Das rötliche Schwefelholz - Benjamin - E-Book

Das rötliche Schwefelholz E-Book

Benjamin

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Beschreibung

Diese Erzählung zeigt den Werdegang eines in die Jahre gekommenen Menschen auf, der durch sein Handwerk eine Meisterschaft anstrebt und somit erreichen will. Die Geschichte eines Lebensabends. Es ist hier aber nicht die Meisterschaft von einem Künstler oder einem Handwerker gemeint, sondern nichts Geringeres als die Meisterschaft des Lebens als Ganzes. So bemerkt er am Ende, dass seine Berufung schon in jungen Jahren begonnen hat, als er seine Werkstatt baute. In dieser Geschichte ist die Weisheit in eine unterhaltsame Erzählung verpackt, die den Leser ansprechen und natürlich erfreuen soll.

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Inhalt

Die Erwartung des Traugott Primel

In der Sägemühle

Die Rückkehr

Das rötliche Holz

Das erste Bild

Das zweite Bild

Das dritte Bild

Das vierte Bild

Das fünfte Bild

Die geometrischen Zeichnungen

Der Berg des heiligen Michael

Der letzte Teil des Meisterwerkes

Das umgekehrte Kreuz

Die Verführung

Der Fall

Das lichte- und das Schattenreich

Das Runde

Das Haus des Kreises

Was ist das für eine Kraft, die das Böse will doch das Gute schafft?

Dreht das Rad rückwärts?

Die Lebensbilder

Der heilige Stephanus

Sankt Paulus der Einsiedler

Die heilige Marina

Maria von Magdala

Die Kreuzigung

Der erste und der letzte Kampf

Das All und seine Bedeutung

König David, der Stammvater Jesus

Der Irrtum

Die Erwartung des Traugott Primel

Die Geschichte die ich nun erzählen will, handelt in einem Schweizer Bergdorf, indem nur noch ältere Menschen leben, weil es die jungen in die grösseren Städte gezogen hat. Das Fernsehen hatte das Dorf erreicht und den jungen Menschen den Kopf voller Wünsche aus der grossen Welt gebracht; wie etwa einen eigenen Sportwagen, ein schnelles Motorrad oder ein eigenes Motorboot auf einem der schönen Schweizer Seen! Nicht zuletzt, weil in den Werbungen neben den begehrenswerten Fahrzeugen auch immer noch eine junge Schönheit posiert, die den sonst schon verdrehten Köpfen weismachen will, dass ihre Gunst von so einem Gefährt abhänge. Und so suchen die bedauernswerten jungen Männer in der Stadt ihr Glück, obwohl es dort doch zuallerletzt zu finden ist. Sie suchen ihr Glück in den vielerlei vergänglichen Dingen, die unerhört teuer und fast nicht erschwinglich sind, erst recht nicht für Jemanden, der gerade aus der Ausbildung getreten sein mag.

So war in unserem Dorf eine gewisse «Leere» entstanden, die es eigentlich nicht geben sollte, denn es braucht ja alle Generationen um ein gesundes Klima in einer Dorfgemeinschaft zu erhalten. Aber wenn der Erste, der ausgezogen ist, an einem Wochenende heimkehrt, angeblich um seine Eltern zu besuchen und in Wirklichkeit um seine Errungenschaften zu zeigen, nun mit grüssender Hand durchs Dorf fährt, so ist in den Köpfen der Jüngeren der Entschluss schon gefasst, bei der nächsten Gelegenheit ebenfalls in die Stadt zu ziehen. Eigentlich nur deswegen, um so heimkehren zu können, möglichst noch mit dem besseren Wagen! Und die Altvorderen sind nicht etwa enttäuscht von ihren Jungen, sondern der Stolz breitet sich aus in ihren Köpfen und verdrängt die Vernunft, die nun ein klärendes Wort sprechen müsste! Nein, die Väter geniessen die angebliche Siegesfahrt des Sohnes durch das Dorf, sich ergötzend an den Nachbarn, die dem Gefährt verwundert nachblicken. Natürlich ist die Tatsache über den Erwerb des Autos von allen totgeschwiegen worden, dass der glänzende Wagen eigentlich noch der Bank gehört! Und dass die Bank immer noch ein wachsames Auge auf ihrem Eigentum hat!

In dem Dorf von dem ich nun erzählen will, ist es erst unter der Woche ruhig geworden, und nach und nach auch an den Wochenenden. Die glänzenden und blitzenden Wagen waren schon keine Attraktion mehr und die Alten begnügten sich damit, Bilder herumzuzeigen von ihren viel zu stolzen Söhnen, wie sie gerade lässig auf einem Kotflügel posieren! Aber bald hatte man auch dies gesehen und es interessierte nicht mehr. Niemand begehrte solche Bilder zu sehen, ja man musste sich schämen dafür! Die Euphorie war vorbei und man hörte nur noch hie und da in der Dorfwirtschaft, was für Wagen die Söhne steuern, wenn der Alkoholpegel ein wenig hoch geraten war. Aber dann kamen auch noch andere Dinge zur Sprache, die eingehend und mit grosser Durchsetzungskraft besprochen wurden, so dass es heisse Köpfe gab bei den kühlen Männern, deren Söhne erst so viel verdient hatten. Besonders an den Wochenenden, an den Abenden, wenn wirklich alle versammelt waren, ging es manchmal laut und hitzig zu und her. Manche derbe Bauernfaust sauste dröhnend auf den Wirtshaustisch, bis spät in der Nacht in den engen Gassen eine neue Fehde mit Schlägen und Ringkämpfen ausgehandelt wurde.

Aber es gab auch solche, denen sagte der Besuch des Wirtshauses nichts. Sie liessen sich dort nie oder nur selten blicken, vielleicht einmal nach dem Gottesdienst wenn sie gleich zum Mittagessen blieben, aber das kam eher selten vor, nur wenn davor gut verkauft worden war.

Zu diesen Männern gehörte auch Traugott Primel. Sein Haus befand sich weiter oben, oberhalb des Dorfes. Eine gute Viertelstunde zu Fuss war ein Besucher unterwegs, wenn er ihn besuchen wollte. Der alte Traugott lebte dort oben mit seiner Frau, die man eher mal im Dorf sah, als den alten Herrgottsschnitzer selber. Es war sogar so selten, dass wenn man ihn im Dorf unten antraf, an mancher Häuserecke verstohlen gefragt wurde: „Lebt der alte Primel eigentlich noch?“ Und wenn ihn niemand gesehen haben will, so wurde seine Frau gefragt, die dann Auskunft gab oder aber eher auswich. Traugott Primel war ein hochgewachsener, wohl schwerer Mann, nicht etwa dick, aber korpulent mit festen Armen. Ein Vollbart verbarg manche Teile seines Gesichtes, aber seine Augen waren umso offener, wenn er etwas betrachten wollte. Und betrachten wollte er Vieles, denn ihn interessierten die Formen der Dinge, wie ihre Linien verliefen. Er betrachtete sie wohl noch genauer, als dies ein Kunstmaler täte, denn schliesslich malte er ja dreidimensional. Seine Bilder hatten nicht nur Höhe und Breite, sondern auch eine Tiefe. Die Linien, die er mit seinen Augen verfolgte, waren die seines Lehrmeisters und wenn ihn jemand fragen sollte, wer denn sein Lehrmeister sei, so würde er wohl antworten: „Das ist mein Schöpfer selbst, ich verfolge nur die Linien, die mein Schöpfer vorgegeben hat und stelle dann ein Abbild von Seinem Bild her.“ Seine Bilder betrachtete man ja von allen Seiten, nicht nur von vorne. Aber die Werke von Traugott bedurften der Schnitzmesser, von denen er viele Formen besass, aber auch der Pinsel mit den Farben dazu, denn er bemalte seine Werke alle selbst, er liess sich das nicht nehmen, niemals!

Sah jemand seine mächtigen, derben Fäuste auf der Werkbank liegen, so wollte man kaum glauben, dass so eine grosse Faust so einen kleinen Pinsel halten könnte. Aber diese Fäuste konnten dies! Und wie sie dies konnten, die kleinsten Nuancen holten sie aus dem Holz hervor, und die Haare seines kleinsten Pinsels zogen die feinsten Linien!

Im Laufe der Jahre waren seine Figuren berühmt geworden. Früher musste er mit seinen Arbeiten fast hausieren gehen, aber heute bestellte man die gewünschten Sujets bei ihm. Nur die Wartezeiten wurden immer länger, er und seine Frau bekamen nun Altersruhegeld und waren deshalb nicht mehr auf einen regelmässigen Verdienst angewiesen. Auch schnitzte er nur noch Heiligenfiguren, am liebsten den Friedefürsten selber. Anders gelagerten Wünschen sagte er ab! So kam es eben, dass in seiner Werkstatt nicht mehr viele Figuren herumstanden, weil ja alle abgeholt worden waren. Es standen nur noch die herum, die er zur Reparatur bekam oder deren Farbe er auszubessern hatte. Im Wohnhaus standen die Figuren, die ihm selber ans Herz gewachsen waren, die er niemals verkaufen würde.

Sein Anwesen stand am Waldrand auf einer kleinen Felsplattform, von welcher man einen herrlichen Rundblick ins grosse, langgezogene Tal geniessen konnte. Traugott hatte Haus und Hof von seinen Eltern übernommen, die eine Bauernwirtschaft betrieben hatten. Aber er wollte den Beruf eines Zimmermanns erlernen, und ging in seinen jungen Jahren auf Wanderschaft und lernte bei einem Meister noch die Holzschnitzerei dazu. Als er wieder heimkehrte, war seine Schwester ausgezogen und wohnte bei ihrem Mann auf dessen Hof. So erbaute sich der Traugott, anschliessend an die Stallungen, eine eigene Werkstatt aus gutem Holz. Lange Zeit arbeitete er als Zimmermann auf den Baustellen im nahen Umkreis und als Bauer bei seinem Vater, bis er seine Frau fand und sie auch heiratete. Es war dies die Dorothea, die allgemein im Dorf als «Thea» bekannt war. Als aber die Altbauern gestorben waren, war sein Name in aller Munde, weil er als Herrgottsschnitzer so bekannt geworden war, dass er letztendlich fast nur noch dieser Arbeit nachging. Es kamen mehr und mehr Käufer ins Dorf und fragten nach der Werkstätte von Traugott Primel. Seine Tiere hatte er verkauft und seine Äcker und Weiden verpachtet. In den Stallungen waren nur noch eine Kuh, ein Pferd für seinen Wagen, zwei Ziegen und ein paar Hühner, die noch im Hof scharrten. Den Hausgarten bewirtschaftete die Thea weiterhin und die Hasen wohnten auch noch da. Ein Hofhund bewachte das ganze Anwesen, passte auf, dass keinem Bewohner ein Unrecht geschähe.

Schliesslich hängte er auch die Zimmerei an den Nagel und widmete sich nur noch der Schnitzerei und den Zeichnungen, die er dafür brauchte. Er verkaufte die grossen Maschinen der Holzbearbeitung und behielt nur noch, was für Haus und Hof dienlich war. Dies war auch der Thea recht, denn noch nie hatte sie den aggressiven, hohen Ton der Hobelmaschine ertragen wollen, der ihr in den Ohren schmerzte. Als alle Maschinen weg und verkauft waren, blieb eine fast leere grosse Werkstatt übrig. Nun richtete sich der Traugott in dieser seine «heiligen Hallen» ein, wie er sie nannte. Man kam durch einen relativ schmalen Korridor herein, der sich zu einem kleineren Vorzimmer verbreiterte. Dort stellte er einen Tisch mit vier Stühlen hinein und nannte diesen stolz den «Besucherempfang». Es gab ihm die Möglichkeit, einem Besucher gegenüber zu sitzen. Dann öffnete sich der Raum zu einer schönen grossen, rechteckigen Werkstatt, die einen kippbaren Zeichnungstisch enthielt, er nannte sie die Zeichnerei. Eine grosse Hobelbank stand in der Schnitzerei und ein grosser Tisch mit vielen Schubladen, Farben und Töpfen, Gläser und Flaschen mit Lösungsmitteln, Leinöl, Verdünnern etc. hatte es in der Malerei. Dabei stand, nahe beim Fenster, eine Staffelei mit einem Drehstuhl, auch gab es einen Drehtisch, den er für die Motivbestimmung brauchte.

In der Sommerzeit, wenn die Luft noch warm und nach frisch geschnittenem Gras roch, und sich der Duft von trockenem Heu darunter mischte, legte der Traugott seine vielen Schnitzmesser aus der Hand, nahm alle Schnitzspäne von Werkbank und Boden auf und schüttete sie in einen grossen Sack, der aufgehoben wurde, eigens um im Winter den Ofen zu heizen. Erst wenn dann sein Arbeitsplatz ordentlich aussah, begab er sich nach draussen, denn vor dem alten Wohnhaus hatte er eine schöne Bank gezimmert, auf die er sich setzte um ins Tal hinunter zu blicken. Diese Zeit liebte seine Thea ganz besonders, sobald er sich gesetzt hatte, war sie auch da und setzte sich neben ihn. Wohl wusste er, dass seine Frau dies liebte und pflegte dann ihre alte Hand zu nehmen und diese in seinen grossen Fäusten zu bergen. Danach, auch das wusste er, lehnte sie ihren Kopf an seine Schulter und war einfach glücklich! Es war wieder ein solcher Moment, in welchem Theas Haupt an seiner Schulter lag, als er nach einer Weile ihre Stimme hörte: „Ach Traugott, warum musst du immer noch den ganzen lieben langen Tag in deiner Werkstatt sitzen? Wir sind doch nun schon über siebzig Jahre alt, wir haben doch zu leben, das Meiste produzieren wir ja selber! Wir könnten doch, wie andere Leute auch, einmal irgendwo hinfahren und uns etwas ansehen, einfach so!“

„Warum um Gottes Willen willst du weg von diesem seligen Ort? Schau doch nur wie hoch wir wohnen! Der Teufel getraut sich nicht in die Berge zu steigen, denn da könnte er dem Herrgott begegnen! Wir gehören zu den wenigen Menschen, die das Privileg haben so hoch zu wohnen, fernab von den Tälern des Teufels!“

Es verstrich eine geraume Weile, dann ergriff er wieder Theas Hand und nach einer weiteren Weile sagte er: „Weisst du Thea, jetzt habe ich deine Frage gar nicht beantwortet warum ich immer arbeiten muss, ich weiss wirklich nicht, wie ich dir das erklären soll, wie ich es auszudrücken habe, was mich antreibt! Irgendwie wartet eine Arbeit auf mich, die noch nicht erledigt ist. Eine Aufgabe ist aber noch nicht an mich gestellt worden, die ich erledigen und ausführen muss!“ Die Thea richtete sich auf und sah ihren Mann an: „Traugott, du bist doch über siebzig Jahre alt! Was soll das für eine Aufgabe sein? Du bist pensioniert, wir essen unser Gnadenbrot, du musst nicht mehr arbeiten!“ „Vor dem Herrn ist niemand pensioniert Thea, die weltlichen Arbeiten interessieren Ihn nicht, es sind andere Aufgaben, die für Ihn wichtig sind, Prüfungen, ich spüre wohl, dass ich kurz vor meiner Aufgabe stehe.“ Thea schaute nun ihren Mann völlig entgeistert an, als verstünde sie ihn überhaupt nicht mehr: „Was redest du denn da? Du hast doch alles getan was getan werden muss, du hast doch auch das Recht, dich auszuruhen! Wenn es keine Herrgottsschnitzer mehr gibt, so werden halt keine mehr gebraucht!“ „Du verstehst nicht was ich meine Thea“, sagte darauf der Traugott, „alles was ich bisher getan und gearbeitet habe, war nichts, ist nichts wert! Es war einfach Arbeit für Lohn, die ich erledigt habe! Ich konnte schnitzen was ich wollte, ich habe manchen Auftrag abgelehnt und nicht ausgeführt, oder ich habe ihn ausgeführt und dafür Lohn bekommen! Nun aber könnte ein Auftrag kommen, der nicht bezahlt oder aber mit hohem Lohn bezahlt würde, so hoch wie noch nie. Einen Auftrag, der mich wirklich fordern wird, der mir den Schweiss auf die Stirne drückt, der mich fast verzweifeln lässt, oder aber, ich schaffe locker was von mir erwartet wird, vielleicht werde ich aber auch daran sterben!“ Nun war die gute Thea sprachlos! Sie sass hoch aufgerichtet da und starrte ihn an, sie sahen beide den Sonnenuntergang nicht, den sie doch sonst immer verfolgten. Dann presste sie heraus: „Traugott, was ist mit dir, du redest etwas, das ich nicht verstehe und auch nicht verstehen will!“ „Ja, wie könntest du auch liebe Thea, ich kann es dir aber nicht anders erklären, ich verstehe es doch selber kaum! Ich habe einfach das Gefühl, ich müsse bereit sein, wenn es zum grossen Werk kommt!“ Thea wandte sich ab, um sich plötzlich wieder ihm zuzukehren: „Du erwartest also gewissermassen einen Gottesauftrag?“ „Ja genau, in gewisser Weise schon, denn richtige Kunst beinhaltet Gotteshilfe. Alles was ohne Gotteshilfe geschaffen wird, ist keine Kunst, so einfach ist das eigentlich, du kannst es besser erklären als ich. Die Figuren, die ich bis heute hergestellt und geschnitzt habe, sind keine Kunstwerke und ich bin kein Künstler, ich kann einfach gut schnitzen und malen. Aber von Gott beseelte Kunst ist etwas ganz anderes und jeder Meister sollte ein Meisterwerk schaffen, wo käme sonst die grosse Meisterschaft her? Wer hätte sonst die grossen Meisterwerke geschaffen, die in den grossen Metropolen, in den Museen zu bestaunen sind?“ „Und warum glaubst du nun, dass dieser Gottesauftrag in Kürze kommen sollte Traugott?“ „Weil ich erst jetzt, leider so spät, erkannt habe was echte Kunst überhaupt ist! Der Mensch kann keine Kunst schaffen ohne Gottes Auftrag, ohne Seine Hilfe! Ich aber habe Zimmermann gelernt und war auch Bauer, habe aber zu jeder Zeit auch geschnitzt, bevor ich also abtreten werde von dieser Welt, wird mir der Herr einen Auftrag zu meinem Meisterwerk erteilen, dessen bin ich mir sicher!“

Thea setzte sich wieder neben ihn hin und lehnte ihr Haupt wieder an seine Schulter. Nach einer Weile sagte sie weiter: „Aber die Figuren die du alle geschaffen hast, werden doch von allen Menschen geliebt und sind begehrt! Ja, sie sind wunderschön, was willst du denn mehr?“

„Ja das stimmt Thea, aber sie leben nicht, sie sind tot! Alles was ich geschaffen habe war einfach Arbeit, keine beseelte Kunst! Aber wenn ich mein Meisterstück von Gott erhalten habe, und Er es abnimmt und es ein Meisterstück geworden ist, so werden alle meine anderen Figuren auch zu Meisterstücken, weil eine Meisterhand sie geschaffen hat.“ „Wenn das so ist Traugott, so will ich mit dir warten und dir beistehen, wenn der Auftrag kommt, so wie ich es eben kann!“

Darauf legte der Herrgottsschnitzer seinen Arm um sie und drückte sie fest an sich und sagte weiter: Das weiss ich, Thea, du hast immer für mich gelebt und ich für dich! Ich muss nur noch mein Meisterwerk schaffen, dann können wir gehen wohin der Herr will! Sein Wille geschehe!“ „Ja Traugott, so wie du sagst, so soll es sein!“

In der Sägemühle

Die nächsten Tage brachten keine nennenswerten Neuigkeiten mit sich, Thea amtete in Haus und Hof, während Traugott in seiner Werkstatt sass, seine feste Lederschürze um sich gebunden, und ein Werkstück zwischen die Knie geklemmt. Unaufhörlich hörte man das rasch folgende Geräusch das verursacht wird, wenn ein geschärfter Stahl das Holz durchschneidet. Zug für Zug zog er das Schnitzmesser gegen seinen Daumen, dem die Schärfe des Messers nichts mehr anhaben konnte, weil auch die Haut zu Leder geworden, so wie die Schürze, die seine Beine schützte. Unaufhörlich fielen die Späne zu Boden oder verfingen sich in den Aufschlägen seiner Hosenbeine. Seine Hände handelten, wie sie immer taten, sie machten alles wie im Traum, immer war es richtig! Sie nahmen auch immer das richtige Messer, bis sie seine Arbeit erledigt hatten, erst dann kam ein anderes zum Einsatz. Hin und wieder stellte er sein Werkstück auf den kleinen, drehbaren Tisch und drehte ihn mit der Hand, wobei seine Augen kritisch auf sein Werk blickten! Dann nahm er es wieder herab zwischen die Knie und es wurden da noch Millimeter abgenommen und dort noch ein Messerzug angebracht. Dann kam es wieder auf den Tisch und wurde wieder gedreht. Seine Hände brauchten nur noch wenig von seinem Denken, aber seine Gedanken brauchten den grossen Rest! Wie würde er handeln können, wenn ein wirklich grosses Werk unter seinen Händen entstehen sollte, wann würde der Herr ihn auffordern, sein Meisterstück zu schnitzen, was würde es sein? Wird der Herr ihn wohl zu jenen zählen, von denen Er ein grosses Meisterstück fordert? Und warum von ihm, hat er denn diese Gnade überhaupt verdient? Würde er wohl als Meister oder nur als Herrgottsschnitzer sterben?

Wieder kam die Figur auf den Drehtisch, die den sterbenden Stephanus darstellte, inmitten der Steine, die ihn zum Tode trafen. Wieder drehte die Figur, der Sterbende am Boden liegend auf die Hände gestützt, den Blick bittend zum Himmel erhoben, von dort um Erlösung heischend. Wieder glitt der prüfende Blick des Schnitzers über sein Werk. Ist der Ausdruck des heiligen Stephanus, diesem grossen Mann gerecht? Zeigt es seine Himmelsnähe? Sieht man, dass sein Geist schon im Himmel weilt und nicht mehr im elenden und zerschlagenen Körper, dass er sich von der Erde losreisst? Dass er die Wunden, die ihm die Menschen zufügen, gar nicht mehr spürt? Sieht man, dass dem Heiligen sein Körper gar nicht wichtig ist, sondern nur der Geist? Dass er weiss, dass die Menschen ihre Hand nur an den Körper legen können, niemals aber an den Geist, der doch heilig ist? Wieder riss das Schnitzmesser nur wenig Holz vom Bild. Wieder drehte es der Schnitzer und sank auf die Knie, um es von unten zu betrachten, dann von oben her, wieder ein Schnitt und noch einer, fertig! Nun wurde das ganze Bild geschliffen und grundiert. Traugott legte die Messer in die dafür vorgesehene Schublade, fegte die Schnitzel zusammen und füllte sie in den Sack. Danach holte er die Farben und Pinsel hervor und mischte die Farben an. Er musste sich nun die Farbtöne überlegen, die er seinem Bild geben wollte. Der Diakon Stephanus war auf dem Bild mit seinen Attributen dargestellt, der Märtyrerpalme und den Steinen, also brauchte er grün für die Palme, rot für das Gewand, grau für die Steine, braun und grün für das Umfeld. Gesichtsfarbe und Augenblau und dergleichen hatte er auf Vorrat! So arbeitete er noch einmal zwei Tage an der Bemalung. Dann erhob er sich und wendete sich dem Holzlager zu. Er wollte ein neues Stück Holz in die Werkstatt holen, denn eine weitere Figur meldete sich in seinem Kopf und er wollte das Holzstück auswählen. Wie er aber ins Holzlager trat, wo er die Hölzer trocken lagerte, sah er zu seinem Schrecken, dass gar kein Holz mehr da war! Es war halt alles verbraucht, bis auf zwei ungeeignete Stücke, die er schon lange besass, aber noch keine Verwendung für sie fand. Dabei war er doch vor kurzer Zeit bei Michel im Sägewerk gewesen!

Er ging in die Werkstatt zurück und setzte sich auf seinen Stuhl. Er rechnete zurück und zählte die Bilder, die er ausgeführt hatte seit seinem letzten Besuch bei Michel. Ja das waren fünfzehn Stücke, die in eineinhalb Jahren verbraucht waren, es stimmte schon! In seinem Geist ging er alle Stücke durch und überlegte, wo sie hingekommen waren. Alle waren sie verkauft, nur der Stephanus war noch hier, aber der war auch schon vergeben, weil ihn der Pfarrer vom Dorf selbst darum gebeten hatte. Morgenabend soll der Stephanus fertig werden! Es waren nun fünf Tage vergangen, nur mit der Bemalung. Traugott gefiel nun der Gesichtsausdruck des Heiligen, auch der Faltenwurf seines roten Gewandes war mit den Stoffschattierungen gut gelungen. Das Brokatteil über der Brust leuchtete in seinem Gold, und auch die Träne der Enttäuschung über die Menschen konnte man gut erkennen. Nun hatte er noch einen Tag zur Verfügung, um alles zu retuschieren und nachzubessern. Danach benötigte es nur noch den Schutzlack um die Farben zu schützen. Den wollte er aufbringen, wenn er von Michel wieder heimgekehrt sei, bis dahin hätten die Farben gut getrocknet.

Am Abend setzte er sich wieder mit Thea auf die Bank vor dem Haus. „Thea“, sagte er da, „ich gehe Morgen mit dem Wagen zu Michel, bleibe eine Nacht bei ihm wenn es geht, und komme einen Tag später wieder nach Hause. Ich habe kein Holz mehr, das ich gebrauchen könnte, kein einziges!“ „Ja Traugott“, sagte die Frau leise, „passe nur gut auf mit dem Pferd! Die Klara ist alt geworden und erschrickt leicht, du solltest ihr Scheuklappen überziehen!“ „Oh nein, es wird schon gehen, der Wagen ist leicht und ich werde nicht viel Holz laden! Ich gehe lieber einmal mehr zu Michel, denn ich brauche mehr und mehr den Kontakt zu ihm, er ist mein einziger Freund geblieben.“ „Du kannst doch auch zu ihm fahren, wenn du kein Holz brauchst“, sagte darauf Thea, „dann musst du nicht Ross und Wagen nehmen, sondern kannst mit dem Postauto fahren. „Ja das könnte ich schon“, entgegnete ihr der Traugott, „aber ich möchte nicht, dass Michel merkt, dass ich ihn brauche!“ „Warum denn nicht? Das ist doch eine Ehre, keine Schande“, sagte die kluge Frau. „Weisst du Thea, Männer haben andere Beziehungen als Frauen, das kannst du nicht verstehen. Ausserdem bin ich in einem Alter, in dem doch einmal das Meisterstück kommen könnte, dann werde ich alle meine Zeit brauchen, dann kann ich auch nicht mehr zu Michel fahren.“ „Was meinst du mit einem Meisterstück? Du hast doch schon so viele gemacht!“ „Einmal kommt ein Stück, an dem ich Meisterschaft erreichen werde, oder aber sterben muss! Wir haben ja schon davon gesprochen!“ Aber die gute Thea hatte eben schon alles wieder vergessen.

Am nächsten Morgen um neun Uhr, nach dem Kaffee, zog der Traugott den einachsigen Wagen aus der Scheune und holte Klara, die alte Stute aus dem Stall und spannte ein. Das Pferd spürte, dass es nun wieder einmal fortgehen sollte und nicht nur auf die Weide, es tänzelte fast wie ein Jungspund. „Brrr, ruhig Klara ruhig“, versuchte Traugott das Tier zu beruhigen, aber es war nervös bis zum Zeitpunkt, als Traugott die Bremse löste und das erlösende «Hüh» aussprach. Der Wagen polterte hart über den natursteinigen Weg und es schepperte arg. An der Wegbiegung schaute er zurück und sah, dass Thea ihm winkte. Er sandte diesen Gruss zurück und wusste, dass sie nun in die Kirche, ins Dorf hinuntergehen würde. Er konzentrierte sich nun aber auf den Weg, den er alleine befuhr, kein fremder Wagen verirrte sich sonst in diese Gegend! Gegen Mittag machte er halt vor einem Wirtshaus und ging hinein. Nach dem Essen fuhr er gleich weiter. Erst am Abend führte ihn sein Weg über einen kleinen Bergrücken, dann sah er unten im Tal Michels Sägewerk, eingekreist von ein paar Häusern, die sich wie Küken um die grosse Glucke scharten. Nun trieb er voller Freude die Klara an: „Hüh hopp, altes Mädchen, da unten ist unser Ziel, da wartet ein Nachtessen und ein Lager auf uns, also lauf Klara!“ Je näher er dem Werk kam, je besser konnte er die Einzelheiten unterscheiden. Bald sah er seinen Freund Michel, wie er zwischen den langen Baumstämmen hin und herging. Er sah ihn mit der Harke einen dicken Stamm drehen, so dass die Sägeblätter dort einfuhren, wo er eben wollte. Bald hörte er das Singen der Säge und die Rufe, die er seinem Gehilfen zurief. Über das Gesicht von Traugott ging nun ein leises seliges Lachen voller Vorfreude, weil er sich ausmalte wie es bald sein würde, wenn Michel ihn erkennen werde.

Die Klara bog bald in den Vorhof des Sägewerks ein. Vor dem Büro hatte es noch alte Stangen, an denen die Bauern früher die Rosse an zurrten. So tat nun der Traugott mit der Klara, er band die Zügel an die Stange, holte einen Eimer mit Wasser im Stall und stellte ihn der Klara vor. Dann aber eilte er in die Sägestrasse und rief: „Hallo Michel, da bin ich wieder, gerade eingefahren!“ „Ja sieh dir das an, der Traugott ist gekommen, ich dachte bald, dass er nicht mehr komme! Jetzt ist er da! Gottseidank! Er sieht gesund aus der alte stämmige Kerl!“

Der Michel, der eigentlich Michael Schrader hiess, war kleiner als der Traugott, er war ein sogenannt «drahtiger» Mann, sein Körper zeigte keine Fettpölsterchen. Auf seinem Kopf hatte er keine Haare mehr, nur ein dünner Streifen der einstigen Haarpracht war ihm geblieben und zierte nun sein Haupt. Er hatte eigenartige, wache Augen und strahlte eine gewisse Güte aus, die einem aufmerksamen Besucher auffallen musste. Michel legte seine Werkzeuge ab, gab seine Harke einem der Gesellen und gab noch einige Anweisungen, zwischendurch rief er: „Traugott ich komme sogleich, in fünf Minuten!“ Aber er kam schon nach zwei Minuten und umarmte seinen Freund, den er so lange vermisst hatte. Danach schirrte er die Klara aus und führte sie in den Stall, gab ihr was sie brauchte und kam danach zurück. „Traugott dir steht dein angestammtes Zimmer zur Verfügung, vergiss also, heute noch zurück zu fahren. “ „Michel, ich bleibe sehr gerne, ich wäre vor zwölf Uhr nachts nicht zurück. Ausserdem habe ich kein Holz mehr, ich wäre Zuhause arbeitslos.“ „Das ist gut, denn ich lege immer die besten Stücke für dich zur Seite, aber du schlechter Kerl, kommst sie nicht abholen!“ „Doch, ich bin doch jetzt da, Michel!“ „Komm mit Traugott, ich muss nur noch die neue Haushälterin anrufen, die alte Anna ist nicht mehr hier, sie konnte die ganze Arbeit nicht mehr bewältigen. Nun sorgt eine Frau aus der Umgebung für mich, das geht gut so, ich bin zwar immer alleine, aber das hat auch seine guten Seiten!“ Im Haus nahm er das Telefon und erklärte, dass er Besuch bekommen habe und fragte ob es möglich sei, das Essen für zwei zu bringen. Nach einer Weile meldete Michel, es gebe kein Problem mehr, alles laufe bestens. „Komm Traugott, jetzt setzen wir uns in die Gartenlaube, ich hole eine Flasche Wein, setze dich doch schon hin.“ Schon kam er mit dem Wein und die beiden Freunde erzählten sich, was sich in der Zwischenzeit ereignet hatte, was sie bewegte und was sie ersehnten. Michel erzählte, dass er sich seit dem Tod seiner Frau ziemlich einsam fühle, dass er aber keine neue Beziehung eingehen könne, denn er würde jede Frau mit der Verena vergleichen, also lasse er es so, wie es eben sei. Plötzlich rief eine Frau vom Haus her, dass das Essen in der Küche stände, alles sei bereit. „Also Traugott, ich hole alles her!“ „Nein Michel, wir machen das zusammen, ich komme mit.“ Bald hatten sie alles bereit und konnten sich hinsetzen und das Nachtmahl geniessen. Beide Männer fühlten sich pudelwohl, freuten sich und schätzten, dass der Andere hier war.

*

Nach dem Essen kamen sie auf die Arbeit zu sprechen. Michel erzählte, dass es nicht einfach sei, gutes Schnitzholz für ihn zu finden! Im Moment gäbe es Arven und Kiefern, auch Tannen, aber Lindenholz nur selten. Er wisse schon, dass es auch andere Stücke gäbe die sich eignen würden, aber natürlich kein Astholz. Das Lindenholz sei von minderer Qualität, eher schwammig und zu weich. Er wisse wohl, dass der Schnitzer hartes Lindenholz am meisten schätzt! „Wie viele Stücke hast du für mich bereitgestellt Michel?“ „Ich muss nachschauen, ich glaube es sind etwa zwölf.“ „Für wie viele Schnitzer bereitest du denn das Holz?“ fragte der Traugott und beobachtete genau, wie er reagieren würde. Michel antwortete: „Es sind mit dir sieben, aber du bist mein Freund!“ „Das meine ich Michel, wie viele Stücke hast du für die anderen bereitgestellt?“ „Zwei für Jeden!“ Michel lachte wohl, als er das sagte, aber der Traugott antwortete: „Ich brauche höchstens fünf, so hast du für die Anderen je eines mehr!“ „Traugott, du bist eben nicht wie die anderen! Bei dir weiss ich, dass du ein Künstler bist. Du bist anders, du denkst anders und redest anders. Du schätzt auch meine Arbeit anders als die Anderen, all das spüre ich doch und darum liebe ich dich auch!“ „Das weiss ich wohl Michel, wie auch, dass auf meinem Haufen nicht nur die meisten, sondern auch die besten Hölzer sind!“ „Und ich weiss, dass du die besten Figuren daraus erschaffst, die anderen schnitzen einfach Holz und es ist schade darum. Du musst nämlich wissen, dass es schade ist um jedes gute Stück, das in eine unwürdige Hand kommt! Ich sehe doch auch wie sie damit umgehen, als ob es nicht auf das Holz ankäme, sondern nur auf sie selbst. Ich gebe ihnen das Holz nicht gerne Traugott, auch wenn sie dafür bezahlen. Schliesslich ist es Gotteswerk, das in ihre Hände kommt und damit hat man würdevoll umzugehen!“ Der Traugott nickte und überlegte sich Michels Worte wohl, er sprach ihm ja auch aus dem Herzen. So räusperte sich und sagte: „Siehe Michel, das ist nicht nur bei mir so, sondern auch bei dir selbst! Du bist ein Sägemeister, die anderen sind Brettschneider! Wenn das Holz aus deiner Säge kommt, weisst du schon für wen das Stück ist, legst es auf seinen Haufen und wartest geduldig bis er es holen kommt. Für jedes gemachte Brett kennst du schon den Bestimmungsort. Natürlich kennst du den Wert des Holzes. Also ist klar, wenn ich eine gute Figur schnitze, so ist es nicht nur mein Verdienst, sondern auch deiner, denn ohne dich hätte ich vielleicht ein schlechtes Holzstück gehabt!“ „Genauso ist es, du bist nicht nur ein Herrgottsschnitzer, sondern auch ein Künstler und Philosoph, durch und durch! Jedes Mal, wenn du zu mir kommst, lerne ich so viel. Es ist mir zumute, als ob ich in deinem Windschatten ginge. Mit den anderen schwatze ich, mit dir aber rede ich, das ist der Unterschied, es ist so interessant mit dir zu reden.“ „Michel, wann glaubst du kommt die Figur, die ich schlussendlich herausschnitze, in das Holz hinein? Ich meine wann ist die Form gegeben, wann ist das Stück bereit, dass es geschnitzt werde?“ „Ach du meine Güte“, rief darauf der Michel. „Ich denke wohl, wenn du einen Entschluss gefasst hast in deinem Kopf!“ „Da liegt eben genau der springende Punkt Michel! Wir wissen es nämlich nicht! Kommt die Idee hinein, wenn das Holz von dir geschnitten wird oder war sie schon darin und du hast um die Idee herumgeschnitten? Oder legt sie der Künstler in das Holz und schneidet sie aus, wie bei einem Scherenschnitt? Oder hat Gott selber die Figur ins Holz getan und sucht nun einen Herrgottsschnitzer, der sie vom überflüssigen Holz befreit?“ „Tatsächlich“, rief der Michel, „wir wissen es nicht. Wir können es gar nicht wissen! Aber dir traue ich zu, dass du es weisst!“ „Wir wissen nichts, wir können nur vermuten und bitten, der Herr möge unseren Geist erhellen.“

„Verrätst du mir, was du vermutest?“ fragte darauf der Michel. „Es ist schwierig zu erklären, mein lieber Freund! Wenn du in die Welt siehst mit offenen Augen und klarem Verstand, so siehst du schon nach kurzer Zeit, dass alles vom Herrn kommt, dass jedes Ding seinen Ursprung beim Herrn hat! Alles was ist und auch Bestand hat, ist vom Herrn geschaffen. Alles was der Mensch gemacht hat, ist lächerlich und hat keinen Bestand, es vergeht, es muss auch vergehen, denn sonst blieben alle unsere Sünden auf der Welt! Ich vermute deshalb, dass die Idee für ein richtiges Kunstwerk von Gott kommt, dass die Form und die Gestaltung ins Holz oder in den Stein gelegt sind, den der Bildhauer dann bearbeitet. Dann wird ein Künstler ausgesucht und bezeichnet, der die Form aus dem Holz oder Stein schneiden soll! Ähnlich ist es beim Maler, die Idee und die Form kommt in den Kopf des Künstlers, der dann alles auf die Leinwand bringt. Ganz klar ist es beim Musiker, Musik komponieren ist schöpfen, denn es war ja vorher noch nichts da, keinen Ton! Der Mensch kann aber nicht schöpfen, also wurde ihm die Musik geschenkt!“ „Ist das nicht wunderbar Traugott? Das rinnt in meinen Verstand wie Honig! Auch ich werde gesteuert, denn ich muss das rechte Material finden und richtig schneiden! Herrlich“, rief der Michel eins übers andere Mal. Er versank eine Weile in seinen Gedanken, dann hob er seinen Kopf wieder und meinte: „Sage mir Traugott, wohin geht die Musik, nachdem sie gehört wurde? Sie ist vergänglich, dass wir sie aufnehmen und wieder abspielen können ist schnöde Technik. Eigentlich ist die Musik nur einmal zu hören, und wenn sie gehört ist, ist sie weg“ „Da ist ein Unterschied zwischen dem Komponieren und Spielen, lieber Michel. Der Komponist und der Virtuose sind meistens zwei verschiedene Künstler. Dem Komponisten wurde das Geschenk in die Seele gelegt, dem Virtuosen ins Herz und in die Hände. Das ist vergleichbar mit dem Dichter oder dem Autor, ihm sind die Geschichten in die Seele gelegt worden, dem späteren Erzähler ins Herz und in den Mund. Man muss dazu den Unterschied zwischen einer Schöpfung und einem Werk begreifen. Obgleich beides seitlich ineinander verläuft. Einzig Gott kann Schöpfen, der Mensch kann lediglich ein Werk erstellen. Eine Schöpfung ist unvergänglich, ein Werk ist dem Tod geweiht. Wenn nun ein Werk von Gott gekommen ist, so hat es der Komponist in Noten gefasst und diese Noten sind geschützt von drüben, sie werden vervielfältigt und an sichere Orte gebracht! Sie können so immer wieder erlernt und gespielt werden von jungen Virtuosen.“

„Aber bleiben wir bei der Skulptur oder beim Schnitzwerk, Traugott, von Holz verstehe ich zwar etwas, aber ich weiss, dass du mir noch vieles sagen könntest, so dass ich die ganze Laufbahn des Holzes überschauen und verstehen könnte. Meine Bildung ist einfach und mein Denken auch, ich habe auch schon ein Holzstück genommen und zu schnitzen versucht, aber musste es kläglich aufgeben! Ich habe nichts gespürt, so wie du es mir erklärt hast!“

„Weisst du Michel, das Wichtigste ist, dass dir klar wird, dass du selber eben nichts vermagst, weil alles von oben kommt und Gnade ist. Wo und wie, und wodurch nun diese Gnade, diese Form geschenkt wird, spielt keine grosse Rolle, aber dein Glaube an dein Geschenk spielt eine grosse Rolle! Wenn du von ganzem Herzen glaubst, dass die Figur, die du in deinem Geist gesehen hast, nun in diesem Stück Holz gebannt, darin eingeschlossen ist und sich nun zu befreien sucht, und du als Einziger das Werkzeug dazu besitzt, um diese Figur aus ihrer Materie zu befreien und nun mitverfolgen darfst, wie die Figur Schnitt für Schnitt aus dem Holz «kommt», so ist das so befreiend und erhebend, halt eben so, wie wenn du wirklich einen Menschen befreien dürftest! Stelle dir einmal vor Michel, du wärst ein Steinbildhauer und hättest einen grossen Stein vor dir, gerade so gross wie du selber bist. Nun gehst du um den Stein herum und umarmst ihn, dann nimmst du einen Stuhl und setzt dich in einiger Entfernung hin. Nun sieht dein Auge plötzlich die Göttin Aphrodite in dem Stein stehen mit ihrem langen Haar und den unglaublich weiblichen Formen. Du kannst sie sehen solange du willst, du kannst dir jedes Detail merken! Die Göttin selber aber, sie sieht auch dich, und ihr bittender Blick sagt dir, du möchtest sie befreien, Tausende von Jahren sei sie nun in dieser Steinmaterie gefangen gewesen und sie dränge nun aus dem Stein! Du siehst ihre Anstrengungen, kannst sie mitverfolgen. Dir wird klar, dass du der Einzige bist, der die schöne Göttin zu befreien vermag! Mit diesem Bild musst du nun leben, Tag und Nacht! Jeder Fortschritt den dein Meissel macht, ist ein Stück zur Befreiung hin. Glaubst du nun, dass du arbeiten wirst, gleichsam wie besessen? Glaubst du mir, dass die abgeschlagenen Steinfragmente nur so fliegen werden? Dass deine Hände bluten werden vor lauter Liebe und Befreiungslust? Dann aber, wenn du der Göttin auf den Leib rückst, wirst du zahm und zärtlich werden, deine Hände werden vorsichtig zu klopfen wissen, denn du willst sie ja nicht verletzen!“ Michels Augen waren bei dieser Rede immer grösser geworden und an Traugotts Mund gehangen, atemlos hatte er ihm jedes Wort von den Lippen gesogen. Die gleiche gespannte Besessenheit im Gesicht Traugotts spiegelte sich wider in Michels eigenem Gesicht, ja die Spannung und die Kraft aus Traugotts Rede war übergesprungen auf den Freund. Seine Hände, die an das Zupacken gewohnt waren von den schweren Stämmen, verkrallten sich nun in das Geflecht des Stuhles! Wie im Krampf hielt es ihn gebannt, bis er sich lösen konnte, dann aber sagte er: „Traugott, ich weiss dass du der beste Holzschnitzer bist weit und breit im Lande. Ich weiss, dass die Menschen mit Ehrfurcht deinen Namen nennen, besser als du kann keiner die Messer führen! Im Stil und Ausdruck deiner Werke wird dich niemand übertreffen! Du hast also erreicht, worauf du hingearbeitet hast, du bist der Beste! Ich kann nun auch deine Besessenheit nachvollziehen. Was also treibt dich noch an, auf was wartest du noch? Kläre mich auf, Traugott!“ Inzwischen war es dunkel geworden und der Michel langte ein Windlicht hervor, entzündete es und stellte es auf den Tisch. Der Herrgottsschnitzer wusste, dass der Sägemeister niemals aufgeben würde, wenn er etwas wissen will. So antwortete er: „Du triffst den Nagel auf den Kopf Michel. Gerade habe ich dies der Thea erklärt. Ich warte auf mein Meisterwerk! Als ich ihr dies erklärte, ist sie sehr erschrocken. Es muss etwas geben das mich derart fordern wird, dass ich es entweder schaffe oder daran zugrunde gehe! Eines weiss ich, dass ich sofort merken werde, wenn mein Meisterwerk kommt, vermutlich wird es schon im Holz drin sein, wie ich dir das vorher erklärt habe, es wird ein spezielles Holz sein, ich werde es dem Holz schon ansehen, wenn es soweit ist!“ Ein Schrei entfloh nun den bleichen Lippen des Sägemeisters, er war aufgesprungen und sein ganzes Gesicht wurde bleich und blass, er hielt sich an der Tischkante fest, dass er nicht neben den Stuhl falle. Mit stierem Blick starrte er seinen Freund an und brachte aber kein Wort heraus. „Was um Gottes Willen ist mit dir, Michel? Sage es mir schnell, sonst hole ich einen Arzt!“ Aber der Michel fasste sich nur langsam wieder und nach zweimal leer schlucken brachte er folgendes heraus: „Traugott, dein Meisterholz ist schon da, es liegt im Schuppen auf dem Haufen, der für dich ist!“ „Was redest du da Michel“, fuhr es Traugott heraus.

Aber der gute Michel war so aufgeregt, dass er kaum sprechen konnte: „Es ist da Traugott, glaube es mir, jetzt wo du das so erklärst, fällt es mir wie Schuppen von den Augen! Ich habe noch niemals ein schöneres Lindenholz gesehen! Es war nur ein kurzes Stück! Oben und auch Unten war es angesengt, der Bauer brachte es mir aber trotzdem, er meinte, man könne es ja versuchen. Wenn ich es fortwerfe, wolle er kein Geld dafür haben. Und als ich es geschnitten habe, ach, da kam das schönste Holz zum Vorschein. Ich habe noch nie so ein Lindenholz gesehen, es war nicht hell wie sonst, sondern rötlich, in manchen Farben schillernd, schöner als Nussbaum, doch heller, ich kann es gar nicht beschreiben! Und das Verrückteste ist noch, es war ein dicker Stamm, oder das Fragment eines Stammes, es ist nur ein Stück so schön von dem Stamm, der Rest ist normales Lindenholz, nur eines ist so schön, ich habe es für dich geschnitten.“ „Warum sagst du das erst jetzt“, fragte Traugott, „wir hätten doch früher noch schauen können, jetzt ist es finster!“ „Ich wusste doch vorher von gar nichts, erst als du davon gesprochen hast, dass du so ein Holz erwartest! Aber ein Moment, es kommt mir noch etwas anderes, noch viel Verrückteres in den Sinn, das Stück riecht allerdings nach Schwefel!“ „Warum denn nach Schwefel? Frisches Holz riecht doch nicht nach Schwefel!“ „Ich weiss doch von alldem nichts Traugott, vielleicht ist es in einem Schwefelbottich gelegen oder sonst was, ich weiss es nicht!“ „Nun gut Michel, wir wollen es für heute ruhen lassen. Wir gehen Morgen zusammen und schauen uns die Sache an, vielleicht riecht es ja Morgen schon nicht mehr nach Schwefel.“ Nun begleitete Michel seinen seltenen Gast in sein Gästezimmer und verabschiedete sich für heute: „Gute Nacht Traugott, wenn es das Meisterstück ist, freut es mich, dass du es von mir hast!“ „Gute Nacht Michel, wenn ich eines bekomme, dann natürlich von dir!“

*

Schöner kann einem der Morgen nicht wecken, genüsslich streckte sich Traugott im Gästebett seines Freundes. Er hörte das überschwängliche Konzert der gefiederten Freunde des Himmels, so üppig war es im Bergdorf oben nicht, wie hier im Tal unten! Auch der Bach, der von den Bergen kam und die Sägemühle antrieb, sang sein ewiges Lied. Traugott erhob sich von seinem Lager und stiess die Läden auf, da sah er Michel in der Laube unten, wie er das Morgenmahl auftrug. „Guter Freund“, murmelte er, seine Züge wurden heiter und so nahm er sein Waschzeug unter den Arm und ging zum Brunnen hinaus. Er wusch sich mit dem herrlich kalten Wasser, das auch von den Bergen herabkam und zog sich dann sein Hemd über. Frisch und fröhlich ging er nun an den Morgentisch, wo er den Michel herzlich begrüsste.

Alles hatte der Michel zum Kaffee besorgt, frisches Brot, Eier, Käse, Konfitüre, alles was das Herz begehrte. Sie liessen sich Zeit beim Essen, keiner von Beiden erwähnte aber das Holzstück von gestern! Keiner nahm nur ein Wort vom gestrigen Gespräch in den Mund. Die Säge lief schon eine ganze Weile, Michels Gesellen waren schon lange ohne ihn an der Arbeit. Etwa nach einer Stunde erwähnte Traugott, dass er an die Heimfahrt denken müsse. So erhoben sie sich von ihren gemütlichen Sitzen und betraten schweigend den Lagerschuppen, nicht etwa den Stall, wo Klara seiner harrte. Traugott ging zielgerade zu seinem Haufen hin, obwohl er ja nicht wusste, welcher es war! Er trat zu dem Haufen und nahm gerade das fragliche Stück in seine Hände. „Wunderbar“, sagte er ein über das andere Mal zum Michel, der leise neben ihn getreten war. Er drehte und wendete das Holzstück in seinen Händen, seine Finger fuhren liebevoll über die dunkleren Stellen, die es doch im Lindenholz sonst nie gab. Das Holz aber schillerte genauso, wie es Michel am Abend erwähnt hatte. Dann aber stieg auch Traugott der Schwefelgeruch in die Nase. Er führte das Stück an seine Nase und sagte dann: „Du hast Recht Michel, es riecht nach Schwefel! Du sagtest, dass du mehrere Stücke aus dem Stammfragment geschnitten hättest? Hast du denn die Stücke noch?“ „Ja, eines ist dieses hier, das habe ich auch auf deinen Haufen gelegt, die beiden anderen sind da, und das andere dort.“ Er wies dabei auf zwei andere Haufen. „Du hast also vier Stücke aus dem Stamm geschnitten?“ „Ja, diese vier“, bestätigte der Michel. Traugott trat nun wortlos zu allen Stücken, die ihm Michel bezeichnet hatte, er nahm alle in seine Hände und roch daran. „Es riecht wirklich nur das Eine! Die anderen sind ganz normale Lindenstücke. Du bist dir sicher, dass diese vier alle ein Stück waren? Ist dieses, mein Stück nicht aus einem anderen Stamm?“ „Nein Traugott, ich konnte es ja selber kaum fassen. Meine Säge ging scheinbar wirklich genau an der rötlichen Grenze durch. Kein Schimmer des rötlichen Holzes ist auf die anderen Stücke gekommen, umgekehrt auch kein heller Schimmer auf das Rötliche! Und die anderen Stücke schillern nicht wie dieses und sie riechen nicht wie dieses! Anfangs habe ich nur den Kopf geschüttelt, aber als du gestern vom Meisterstück gesprochen hast, bin ich beinahe umgefallen vor lauter Schrecken!“ Der Traugott stand da mit dem rötlichen Stück in den Händen. Sein Blick war auf das Holz gerichtet, Schweisstropfen traten auf seine Stirn und er wurde bleich!“ „Michel, ich muss mich setzen!“ Sofort rannte Michel los und kam alsbald mit einem Stuhl daher. „Was ist nun, Traugott? Was ist mit dir? Lasse mich nicht im Ungewissen, ich leide zu sehr mit dir!“ Der Traugott setzte sich nieder und wischte sich den Schweiss von der Stirne. „Michel, ich habe so etwas noch niemals erlebt! Sonst, also bis anhin, wenn ich ein Holzstück betrachtet hatte, ist mir darin eine Figur erschienen. Deshalb habe ich nicht gerne auf Bestellungen gearbeitet, ich durfte vorher nicht in das Holz hineinsehen, weil ja die Figur gegeben war. Ich musste also zu schnitzen anfangen, ohne das Holz vorher zu betrachten!“ „Und jetzt Traugott, was ist jetzt? Was siehst du denn?“ „Jetzt sehe ich zwei Figuren!“ „Du musst also zwei Figuren schnitzen?“ „Nein Michel, sie kämpfen miteinander! Das Bild ist ein Kampf!“ „Oh mein Gott, ich kann dir nicht helfen Traugott“, jammerte nun der Michel und ging langsam der Türe zu. „Du verstehst nicht, Michel, die Figuren kämpfen darum, aus dem Holz geschnitzt zu werden, jede möchte geschnitzt werden anstelle des Anderen!“ „Willst du das Holz nicht mitnehmen Traugott?“ „Aber doch, natürlich Michel, wie du vermutet hast, es ist doch mein Meisterstück!“

Die Rückkehr

Nun ging es ziemlich schnell, der Traugott holte die Klara aus dem Stall und schirrte sie ein. Der Michel trug die Hölzer auf den Wagen und zurrte sie fest, so dass seinem Freund keines davon verloren gehen konnte. Das Schwefelholz legte er in die Mitte und je zwei andere links und rechts. Danach bezahlte Traugott die Holzrechnung, für das Schwefelholz wollte der Michel aber kein Entgelt. Er sagte, er müsse ihm die Freude lassen, dass er ihm das Meisterstück schenken dürfe. Nach einer kurzen Umarmung der Männer setzte sich die Klara in Bewegung. Lockeren Schrittes ging das alte Mädchen heimwärts, als ob sie spürte, dass es nun zum heimatlichen Stall ginge. Der Traugott wählte wieder ruhige Wege mit seinem Schritttempo. Er mochte es nicht, wenn Autos an ihm vorbeibrausten. So sass er auf seinem Einachser und dachte über das merkwürdige Holz nach. Was verlangte das Stück von ihm? Bis jetzt war immer er es, der bestimmt hatte. Nun würde also das Holz bestimmen! Aber der Schwefelgeruch, er konnte doch keine Skulptur machen, die dann nach Schwefel riecht! Die wäre ja unverkäuflich! Das erste Mal hatte er keine Ahnung, was er aus diesem Stück Holz schaffen sollte. Sonst hatte er immer zu viele Ideen und konnte doch nur eine ausführen. Die anderen Hölzer kamen ihm gar nicht erst in den Sinn. Alles drehte sich nur um das rötlich schillernde Holz!

Er machte wieder im gleichen Landgasthof eine Mittagspause. Nach dem Essen trat die Bedienung an seinen Tisch um abzuräumen. „Sind ihre Geschäfte nicht gut gelaufen?“ fragte sie ihn. „Doch, wieso kommen sie auf so einen Gedanken?“ „Gestern stand ihnen die Fröhlichkeit im Gesicht und heute sehen sie nach Kummer aus, sie machen einen nachdenklichen Eindruck!“ „Nein, es ist mir sogar sehr gut gegangen, ich bin nicht betrübt, höchstens nachdenklich, wenn man mir so etwas ansieht!“

Er liess die Klara nicht lange warten, sie zogen nun bergaufwärts, der Heimat entgegen. Traugott freute sich. Bei seiner Ankunft wird die Thea aus dem Haus treten und ihn empfangen, sie wird das Getrappel der Klara hören und sich freuen. Alles wird wieder seinen gewohnten Lauf nehmen, denn er hatte wieder Holz und somit seine Arbeit. Er wird morgens das Haus der Thea überlassen und in die Werkstatt ziehen, sich am Mittag zu Thea an den Tisch setzen, um dann erst am Abend wieder ins Haus zurückzukehren.

Als erstes würde er für jedes Holz die Sujets bestimmen, das freute ihn am meisten. Er würde seinen Drehtisch in die Mitte der Werkstatt stellen und darauf eines der Hölzer platzieren. Dann würde er es anschauen, wenden und wieder anschauen, bis er das Bild sehen würde, das ihm das Holz zeigen wird. Oftmals war es schon vorgekommen, dass er einen Heiligen im Holz erscheinen sah, aber gar nicht wusste wer das war, bis er anhand der Attribute herausfand, um wen es sich da handelt. Er würde also für jedes der fünf Hölzer ein Sujet bestimmen, dann würde er eine Zeichnung davon anfertigen, dass er sich sicher wäre, von welcher Seite her er schneiden müsse. Es könnte auch sein, dass er gleichzeitig an zwei oder sogar drei Skulpturen arbeiten würde, aber das wird er dann sehen.

Das Leben mit siebzig ist so herrlich, ich darf arbeiten, muss aber nicht, weil nichts mehr davon abhängt. So dachte er, und vor ihm ging die Klara in ihrem Trott. Wohl bin ich am Ende meines Lebensweges, aber mein Körper ist noch fähig, alle Bewegungen zu machen, wohl gehe ich langsamer als früher, aber ich gehe! Die Klara vor mir geht auch langsamer als früher, aber auch sie geht! Es ist kein Stillstand eingetroffen! Wir gehen, also ist alles gut? War es das wert, was mein Leben ausgemacht hat, die paar Dachstöcke gezimmert und die paar Heiligenfiguren geschnitzt zu haben? Habe ich deswegen auf die Welt kommen müssen? Die Klara vor mir kam auf die Welt, um mir zu dienen und ich habe sie dafür gut zu behandeln! Aber ich, wem diene ich denn? Diene ich der Thea? Nein, sie dient eher mir! Diene ich etwa einfach mir selber? Oder diene ich Gott? Diene ich Ihm, wenn ich es Arbeit für meinen Unterhalt, kein dienen! Was also muss ich tun um Gott zu dienen? Ich habe nicht mehr viel Zeit, in meinem Leben ist es Herbst geworden, bald kommt der Winter und dann ist Tod! Und der Tod ist zu überwinden!

Da ging die Klara plötzlich langsamer und blieb schliesslich stehen! Ihr Atem ging schwer, das Tier schwitzte. Der Traugott stieg vom Bock und rieb die alte Stute mit einem Lappen ab. „Was ist denn mit dir Klara? So alt bist du nun auch wieder nicht! Das ist der kleinste Wagen den wir haben. Und das wenige Holz kann es nicht sein, das dich schnaufen lässt!“ Als er aber wieder aufsass und „Hüh Klara, es ist ja nicht mehr weit“ rief, kam Klara nicht mehr weg! Alles zureden half Traugott nichts, so stieg er wieder ab und half der Klara anschieben. Die Klara zog am Wagen und Traugott schob, aber sie brachten den Wagen auch gemeinsam nicht mehr weg. So überprüfte er, ob etwa die Räder blockiert seien, aber er fand sie in bester Ordnung. Die Ladung blockierte auch nicht, er schob die Hölzer wieder ordentlich hin, aber das Schwefelholz liess sich nicht bewegen, er wollte es ein wenig anheben, aber er brachte es nicht vom Wagen hoch. Er hörte, dass der Wagen in den Fugen ächzte unter seiner Last. Nun traten ihm Schweissperlen auf die Stirn. Das konnte ja überhaupt nicht sein! „Was schleppe ich denn da nach Hause?“ fragte er sich selber, „was mache ich jetzt? Das ist ja Teufelszeug!“

Er versuchte es noch einmal, aber der Wagen rührte sich nicht von der Stelle. Er drehte an den Speichen, schob von hinten an, die Klara gab ihr Bestes, aber es nützte einfach nichts!

„Ich muss wohl das Schwefelholz abladen“, sagte er endlich, doch er vermochte das Holz nicht zu bewegen, obwohl er es losgebunden hatte. Ausserdem sah er das schöne Holz, wie es rötlich schillerte, liebevoll glitten seine Finger über die Maserung. Er wusste nicht mehr, was er machen sollte. So dachte er und fiel auf die Knie, hielt sich die Hand auf die Brust und sagte mit erhobenem Blick: „Herr, hilf Du mir, ich vermag nichts!“ Da zog die Klara plötzlich wieder an und der Wagen rollte wieder, der Traugott sprang nach, und schwang sich auf den Bock, so ging es weiter der Heimat zu!

Als sie schliesslich um den Bergrücken kamen und Haus und Hof vor ihnen lag, klopfte Traugotts Herz schneller, auch Klaras Getrappel ging etwas schneller, beide freuten sich auf den Heimathafen. Nun ging im Haus die Türe auf und Thea stieg die zwei Stufen herab und winkte mit ihrem Taschentuch, da stiegen dem Traugott die Tränen in die Augen und er sprach zu sich selber: „Was könnte ich Schöneres haben als das, was ich habe?“

Nach der freundlichen Begrüssung und den Umarmungen flog Theas Blick über die Ladefläche des Einachswagens. Sie begutachtete die Einkäufe ihres Mannes. Dabei blieb ihr Blick am Schwefelholz hängen, sie stellte sich hinter den Wagen und ihre Finger glitten wie tanzend über das rötliche Holz. „Wie das schillert! Was hast du da für ein Holz gekauft? Es ist so schön, davon möchte ich ein Brotbrett haben!“ „Es ist Lindenholz Thea, wie das andere auch, es ist Schnitzholz und nicht für ein Brotbrett geeignet!“ „Das ist doch kein Lindenholz Traugott, Lindenholz hat noch nie so ausgesehen, du willst mir bloss kein Brotbrett schneiden. Aber es riecht scheusslich nach Schwefel!“

„Nein, Thea, es ist Lindenholz, der Michel hat es extra für mich aufgehoben und zur Seite gestellt, ich will dir nach dem Nachtessen die Geschichte erzählen.“

Und so kam es auch. Zuerst wurde die Klara versorgt und ihre Futterkrippe gefüllt. Dann wurde der Wagen abgeladen, die Hölzer ins Lager gebracht und am Ende kam der Wagen in den Schuppen. Dann schritt der Traugott an den Küchentisch, wo eine Bratwurst mit Rösti auf ihn wartete. Danach erzählte er haarklein, was er erlebt und wie alles gegangen sei, wie alles mit dem Schwefelholz geschah, was der Michel gesagt und getan habe. Die Thea hörte genau zu, sie war immer schon interessiert an den Belangen, die ihren Mann angingen, aber jetzt hörte sie direkt atemlos zu, bis sie die Dunkelheit zwang ein Licht zu holen. „Du hast schon kürzlich zweimal von einem Meisterwerk gesprochen, an dem du sterben könntest! Traugott, das alles macht mir Angst! Lass die Finger von solchen Sachen, sie sind nicht für einfache Leute, wie wir sie sind!“

Das rötliche Holz

Am nächsten Morgen, als Traugott die Türe zur Werkstatt aufschloss und eintrat, war ihm unwohl. Er freute sich nicht wie sonst auf seine Arbeit. Das Bild vom Stephanus war nun fertig, es stand abholbereit auf einem Nebentisch für den Herrn Pfarrer bereit, falls er es haben wollte. Natürlich könnte er es ihm auch bringen, aber wenn es noch eine kleine Änderung gäbe, müsste er das Bild nochmals heimtragen und dann wieder bringen. Also wäre es doch besser, wenn der Herr Pfarrer vorbei käme und sich sein Werk erst an ansähe.

Warum nur sträubte er sich ans neue Werk zu gehen, alles war doch wie immer. Es galt nun, die Figuren zu bestimmen, die er schnitzen wollte, das fiel ihm doch noch nie schwer! Er ging zum Lager und holte das erste Holzstück herein, stellte es auf den Drehtisch und besah es von allen Seiten. Er drehte es hin und her, dann wieder zurück und liess es auf ihn wirken. Dann schob er es wieder ein wenig vor und doch wieder zurück. Nach einer Stunde sah er die Figur deutlich, es war Maria Magdalena, wie sie zu Füssen des Herrn sitzt und Seinen Belehrungen zuhört. Auch ihre Schwester Martha sah er, wie sie heran tritt, um sich beim Herrn zu beschweren. Es war ein wunderbares Bild, das er da sah und sofort nahm er den grossen Zeichenblock hervor und begann zu zeichnen, so wie er es im ersten Augenblick gesehen hatte, denn seine Erfahrung war, dass der erste Augenblick des ‘Sehens’ der Beste ist. Die Zeichnung gelang wunderbar, denn sie ergab drei Gesichtsstufen. Denn oben im Bild war Marthas Gesicht, da sie neben Jesus stand, in der Mitte war das Antlitz des Meisters, weil Er auf dem Stuhl sass und unten war Marias Gesicht zu Ihm erhoben, da sie zu Füssen des Meisters sass und seinen Worten zuhörte.

So verging der erste Tag, es wurde eine sehr schöne Zeichnung, die er am Abend in den Händen hielt. Erst jetzt begann er damit, das zu schnitzende Bild einzuteilen, was aus dem Block zu schneiden ist und was separat geschnitzt werden muss, um nachher ins Gesamtbild einzusetzen. Erst als alle Figuren mit ihren Körpern in dem Bild festsassen, begann er sich die Gesichter zu überlegen. Vom Herrn Jesus wusste er, dass ein Gott, wie es Jesus war, wunderschön gewesen sein muss! Darum kann das Turiner Grabtuch nicht echt sein, weil der Mann der da abgebildet ist, eben nicht schön ist. Maria und Martha waren Schwestern, deshalb durfte er sie ähnlich gestalten, auch ihnen zeichnete er schöne Frauengesichter, denn Maria wird ja als selten schöne Frau beschrieben. Am Abend nach dem Abendessen nahm er alles Geschriebene hervor, was er über Maria und Martha besass. Denn es könnte ja sein, dass ihm etwas Wichtiges entgehen würde das er hätte einsetzen müssen. So war es auch mit dem Umstand, dass Maria von Magdalum dem Herrn die Füsse mit ihren Tränen wusch und sie danach mit ihren Haaren trocknete. Welcher grosse Geist musste also auch diese Frau sein, die sogar mit der Gottesmutter am Kreuze Christi stand und die als Erste bemerkt hatte, dass Jesu Grab leer war, dass Jesus im Geiste auferstanden war.

Am nächsten Morgen trat er wieder in seine Werkstatt um den zweiten Holzrohling zu bestimmen. Sein Auge wählte nun aus vier Hölzern aus. Argwöhnisch blickte er auf das Schwefelholz: „Nein, heute noch nicht“, sagte er zu sich selber. Er wählte einen Holzrohling aus und stellte ihn auf den Drehtisch. Wieder kam das ganze Prozedere mit dem drehen und wenden. Da sah er deutlich das Kreuz mit dem leidenden Jesus daran, am Kreuz stand Joseph von Arimatija, der das Blut Christi, das aus der Lanzenwunde rann, auffing mit einer goldenen Schale, mit silbernen Verzierungen. Also mit der Schale, oder Kelch, die später auf wundersame Weise zur Gralsschale wurde. Traugott freute sich sehr, dass die ersten beiden Bilder so nahe verwandt waren, ja also eng verbunden waren, und insgeheim gebar der Wunsch in ihm, es möchten doch alle fünf Bilder so eng verbunden sein, dass das Ganze wie zu einer lebendigen Geschichte würde.

Froh darüber, dass er die heikle Bestimmung schon geschafft hatte, machte er sich an die Zeichnung des Bildes. Es war noch nicht Mittag, Thea hatte ihn noch nicht gerufen, aber er war schon am Zeichnen und kämpfte mit den Grössen der einzelnen Bilder, denn das Kreuz war ja grössenbestimmend, das den Rohling ausfüllen sollte mit seinen Enden. Bald nach Mittag begann er mit der Figur des Joseph, von dem er lediglich wusste, dass er ein Edelmann gewesen war, der sein eigenes Grab an Jesus abgetreten hatte. Wieder würde er bis zum Abend die Zeichnung fertig haben. Am späteren Abend wollte er über Joseph nachlesen, ob er noch etwas Wichtiges fände, das in sein Bild gehöre und einfliessen sollte. Die Zeichnung wurde auch sehr schön, es gelang ihm auf Anhieb, die richtigen Grössen, die richtigen Proportionen und Schattierungen einzusetzen. Er freute sich auf das Gewand des Joseph, das in allen Bildern die er kannte, als verziertes Brokatgewand dargestellt wurde. Wichtig war ihm auch der Kelch, ob er ihn als Silber, Gold oder aber Blechkelch darstellen sollte. Über dieser Frage grübelnd, betrat die Thea die Werkstatt um zu melden, dass das Abendbrot bereit sei und es nun Feierabend wäre.