Die Krieger der Altaii - Robert Jordan - E-Book

Die Krieger der Altaii E-Book

Robert Jordan

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Beschreibung

Nr.-1-New-York-Times-Bestsellerautor und Fantasylegende Robert Jordan ist weltbekannt durch seine epische Fantasysaga »Das Rad der Zeit«. Jetzt erscheint erstmals sein bislang unveröffentlichtes Debüt: Die Wasserlöcher der Ebenen trocknen, dunkle Gestalten fallen in die Siedlungen ein. Das Böse ist auf dem Vormarsch. Wulfgar, Anführer der Altaii, muss das Unmögliche wagen: die berüchtigten Zwillingsköniginnen, Feldherren, Propheten und Magier einen, um die Altaii zu retten. Eine Besucherin aus einer anderen Welt, trägt die Antworten zur Rettung in sich, aber Wulfgar muss lernen, die richtigen Fragen zu stellen. Nur was, wenn das Wissen, das die Altaii rettet, sie auch zerstören wird?

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Übersetzung aus dem Amerikanischen von Andreas Decker

© Bandersnatch Group, Inc. 2019Titel der amerikanischen Originalausgabe:»Warrior of the Altaii« bei Tor, New York 2019© Piper Verlag GmbH, München 2020Karte: Ellisa MitchellKapitelvignetten: Ellisa MitchellCovergestaltung: Guter Punkt, MünchenCoverabbildung: Guter Punkt, Sarah Borchart unter Verwendung von Motiven von Getty Images

Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken. Die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ist ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.

Inhalt

Cover & Impressum

Karte

Vorwort

Motto

I.

Die Spuren der Morassa

II.

Im Palast

III.

Die Erhabenen

IV.

Die Wanderin

V.

Eine Frage der Sprache

VI.

Der Preis

VII.

Das Kriegerbrandmal

VIII.

Das Hütchenspiel

IX.

Aus der Falle heraus

X.

Schicksalsirrungen

XI.

Eine Ehre und ein Befehl

XII.

Stolz oder Ehre

XIII.

Das neue Schoßtier

XIV.

Verzerrte Schatten

XV.

Die Feder

XVI.

Küchenabfälle

XVII.

Ein Glockenschlag

XVIII.

Die Gerechtigkeit der Frauen

XIX.

Der Funke einer Idee

XX.

Die letzte Gabelung des Varna

XXI.

Der Regelbrecher

XXII.

Der Nexus

XXIII.

Eine Staubwolke

XXIV.

Blut und Stahl

XXV.

Eide

XXVI.

Ein dichtes Gestrüpp

XXVII.

Ein kleiner Zauber

XXVIII.

Ein Vorhang aus Stahl

XXIX.

So weit gekommen

XXX.

Trommelschläge

XXXI.

Ein grüner Zweig

XXXII.

Leine und Halsband

XXXIII.

Der kalte Wind

XXXIV.

Und wir reiten

Karte

Vorwort

Die Rechte des Romans Die Krieger der Altaii wurden zweimal verkauft, er ist aber noch nie zuvor veröffentlicht worden. Bis jetzt.

Wie konnte das geschehen?

Kommt näher und hört zu, wie Wulfgar sagen würde.

Das erste Mal las ich das Manuskript 1978 – vor vierzig Jahren –, ungefähr ein Jahr, nachdem ich von New York zurück in meine Heimatstadt Charleston, South Carolina, gezogen war. In New York hatte ich bei Ace Books für den Herausgeber Tom Doherty als Editorial Director gearbeitet. Nun hatte ich mit einem Burschen namens Richard Gallen, der eine viel größere Rolle bei der Gründung von kleinen Verlagen spielte, als mir bewusst war, einen Vertrag abgeschlossen, der kaum länger als eine Seite war. Unsere Abmachung war ganz simpel. Ich würde die Autoren finden, er würde die Vorschüsse investieren, und wir würden die Profite teilen. Profite? Ha! Aber das ist eine andere Geschichte.

Also wo würde man Autoren finden? In einer Buchhandlung! Ich besuchte ein Geschäft, das einem Zeitschriftengroßhändler in der Gegend gehörte. Dort gab es Taschenbücher, Magazine und Zeitungen aus dem ganzen Land. Tatsächlich kannte die Managerin einen Mann, der regelmäßig Taschenbücher kaufte und erzählt hatte, er würde selbst schreiben. An seinen Namen konnte sie sich nicht mehr erinnern.

Ich bat um einen Zettel und einen Bleistift, schrieb meinen Namen und die Telefonnummer auf, und bat sie, das dem Kunden bei seinem nächsten Besuch zu geben. Was sie auch tat.

Er starrte die Nachricht ungläubig an – Bleistift? Ein Zettel? – und wollte sie zerreißen, als sie ihn darüber informierte, ich sei bei Ace Editorial Director gewesen und sei auf der Suche nach neuen Autoren. Eigentlich wollte ich eine neue Kathleen Woodiwiss, jemanden, der »Bodice Ripper«, historische Liebesromane mit Erotik, für ein weibliches Publikum schreiben konnte.

Er rief mich an. Auf dem Weg zu meinem Haus ließ er sich eine Handlung für einen »Bodice Ripper« einfallen. Es war einfach nur schlecht. Ich erinnere mich nur noch, dass es bei der obligatorischen Sexszene eine Ente gab. Ich dankte ihm und konnte es nicht erwarten, die Tür hinter ihm zu schließen. Wie sich herausstellte, verfügte er ungefähr über genauso viel Östrogen wie Conan der Barbar.

Zwölf Monate vergingen. Ohne dass ich etwas davon erfuhr, hatte er im August 1977 Die Krieger der Altaii an DAW Books verkauft. Bei dem Vertrag hatte er um ein paar Änderungen gebeten. Im September 1977 hatte DAW das Angebot zurückgezogen. Der erste Verkauf, die erste Rückgabe der Rechte.

Nach diesen acht Monaten hatte ich eine Durststrecke und blätterte mein Adressbuch nach neuen Kandidaten durch. Ich rief ihn an. Er erzählte mir, er hätte einen Fantasyroman mit Barbaren mit dem Titel Die Krieger der Altaii geschrieben, und ich bat ihn, ihn mir ansehen zu dürfen. Der Roman hatte einen Anfang, eine Mitte und ein Ende, und er war gut.

In der Zwischenzeit hatte sich Tom Doherty bereit erklärt, die Bücher meines Programms von Ace vertreiben zu lassen. Tom hatte einen großartigen Science-Fiction-Lektor, Jim Baen, und meiner Meinung nach war dieser Roman genau das, was Tom in meinem Programm nicht haben wollte.

Also schickte ich ihm das Manuskript und fragte ihn, ob er Interesse hätte, das Buch bei Ace zu veröffentlichen.

Baen kaufte es 1979. Jedenfalls gewissermaßen. Der Vertrag trug das Datum vom April 1980. Der zweite Verkauf.

In der Zwischenzeit beschritt Ace neue Wege. Es wurde Teil der Berkley Publishing Group, die die Verlage Berkley, Jove, Ace Science Fiction, Charter, Tempo und Second Chance umfasste. In der Verlagsindustrie kursierte das Gerücht, dass jemand am Empfang einen Anruf mit den Worten »Pac-Man Books« entgegengenommen hatte und bei Sonnenuntergang gefeuert war.

Wie dem auch sei, die für die Science-Fiction verantwortliche Lektorin dieser sperrigen Entität verlangte ein paar Änderungen. Der Autor erklärte sich einverstanden, er bat um eine Liste – aber sie schickte die Liste mit den gewünschten Änderungen nicht.

Im Januar 1983 schrieb er ihr einen Brief. »Mein Manuskript wird in irgendeiner dunklen Ecke Ihres Büros auf einem abgelegenen Regal zu einem Pilzgarten. Da haben wir beide nichts davon.«

Im Juni 1983 gab Berkley die Rechte zurück. Das zweite Mal, dass die Rechte an den Autor zurückgingen.

Aber richten wir unsere Aufmerksamkeit wieder auf 1979.

Robert Jordan – damals noch James Oliver Rigney jr., wie sein Geburtsname lautete – stand kurz davor, zu Reagan O’Neal zu werden. Er erzählte mir, er hätte ein paar neue Ideen. Ich machte einen Termin. Er kam vorbei, aber mein vorheriger Termin war noch nicht beendet. Die Autorin wollte einen Roman über Josef von Arimathea schreiben, der das Christuskind in den Westen von England brachte. Sie war für ihr historisches Wissen bekannt, und ich hatte gehofft, sie würde einen historischen Roman über South Carolina schreiben, aber nicht über den Bürgerkrieg. Das sagte ich in Rigneys Anwesenheit.

Er verkündete, leidenschaftliches Interesse an einem Roman über South Carolina zu haben, der während der Amerikanischen Revolution spielte. (Ich bin fest davon überzeugt, dass er die Idee noch nicht gehabt hatte, als er das Zimmer betrat.) Er versprach mir, am nächsten Tag ein Konzept einzureichen. Er lieferte den Handlungsabriss für einen Roman, der die Abenteuer eines gewissen Michael Fallon während der Revolution erzählte. Zwei weitere Fallon-Romane sollten folgen, vom Krieg von 1812 bis zur Gründung der Republik Texas.

Am 20. März 1979 schickte ich ihm einen Vertrag für den ersten Fallon, verfasst unter dem Namen Reagan O’Neal. Ein Verkauf, der wegen seines Fantasyromans zustande kam. Die meisten Leute, die ihren ersten Roman beginnen, schreiben ihn nie zu Ende, aber er hatte das getan. Und er hatte einen guten Roman geschrieben, der den meisten Erstlingsromanen weit überlegen war.

Er und ich heirateten am 28. März 1981.

Kurz darauf sicherte sich Tom Doherty bei Conan Properties die Rechte für einen neuen Conan-Roman, und er wollte ihn rechtzeitig zu dem neuen Conan-Film auf den Markt bringen. Doch Baen hatte keine Autoren, die einen überzeugenden Conan produzieren konnten. Also versicherte ich ihm, Rigney wäre durchaus dazu imstande (wegen Die Krieger der Altaii), und ich bat meinen Mann, ihn zu schreiben. Er weigerte sich.

Ich hoffte, Tom würde es vergessen, aber das ist nicht seine Art. Wochen später meldete er sich wieder bei mir.

Ich flehte Rigney an. Er sagte: »Harriet, hör auf, mit diesem Ding zu zittern (er meinte mein bebendes Kinn). Ich mache es ja.« Und das tat er dann auch. Geschrieben unter dem Namen Robert Jordan, wurde sein Werk als »der beste der modernen Conan-Romane« besprochen. Er machte sich damit auf dem Gebiet der Fantasy einen Namen. Die Arbeit gefiel ihm, und er schrieb sechs weitere.

Und die ganze Zeit über dachte er – genau wie bei der Niederschrift der Fallon-Bücher – über die Themen und Schatten, die Figuren und Geschehnisse von Das Rad der Zeit nach.

Als ich Die Krieger der Altaii diesen Winter nach langer Zeit erneut las, war ich erstaunt, wie sehr der Roman Das Rad der Zeit vorwegnimmt. Man findet hier viele Andeutungen der Dinge, die noch folgen sollten. Eine der offensichtlichen ist der Name des wichtigen Bergmassivs – der Rücken der Welt. Im Rad der Zeit ist es das Rückgrat der Welt. Ich glaube, es wird Ihnen Spaß machen, die Hinweise zu finden, während Sie diesen brandneuen Robert Jordan lesen – ein guter Wein, der sein perfektes Alter erreicht hat.

Und jetzt lesen Sie, was Wulfgar Ihnen zu erzählen hat.

Freundliche Grüße,Harriet P. McDougal

Motto

Ich bin Wulfgar, Fürst der zwei Pferdeschwänze, Krieger des Volkes der Altaii.Kommt näher, dann erzähle ich euch von Lanta der Unbesiegbaren, der Stadt der Zwölf Tore, der Perle der Steppe.Ich erzähle euch vom Zwillingsthron von Lanta und den Zwillingsköniginnen, die von ihm aus herrschten.Ich erzähle euch von den Morassa und von Brecon und Ivo, die sie in den Krieg führten.Ich erzähle euch von den Erhabenen und den Mächten, die im Jahr der Steinechse die Steppe heimsuchten.Kommt näher und hört zu.

I.

Die Spuren der Morassa

Im fünften Monat im Jahr der Steinechse saß ich im Wind aus Kafhara auf einem kleinen Hügel nicht weit von der großen Stadt Lanta entfernt auf meinem Pferd. Die Lantaner nennen das Land die Steppe – hier, wo es überall grünt.

Nur einen kurzen Ritt von der Stadt entfernt gab es Bäume, die einen Mann im Sattel weit überragten. Aber den verweichlichten Männern der Städte mochte das bereits wie die Steppe erscheinen.

Im Norden kreiste ein Rudel Dril langsam am Himmel. Auf ihren schuppigen Flügeln spiegelte sich die Sonne. Irgendwo dort draußen lag etwas Totes. Oder etwas, das bald tot sein würde.

Die Zeit dafür war richtig, eine Zeit zum Sterben.

Oben am Himmel jagte Loewin über das Firmament, getrieben von seinem ewigen Kampf mit Ban und Wilaf, mit t’Fie und Mondra. Ein wohlbekanntes Zeichen für Unglück. Darüber hinaus war der Kafharawind in diesem Jahr früh gekommen. Loewin und den frühen Wind zur gleichen Zeit am Himmel zu haben, stellte ein selten gesehenes Omen dar, und wenn alles vorbei ist, spricht man einen Segen. Aber ich war nicht nur hier, um Omen zu lesen. Ich richtete mein Mundtuch, das den vom Wind getragenen Staub abhalten sollte, der selbst dort war, wo die grünen Dinge wuchsen, und wartete auf denjenigen, der wie ich wusste kommen würde. Der Wind schickte eine Staubwolke vor mir in die Höhe. Als sie sich wieder auflöste, kamen sie in Sicht.

Zwanzig Männer ritten in Zweierreihe. Ihre Lanzenspitzen waren geschwärzt, damit sie kein Licht widerspiegelten, und ihre Arme waren nackt. Sie waren nicht die Art Männer, die ihre Arme in Rüstungen steckten; sie schützten sie nicht einmal mit Tuch vor dem Wind. Sie hatten Ehre. Ich wollte ihren Anführer treffen.

»Los«, sagte ich. Nach einem Schenkeldruck trabte mein Pferd den Hügel hinunter. Meine zwanzig Lanzenreiter folgten mir.

Die Neuankömmlinge hielten an, um uns zu erwarten. Der Mann, den ich treffen wollte, wartete ein Stück vor ihnen. Er war groß, sogar noch größer als ich, und mich hält man im Allgemeinen für einen großen Altaii.

Ich bedeutete meinen Männern anzuhalten und ritt weiter auf ihn zu. Er zog das Staubtuch herunter und betrachtete mich ohne ein Lächeln. Nach einer Weile streckte ich die linke Hand aus. Bei einigen Völkern ist es Brauch, die Waffenhand auszustrecken, die rechte Hand, damit man sie als Zeichen der Harmlosigkeit ergreifen kann. Aber das ist kein Brauch der Altaii. Fest ergriff er meine linke Hand.

»Es ist lange her, Harald.« Ich konnte mein Lächeln nicht länger unterdrücken. »Es ist lange her, und ich freue mich, dich wiederzusehen.«

»Es ist gut, auch dich wiederzusehen, Wulfgar. Im vergangenen Jahr gab es einige Augenblicke, in denen ich glaubte, das würde nie wieder geschehen.«

Harald, der Sohn von Bohemund, dem König und Kriegsherrn der Nation der Altaii, stand mir so nahe, wie es einem Mann nur möglich war oder jemals sein würde. Wenn mir kein Blutsbruder mehr bleibt, wenn sie alle dem Stahl oder der Steppe zum Opfer gefallen sind, würde dieser Mann noch immer mein Bruder sein.

Als mein Vater bei dem großen Sieg über Kaiser Basrath bei den Hügeln von Tybal fiel, war es Bohemund, der mich in seinen Haushalt aufnahm. Man zog mich als seinen Sohn auf, als Haralds Bruder. Wir bewahrten mehr von dieser Nähe als so manche Brüder vom selben Blut.

»Mayra hat gesehen, dass du diesen Weg nach Lanta nimmst«, sagte ich. »Habt ihr gute Beute gemacht?«

»In den vergangenen vier Zehntagen haben nicht weniger als drei große Karawanen meinen Weg gekreuzt.« Er schüttelte den Kopf. »Wie gewöhnlich verfluchen die Karawanenmeister dafür das Schicksal. Wenn sie schon die Steppe durchqueren, sollten sie eigentlich damit rechnen, dass einige von ihnen uns zum Opfer fallen. Sie sollten es als Steuer betrachten. Und wie ist es dir ergangen?«

Mein Lächeln verblasste, ich holte tief Luft. »Ich habe in den letzten sechs Zehntagen eine Karawane gesehen, und in den sieben davor eine weitere. In dieser Zeitspanne haben Fanghörner neunmal die Herden angegriffen. Zweimal fand ich ausgetrocknete und zerstörte Wasserlöcher, und erst vor vier Tagen hatten dreißig meiner Lanzen einen Zusammenstoß mit Läufern. Soweit wir feststellen konnten, haben meine Männer mehr als hundert von ihnen niedergemacht, aber da wir nichts weiter als Knochen fanden, ist es uns schwergefallen, da sicher zu sein.«

»Schlimme Worte, Wulfgar. Schlimme Worte.«

Er zögerte, bevor er erneut sprach, aber da war dann keine Belustigung mehr zu hören. »Alle Karawanen waren klein, und nur eine hatte Sklaven dabei. Ausgerechnet die kleinste. Eine beförderte Tuch, Töpfe und Erdwaren. Die dritte war auf dem Rückweg zu der Weinkellerei in Thisk und transportierte leere Fässer. Es war ein so verhungerter Haufen von Strohmännern, dass ich sie laufen ließ. Hätte ich sie behalten, wäre ich sie nie losgeworden. Niemand mit einem Funken Verstand hätte diesen Haufen auch nur als Geschenk angenommen.«

»Und die Fanghörner? Die Läufer?«

»Keine Läufer, und Fanghörner gibt es immer.«

»Dieses Jahr sind es mehr. Mehr als je zuvor.«

»Na schön, es gibt mehr von ihnen. Die Steppe war niemals einfach. Man lebt nicht in der Steppe, man führt Krieg gegen sie.«

»Komm mir nicht mit Sprichwörtern, Harald. Ich weiß, dass man gegen die Steppe Krieg führen muss. Aber ich hätte nie gedacht, dass sie mal gewinnt.«

Das Unbehagen war ihm anzusehen. Zweifellos dachte er an ein anderes Sprichwort, bei dem es ums Ausharren ging. Plötzlich runzelte er die Stirn.

»Du hast von zerstörten Wasserlöchern gesprochen. Ich selbst habe drei entdeckt.« Er fummelte unter seiner Tunika herum. »Und bei einem habe ich das hier im getrockneten Schlamm gefunden.«

Er gab mir ein Halstuch, ein kleines, primitives gewebtes Halstuch mit einem schlichten Dreiecksmuster, das sich ständig wiederholte.

»Morassa«, stieß ich hervor. »Niemand würde sich mit einem so armseligen Stück Stoff abgeben, also ist das keine Handelsware. Morassa waren am Wasserloch, als es zerstört wurde?«

»Es kann nicht anders sein. Das Tuch lag im getrockneten Schlamm, und in diesem Teil der Steppe trocknet der Schlamm sehr schnell.«

»Morassa«, flüsterte ich. Sie waren Leichenfledderer, die sich an den Überresten der Beutezüge anderer Männer bedienten. Falls sie jemals selbst einen Überfall durchführten, dann nur bei jemandem, bei dem sie sich sicher sein konnten, dass er schwächer war. Trotzdem konnte ich es selbst mit dem Beweis in meinen Händen kaum glauben.

In der Steppe ist Wasser Leben. Ein Wasserloch bedeutet Leben. Das Fehlen von Wasser ist der Tod. So einfach ist das. Aus dieser Tatsache erwuchs Respekt. Ein Mann, der ein Wasserloch vernichtete oder vergiftete, wurde auf der Stelle getötet. Und es machte keinen Unterschied, wenn sein Motiv darin bestand, einem Feind das Wasser vorzuenthalten. Es würde der Tag kommen, und zwar mit absoluter Sicherheit, an dem sein eigenes Volk das Wasser brauchte. Nicht einmal die Morassa würden Wasser vernichten.

»Hast du eine Schwester der Weisheit gebeten, sich das Wasserloch anzusehen?«

Er nickte. »Sie hat nichts entdeckt. Das Loch war eine Weile lang mit einem Zauber belegt. Davor war es in Ordnung. Danach war es zerstört. Dazwischen war die Sicht vernebelt. Beim nächsten zerstörten Wasserloch bat ich sie erneut, und wieder fand sie den Nebel.«

»Also ist jemand dabei … was tut er? Das gesamte Wasser in der Steppe vernichten? Warum?«

Der Wind nahm an Schärfe zu, und Harald zog den Umhang enger um den Körper. »Ich weiß es nicht, Wulfgar, und ich werde auch nicht hier stehen bleiben und darüber nachdenken, bis ich erfriere.«

»Nun gut. Auf nach Lanta. Zur Perle der Steppe. Wir lassen sie wissen, dass wir in Frieden kommen, und vielleicht bringen ein paar von ihnen genug Mut zusammen, um rauszukommen und etwas zu kaufen. Gibt es bei deiner Beute Güter, die sie wiedererkennen könnten? Irgendwelche Freunde, die sie auf dem Auktionsblock entdecken könnten?«

»Hat sie das jemals zuvor gehindert?«

»Nein, hat es nicht. Lass uns reiten.« Ich trieb mein Pferd an, und Harald galoppierte los, um mich einzuholen. Unsere Lanzenreiter folgten uns.

Auch wenn ich die Wasserlöcher nicht mehr erwähnte, dachte ich dennoch weiter darüber nach. Die Zerstörung von Wasser ließ an Verrückte denken, aber kein Verrückter konnte sich den Preis leisten, den eine Schwester der Weisheit für so viele Verschleierungen verlangen würde. Jemand mit Reichtum vernichtete das Wasser, aber wer? Und warum? Die Fragen gingen mir nicht mehr aus dem Kopf, aber es wollten mir keine Antworten einfallen. Nicht einmal ansatzweise. Und dann war keine Zeit mehr für vage Fragen. Wir erklommen einen Hügel, und da war Lanta.

Lanta die Unbesiegbare, die Perle der Steppe. Sie nannten sich auch die Sieger über Basrath, aber in Wahrheit hatte er sein Heer weggeführt, als er erkannte, dass die Stadt seiner Belagerung standhalten würde. Lanta hatte ihn nie besiegt, sich ihm nicht einmal im offenen Kampf gestellt. Er war das endlose Warten einfach leid geworden.

Was das anging, hatten die Bürger Grund, stolz zu sein. Von den Städten, die ich kenne, kam ihm nur Caselle gleich, was die Größe anging. Angeblich gibt es im Land der Liau drei oder vier Städte, die genauso groß oder größer sind, aber die habe ich nicht gesehen. Vielleicht ist es einfach nur das Gerede von Reisenden.

Die Mauern waren ein Wunderwerk, und Männer mit Interesse an solchen Dingen nahmen weite Reisen auf sich, um sie sich anzusehen. Die Außenmauer hatte die zehnfache Größe eines Mannes. Oben gab es einen Wehrgang für die Soldaten. Die Innenmauer war noch höher, möglicherweise doppelt so hoch, und auch sie verfügte über einen Wehrgang. Die Männer, die weit gereist waren, um sich dieses Bollwerk anzusehen, behaupteten, es sei ein gewaltiges Bauwerk, dessen Länge und Größe es zu einem Wunder machte. Für mich war es nur von Interesse, weil man es nie bezwungen hatte. Das war niemandem gelungen, nicht einmal Basrath.

Wir ritten zum Barbarentor, ohne einen Angriff zu fürchten. Dieses Tor wird so genannt, weil es das einzige der Zwölf Tore ist, das direkten Zugang zur Steppe bietet. Karawanen, die es benutzen, gehen das größte Risiko ein, auf die Lanzenreiter der Altaii zu stoßen. Oder die der Eikonan oder sogar der Morassa. Dennoch brachen sie auf. Denn jede Karawane, die es bis zu den Bergen schaffte, um dort um Edelsteine und Edelmetalle, Pelze, Parfüm und die seltsamen Gegenstände aus den Ländern jenseits der Berge zu feilschen, machte alle Verluste durch die Steppenvölker durchaus wett. Außerdem kauften Händler uns oftmals die Waren ihrer Rivalen ab. Und manchmal die Rivalen gleich mit.

Am Tor löste sich ein Offizier der Stadtwache aus der Gruppe und trat uns entgegen, und wir wurden langsamer, bis er uns durchwinken würde. Das tat er aber nicht. Nervös blickte er von Harald zu mir und dann wieder zurück, zupfte an seinem Bart herum. Als wir die Pferde zügelten, hob er den Kopf.

»Wer seid ihr? Was wollt ihr hier?«

Einige meiner Männer lachten. Sie glaubten, er würde einen Scherz machen oder hätte eine Beleidigung im Sinn. Ich dachte an den Wind und an Loewin, der uns am Himmel passierte, und war mir da nicht so sicher. Davon abgesehen war vor drei Tagen ein Gromit mit zwei Zehen in meinem Zelt gewesen. Langsam brach die Dunkelheit herein, aber war das nur ein weiteres Omen oder sollte an diesem Ort alles enden?

Plötzlich wurde mir bewusst, dass alle schwiegen und darauf warteten, dass ich eine Antwort gab. Auf Haralds Gesicht lag ein erwartungsvolles Lächeln. Ich beugte mich nach unten und setzte meinerseits ein Lächeln auf, das vermutlich grimmiger als beabsichtigt war.

»Hast du keine Augen im Kopf? Es ist doch wohl offensichtlich, dass ich ein Kaufmann aus Devia bin, und das da ist eine Truppe cerduanischer Tanzmädchen.«

Die Lanzen lachten und hieben sich auf die Schenkel. Selbst ein paar Lantaner unterdrückten ihr Lächeln. Der Offizier lächelte nicht.

»Ich muss wissen, was ihr hier wollt. Bis dahin werdet ihr die Stadt nicht betreten.«

Endlich wurde Harald bewusst, dass das nicht das übliche Geplänkel am Tor war.

»Was sollen diese Fragen?«, knurrte er. »Hast du Angst, dass vierzig Lanzen der Altaii deine Stadt erobern?«

Der Offizier schluckte schwer und wurde blass. Er stolperte zurück und hob die Hand. Plötzlich standen wir einem Dutzend Armbrüsten gegenüber; ihre Träger versperrten in einer Reihe das Tor. Hinter mir lockerten Männer Schwerter in ihren Scheiden und machten Lanzen los.

Ich musterte die Soldaten vor mir, und mir wurde klar, dass das nicht geplant war. Sie waren genauso unsicher und nervös wie ihr Offizier. Hätten sie uns töten wollen, hätten sie dementsprechende Befehle und es wären mehr von ihnen aufmarschiert. Selbst wenn jeder Armbrustschütze sein Ziel treffen würde, standen hier doppelt so viele Lanzenreiter, die sie niedermachen und dann wegreiten würden.

»Es reicht«, sagte ich. »Schon seit Jahrhunderten ist es der Brauch unseres Volkes, den Zwillingsthron zu besuchen, wenn wir an eurer Stadt vorbeikommen. Um die Bürger wissen zu lassen, dass wir zum Handeln und nicht zum Kämpfen gekommen sind. Das weißt du genauso gut wie ich. Du hast jetzt zwei Möglichkeiten. Du kannst deinen Männern den Befehl zum Schießen geben. Ihr werdet nicht alle von uns töten. Einige werden überleben und zurück zu unseren Zelten reiten, um dort zu verkünden, was hier geschehen ist. Dann werden mein Geist«, ich befreite die Lanze aus ihrer Halterung im Sattelschuh, »und dein Geist zusehen können, wie viele Lanzenreiter der Altaii nötig sind, um die Mauern von Lanta niederzureißen. Andernfalls solltest du aus dem Weg gehen. Wir reiten jetzt in die Stadt.« Mit den Knien trieb ich mein Pferd an.

Er zögerte kurz, dann gab er nach. »Macht Platz«, rief er. Dann vergaß er seine Würde, als er uns auf sich zureiten sah, eilte aus dem Weg und fiel bäuchlings in den Dreck.

Die Armbrustschützen wichen verwirrt an den Straßenrand. Wir beschleunigten zum Trab und ritten in einer Staubwolke an ihnen vorbei.

Sobald wir sie hinter uns gelassen hatten, hob ich die Faust. Wir verfielen wieder in Schritt. Die Schützen machten keinerlei Anstalten, uns aufzuhalten. Sie blickten uns hinterher, während sich der von unseren Pferden aufgewühlte Staub wieder senkte.

Die Distanz von der Außenmauer zur Innenmauer betrug vielleicht zweihundertfünfzig Schritte. Die Strecke zwischen den Wehrgängen war eine Ansammlung aus Hütten, Tavernen und Diebesmärkten, die man Unterstadt nannte. Es war immer ein lärmender Ort, erfüllt von trunkener Fröhlichkeit und den Rufen der Händler. Ein Mann konnte sieben unmoralische Angebote erhalten und dreimal den Geldbeutel an Diebe verlieren, bevor er dort fünf Minuten gegangen war. Jetzt ritten wir durch ein leeres, stummes Viertel zum Innentor. Die Bewohner hatten den Ärger vor der Stadt gespürt und waren dem Instinkt gefolgt, den Leute, die an solchen Orten hausten, nun einmal hatten. Sie waren verschwunden. Sobald wir weg waren, würden sie wieder zum Vorschein kommen.

Am Innentor schienen Dutzende der Händler aus der Unterstadt hin- und hergerissen zwischen dem Drang zur Flucht und der Rettung ihrer Waren zu sein. Die hatten sie für die Bürger der Stadt ausgebreitet, die sich bis zum Tor wagen, aber keinen Fuß ins Armenviertel setzen würden. Die dort postierten Wächter warfen uns misstrauische Blicke zu, als wir sie passierten. Sie spähten zum Außentor, aber da kein Signal oder Alarmzeichen zu entdecken war, beschränkten sie sich darauf, an ihren Waffen herumzufummeln und uns finstere Blicke zuzuwerfen.

Harald stieß die Luft aus, und mir wurde bewusst, dass ich sie ebenfalls angehalten hatte.

»Wir sind drin, Wulfgar, aber ich sage dir, das gefällt mir alles nicht. Nicht im Mindesten. Ich hatte schon früher Auseinandersetzungen mit der Stadtwache vor dem Tor, es fielen hitzige Worte und Flüche. Aber so etwas habe ich noch nie erlebt.«

»Wir sollten besser hoffen, dass der Weg hinaus nicht schwieriger wird als der Weg hinein.«

Er sah mich an, als wäre ihm diese Möglichkeit noch gar nicht in den Sinn gekommen. »Hältst du das denn für möglich?«

»Loewin ist tagsüber am Himmel zu sehen. Der Wind kommt dieses Jahr früh. Und ich habe vor drei Tagen einen zweizehigen Gromit gesehen.«

»Du bist heute ja ein Mann voller guter Botschaften. Hast du Blut im Wein gesehen? Hat sich ein Dril in dein Zelt verirrt?«

»Das weiß ich nicht«, sagte ich ruhig. »Ich sehe bei meiner Rückkehr nach.«

»Wenigstens bist du bereit, über die Rückkehr zu sprechen. Bei dieser Fülle der Vorzeichen glaubte ich bereits, wir sollten uns einfach die Adern aufschlitzen und es hinter uns bringen.«

»Noch nicht.« Ich wandte mich an die Lanzen. »Orne. Bartu.«

Die beiden Männer ritten an meine Seite. Keiner von ihnen sah wie ein Altaii aus, obwohl beide in den Zelten geboren worden waren. Bartu war klein und hatte O-Beine, seine Augen waren dunkel. Orne war sogar noch größer als Harald, und sein Haar war so rot wie das eines Freibeuters.

»Sagt den anderen Bescheid. Seid für plötzlichen Ärger bereit, der über das Übliche hinausgeht, aber lasst euch nicht in Kämpfe verwickeln. Es sei denn, ihr werdet angegriffen. Habt ihr das verstanden?«

»Verstanden, Wulfgar«, sagte Orne. Bartu sah enttäuscht aus. »Und haltet euch von den Frauen fern.«

Bartu murrte. Es war schwer zu sagen, was er mehr liebte: Frauen oder Kämpfe. Von einem davon abgehalten zu werden, war eine Härte für ihn.

Orne nickte, und die beiden verringerten das Tempo, um sich wieder zu den Lanzen zu gesellen.

»Erwartest du wirklich Ärger?«, fragte Harald.

Tatsächlich war das hier nicht der Ort, an dem man für gewöhnlich mit einem Angriff rechnete. Die Straßen waren dicht bevölkert. Auf dem Marktplatz vor der Mar’yan-Arena waren Kaufleute fleißig damit beschäftigt, Geschäfte im Wert von Tausenden goldener Kaiserkronen abzuschließen, während daneben Bettler Süßigkeiten für eine Kupfermünze verkauften.

Ein paar der Leute warfen uns nervöse Blicke zu; vielleicht würden sie bald mit einer Karawane abreisen, die die Steppe durchqueren wollte. Aber die meisten ignorierten uns. In dieser Stadt konnten ein paar Reiter aus der Steppe kein Aufsehen erregen. Sie konnten nicht mit den Reisenden aus fernen Ländern mithalten, die die Straßen bevölkerten. Tatsächlich schien die Hälfte der Leute, die ich sah, von weit entfernten Orten zu kommen.

Ein Edelsteinhändler in den purpurnen und roten Farben von Tyria drängte sich gefolgt von seiner Begleitung an einer Gruppe aus Hyksos im Süden vorbei. Kaufleute aus Tallis und Asyat stritten sich lautstark über Ballen aus Schneekrabblerfellen. Zwei Seeleute aus Telmark oder Varangia feilschten um den Preis für Fisch. Ein verhüllter Krieger der Tafawri saß vor einer Taverne und schlürfte Tee; er wollte nicht bei den Ungläubigen sitzen und ignorierte die Menge.

Nein, hier erregten ein paar Männer aus der Steppe keine Aufmerksamkeit. Oder hätten es zumindest nicht tun sollen. Warum hatte ich dann das Gefühl, dass man uns beobachtete, so wie ich die Spielsteine beim Kriegsspiel beobachtete?

Und dann kamen wir zu dem gewaltigen Platz in der Mitte der Stadt. Auf der gewaltigen Fläche aus poliertem Stein drängten sich keine Menschenmengen, es gab keine Händler und auch keinen Lärm. Hier gab es nichts außer dem großen, leeren Platz und dem Palast, zu dem wir wollten. Der Palast des Zwillingsthrons, der Palast der Königinnen von Lanta.

II.

Im Palast

Mit seinen kristallgeschmückten Türmen und den gewaltigen Mauern, die mit Edelsteinen aus jedem den Menschen bekannten Land verziert waren, erweckte der Palast den Anschein von frivoler Schönheit. Er glitzerte in der Sonne, funkelte in tausend Facetten. Und unter dem funkelnden Schein befand sich eine Festung.

Die Palastwache, die Männer, die auf den Mauern und vor den Toren des Palastes Wache standen, boten ebenfalls einen prächtigen Anblick, fast genauso prächtig wie der Palast. Ihre Rüstungen waren mit Edelmetall überzogen und mit Edelsteinen besetzt. Einige der Offiziere schienen von Kopf bis Fuß mit Juwelen geschmückt zu sein. Gerüchten zufolge wählte man sie nach dem Aussehen aus und beförderte sie für ihr Standvermögen in den Betten der Königinnen. Ob das nun stimmte oder nicht, man durfte keineswegs vergessen, dass sie den Zwillingsthron seit nun über tausend Jahren vor jedem Schaden bewahrten. In dieser Zeit hatte ihn niemand mit Gewalt erobert, und diejenigen, die es versucht hatten, hatten ihre letzten Schreie in den Verliesen unter dem Palast ausgestoßen oder waren an seinen Mauern gepfählt worden.

Wir überquerten den Platz im Galopp. Bei unserem Herannahen bewegten sich die Wächter am Haupttor unbehaglich, mehr als nur eine Hand näherte sich dem juwelenbesetzten Schwertgriff. Anscheinend wollte heute niemand in Lanta die Krieger der Altaii sehen. Das störte mich nicht. Die Altaii gehen, wohin sie wollen, wann sie wollen. Tatsächlich behauptet man, dass man uns am häufigsten dort sieht, wo man uns am wenigsten erwartet.

Vor dem Tor zügelten Harald und ich die Pferde, und unsere Lanzenreiter breiteten sich hinter uns aus. Zuerst erschienen sie ziellos, aber als sie zur Ruhe kamen, hatten sie zwei Reihen gebildet und standen Rücken an Rücken. Eine Reihe war dem Palast zugewandt, die andere der Stadt. Das waren nicht die geraden, starren Reihen der lantanischen Formation, und ich hörte einige der Palastwächter lachen. Sie hatten noch nie bei den Karawanen gedient, sonst hätten sie gewusst, dass diese undisziplinierten Reiter es mit der zehnfachen Zahl an formierten Stadttruppen aufnehmen konnten.

Ich stieg aus dem Sattel und übergab Lanze und Zügel an Orne. Mit Harald an meiner Seite schritt ich auf das Tor zu. Dabei lockerte ich unwillkürlich die beiden Kurzschwerter in ihren Scheiden. In der Luft hing ein Geruch von Ärger, der scharfe metallische Duft von Blut.

»Bist du sicher, dass es ein zweizehiger Gromit war?«, fragte Harald. »Es hätte genauso gut einer mit drei Zehen sein können.«

Sofort spuckten wir aus, um das Böse abzuwehren, das so ein Ding mit sich bringt. Jeder weiß, dass der dreizehige Gromit ein unwiderruflicher Todesbote ist.

»Du lebst gern gefährlich, Wulfgar.«

Die Wächter am Tor stellten sich zu einer vier Reihen tiefen Formation auf und zielten mit ihren Speeren auf unsere Brust. »Niemand darf eintreten.«

Unmöglich zu sagen, wer von ihnen gesprochen hatte. Leder und Rüstungen ächzten, als die Lanzen ihre Positionen änderten. Wieder tastete ich nach meinen Schwertgriffen und sann kurz darüber nach, ob es in der Tat drei Zehen gewesen waren. Der Sand des Lebens eines Mannes kann jederzeit verrinnen. Die Zahl der Sandkörner kennt niemand. Und dieser Geruch wurde stärker.

»Diese, äh, Leute sind eine Ausnahme.«

Ein kleiner, bärtiger Mann mit gütiger Stimme trat aus einer schmalen Tür neben dem Tor. Sein Gewand hatte viele Farben und war in der Mode Lantas geschlitzt, damit die darunterliegenden Farben zum Vorschein kommen konnten, als er sich verneigte. »Natürlich werdet ihr erwartet.« Sein Blick zuckte wie der eines Vogels umher, und als er auf unsere schlichte und staubige Kleidung fiel, konnte er ein abfälliges Lächeln nicht unterdrücken. Er deutete auf die Tür. »Wenn ihr eintreten möchtet. Mein Name ist Ara. Ich bin der Seneschall des Königlichen Palastes.«

Ich duckte mich durch die Tür, dann blieb ich so plötzlich stehen, dass er mir beinahe auf die Fersen getreten wäre. »Du hast gehört, was am Stadttor passiert ist.« Es war keine Frage. Ich war davon überzeugt, dass es sich so verhielt.

»Ja.« Er lächelte salbungsvoll. »Das war unerfreulich. Du kannst versichert sein, dass der fragliche Offizier bereits diszipliniert wurde.«

»Das interessiert mich nicht«, erwiderte ich. »Was ihr mit euren Offizieren macht, ist eure Sache. Wir sind hier, um die Herrscherinnen eurer Stadt zu grüßen, wie es Brauch ist.«

Tatsächlich interessierte es mich sehr wohl, aber das sollte er nicht wissen. Ob sie nun den Offizier bestraft hatten oder nicht, auf jeden Fall wollten sie, dass ich es glaubte. Man wollte uns beschwichtigen, was noch ungewöhnlicher war als unser Empfang am Stadttor. Noch nie zuvor hatte sich Lanta für unsere Gefühle interessiert. Harald spitzte die Ohren, und ich schüttelte den Kopf.

»Wenn euch nicht interessiert, wie der Mann diszipliniert wurde, möchtet ihr vielleicht Wein und die Gelegenheit, euch nach eurem Ritt zu erfrischen. Vielleicht ein Mädchen, gerade aus den Ausbildungsgehegen von Asmara eingetroffen? Oder auch zwei?« Er lächelte wieder.

Für meinen Geschmack lächelte dieser Ara zu viel, und langsam versetzten mich diese Versuche, uns von dem abzuhalten, was eigentlich ein simpler Besuch hätte sein sollen, in Wut. Darüber hinaus fand ich es ermüdend, auf den Blitzschlag zu warten. Wenn er einschlagen wollte, sollte er es endlich tun.

»Lord Harald und ich sind aus einem bestimmten Grund hier. Du kannst den Wein und das Mädchen selbst genießen. Wir gehen in den Großen Saal.«

Ich schlug den Weg ein, und Harald schloss sich mir an. Mit zwei schnellen Schritten schwirrte Ara wieder um uns herum.

»Das könnt ihr nicht! Der Große Saal ist … da findet gerade eine Zeremonie statt, eine äußerst heilige Zeremonie. Sicherlich werdet ihr verstehen, dass Außenseiter – und entschuldigt, dass ich euch so nenne – keineswegs Zeugen davon werden dürfen. Meine Lords? Meine Lords!«

Ich drehte mich zu ihm um, und er wich hastig zurück. »Ich glaube, ich will mir diese ach so geheime Zeremonie ansehen. Ich schlage vor, du hörst auf, mich daran zu hindern, bevor ich deine ehrenvolle Position vergesse.«

»Aber es könnte euren Tod bedeuten«, warnte der Seneschall.

»Die Omen sagen, dass mein Leben am seidenen Faden hängt. Vielleicht entschließe ich mich, diesen Faden zu durchschneiden.«

»Aber dein Freund …«

Harald lachte. »Wenn sich ein Altaii entscheidet zu sterben, was kann ein anderer Altaii anderes tun, als seinen Mörder zu töten und an seiner Seite zu sterben?«

»Ihr seid verrückt, alle beide.«

»Wenn dem so ist, ist es unser Wahnsinn. Und der geht dich nichts an«, knurrte ich. »Es wäre eine Schande, dieses modische Gewand mit Blut zu beschmutzen.« Bedeutungsvoll strich ich an einem Schwertgriff entlang. »Der Große Saal?«

»Ihr würdet zu Gewalt greifen, hier in den Gängen des Palastes?«

»Ich würde es nicht nur tun. Ich tue es tatsächlich. Und jetzt ist Schluss mit diesen Verzögerungen. Bring uns hin, oder wir gehen allein und lassen dich hier zurück, wo dich die Wächter finden werden.«

Nervös zupften seine Finger an dem Gewand herum, und er sah uns an, als hätte er uns noch nie zuvor gesehen.

»Der Große Saal«, ermunterte Harald ihn.

»Wenn ich das tue, werden beim ersten Mondaufgang vermutlich eure Körper die Palastmauern schmücken. Und der meine auch«, murmelte er, als würde er mit sich allein sprechen. »Tue ich es nicht, werdet ihr mich mit Sicherheit …« Er schüttelte sich. »Also gut, ihr Barbaren. Anscheinend habe ich keine große Wahl.«

»Geh voraus, Seneschall«, sagte ich.

Ohne ein weiteres Wort eilte er nun voraus, als wollte er das, was auch immer geschehen würde, schnell hinter sich bringen. Er wurde nicht langsamer, bis wir zu einer großen Holztür mit zwei Flügeln kamen, die mit aufwendigen Schnitzereien geschmückt waren. Vier Wächter standen davor und hatten Haltung angenommen.

»Öffnet«, befahl er.

Die Wächter blickten einander voller Zweifel an, und Ara machte eine energische Geste. Langsam griffen zwei von ihnen nach Eisenringen an der Tür. Mit einiger Anstrengung zogen sie beide Flügel auf. Aus dem Raum ertönten Musik und die Laute eines ausgelassenen Festes.

»Eine Zeremonie«, sagte ich sarkastisch, dann folgten wir Ara in den Großen Saal.

Die Musikanten gerieten aus dem Takt, dann nahmen sie die Melodie wieder auf. Gemurmel breitete sich unter den versammelten Adligen aus, als sie sich unserer Anwesenheit bewusst wurden. Die Tänzerinnen setzten keinen Fuß falsch. Lieferten sie keine perfekte Darstellung ab oder hörten ohne Befehl auf, ganz egal aus welchem Grund, würde man sie auspeitschen.

Das alles spielte sich hier ab, aber mir kam es so vor, als würde es anderswo geschehen. Mein Blick fiel auf die hohen, verzierten Thronsitze aus Elfenbein am anderen Ende des Saales. Oder vielmehr auf die beiden Frauen, die dort saßen. Eilinn und Elana, die Königinnen von Lanta.

Ihren Legenden zufolge war die Stadt von zwei Schwestern gegründet worden, Göttinnen, die vom Himmel herabgestiegen waren und vom Zwillingsthron aus herrschten. Eine jede von ihnen wurde von ihrer ältesten Tochter beerbt, das begründete die lantanische Erbfolge. Die älteste Tochter beerbte die älteste Tochter. Starb eine Königin kinderlos, folgte ihr die älteste Tochter der anderen Königin, und die zweite Tochter beerbte ihre Mutter. Auf diese Weise waren Eilinn und Elana auf den Thron gekommen, und in diesem Fall saßen in der Tat Zwillinge auf dem Zwillingsthron.

Sie waren so gut wie nicht auseinanderzuhalten. Silberblondes Haar war identisch geflochten, nach oben gesteckt, wurde es von Perlen gehalten, die Duplikate hätten sein können. Vier identische grüne Augen in Gesichtern wie Spiegelbilder musterten gebieterisch den Saal. Und ich kannte sie. Ich war noch nie hier gewesen, seit diese Frauen auf dem Thron saßen, aber ich kannte sie. Aus unerfindlichen Gründen wusste ich sofort, dass sie mit den Omen meines Schicksals verbunden waren. Sollten die Dril meine Knochen vom Fleisch befreien, würden diese beiden Frauen die Schuld dafür tragen. Und wenn nicht … Nun, das war ein Gedanke, auf den man bauen konnte.

»Du darfst dich nähern, Ara«, sagte Eilinn.

Der Seneschall eilte los und warf sich zu Boden. Angstschweiß glitzerte auf seinem Antlitz. Harald berührte verstohlen meinen Arm. »Sieh dir an, wer dort vorn sitzt.«

»Morassa«, hauchte ich.

Rechts von dem Podest, auf dem sich die beiden Thronsitze erhoben, saßen drei Männer auf Ehrenplätzen, mit deren Anwesenheit ich niemals innerhalb dieser Mauern gerechnet hätte, geschweige denn zur Rechten des Throns. Dort saß Bryar, der bekannteste Kriegsherr der Morassa. Neben ihm befand sich Daiman, den man allgemein für ihren erfolgreichsten Beutemacher hielt, falls es bei den Morassa so etwas tatsächlich gab. Aber noch bedeutsamer war Ivo, der ebenfalls dort saß. Ivo, die rechte Hand von Brecon, dem König aller Morassa.

»Wenn du den Viehdung aus deinen Ohren kratzen würdest, Barbar, würdest du vielleicht mitbekommen, wenn man zu dir spricht.«

Eilinns verächtliche Stimme durchbrach meine Gedanken. Die Tänzerinnen hatten sich zurückgezogen, die Musikanten waren verstummt. Jedermann starrte Harald und mich an.

»Du wurdest aufgefordert, uns die Aufwartung zu machen, deine Bittschriften abzugeben und bewirtet zu werden, wie es deiner Stellung zusteht«, fuhr sie fort.

Ihre geistreiche Bemerkung rief Gelächter hervor, und ich biss die Zähne zusammen. Ivo lachte so heftig darüber, dass sie uns mit ihren Vasallen und Bittstellern in einen Topf warf, dass sich die große Narbe in seinem Gesicht weiß von der roten Haut abzeichnete. Ich zwang mich dazu, mich zu entspannen, dann rang ich mir ein Lächeln ab.

»Euer Hoheit, es tut mir leid. Ich habe lediglich die Wandteppiche Eures Großen Saals bewundert und darüber nachgedacht, was wir damit in unseren Zelten tun werden. Wenn man sie zerschnitten hat, kann man sie bestimmt als Teppiche benutzen.«

Stille breitete sich im Saal aus. Die Adligen warteten darauf, wie ihre Königinnen auf einen Barbaren reagieren würden, der davon sprach, die Wandteppiche des Palastes zu plündern. Als die Frauen lächelten, Elana etwas gezwungen, brüllten sie vor Lachen. Ivo wirkte etwas enttäuscht. Vermutlich hätte er lieber unser Blut auf dem Boden gesehen.

»Es wäre interessant, sich anzusehen, wie du das schaffst, Barbar«, sagte Eilinn. »Wann und wie willst du die Wandteppiche stehlen?«

»Das Wie muss mein Geheimnis bleiben, und was das Wann angeht, noch nicht. Aber ich werde es Euch und Eurer Schwester vorher mitteilen. Alles andere wäre unhöflich.«

»Natürlich. Du möchtest nicht unhöflich sein.« Ihre Verachtung war deutlich herauszuhören. Ihre Schwester Elana beobachtete uns noch immer stumm, als wären wir seltsame und seltene Tiere. »Ihr bekommt Plätze bei der Audienz, wie ich schon sagte.«

Diener kamen und führten uns zu einem Teil des Saals, der meinen Zorn wieder anfachte. Harald versteifte sich und hätte etwas gesagt, aber ich gab ihm ein Zeichen. Er verkniff sich die Worte, die ich ebenfalls hatte sagen wollen. Aber sein Gesicht war so düster wie die Steppe mitten im Winter. Man setzte uns nicht an den Kopf des Saals unter die führenden Lords, wie es uns zugestanden hätte. Nicht nur platzierte man uns bei den Kaufleuten und unbedeutenden Adligen, sondern auch noch am entgegengesetzten Ende des Saals, wo man einen Bettler hinsetzt, den man zur allgemeinen Belustigung des Publikums in den Palast zerrt.

Andere Diener stellten Schalen voller Parfüm um uns herum auf dem Boden ab, als wollten sie unsere Nachbarn vor dem Geruch von Pferden und Leder schützen. Man bot uns Platten mit Fleisch dar, kleine Stücke, zur Hälfte verbrannt oder roh, dazu gab es Pokale mit sauer riechendem Wein. Die Mädchen, die uns bedienten, waren einfache Küchenmägde in mit Fett getränkten Kitteln aus grobem Stoff. Sogar die Soldaten in unserer Nähe wurden von parfümierten Mädchen in durchsichtiger Seide bedient.

Die Männer auf der gegenüberliegenden Seite des Saals grinsten offen, stießen einander an und rissen hinter vorgehaltenen Händen ihre Witze. Ivo schien sich nichts weiter dabei zu denken, aber Bryar und Daiman lachten, bis sie gleich von ihren Stühlen zu fallen drohten. Bryar verschüttete Wein auf dem Boden.

Ein solches Verhalten war nicht unbekannt. Manchmal wollten die Herrscher einer Stadt sich und ihren Hof damit amüsieren, indem sie Besucher beleidigten, die sie Barbaren nannten. Mich beunruhigte aber, dass diese Schmach erfolgte, während die Morassa Ehrenplätze einnahmen. Und vor den Beleidigungen und Kränkungen war man bereit gewesen, uns mit in den sinnlichen Künsten unterrichteten Mädchen zu bestechen, um uns von diesem Saal fernzuhalten. Diese Dinge bereiteten mir Sorgen.

Wieder unterbrach Eilinn meine Gedankengänge. »Meine Schwester und ich fragen uns, warum ihr in unsere Stadt gekommen seid.«

Eine unschuldige Frage, ganz unbefangen gestellt, aber wie der Offizier am Stadttor hätte sie sie gar nicht stellen müssen.

»Schon seit Jahrhunderten ist es unsere Sitte, an den Städten, an denen wir vorbeikommen, haltzumachen, um Handel zu treiben«, antwortete ich. »Wir besuchen immer den Herrscher der Stadt, um bekannt zu geben, dass wir gekommen sind, um zu handeln, und nicht, um zu kämpfen. Sicherlich ist es nicht so lange her, dass andere Altaii hier waren.«

Eilinn wischte meine Worte einfach beiseite, wie mir klar gewesen war; schließlich war ihr das alles längst bekannt.

»Ihr habt keinen anderen Grund, um gerade jetzt herzukommen?«

In den Schatten hinter den beiden Thronsitzen bewegte sich etwas, aber ich ließ mich wieder von meinem Zorn leiten und achtete nicht darauf. Sie verhörte mich unbeholfen, als wäre ich zu dumm zu erkennen, was sie da tat. Ob sie sich so verhielt, weil ich für sie nur ein Barbar aus der Steppe war oder es tiefere Gründe gab, war mir egal.

»Tatsächlich gibt es noch einen anderen Grund für mein Kommen, ein unwichtiger Grund, nichts Besonderes.«

Harald warf mir einen Seitenblick zu, denn das war ihm neu. Eilinn beugte sich neugierig vor. Selbst Elanas Gelassenheit war anscheinend gebrochen. Sie hörte aufmerksamer zu.

»Und was für ein Grund ist das?«

»Ich suche nach Sklavenmädchen.«

»Sklavenmädchen?«, sagte sie ausdruckslos.

»Sklavenmädchen«, wiederholte ich. »Natürlich nicht beliebige Mädchen. Ich will ein Pärchen. Zwillinge. Ihr Haar sollte hellblond sein und ihre Augen grün. Falls sie unbeholfen oder nicht ausgebildet sein sollten, spielt das weiter keine Rolle. Meine Sklavenaufseherin wird sie zweifellos zur Perfektion ausbilden.«

Harald sprach leise aus dem Mundwinkel. »Es war wohl doch ein dreizehiger Gromit.«

Im Saal breitete sich ungläubige Stille aus. Eilinn starrte mich schockiert an, Elana schien nicht länger zu atmen. Dann zerrissen empörtes Gebrüll und Verwünschungen diese Stille. Fäuste wurden geschüttelt, Hände griffen nach Schwertern.

Eilinn sprang von ihrem Thron auf; ihre Augen blitzten. »Wie kannst du es wagen!«, zischte sie. »Du barbarisches Tier! Du in Dung gewälztes, schwerfälliges …«

Eine Berührung ihrer Schwester ließ sie verstummen, auch wenn es sie offensichtlich Mühe kostete. Der Rest des Saals folgte ihrem Beispiel. Elana lächelte beinahe schon herzlich und ergriff das erste Mal das Wort.

»Liebe Schwester, vielleicht würden unsere, äh, Gäste gern ihre Zukunft sehen. Sie sprechen so selbstbewusst davon, Wandteppiche zu stehlen.« Ihr Mund verzog sich vor Abscheu. »Und von anderen Dingen. Sollen sie sehen, wie die Wahrheit aussieht.«

Eilinns gute Laune war sofort wiederhergestellt. »Ja.« Sie lachte. »Sollen sie ihre Zukunft sehen. Sayene! Sayene, kommt her und zeigt diesen Männern, was sie erwartet.«

Eine Frau trat aus den Schatten hinter den beiden Thronsitzen. Auch ohne ihr Gewand hätte ich sie durch die respektvolle Stille erkannt, mit der sie von jedem außer den Zwillingen begrüßt wurde. Sie war eine Schwester der Weisheit. Eine Seherin. Ihre Anwesenheit stärkte meine Entschlossenheit, mich mit Mayra zu beraten, der Schwester der Weisheit in meinen eigenen Zelten.

Sayene verneigte sich vor dem Thron, aber nur andeutungsweise. »Meine Königinnen, ich rate davon ab. Ich …«

»Und ich sage, es soll geschehen«, unterbrach Eilinn sie.

Die Seherin nickte, aber ihre Lippen waren zu einem schmalen Strich verzogen. Die Angelegenheit war nicht wichtig genug, um der Königin Widerstand entgegenzubringen, trotzdem ärgerte es sie. »Dafür reicht eine Akolythin.«

Eine andere Frau trat vor, ebenfalls in das Gewand der Schwestern der Weisheit gekleidet. Aber auf dem Kopf trug sie das Tuch einer Akolythin, einer Schülerin. Sie verneigte sich, aber zuerst vor Sayene, bevor die Königinnen an der Reihe waren, dann nahm sie eine Tasche vom Gürtel und begann. Behutsam schüttete sie Pulver auf den Saalboden, bis ein fünfzackiger Stern Gestalt annahm.

Harald rutschte unruhig umher, und ehrlich gesagt war mir auch nicht wohl in meiner Haut. Magie ist jedem Mann fremd und darum beunruhigend.

Eine zweite Akolythin kam mit Kerzen. Die erste stellte eine in jede Spitze des Sterns. Jeder Docht wurde mit einer Beschwörung und dem Schlagen eines Glöckchens entzündet. Die auserwählte Akolythin überprüfte das Muster, das sie geschaffen hatte, dann warf sie Harald und mir ein bösartiges Lächeln zu. Die Bühne war bereitet. Ich konnte nur hoffen, dass uns das Schauspiel gefallen würde.

Die Erwählte öffnete ihr Gewand und ließ es zu Boden fallen.

Das ganze Licht im Raum schien sich plötzlich auf sie zu konzentrieren. Es war, als würde ihre nackte Haut schimmern.

Sie trat an die vorderste Spitze des Sterns und hob die Arme. Stille herrschte. Dann stimmte sie einen Singsang an. Zuerst waren die Worte unverständlich, aber das änderte sich. Obwohl ihre Stimme nicht leiser wurde, schien die Bedeutung der Worte dem Zuhörer irgendwie zu entgehen, als hätte man sie nicht richtig gehört. Dann ging in dem Stern am Boden eine langsame Veränderung vor sich.

Die Luft in seinen Grenzen fing an zu schimmern, als würden mittags in der Steppe Hitzewogen aufsteigen. Das Flimmern wurde stärker, nahm Konturen an. Vor unseren Augen füllte ein dunkler Kreis die Luft, in dem Bilder erschienen.

Zuerst unbestimmt, gewannen sie zusehends an Konturen, bis sie für alle deutlich zu sehen waren. Dort knieten Harald und ich nackt und in Ketten; wir kauerten uns zusammen, als hätten wir Angst. Ich saß im Saal, ich wusste, dass ich dort saß und nicht am Boden kniete. Trotzdem überfiel mich das Gefühl, an diesem Ort dort zu sein, sowie ein tiefer Zweifel, ob ich oder die Dinge vor mir tatsächlich real waren.

Haralds Atem ging stoßweise, seine Knöchel waren blutleer, aber seine Züge zeigten Zorn, der die Furcht verdrängte. Die anderen Männer, Lantaner wie Morassa, hießen die Vision nur wenig mehr willkommen als ich. Angetrieben vom Kichern ihrer Dienerinnen, lachten sie schwach, aber auch sie fühlten, wie fremd das alles für Männer war.

Wieder kam Bewegung in die Bilder. Die Gefangenen darin wichen vor etwas zurück, das nicht zu sehen war. Dann traten Eilinn und Elana aus dem Nichts. Es waren perfekte Abbilder, trotzdem unterschieden sie sich von den echten Frauen. In gewisser Weise waren sie größer, majestätischer, gebieterischer.

Die falschen Eilinn und Elana traten auf den falschen Wulfgar und Harald zu. Plötzlich hielten sie Peitschen in den Händen und schlugen mit Gelächter und entzückten Schreien auf sie ein. Unsere Abbilder schrien ebenfalls, aber es war das Flehen um Gnade und Schmerzgebrüll, während sie sich auf dem Steinboden wanden.

Harald stieß eine leise Verwünschung aus und wollte aufstehen, aber ich schnappte seinen Arm und hielt ihn zurück.

»Lass mich gehen, Wulfgar. Es gibt schlimmere Orte, um zu sterben.«

»Und es gibt bessere«, erwiderte ich. »Bewahre einen kühlen Kopf, dann kommen wir vielleicht noch hier raus.«

Als ich mich erhob, wusste ich noch nicht, was ich tun würde, aber etwas führte meine Hand zu dem Dolch an meinem Gürtel. Mir wurde bewusst, dass ich lächelte. Das Bild und damit unser Weg aus der Stadt lagen genau vor mir. Bevor jemand Anstalten machen konnte, mich aufzuhalten, zog ich schnell den Dolch und schleuderte ihn. Und falls ich auf das Herz der falschen Königin zielte, die da den falschen Wulfgar auspeitschte, ist das sicherlich verständlich.

Die Männer um mich herum sahen begriffsstutzig zu und fragten sich, was ich machte. Aber die Akolythin schrie auf. Ein Schrei voller Furcht, Zorn und Verleugnung. Der Dolch kam in Kontakt mit der Vision. Unvermittelt gleißte das Licht von tausend Sonnen in der Saalmitte. Und der Laut ertönte. Es war ein Laut, der das Blut gefrieren ließ, der ins Mark traf, ein Laut, neben dem sich der vorherige Schrei der Akolythin wie Kinderlachen ausnahm.

Der Laut verklang, das Licht erlosch. Funken tanzten vor meinen Augen, aber ich schritt unbeirrt weiter zur Saalmitte. Die Kerzen hatten sich in geschmolzene Pfützen verwandelt, die noch immer vor Hitze brodelten. Der Stern war noch zu erkennen; er hatte sich in den Stein eingebrannt. In seiner Mitte lag mein Dolch. Die Klinge war unbeschädigt und nicht einmal warm.

Die Akolythin lag wie von einer riesigen Hand fortgeschleudert fast auf der anderen Seite des Saales. Sie erschien verkrümmt, beinahe unnatürlich. Konzentrierte man den Blick auf sie, schien ihr Körper zu verschwimmen. Sayene stieß einen scharfen Befehl aus, und die anderen Akolythinnen eilten los, um ihre Gefährtin zu verhüllen. Dabei vermieden sie es, sie anzusehen, als wäre der Anblick mehr, als sie ertragen konnten.

Sayenes Stimme brach die Stille. Leute fingen wieder an zu reden, zu atmen und sich zu bewegen, aber nicht besonders laut. Ich schob den Dolch zurück in die Scheide.

»Ich habe diese Klinge, seit ich zurückdenken kann«, verkündete ich. »Man gab sie mir, als ich sie kaum halten konnte. Sie trägt meinen Abdruck so sicher, als wäre sie meine Hand oder mein Fuß. Hätte das Bild die Wahrheit verkündet, hätte mich die visionäre Macht mit Sicherheit getroffen.«

Ich warf dem verhüllten Umriss am Boden keinen Blick zu, aber meine Botschaft war allen klar.

Sayene war nicht am Wahrheitsgehalt des Bildes interessiert. »Du hast riskiert, kalten Stahl in einen Beschwörungsstern zu stecken, kalten Stahl mit einem Teil deiner Lebenskraft. Warum?«

Ich weiß nicht, welche Antwort ich gegeben hätte, aber Eilinn ersparte mir die Mühe.

»Es ist mir egal, warum er es getan hat«, kreischte sie. »Er hat eine Akolythin in meinen Diensten umgebracht, in meinem Palast, in meinem Saal.«

»Ihre eigene Lüge hat sie getötet«, entgegnete ich. »Mein Leben stand auf dem Prüfstand gegen die Wahrheit ihrer Bilder.«

Ungläubig lachte sie. »Du glaubst, ich würde dich jetzt noch gehen lassen? Du glaubst tatsächlich …«

»Mittlerweile ist mir egal, was du glaubst«, unterbrach ich sie. »Ich kam, um unsere Ankunft zu verkünden. Unsere Zelte stehen einen Stundenritt im Südwesten von hier. Falls eure Kaufleute Handel treiben wollen, sind sie willkommen.«

Und mit diesen Worten drehte ich mich auf dem Absatz um. Harald schloss sich mir an, und wir begannen den langen Weg aus dem Saal. Eilinn brüllte wütend hinter uns her, und Elana und Sayene hatten ihre Mühe, sie zu beruhigen. Bei jedem Schritt erwartete ich einen Pfeil im Rücken, und das Kribbeln zwischen den Schulterblättern hörte erst auf, als sich die Flügeltüren des Großen Saals hinter uns schlossen.

Harald sah mich an und hob eine Braue. »Vielleicht war es ja doch kein dreizehiger Gromit«, sagte er.

III.

Die Erhabenen

Sobald wir den Großen Saal verlassen hatten, beschleunigten wir unseren würdevollen Schritt zu einem eiligen Gang. Sollten sich Sayene und Elana durchsetzen, dürften wir ungehindert gehen. Obwohl ich nicht verstehen konnte, aus welchem Grund sie bereit waren, für das Leben von zwei Barbaren zu streiten. Sollte sich aber Eilinn durchsetzen, würden jeden Augenblick Krieger aus allen Türen stürmen. Ein paar Schritte vor dem Ausgang blieb ich abrupt stehen. Harald wäre beinahe in mich hineingelaufen; als er sah, warum ich stehen geblieben war, stieß er einen Fluch aus.

Aus einem Seitengang glitten drei Gestalten heran. Sie hatten die Größe von normalen Männern. Ihre verhüllenden Roben wiesen eine schimmernde blaugraue Farbe auf. Jede von ihnen trug einen langen Stab, der sie überragte. Der Stab der Macht. Die Erhabenen befanden sich im Palast.

Wir Altaii haben nur wenig mit den Göttern zu tun, ob nun lebende oder anderweitige. Aber Wesen, deren Wagen durch die Luft fliegen können und deren Macht genauso groß oder vielleicht sogar größer ist als die der Schwestern der Weisheit, sollte man einen gewissen Respekt entgegenbringen. Und das hatte ich auch vor, aber nach allem, was geschehen war, wollte ich vor allem wissen, warum sie gekommen waren.

Die Erhabenen statten den Behausungen der Menschen nicht grundlos einen Besuch ab. Ihr Erscheinen kündet stets von großen Ereignissen, die die Erde erschüttern und den Himmel zerreißen. Wenn sie Lanta ihre Gunst erwiesen, während die Morassa im Palast waren, bedeutete das für die Altaii nichts Gutes.

In dem Augenblick, in dem wir sie bemerkten, bemerkten sie auch uns. Zu meiner Überraschung zuckten sie vor uns zurück, als wären sie völlig überrascht oder hätten Angst. Das vogelähnliche Trillern, das sie als Sprache bezeichnen, ertönte, und wie immer klang es wie ein Nest aus aufgescheuchten Timir. Bevor Harald oder ich auch nur eine Bewegung machen konnten, zeigte einer von ihnen mit dem Stab auf uns, und wir konnten uns nicht länger bewegen.

Ich kämpfte dagegen an, aber mein Körper hätte genauso gut zu Stein erstarrt sein können, so viel Kontrolle hatte ich darüber. Ich konnte nicht einmal den Kopf drehen, um Harald anzusehen, aber sein abgehacktes Atmen verriet mir, dass er genauso erstarrt war wie ich.

Die Erhabenen schienen uns zu ignorieren. Ehrlich gesagt hatten sie auch allen Grund dazu. Sie stellten sich im Kreis auf, und obwohl die trillernde Sprache verstummt war, hatte ich das Gefühl, dass sie noch immer miteinander debattierten.

Schließlich hörten sie damit auf und wandten sich wieder uns zu, schienen uns zu mustern. Dann rauschten sie einfach an uns vorbei und widmeten uns keine Aufmerksamkeit mehr, als wären wir lediglich zwei weitere Statuen.

Als sie sich entfernten, wich die Steifheit aus meinen Gliedern, so wie Wasser aus einem Krug läuft. Ich nahm einen zittrigen Atemzug, und das Gefühl, frei zu sein, um erzittern zu können, war befriedigender, als ich je geglaubt hätte.

»Was können die hier wollen?«, fragte Harald.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich, »aber ich glaube, die Chancen, dass wir die Stadt lebendig verlassen, werden zusehends geringer.«

Er lachte. »Dann lass uns nicht bleiben, um die Einsätze zu kassieren.«

Die Wärter vor dem Tor musterten uns neugierig, aber sie hatten keine Befehle erhalten, also ließen sie uns passieren. Als wir uns den Lanzenreitern näherten, bemerkte ich ihre Unruhe. Zumindest sie schienen etwas zu spüren, schienen die Gefahr zu wittern. Schwerter wurden gelockert, Lanzen unauffällig aus ihrer Halterung genommen.

Orne brachte mir mein Pferd und beugte sich nach unten, um mir die Zügel zu reichen. »Gibt es Ärger? Kämpfen wir?«

»Jetzt nicht. Zumindest hoffe ich es.« Ich schwang mich in den Sattel. »Reiten wir.«

Ende der Leseprobe