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Die Letzte Schlacht hat begonnen!
Der Dunkle König gewinnt zunehmend an Macht. Seine Armee des Schattens überfällt die Länder des Nordens und der »Wiedergeborene Drache«, Rand al’Thor, wird vor eine fast unlösbare Herausforderung gestellt. Währenddessen trifft Perrin Aybara im Wolfstraum auf den Schlächter und Matrim Cauthon erwartet die größte Herausforderung seines Lebens …
Die Buch-Serie zur großen prime video-Serie »Das Rad der Zeit«!
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Aus dem Amerikanischen von Andreas Decker
© The Bandersnatch Group, Inc. 2010
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Towers of Midnight«,
Tom Doherty Associates Tor Books, New York 2010
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Piper Verlag GmbH, München 2011
Erstmals erschienen in zwei Bänden:
»Der Traum des Wolfs« (2011), »Die Türme der Mitternacht« (2011)
Karte: Ellisa Mitchell
Covergestaltung: Guter Punkt, München
Coverabbildung: Markus Weber, Guter Punkt, unter Verwendung von Motiven von Getty Images und iStock
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Cover & Impressum
Karte
DANKSAGUNG
Zitat
PROLOG
Unterschiede
KAPITEL 1
Zuerst die Äpfel
KAPITEL 2
Führungsfragen
KAPITEL 3
Der Zorn der Amyrlin
KAPITEL 4
Das Muster stöhnt
KAPITEL 5
Schriften
KAPITEL 6
Infrage gestellte Absichten
KAPITEL 7
Leichter als eine Feder
KAPITEL 8
Im Zur Maid mit den sieben Streifen
KAPITEL 9
Blut in der Luft
KAPITEL 10
Nach dem Makel
KAPITEL 11
Ein unerwarteter Brief
KAPITEL 12
Ein leeres Tintenfläschchen
KAPITEL 13
Was geschmiedet wurde
KAPITEL 14
Ein Schwur
KAPITEL 15
Nimm einen Stein
KAPITEL 16
Shanna’har
KAPITEL 17
Abschiede und eine Begegnung
KAPITEL 18
Ein Ort der Macht
KAPITEL 19
Gespräche über Drachen
KAPITEL 20
Eine Entscheidung
KAPITEL 21
Ein offenes Tor
KAPITEL 22
Das Ende einer Legende
KAPITEL 23
Fuchsköpfe
KAPITEL 24
Standhalten
KAPITEL 25
Rückkehr nach Bandar Eban
KAPITEL 26
Verhandlungen
KAPITEL 27
Eine Aufforderung sich zu erheben
KAPITEL 28
Seltsame Begebenheiten
KAPITEL 29
Ein schreckliches Gefühl
KAPITEL 30
Hier träumen Menschen
KAPITEL 31
Ins Nichts
KAPITEL 32
Ein Sturm aus Licht
KAPITEL 33
Eine gute Suppe
KAPITEL 34
Das Urteil
KAPITEL 35
Die richtige Entscheidung
KAPITEL 36
Eine Einladung
KAPITEL 37
Dunkelheit in der Weißen Burg
KAPITEL 38
Verletzungen
KAPITEL 39
Im Dreifachen Land
KAPITEL 40
Schmiedearbeiten
KAPITEL 41
Ein unerwarteter Verbündeter
KAPITEL 42
Stärker als Blut
KAPITEL 43
Ein Schluck Tee
KAPITEL 44
Eine schlecht formulierte Bitte
KAPITEL 45
Ein Wiedersehen
KAPITEL 46
Lederarbeiten
KAPITEL 47
Ein Unterrichtsraum
KAPITEL 48
Nahe Avendesora
KAPITEL 49
Am Hof der Sonne
KAPITEL 50
Die Wahl der Feinde
KAPITEL 51
Eine Prüfung
KAPITEL 52
Stiefel
KAPITEL 53
Wegetore
KAPITEL 54
Das Licht der Welt
KAPITEL 55
Wen sie zurückließen
KAPITEL 56
Hier stimmt etwas nicht
KAPITEL 57
Einen Hasen zum Abendessen
EPILOG
Etwas später
Zitat
GLOSSAR
Für Jason Denzel, Melissa Craib, Bob Kluttz, Jennifer Liang, Linda Taglieri, Matt Hatch, Leigh Butler, Mike Mackert und alle Leser, die Das Rad der Zeit im Laufe der Jahre zu einem Teil ihres Lebens und darum das Leben anderer Menschen besser gemacht haben.
Und schon bald wurde selbst im Stedding offensichtlich, dass das Muster an Brüchigkeit gewann. Der Himmel verfinsterte sich. Unsere Toten erschienen, stellten sich außerhalb der Grenzen des Stedding in Reihen auf und schauten hinein. Aber was noch viel beunruhigender war: die Bäume erkrankten, und kein Lied konnte sie heilen.
In dieser Zeit der Sorge trat ich nun vor den Großen Stumpf. Zuerst wurde mir das verboten, aber meine Mutter Covril verlangte, dass man es mir erlaubte. Ich vermag nicht zu sagen, woher ihr Meinungswechsel rührte, denn sie selbst hatte zunächst vehement für die andere Seite gesprochen. Meine Hände zitterten. Ich sollte der letzte Sprecher sein, und die meisten schienen sich bereits entschieden zu haben, das Buch der Übersetzung zu öffnen. Sie betrachteten mich als Nachsatz.
Und eines stand mir klar vor Augen: sollte meine Rede nicht wahrhaftig sein, würde die Menschheit dem Schatten allein gegenübertreten müssen. In diesem Augenblick schwand meine Nervosität. Ich verspürte nur noch Ruhe, das sichere Gefühl von Bestimmung. Ich öffnete den Mund und fing an zu reden.
– Auszug aus Der Wiedergeborene Drache von Loial, Sohn von Arent Sohn von Halan aus dem Stedding Shangtai
Mandarbs Hufe trommelten einen vertrauten Rhythmus auf den unwegsamen Boden, als Lan Mandragoran seinem Tod entgegentritt. Die heiße Luft trocknete seinen Hals aus; die Erde war mit aus der Höhe gefallenen Salzkristallen weiß gesprenkelt. Im Norden erhoben sich in der Ferne rote Felsformationen, die von der Fäulnis befleckt wurden. Zeichen der Großen Fäule, sich langsam ausbreitende dunkle Ranken.
Er ritt weiter nach Osten, immer parallel zur Fäule. Das hier war noch immer Saldaea, wo ihn seine Frau abgesetzt und damit ihr Versprechen, ihn in die Grenzlande zu bringen, so gerade eben noch eingehalten hatte. Dieser Weg erstreckte sich nun schon lange Zeit vor ihm. Vor zwanzig Jahren hatte er ihm den Rücken gekehrt, als er einwilligte, Moiraine zu folgen, aber tief in seinem Inneren hatte er immer gewusst, dass er zurückkommen würde. Das bedeutete es, den Namen seiner Väter zu tragen sowie das Schwert an seiner Hüfte und den Hadori auf dem Haupt.
Diese felsige Gegend im nördlichen Saldaea war unter dem Namen Proskaebenen bekannt. Für einen Ritt war es ein grimmiger Ort; hier wuchs nicht eine Pflanze. Der Wind wehte aus Norden und trug einen fauligen Gestank herbei. Wie von einem tiefen brütenden Sumpf voller aufgedunsener Leichen. Der Himmel war stürmisch und finster.
Diese Frau, dachte Lan kopfschüttelnd. Wie schnell hatte Nynaeve doch gelernt, wie eine Aes Sedai zu reden und zu denken. In den Tod zu reiten bereitete ihm keine Qualen, aber das Wissen, dass sie Angst um ihn hatte … das schmerzte. Sogar sehr.
Schon seit Tagen hatte er keinen Menschen mehr gesehen. Die Saldaeaner hatten Festungen im Süden, aber das Land hier war von zerklüfteten Schluchten vernarbt, die Trolloc-Angriffe erschwerten; sie zogen es vor, in der Nähe von Maradon anzugreifen.
Dennoch bestand nicht der geringste Grund zur Nachlässigkeit. In dieser Nähe zur Fäule durfte man sich niemals entspannen. Ihm fiel ein Hügel ins Auge; ein guter Ort für einen Späherposten. Er hielt nach den geringsten Bewegungen Ausschau. Dann ritt er durch eine Bodensenke, nur für den Fall, dass dort jemand im Hinterhalt lauerte. Die Hand hielt er am Bogen. Ein Stück weiter im Osten würde er nach Saldaea hineinreiten und Kandor auf seinen guten Straßen durchqueren. Dann …
In der Nähe rollten ein paar Steinchen einen Hang hinunter.
Lan zog langsam einen Pfeil aus dem Köcher an Mandarbs Sattel. Wo war der Laut hergekommen? Von rechts, entschied er. Südlich. Der Hügel dort; jemand kam dahinter hervor.
Lan zügelte Mandarb nicht. Wenn sich der Hufschlag veränderte, war das nur eine Warnung. Er hob den Bogen und fühlte den Schweiß seiner Finger in den Hirschlederhandschuhen. Er hakte den Pfeil in die Sehne und spannte sie in aller Ruhe, zog ihn bis zur Wange und atmete seinen Duft ein. Gänsefedern, Harz.
Eine Gestalt kam um die südliche Hügelseite. Der Mann erstarrte, das alte Lastpferd mit der zotteligen Mähne an seiner Seite ging weiter. Es blieb erst stehen, als sich das Seil um seinen Hals spannte.
Der Mann trug ein braunes, mit Schnüren geschlossenes Hemd und staubige Hosen. An der Taille baumelte ein Schwert, und seine Arme waren dick und stark, aber er sah nicht bedrohlich aus. Tatsächlich erschien er sogar irgendwie vertraut.
»Lan Mandragoran!«, rief der Mann und eilte los, zerrte das Pferd hinter sich her. »Endlich habe ich Euch gefunden. Ich hatte angenommen, Ihr reist auf der Kremerstraße!«
Lan senkte den Bogen und brachte Mandarb zum Stehen. »Kenne ich Euch?«
»Ich habe Vorräte gebracht, mein Lord!« Der Mann hatte schwarze Haare und war gebräunt. Vermutlich ein Grenzländer. Übereifrig eilte er weiter und zerrte mit seinen dicken Fingern an dem Strick des überladenen Packpferdes. »Ich bin von der Annahme ausgegangen, dass Ihr nicht genügend Lebensmittel dabeihabt. Hier sind auch Zelte – vier Stück, nur für alle Fälle – und Wasser. Futter für die Pferde. Und …«
»Wer seid Ihr?«, bellte Lan. »Und woher wisst Ihr, wer ich bin?«
Der Mann richtete sich zu seiner vollen Größe auf. »Ich bin Bulen, mein Lord. Aus Kandor?«
Aus Kandor … Lan erinnerte sich an einen dürren jungen Botenjungen. Überrascht erkannte er die Ähnlichkeit. »Bulen? Aber das ist zwanzig Jahre her, Mann!«
»Ich weiß, Lord Mandragoran. Aber als sich im Palast die Neuigkeit verbreitete, dass der Goldene Kranich gehisst wird, wusste ich, was ich zu tun hatte. Ich habe gelernt, gut mit dem Schwert umzugehen. Ich bin gekommen, um an Eurer Seite zu reiten und …«
»Die Nachricht von meiner Reise hat sich bis nach Aesdaishar verbreitet?«
»Ja, mein Lord. Ihr müsst wissen, El’Nynaeve, sie kam zu uns. Berichtete uns, was Ihr getan habt. Andere sammeln sich, aber ich brach als Erster auf. Ich wusste, dass Ihr Vorräte braucht.«
Soll man diese Frau doch zu Asche verbrennen, dachte Lan. Und sie hatte ihm den Schwur abgerungen, dass er jene akzeptierte, die mit ihm reiten wollten! Nun, wenn sie ihre Spielchen mit der Wahrheit treiben konnte, dann konnte er das erst recht. Er hatte versprochen, jeden zu nehmen, der mit ihm reiten wollte. Dieser Mann war kein Reiter. Ein kleinlicher Unterschied, aber zwanzig Jahre in der Gesellschaft von Aes Sedai hatten ihn einige Dinge darüber gelehrt, dass man auf seine genauen Worte achten musste.
»Kehrt nach Aesdaishar zurück«, sagte Lan. »Sagt allen, dass sich meine Frau geirrt hat und ich den Goldenen Kranich nicht gehisst habe.«
»Aber …«
»Ich brauche Euch nicht, mein Sohn. Geht.« Lan trieb Mandarb mit den Fersen zum Schritt an und passierte den Mann am Wegesrand. Ein paar Augenblicke lang glaubte er, dass man seinem Befehl gehorchen würde, obwohl es an seinem Gewissen nagte, wie er seinen Schwur umgangen hatte.
»Mein Vater war Malkieri«, sagte Bulen hinter ihm.
Lan ritt weiter.
»Er starb, als ich fünf war«, rief Bulen. »Er heiratete eine Kandori. Beide fielen Banditen zum Opfer. Ich erinnere mich nicht an viel von ihnen. Nur an eines, was mir mein Vater einmal sagte: eines Tages würden wir für den Goldenen Kranich kämpfen. Alles, was ich von ihm habe, ist das.«
Unwillkürlich drehte sich Lan um, während Mandarb weitertrottete. Bulen hielt einen schmalen Lederstreifen in die Höhe, den Hadori, den jeder Malkieri auf dem Kopf trug, der geschworen hatte, gegen den Schatten zu kämpfen.
»Ich würde den Hadori meines Vaters tragen«, rief Bulen, dessen Stimme lauter wurde. »Aber ich habe niemanden, den ich um Erlaubnis bitten kann. Das ist doch die Tradition, oder nicht? Jemand muss mir das Recht verleihen, ihn anzulegen. Nun, ich würde gegen den Schatten kämpfen, so lange ich lebe.« Er schaute auf den Hadori, dann schaute er wieder auf und rief: »Ich würde mich der Finsternis entgegenstellen, al’Lan Mandragoran! Wollt Ihr mir sagen, dass ich das nicht darf?«
»Geht zum Wiedergeborenen Drachen«, erwiderte Lan. »Oder zur Armee Eurer Königin. Sie werden Euch beide aufnehmen.«
»Und Ihr? Ihr reitet den ganzen Weg zu den Sieben Türmen ohne Ausrüstung?«
»Ich kann mich selbst versorgen.«
»Entschuldigt, mein Lord, aber habt Ihr Euch schon dieses Land angesehen? Die Fäule breitet sich immer weiter nach Süden aus. Nichts wächst mehr, nicht einmal in einst fruchtbaren Ländern. Das Wild ist knapp.«
Lan zögerte. Er zügelte Mandarb.
»Vor diesen vielen Jahren«, rief Bulen, setzte sich in Bewegung und zog das Packpferd hinter sich her, »da wusste ich kaum, wer Ihr seid, allerdings wusste ich, dass Ihr jemanden unter uns verloren hattet, der Euch viel bedeutete. Jahrelang habe ich mich dafür verflucht, Euch nicht besser gedient zu haben. Ich schwor, dass ich eines Tages an Eurer Seite stehe.« Er hatte Lan erreicht. »Ich frage Euch, weil ich keinen Vater habe. Darf ich den Hadori tragen und an Eurer Seite kämpfen, al’Lan Mandragoran? Meinem König?«
Lan atmete langsam aus und brachte seine Gefühle unter Kontrolle. Nynaeve, wenn ich dich das nächste Mal sehe… Aber er würde sie nicht wiedersehen. Er versuchte, nicht darüber nachzudenken.
Er hatte einen Schwur geleistet. Aes Sedai mogelten sich um ihre Versprechen herum, aber gab ihm das das gleiche Recht? Nein. Ein Mann war seine Ehre. Er konnte Bulen nicht abweisen.
»Wir reiten unerkannt«, sagte er. »Wir hissen nicht den Goldenen Kranich. Ihr werdet keinem sagen, wer ich bin.«
»Ja, mein Lord«, sagte Bulen.
»Dann tragt den Hadori mit Stolz«, sagte Lan. »Viel zu wenige befolgen die alten Sitten. Und ja, Ihr dürft Euch mir anschließen.«
Lan trieb Mandarb wieder an. Bulen folgte ihm zu Fuß. Und aus einem wurden zwei.
Perrin schlug den Hammer auf das rot glühende Eisen. Funken sprühten schimmernden Insekten gleich in die Luft. Schweißtropfen perlten sein Gesicht hinunter.
So mancher fand das Klirren von Eisen auf Eisen nervtötend. Perrin nicht. Dieser Laut war beruhigend. Er hob den Hammer und schlug zu.
Funken. Fliegende Lichter, die von seiner Lederweste und seiner Schürze abprallten. Mit jedem Hieb schmolzen die Wände des Raumes – stabiles Zwerglorbeerholz – und reagierten auf die rhythmischen Schläge. Er träumte, auch wenn er sich nicht im Wolfstraum befand. Das wusste er, obwohl er nicht zu sagen vermochte, warum er es wusste.
Die Fenster waren dunkel, der einzige Lichtschein kam von dem dunkelroten Feuer, das rechts von ihm brannte. Zwei Eisenstäbe glühten zwischen den Kohlen und warteten darauf, dass sie an die Reihe kamen. Perrin ließ den Hammer wieder in die Tiefe sausen.
Das war Frieden. Das war Zuhause.
Er erschuf etwas Wichtiges. Etwas außerordentlich Wichtiges. Ein Teil von etwas Größerem. Wenn man etwas erschaffen wollte, bestand der erste Schritt darin, sich die einzelnen Teile vorzustellen. Das hatte Meister Luhhan Perrin an seinem ersten Tag in der Schmiede beigebracht. Man konnte keinen Spaten herstellen, ohne zu begreifen, wie der Stiel ins Schaufelblatt passte. Man konnte kein Scharnier herstellen, ohne zu wissen, wie sich die beiden Teile um den Bolzen bewegten. Man konnte nicht einmal einen Nagel schmieden, ohne vorher seine Teile zu kennen: Kopf, Schaft, Spitze.
Verstehe die einzelnen Teile, Perrin.
In der Ecke lag ein Wolf. Er war groß und grau; der Pelz hatte die Farbe von hellgrauen Flusskieseln und trug die Narben von einem Leben voller Kämpfe und Jagden. Der Wolf legte den Kopf auf die Pfoten und beobachtete Perrin. Das war völlig natürlich. Natürlich lag ein Wolf in der Ecke. Wie hätte es auch anders sein können? Es war Springer.
Perrin arbeitete und genoss die brennende Hitze des Schmiedefeuers, das Gefühl von an seinen Armen herunterrinnenden Schweißes, den Geruch des Feuers. Er formte das Eisenstück, einen Schlag für jeden zweiten Schlag seines Herzens. Das Metall kühlte niemals ab, sondern behielt sein formbares rotgelbes Glühen.
Was mache ich da? Perrin hob das glühende Eisenstück mit der Zange in die Höhe. Die Luft darum verformte sich.
Drauf, drauf, drauf, sagte Springer in Gedanken und kommunizierte in Bildern und Gerüchen. Wie ein Welpe, der nach Schmetterlingen springt.
Springer sah nicht ein, warum man Eisen neu formen sollte, und fand es amüsant, dass Menschen so etwas taten. Für einen Wolf war ein Ding das, was es war. Warum sich so viel Mühe machen, um daraus etwas anderes zu machen?
Perrin legte das Werkstück zur Seite. Es kühlte augenblicklich aus, wurde gelb, wurde orangerot, dann blutrot, dann mattschwarz. Perrin hatte es zu einem unförmigen Klumpen gehämmert, der ungefähr die Größe von zwei Fäusten aufwies. Meister Luhhan würde sich schämen, wenn er so schlampige Arbeit sah. Perrin musste bald in Erfahrung bringen, was genau er da eigentlich herstellen sollte, bevor sein Meister zurückkehrte.
Nein. Das war falsch. Der Traum erzitterte, und die Wände verwandelten sich in Nebel.
Ich bin kein Lehrling. Perrin hob die Hand in dem dicken Handschuh zum Kopf. Ich befinde mich nicht länger in den Zwei Flüssen. Ich bin ein Mann, ein verheirateter Mann.
Perrin ergriff den formlosen Eisenklumpen mit der Zange und stieß ihn auf den Amboss. Heiß flammte er wieder auf. Noch immer ist alles falsch. Perrin drosch mit dem Hammer zu. Mittlerweile müsste alles besser sein. Aber das ist es nicht. Irgendwie scheint es sogar schlimmer zu sein.
Er schlug weiter zu. Er hasste die Gerüchte, die die Männer am Lagerfeuer flüsternd über ihn in die Welt setzten. Perrin war krank gewesen, und Berelain hatte ihn gepflegt. Das war alles. Trotzdem kamen die Gerüchte nicht zur Ruhe.
Immer wieder schlug er mit dem Hammer zu. Funken flogen in die Luft, als wären es Wasserspritzer, für ein Eisenstück waren es viel zu viele. Er tat einen letzten Schlag, dann atmete er ein und aus.
Der Klumpen hatte sich nicht verändert. Perrin knurrte und griff nach der Zange, legte den Klumpen zur Seite und nahm eine neue Stange aus den Kohlen. Er musste dieses Werkstück fertigstellen. Es war so wichtig. Aber was stellte er da eigentlich her?
Er hämmerte drauflos. Ich muss Zeit mit Faile verbringen, die Dinge ergründen, das Unbehagen zwischen uns beseitigen. Aber dazu ist keine Zeit! Diese vom Licht geblendeten Narren um ihn herum waren nicht dazu in der Lage, sich um sich selbst zu kümmern. In den Zwei Flüssen hatte nie jemand einen Lord gebraucht.
Er arbeitete eine Weile, dann hielt er das zweite Stück Eisen in die Höhe. Es kühlte ab und verwandelte sich in eine unförmige flach gedrückte Stange von der Länge seines Unterarms. Noch eine schlampige Arbeit. Er legte sie zur Seite.
Wenn du unglücklich bist, sagte Springer, dann nimm dein Weibchen und geh. Wenn du das Rudel nicht führen willst, wird es ein anderer tun. Die Botschaft des Wolfes bestand aus dem Lauf über offene Felder, Weizen strich über seine Schnauze. Ein offener Himmel, eine kühle Brise, Lust auf Abenteuer. Es roch nach frischem Regen, nach wilden Weidegründen.
Perrin griff mit der Zange nach der letzten Eisenstange. Sie loderte in einem gefährlich aussehenden Gelb. »Ich kann nicht gehen.« Er hielt die Stange dem Wolf entgegen. »Es würde bedeuten, dem Wolf in mir nachzugeben. Es würde bedeuten, mich zu verlieren. Das werde ich nicht tun.«
Er hielt das beinahe geschmolzene Eisen zwischen sie beide, und Springer musterte ihn; gelbe Lichtpunkte spiegelten sich in den Augen des Wolfes. Dieser Traum war so seltsam. In der Vergangenheit waren Perrins gewöhnliche Träume und der Wolfstraum stets voneinander getrennt gewesen. Was hatte diese Vermischung zu bedeuten?
Perrin verspürte Angst. Er hatte einen brüchigen Waffenstillstand mit dem Wolf in ihm geschlossen. Es war gefährlich, den Wölfen zu nahe zu kommen, aber das hatte ihn nicht daran gehindert, sich auf der Suche nach Faile an sie zu wenden. Alles für Faile. Dies hatte ihn um ein Haar den Verstand gekostet, und er hatte sogar versucht, Springer zu töten.
Perrin hatte nicht annähernd die Kontrolle, die er zu haben glaubte. Der Wolf in ihm konnte noch immer die Herrschaft ergreifen.
Springer gähnte und ließ die Zunge aus dem Maul baumeln. Er roch nach süßer Belustigung.
»Das ist nicht komisch.« Perrin legte die letzte Stange zur Seite, ohne sie bearbeitet zu haben. Sie kühlte ab und nahm die Form eines dünnen Rechtecks an, das eine gewisse Ähnlichkeit mit den Anfängen eines Scharniers hatte.
Probleme sind nicht amüsant, Junger Bulle, gab Springer ihm recht. Aber du kletterst immer auf derselben Wand hin und her. Komm. Lass uns laufen.
Wölfe lebten im Jetzt; obwohl sie sich an die Vergangenheit erinnerten und ein seltsames Gespür für die Zukunft zu haben schienen, machten sie sich über beides keine Sorgen. Nicht so wie Menschen. Wölfe liefen frei und jagten den Wind. Sich ihnen anzuschließen würde bedeuten, Schmerz, Trauer und Enttäuschung zu ignorieren. Frei zu sein …
Diese Freiheit würde Perrin zu viel kosten. Er würde Faile verlieren, sein Ich. Er wollte kein Wolf sein. Er wollte ein Mensch sein. »Gibt es eine Möglichkeit, das wieder umzukehren, was mit mir passiert ist?«
Umzukehren? Springer legte den Kopf schief. Zurückzugehen war nicht die Art der Wölfe.
»Kann ich …« Perrin hatte Mühe, die richtigen Worte für eine Erklärung zu finden. »Kann ich so weit laufen, dass die Wölfe mich nicht hören können?«
Springer erschien verwirrt. Nein. »Verwirrt« beschrieb nicht die gequälten Bilder, die er übermittelte. Das Nichts, der Geruch von verfaulendem Fleisch, Wölfe, die gequält heulten. Abgeschnitten zu sein, so etwas konnte sich Springer nicht vorstellen.
Perrins Gedanken verschwammen. Warum hatte er mit der Arbeit aufgehört? Er musste fertig werden. Meister Luhhan würde so enttäuscht sein! Diese Klumpen waren schrecklich. Am besten versteckte er sie. Am besten schmiedete er etwas anderes, um zu zeigen, wozu er fähig war. Er konnte schmieden. Oder nicht?
Neben ihm ertönte ein Zischen. Perrin drehte sich um und sah überrascht, dass eines der Abschreckfässer neben dem Ofen kochte. Natürlich, dachte er. Die ersten Stücke, die ich fertiggestellt habe. Ich habe sie dort hineingeworfen.
Von plötzlicher Unruhe ergriffen, schnappte sich Perrin die Zange und griff in das aufgewühlte Wasser; Dampf hüllte sein Gesicht ein. Er entdeckte etwas am Grund des Fasses und holte es mit seiner Zange nach oben: einen Klumpen weiß glühendes Metall.
Das Glühen verblich. Tatsächlich war der Klumpen eine kleine Stahlfigur in Gestalt eines hochgewachsenen dünnen Mannes, der ein Schwert auf den Rücken geschnallt trug. Alles war in den kleinsten Einzelheiten dargestellt, die Falten des Hemdes, die Lederriemen an dem winzigen Schwertgriff. Aber das Gesicht war verzerrt, der Mund zu einem schrecklichen Schrei geöffnet.
Aram, dachte Perrin. Sein Name war Aram.
Das konnte er unmöglich Meister Luhhan zeigen! Warum hatte er so ein Ding gemacht?
Der Mund der Figur öffnete sich noch weiter und schrie lautlos. Mit einem Aufschrei ließ Perrin sie aus der Zange gleiten und sprang zurück. Die Figur fiel auf den Holzboden und zerbrach.
Warum denkst du so viel über den da nach? Springer gähnte ein großes Wolfsgähnen, seine Zunge rollte sich auf. Es ist ganz normal, dass ein junger Welpe den Rudelführer herausfordert. Er war dumm, und du hast ihn besiegt.
»Nein«, flüsterte Perrin. »Für Menschen ist das nicht normal. Nicht unter Freunden.«
Plötzlich schmolz die Seitenwand des Ofens und verwandelte sich in Rauch. Es erschien Perrin wie ein ganz normaler Vorgang. Draußen sah er eine offene Straße in hellem Tageslicht. Eine Stadt mit Geschäften, deren Fenster zerbrochen waren.
»Malden«, sagte Perrin.
Draußen stand ein rauchiges, durchsichtiges Abbild von ihm. Das Abbild trug keinen Mantel; die nackten Arme strotzten vor Muskeln. Der Bart war kurz geschnitten, aber es ließ ihn älter und energischer aussehen. Sah er tatsächlich so imposant aus? Eine gedrungene Festung von Mann mit goldenen Augen, die zu glühen schienen, in der Hand eine funkelnde Axt mit halbmondförmiger Klinge von der Größe eines Männerkopfes.
Etwas stimmte nicht mit dieser Axt. Perrin verließ die Schmiede und trat durch seine Schattenversion hindurch. Als er das tat, wurde er zu dem Abbild; die Axt lag schwer in seiner Hand, und die Arbeitskleidung verschwand und wurde durch Kampfausrüstung ersetzt.
Er rannte los. Ja, das hier war Malden. Aiel waren auf den Straßen. Er hatte diese Schlacht erlebt, obwohl er dieses Mal viel ruhiger war. Zuvor hatte er sich in der Aufregung des Kampfes und der Suche nach Faile verloren. Mitten auf der Straße blieb er stehen. »Das ist falsch. In Malden trug ich meinen Hammer. Ich habe meine Axt weggeworfen.«
Ein Horn oder ein Huf, Junger Bulle, spielt es eine Rolle, was man zur Jagd benutzt? Springer saß neben ihm auf der sonnenhellen Straße.
»Ja. Es spielt eine Rolle. Jedenfalls für mich.«
Zwei Shaido Aiel kamen um eine Hausecke gebogen. Sie beobachteten etwas links von ihnen, etwas, das Perrin nicht sehen konnte. Er lief los, um sie anzugreifen.
Er durchtrennte das Kinn des einen, dann rammte er dem anderen den Dorn der Axt in die Brust. Es war ein brutaler, schrecklicher Angriff, und alle drei landeten auf dem Boden. Es brauchte mehrere Stiche mit dem Dorn, um den zweiten Shaido zu töten.
Perrin stand auf. Er erinnerte sich daran, die beiden Aiel getötet zu haben, allerdings hatte er es mit Hammer und Messer getan. Er bedauerte ihren Tod nicht. Manchmal musste ein Mann eben kämpfen, so war das nun einmal. Der Tod war schrecklich, aber manchmal war es eben nötig. Tatsächlich war es wunderbar gewesen, mit den Aiel zu kämpfen. Er hatte sich gefühlt wie ein Wolf auf der Jagd.
Wenn Perrin kämpfte, kam er nahe daran, ein anderer zu werden. Und das war gefährlich.
Er schaute Springer anklagend an, der sich an der Straßenecke herumtrieb. »Warum lässt du mich das träumen?«
Ich mache das?, fragte Springer. Das ist nicht mein Traum, Junger Bulle. Siehst du meine Zähne an deinem Hals, die dich zwingen, das zu denken?
Perrins Axt war blutverschmiert. Er wusste, was nun kam. Er drehte sich um. Hinter ihm kam Aram heran, Mordlust in den Augen. Die eine Gesichtshälfte des ehemaligen Kesselflickers war blutig, und es tropfte von seinem Kinn und verschmutzte seinen rot gestreiften Mantel.
Aram zielte mit dem Schwert nach Perrins Hals. Stahl zischte durch die Luft. Perrin trat zurück. Er weigerte sich, noch einmal gegen den Jungen zu kämpfen.
Seine Schattenversion löste sich aus ihm und ließ den echten Perrin in seiner Schmiedkleidung zurück. Der Schatten teilte Hiebe mit Aram aus. Der Prophet hat es mir erklärt… in Wirklichkeit gehörst du dem Schattengezücht an… ich muss Lady Faile vor dir retten…
Plötzlich verwandelte sich der Schatten-Perrin in einen Wolf. Sein Fell war beinahe so dunkel wie das eines Schattenbruders; er schnellte in die Höhe und riss Aram die Kehle heraus.
»Nein! So hat sich das nicht abgespielt!«
Das ist ein Traum, sagte Springer.
»Aber ich tötete ihn nicht«, protestierte Perrin. »Ein Aiel durchbohrte ihn in dem Augenblick mit Pfeilen, bevor …«
Bevor Aram ihn getötet hätte.
Horn, Huf oder Zahn. Springer drehte sich um und hielt auf ein Gebäude zu. Seine Wand verschwand und enthüllte Meister Luhhans Schmiede. Spielt es eine Rolle? Die Toten sind tot. Zweibeiner kommen nicht her, nachdem sie gestorben sind, normalerweise nicht. Ich weiß nicht, wo sie hingehen, wenn sie gehen.
Perrin betrachtete Arams Leichnam. »Ich hätte diesem Narren das Schwert in dem Moment abnehmen sollen, indem er es ergriff. Ich hätte ihn zu seiner Familie zurückschicken sollen.«
Verdient ein Welpe nicht seine Reißzähne?, fragte Springer offensichtlich verwirrt. Warum solltest du sie ihm ziehen?
»Das ist eine Sache unter Menschen«, sagte Perrin.
Eine Sache der Zweibeiner, der Menschen. Für dich ist es immer eine Sache der Menschen. Was ist mit der Sache der Wölfe?
»Ich bin kein Wolf.«
Springer trottete in die Schmiede, und Perrin folgte ihm zögernd. Das Fass brodelte noch immer. Die Wand bildete sich neu, und Perrin trug wieder Lederweste und Schürze, die Zange in der Hand.
Er beugte sich darüber und holte eine weitere Figur heraus. Es war die Gestalt von Tod al’Caar. Als sie abkühlte, entdeckte Perrin, dass das Gesicht nicht so wie bei Aram verzerrt war, auch wenn die untere Hälfte noch immer ein umgeformter Eisenblock war. Die Figur glühte weiterhin leicht rötlich, nachdem Perrin sie auf dem Boden abstellte. Er stieß die Zange zurück ins Wasser und holte eine Figur von Jori Congar hervor, dann eine von Azi al’Thone.
Immer wieder trat Perrin zu dem brodelnden Fass und holte eine Figur nach der anderen heraus. Wie in Träumen üblich nahm es nur eine kurze Sekunde in Anspruch, sie alle zu holen, kam ihm aber wie Stunden vor. Als er fertig war, standen Hunderte von Figuren auf dem Boden und schauten ihn an. Beobachteten ihn. In jeder Stahlfigur brannte ein winziges Feuer, als warteten sie darauf, den Schmiedehammer zu spüren.
Aber derartige Figuren schmiedete man nicht; man goss sie. »Was bedeutet das?« Perrin ließ sich auf einen Hocker nieder.
Bedeuten? Springer öffnete den Rachen zu einem Wolfslachen. Es bedeutet, dass viele kleine Männer auf dem Boden stehen, von denen man keinen essen kann. Deine Art hat viel zu viel für Steine übrig und dem, was sie enthalten.
Die Figuren schienen ihn anzuklagen. Um sie herum lagen Arams Scherben, die größer zu werden schienen. Bewegung kam in die zersplitterten Hände, und sie krallten über den Boden. Sämtliche Scherben verwandelten sich in kleine Hände, die sich auf Perrin zuarbeiteten und nach ihm griffen.
Perrin keuchte auf und sprang auf die Füße. In der Ferne hörte er Gelächter, das immer näher kam und das Gebäude erzittern ließ. Springer sprang auf und krachte gegen ihn. Und dann …
Perrin fuhr in die Höhe. Er war zurück in seinem Zelt, auf dem Feld, wo sie nun schon seit ein paar Tagen lagerten. Eine Woche zuvor waren sie einer Blase des Bösen begegnet, die überall im Lager wütende rote ölige Schlangen aus dem Boden hatte kriechen lassen. Ihre Bisse hatten mehrere Hundert Menschen krank gemacht; die Aes Sedai hatten die meisten von ihnen mit ihrer Fähigkeit des Heilens am Leben halten können, sie aber nicht vollständig kuriert.
Faile schlummerte friedlich neben Perrin. Draußen schlug einer seiner Männer gegen einen Pfosten, um die Stunde zu schlagen. Drei Schläge. Noch Stunden bis zur Morgendämmerung.
Perrins Herz pochte leise, und er legte eine Hand auf die nackte Brust. Fast erwartete er, dass ein Heer winziger Eisenhände unter seinem Bettzeug hervorkroch.
Schließlich zwang er sich dazu, die Augen zu schließen und sich zu entspannen. Dieses Mal wollte der Schlaf nur langsam kommen.
Graendal nippte an ihrem Wein, der in einem mit Silbernetzen verzierten Kristallpokal funkelte. Der Pokal war mit Blutstropfen geschmückt, die innerhalb des Kristalls ein Ringmuster bildeten. Winzige hellrote Blasen, die für alle Ewigkeit erstarrt waren.
»Wir sollten etwas tun«, sagte Aran’gar, die sich auf dem Diwan fläzte und eines von Graendals männlichen Schoßtieren, das gerade vorbeiging, mit raubtierhaftem Hunger anstarrte. »Ich weiß nicht, wie Ihr das ertragen könnt, sich so weit abseits von den wichtigen Ereignissen aufhalten zu müssen, wie ein Gelehrter, der sich in eine staubige Ecke verkriecht.«
Graendal hob eine Braue. Ein Gelehrter? In einer staubigen Ecke? Verglichen mit einigen der Paläste, die sie im vorherigen Zeitalter kennengelernt hatte, war Natrins Hügel bescheiden, aber es war keine Elendsbehausung. Die Möbel waren kostbar, die Wände mit einem Bogenmuster aus dickem, dunklen Hartholz versehen, der Bodenmarmor funkelte mit eingelegten Perlmutt- und Goldstücken.
Aran’gar wollte sie bloß provozieren. Graendal unterdrückte ihre Gereiztheit. Das Feuer im Kamin brannte nur noch niedrig, aber die Flügeltür, die auf den befestigten Wehrgang drei Stockwerke hoch in der Luft führte, stand offen und ließ die kühle Brise Landluft ein. Sie ließ nur selten ein Fenster oder eine Tür geöffnet, aber heute gefiel ihr der Kontrast: Wärme von der einen Seite, eine kühle Brise von der anderen.
Der Sinn des Lebens bestand darin, etwas zu fühlen. Berührungen der Haut, sowohl leidenschaftlich wie auch eiskalt. Alles, nur nicht das Normale, das Gewöhnliche, das Lauwarme.
»Hört Ihr mir überhaupt zu?«, fragte Aran’gar.
»Ich höre immer zu«, erwiderte Graendal, stellte den Pokal ab und setzte sich auf ihrem eigenen Diwan auf. Sie trug ein goldenes, alles verhüllendes Kleid, bis zum Hals zugeknöpft, aber dennoch durchscheinend. Was für eine wunderbare Mode diese Domani doch hatten; sie gestattete tiefe Einblicke und war doch ideal, um aufreizend zu sein.
»Ich verabscheue es, so weit abseits von den Dingen zu sein«, fuhr Aran’gar fort. »Dieses Zeitalter ist aufregend. Primitive Menschen können so interessant sein.« Die Frau mit der Elfenbeinhaut und den üppigen Kurven drückte den Rücken durch und streckte die Arme in Richtung Wand. »Wir verpassen die ganze Aufregung.«
»Aufregung verfolgt man am besten aus der Distanz«, sagte Graendal. »Eigentlich hätte ich gedacht, dass Ihr das begriffen habt.«
Aran’gar verstummte. Der Große Herr war nicht zufrieden mit ihr gewesen, dass sie die Kontrolle über Egwene al’Vere verloren hatte.
»Nun.« Aran’gar stand auf. »Wenn das Eure Meinung dazu ist, suche ich mir eine interessantere Abendbeschäftigung.«
Ihre Stimme war kühl; möglicherweise zeigte ihre Allianz Abnutzungserscheinungen. In diesem Fall war die Zeit gekommen, sie wieder etwas zu untermauern. Graendal öffnete sich und akzeptierte die Dominanz des Großen Herrn, fühlte die kribbelnde Ekstase seiner Macht, seiner Leidenschaft, seiner Substanz. Dieser reißende, feurige Strom war so viel berauschender als die Eine Macht.
Er drohte sie zu überwältigen und zu verschlingen, und obwohl sie mit der Wahren Macht gefüllt war, vermochte sie nur ein winziges Tröpfeln davon zu lenken. Ein Geschenk von Moridin. Nein, vom Großen Herrn. Besser, sie fing nicht damit an, die beiden in Gedanken gleichzusetzen. Im Augenblick war Moridin der Nae’blis. Aber nur im Augenblick.
Graendal webte einen Streifen Luft. Mit der Wahren Macht zu arbeiten ähnelte der Arbeit mit der Einen Macht, war aber nicht identisch. Ein Gewebe aus Wahrer Macht funktionierte oft etwas anders oder brachte unerwartete Nebenwirkungen mit sich. Und einige Gewebe konnten allein mit der Wahren Macht erzeugt werden.
Die Essenz des Großen Herrn übte einen Zwang auf das Muster aus, setzte es einer großen Belastung aus und hinterließ Narben. Die Energien des Dunklen Königs konnten sogar etwas auftrennen, das dem Willen des Schöpfers zufolge für alle Ewigkeit hätte Bestand haben sollen. Das verkündete eine ewige Wahrheit – kam so nahe an etwas Heiliges heran, wie Graendal bereit war, zu akzeptieren. Was auch immer der Schöpfer erschuf, der Dunkle König konnte es vernichten.
Sie sandte den Strom Luft Aran’gar hinterher. Die andere Auserwählte war auf den Balkon hinausgetreten; Graendal hatte die Erschaffung von Wegetoren im Haus verboten, damit weder ihre Schoßtiere noch ihre Möbel beschädigt wurden. Sie führte die Luft zu Aran’gars Wange und liebkoste sie.
Aran’gar erstarrte. Misstrauisch drehte sie sich um, aber es dauerte nur einen kurzen Augenblick, bevor sie die Augen weit aufriss. Keine Gänsehaut auf den Armen hätte ihr verraten können, dass Graendal die Macht lenkte. Die Wahre Macht verriet sich durch nichts. Weder Männer noch Frauen konnten die Gewebe sehen oder spüren – es sei denn, man hatte ihnen das Privileg gewährt, zur Wahren Macht greifen zu können.
»Was?«, fragte die Frau. »Wie? Moridin ist …«
»Der Nae’blis«, sagte Graendal. »Ja. Aber dieses eine Mal blieb die Gunst des Großen Herrn nicht auf den Nae’blis beschränkt.« Sie liebkoste Aran’gars Wange weiter, und die Frau errötete.
Genau wie die anderen Auserwählten verzehrte sich Aran’gar nach der Wahren Macht, während sie sie zugleich fürchtete – sie war gefährlich, angenehm, verführerisch. Als Graendal den Strang Luft zurückzog, kam Aran’gar wieder ins Zimmer und kehrte zu ihrem Diwan zurück, dann befahl sie einem von Graendals Schoßtieren, ihre zahme Aes Sedai zu holen. Noch immer waren Aran’gars Wangen vor Lust gerötet; vermutlich würde sie sich mit Delana ablenken. Es schien sie zu amüsieren, die hässliche Aes Sedai zur Unterwürfigkeit zu zwingen.
Delana trat wenige Augenblicke später ein; sie hielt sich stets in der Nähe auf. Die Shienarerin hatte helle Haare und war stämmig gebaut, mit kräftigen Gliedmaßen. Graendal verzog geringschätzig die Lippen. So ein hässliches Ding. So ganz anders wie Aran’gar. Sie hätte ein ideales Schoßtier abgegeben. Vielleicht würde Graendal ja eines Tages die Gelegenheit bekommen, sie in eins zu verwandeln.
Aran’gar und Delana fingen an, auf dem Diwan Zärtlichkeiten auszutauschen. Aran’gar war unersättlich, eine Tatsache, die Graendal bei zahllosen Gelegenheiten ausgenutzt hatte. Die Verlockung der Wahren Macht war da nur die letzte in einer langen Reihe. Natürlich genoss Graendal selbst solche Vergnügungen, aber sie sorgte dafür, dass alle Welt sie für weitaus ausschweifender hielt, als sie in Wirklichkeit war. Wenn man wusste, was die Leute von einem erwarteten, konnte man diese Erwartungen benutzen. Wenn …
Graendal erstarrte, als ein Alarm in ihren Ohren losging, der Laut gegeneinanderschmetternder Wellen. Aran’gar fuhr mit ihren Vergnügungen fort; sie konnte den Laut nicht hören. Das Gewebe war sehr spezifisch und an einem Ort angebracht, wo ihre Diener einem die Warnung zukommen lassen konnten.
Graendal stand auf und schlenderte ohne das geringste Anzeichen von Eile zur anderen Zimmerseite. An der Tür schickte sie ein paar ihrer Schoßtiere los, damit sie Aran’gar noch weiter ablenkten. Es war besser, das Ausmaß des Problems herauszufinden, bevor sie die andere Auserwählte darin verwickelte.
Graendal durchquerte einen Korridor voller Spiegel und goldener Kronleuchter. Auf der halben Höhe einer Treppe kam ihr Garumand entgegengelaufen, der Hauptmann ihrer Palastwache. Er war Saldaeaner, ein entfernter Cousin der Königin; er trug einen dichten Schnurrbart im schmalen, hübschen Gesicht. Der mit der Einen Macht herbeigeführte Zwang hatte ihn natürlich völlig loyal gemacht.
»Große Lady«, sagte er keuchend. »Man hat einen Mann gefangen genommen, der auf den Palast zukam. Meine Männer erkannten ihn als unbedeutenden Adligen aus Bandar Eban, einen Angehörigen von Haus Ramshalan.«
Graendal runzelte die Stirn, dann bedeutete sie Garumand ihr zu folgen, während sie den Weg zu einem ihrer Audienzgemächer einschlug. Es war ein kleiner, fensterloser Raum, den man in Scharlachrot eingerichtet hatte. Sie webte ein Schutzgewebe gegen Lauscher, dann befahl sie Garumand, den Eindringling zu holen.
Kurz darauf kehrte er mit ein paar Wächtern und einem Domani zurück. Der Fremde trug Hellgrün und Blau, auf der Wange prangte ein Schönheitsfleck in Form einer Glocke. Winzige Glöckchen waren in den sauber gestutzten kurzen Bart geflochten, die bimmelten, als ihn die Wächter vorwärtsstießen. Er klopfte sich die Ärmel ab, starrte die Soldaten böse an und richtete das zerknitterte Hemd. »Darf ich davon ausgehen, dass man mich …«
Er verstummte mit einem würgenden Laut, als Graendal ihn mit Geweben aus Luft fesselte und in seinen Verstand eindrang. Er stotterte, ein leerer Blick trat in seine Augen.
»Ich bin Piqor Ramshalan«, sagte er monoton. »Der Wiedergeborene Drache hat mich geschickt, um eine Allianz mit der Kaufmannsfamilie zu schließen, die in dieser Festung wohnt. Da ich bedeutend schlauer und wortgewandter als al’Thor bin, braucht er mich, um Bündnisse zu schmieden. Er fürchtet sich besonders vor den Bewohnern dieses Palastes, was ich lächerlich finde, da er abseits gelegen und unbedeutend ist.
Offensichtlich ist der Wiedergeborene Drache ein schwacher Mann. Wenn ich sein Vertrauen gewinne, kann ich der nächste König von Arad Doman werden, davon bin ich überzeugt. Ich wünsche, dass Ihr ein Bündnis mit mir eingeht und nicht mit ihm, und ich verspreche Euch große Vorteile, sobald ich König bin. Ich …«
Graendal schwenkte die Hand, und er unterbrach sich mitten im Wort. Sie verschränkte die Arme. Ihre Haare stellten sich auf, weil sie zitterte.
Der Wiedergeborene Drache hatte sie gefunden.
Er hatte ein Ablenkungsmanöver zu ihr geschickt.
Er glaubte, sie manipulieren zu können.
Augenblicklich webte sie ein Wegetor zu einem ihrer sichersten Verstecke. Kalte Luft wehte aus einem Teil der Welt, in dem es Morgen und nicht früher Abend war. Am besten war sie vorsichtig. Am besten, sie ergriff die Flucht. Und doch …
Sie zögerte. Er muss Schmerzen erleiden… er muss Enttäuschungen erleiden… er muss Seelenqualen erleiden. Verschaffe sie ihm. Du wirst belohnt werden.
Aran’gar war aus ihrer Anstellung bei den Aes Sedai geflohen, weil sie dummerweise zugelassen hatte, dass jemand mitbekam, wie sie Saidin lenkte. Sie trug noch immer an der Strafe für ihr Versagen. Falls Graendal nun ging und auf die Gelegenheit verzichtete, al’Thor das Leben schwer zu machen, würde man sie auf ähnliche Weise bestrafen?
»Was ist los?«, ertönte Aran’gars Stimme vor der Tür. »Lasst mich durch, ihr Narren. Graendal? Was tut Ihr da?«
Graendal zischte leise, dann schloss sie das Tor und atmete tief durch. Mit einem Nicken erlaubte sie, dass man Aran’gar einließ. Die schlanke Frau trat ein, betrachtete Ramshalan und schätzte ihn ein. Graendal hätte besser darauf verzichtet, ihr ihre Schoßtiere zu schicken; das hatte vermutlich ihr Misstrauen geweckt.
»Al’Thor hat mich gefunden«, sagte Graendal knapp. »Er schickte den da, um ein ›Bündnis‹ mit mir zu schmieden, verriet ihm aber nicht, wer ich bin. Vermutlich will er, dass ich glaube, dass dieser Mann zufällig auf mich kam.«
Aran’gar schürzte die Lippen. »Also flieht Ihr? Verdrückt Euch wieder aus dem Mittelpunkt der Aufregung?«
»Das sagt gerade Ihr?«
»Ich war von Feinden umgeben. Flucht war meine einzige Möglichkeit.« Es klang wie auswendig gelernt.
Solche Worte waren eine Herausforderung. Aran’gar würde ihr dienen. Vielleicht …
»Was weiß Eure Aes Sedai über den Zwang?«
Aran’gar zuckte mit den Schultern. »Man hat sie darin ausgebildet. Ihre Fertigkeiten sind ganz passabel.«
»Holt sie.«
Aran’gar hob eine Braue, nickte dann aber fügsam und verschwand, um sich selbst darum zu kümmern – vermutlich um Zeit zu gewinnen, gründlich darüber nachzudenken. Graendal beauftragte einen Diener damit, einen ihrer Taubenkäfige zu holen. Der Vogel kam, bevor Aran’gar wieder da war, und Graendal webte sorgfältig mit der Wahren Macht – sie zu halten war erneut ein süßer Rausch – und erschuf ein kompliziertes Gewebe aus Geist. Konnte sie sich noch genau daran erinnern, wie man das machte? Es war so lange her.
Sie legte das Gewebe auf den Verstand des Vogels. Ihre Sicht schien zu zerreißen. Einen Augenblick lang sah sie zwei Bilder vor sich – die Welt, wie sie sie wahrnahm, und eine schattenhafte Version dessen, was der Vogel sah. Wenn sie sich konzentrierte, konnte sie ihre Aufmerksamkeit von der einen zur anderen wechseln.
Es bereitete ihr Kopfschmerzen. Das Sehvermögen eines Vogels unterschied sich völlig von dem eines Menschen: die Tiere hatten ein viel größeres Sichtfeld, und die Farben waren so intensiv, dass sie sie fast schon blendeten, aber dafür war alles verschwommen, und es fiel Graendal schwer, die Entfernungen richtig einzuschätzen.
Sie drängte die Vogelsicht in den Hinterkopf. Eine Taube würde nicht weiter auffallen, aber sie war viel schwieriger zu benutzen als ein Rabe oder eine Ratte, die bevorzugten Augen des Dunklen Königs. Bei ihnen funktionierte das Gewebe besser als bei den meisten anderen Tieren. Allerdings musste das meiste Ungeziefer, das für den Dunklen König Dinge beobachtete, zuerst Bericht erstatten, bevor er wusste, was sie gesehen hatten. Warum das so war, vermochte sie nicht genau zu sagen – die Feinheiten der besonderen Gewebe der Wahren Macht hatten für sie noch nie viel Sinn ergeben. Zumindest bei Aginor war das anders gewesen.
Aran’gar kehrte mit ihrer Aes Sedai zurück, die neuerdings immer verzagter wirkte. Sie machte einen tiefen Knicks vor Graendal und verharrte in der unterwürfigen Position. Graendal löste vorsichtig ihren Zwang bei Ramshalan, was ihn benommen und desorientiert machte.
»Was soll ich tun, Erhabene Lady?«, fragte Delana, sah zuerst Aran’gar an und dann Graendal.
»Einen Zwang erschaffen«, befahl Graendal. »So kompliziert du es kannst.«
»Was soll er ausrichten, Erhabene Lady?«
»Er soll sich so verhalten wie immer«, sagte Graendal. »Aber entferne sämtliche Erinnerungen an die Geschehnisse hier. Ersetze sie durch die Erinnerungen an das Gespräch mit einer Kaufmannsfamilie und die Zusicherung ihrer Unterstützung. Füge noch ein paar zufällige Einzelheiten hinzu, was dir in den Sinn kommt.«
Delana runzelte die Stirn, aber sie hatte gelernt, die Auserwählten nicht infrage zu stellen. Graendal verschränkte die Arme und tippte mit einem Finger darauf, während sie der Aes Sedai bei der Arbeit zusah. Sie wurde immer nervöser. Al’Thor wusste, wo sie war. Würde er angreifen? Nein, er tat Frauen nichts an. Besonders dieser Fehler war wichtig. Es bedeutete, dass sie Zeit zur Reaktion hatte. Oder doch nicht?
Wie hatte er es geschafft, sie zu diesem Palast zu verfolgen? Sie hatte ihre Spuren perfekt verwischt. Die einzigen Handlanger, die sie aus den Augen gelassen hatte, unterlagen einem so schweren Zwang, dass es sie umbringen würde, sollte man ihn entfernen. Konnte es sein, dass die Aes Sedai, die er mit sich führte – Nynaeve, die Frau mit der Begabung im Heilen – ihre Gewebe erkennen und auflösen konnte?
Graendal brauchte Zeit, und sie musste herausfinden, was al’Thor wusste. Wenn Nynaeve al’Meara die nötigen Fähigkeiten hatte, um Zwänge zu lesen, war das gefährlich. Graendal musste eine falsche Spur für ihn legen, ihn ablenken – darum wollte sie auch, dass Delana einen starken Zwang mit seltsamen Einzelheiten erschuf.
Quäle ihn. Das konnte Graendal schaffen.
»Jetzt Ihr«, sagte sie zu Aran’gar, als Delana fertig war. »Etwas übermäßig Kompliziertes. Ich will, dass al’Thor und seine Aes Sedai in seinem Verstand die Berührung eines Mannes finden.« Das würde sie noch mehr verwirren.
Aran’gar zuckte mit den Schultern, tat aber das Gewünschte, versah den Verstand des unglücklichen Ramshalan mit einem dichten und komplizierten Zwang. In gewisser Weise war der Adlige gar nicht so hässlich. Glaubte al’Thor, sie würde ihn als Schoßtier haben wollen? Erinnerte er sich überhaupt genug an sein Leben als Lews Therin, um das von ihr zu wissen? Ihre Berichte über seine Erinnerungen an sein altes Leben waren widersprüchlich, aber sie schienen immer stärker zu werden. Das bereitete ihr Sorgen. Lews Therin hätte sie möglicherweise an diesen Ort verfolgen können. Sie hätte nie erwartet, dass das auch al’Thor schaffte.
Aran’gar kam zum Schluss.
»Und jetzt geht Ihr wieder und berichtet dem Wiedergeborenen Drachen von Eurem Erfolg«, sagte Graendal zu Ramshalan und löste ihr Gewebe aus Luft auf.
Ramshalan blinzelte, schüttelte den Kopf. »Ich … ja, meine Lady. Ich bin davon überzeugt, dass die Bande, die wir heute knüpften, für uns beide von außerordentlichem Wert sein dürften.« Er lächelte. Was für ein willensschwacher Narr. »Vielleicht sollten wir uns zu einem Mahl niedersetzen und auf unseren Erfolg anstoßen, Lady Basene? Ihr müsst wissen, es war eine ermüdende Reise, und ich …«
»Geht«, sagte Graendal kalt.
»Wie Ihr wünscht. Ihr werdet belohnt werden, wenn ich König bin.«
Die Wächter führten ihn hinaus, und er fing mit selbstzufriedenem Ausdruck an zu pfeifen. Graendal setzte sich und schloss die Augen; mehrere ihrer Soldaten bauten sich um sie herum auf; der dicke Teppich verschluckte das Geräusch ihrer Stiefel.
Sie schaute durch die Augen der Taube und gewöhnte sich an die seltsame Sicht. Ein Diener ergriff sie nach einem Befehl von ihr und trug sie an ein Fenster im Korridor außerhalb des Raumes. Der Vogel hüpfte auf das Fensterbrett. Graendal gab ihm einen sanften Anstoß; zur völligen Kontrolle fehlte ihr die Übung. Das Fliegen war viel schwieriger, als es aussah.
Die Taube flatterte aus dem Fenster. Die Sonne ging gerade hinter den Bergen unter und zeichnete ihre zerklüfteten Umrisse in wilden roten und orangen Tönen nach, und der darunterliegende See verwandelte sich in ein schattenhaftes Blauschwarz. Der Anblick war erstaunlich, bereitete ihr aber auch Übelkeit, als sich die Taube in die Luft schwang und auf einem der Türme landete.
Schließlich kam Ramshalan unten aus einem der Tore. Graendal stieß die Taube sanft an, und sie sprang vom Turm und sauste dem Boden entgegen. Der Abstieg drehte Graendal den Magen um, und sie biss die Zähne zusammen, während die Palastmauern sich in einen Schemen verwandelten. Die Taube ging in den waagerechten Flug über und flatterte hinter Ramshalan her. Er schien vor sich hin zu murmeln, allerdings konnte sie durch die fremdartigen Ohren der Taube nur zusammenhangslose Laute wahrnehmen.
Graendal folgte ihm eine Weile durch den immer dunkler werdenden Wald. Eine Eule wäre besser gewesen, nur dass sie keine in Gefangenschaft hatte. Dafür schalt sie sich. Die Taube flog von Ast zu Ast. Der Waldboden war ein unordentliches Durcheinander aus Unterholz und abgefallenen Kiefernnadeln. Sie empfand das als ausgesprochen unangenehm.
Voraus glomm Lichtschein. Er war schwach, aber die Taubenaugen unterschieden mühelos zwischen Licht und Schatten, Bewegung und Stillstand. Graendal bewegte das Tier dazu, sich die Sache näher anzusehen und Ramshalan zurückzulassen.
Das Licht kam aus einem Wegetor in der Mitte einer kleinen Lichtung. Ein ganzes Stück davor standen mehrere Gestalten. Eine davon war al’Thor.
Sofort verspürte Graendal eine wilde Panik. Er war hier. Schaute den Hang hinunter, in ihre Richtung. Bei der Dunkelheit! Sie hatte nicht mit Sicherheit gewusst, ob er persönlich anwesend sein oder ob Ramshalan durch ein Wegetor schreiten würde, um Bericht zu erstatten. Was für ein Spiel spielte al’Thor da? Sie landete ihre Taube auf einem Ast. Aran’gar beschwerte sich und fragte sie, was sie da sah. Die Taube war der Auserwählten nicht entgangen, und sie wusste ganz genau, was Graendal da tat.
Graendal konzentrierte sich stärker. Der Wiedergeborene Drache, der Mann, der einst Lews Therin Telamon gewesen war. Er wusste, wo sie war. Einst hatte er sie aus tiefstem Herzen gehasst; an wie viel davon erinnerte er sich? Erinnerte er sich daran, dass sie Yant ermordet hatte?
Al’Thors zahme Aiel brachten Ramshalan, und Nynaeve untersuchte ihn. Ja, diese Nynaeve schien den Zwang zu erkennen. Zumindest wusste sie, wonach sie suchen musste. Sie würde sterben müssen; al’Thor verließ sich auf sie, ihr Tod würde ihn schmerzen. Und nach ihr kam al’Thors dunkelhaarige Geliebte an die Reihe.
Graendal scheuchte die Taube auf einen tieferen Ast. Was würde al’Thor tun? Ihre Instinkte sagten ihr, dass er keine Aktion wagen würde, nicht bevor er ihren Plan ergründet hatte. Er handelte heutzutage genauso wie in ihrem Zeitalter. Er hielt viel von Planung, davon, sich Zeit zu nehmen, um einen gewaltigen Angriff langsam aufzubauen.
Sie runzelte die Stirn. Was sagte er da? Sie konzentrierte sich stärker, versuchte den Lauten einen Sinn abzuringen. Diese verfluchten Vogelohren – die Stimmen klangen wie Krächzer. Callandor? Was redete er da von Callandor? Und einer Kiste …
Greller Lichtschein flammte in seiner Hand auf. Der Zugangsschlüssel. Graendal keuchte. Dieses Ding hatte er mitgebracht? Es war beinahe genauso schlimm wie Baalsfeuer.
Plötzlich begriff sie. Man hatte sie hereingelegt.
Von eiskalter Angst gepackt ließ sie die Taube los und riss die Augen auf. Noch immer saß sie in dem kleinen, fensterlosen Raum. Aran’gar lehnte mit verschränkten Armen neben der Tür an der Wand.
Al’Thor hatte damit gerechnet, dass man Ramshalan gefangen nahm, er hatte erwartet, dass man ihn mit einem Zwang versah. Ramshalan hatte allein dem Zweck gedient, al’Thor zu bestätigen, dass sie sich in der Festung aufhielt.
Beim Licht! Wie schlau er doch geworden ist.
Sie ließ die Wahre Macht los und umarmte das weniger wunderbare Saidar. Schnell! Sie war so verstört, dass ihre Umarmung um ein Haar scheiterte. Sie schwitzte.
Weg. Sie musste hier weg.
Sie öffnete ein neues Wegetor. Aran’gar drehte sich um und starrte durch die Mauern in al’Thors Richtung. »So viel Macht! Was tut er da?«
Aran’gar. Sie und Delana hatten das Zwangsgewebe hergestellt.
Al’Thor musste Graendal für tot halten. Wenn er den Palast vernichtete und die Zwangsgewebe blieben bestehen, würde er wissen, dass er gescheitert war und Graendal noch lebte.
Gedankenschnell erschuf Graendal zwei Abschirmungen und ließ sie einrasten, eine für Aran’gar, eine für Delana. Die Frauen keuchten auf. Graendal verknotete die Gewebe und fesselte beide mit Luft.
»Graendal?«, stieß Aran’gar panisch hervor. »Was soll das …«
Es kam heran. Graendal warf sich dem Tor entgegen, rollte hindurch, zerriss sich ihr Kleid an einem Ast. Hinter ihr wogte eine blendende Lichtflut. Hastig ließ sie das Tor zuschnappen und erhaschte einen Blick auf die entsetzte Aran’gar, bevor eine wunderschöne, reine Helligkeit alles hinter ihr verschlang.
Das Wegetor verschwand und ließ Graendal in Dunkelheit zurück.
Mit wild pochendem Herzen blieb sie dort liegen, um ein Haar geblendet vom grellen Licht. Sie hatte das schnellste Tor erschaffen, zu dem sie fähig war, das sie nur eine kurze Distanz fortbrachte. Sie lag im schmutzigen Unterholz auf einem Hügelkamm hinter dem Palast.
Eine Welle aus Falschheit überrollte sie, verzerrte die Luft. Das Muster selbst krümmte sich. Das nannte man auch Baalsschrei – ein Augenblick, in dem die Schöpfung selbst vor Schmerzen gequält aufschrie.
Am ganzen Körper zitternd, rang sie nach Luft. Aber sie musste es sehen. Sie musste es wissen. Sie stand auf. Der linke Knöchel war verstaucht. Sie humpelte zum Waldrand und schaute nach unten.
Natrins Hügel war weg – der ganze Palast. Aus dem Muster gebrannt. Sie konnte al’Thor auf seinem fernen Hügelkamm nicht sehen, aber sie wusste, wo er war.
»Du«, knurrte sie. »Du bist viel gefährlicher geworden, als ich je gedacht hätte.«
Hunderte schöner Männer und Frauen, die besten, die sie je um sich geschart hatte – weg. Ihre Festung, Dutzende Gegenstände der Macht, ihr bester Verbündeter unter den Auserwählten. Weg. Das war eine Katastrophe.
Nein, dachte sie. Ich lebe. Sie war ihm zuvorgekommen, wenn auch nur knapp. Jetzt würde er sie für tot halten.
Plötzlich war sie viel sicherer als je zuvor, seit sie aus dem Gefängnis des Dunklen Königs entkommen war. Allerdings hatte sie gerade den Tod eines Auserwählten verschuldet. Der Große Herr würde nicht erfreut sein.
Sie hinkte vom Kamm und plante bereits ihren nächsten Zug. Das würde man alles sehr sorgfältig in die Wege leiten müssen.
Galad Damodred, Kommandierender Lordhauptmann der Kinder des Lichts, zog seinen Stiefel mit einem schmatzenden Laut aus dem knöcheltiefen Schlamm.
Mücken summten in der feuchtwarmen Luft. Der Gestank nach Schlamm und stehendem Wasser drohte ihn bei jedem Atemzug würgen zu lassen, während er sein Pferd auf trockeneren Boden zog. Hinter ihm schleppte sich eine lange, vier Männer breite Marschreihe dahin, von denen jeder genauso dreckig, verschwitzt und müde wie er war.
Sie befanden sich an der Grenze zwischen Ghealdan und Altara, in einem sumpfigen Feuchtland, in dem Eichen Lorbeerbäumen und spinnenhaften Zypressen gewichen waren, deren knorrige Wurzeln sich wie Knochenfinger spreizten. Trotz des Schattens und der dichten Wolkendecke war die stinkende Luft heiß und dick. Als würde man eine faulige Suppe einatmen. Unter seinem Brustpanzer und Kettenhemd dampfte Galad förmlich; der konisch geformte Helm hing am Sattel. Seine Haut juckte von Dreck und salzigem Schweiß.
So elendig dieser Weg auch war, es war die beste Route. Asunawa würde nicht damit rechnen. Galad fuhr sich mit dem Handrücken über die Stirn und bemühte sich für die Männer hinter ihm um einen aufrechten Gang mit hocherhobenem Haupt. Siebentausend Männer, die sich für ihn statt für die seanchanischen Eindringlinge entschieden hatten.
Mattgrünes Moos hing von den Ästen wie Fleischfetzen von verfaulenden Leichen. Hier und da lockerten Farbexplosionen aus sich um dahinplätschernde Bäche drängende rosafarbene oder violette Blüten das kränklich erscheinende Grau und Grün auf. Die plötzlichen bunten Flecken kamen unerwartet, als hätte jemand wahllos Farbe auf dem Boden verspritzt.
Es war seltsam, an diesem Ort Schönheit zu finden. Konnte er auch in seiner eigenen Situation Licht finden? Das war vermutlich nicht so einfach, wie er befürchtete.
Er zog stärker an Stämmigs Zügel. Ihm entgingen keineswegs die besorgten Unterhaltungen in seinem Rücken, unterstrichen von gelegentlichen Flüchen. Dieser Ort mit seinem Gestank und den blutsaugenden Insekten stellte auch die besten Männer auf die Probe. Die ganze Welt verwandelte sich in einen Ort, der diejenigen, die sich Galad angeschlossen hatten, nervös machte. Eine Welt, in der dunkle Wolken ständig den Himmel verbargen, in der seltsame Verzerrungen des Musters guten Männern den Tod brachten und in der Valda – vor Galad der Kommandierende Lordhauptmann – sich als Mörder und Vergewaltiger entpuppt hatte.
Galad schüttelte den Kopf. Die Letzte Schlacht würde bald da sein.
Klirrende Kettenglieder verkündeten, dass jemand aus der Reihe nach vorn trat. Galad schaute über die Schulter, als Dain Bornhald eintraf, salutierte und neben ihm weiterging. »Damodred«, sagte Dain leise, während ihre Stiefel im Schlamm versanken, »vielleicht sollten wir umkehren.«
»Der Rückweg führt bloß in die Vergangenheit«, erwiderte Galad und musterte den Weg vor ihnen. »Ich habe viel darüber nachgedacht, Kind Bornhald. Dieser Himmel, das verkümmernde Land, so wie die Toten umherwandeln … Es ist keine Zeit mehr, um Verbündete zu finden und gegen die Seanchaner zu kämpfen. Wir müssen zur Letzten Schlacht marschieren.«
»Aber dieser Sumpf«, sagte Bornhald und schaute zur Seite, wo sich eine große Schlange durch das Unterholz schlängelte. »Unseren Karten zufolge müssten wir ihn schon lange hinter uns gelassen haben.«
»Dann befinden wir uns sicherlich an seiner Grenze.«
»Vielleicht«, sagte Dain. Schweiß floss von seiner Stirn über die Seite seines schmalen Gesichts, das zuckte. Glücklicherweise hatte er vor ein paar Tagen den letzten Vorrat seines Branntweins getrunken. »Falls die Karte nicht irrt.«
Galad antwortete nicht. Einst verlässliche Karten erwiesen sich in diesen Tagen als falsch. Offene Felder verwandelten sich in zerklüftete Hügel, Dörfer verschwanden, Weidegründe waren an einem Tag noch anbaufähig, um unvermutet von Schlingpflanzen und Pilzen überwuchert zu werden. Durchaus vorstellbar, dass der Sumpf größer geworden war.
»Die Männer sind erschöpft«, sagte Bornhald. »Es sind gute Männer – das wisst Ihr genau. Aber sie fangen an zu murren.« Er zuckte zusammen, als würde er eine Zurechtweisung erwarten.
Vielleicht hätte Galad einst auch so reagiert. Die Kinder ertrugen ihre Strapazen mit Stolz. Aber da gab es Erinnerungen an Lektionen, die Morgase ihm beigebracht hatte – Lektionen, die er in seiner Jugend nicht begriffen hatte – und die nun an ihm nagten. Führe, indem du ein Beispiel gibst. Verlange Stärke, aber zeige sie zuerst selbst.
Galad nickte. Sie näherten sich einer trockenen Lichtung. »Holt die Männer zusammen. Ich spreche zu denen, die vorn sind. Lasst meine Worte notieren und sie dann an die hinten weitergeben.«
Bornhald sah überrascht aus, gehorchte aber. Galad trat zur Seite und erklomm einen kleinen Hügel. Er legte die Hand auf den Schwertgriff und musterte seine Männer, während sich die vorderen Kompanien versammelten. Zusammengesunken standen sie da, die Beine schlammverschmiert. Hände schlugen nach Mücken oder kratzten an Kragen.
»Wir sind die Kinder des Lichts«, verkündete Galad, nachdem sie sich versammelt hatten. »Das sind die dunkelsten Tage der Menschheit. Tage, in denen die Hoffnung schwach ist, Tage, in denen der Tod herrscht. Aber in den dunkelsten Nächten ist das Licht am wunderbarsten. Am Tag kann ein strahlend helles Leuchtfeuer schwach erscheinen. Aber wenn alle anderen Lichter versagen, wird es führen!
Wir sind dieses Leuchtfeuer. Dieser Sumpf ist eine Heimsuchung. Aber wir sind die Kinder des Lichts, und unsere Heimsuchungen sind unsere Stärke. Wir werden von jenen gejagt, die uns lieben sollten, und andere Wege führen zu unseren Gräbern. Und so werden wir vorwärtsgehen. Für die, die wir beschützen müssen, für die Letzte Schlacht, für das Licht!
Wo liegt der Sieg dieses Sumpfes? Ich weigere mich, seinen Biss zu spüren, denn ich bin stolz. Stolz, in diesen Tagen zu leben, stolz, ein Teil dessen zu sein, was auf uns zukommt. Sämtliche Leben, die uns in diesem Zeitalter vorangingen, warteten auf unseren Tag, den Tag, an dem die Menschheit geprüft wird. Sollen andere ihr Schicksal bejammern. Wir werden das nicht, denn wir stellen uns dieser Prüfung erhobenen Hauptes. Und sie wird beweisen, dass wir stark sind!«
Keine lange Rede, er wollte nicht ihre Zeit im Sumpf verlängern. Aber sie schien ihren Zweck zu erfüllen. Die Männer hielten sich aufrechter, und sie nickten. Vorher ausgewählte Kinder schrieben die Worte nieder und gingen dann los, um sie jenen vorzulesen, die sie nicht hatten hören können.
Als sich die Truppe wieder in Bewegung setzte, waren die Schritte nicht länger schleppend und die Haltung nicht länger zusammengesunken. Galad blieb auf seinem Hügel, nahm ein paar Berichte entgegen und stellte sich den Blicken seiner Männer, als sie ihn passierten.
Als die letzten der Siebentausend vorbei waren, entdeckte er eine kleine Gruppe am Fuß des Hügels. Kind Jaret Byar stand dabei und schaute zu ihm hoch, ein fanatisches Funkeln in den tief liegenden Augen. Er war hager und hatte ein schmales Gesicht.
»Kind Byar«, sagte Galad und kam von dem Hügel herunter.
»Das war eine gute Rede, mein Kommandierender Lordhauptmann«, sagte Byar andächtig. »Die Letzte Schlacht. Ja, die Zeit dafür ist gekommen.«
»Sie ist unsere Last«, sagte Galad. »Und unsere Pflicht.«
»Wir reiten nach Norden«, sagte Byar. »Männer werden sich uns anschließen, und unsere Zahl wird wachsen. Eine gewaltige Streitmacht der Kinder, Zehntausende Männer. Hunderttausende! Wie eine Flutwelle werden wir über das Land brausen. Vielleicht werden wir genug Männer haben, um die Weiße Burg und die Hexen zu vernichten, statt uns mit ihnen verbünden zu müssen.«
Galad schüttelte den Kopf. »Wir werden die Aes Sedai brauchen, Kind Byar. Der Schatten verfügt über Schattenlords, Myrddraal, Verlorene.«
»Ja, das wird wohl so sein.« Byar erschien zögerlich. Nun, die Idee hatte ihm noch nie gefallen, aber er hatte ihr zugestimmt.
»Unser Weg ist beschwerlich, Kind Byar, aber die Kinder des Lichts werden die Letzte Schlacht anführen.«
Valdas Untaten hatten den ganzen Orden befleckt. Und darüber hinaus gelangte Galad immer stärker zu der Überzeugung, dass Asunawa eine wichtige Rolle bei der Misshandlung und dem Tod seiner Stiefmutter gespielt hatte. Das bedeutete, dass der Hochinquisitor korrupt war.
Das Richtige zu tun war das Wichtigste im Leben. Dafür war jedes Opfer angebracht. Im Augenblick war Flucht der richtige Weg. Galad konnte sich Asunawa nicht stellen; der Hochinquisitor wurde von den Seanchanern unterstützt. Außerdem war die Letzte Schlacht viel wichtiger.
Galad beschleunigte seinen Schritt und stapfte durch den Schlamm auf die vorderste Reihe der Kinder zu. Sie reisten mit leichtem Gepäck, nur mit wenigen Lastpferden. Und seine Männer trugen ihre Rüstung am Leib, und ihre Pferde waren mit Vorräten beladen.
Vorn fand Galad Trom, der mit ein paar Männern in Leder und braunen Umhängen und nicht in weißen Wappenröcken und Stahlkappen sprach. Ihre Späher. Trom nickte ihm respektvoll zu; der Lordhauptmann war einer von Galads vertrauenswürdigsten Männern. »Die Späher sagen, dass da ein kleines Problem auf uns wartet, mein Lord«, sagte Trom.
»Was für ein Problem?«
»Es wäre besser, wenn ich es Euch zeige«, sagte Kind Barlett, der Anführer der Kundschafter.