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London 1898: Die umstrittene Predigerin Sophia Delacruz reist von Spanien nach London, um dort Vorträge zu halten. Thomas Pitt, der Chef des Staatsschutzes, soll für ihre Sicherheit sorgen. Doch nur 24 Stunden später verschwindet Sophia auf mysteriöse Weise. Pitt nimmt unter Hochdruck die Ermittlungen auf und steckt schon bald in einem internationalen Intrigengeflecht, das die Sicherheit des ganzen Landes gefährden könnte.
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Seitenzahl: 574
Das Buch
Commander Pitt vom Staatsschutz erhält einen außergewöhlichen Auftrag: Er soll mit seinen Leuten für die Sicherheit von Sophia Delacruz sorgen, die von Spanien nach London kommt, um dort religiöse Vorträge zu halten. Daheim wird sie von ihren Anhängern als Heilige verehrt – aber sie hat auch bereits ernst zu nehmende Morddrohungen erhalten. Ihr Tod auf britischem Territorium könnte im Extremfall zu einem Krieg zwischen England und Spanien führen oder einen revolutionären Aufstand auslösen. Pitt lernt Sophia kennen und schätzen, doch dann passiert das Schreckliche: Nur kurz nach ihrem ersten Vortrag verschwindet Sophia über Nacht spurlos mit zweien ihrer Anhängerinnen. Ist sie eine Betrügerin, absichtlich untergetaucht – oder ihren Feinden zum Opfer gefallen? Unter größtem Druck beginnt Thomas Pitt zu ermitteln und stößt schon bald auf eine hochbrisante politische Intrige.
Die Autorin
Die Engländerin Anne Perry, 1938 in London geboren, verbrachte einen Teil ihrer Jugend in Neuseeland und auf den Bahamas. Schon früh begann sie zu schreiben. Ihre historischen Kriminalromane zeichnen ein lebendiges Bild des spätviktorianischen England und begeistern ein Millionenpublikum. Anne Perry lebt und schreibt in Schottland. Mehr zur Autorin und ihren Büchern erfahren Sie unter www.anneperry.co.uk.
Lieferbare Titel
Der Verräter von Westminster – Mord in Dorchester Terrace – Tod am Eaton Square – Nacht über Blackheath – zahlreiche weitere Thomas-Pitt-Romane sind als E-Book erhältlich.
Eine Weihnachtsreise – Der Weihnachtsmord – Der Weihnachtsfluch – Das Weihnachtsversprechen – Der Weihnachtsverdacht – Die Weihnachtsleiche – Der Weihnachtsverrat – weitere Weihnachtskrimis von Anne Perry sind als E-Book erhältlich.
ANNE PERRY
DAS OPFER VONANGEL COURT
Ein Thomas-Pitt-Roman
Aus dem Englischenvon K. Schatzhauser
WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN
Die Originalausgabe
THE ANGEL COURT AFFAIR
erschien 2014 bei Headline Publishing Group, London
Vollständige deutsche Erstausgabe 2/2016
Copyright © 2014 by Anne Perry
Copyright © 2016 der deutschen Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich,unter Verwendung eines Fotos von© Christie’s Images / Bridgeman Images
Satz: Schaber Datentechnik, Wels
ISBN: 978-3-641-16226-9V001
www.heyne-verlag.de
Für Michael Ducker
KAPITEL 1
An einem Frühlingstag stand Pitt im von den Strahlen der Sonne erhellten Büro des Innenministers Sir Walter, in das kein Laut des brausenden Verkehrs drang. Ungläubig sah er seinen Vorgesetzten an. »Eine spanische Heilige?«, fragte er, um einen möglichst gefassten Klang seiner Stimme bemüht.
»Sie ist keine Spanierin, sondern eine Engländerin, die in Spanien lebt«, gab Sir Walter geduldig zurück. »In Toledo, wie man mir sagte. Sie ist hier, um Verwandte zu besuchen.«
»Das dürfte kaum etwas mit dem Staatsschutz zu tun haben, Sir«, sagte Pitt. Man hatte den Aufgabenbereich dieser ursprünglich wegen der irischen Frage ins Leben gerufenen Abteilung mittlerweile so stark erweitert, dass sie mehr oder weniger für alles zuständig war, was als Bedrohung für die Sicherheit des Landes angesehen wurde.
Gerade jetzt, zwei Jahre vor der Jahrhundertwende – man schrieb das Jahr 1898 –, herrschte in ganz Europa Aufruhr. Überall griff die Unruhe um sich und trat immer deutlicher zutage. Kaum eine Woche verging ohne einen Bombenanschlag von Anarchisten. In Frankreich trieb die Dreyfus-Affäre ihrem Höhepunkt entgegen, und niemand vermochte deren Ausgang vorauszusagen. Es ging sogar das Gerücht, die Regierung werde darüber stürzen.
Pitt gab seinem Vorgesetzten zu bedenken, dass der Staatsschutz zwar für die Sicherheit hoher ausländischer Würdenträger zu sorgen habe, eine im Lande umherreisende Nonne – oder was auch immer sie sein mochte – aber nicht in diese Kategorie falle.
»Es sind Briefe mit Morddrohungen eingegangen«, schnitt ihm Sir Walter das Wort ab. Sein Gesicht ließ keine Regung erkennen. »Bedauerlicherweise hat sich die Frau überaus freimütig geäußert und mit ihren Ansichten Besorgnis sowie Verärgerung hervorgerufen.«
»Ich dachte, sie sei noch gar nicht hier«, erwiderte Pitt.
»Ist sie auch nicht«, antwortete Sir Walter. »Sie soll heute Abend in Southampton und morgen bei uns in London eintreffen. Wir müssen bereit sein.«
»Dann ist das ein Fall für die Polizei«, sagte Pitt knapp. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich hier jemand mit ihr anlegen will. Falls aber doch, kann sich die örtliche Polizei damit beschäftigen.«
Sir Walter seufzte, als habe er ein ermüdendes Gespräch dieser Art schon zuvor geführt. »Pitt, was ich Ihnen gesagt habe, war keine Empfehlung, sondern eine Anweisung. Es wäre töricht, darauf zu vertrauen, dass das Thema Religion viele Menschen kalt lässt, dass sich ausschließlich engagierte Christen gegen die von dieser Frau vertretenen Ansichten wenden werden und dass wir uns darauf verlassen dürfen, dass diese Leute wissen, wie sie sich im Rahmen der Gesetze zu verhalten haben, und möglicherweise sogar das Gebot christlicher Nächstenliebe befolgen werden.« Er hob die weißen Brauen und fuhr fort: »Manche Menschen streiten über nichts so leidenschaftlich wie über Fragen der Religion. In ihren Augen steht sie für Ordnung, gesunden Menschenverstand und dafür, dass auf jeden Fall das Gute über das Böse siegt. Noch wichtiger als all das ist ihnen aber, dass ihnen die Religion bestätigt, welcher Platz ihnen innerhalb der Schöpfung zukommt.« Er lächelte trübselig. »Und zwar einer, der ziemlich weit oben ist. Sich auf der obersten Stufe zu sehen verbietet ihnen ihre heuchlerische Bescheidenheit. Irgendetwas muss schließlich Gott vorbehalten bleiben.« Sein Lächeln schwand, und in seine Augen trat ein harter Ausdruck. »Wer diese Gewissheiten bedroht, bedroht ihrer Ansicht nach alles.«
Kopfschüttelnd fuhr er fort: »Großer Gott, sehen Sie sich doch nur an, welche Verwüstungen die Religion im Laufe der Geschichte angerichtet hat! Da haben wir die Kreuzzüge, die Inquisition in Spanien, die Verfolgung der Katharer und Waldenser in anderen Ländern Europas, die Massaker an den Hugenotten in Frankreich. Auch wir in England haben sowohl Katholiken als auch Protestanten verbrannt. Glauben Sie etwa, das könne nicht wieder geschehen? Wenn Dreyfus kein Jude wäre, hätte diese ganze widerliche Geschichte gar nicht erst angefangen und schon gar nicht diese Ausmaße angenommen – oder sollten Sie da anderer Ansicht sein?«
Pitt holte Luft, um etwas zu sagen, doch seine Zunge gehorchte ihm nicht.
Es war der 29. April. Wenige Tage zuvor hatte Präsident McKinley den amerikanischen Kongress dazu aufgefordert, Spanien den Krieg zu erklären. Da die Spanier Kuba seit vielen Jahren die Unabhängigkeit verweigerten, betrachteten die Amerikaner es als eine Gelegenheit, ihre Machtstellung zu festigen, indem sie in den Konflikt eingriffen. Als das Schlachtschiff USS Maine im Hafen von Havanna unter ungeklärten Umständen explodiert war, hatte die einflussreiche Presse der Vereinigten Staaten Spanien ganz offen als Schuldigen hingestellt. Am 21. April hatte der Kongress eine Seeblockade aller kubanischen Häfen angeordnet und verlangt, dass sich Spanien aus Kuba zurückzog. Vor vier Tagen dann, am 25. April, hatten die Vereinigten Staaten dem Land den Krieg erklärt. Das war einmalig in der von Idealismus geprägten kurzen Geschichte des Landes, das sich bis dahin damit begnügt hatte, Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, riesige Baumwoll- und Tabakplantagen anzulegen sowie eine eigene Industrie aufzubauen. Dieses neue Expansionsstreben barg die Gefahr in sich, dass andere Seemächte, darunter auch Großbritannien, davon beeinträchtigt würden, sofern die Amerikaner auf ihrer Haltung beharrten. Mit einem Mal vergrößerten sie nicht nur Heer und Kriegsflotte, sondern richteten auch begehrliche Blicke auf weit entfernte überseeische Gebiete wie Hawaii und die Philippinen. Sollte es beim Besuch jener Frau aus Spanien zu Zwischenfällen kommen, könnte das bei der dortigen Regierung den Verdacht wecken, Großbritannien stelle sich auf die Seite der Vereinigten Staaten und sei darauf aus, Spanien seinerseits den Krieg zu erklären. Das war eine äußerst beunruhigende Vorstellung.
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