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Das große Finale: Das Rad der Zeit dreht sich dem Ende entgegen!
Endlich kommt es zur letzten Schlacht des Lichts gegen die Dunkelheit. Rand al’Thors Bestimmung als der legendäre Wiedergeborene Drache ist es, die Verbündeten des Lichts zu einen und in die Schlacht zu führen. Nun hat Rand im letzten Moment mit Widerständen in den eigenen Reihen zu kämpfen und ein Sieg gegen den Dunklen König und seine Schergen scheint unerreichbar. Doch eine Niederlage für das Licht ist keine Option, denn diese würde den Untergang der Welt einläuten ...
Die Buch-Serie zur großen prime video-Serie »Das Rad der Zeit«!
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Entdecke die Welt der Piper Fantasy:
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Andreas Decker
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erscheinenden überarbeiteten Neuausgabe
ISBN 978-3-492-95945-2
© 2013 The Bandersnatch Group, Inc. Titel der amerikanischen Originalausgabe: »A Memory of Light«, Tor / Tom Doherty Associates, LLC. New York 2013 © Piper Verlag GmbH, München 2013 Erstmals erschienen in zwei Bänden: »Die Schlacht der Schatten« (2013), »Das Gedächtnis des Lichts« (2013) Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München Umschlagabbildung: Uwe Jarling Karten: Ellisa Mitchell Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigungen, Verbreitung, Speicherung und Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
Für Harriet, das Licht in Mr.Jordans Leben, und für Emily,
Und der Schatten fiel auf das Land, und die Welt wurde Stein für Stein gespalten. Die Ozeane flohen, und die Berge wurden verschlungen und die Nationen in alle acht Ecken der Welt verstreut. Der Mond war wie Blut, und die Sonne war wie Asche. Die Meere brodelten, und die Lebenden beneideten die Toten. Alles wurde zerschmettert, alles ging verloren. Nur die Erinnerungen nicht. Vor allem eine Erinnerung vor allen anderen, die Erinnerung an ihn, der den Schatten gebracht hatte und für die Zerstörung der Welt verantwortlich war. Und sie nannten ihn den Drachen.
– Auszug aus Aleth nin Taerin alta Camora,Die Zerstörung der Welt. Unbekannter Autor aus dem Vierten Zeitalter
PROLOG
Durch die Gnade des Lichts und in den Staub getretene Banner
Bayrd drückte fest mit Daumen und Zeigefinger auf die Münze. Das Metall gab mit einem feuchten Laut nach, der an den Nerven zerrte.
Er hob den Daumen. Im flackernden Fackelschein zeigte das harte Kupfer nun seinen Abdruck. Bayrd fröstelte, als hätte er den ganzen Abend in einem Keller verbracht.
Sein Magen knurrte. Schon wieder.
Der Nordwind frischte auf und ließ die Fackeln noch heftiger flackern. Bayrd saß nahe der Mitte des Kriegslagers mit dem Rücken an einen großen Stein gelehnt. Hungrige Männer wärmten sich die Hände an den Feuergruben und murrten; die Vorräte waren schon vor langer Zeit verdorben. In der Nähe breiteten Soldaten alle metallenen Gegenstände – Schwerter, Rüstungsschnallen, Kettenhemden – auf dem Boden aus, als wäre es Wäsche zum Trocknen. Vielleicht hofften sie ja, dass das Material bei Sonnenaufgang wieder normal wurde.
Bayrd rollte die Münze zwischen den Fingern zu einer Kugel. Das Licht beschütze uns, dachte er. Das Licht … Er ließ die Kugel ins Gras fallen, dann beugte er sich vor und nahm die Steine wieder auf, mit denen er gearbeitet hatte.
»Ich will wissen, was hier passiert ist, Karam«, fauchte Lord Jarid. Jarid und seine Berater standen in der Nähe an einem mit Karten übersäten Tisch. »Ich will wissen, wie sie so nahe kommen konnten, und ich will den Kopf dieser verfluchten Aes-Sedai-Königin und Schattenfreundin!« Jarid schlug mit der Faust auf den Tisch. Früher hatte in seinem Blick nicht dieser irre Fanatismus gelegen. Der auf ihm lastende Druck veränderte alles – der verdorbene Proviant, die seltsamen Vorkommnisse in der Nacht.
Hinter ihm lag das Befehlszelt in einem unordentlichen Haufen auf dem Boden. Das Haar wehte ihm ins vom Fackelschein erhellte Gesicht – es war sehr lang geworden im Exil. Noch immer klebte Gras an seinem Mantel, weil er aus dem zusammengebrochenen Zelt hatte kriechen müssen.
Verwirrte Diener machten sich an den eisernen Zeltnägeln zu schaffen, die wie alles Metall im Lager weich geworden waren. Die Befestigungsringe hatten sich wie warmes Wachs gedehnt und waren gerissen.
Die Nacht roch falsch. Sie roch muffig, nach Kammern, die jahrelang keiner mehr betreten hatte. Auf einer Waldlichtung sollte die Luft nicht nach altem Staub riechen. Bayrds Magen grollte erneut. Beim Licht, wie gern hätte er etwas gegessen. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder seiner Arbeit zu und schlug mit einem Stein auf den anderen ein.
Er hielt die Steine, wie es ihm sein Großvater beigebracht hatte, als er noch ein kleiner Junge gewesen war. Das Gefühl, wie die Steine aufeinanderprallten, half Hunger und Kälte zu vergessen. Zumindest etwas in seiner Welt war noch verlässlich.
Lord Jarid starrte stirnrunzelnd in seine Richtung. Bayrd war einer von zehn Männern, die den Lord in dieser Nacht zu beschützen hatten. »Ich hole mir Elaynes Kopf, Karam«, sagte Jarid und wandte sich wieder seinen Hauptleuten zu. »Diese unnatürliche Nacht ist das Werk ihrer Hexen.«
»Ihren Kopf?«, ertönte Eris skeptische Stimme von der Seite. »Und wie genau soll Euch jemand ihren Kopf bringen?«
Lord Jarid drehte sich um, genau wie die anderen an dem von Fackelschein beleuchteten Tisch. Eri starrte in den Himmel; der Mann trug das Zeichen des goldenen Ebers vor dem roten Speer. Es war das Zeichen von Jarids Leibwache, aber Eris Stimme verriet nur wenig Respekt. »Womit soll er denn diesen Kopf herunterbekommen, Jarid? Mit seinen Zähnen?«
Der ausgesprochen aufsässige Satz ließ im Lager Stille einkehren. Bayrd hörte auf, mit seinen Steinen zu hantieren, und zögerte. Ja, es hatte Gerede darüber gegeben, wie irrsinnig Lord Jarid geworden war. Aber das jetzt?
Jarid plusterte sich auf, sein Gesicht lief vor Zorn rot an. »Du wagst es, in diesem Ton mit mir zu sprechen? Einer meiner Leibwächter?«
Eri schaute weiter in den wolkenverhüllten Himmel.
»Dein Sold ist für die nächsten beiden Monate gestrichen«, fauchte Jarid, aber seine Stimme zitterte. »Du bist degradiert und bis auf Weiteres zum Latrinendienst abkommandiert. Bei den nächsten Widerworten schneide ich dir die Zunge heraus.«
Der kalte Wind ließ Bayrd frösteln. Eri war der beste Mann von den Resten ihres Rebellenheeres. Die anderen Leibwächter scharrten mit den Füßen und schauten zu Boden.
Eri schaute den Lord an und lächelte. Er sagte kein Wort, aber das war irgendwie auch nicht nötig. Seine Zunge herausschneiden? Jedes Stück Metall im Lager war so weich wie ein Klumpen Fett geworden. Jarids Messer lag völlig unbrauchbar auf dem Tisch – die Klinge hatte sich in die Länge gezogen, als er sie aus der Scheide zog. Jarids Mantelschöße klafften auf; er hatte Silberknöpfe gehabt.
»Jarid …«, sagte Karam. Der Lord eines unbedeutenden Hauses, das loyal zu Sarand stand, hatte ein schmales Gesicht und große Lippen. »Glaubt Ihr wirklich, dass das … das soll das Werk von Aes Sedai sein? Das ganze Metall im Lager?«
»Natürlich«, bellte Jarid. »Was sollte es sonst sein? Kommt mir ja nicht mit diesen Lagerfeuergeschichten. Die Letzte Schlacht? Lächerlich.« Er schaute wieder auf den Tisch. Dort lag die Karte von Andor, an den Ecken mit kleinen Steinen beschwert.
Bayrd wandte sich wieder seinen Steinen zu. Klack, klack, klack. Schiefer und Granit. Es hatte einige Mühe gekostet, aber sein Großvater hatte ihm beigebracht, Mineralien zu erkennen. Der alte Mann hatte sich verraten gefühlt, als Bayrds Vater losgezogen war, um in der Stadt Metzger zu werden, statt sich dem Familienhandwerk zuzuwenden.
Weicher, glatter Schiefer. Grober, kantiger Granit. Ja, manche Dinge in der Welt waren noch immer solide. Einige wenige Dinge. In diesen Tagen konnte man sich nur noch auf wenige Dinge verlassen. Einst unerschütterliche Lords waren nun so weich wie … nun, weich wie Eisen. Am Himmel pulsierte Finsternis, und mutige Männer – Männer, zu denen Bayrd einst aufgesehen hatte – zitterten und wimmerten in der Nacht.
»Ich mache mir Sorgen, Jarid«, sagte Davies. Lord Davies, ein älterer Mann, kam dem noch am nächsten, was man als Jarids Vertrauten hätte bezeichnen können. »Schon seit Tagen haben wir niemanden mehr gesehen. Keinen Bauern, keine Soldaten der Königin. Etwas geschieht. Etwas, das falsch ist.«
»Sie hat die Menschen weggebracht«, knurrte Jarid. »Sie wird bald zuschlagen.«
»Ich glaube, sie ignoriert uns«, sagte Karam und betrachtete den Himmel. Noch immer war nur eine dicke Wolkenschicht zu sehen. Es kam Bayrd so vor, als wäre es Monate her, dass er einen klaren Himmel gesehen hatte. »Warum sollte sie sich für uns interessieren? Unsere Männer verhungern. Die Vorräte verderben ständig. Die Zeichen …«
»Sie will Druck auf uns ausüben«, behauptete Jarid verbissen. »Das ist das Werk der Aes Sedai.«
Plötzlich trat im Lager Stille ein. Stille, die allein von Bayrds Steinen gebrochen wurde. Der Metzgerberuf hatte ihm nie zugesagt, aber in der Leibwache seines Lords hatte er ein Zuhause gefunden. Kühe abschlachten oder Männer, das war sich sehr ähnlich. Es machte ihm zu schaffen, wie einfach dieser Wechsel für ihn gewesen war.
Klack, klack, klack.
Eri drehte sich um. Jarid musterte den Wächter misstrauisch, als wäre er bereit, noch drakonischere Strafen zu brüllen.
Er war nicht immer so schlimm, oder?, dachte Bayrd. Er wollte den Thron für seine Frau, aber welcher Lord würde das nicht wollen? Es fiel schwer, den Namen nicht länger ernst zu nehmen. Bayrds Familie diente den Sarand schon seit Generationen treu.
Eri drehte dem Kommandoposten den Rücken zu und setzte sich in Bewegung.
»Was glaubst du, wo du hingehst?«, schrie Jarid.
Eri griff zur Schulter und riss das Abzeichen der Hausgarde Sarands ab. Er warf es weg und verließ den Lichtkreis, ging hinaus in die Nacht auf den Wind aus dem Norden zu.
Die meisten Männer im Lager waren nicht schlafen gegangen. Sie saßen um die Feuergruben herum, weil sie in der Nähe von Wärme und Licht sein wollten. Ein paar versuchten, Gras, Blätter oder sogar Lederriemen zu kochen, damit sie etwas zu essen hatten, ganz egal, was es auch war.
Sie standen auf, als Eri ging, und blickten ihm hinterher.
»Deserteur«, brüllte Jarid. »Nach allem, was wir durchgemacht haben, geht er. Nur weil die Dinge schwierig geworden sind.«
»Die Männer verhungern, Jarid«, wiederholte Davies.
»Dessen bin ich mir bewusst. Danke, dass Ihr mich mit jedem verdammten Atemzug auf unsere Schwierigkeiten hinweist!« Mit zitternder Hand wischte sich Jarid die Stirn ab, dann schlug er auf die Karte. »Wir müssen eine der Städte angreifen; wir können ihr nicht entkommen, jetzt, da sie weiß, wo wir sind. Weißbrücke. Wir nehmen es ein und rüsten uns dort neu aus. Ihre Aes Sedai müssen nach ihrem Werk heute Nacht erschöpft sein, denn sonst hätte sie angegriffen.«
Bayrd spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Dunkelheit. Weitere Männer standen auf, nahmen Bauernspieße oder Keulen. Andere verzichteten auf Waffen. Sie nahmen ihre Decken, luden sich Kleiderbündel auf die Schultern. Dann verließen sie das Lager, ganz lautlos, wie eine Parade aus Geistern. Keine Kettenhemden klirrten, keine Schnallen. Es gab kein Metall mehr. Als hätte man ihm seine Seele geraubt.
»Elayne wird es nicht wagen, uns mit vielen Männern anzugreifen«, behauptete Jarid und versuchte offensichtlich, sich selbst davon zu überzeugen. »In Caemlyn muss Unruhe herrschen. All die Söldner, von denen Ihr berichtet habt, Shiv. Vielleicht gibt es ja Aufstände. Elenia wird natürlich gegen Elayne arbeiten. Weißbrücke. Ja, Weißbrücke ist perfekt.
Wir halten die Stadt und teilen die Nation in zwei Hälften, versteht Ihr? Wir rekrutieren dort, zwingen die Männer des westlichen Andor unter unser Banner. Marschieren zu diesem Ort, wie heißt er noch mal? Die Zwei Flüsse. Dort sollten wir fähige Hände finden.« Jarid schnaubte. »Dort hat es seit Jahrzehnten keinen Lord mehr gegeben, habe ich gehört. Gebt mir vier Monate, und ich habe ein Heer, mit dem man rechnen muss. Groß genug, dass sie es niemals wagt, uns mit ihren Hexen anzugreifen …«
Bayrd hielt seinen Stein ins Fackellicht. Der Kniff, eine ordentliche Speerspitze herzustellen, lag darin, außen anzufangen und sich nach innen weiterzuarbeiten. Mit Kreide hatte er die Umrisse auf ein Stück Schiefer gemalt, dann hatte er sich auf die Mitte zugearbeitet, um die Form zu vollenden. Von dort wechselte man von harten Schlägen zu behutsamem Hämmern und schälte kleine Splitter ab.
Eine Seite hatte er bereits vor einiger Zeit fertiggestellt; die andere war fast vollendet. Beinahe vermeinte er die leise Stimme seines Großvaters zu hören. Wir stammen vom Stein ab, Bayrd. Ganz egal, was dein Vater sagt. Tief im Inneren stammen wir vom Stein ab.
Weitere Soldaten verließen das Lager. Schon merkwürdig, wie wenige von ihnen sprachen. Endlich bemerkte Jarid es. Er packte eine der Fackeln und hielt sie in die Höhe. »Was tun sie da? Gehen sie auf die Jagd? Wir haben schon seit Wochen kein Wild mehr gesichtet. Stellen sie Fallen auf?«
Niemand gab eine Antwort.
»Vielleicht haben sie etwas gesehen«, murmelte der Lord. »Vielleicht glauben sie es auch nur. Ich will nichts mehr von Geistern oder anderem Unsinn hören; die Hexen erschaffen Trugbilder, um uns den Mut zu rauben. Das … das muss es sein.«
In der Nähe raschelte es. Karam wühlte in seinem zusammengestürzten Zelt herum. Er fand ein kleines Bündel.
»Karam?«, sagte Jarid.
Karam warf dem Lord einen Blick zu, dann senkte er den Blick und schnürte einen Geldbeutel an den Gürtel. Plötzlich hielt er inne und lachte, leerte ihn. Die Goldmünzen waren zu einem einzigen Klumpen geschmolzen. Karam steckte den Klumpen ein. Er fischte in dem Beutel herum und holte einen Ring heraus. Der blutrote Edelstein in der Mitte war noch immer einwandfrei. »Vermutlich reicht das heute nicht einmal mehr, um einen Apfel zu kaufen«, murmelte er.
»Ich verlange zu wissen, was Ihr da tut«, knurrte Jarid. »Ist das Euer Werk?« Er deutete auf die abrückenden Soldaten. »Ihr habt eine Meuterei angezettelt, ist es das?«
»Damit habe ich nichts zu tun.« Karam sah beschämt aus. »Und Ihr eigentlich auch nicht. Ich … es tut mir leid.«
Karam verließ den Lichtkreis. Bayrd verspürte Überraschung. Lord Karam und Lord Jarid waren Jugendfreunde.
Lord Davies war der Nächste, lief hinter Karam her. Wollte er den jüngeren Mann aufhalten? Nein, er setzte sich an Karams Seite. Sie verschwanden in der Dunkelheit.
»Dafür bringe ich euch irgendwann zur Strecke!«, brüllte ihnen Jarid mit schriller Stimme hinterher. »Ich werde der Ehemann der Königin sein! Zehn Generationen lang wird euch oder den Angehörigen eurer Häuser kein Mann Unterschlupf gewähren!«
Bayrd betrachtete wieder den Stein in seiner Hand. Nur noch ein Arbeitsschritt war übrig, das Glätten. Eine gute Speerspitze musste geglättet werden, um gefährlich zu sein. Er nahm ein weiteres Stück Granit, das er für den Zweck gesucht hatte, und fing an, die Schieferkante sorgfältig zu schleifen.
Anscheinend kann ich das noch besser als erwartet, dachte er, während Lord Jarid weiterhin tobte.
Eine Speerspitze herzustellen hatte etwas Machtvolles. Die einfache Tätigkeit schien das Zwielicht zurückzudrängen. In der letzten Zeit hatte ein Schatten auf ihm und dem Rest des Lagers gelegen. Es war, als wäre … als könnte er einfach nicht im Licht stehen, ganz egal, wie sehr er sich bemühte. Jeden Morgen erwachte er mit dem Gefühl, als wäre am Vortag ein geliebter Mensch gestorben.
Eine derartige Verzweiflung konnte einen zermürben. Aber etwas zu erschaffen – ganz egal was – kämpfte dagegen an. Das war eine Möglichkeit, um ihn herauszufordern. Der, den niemand beim Namen nannte. Von dem sie alle wussten, dass er dahintersteckte, ganz egal, was Lord Jarid auch sagte.
Bayrd stand auf. Eigentlich hatte er später noch weiter glätten wollen, aber tatsächlich sah die Speerspitze bereits gut aus. Er hob den Speerschaft aus Holz – die Eisenspitze war abgefallen, als das Böse das Lager getroffen hatte – und band die neue Speerspitze genauso fest, wie es ihm sein Großvater vor vielen Jahren beigebracht hatte.
Die anderen Wächter sahen ihn an. »Davon brauchen wir mehr«, sagte Morear. »Falls Ihr dazu bereit seid.«
Bayrd nickte. »Wir kommen auf dem Weg an dem Hügel vorbei, wo ich den Schiefer fand.«
Endlich hörte Jarid auf zu brüllen; im Fackelschein erschienen seine Augen weit aufgerissen. »Nein. Ihr seid meine Leibwache. Ihr verlasst mich nicht!«
Mit Mordlust im Blick warf sich Jarid auf Bayrd, aber Morear und Rosse ergriffen den Lord von hinten. Rosse schien selbst über seine verräterische Tat bestürzt zu sein. Trotzdem ließ er nicht los.
Bayrd steckte ein paar Dinge ein, die neben seiner Bettrolle lagen. Dann nickte er den anderen zu, und sie schlossen sich ihm an – acht Männer aus Lord Jarids Leibwache, die den brüllenden Lord durch die Überreste des Lagers zerrten. Sie passierten rauchende Feuer und eingestürzte Zelte, die von den Männern zurückgelassen wurden, die nun in immer größerer Zahl in die Dunkelheit gingen. Nach Norden. Hinein in den Wind.
Am Lagerrand suchte Bayrd einen knorrigen Baum aus. Er winkte die anderen herbei, und sie nahmen das Seil, das er mitgenommen hatte, und fesselten Lord Jarid an den Stamm. Der Mann brüllte herum, bis Morear ihn mit dem Taschentuch knebelte.
Bayrd trat an ihn heran. Er stopfte ihm einen Wasserschlauch in die Armbeuge. »Wehrt Euch nicht zu sehr, sonst lasst Ihr den fallen, mein Lord. Ihr solltet den Knebel entfernen können, er sieht nicht sehr fest aus, und dann aus dem Schlauch trinken können. Hier, ich schraube ihn auf.«
Jarid starrte Bayrd wild an.
»Das ist nichts Persönliches, mein Lord«, fuhr Bayrd fort. »Ihr habt meine Familie stets anständig behandelt. Aber, nun ja, wir können nicht zulassen, dass Ihr uns folgt und uns das Leben schwer macht. Da gibt es etwas, das wir tun müssen, und Ihr hindert alle daran, es zu tun. Vielleicht hätte jemand früher etwas sagen sollen. Nun, dazu ist es nun zu spät. Manchmal lässt man das Fleisch einfach zu lange hängen, und dann muss das ganze Stück weg.«
Er nickte den anderen zu, die losliefen, um das Bettzeug zu holen. Er zeigte Rosse, in welche Richtung der Schieferbruch lag, und erklärte ihm genau, wonach er suchen musste, um gutes Material für Speerspitzen zu bekommen.
Dann wandte er sich wieder an den noch immer gegen die Fesseln ankämpfenden Lord Jarid. »Das sind nicht die Hexen, mein Lord. Das ist auch nicht Elayne … obwohl ich sie wohl Königin nennen sollte. Schon komisch, ein so hübsches junges Ding als Königin zu betrachten. Ich würde sie lieber in einem Gasthaus auf dem Schoß schaukeln, als mich vor ihr zu verneigen, aber Andor braucht eine Herrscherin, der man nach der Letzten Schlacht folgen kann, und Eure Gemahlin ist das nicht. Es tut mir leid.«
Jarid sackte in seinen Fesseln zusammen, der ganze Zorn schien aus ihm herauszusickern. Er weinte. Irgendwie ein seltsamer Anblick.
»Den Leuten, denen wir begegnen, falls wir welchen begegnen, werde ich sagen, wo Ihr seid«, versprach Bayrd, »und dass Ihr vermutlich ein paar Juwelen habt. Möglicherweise kommen sie Euch holen. Vielleicht.« Er zögerte. »Ihr hättet Euch nicht in den Weg stellen sollen. Alle scheinen zu wissen, was kommt, nur Ihr nicht. Der Drache wurde wiedergeboren, alte Bande werden zerrissen, alte Eide haben ihren Wert verloren … und ich lasse mich eher aufhängen, als dass ich Andor zur Letzten Schlacht marschieren lasse, ohne dabei zu sein.«
Bayrd ging in die Nacht hinein und legte den neuen Speer auf die Schulter. Es gibt sowieso einen Eid, der älter als der zu Eurer Familie ist. Einen Eid, den nicht einmal der Drache ungeschehen machen kann. Es war ein Eid dem Land gegenüber. Die Steine lagen ihm im Blut, und sein Blut war ein Teil der Steine dieser Nation namens Andor.
Bayrd scharte die anderen um sich, und sie gingen nach Norden. Hinter ihnen wimmerte ihr Lord alleingelassen, als schließlich die Geister durch das Lager huschten.
Talmanes zog an Selfars Zügeln und ließ das Pferd tänzeln und den Kopf schütteln. Der Rotschimmel erschien voller unterdrücktem Eifer. Vielleicht spürte er ja die nervöse Stimmung seines Herrn.
Dichter Rauch erfüllte die Nachtluft. Rauch und Schreie. Talmanes führte die Bande an einer Straße entlang, auf der sich rußverschmierte Flüchtlinge drängten. Sie bewegten sich wie Dreck auf der Oberfläche eines schlammigen Flusses.
Die Männer der Bande betrachteten die Flüchtlinge voller Sorge. »Ganz ruhig!«, rief Talmanes ihnen zu. »Wir können nicht den ganzen Weg nach Caemlyn rennen. Ganz ruhig!« Er führte die Männer so schnell an, wie er es wagte, fast schon im Laufschritt. Ihre Rüstungen klirrten. Elayne hatte die Hälfte der Bande zum Feld von Merrilor mitgenommen, einschließlich Estean, und fast die gesamte Kavallerie. Vielleicht glaubte sie, sich für einen schnellen Rückzug bereithalten zu müssen.
Nun, in den Straßen würde man kaum Kavallerie einsetzen können, denn sie waren zweifellos genauso verstopft wie diese Landstraße, davon war Talmanes überzeugt. Selfar schnaubte und schüttelte den Kopf. Sie waren jetzt schon ganz nahe; direkt voraus erhoben sich die Stadtmauern wie ein Schatten in der Nacht und sperrten einen wütenden Lichtschein ein. Als wäre die ganze Stadt eine Feuergrube.
Durch die Gnade des Lichts und in den Staub getretene Banner, zitierte Talmanes fröstelnd in Gedanken. Gewaltige Rauchwolken stiegen aus der Stadt auf. Das war schlimm. Viel schlimmer als bei den Aiel in Cairhien.
Schließlich ließ er Selfar seinen Willen. Der Rotschimmel galoppierte eine Weile am Straßenrand entlang, dann erzwang sich Talmanes zögernd den Weg auf die andere Seite und ignorierte dabei jede Bitte um Hilfe. Die mit Mat verbrachte Zeit ließ ihn sich wünschen, mehr für diese Leute tun zu können. Es war schon äußerst seltsam, dieser Einfluss, den Matrim Cauthon auf einen hatte. Talmanes sah die einfachen Leute mittlerweile in einem ganz anderen Licht. Vielleicht lag es auch nur daran, dass er noch immer nicht wusste, ob er Mat nun als Lord betrachten sollte oder doch nicht.
Auf der anderen Seite der Straße musterte er die brennende Stadt und wartete darauf, dass ihn seine Männer einholten. Er hätte sie alle reiten lassen können – auch wenn es sich nicht um ausgebildete Kavalleristen handelte, verfügte jeder Angehörige der Bande für lange Reisen über ein Pferd. Aber heute Nacht wagte er das nicht. Weil Trollocs und Myrddraal in den Straßen lauerten, brauchte er seine Männer sofort kampfbereit. Armbrustmänner marschierten mit geladenen Waffen neben dicht gedrängten Reihen Pikenträger. Er würde seine Soldaten keineswegs schutzlos einem Trolloc-Angriff aussetzen, ganz egal, wie dringend ihr Einsatz auch war.
Aber wenn sie diese Drachen verlören …
Das Licht erleuchte uns, dachte er. Die Stadt schien zu kochen, wenn man den ganzen Rauch über ihr betrachtete. Doch ein paar Teile der Altstadt – die sich hoch auf dem Hügel erhob und oberhalb der Mauern zu sehen war – brannten noch nicht. Der Palast brannte noch nicht. Ob ihn die dort stationierten Soldaten wohl hielten?
Von der Königin war keine Nachricht gekommen, und soweit er wusste, war keine Hilfe für die Stadt eingetroffen. Die Königin musste noch immer ahnungslos sein, und das war schlimm.
Sehr, sehr schlimm.
Voraus entdeckte er Sandip mit einigen Kundschaftern der Bande. Der schlanke Mann versuchte, sich von einer Gruppe Flüchtlinge zu lösen.
»Bitte, guter Herr«, schluchzte eine junge Frau. »Mein Kind, meine Tochter, auf den Höhen der nördlichen …«
»Ich muss zu meinem Laden«, brüllte ein stämmiger Mann. »Meine Glaswaren …«
»Ihr guten Menschen«, rief Talmanes und drängte sein Pferd zwischen sie, »wenn ihr uns wirklich helfen wollt, dann könntet ihr aus dem Weg gehen und uns erlauben, die verdammte Stadt zu erreichen!«
Widerstrebend machten die Flüchtlinge Platz, und Sandip nickte Talmanes dankbar zu. Mit brauner Haut und dunklen Haaren war Sandip einer der Befehlshaber der Bande und ein erfahrener Feldscher. Aber heute trug der sonst so umgängliche Mann eine grimmige Miene.
»Sandip«, sagte Talmanes und streckte den Arm aus. »Dort!«
In der Nähe drängte sich eine große Gruppe Kämpfer und betrachtete die Stadt.
»Söldner«, stieß Sandip mit einem Grunzen hervor. »Wir sind einigen Gruppen davon begegnet. Niemand schien geneigt zu sein, auch nur einen Finger zu rühren.«
»Das werden wir ja sehen«, sagte Talmanes. Noch immer strömten Menschen hustend aus den Stadttoren, hastig zusammengeraffte Besitztümer auf den Armen, mit weinenden Kindern an der Hand. Dieser Strom würde nicht so bald versiegen. Caemlyn war so voll wie eine Schenke am Markttag; verglichen mit jenen, die noch drinnen waren, würden die, die das Glück gehabt hatten, entkommen zu können, nur einen kleinen Bruchteil ausmachen.
»Talmanes«, sagte Sandip leise. »Diese Stadt wird sich bald in eine Todesfalle verwandeln. Es gibt nicht genügend Ausgänge. Wenn wir zulassen, dass die Bande drinnen eingekesselt wird …«
»Ich weiß. Aber …«
An den Toren durchfuhr die Flüchtlinge ein Gefühl, das sich weiter fortpflanzte. Beinahe war es körperlich zu spüren, ein Schauder. Die Schreie wurden noch lauter. Talmanes fuhr herum; riesige Gestalten bewegten sich in den Schatten des Tores.
»Beim Licht!«, stieß Sandip hervor. »Was ist das?«
»Trollocs!«, sagte Talmanes. »Licht! Sie wollen das Tor erobern, die Flüchtlinge einsperren.« Die Stadt verfügte über fünf Tore; falls die Trollocs sie alle hielten …
Das war bereits ein Gemetzel. Falls die Trollocs die angsterfüllten Menschen an ihrer Flucht hindern konnten, würde es noch viel schlimmer werden.
»Lasst die Reihen schneller vorrücken!«, brüllte Talmanes. »Alle Männer zu den Stadttoren!« Er trieb Selfar zum Galopp an.
An jedem anderen Ort hätte man das Gebäude als Gasthaus bezeichnet, aber außer der Frau mit dem abgestumpften Blick, die sich um die paar schmucklosen Zimmer kümmerte und fade Mahlzeiten zubereitete, war Isam hier noch niemand anderem begegnet. Ein Besuch an diesem Ort war niemals erfreulich. Er saß auf einem harten Hocker an einem Tisch aus Pinienholz, der so alt war, dass er vermutlich schon lange vor seiner Geburt jede Farbe verloren hatte. Er vermied es, zu oft mit der Oberfläche in Berührung zu kommen, damit er sich nicht mehr Splitter einfing, als Aiel Speere hatten.
Ein verbeulter Zinnbecher war mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt, aber Isam trank nicht. Er saß nahe genug am einzigen Fenster des Schenkraums an der Wand, um die ungepflasterte Straße zu beobachten, die jetzt am Abend von ein paar an den Nachbarhäusern hängenden verrosteten Laternen kaum ausreichend beleuchtet wurde. Er achtete darauf, sein Profil nie durch das verdreckte Glas sehen zu lassen. Er schaute nie direkt nach draußen. In dieser Stadt war es immer besser, keine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Die Stadt. Das war der einzige Name, den der Ort hatte, falls man das überhaupt als Namen bezeichnen konnte. Im Verlauf von zweitausend Jahren war diese Siedlung aus primitiv gezimmerten Gebäuden zahllose Male neu errichtet worden. Tatsächlich ähnelte sie sogar einer Stadt von ordentlicher Größe, wenn man die Augen zusammenkniff und nicht genau hinsah. Die meisten Häuser waren von Gefangenen gebaut worden, die oftmals kaum oder auch gar keine Ahnung vom Handwerk hatten. Überwacht hatten sie Männer, die genauso inkompetent gewesen waren. Eine ordentliche Zahl der Gebäude schien lediglich von den Nebenhäusern aufrechterhalten zu werden.
Schweiß rann Isam die Schläfen hinunter, während er verstohlen die Straße im Auge behielt. Wer würde zu ihm kommen?
In der Ferne konnte er nur mühsam die Umrisse des Berges ausmachen, der den Nachthimmel spaltete. Irgendwo scharrte Eisen über Eisen; es klang wie ein stählerner Herzschlag. Auf der Straße bewegten sich Gestalten. In Umhänge gehüllte Männer, deren Gesichter bis zu den Augen von blutroten Schleiern verborgen wurden.
Isam achtete darauf, die Blicke nicht auf ihnen ruhen zu lassen.
Donner grollte. Die Hänge dieses Berges waren voller seltsamer Blitze, die nach oben in die allgegenwärtigen grauen Wolken zuckten. Nur wenige Menschen wussten von dieser Stadt, die nicht weit vom Thakan’dar-Tal entfernt lag, über das sich der Shayol Ghul erhob. Selbst Gerüchte darüber waren nur wenigen bekannt. Isam hätte nichts dagegen gehabt, zu den Unwissenden zu gehören.
Wieder ging ein Mann vorbei. Rote Schleier. Sie hatten sie ständig hochgezogen. Nun, jedenfalls so gut wie immer. Wenn man sah, wie einer den Schleier senkte, war es höchste Zeit, ihn zu töten. Tat man das nicht, tötete er dich. Die meisten der rot verschleierten Männer schienen keinen Grund zu haben, auf der Straße zu sein, wenn man davon absah, dass sie einander finstere Blicke zuwarfen und nach den zahlreichen umherstreunenden wilden Hunden mit den hervortretenden Rippen traten. Die wenigen Frauen, die ihre Unterkünfte verlassen hatten, huschten mit gesenkten Blicken am Straßenrand entlang. Kinder waren keine zu sehen, und vermutlich würde es auch wenige geben. Die Stadt war kein Ort für Kinder. Das wusste Isam. Er war hier aufgewachsen.
Einer der auf der Straße vorbeigehenden Männer schaute zu Isams Fenster und blieb stehen. Isam verharrte reglos. Die Samma N’Sei, die Sichtblender, waren schon immer empfindlich und voller Stolz gewesen. Nein, empfindlich traf es nicht einmal annähernd. Sie brauchten keinen besonderen Grund, um mit dem Messer auf einen der Talentlosen loszugehen. Für gewöhnlich war es einer der Diener, der daran glauben musste. Für gewöhnlich.
Der rot verschleierte Mann starrte weiterhin in seine Richtung. Isam beruhigte seine Nerven und starrte bewusst nicht zurück. Der Befehl, sich hier einzufinden, war dringend gewesen, und man ignorierte solche Dinge nicht, wenn man überleben wollte. Trotzdem … sollte der Mann noch einen Schritt auf das Gebäude zu machen, würde er hinüber ins Tel’aran’rhiod wechseln, in dem sicheren Wissen, dass ihm von diesem Ort nicht einmal einer der Auserwählten würde folgen können.
Abrupt wandte sich der Samma N’Sei vom Fenster ab. Wie ein Blitz bewegte er sich von dem Haus fort. Isams Anspannung ließ etwas nach, aber sie würde nie ganz verschwinden, nicht an diesem Ort. Obwohl er seine Kindheit hier verbracht hatte, war dieser Ort nicht sein Zuhause. Dieser Ort war der Tod.
Etwas bewegte sich. Isam blickte zum Ende der Straße. Ein hochgewachsener Mann kam auf ihn zu; er trug einen schwarzen Mantel und einen ebenfalls schwarzen Umhang, und sein Gesicht war entblößt. Unglaublicherweise leerte sich die Straße, als Samma N’Sei fluchtartig in Gassen und Nebenstraßen verschwanden.
Also handelte es sich um Moridin. Isam hatte den ersten Besuch des Auserwählten in der Stadt nicht miterlebt, aber er hatte davon gehört. Die Samma N’Sei hatten Moridin für einen der Talentlosen gehalten, bis er ihnen das Gegenteil bewies. Ihm waren ihre Einschränkungen fremd.
Die Zahl der toten Samma N’Sei unterschied sich je nach Erzähler, aber es waren nie weniger als ein Dutzend. Was er jetzt beobachtete, verriet Isam, dass es sich wohl um die Wahrheit handeln musste.
Als Moridin die Schenke erreichte, waren nur noch die Hunde auf der Straße. Und Moridin ging daran vorbei. Isam verfolgte seinen Weg so aufmerksam, wie er es wagte. Moridin schien weder an ihm noch an der Schenke interessiert zu sein, aber der Befehl hatte gelautet, hier zu warten. Vielleicht hatte der Auserwählte noch etwas anderes zu erledigen, und er war zweitrangig.
Nachdem Moridin außer Sicht war, nahm Isam endlich ein Schluck von der dunklen Flüssigkeit. Bei den Stadtbewohnern hieß sie bloß »Feuer«. Sie machte ihrem Namen alle Ehre. Angeblich hatte sie Ähnlichkeit mit einem Getränk aus der Wüste. Wie alles andere in der Stadt war es die korrumpierte Version des Originals.
Wie lange würde Moridin ihn wohl warten lassen? Es gefiel ihm hier nicht. Es erinnerte ihn zu sehr an seine Kindheit. Eine Dienerin kam – das Kleid der Frau bestand praktisch nur noch aus Lumpen – und knallte einen Teller auf den Tisch. Sie wechselten kein Wort.
Isam warf einen Blick auf die Mahlzeit. Klein geschnittenes und zerkochtes Gemüse – hauptsächlich Zwiebeln und Pfefferschoten. Er probierte, dann seufzte er und schob den Teller weg. Das Gemüse war so geschmacklos wie ungewürzter Hirsebrei. Fleisch gab es gar keins. Das war eigentlich sogar von Vorteil; er aß nicht gern Fleisch, solange er es nicht selbst erlegt hatte. Das rührte noch aus seiner Kindheit her. Hatte man es nicht selbst geschlachtet, konnte man sich nie sicher sein. Jedenfalls nicht hundertprozentig. Hier oben bestand bei Fleisch durchaus die Möglichkeit, dass das Tier im Süden gefangen worden war oder es sich um eines handelte, das hier oben aufgezogen worden war, also eine Kuh oder eine Ziege.
Es konnte aber auch etwas ganz anderes sein. Verlor jemand beim Spiel und konnte seine Wettschulden nicht bezahlen, dann verschwand er. Und oft wurden die Samma N’Sei, die nicht so zur Welt gekommen waren, wie sie sollten, bei der Ausbildung aussortiert. Sie verschwanden. Nur selten erlebten Leichen noch ihr Begräbnis.
Man sollte diesen Ort niederbrennen, dachte Isam mit aufgewühltem Magen. Ihn einfach niederbrennen, und zwar mit …
Jemand betrat die Schenke. Unglücklicherweise konnte Isam von seinem Platz aus nicht beide Zugänge beobachten. Sie war eine hübsche Frau in einem schwarzen, mit Rot abgesetzten Kleid. Isam erkannte weder ihre schlanke Gestalt noch das zarte Gesicht. Eigentlich war er der festen Überzeugung, sämtliche der Auserwählten erkennen zu können; er hatte sie oft genug im Traum beobachtet. Natürlich wussten sie das nicht. Sie hielten sich für die Herren dieses Ortes, und einige von ihnen waren sehr geschickt.
Aber er war genauso geschickt und außerordentlich gut darin, nicht gesehen zu werden.
Wer auch immer das war, sie hatte also eine Verkleidung angelegt. Warum sich an diesem Ort damit abgeben? Aber was nun auch dahintersteckte, sie musste diejenige sein, die ihn herbefohlen hatte. Keine Frau kam mit solcher Selbstsicherheit und hochmütigem Ausdruck in die Stadt, als würde sie noch von den Steinen erwarten, dass sie sprangen, wenn man es ihnen befahl. Isam ließ sich langsam auf ein Knie sinken.
Die Bewegung weckte den Schmerz in seinem Bauch, wo er verwundet worden war. Er hatte sich noch immer nicht von dem Kampf mit dem Wolf erholt. Etwas regte sich in ihm; Luc hasste Aybara. Ungewöhnlich. Normalerweise war Luc eher derjenige, der Verständnis hatte, und Isam der Harte. Nun, so sah er sich eben.
Aber was diesen besonderen Wolf anging, teilten sie eine Meinung. Einerseits war Isam begeistert; als Jäger hatte er es nur selten mit einer Herausforderung wie Aybara zu tun gehabt. Aber sein Hass saß tief. Er würde Aybara töten.
Isam überspielte die schmerzerfüllte Grimasse und senkte den Kopf. Die Frau ließ ihn dort knien und setzte sich an den Tisch. Ein paar Augenblicke lang klopfte sie mit dem Finger gegen den Zinnbecher, starrte den Inhalt an und schwieg.
Isam verhielt sich still. Viele der Narren, die sich selbst hochtrabend Schattenfreunde nannten, wanden sich, wenn jemand Macht über sie hatte. Tatsächlich würde sich Luc vermutlich ebenfalls winden, wie er zögernd zugeben musste.
Isam war ein Jäger. Mehr wollte er auch nicht sein. Wenn man damit zufrieden war, was man darstellte, dann gab es auch keinen Grund, sich darüber zu ärgern, wenn man auf seinen Platz verwiesen wurde.
Verflucht, die Seite seines Bauches brannte wirklich.
»Ich will ihn tot sehen«, sagte die Frau. Ihre Stimme war leise, aber voller Gefühle.
Isam sagte nichts.
»Ich will, dass man ihn wie ein Tier ausweidet, dass seine Gedärme zu Boden purzeln, dass sein Blut von den Raben getrunken wird, dass seine Knochen in der Hitze der Sonne bleichen und schließlich ganz grau werden und zerspringen. Ich will ihn tot sehen, Jäger.«
»Al’Thor.«
»Ja. Du hast in der Vergangenheit versagt.« Ihre Stimme war wie Eis. Ein Frösteln überkam ihn. Diese Frau war hart. So hart wie Moridin.
Nach den vielen Jahren seiner Dienste hatte er für die meisten Auserwählten schließlich nur noch Verachtung übrig. Trotz ihrer Macht und angeblichen Weisheit stritten sie sich wie die Kinder. Diese Frau ließ ihn aufhorchen, und er fragte sich, ob er sie tatsächlich alle ausspioniert hatte. Sie schien anders zu sein.
»Und?«, fragte sie. »Kannst du deine Fehlschläge rechtfertigen?«
»Jedes Mal, wenn mich einer der anderen mit dieser Jagd beauftragte, berief mich ein anderer wieder ab und wies mir eine neue Aufgabe zu.«
In Wahrheit hätte er lieber seine Jagd auf den Wolf fortgesetzt. Er würde keine Befehle ignorieren, jedenfalls nicht, wenn sie direkt von den Auserwählten kamen. Abgesehen von Aybara war eine Jagd für ihn genau wie die andere. Falls es sein musste, würde er diesen Drachen töten.
»Das wird dieses Mal nicht geschehen«, verkündete die Auserwählte, die noch immer seinen Becher anstarrte. Bis jetzt hatte sie ihn noch nicht angesehen, und sie hatte ihm auch nicht die Erlaubnis erteilt aufzustehen, also blieb er knien. »Die anderen haben alle ihren Anspruch auf dich aufgegeben. Und solange der Große Herr selbst dir keinen anderen Befehl erteilt, solange er dich nicht selbst zu sich zitiert, wirst du diese Aufgabe behalten. Töte al’Thor.«
Eine Bewegung vor dem Fenster veranlasste Isam, zur Seite zu blicken. Die Auserwählte sah nicht hin, als eine Gruppe Gestalten mit schwarzen Kapuzen vorbeieilte. Der Wind schien ihren Umhängen nichts anhaben zu können.
Begleitet wurden sie von Kutschen; ein in der Stadt ungewöhnlicher Anblick. Die Kutschen bewegten sich langsam und schaukelten dennoch auf der schlechten Straße. Isam brauchte keinen Blick auf die mit Vorhängen verhüllten Kutschenfenster zu werfen, um zu wissen, dass dort dreizehn Frauen fuhren. Genau die gleiche Anzahl wie die Myrddraal. Keiner der Samma N’Sei kehrte auf die Straße zurück. Für gewöhnlich mieden sie derartige Prozessionen. Aus offensichtlichen Gründen hatten sie tief verwurzelte Ansichten, was solche Dinge anging.
Die Kutschen passierten die Schenke. Hatte man also noch einen erwischt. Isam hätte geglaubt, dass diese Praxis nach der Säuberung des Makels ein Ende fand.
Bevor er den Blick wieder dem Boden der Schenke zuwenden konnte, sah er zufällig etwas, das überhaupt nicht hierherpasste. Aus den Schatten einer auf der anderen Straßenseite abzweigenden Gasse schaute ein kleines, schmutziges Gesicht zu. Weit aufgerissene Augen, aber eine verstohlene Haltung. Moridin und das Kommen mehrerer Dreizehn hatten die Samma N’Sei von der Straße vertrieben. Waren sie nicht da, konnten sich die Straßenkinder einer gewissen Sicherheit erfreuen. Vielleicht.
Isam wollte dem Kind zubrüllen, dort zu verschwinden. Einfach loszurennen, das Risiko einzugehen und zu versuchen, die Fäule zu durchqueren. Im Magen eines Wurms zu sterben war immer noch besser, als in dieser Stadt zu leben und zu erleiden, was sie mit einem anstellte. Geh! Flieh! Stirb!
Der Augenblick ging schnell vorüber, der Straßenbengel zog sich in die Schatten zurück. Isam wusste noch ganz genau, wie es war, dieses Kind zu sein. Damals hatte er so viel gelernt. Wie man etwas zu essen fand, das halbwegs vertrauenswürdig war und man nicht wieder auskotzen musste, sobald man herausgefunden hatte, was es eigentlich war. Wie man mit dem Messer kämpfte. Wie man vermied, gesehen oder bemerkt zu werden.
Und natürlich wie man einen Mann tötete. Jeder, der lange genug in der Stadt überlebte, lernte diese besondere Lektion.
Die Auserwählte starrte seinen Becher noch immer an. Ihm wurde klar, dass sie ihr Spiegelbild betrachtete. Was sah sie wohl darin?
»Ich werde Hilfe brauchen«, sagte er schließlich. »Der Wiedergeborene Drache hat Leibwächter, und er hält sich nur sehr selten im Traum auf.«
»Für Hilfe ist gesorgt«, erwiderte sie leise. »Aber du musst ihn finden, Jäger. Keines deiner üblichen Spielchen, zu versuchen, ihn zu dir zu locken. Lews Therin wird eine solche Falle spüren. Davon abgesehen wird er jetzt nicht mehr von seiner Sache abrücken. Die Zeit wird knapp.«
Sie sprach von dem katastrophalen Einsatz in den Zwei Flüssen. Damals hatte Luc das Kommando gehabt. Denn was wusste Isam schon von echten Städten und echten Menschen? Fast hätte er so etwas wie ein Verlangen nach diesen Dingen verspürt, obwohl das vermutlich Lucs Gefühle waren. Isam war bloß ein Jäger. Menschen waren nur von geringem Interesse für ihn, abgesehen von Dingen wie der besten Stelle für einen Pfeil, um das Herz zu treffen.
Dieses Unternehmen in den Zwei Flüssen allerdings … Das stank wie ein Kadaver, den man einfach zum Verwesen liegen gelassen hatte. Er kannte noch immer nicht die wahren Gründe. Sollte wirklich al’Thor damit angelockt werden, oder hatte man Isam bloß von irgendwelchen wichtigen Ereignissen fernhalten wollen? Er wusste, dass die Auserwählten von seinen Fähigkeiten fasziniert waren; er konnte etwas tun, das ihnen verwehrt blieb. Sicher, sie konnten die Weise imitieren, auf die er den Traum betrat, aber sie mussten dazu die Macht lenken, brauchten Wegetore und Zeit.
Er war es leid, eine Figur in ihren Spielen zu sein. Sollte man ihn doch einfach nur jagen lassen; sollte man aufhören, jede Woche ein neues Wild auszusuchen.
Aber so etwas sagte man den Auserwählten nicht ins Gesicht. Er behielt seine Einwände für sich.
Schatten verdunkelten den Eingang der Schenke, und die Magd verschwand im hinteren Raum. Damit waren allein Isam und die Auserwählte im Gemeinschaftsraum.
»Du darfst aufstehen«, sagte sie.
Isam gehorchte hastig, als zwei Männer den Raum betraten. Groß, muskulös und mit roten Schleiern. Sie trugen braune Kleidung wie Aiel, hatten aber weder Speere noch Bögen. Diese Kreaturen töteten mit viel tödlicheren Waffen.
Obwohl Isam sich nichts anmerken ließ, stiegen in ihm Gefühle auf. Eine Kindheit voller Schmerzen, Hunger und Tod. Ein ganzes Leben lang die Bemühung, den Blick solcher Männer zu meiden. Es kostete ihn große Anstrengung, nicht zu zittern, als die Männer mit der Anmut natürlicher Raubtiere zum Tisch kamen.
Die Männer senkten die Schleier und entblößten die Zähne. Soll man mich doch zu Asche verbrennen! Ihre Zähne waren spitz zugefeilt.
Sie waren Umgedreht worden. Man konnte es in ihren Augen sehen – Augen, die nicht ganz richtig waren, nicht ganz menschlich.
Um ein Haar wäre Isam in diesem Augenblick in den Traum gegangen. Er konnte diese Männer nicht beide töten. Er wäre nur noch Asche gewesen, bevor ihm gelungen wäre, einen von ihnen zu erwischen. Er hatte die Samma N’Sei töten sehen. Manchmal taten sie es bloß, um neue Möglichkeiten in der Benutzung ihrer Macht auszuprobieren.
Sie griffen nicht an. Wussten sie, dass diese Frau eine Auserwählte war? Aber warum senkten sie dann die Schleier? Samma N’Sei senkten niemals die Schleier, solange sie nicht töten wollten – und das auch nur, wenn sie es ganz besonders gierig erwarteten.
»Sie werden dich begleiten«, verkündete die Auserwählte. »Du sollst auch eine Handvoll der Talentlosen bekommen, um mit al’Thors Leibwächtern fertigzuwerden.« Sie wandte sich ihm zu und erwiderte zum ersten Mal seinen Blick. Sie erschien … angewidert. Als ekelte es sie an, seine Hilfe zu brauchen.
Sie werden dich begleiten, hatte sie gesagt. Und nicht, sie werden dir »dienen«.
Verflucht. Das würde ein wirklich abscheulicher und hassenswerter Auftrag werden.
Talmanes warf sich zur Seite und entging nur knapp der Axt des Trollocs. Der Boden erbebte, als die Axt auf dem Straßenpflaster zerbrach; er duckte sich und rammte der Kreatur seine Klinge in den Oberschenkel. Das Ding hatte eine Stierschnauze, und es warf den Kopf zurück und blökte.
»Verflucht, du stinkst ja schrecklich aus dem Maul«, knurrte Talmanes, riss das Schwert heraus und trat zurück. Die Kreatur brach zusammen, und er hackte ihre Waffenhand ab.
Keuchend tänzelte er zurück, während zwei seiner Gefährten dem Trolloc die Speere in den Rücken rammten. Trollocs bekämpfte man immer am besten als Gruppe. Nun, eigentlich kämpfte man immer am besten als Gruppe, egal gegen wen, aber zog man Größe und Kraft der Tiermenschen in Betracht, war es bei ihnen noch wichtiger.
Leichen lagen wie Müllhaufen in der Nacht. Talmanes war gezwungen gewesen, die Wächterhäuser am Stadttor anzuzünden, damit sie Licht hatten; das ungefähr halbe Dutzend Wächter, die übrig geblieben waren, waren für den Augenblick Rekruten der Bande.
Einer schwarzen Welle gleich zogen sich die Trollocs vom Tor zurück. Der Angriff hatte sie ihre Reihen zu sehr auseinanderziehen lassen. Natürlich hatte man sie dazu gedrängt. Ein Halbmensch war bei der Gruppe gewesen. Talmanes berührte die Wunde in seiner Seite. Sie war feucht.
Die Wächterhäuser brannten kaum noch. Er würde den Befehl geben müssen, ein paar der umstehenden Läden anzuzünden. Zwar ging man dabei das Risiko ein, dass sich das Feuer weiter ausbreitete, aber die Stadt war ohnehin verloren. Sinnlos, jetzt noch Zurückhaltung üben zu wollen. »Brynt!«, rief er. »Zündet den Stall da an!«
Sandip kam herbei, während Brynt mit einer Fackel loslief. »Die kommen wieder. Vermutlich schon bald.«
Talmanes nickte. Da der Kampf im Augenblick beendet war, fluteten die Einwohner aus Gassen und Verstecken, schlugen zaghaft die Richtung zum Tor und damit zur vermeintlichen Sicherheit ein.
»Wir können nicht hierbleiben und dieses Tor halten«, sagte Sandip. »Die Drachen …«
»Ich weiß. Wie viele Männer haben wir verloren?«
»Ich habe noch keine Zählung veranlasst. Mindestens hundert.«
Beim Licht, Mat zieht mir die Haut ab, wenn er davon hört. Mat hasste es, Männer zu verlieren. Dieser Mann verfügte über eine Weichheit, die in etwa seinem Genie gleichkam – eine merkwürdige, aber durchaus inspirierende Kombination. »Schickt ein paar Späher los, die in der Nähe die Straßen überwachen und nach anrückendem Schattengezücht Ausschau halten sollen. Schichtet ein paar dieser Trolloc-Kadaver auf, um Straßensperren zu errichten; die funktionieren dazu genauso gut wie alles andere. Ihr da, Soldat!«
Einer der erschöpften Soldaten, die gerade vorbeigingen, erstarrte. Er trug die Farben der Königin. »Mein Lord?«
»Wir müssen die Leute wissen lassen, dass dieses Tor sicher ist, wenn man die Stadt verlassen will. Gibt es ein Hornsignal, das andoranische Untertanen erkennen würden? Etwas, das sie herbringt?«
»›Untertanen‹«, wiederholte der Mann nachdenklich. Das Wort schien ihm nicht zu gefallen. Hier in Andor wurde es nur selten benutzt. »Ja, der Königinnenmarsch.«
»Sandip?«
»Ich setze die Signaltrompeter darauf an, Talmanes«, sagte Sandip.
»Gut.« Talmanes kniete nieder, um sein Schwert am Hemd eines toten Trollocs zu säubern; seine Seite schmerzte. Die Wunde war nicht schlimm. Nicht nach normalen Maßstäben. Eigentlich kaum mehr als ein Kratzer.
Das Hemd war so dreckig, dass er seine Waffe beinahe nicht damit gereinigt hätte, aber Trolloc-Blut war schlecht für eine Klinge, also wischte er das Schwert ab. Die Schmerzen in seiner Seite ignorierend, erhob er sich wieder und ging zurück zum Tor, wo er Selfar angebunden hatte. Er hatte es nicht gewagt, das Pferd gegen Schattengezücht einzusetzen. Er war ein guter Wallach, der aber nicht in den Grenzländern ausgebildet worden war.
Keiner der Männer hatte etwas dagegen einzuwenden, als er in den Sattel stieg und Selfar nach Westen lenkte, aus der Stadt heraus zu den Söldnern, die er zuvor dabei beobachtet hatte, wie sie bloß zuschauten. Es überraschte ihn nicht, dass sie der Stadt in der Zwischenzeit näher gekommen waren. Ein Kampf zog Krieger an wie ein Feuer frierende Reisende in einer Winternacht.
Sie hatten nicht in den Kampf eingegriffen. Talmanes wurde von einer kleinen Gruppe Söldner begrüßt: sechs Männer mit überaus starken Armen und vermutlich wenig Hirn im Schädel. Sie erkannten ihn und die Bande. Mat war in letzter Zeit zu einer richtigen Berühmtheit geworden, und damit auch die Bande. Zweifellos entging ihnen auch nicht das Trolloc-Blut an seiner Kleidung und der Verband an seiner Seite.
Mittlerweile brannte diese Wunde wirklich schlimm. Talmanes zügelte Selfar, dann klopfte er geduldig die Satteltaschen ab. Irgendwo habe ich hier noch Tabak …
»Und?«, fragte einer der Söldner. Der Anführer war leicht zu erkennen; er trug die teuerste Rüstung. Oftmals wurde man zum Anführer einer solchen Gruppe, einfach weil man am Leben blieb.
Talmanes fischte seine zweitbeste Pfeife aus der Satteltasche. Wo war der Tabak? Er nahm nie die beste Pfeife mit in die Schlacht. Sein Vater hatte immer behauptet, das würde nur Unglück bringen.
Ah, dachte er und zog den Tabaksbeutel hervor. Er stopfte etwas davon in den Pfeifenkopf, dann zog er einen Zündzweig hervor und beugte sich vor, um ihn in die Fackel zu halten, die ein misstrauischer Söldner hielt.
»Solange man uns nicht bezahlt, kämpfen wir auch nicht«, verkündete der Anführer. Er war ein stämmiger Mann, überraschend sauber, allerdings hätte sein Bart mal geschnitten werden müssen.
Talmanes zündete die Pfeife an und blies ein paar Rauchwolken. Hinter ihm ertönten die Signalhörner. Wie sich herausstellte, hatte der Königinnenmarsch eine eingängige Melodie. Die Signale wurden von Schreien untermalt, und Talmanes drehte sich um. Trollocs kamen die Hauptstraße herunter, diesmal ein größerer Haufen.
Armbrustmänner nahmen in Reihen Aufstellung und eröffneten nach einem Befehl, den Talmanes nicht hören konnte, das Feuer.
»Solange man uns nicht …«, fing der Anführer wieder an.
»Wisst Ihr, was das ist?«, fragte Talmanes leise um das Mundstück seiner Pfeife herum. »Das ist der Anfang vom Ende. Das ist der Untergang der Nationen und die Vereinigung aller Menschen. Das ist die Letzte Schlacht, Ihr verfluchter Narr!«
Die Männer scharrten unbehaglich mit den Füßen.
»Sprecht Ihr … sprecht Ihr für die Königin?«, fragte der Anführer und versuchte noch etwas zu retten. »Ich will bloß dafür sorgen, dass meine Männer versorgt sind.«
»Wenn ihr kämpft«, sagte Talmanes, »dann verspreche ich euch allen eine große Belohnung.«
Der Mann wartete.
»Ich verspreche euch, dass ihr weiteratmen könnt«, sagte Talmanes und sog den Rauch ein.
»Soll das eine Drohung sein, Cairhiener?«
Talmanes blies den Rauch aus, dann beugte er sich auf seinem Sattel vor und näherte sich mit seinem Gesicht dem Anführer. »Heute Nacht tötete ich einen Myrddraal, Andoraner«, sagte er leise. »Er fügte mir einen Kratzer mit einer Thakan’dar-Klinge zu, und die Wunde ist schwarz. Das bedeutet, dass ich bestenfalls ein paar Stunden habe, bevor mich das Gift der Klinge von innen verbrennt und ich auf die schmerzhafteste Weise sterben werde, auf die ein Mann sterben kann. Darum schlage ich vor, mein Freund, dass Ihr mir glaubt, wenn ich Euch sage, dass ich wirklich nichts mehr zu verlieren habe.«
Der Mann blinzelte.
»Ihr habt zwei Möglichkeiten«, sagte Talmanes, drehte sein Pferd und wandte sich laut an die Gruppe. »Ihr könnt wie der Rest von uns kämpfen und helfen, dass diese Welt noch neue Tage erlebt, und vielleicht bekommt ihr am Ende sogar ein paar Münzen. Ich kann das nicht versprechen. Oder ihr könnt hier rumsitzen, zusehen, wie Menschen abgeschlachtet werden, und euch sagen, dass ihr nicht umsonst arbeitet. Wenn ihr Glück habt und es dem Rest von uns gelingt, die Welt auch ohne eure Hilfe zu retten, dann atmet ihr lange genug, damit man euch an euren feigen Hälsen aufknüpfen kann.«
Schweigen. Hinter ihnen bliesen Hörner in der Dunkelheit.
Der Söldnerführer sah seine Gefährten an. Sie nickten zustimmend.
»Geht und helft, dieses Tor zu halten«, sagte Talmanes. »Ich rekrutiere die anderen Söldnergruppen, damit sie uns unterstützen.«
Leilwin betrachtete die vielen verschiedenen Lager, die sich an dem Ort ausbreiteten, der als Feld von Merrilor bekannt war. Da die Wolken am Himmel nun in der Nacht den Mond und die Sterne völlig verdeckten, konnte sie sich beinahe vorstellen, dass die Kochfeuer Schiffslaternen in einem belebten Hafen waren.
Vermutlich ein Anblick, den sie nie wieder zu Gesicht bekommen würde. Leilwin Schiffslos war kein Kapitän, und sie würde es auch nie wieder sein. Es sich zu wünschen würde der Natur dessen widersprechen, wozu sie geworden war.
Bayle legte ihr die Hand auf die Schulter. Dicke Finger, schwielig von vielen arbeitsreichen Tagen. Sie griff nach oben und legte ihre Hand darauf. Es war leichtgefallen, sich in Tar Valon durch eines dieser Wegetore zu schleichen. Bayle kannte sich in der Stadt aus, auch wenn ihn der Aufenthalt dort nicht glücklich gemacht hatte. »Dieser Ort bereiten mir eine Gänsehaut«, hatte er gesagt, »ich wollten nie wieder durch diese Straßen gehen. Das wollten ich wirklich nicht.«
Trotzdem hatte er sie begleitet. Ein guter Mann, dieser Bayle Domon. Wie sie keinen besseren in diesem fremden Land hätte finden können, auch wenn er in seiner Vergangenheit zwielichtigen Handel betrieben hatte. Aber das lag hinter ihm. Falls er nicht begriff, wie man sich richtig zu verhalten hatte, versuchte er es zumindest.
»Das sein ein Anblick«, sagte er und betrachtete das stumme Lichtermeer. »Was wollen du jetzt machen?«
»Wir finden Nynaeve al’Meara oder Elayne Trakand.«
Bayle kratzte sich das bärtige Kinn; er trug den Bart in der Mode der Illianer: mit glatt rasierter Oberlippe. Die Haare auf seinem Kopf wiesen unterschiedliche Längen auf; nachdem sie ihm die Freiheit geschenkt hatte, hatte er aufgehört, die eine Kopfseite zu rasieren. Natürlich hatte sie das nur getan, damit sie heiraten konnten.
Aber jetzt erwies es sich als Vorteil; der rasierte Schädel hätte hier nur Aufmerksamkeit erregt. Er war ein ganz ordentlicher So’jhin gewesen, nachdem gewisse … Dinge geregelt gewesen waren. Aber am Ende hatte sie sich jedoch eingestehen müssen, dass Bayle Domon nicht zum So’jhin bestimmt war. Dazu hatte er einfach zu viele Kanten, und keine Dünung würde diese scharfen Ecken jemals glätten. Genauso wollte sie ihn auch, obwohl sie das niemals zugegeben hätte.
»Es sein schon spät, Leilwin«, sagte er. »Vielleicht wir sollten warten bis morgen früh.«
Nein. Die Lager strahlten Ruhe aus, das schon, aber es war nicht die Ruhe von Schlaf. Es war die Ruhe von Schiffen, die auf den richtigen Wind warteten.
Sie wusste nur wenig über das, was hier vorging – sie hatte es nicht gewagt, in Tar Valon Fragen zu stellen, denn ihr Akzent hätte sie als Seanchanerin entlarvt. Eine Versammlung dieser Größe geschah nicht ohne vorherige genaue Planung. Die Ausdehnung überraschte sie; sie hatte nur gehört, dass hier ein Treffen stattfinden sollte, an dem die meisten Aes Sedai teilnahmen. Das hier übertraf jede Erwartung.
Leilwin setzte sich in Bewegung, und Bayle folgte ihr. Sie gesellten sich wieder zu der Gruppe Diener aus Tar Valon, die sie dank Bayles Bestechungsgeld hatten begleiten dürfen. Seine Methoden erfreuten sie nicht, aber ihr war auch keine andere Möglichkeit eingefallen. Sie bemühte sich, nicht zu intensiv über seine früheren Kontakte in Tar Valon nachzudenken. Nun, wenn sie nie wieder ein Schiff betreten würde, würde Bayle auch keine Gelegenheit zum Schmuggeln haben. Immerhin ein kleiner Trost.
Du bist Schiffskapitän. Das ist alles, was du kannst, alles, was du willst. Und jetzt, schiffslos. Ein Frösteln durchfuhr sie, und sie ballte die Hände zu Fäusten, damit sie nicht die Arme um den Körper schlang. Den Rest ihrer Tage auf dem ewig gleichen Land verbringen zu müssen, sich niemals schneller bewegen zu können, als ein Pferd lief, niemals mehr die Luft weit draußen auf dem Meer riechen zu können, niemals wieder den Bug auf den Horizont zu richten, den Anker zu lichten, die Segel zu setzen und einfach …
Sie schüttelte sich. Nynaeve und Elayne finden. Sie mochte schiffslos sein, aber sie würde nicht zulassen, dass sie in die Tiefe sank und ertrank. Sie schlug ihren Kurs ein und ging los. Bayle duckte sich misstrauisch zusammen und versuchte, alle um sie herum gleichzeitig im Auge zu behalten. Ein paarmal sah er auch sie an, die Lippen zu einem schmalen Strich verzogen. Mittlerweile wusste sie, was das bedeutete.
»Was ist?«
»Leilwin, was wir hier wollen?«
»Das habe ich dir doch erklärt. Wir müssen sie finden!«
»Ja, aber warum? Was glaubst du können zu tun? Sie sind Aes Sedai.«
»Sie erwiesen mir schon zuvor Respekt.«
»Also du glauben, sie nehmen uns auf?«
»Vielleicht.« Sie musterte ihn. »Sprich es aus, Bayle. Du deutest etwas an.«
Er seufzte. »Warum muss man uns aufnehmen? Wir könnten irgendwo ein Schiff für uns finden, in Arad Doman. Wo sein weder Aes Sedai oder Seanchaner.«
»Ich würde nicht die Art Schiff führen, wie du sie schätzt.«
Er sah sie ausdruckslos an. »Ich weiß, wie man führt ein ehrliches Geschäft, Leilwin. Es wäre kein …«
Sie hob die Hand und brachte ihn zum Schweigen, dann legte sie sie ihm auf die Schulter. Sie blieben auf dem Pfad stehen. »Ich weiß, mein Geliebter. Ich weiß. Ich sage Dinge, um mich abzulenken, damit wir uns auf einem Strom drehen, der nirgendwohin führt.«
»Warum?«
Das eine Wort quälte sie wie ein Splitter unter einem Fingernagel. Warum? Warum war sie diesen langen Weg gegangen, war mit Matrim Cauthon gereist, hatte sich in die gefährliche Nähe der Tochter der Neun Monde begeben? »Mein Volk sieht die Welt auf eine gravierende Weise verkehrt. Und damit erschafft es ein Unrecht.«
»Man hat dich verstoßen, Leilwin«, sagte er leise. »Du sein nicht länger eine von ihnen.«
»Ich werde immer eine von ihnen sein. Mein Name wurde mir genommen, aber nicht mein Blut.«
»Die Beleidigung tun mir leid.«
Sie nickte knapp. »Ich stehe noch immer loyal zur Kaiserin, möge sie ewig leben. Aber die Damane … sie sind das Fundament ihrer Herrschaft. Mit ihnen sorgt sie für Ordnung, mit ihnen hält sie das Kaiserreich zusammen. Und die Damane sind eine Lüge.«
Sul’dam konnten die Macht lenken. Dieses Talent konnte erlernt werden. Noch Monate nachdem sie die Wahrheit entdeckt hatte, konnte sie längst nicht sämtliche Folgen überblicken. Ein anderer wäre mehr am politischen Nutzen interessiert gewesen, ein anderer wäre nach Seanchan zurückgekehrt und hätte diese Entdeckung dazu benutzt, um Macht zu erlangen. Beinahe wünschte sie sich, sie hätte genau das getan. Beinahe.
Aber das Flehen der Sul’dam … als sie diese Aes Sedai näher kennengelernt hatte, die so ganz anders waren, als man ihr ein Leben lang eingehämmert hatte …
Etwas musste geschehen. Aber wenn sie es tat, ging sie dann nicht das Risiko ein, das Kaiserreich zu Fall zu bringen? Sie musste sich sehr sorgfältig überlegen, wie sie vorging, wie bei den letzten Zügen einer Partie Shal.
Sie folgten der Dienerreihe in der Dunkelheit; Aes Sedai schickten oft Diener nach Dingen, die sie in der Weißen Burg zurückgelassen hatten, also war es nichts Besonderes, dass jemand hin- und herreiste – für Leilwin ein Vorteil. Sie passierten die Grenze des Aes-Sedai-Lagers, ohne angehalten zu werden.
Diese Mühelosigkeit überraschte sie, bis sie mehrere Männer am Wegesrand entdeckte. Sie waren leicht zu übersehen; etwas an ihnen ließ sie mit ihrer Umgebung verschmelzen, vor allem in der Dunkelheit. Sie bemerkte sie erst, als sich einer von ihnen bewegte und nur ein kurzes Stück hinter ihr und Bayle herging.
Sekunden später war es offensichtlich, dass er sie beide ausgesondert hatte. Vielleicht lag es an ihrer Gangart, ihrer Haltung. Sie hatten sich absichtlich schlicht gekleidet, allerdings wies Bayles Bart ihn als Illianer aus.
Leilwin blieb stehen, legte eine Hand auf Bayles Arm und drehte sich dann um, um sich ihrem Verfolger zu stellen. Anhand von Beschreibungen schloss sie, dass er ein Behüter war.
Der Behüter trat näher. Noch immer befanden sie sich an der Lagergrenze; die Zelte waren kreisförmig aufgestellt. Mit Unbehagen war ihr aufgefallen, dass einige Zelte von einem Licht erhellt wurden, das zu gleichmäßig brannte, um von einer Kerze oder Lampe zu stammen.
»Ho«, sagte Bayle und hob freundlich eine Hand. »Wir suchen eine Aes Sedai mit Namen Nynaeve al’Meara. Sein sie nicht hier, dann vielleicht die, die Elayne Trakand heißen?«
»Keine von ihnen hat hier ihr Lager aufgeschlagen«, sagte der Behüter. Er war ein kleiner Mann, aber stämmig. Mit diesen kräftigen Beinen hätte er einen guten Matrosen abgegeben. Seine Züge sahen … unfertig aus. Von einem Bildhauer aus dem Stein gemeißelt, der dann nach halber Arbeit das Interesse verloren hatte.
»Ah«, sagte Bayle. »Das sein dann unser Fehler. Könntet Ihr uns zeigen, wo sie lagern? Ihr müssen wissen, es sein eine Sache von großer Dringlichkeit.« Er sprach flüssig, ohne Umschweife. Falls nötig konnte Bayle sehr charmant sein. Auf jeden Fall mehr als Leilwin.
»Das kommt darauf an«, sagte der Behüter. »Eure Gefährtin, will die auch zu diesen Aes Sedai?«
»Sie will …«, setzte Bayle an, aber der Behüter hob die Hand. »Ich möchte es von ihr hören«, sagte er und musterte Leilwin.
»Ich wünschen es«, sagte Leilwin. »Meine alte Großmutter! Diese Frauen, sie uns haben eine Bezahlung versprochen, und ich werden sie bekommen! Aes Sedai lügen nicht. Das weiß jeder. Wenn Ihr uns nicht zu ihnen bringt, dann holt jemanden, der es tut!«
Der Behüter zögerte, seine Augen weiteten sich bei dem Wortschwall. Dann nickte er. »Hier entlang.« Er führte sie zur Lagerseite, fort vom Zentrum, aber er schien nicht länger misstrauisch zu sein.
Leilwin stieß leise die Luft aus und ging neben Bayle hinter dem Behüter her. Bayle sah sie stolz an und grinste so breit, dass er sie mit Sicherheit verraten hätte, hätte sich der Behüter umgedreht. Aber sie musste selbst ein Lächeln unterdrücken.
Der illianische Akzent war ihr nicht leichtgefallen, aber sie waren beide zu dem Schluss gekommen, dass ihr seanchanischer Akzent gefährlich war, vor allem wenn sie sich unter Aes Sedai bewegten. Bayle behauptete noch immer, dass kein wahrer Illianer sie als eine der Ihren akzeptieren würde, aber offensichtlich war sie gut genug, um einen Fremden zu täuschen.
Sie verspürte Erleichterung, als sie sich vom Lager der Aes Sedai entfernten. Zwei Freundinnen zu haben, die Aes Sedai waren – und es waren Freundinnen, trotz ihrer Schwierigkeiten miteinander –, bedeutete nicht, dass sie in einem Lager voller Schwestern sein wollte. Der Behüter führte sie zu einer Fläche ungefähr in der Mitte des Feldes von Merrilor. Dort befand sich ein sehr großes Lager mit vielen kleinen Zelten.
»Aiel«, raunte Bayle. »Es müssen Zehntausende sein.«
Interessant. Von den Aiel erzählte man sich Furcht einflößende Geschichten, Legenden, die unmöglich alle der Wahrheit entsprechen konnten. Trotzdem ließen diese Geschichten trotz ihrer Übertreibungen erahnen, dass es die besten Krieger auf dieser Seite des Ozeans waren. Unter anderen Umständen hätte Leilwin gern mit einem oder auch zwei von ihnen einen Übungskampf absolviert. Sie legte eine Hand auf die Seite ihres Rucksacks; sie hatte ihre Keule in einer langen Tasche an der Seite griffbereit untergebracht.
Auf jeden Fall waren diese Aiel groß. Sie kamen an einigen vorbei, die anscheinend völlig entspannt an Lagerfeuern saßen. Aber diese Augen beobachteten deutlich schärfer als der Behüter. Gefährliche Männer, zum Töten bereit, während sie sich am Feuer entspannten. Sie konnte die Banner nicht erkennen, die über diesem Lager am Nachthimmel flatterten.
»Welcher König oder welche Königin herrscht in diesem Lager, Behüter?«, fragte sie laut.
Der Mann sah sie an; seine Züge blieben in den nächtlichen Schatten unergründlich. »Euer König, Illianerin.«
Bayle erstarrte.
Mein …
Der Wiedergeborene Drache. Es erfüllte sie mit Stolz, dass sie nicht aus dem Tritt kam, aber es war knapp. Ein Mann, der die Macht lenken konnte. Das war schlimmer als die Aes Sedai, viel schlimmer.
Der Behüter führte sie zu einem Zelt in der ungefähren Lagermitte. »Ihr habt Glück, ihr Licht brennt.« Am Zelteingang standen keine Wächter, also rief er und erhielt die Erlaubnis zum Eintreten. Mit einer Hand zog er die Plane zur Seite und nickte ihnen zu, aber seine andere Hand lag auf dem Schwertgriff, und seine Haltung war kampfbereit.