarität bei den Handlungen zwischen Ländern, zwischen Bevölkerungsgruppen innerhalb der Länder und zwischen Männern und Frauen; sowie
Partizipation und Rechenschaftspflicht des Einzelnen wie auch von Gruppen, Gemeinschaften, Institutionen, Organisationen und Sektoren in der gesundheitlichen Entwicklung.“
Von dieser „Gesundheit für alle“ sind wir aber noch weit entfernt! Es ist – so die WHO – eine Vision, „aber eine machbare“. Anlass für diese europaumspannende Aktion ist die Tatsache, dass sich in den 1990er Jahren die durchschnittliche Lebenserwartung der damals über 800 Millionen Einwohner Europas erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg verkürzte. Dies ist zwar in Europa von Land zu Land unterschiedlich, dennoch sterben weltweit viele Menschen zu früh, „obwohl das Wissen und die Mittel, solche vorzeitigen Todesfälle zu verhindern, vorhanden sind.“
Dieses Wissen befindet sich jedoch nicht in den breiten Bevölkerungsschichten, selbst nicht in den sogenannten „gebildeten“ Schichten. Gesundheitsmündigkeit bedeutet, dass wir uns dieses Wissen aktiv beschaffen müssen. Keiner klopft bei uns an die Tür, um uns über unsere persönlichen Gesundheitsrisiken aufzuklären. Und solange wir uns gesund fühlen (trotz oder gerade wegen unserer Lebensführung) gehen wir auch nicht zum Arzt.
Dennoch ist es ratsam, sich über „gesundes Leben“ zu informieren. Diese Informationen sind leicht zu erhalten.
Wenn man sie denn haben will.
Auch Vorsorgeuntersuchungen helfen, drohende Risiken abzuwenden. Mache gehen aber erst dann zum Arzt, wenn es für eine Vorsorge zu spät ist. Hier einige aufschlussreiche Zahlen (aus der im vorigen Kapitel erwähnten Studie des Robert-Koch-Instituts von 2013):
Anteil der Patienten, denen die Empfehlung der Krankenkasse zur Teilnahme an Krebsfrüherkenungsuntersuchungen bekannt ist:
Männer75,7%, Frauen88,5%.
Anteil der Patienten, die regelmäßig eine Krebsfrüherkennungsuntersuchung in Anspruch nehmen:
Männer40%, Frauen67,2%.
Dieses Buch soll Sie nun aber nicht dazu verleiten, ständig und unnötigerweise in einer Arztpraxis aufzutauchen, sondern Ihnen die wichtigsten Informationen über die „moderne Medizin“ zu geben, um die Kommunikation mit Ihren Ärzten in sinnvoller Weise zu nutzen. Auch für Ärzte und Ärztinnen sind die Beiträge eine mögliche Hilfe, das notwendige gegenseitige Vertrauensverhältnis durch einen Dialog „auf Augenhöhe“ zu vertiefen.
Ich gehöre nicht zu den Patienten, die oft zu einem Arzt gehen (den jährlichen Zahnarztbesuch einmal ausgenommen). Ich habe viele Jahre als Psychotherapeut in einer Fachklinik für Innere Medizin gearbeitet, sodass ich – zumindest beruflich – täglichen Kontakt zu Ärzten und Ärztinnen hatte. Wenn irgendetwas war, brauchte ich ja nur eine Tür weitergehen. Als Patient haben sich bei mir solche Kontakte altersgemäß in den letzten Jahren aber gehäuft. Auf dieser „medizinischen Wanderschaft“ wegen einiger ungeklärter Laborbefunde fühlte ich mich mitunter etwas verloren. Es fehlte mir die Orientierung und auch das Wissen, Entscheidungen zu treffen, was nun richtig oder falsch ist.
Also arbeitete ich mich – so gut es ging – in die Materie ein, um zu verstehen, was mir der Arzt oder die Ärztin riet und warum. Es wurde mir klar, dass die richtige Kommunikation im ärztlichen Gespräch, die ausführliche differentialdiagnostische Beratung und die systematische Einordnung von Befunden von ausschlaggebender Bedeutung sind. Lieber eine Information mehr, als viele zu wenig! Auf was sollte ich achten? Was kann ich selbst tun, was sollte ich besser einem Arzt/einer Ärztin überlassen. Was bedeuten bestimmte Laborbefunde. Wie eindeutig ist eine Diagnose? Welche Fragen sollte ich stellen? Und wem?
Mein Rat: Stellen Sie Ihre Fragen auf jeden Fall! Sie wissen doch: Es gibt keine dummen Fragen (nur dumme Antworten)! Lassen Sie sich nicht verunsichern, sondern fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen oder Ihre Frage nicht vollständig beantwortet wurde. Lassen Sie sich erklären, was die genauen Ursachen für Ihre Beschwerden sind. Das ist leider allerdings nicht immer möglich.
Es gibt in der Medizin einen Begriff „idiopathisch“. Er wird in Verbindung mit Krankheiten benutzt, die ohne eine diagnostizierbare Ursache entstehen, oder auch für Krankheitsverläufe, die nicht typisch, sondern individuell sind; also nicht genauso im Lehrbuch stehen (Arthrose gehört beispielsweise dazu). Viele Krankheitsverläufe bzw. der Umgang mit der eigenen Krankheit haben mit dem Individuum, seiner Lebensführung, seiner Geisteshaltung, seiner Belastbarkeit, etc. zu tun. Für mich (als Psychologe) ist das jetzt nicht überraschend. Der Mensch besteht ja nicht nur aus seinem Körper. Die Persönlichkeit, zu der sich ein Mensch im Laufe seines Lebens entwickelt hat, bestimmt auch - zu einem großen Teil – wie er mit seiner Krankheit umgeht. Welche Einstellung er dazu einnimmt, wie er seine Lebensführung an die neue Situation anpasst, welche Emotionen und Bewertungen er dazu erlebt, etc.
Ich teile in diesem Buch meine Erkenntnisse, Recherchen und Informationen, die ich in ausführlichen Gesprächen mit Ärzten aus unterschiedlichen Fachrichtungen gesammelt habe. Meine Hoffnung ist, dass ich damit auch zu Ihrer Gesundheitsmündigkeit einen kleinen Beitrag leisten kann.
Dass wir heute selbst entscheiden und mit Ärzten diskutieren können, hat aber lange gedauert: Von der ehrfürchtigen Verehrung der Ärzte der Antike bis in die Neuzeit („Götter in Weiß“), über die totale Hilflosigkeit der Medizin (z.B. bei der Pest im Mittelalter) bis zur gnadenlosen Geschäftemacherei (mit mysteriösen Mittelchen und Ablassverkäufen), vom tiefem Misstrauen gegen Medizin und Pharmazie bis hin zu glorreichen Erfolgen (z.B. in der Infektionsbekämpfung) findet sich in der Geschichte ein immer wiederkehrendes Auf und Ab.
Aber fangen wir von vorne an!
Wie alles begann…
Hippokrates, Galenos und Isfahan
„Das Geheimnis der Medizin besteht darin, den Patienten abzulenken, während die Natur sich selbst hilft.“ (Voltaire 1694-1778)
Dieses Zitat des berühmten französischen Autors (eigentlich hieß er François-Marie Arouet) wird „typisch“ genannt, denn es entspricht seinem Stil, der oft als sarkastisch und ironisch bezeichnet wurde. Wenn man sich den Stand der medizinischen Forschung zu seiner Zeit vor Augen hält, hatte er mit dieser Aussage möglicherweise sogar Recht. Er lebte in der ausklingenden Renaissance (französisch=Wiedergeburt), eine europäische Kulturepoche, deren Kernzeit das 15. und 16. Jahrhundert war. Damals bemühten sich Künstler und Gelehrte, die kulturellen Leistungen der griechischen und römischen Antike wieder neu zu beleben. Das 18. Jahrhundert nennt man in Frankreich auch „das Jahrhundert Voltaires“ (le siècle de Voltaire). Voltaire war der Vordenker der Aufklärung.
Mit seiner deutlichen Kritik an den Missständen des Absolutismus und am weltanschaulichen Monopol der Kirche war Voltaire auch ein wichtiger Wegbereiter der Französischen Revolution, die allerdings erst 11 Jahre nach seinem Tod begann (1789 bis 1799). Er machte sich beim Klerus höchst unbeliebt, aber es ging ihm nicht um die Christen: Er war ebenso gegen den Islamismus und den jüdischen Fanatismus, eigentlich gegen alle monotheistischen Religionen. Er sagte: „Besser man hat im Land dreißig Religionen als eine allein.“ Mit dieser Meinung ist er gerade in der heutigen Zeit aktueller denn je.
Medizin und Heilkunst gibt es schon, seit es die Menschheit gibt. Erste Aufzeichnungen und Hinweise sind bereits in alten Hochkulturen zu finden (wie z.B. in Ägypten oder bei „Naturvölkern“ in der Wildnis, in der sie pflanzliche Heilmittel ausmachten). Die Ägypter – mit ihrem Totenkult – hatten schon 4000 v.Chr. einen Riesenvorsprung in der Kenntnis der Anatomie. Schließlich waren sie die Weltmeister im Einbalsamieren (Mumifizierung), was ohne sorgfältige Obduktion und Entnahme der Organe nicht möglich gewesen wäre.
Warum machten sie das?
Weil sie an ein körperliches Weiterleben nach dem Tod glaubten. Deshalb gaben sie ihren Pharaonen und hohen Beamten nicht nur alle Gegenstände mit ins Grab, die sie im irdischen Leben hatten (sogar Fahrzeuge und Waffen), sondern auch Haustiere und das gesamte Personal (!).
Im 3. Jahrhundert v.Chr. entstand in Alexandria die bedeutendste antike Bibliothek, mit einem enormen Bestand an Schriftrollen, unter anderem auch mit medizinischen Schriften. Es wird vermutet, dass sie irgendwann in den ersten Jahrhunderten nach Christus einem Brand zum Opfer fiel, in dem nicht nur die Papyrus-Rollen, sondern auch das ganze Bauwerk zerstört wurden. Bis heute sind keine Überreste gefunden, sodass man keinen Überblick über das gesamte Wissen dieser Zeit hat und sich mit nur wenigen Werken antiker Autoren begnügen muss.
So etwas, wie eine systematische Aufarbeitung der Heilkunst beginnt mit Hippokrates von Kos (460-370 v.Chr.), der als erster die Medizin als Wissenschaft betrachtete. Schon zu Lebzeiten gilt er als der berühmteste Arzt der Antike. Seine Werke, die aus dem 5. Jahrhundert v.Chr. bis zum 1. Jahrhundert n.Chr. stammen, wurden von unterschiedlichen Autoren geschrieben und lassen sich nicht mit Sicherheit bis zu Hippokrates selbst zurückverfolgen. Was aber von ihm bis heute aktuell bleibt, sind seine Anforderungen an den Arzt und die „Hippokratische Lehre“. Vom Arzt erwartete er (neben umfassender Hygiene) nicht nur analytisches Denken, sondern auch Empathie und Integrität. Die wissenschaftliche Medizin bestünde darin, sich die Diagnose und Therapie systematisch zu erarbeiten und zwar auf der Basis von sehr sorgfältiger Beobachtung, Befragung und Untersuchung.
Der „Hippokratische Eid“ (der in der griechischen Originalversion fast 250 Worte lang ist) wurde viele Jahrhunderte von Ärzten geschworen. Da einige Teile des Eids (z.B. der Schwur, keine chirurgischenEingriffe durchzuführen) heute nicht mehr zutreffen, gilt seit 1948 eine modifizierte Neufassung, die vom Welt-Ärzteverband in Genf beschlossen wurde. Der ethische Grundgedanke ist nach wie vor Bestandteil dieses Ärztegelöbnisses (z.B. das Gebot, Kranken nicht zu schaden, die Schweigepflicht einzuhalten, keine sexuellen Beziehungen zu Patienten aufzunehmen, etc.).
Im 1. Jahrhundert n.Chr. taucht ein neuer Name auf: Galenos (auch Aelius Galenus oder Galen). Geboren wurde er in Pergamon (Türkei) so um 130 herum (die Daten schwanken zwischen 129 und 131) und starb in Rom 215 (auch hier schwanken die Daten von 199 bis 215). Von ihm stammt die „Lehre von den Temperamenten“, die bis in die Neuzeit nachwirkte. Da wird der Mensch in vier „Grundpersönlichkeiten“ eingeteilt: Choleriker, Melancholiker, Phlegmatiker und Sanguiniker. Die Bezeichnungen beziehen sich auf die Lehre der vier „Körpersäfte“: die gelbe Galle (cholé), die schwarze Galle (melas cholé), Schleim (phlegma) und Blut (sanguis). Noch heute dienen die Bezeichnungen „cholerisch“, „melancholisch“, „phlegmatisch“ und „sanguinisch“ zur Beschreibung bestimmter Persönlichkeiten. Bis heute gültig sind auch seine Hauptkennzeichen der Entzündung: Rubor (Rötung), Calor (Überwärmung), Tumor (Schwellung), Dolor (Schmerz) und Functio laesa (Funktionseinschränkung). Sein historisch wichtigstes Werk jedoch beschreibt die Form und Funktion der Muskeln und des Rückenmarks. Durch seine Schriften wurde die Kenntnis der Medizin über die Araber bis in die westliche Welt getragen.
Die von der 4-Säfte-Lehre abgeleitete „Humoralpathologie“ beherrschte die Medizin bis ins 19. Jahrhundert. Die Balance der Körpersäfte sei ausschlaggebend für die Gesundheit. Das Gleichgewicht der Säfte könne durch Diät, Medikamente, Aderlass und Blutegel wiederhergestellt werden (Blutegel werden übrigens wegen derer entzündungshemmenden Speichelsekrete seit 1970 wieder eingesetzt). Die Verwendung von Kräutern (pflanzliche Heilmittel) wirke auf die Körpersäfte. So entwickelten sich die Klostergärten zu Produktionsstätten solcher Heilmittel für die Volksmedizin.
Berühmt wurde Hildegard von Bingen (10981179), Benediktinerin und bedeutende Universalgelehrte ihrer Zeit (immerhin ein Zeitalter, in dem Frauen nichts zu sagen hatten!). Ihre Werke beschäftigten sich mit Religion, Ethik, Medizin, Musik und Kosmologie.
Von der griechischen Antike bis weit ins Mittelalter hinein war dagegen die Chirurgie ein Handwerk. In der Urfassung des hippokratischen Eids schworen die Ärzte, dass sie kein Organ aufschneiden, also nicht operieren werden. Dieses überließ man lieber den „Handwerkern“ (gr: χείρ =Hand“ undἔργον =Werk, Arbeit). Erst im 12. Jahrhundert entstanden systematische Abhandlungen zur Chirurgie. Dennoch wurden auch schon in der Antike Leichen seziert (meist hingerichtete Verbrecher), aber erst Leonardo da Vinci (1452-1519) konnte einen großen Einfluss nehmen. Er war an Obduktionen beteiligt und seine sehr detaillierten anatomischen Zeichnungen wurden die Grundlage der späteren vergleichenden Anatomie.
Vom 12. bis zum 17. Jahrhundert waren medizinische Katastrophen an der Tagesordnung. Die Pest des Mittelalters kehrte immer wieder nach Europa zurück: Italien, Spanien, England, Österreich, Frankreich und Russland waren betroffen. Man nannte die Pest den „schwarzen Tod“. Die große Pest-Pandemie im Mittelalter tötete rund 25 Millionen Menschen. Der „Zorn Gottes“ über die Sünden der Menschen? So glaubte es die Kirche.
Der damals unbekannte Erreger, das Pestbakterium Yersinia pestis existiert heute noch. Menschen und Tiere können davon befallen werden. Übertragen wird der Erreger von Ratten über Flöhe.
Und da ist noch etwas: Warum wurde das Mittelalter „dunkel“ und „kalt“ genannt („das finstere Mittelalter“)? Das ist durch Bakterien nicht zu erklären! Monatelang sei es kalt gewesen, notierte ein Mönch 1258: „Keine Blume, kein Keim ging auf; die Hoffnung auf Ernte war vergebens.“
Geologen weisen auf bestimmte Vulkanausbrüche hin. Darüber berichtet das Nature/Desert Research Institute am 09.07.2015:
Im Jahr 1258 legte sich durch einen Vulkanausbruch (vermutlich in Indonesien) dunkler Schwefelnebel über Europa und Hungersnöte brachen aus. Und das war nicht das erste Mal: Forscher stießen auf Indizien für gleich zwei größere Vulkan-Eruptionen mit ähnlichen Klimafolgen. (Der erste ereignete sich 535 oder Anfang 536 auf der Nordhalbkugel, wahrscheinlich brachen dabei sogar mehrere Vulkane in Nordamerika gleichzeitig oder dicht hintereinander aus. 540 folgte dann der zweite Ausbruch – diesmal von einem Vulkan in den Tropen. Als Folge brachen die Sommertemperaturen ein.) Dieses war die kälteste Zeit zwischen 500 und 1000 n.Chr. Man nennt diese Zeit die „justitianische Pest“. Das passierte dann im 12. Jahrhundert erneut. Diese Vulkanausbrüche waren also zumindest mit schuld an der Katastrophe. Nicht nur Pest & Co., sondern auch das fehlende Sonnenlicht, die winterliche Kälte, ungewöhnlich starke Regenfälle und Missernten führten zu dieser dramatischen Entwicklung.
Das medizinische Wissen basierte seit dem Frühmittelalter auf überlieferten griechischen, byzantinischen und römischen Texten, die in der Regel in Klöstern unter Verschluss gehalten wurden, z.B. das berühmte Lorscher Arzneibuch (vermutlich aus dem Jahr 795). Bakterien waren noch nicht bekannt und von den Vulkanausbrüchen wusste man in Europa vermutlich auch nichts.
Nach der Lehre der katholischen Kirche schickte Gott – wie oben erwähnt - eine „Verdunkelung der Sonne“ und Krankheiten als Strafe für Sünden. Daher konnte nur Reue zur Heilung führen. So entwickelten sich Geschäfte mit Ablassverkäufen, Bußen und Wallfahrten, sowie eine immer größer werdende Zahl von Schutzheiligen, die - je nach Krankheit - anzurufen waren.
Der Beruf des Mediziners war somit nichts für Christen, denn nur der „göttliche Arzt“ ist Herr über Krankheit oder Heilung! Die „äußere Medizin“, also das Waschen und Pflegen, war okay; aber die „innere Medizin“, das Heilen, war den Badern und Schamanen überlassen.
Aber unter diesen „Quacksalbern“ befanden sich erfolgreiche „Heilkünstler“. Vor allem, weil einige darunter sehr präzise Beobachter waren, die sich sorgfältig um eine Diagnose und (pragmatisch-experimentellen) Fortschritt bemühten. Und auch viel Fantasie entwickelten, was denn zur Heilung führen könnte. „Heilungen“ erfolgten auch häufig durch Placebo (lat.= „ich werde gefallen“)-Effekte, den Glauben an die Wirksamkeit der jeweiligen Therapie. Insofern war es oft – wie im obigen Zitat von Voltaire – ein Selbstheilungs-Effekt. Das half nur nichts bei Pocken, Masern und Pest! Und das gilt auch heute noch, selbst wenn es jetzt wieder Eltern gibt, die ihre Kinder nicht (z.B. gegen Masern) impfen lassen wollen.
Die wissenschaftliche Medizin entwickelte sich damals außerhalb Europas, z.B. in Indien, aber vor allem in der arabischen, jüdischen und muslimischen Welt. Dort herrschte (bereits im 10. und 11. Jahrhundert– im Gegensatz zu heute) religiöse Toleranz. Córdoba (damals ein islamischer Staat auf der iberischen Halbinsel: das „Kalifat von Córdoba“) und Isfahan (liegt im heutigen Iran und wurde damals al-Yahūdiyya genannt: Die Judenstadt, denn es war eine jüdische Siedlung) waren die Hochburgen mit exzellenten Krankenhäusern. Isfahan entwickelte sich zu der Hygiene- und Medizinerschule des Orients mit einer sorgfältigen Betreuung in Krankenhäusern.
Im ausklingenden Mittelalter (ab dem 13. Jahrhundert) forderten auch zahlreiche europäische Städte ein mehrjähriges Studium oder eine entsprechende Ausbildung für Mediziner. Besonders in Italien wurden nun auch viele Krankenhäuser (Hospitäler) gebaut. Diese Hospitalbewegung verbreitete sich in ganz Europa.