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Man kann erst wissen, ob es die wahre - die einzige - Liebe ist, wenn man es erlebt hat. Wenn man sein Leben gelebt hat.
Elena hat in ihrem Leben alles, was sie braucht. Eine tolle Familie, super Freunde und einen Job, den sie liebend gerne ausübt.
Und doch ist da etwas, das ihr fehlt. Die Liebe. Liebe, die erwidert wird. Denn sie ist seit langem schon in ihren besten Freund verliebt, er aber leider nicht in sie.
Plötzlich nimmt alles eine Wendung, aber nicht so, wie die junge Frau es sich vorgestellt hat. Es scheint, als würde ihr Liebesglück erfüllt, steht fortan aber unter einem dunklen Schatten.
Und was, wenn sich das Herz plötzlich gar nicht mehr sicher ist, wen es wirklich liebt? Denn da ist auch noch Bastian. Der Mann, der ihr vor Jahren den ersten Kuss gestohlen hatte …
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Jeder Mensch kommt mit einem speziellen Schicksal auf die Welt.
Er hat etwas zu vollbringen, eine Nachricht zu vermitteln, eine Arbeit fertigzustellen.
- Osho
Elena war das Grinsen nicht aus dem Gesicht zu bringen. Sie war mit ihren besten Freunden Sven und Nina auf dem Weg zu ihrem Lieblingsplätzchen in Vorchdorf. Es war der erste heiße Sommertag in diesem Jahr. Kein Lüftchen ging, das irgendwie unangenehm werden konnte und den Aufenthalt am Flussufer der Alm verhinderte.
Es war die Idee von Elena selbst, diesen Samstag hier zu verbringen. Sie hatte einen von sehr seltenen freien Samstagen. Sie arbeitete in einem kleinen, exklusiven Blumengeschäft, wobei sie sich manchmal schon fragte, warum sie sich für diese Lehre entschieden hatte. Besonders kreativ war sie ja nicht - zumindest im Vergleich zu anderen Floristen. Aber sie liebte den Kundenkontakt in Verbindung mit den Schnittblumen und noch lebenden Pflanzen. Der Geruch jeden Morgen, wenn sie in das Geschäft kam. Herrlich.
Das Blumenfachgeschäft hatte auch samstags geöffnet, und der Dienst fiel alleine Elli zu, da ihre Chefin Jana zwei Kids hatte, die ihrer Pflege bedurften. Das Mädchen war fünf und der Junge fast zwei Jahre alt. Beim Mädchen gab es keine großen Hindernisse: Die Wohnung der Familie lag im selben Haus wie das Blumengeschäft und das Lebensmittelgeschäft des Vaters. Sie turnte meist ohnehin dort herum. Der kleine Mann aber brauchte schon etwas mehr Obhut. Und da Janas Mann in seinem Geschäft voll eingespannt war, lag es an ihr, den Samstagsdienst zu übernehmen. Unter der Woche war der Junge in der Krabbelstube, das Mädchen ging in den Kindergarten.
Zum Glück war der Laden aber nur bis zwölf Uhr geöffnet, in dem kleinen Dorf auch völlig ausreichend. Im Sommer aber war auch das schon zu lange, denn wer kaufte bei dieser Hitze schon Blumen, von Dingen für die Gartenarbeit ganz zu schweigen?
Jana hatte entschieden, dass sie diesen Tag allein schaukeln konnte. Elena war entzückt, und stellte sich den kleinen Jungen vor, wie er mit dem Blumenwasser spielte. So eine Chefin hatte auch nicht jeder, von Berufschulkolleginnen hatte Elena da schon einiges anderes mitgekriegt.
Sven, der achtzehnjährige Blondling, hatte auf ihren freien Tag mit einem Jauchzer und dem Aussenden einer Gruppen-SMS reagiert. Elenas Gruppe aus Freunden bestand aus sechs Köpfen, alle davon stammten aus Pettenbach und Vorchdorf. Elena war als einzige von weiter her, mit dem Moped waren es zwanzig Minuten Fahrt. Nina, hatte sie es zu verdanken, hier gelandet zu sein. Sie hatten sich im polytechnischen Jahrgang kennengelernt und waren seither unzertrennlich, durch ihre raue aber weltoffene Art und der Eigenschaft, Menschen und Dinge so zu nehmen, wie sie waren, hatte Elena nicht lange überlegen müssen, ob sie einen Platz in ihrem Herzen bekam. Nicht lange nach ihrem näheren Kennenlernen hatte Nina Elli in ihre Clique eingeführt und zum Herzstück gemacht, so nannten sie zumindest einige von ihnen.
Der Großteil der Freunde war Feuer und Flamme für die Idee. Derzeit war aber noch keiner da. Elena und ihre zwei liebsten Begleiter waren die Ersten. Sven ließ seinen Rucksack fallen und sauste nach vor, während Elena genüsslich die Luft einsog und die fast unberührte Natur rundherum betrachtete. Der Fluss war zu beiden Seiten umgeben von großen rundgeschliffenen Steinen, angrenzend lag ein Waldstück.
Ein witziges Geräusch lenkte die Elena ab. Sven hatte das Wasser erreicht. Er stand mit dem Rücken zu ihnen, den Kopf eingezogen und einen Fuß in der Höhe. Unweigerlich musste Elena grinsen, es war wohl kalt. Im nächsten Moment klatschte der Fuß wieder ins Wasser, er nahm eine entspanntere Haltung an und begann herumzutoben. Sven tauchte die Hand ein und spritzte in Elenas Richtung. Zum Glück stand sie weit genug weg.
Nach wie vor verzückt grinste ihm der Floristenlehrling zu und betrachtete - wie immer liebend gern - sein kantiges Gesicht, das von wilden blonden Kringellocken umrahmt war. Sie machten seine Züge ein wenig weicher, wirkte er durch die markante Nase, die schmalen Lippen und den Dreitagebart, der nicht mehr als ein heller Schatten um seinen Mund war, doch eher hart und unnahbar.
Schon in der ersten Sekunde ihres Kennenlernens war Elena angetan von seiner Schönheit und Selbstsicherheit. Lange schon war sie in ihn verliebt. Sie konnte gar nicht genau sagen, wann es angefangen hatte. Sie hatte den Achtzehnjährigen immer schon gern um sich gehabt. Nicht nur wegen seiner herzensguten Art oder der witzigen Seite an ihm.
Jedes Mal, wenn sie ihn in die Augen - eisblaue, mit unfassbarer Wärme darin - sah, begann ihr Herz zu flattern. Zeitgleich zog es sich krampfhaft zusammen, wenn sie darüber nachdachte, dass die Liebe darin jemand anderem gehörte. Oder die Stimme, die man immer herauskannte und ihn geheimnisvoll, verrucht wirken ließ, gefühlvolle Worte vernehmen ließ, an jemand anderen gerichtet.
Dabei konnte sie doch froh sein, ihn ihren besten Freund nennen zu dürfen. Wenn es Seelenverwandtschaft wirklich gab, dann hatten die zwei diese bestimmt. Sven las ihr die Probleme meist von den Augen ab, wenngleich Elena eine ruhige, in sich gekehrte Person war, immer versucht, ein fröhliches Gesicht zu wahren und ihre Weh-Wehchen nicht nach außen zu tragen.
Sven tickte genauso. Elena war die Einzige, die ihm seine Sorgen ablesen konnte. Er versteckte sie immer sorgsam hinter einem selbstbewussten Auftreten, sie aber kannte den jungen Mann entweder schon sehr gut, oder es fiel ihr auf, weil sie dem Verborgenen, dem Ungesagten, gegenüber aufmerksamer war, als der Großteil der Bevölkerung.
Warum Sven sie so gut durchschauen konnte, musste eher daran liegen, dass er sie wirklich gut kannte, denn er drängte sich gerne in den Vordergrund. Wobei Drängen gar nicht notwendig war, mit seiner Art und den Witzen, die er dauernd erzählte, ging das wie von alleine.
Es war rein seinen eigenen Gedanken zugute zu schreiben, dass er sie in diesem Punkt nicht durchschaute: den Gefühlen zu einer Anderen.
Oh nein! Auf keinen Fall durfte Sven von ihren Gefühlen erfahren. Fast hätte sie es laut herausgebrüllt. Der Mund war schon geöffnet, gerade rechtzeitig wurde sie sich der Gegenwart ihrer besten Freundin gewahr. Nein, sollte Sven je davon erfahren, wäre die ganze Freundschaft passé. Aus. Vorbei. Finite.
Zumindest solange sein Herz Carmen gehörte.
Elena war alles andere als glücklich darüber. Natürlich nicht, immerhin wollte sie die Eine für ihn sein. Der Hintergrund dafür lag jedoch ganz woanders. So sehr sie es auch versucht hatte, die junge Frau war ihr derart unsympathisch, dass sie sich selbst dafür schämte. Sie wirkte arrogant und überheblich - nein, sie verkörperte diese Eigenschaften in vollen ein Meter und fünfundsechzig Zentimetern. Und diese Charaktere hatte sie ihr ganzes Leben noch nie ertragen können.
Kein Mensch war besonders. Alle waren gleich, zumindest im Sinne des Wertes. Sich dennoch so zu benehmen war einfach lächerlich. Dumm.
Aber sie musste mit ihr auskommen, wenigstens etwas. Es war Sven so wichtig, das wusste Elena.
Es war aber auch zuzugeben, dass Carmen durchaus amüsant sein konnte, ignorierte man ihre Unart. Sie hatte dieselbe witzige Art wie Sven - immer und allzeit bereit für ein kleines Späßchen. Und das war es offenbar, was Sven auf sie aufmerksam gemacht hatte.
Dass es zwischen Sven und Carmen immer mehr und mehr kriselte, konnte sie dadurch aber nicht abwenden. Wie es schien, war der Witz ihre einzige Gemeinsamkeit.
Eigentlich konnte Elena ja froh sein. Vielleicht bekam dann sie eine Chance, dachte Elli immer wieder, auch jetzt, wo sie Svens kindliches Toben beobachtete. Eine Strähne ihrer langen braunen Haarpracht hatte sich unter ihre verhasste Brille verirrt und kitzelte sie.
Aber nein, so einfach war das nicht. Sven war ein sehr labiler Mensch. Er neigte zum Pessimismus und sobald sich in seinem Leben etwas veränderte, war es an Elena, sich Sorgen um ihren besten Freund zu machen.
Sie erinnerte sich schmerzhaft an den Tag, als Sven auf der ihm nächstgelegenen Brücke stand. Elena hatte es nicht geschafft, ihn vom Springen abzuhalten, Carmen schon. Damals hatte er sehr an deren Zurückweisung gelitten. Bei der Arbeit hatten sie sich kennen und lieben gelernt. Nur hatte die Maschinenkonstrukteurin mit Kollegen nichts am Laufen haben wollen.
An diesem Tag hatte sie begriffen, dass dies nicht der richtige Weg war und ließ sich überzeugen, es zu probieren. Ein halbes Jahr ging es gut. Und jetzt?
Was war, wenn Sven jetzt wieder alles aufgeben wollte und Carmen war nicht da, um ihn aufzuhalten? Sven erwähnte es mit keiner Silbe, und doch ahnte Elena etwas, an seiner Körperhaltung und dem müden Blick, der ihm seit geraumer Zeit anhaftete.
Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Nina hatte ihr einen Rippenstoß verpasst. Der Schmerz fuhr ihr jede einzelne Rippe entlang und im ersten Moment fühlte sich alles taub an. Dann wurde sie wütend und wollte Nina anschnauzen.
In dem Moment, als sie sich umdrehte, verfing sich etwas durchaus Merkwürdiges in ihrem Blick. Alles andere geriet in Vergessenheit. Ihre Schmerzen in der Seite machten nun einen Sinn und waren nicht mehr schlimm.
»Was hat sie denn hier zu suchen?«, stellte sie die Frage, die auch Nina auf der Zunge lag. »Und wieso steckt ihre Zunge in dem Kerl da? Das ist doch nicht Sven!«
Sehr weise erläuterte Elena das und suchte zeitgleich nach Svens Antlitz, der weiterhin unbekümmert im Wasser plantschte. Dann sah sie wieder zu Carmen, die in einigen Metern Entfernung mit diesem Fremden auf einer Decke saß. Der Mann fesselte Elena für unsagbar lange Sekunden, mehr als die Tatsache, dass da eben ihr bester Freund gerade betrogen wurde.
Er hatte braunes Haar, das war das Einzige, was sie von Weiten sehen konnte. Elenas Herz begann in unregelmäßigen Abständen zu schlagen. Ohne ihr Zutun bewegten sich ihre Füße. Sie wollte ihm näher kommen und mehr von ihm erhaschen. Seine Gesichtszüge. Seine Augen.
Ihr Bewegungsapparat hatte sie noch nicht einmal einen Meter weit getragen, da erstarrte sie. Sie blickte weg, um sogleich wieder zu dem Mann zu schauen. Ihre Stirn runzelte sich, was die Brille dazu veranlasste, von der Nase zu rutschen. Automatisch richtete sie das Ding wieder, während sie sich die gerade alles umfassende Frage stellte: Warum, bitte, bilde ich mir jetzt ein, ihn zu kennen?
Als der Mund und das halbe Gesicht verdeckt wurde, kehrte Elena mit brutaler Wucht aus ihrer Gedankenwelt zurück. Da war der Rippenstoß von vorhin ein sachter Klaps gewesen.
Ganz ungeniert küsste Carmen ihn. Was dachte sie sich denn dabei? Sven hatte ihr bestimmt gesagt, dass die Clique heute hier aufkreuzen wollte.
In diesem Moment verschwand alles noch übrig gebliebene Gute, was sie jemals über Carmen gedacht hatte. Elli spürte förmlich, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Wut benebelte ihre Sinne. Wut und Ratlosigkeit.
Mit Letzterem in den geweiteten blaugrauen Augen, drehte sie sich zu Nina um. Angst ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Angst um ihren besten Freund. Wenn er das mitbekam ...
Nur fehlte von Nina anfangs jede Spur. Unbemerkt war sie zum Fluss gegangen und versuchte dort, Sven ins Wasser zu tauchen. Natürlich blieb es bei dem Versuch, denn Sven war viel stärker und dann doch nicht so erpicht auf das kalte Nass. Elena fand es fast witzig, wenn es nicht dem Zweck diente, Svens Blick von Carmen fernzuhalten.
Nun gab es nichts mehr zu überlegen. Elli überwand die Differenz zwischen dem Fremden, Carmen und ihr - mit wachsendem Grauen, aber schnellen Schrittes. Vor ihnen angekommen, zwirbelte sie eine Strähne in der Hand. Jetzt bloß nicht nervös werden, dafür gab es gar keinen Grund.
Obgleich sie dem Pärchen das Sonnenlicht nahm, bemerkte sie die neue Gesellschaft nicht. Sie räusperte sich, und endlich lösten sie sich voneinander - schmatzend, stellte sich Elli angewidert vor. Sie wurde angesehen, wie eine Ziege, die auf der falschen Weide graste. Vor allem Carmen brachte sie dazu, ein Grinsen aufzusetzen. Es war sarkastisch, denn in Elenas Augen sank gerade Carmens IQ um sehr viele Punkte.
»Hallo!« Elena wurde immer noch wie bekloppt angestarrt. »Wir kennen uns, oder nicht?«
Der Blick des jungen Mannes umwölkte sich etwas, als er darüber nachdachte. Elli versank in seinen dunkelbraunen Augen, im nächsten Moment wollte sie liebend gerne im Erdboden versinken. Sie kam sich dumm vor, ihn so angestarrt zu haben.
»Hallenbad«, stellte er dann fest. »Stimmts?«
Stimmte. Elena und ihre Familie waren früher oft im Winter ins Hallenbad nach Wels gefahren. Neben einem Sportbecken und einem seichten Kinderbecken, in dem das Wasser so schön warm war, gab es noch ein Becken mit Rutsche. Dort hatte sie sich kennengelernt und anfangs wie Kinder herumgetollt. Sie war damals gerade erst zwölf gewesen. Bastian hieß er, jetzt erinnerte sie sich wieder an alles. Er war ihre erste Liebe gewesen. Sofern man das so nennen konnte, mit zwölf. Und sie hatten auch nur diesen einen Tag miteinander verbracht. Der Tag hatte ihr den ersten Kuss gestohlen. Und dafür gesorgt, dass Elena dieser Kerl mit den dunkelbraunsten Augen, die sie je gesehen hatte, noch lange im Kopf herum gespukt war.
Manchmal hatte er auch in ihren Träumen verweilt.
»Carmen! Du weißt schon, dass Sven auch hier ist?!«
Es war mehr eine Feststellung als eine Frage, Carmen reagierte aber so, als hätte sie damit tatsächlich nicht gerechnet. Ihre Augen weiteten sich leicht und der Mund öffnete sich wie bei einem Fisch, der an der Wasseroberfläche lag. Einen klitzekleinen Moment genoss Elena diesen Anblick, dann hielt sie Bastian die Hand hin. Das hatte ihr einiges an Überwindung gekostet, ohne zu wissen, warum. Bastian hingegen zögerte keine Sekunde und ergriff die von kaltem Schweiß bedeckte Hand. Ein Kribbeln fuhr ihr den Arm hoch und ließ ihre Augen zucken.
»Wenn du nichts dagegen hast, leih ich mir deinen Lover kurz aus.«
Ein Schatten zog über Carmens Gesicht. Wut blitzte in ihren Augen auf. Elli war sich sicher, dass die junge Frau eine blöde Meldung auf der Zunge liegen hatte. Schließlich nickte sie aber bloß.
Bastian stand bereits auf seinen Beinen und musterte Elena von der Seite. Sie wandte sich um und führte ihn zügig Richtung Wald. Das Entfernen seiner Hand hinterließ eine eigenartige Leere in Elena.
Im Augenwinkel entdeckte sie Sven. Er raste gerade zu seiner Freundin. Im scheinbar passendsten Moment.
»Hey, was machst du denn hier? Ich dachte, du musst lernen«, ließ er sich vernehmen, Elena spürte ihre Augen feucht werden.
Bastian wollte etwas sagen - oder hat er etwa schon etwas gesagt? -, der Mund war offen und sein Blick auf Elli gerichtet.
»Entschuldige«, sagte sie, bevor es noch peinlicher werden konnte, oder ihr etwas auskam, das sie bereuen würde.
Sie ließ den Mann und unverzüglich darauf die erste Baumreihe hinter sich.
Allein sein. Das war es, was sie jetzt wollte. Sie hasste es, wenn jemand ihre Tränen sah.
Hinter der nächsten Baumreihe lehnte sie sich an den erstbesten Stamm und schnaufte rasselnd ein und aus. Sie wusste gerade nicht, was besser war. Die Luft anhalten oder doch nicht.
Dann lugte sie hinter dem Baum hervor, zurück zu ihren Freunden. Bastian hatte nicht lange gewartet mit dem Zurückgehen - hatte sie etwas anderes erwartet? Er sagte etwas und ließ sich gegenüber von Carmen nieder. Er durfte ihr ja nicht zu nahe kommen; wer wusste schon, welche Schlüsse Sven ziehen mochte. Elena wusste um seine Eifersucht. Deshalb schätzte sie Bastians Einschätzung der Situation.
Elena glaubte, ein schreckgeweitetes Gesicht unter den vielen zu sehen. Das von Sven. Schmerzhaft wurde ihr fast in derselben Sekunde bewusst, dass sie sich das nur erhoffte.
Elena wusste nicht, wie lange sie im Wald umherschlenderte. Bestimmt schon eine halbe Stunde und sie fühlte sich noch immer nicht im Stande, zu ihren Freunden zurückzukehren. Der Rest der Clique hatte den Weg bestimmt auch schon hergefunden.
Das verursachte Wehmut in Elena, sie hatte sich so auf das Treffen der kunterbunten Truppe gefreut. Aber sie wusste, wenn sie jetzt zu ihnen ging, würde sie ihnen nur die Laune verderben. Ihre Augen waren bestimmt knallrot, denn die Tränensäcke hatten aus Mangel an Material die Arbeit eingestellt. Und die Tatsache, dass sie die Lider ohne eigenen Antrieb gesenkt hielt, zeugte davon, wie traurig sie aussehen musste. Also wanderte sie weiter, darüber nachdenkend, wie sie zum Fluss kam, ohne gesehen zu werden, wo sie sich das Gesicht waschen konnte.
»Warum hast du das gemacht?«
Zutiefst erschrocken fuhr Elena herum. Ihre blaugrauen Augen erfassten Carmen, die sie misstrauisch musterte. War da etwa auch eine Spur von Verwunderung?
»Du hättest mich genau so gut auflaufen lassen können.«
»Ich liebe ihn«, sagte Elena darauf ohne Umschweife, aber stirnrunzelnd. »Ich liebe ihn. Und ich will ihn nicht verlieren.«
So ausgetrocknet sie sich auf fühlen mochte, es tat ihren Tränendrüsen keinen Abbruch. Plötzlich konnten sie wieder arbeiten. Sie konzentrierte sich auf die Wut, die ihr durch die Frau wie Galle hochkam, um ihr Gesicht nicht wieder in einen Wasserfall zu verwandeln. Sie sprach das aus, was ihr vorhin an Carmens Gesichtsausdruck aufgefallen war.
»Ich hab das Gefühl, dir wäre es nur Recht gewesen, wenn er euch gesehen hätte - echt feige, wenn du mich fragst. Aber deine Sache. Mein Problem ist, dass du scheinbar null Ahnung hast, wie sehr dieser Kerl dich liebt.« Elena schaute an der Frau vorbei und redete schnell. Nicht, dass sie noch unterbrochen wurde und sich nicht alles von der Seele reden konnte. »Ich weiß nicht, was zwischen euch los ist, vielleicht riecht er die Affäre auch schon. Jedenfalls hat er wieder Selbstmordgedanken und ich habe Angst, dass das nicht nur so daher geredet ist. Mit so einer Aktion machst du es dir vielleicht leichter, an ihn hast du dabei sicher nicht gedacht.«
Carmens Augen waren mit jedem Satz größer geworden. Natürlich waren solche Überlegungen nicht einmal in ihrem Hinterstübchen zu finden. Dass Sven so labil war, passte nicht in ihre egoistische Welt. Darauf musste man sie erst hinweisen.
Nun stand ihr Mund weit offen.
»Ich weiß nicht, was das mit Bastian soll, oder wie du Sven gegenüber noch empfindest. Ich garantiere dir aber, dass ich dich dafür verantwortlich mache, sollte Sven sich was antun.«
Und damit ließ Elli die Achtzehnjährige allein im Wald stehen und ging nun endlich zu ihren Freunden. Es war ihr völlig egal, wie sie aussehen mochte, und dass sie vollkommen entgeistert angestarrt wurde.
Na ja. Nein, so egal war es ihr nicht, aber wo sollte sie sonst hin? Die Ruhe des Waldes hatte ihr Carmen genommen, ebenso wie die Heiterkeit des gesamten Tages.
Ohne auf irgendwelche Fragen zu reagieren, setzte sie sich auf die großen Steine und starrte gerade aus. Ganz unbewusst hatte sie sich so gesetzt, dass sie kein direktes Gegenüber hatte. Selbst wenn sie in ein Gesicht angesehen hätte, wäre es ihr gar nicht aufgefallen.
Was hatte sie nur verbrochen, dass sie das durchmachen musste? Reichte eine unerwiderte Liebe nicht? Musste sie sich wirklich noch mit einer Beziehung herumschlagen, die sie eigentlich nichts anging, nur weil sonst das Leben ihres Liebsten ein Ende finden könnte? Ohne Witz? Womit hatte sie das verdient?
Die Freunde störten sich nicht lange an Elenas ruhiger Stimmung und lachten, sangen und tranken weiter in tiefster Gelassenheit. Sie waren es gewohnt, dass sie ab und an in sich gekehrt und teilnahmslos ins Leere starrte. Dass heute etwas vorgefallen war, das sie unmöglich so mir nichts, dir nichts wegstecken konnte und ihr den Genuss der freundschaftlichen Ausgelassenheit verwehrte, wurde nicht gesehen.
Das war es, was Elena irgendwann zu stören begann. Klar hatte sie auf die anfänglichen Fragen nicht reagiert und üblicherweise war sie immer froh, wenn man sie dann in Ruhe ließ, aber jetzt gerade nervte sie das, diese Gleichgültigkeit.
Es war schon später Nachmittag, als Elena erstmals aufstand und zum Wasser ging. Der Fluss war eiskalt und sie fror binnen Sekunden. Das ließ sie aber nur lächeln, die beißende Kälte war nichts im Vergleich zu der alles versengenden, unbändigen Hitze in ihr drin.
Im Gegensatz zu Sven war Elena eigentlich eine Optimistin. Sie wachte morgens nach dem ersten Weckton auf und, wenngleich sie das Aufstehen so gar nicht leiden konnte, sprang sie mit guten Gedanken aus den Federn und zog ihren ganzen Tag so durch. In allen Geschehnissen das Positive herausfiltern, das war ihr ein Anliegen und nach dem lebte sie.
Aber heute ... Heute stieß sie an ihre Grenzen. Sie fragte sich ernsthaft, was das Leben denn für einen Sinn hatte. Sie war in einen Kerl verliebt, der mit einer anderen zusammen war. Und anstatt den Dingen ihren Lauf zu lassen, musste sie alles daran setzen, diese Beziehung aufrechtzuerhalten, weil Sven sonst wahrscheinlich mehr als unerreichbar für sie war. Damit stand sie ironischerweise ihrem eigenen Liebesglück im Weg. Sinn? Null. Etwas Positives in diesem Schlamassel? Nada.
Und warum hatte sie Carmen ihr Geheimnis anvertraut? Was hatte sie sich nur dabei gedacht? Das war doch gar nicht notwendig gewesen, es verkomplizierte nur die Sache.
Das war das Letzte, was sie gewollt hatte. Carmen würde es ihm bestimmt stecken. Aber das wollte Elli eigentlich selbst tun. Zu gegebener Zeit ...
»Dieser Blick gefällt mir nicht!«
Erschrocken schrie Elena auf. Wo kam Bastian denn jetzt so plötzlich her?
»Du kannst meinen Blick ja gar nicht gesehen haben!«, gab sie kecker zurück, als sie sich fühlte.
Als sie sich zu Bastian umdrehte, rutschte sie an einem der großen runden Steine im Wasser aus. Gerade rechtzeitig fasste er sie am Ellbogen und schütze sie vorm kalten Nass. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, das die Floristin nicht deuten konnte.
Eine Zeit lang standen sie nur schweigend nebeneinander im Wasser. Elena zitterte nicht mehr, ihr Körper hatte es aufgegeben, gegen die Kälte, die langsam in all ihre Glieder kroch, anzukämpfen. Die Sonnenstrahlen legten sich angenehm um ihre Haut, drangen jedoch nicht in ihr Inneres durch. Sie merkte, wie Bastian neben ihr zu schlottern begann. Er beklagte sich aber nicht und schien so lange im Wasser bleiben zu wollen, bis sie entschied, hinauszugehen.
Von der Seite musterte sie ihn. Seine kurzen braunen Haare waren aufgestellt und gaben seinem Antlitz ein wenig mehr Jugend. Dennoch wirkte er streng durch die ausgeprägt hervorstehenden Wangenknochen und den dunkelbraunen Augen, die leicht in ihre Höhlen gekehrt waren. Seine Nase sah aus, als wäre sie etwas zu klein geraten, dafür war sein Mund voll und von kräftiger Farbe.
»Er ist eifersüchtig«, sagte Bastian und ließ Elena erschrocken zusammenzucken, deren Blick gerade zu seinem muskulösen Oberkörper gewandert war. Der zeichnete sich nämlich deutlich unter dem Hemd ab.
Als seine Worte ganz zu ihr durchdrangen, zuckte sie neuerlich zusammen. Es gab keinen Zweifel, wen er meinte, doch glaubte sie ihm keine Sekunde lang. Sven eifersüchtig? Wegen ihr? Nein, unmöglich!
Etwas verärgert wandte sie den Blick von ihm ab. Wollte er jetzt sein schlechtes Gewissen irgendwie loswerden, in dem er mir so einen Blödsinn verklickerte?
Während sie das permanente Kräuseln und Lockern seiner Zehen unter Wasser beobachtete, bekam sie plötzlich so ein Gefühl, dass Bastian etwas wusste, was für sie bedeutend war.
Erneut richtete sie ihren Blick bewusst auf ihn. Sie wusste nicht, wie sie mit der Anziehungskraft umgehen sollte, die von dem Mann ausging. Ihre ganzen Sinne fuhren Karussell.
»Was?«, quittierte er ihren Augenausdruck etwas schnippisch, sein Grinsen blieb ihm.
»Ach. Ich erinnere mich nur gerade an früher. An unseren Tag«, sagte sie und lenkte somit vom Thema Sven ab, an den sie gerade so gar nicht denken wollte.
Bastians Lächeln wurde breiter und er bekam glasige Augen. Die Erinnerungen kamen ihm wieder lebhaft ins Gedächtnis. Elena lächelte über seine Nostalgie und den Anflug von Geborgenheit, der sie schlichtweg übermannte. Ebenso dem Vergangenen nachsinnend starrte sie nach vorne in den angrenzenden Wald.
»Du bist etwas ganz Besonderes! Ich habe dich nie vergessen und immer gehofft, dass ich dich eines Tages wiedersehe.«
Elena riss erstaunt den Kopf herum, ihr Genick bedankte sich prompt mit einem stechenden Schmerz. Sie hatte keine Ahnung, dass sie ihm so viel bedeutet hatte. Aber es gefiel ihr. Irgendwie.
Sie ließ den Satz unkommentiert, hatte sie doch keine Ahnung, was man darauf auch antworten sollte, und schaute wieder gerade vor sich hin. Nur ihre Hand ließ vermerken, dass die Worte etwas in ihr berührt hatte. Sie legte sich zitternd auf ihre Brust. Das sah Bastian aber nicht. Kleinlaut schlug er im nächsten Moment vor, das kalte Nass zu verlassen.
Zu gerne hätte sie ihm sein Unwohlsein genommen, aber ihr fiel tatsächlich kein einziges passendes Wort ein. Das war eine Seltenheit, liebte sie das Geschichten weben doch über alles.
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt und die Freunde hatten ein Feuer entfacht. Darum saßen jetzt alle, als Elena und Bastian dazu stießen. Elli zögerte nicht lange und setzte sich zwischen Nina und Martin, ein paar Personen von Sven getrennt, dessen eisblaue Augen jede Bewegung von ihr unangenehm unter die Lupe nahmen. Und Bastian konnte auch nicht auf die Idee kommen, sich neben sie zu setzen - sollte er das überhaupt vorgehabt haben. Gerade wollte sie von den beiden Ruhe haben.
Und doch ertappte sie sich dabei, wie sie immer wieder zu Bastian rüber sah. Dieser jedoch hatte nur Augen für Carmen und das tat ihr mehr weh, als mit ansehen zu müssen, wie Sven mit Carmen turtelte. Über jedes Warum, das sie sich stellen musste, wurde Elena verärgerter. Denn sie fand keine Antwort darauf. Sie war in Sven verliebt, das war Fakt, und dennoch hatte sie gerade nur Groll und Sinn für Bastian.
Bedrückt starrte sie ins Feuer. Alle Gespräche, jeder Spaß lief an ihr vorbei. Als sie mit ihm im Wasser gestanden hatte, hatte sich ihr Kummer etwas gelöst gehabt. Davon war jetzt nichts mehr zu spüren.
»Hey. Wieso weinst du?«
Diese Frage drang aus heiterem Himmel in ihr Bewusstsein. So plötzlich und unangenehm, dass Elli am Liebsten fortgelaufen wäre. Einzig und allein der Sprecher hielt sie davon ab. Es war Martin Tinster, oft einfach Tinsti gerufen, der einfühlsamste Mensch der Welt. Und Svens bester Freund.
Sie war ihm böse, denn nun lag alle Aufmerksamkeit auf ihr. Aber der Achtzehnjährige, dessen Augen den Farbton seines Wuschelkopfes widerspiegelten, hatte es ja gar nicht so gemeint und daher konnte sie es ihm nicht nachtragen.
Elli hatte selbst gar nicht bemerkt, dass sie weinte. Schnell wischte sie sich übers Gesicht. Völlig sinnfrei. Als ob es jetzt nicht schon alle bemerkt hätten. Und somit verwischte sie sich noch den Rest an Schminke über ihr ganzes Gesicht.
Mit kehliger Stimme sagte Elli das Erstbeste, was ihr einfiel: »Der Rauch. Der brennt mir so in den Augen.«
Hilfesuchend schaute sie zu Nina, doch die war gänzlich von Daniel abgelenkt. Mutlos schwenkte ihr Kopf weiter. Und genau in die falsche Richtung. Ihr Blick blieb an eben jenem hängen, der nicht aus ihr lesen sollte.
Verwirrung lag in Svens Miene.
Schließlich stand er auf und hielt Elli die Hand hin. Sein Blick war undurchdringbar. Die blauen Augen hatten plötzlich etwas Dunkles an sich.
Es gab keine Widerrede. Elena musste jetzt mit ihm spazieren gehen. Ob sie wollte oder nicht.
Schmunzelnd nahm sie die Hand entgegen und die zwei entfernten sich von der Gruppe, die ihnen teils schmunzelnd, teils irritiert nachblickten. Die Hand in seiner zu haben fühlte sich so normal an, als gehörte das einfach so.
Irgendetwas fehlte aber. Irgendein Gefühl, das sonst immer da war, glänzte durch Abwesenheit. Ein Gefühl, das sie immer für so selbstverständlich hingenommen hatte, dass sie es jetzt nicht um die Burg benennen konnte. Das Schweigen, das vorherrschte, zeigte es noch deutlicher.
Ein Kribbeln im Rücken veranlasste Elena dazu, zurückzuschauen. Er beobachtete sie. Ganz unverhohlen hatte Bastian seine braunen Augen auf sie gerichtet. Er löste damit Gefühle in der heranwachsenden Frau aus, die ihr vollkommen fremd und irgendwie zuwider waren.
»Was ist los mit dir? In letzter Zeit erkenne ich dich gar nicht wieder.« Sven zögerte und legte den Kopf schief. »Warum ziehst du dich so zurück?«
Die Freunde waren so weit weg, dass das Gelächter verhallte und auch die Blicke im Nacken nachließen. Elena hätte in die Luft springen können vor Erleichterung. Endlich sagte er etwas. Er hatte das unangenehme Schweigen zwischen ihnen unterbrochen und sie obendrein aus ihren irritierenden Gedanken geholt.
Was sie antworten sollte, war aber so eine Sache. Erneut war es still. Die abendlichen Klänge der Natur waren das einzige, das zu hören war. Die Wahrheit konnte sie ihm unmöglich offenbaren. Auf gar keinen Fall. Es würde nur die Freundschaft zerstören. Außerdem war sie sich seit heute gar nicht mehr so sicher, wie diese Wahrheit genau aussah. Gestern hatte sie noch alles glasklar vor Augen gehabt. Aber nun?
Nun hatte sie Bastian getroffen und war unschlüssig, ob sie den Gefühlen, die damit hervorgetreten waren, eine tiefere Bedeutung beimessen musste.
Nein!, dachte sie bestimmt und schüttelte dabei vehement den Kopf, dass ihre Haare ins Gesicht fielen. Das ist bloß die Wiedersehensfreude. Mehr nicht. Schluss mit den Grübeleien.
»Ich liebe dich«, platzte es plötzlich und ohne Vorwarnung aus ihr heraus.
Was war denn das jetzt? Hatte sie nicht vor wenigen Sekunden noch beschlossen, es für sich zu behalten? Also, langsam verstand sie sich wirklich selbst nicht mehr.
Aber es schien so, als brauchte sie das, um ihre rotierenden Gefühle in Gleichklang zu bringen, denn gleich darauf ging es Elena viel besser. Sie konnte wieder freier atmen.
Die Antwort kam nicht nur für Elena überraschend. Svens Kehle entfuhr ein komischer Laut und seine Füße stellten abrupt die Funktion ein. Elena bewegte sich weiter vorwärts. Sie dachte gar nicht daran, auf ihn zu warten. Angst übermannte sie. Angst davor, was er dazu sagen würde.
Sven blieb nichts anderes übrig, als ihr schleunigst zu folgen.
»Seit wann?«
Das hatte sie nicht erwartet als erste Reaktion.
»Schon eine ganze Weile.«
Ihre Stimme klang vollkommen kalt, wie ein Eisklotz. So als ginge es gar nicht um ihre Gefühle. Jetzt bloß nicht weinen!
Nichts außer dem sachten Wind, der durch die Bäume wehte, war zu vernehmen. Dann blieb Sven wieder stehen.
»Und warum hast du dann verhindert, dass ich Carmens Turteln mit dem anderen da mitbekomme?«
»Weil du ...«, sie stockte, als sie realisierte, was er da gerade gesagt hatte. Nun hielt sie mitten im Schritt inne. »Was?«
Einen Moment lang genoss er ihre Bestürzung, in seinen Augen glitzerte der Schalk.
»Ich habe es schon länger vermutet, war mir nur nie sicher. Tja, und euer Ablenkungsmanöver war echt bemerkenswert, nur kenne ich Nina einfach zu gut. Mann, es muss sie eine Überwindung gekostet haben, in den kalten Fluss zu springen.«
Sein breites Grinsen offenbarte makellos sitzende weiße Zähne. Nina war wasserscheu - besser gesagt musste bei ihr das Wasser schon lauwarm sein, damit es sie freiwillig hineintrieb. Auch Elena musste kurz über diese Bemerkung lächeln.
»Tja. Da siehst du einmal, wie wichtig du uns allen bist.«
Seine Stirn runzelte sich - seine Augenbrauen verschwanden dabei vollständig in den blonden Locken. Er hatte ihre Anspielung nicht ganz gepeilt. Dennoch hakte er nicht nach.
»Außerdem habe ich die Blicke bemerkt, die sie sich immer zuwerfen.«
Es rang Elena ein Lächeln ab, wenn sie ihm so zuhörte. Er hatte so einen Klang in der Stimme, als wäre ihm komplett egal, dass seine Freundin ihn betrog. Es passte nicht zu ihm.
Sie konnte nur Schemen erkennen, aber eigentlich musste sie mit den Augen nicht sehen. Ihr ganzer Körper reagierte auf Sven, der immer näher kam. Seine Lippen legten sich zielsicher auf ihre.
Kein Wort fiel zwischen den Beiden. Dass dieser Kuss in Vergessenheit geraten musste - egal wie schön er war -, stand außer Diskussion. Sven hatte sich hinreißen lassen. Es war rein aus dem Affekt heraus passiert und hatte nichts zu bedeuten. Er liebte immerhin Carmen, die blonde Amazone. Wer liebte sie nicht?
Dass das nicht so einfach werden würde, stand auf einem anderen Blatt.
Etwas verstimmt gingen die Zwei zurück zum Feuer. Elena fiel auf, dass Bastian fehlte, störte sich aber nicht daran. Auch Carmens Fehlen wurde von ihr geflissentlich ignoriert. Sie freute sich, dass sich Svens Lippen nicht unmittelbar nach ihrem gemeinsamen Kuss auf einen anderen Mund legten.
Elena ließ sich wieder zwischen Martin und Nina vors Feuer fallen, Letztere war nach wie vor in ein tiefes Gespräch mit Daniel vertieft. Ihrer beider Lippen waren nur noch Millimeter voneinander entfernt.
Elli drehte sich zu Martin und schürzte belustigt die Lippen. Der begann darauf schallend zu lachen und sie stimmte mit ein. Die gute Laune hatte sie zurück.
Es war, als wäre eine unglaubliche Last von ihren Schultern gefallen, jetzt, wo sie Sven ihre Gefühle offenbart hatte. Und alle schienen das zu merken.
Nach einer Weile verschwand Elena in den Wald. Obwohl dieses Plätzchen schon sehr beliebt war, hatte die Gemeinde noch nicht daran gedacht, Sanitäranlagen aufzustellen.
Es war ihr gar nicht aufgefallen, dass das heimliche Paar noch immer fort war, dann aber hörte sie Bastian, noch bevor sie ihn sah. Und ihr stieg die Wut hoch. In dem Moment wurde ihr klar, warum er und Carmen so lange weg waren.
Wie konnte man nur so indiskret sein?
Es war keine Absicht, aber sie rannte genau in die Richtung, aus der sie die zwei hörte. Im allerletzten Moment verharrte Elena hinter einem Baum, ein kleiner Blick nach vor zeigte ihr zwei völlig ungenierte Menschen. Carmen lag auf dem braunhaarigen Mann, der sie regelrecht anhimmelte. Beide waren nackt.
Die Beobachterin musste sich extrem bemühen, Bastian nicht schamlos anzustarren und immer mehr an seinem Körper Gefallen zu finden.
»Na, was für ein Glück, dass ich sie nicht gleich dabei erwischt habe«, raunte sie sich selbst zu, um ihrem kranken Körper endlich die richtigen Gefühle einzuhämmern. Ekel und Hass.
Sie drehte sich weg, mehr musste sie hiervon wirklich nicht mitkriegen. Nicht dass sie noch eine zweite Runde einläuteten und Elena musste zusehen.
Carmens Stimme ließ sie reglos in angespannter Haltung verharren.
»Sie liebt ihn. Bald. Glaub mir, bald bin ich frei und wir müssen uns nicht mehr verstecken.«
Die blaugrauen Augen starrten tennisballgroß auf den Baumstamm vor ihr. Was?
Vollkommen weltvergessen trampelte Elena nun so schnell wie möglich hinaus aus diesem gottverdammten Wald. Welchen Grund ihr Hineingang hatte, war schon lange nicht mehr wichtig. Es war ihr egal, dass Carmen und Bastian jetzt bestimmt wussten, dass sie jemand gesehen hatte. War ihr ehrlich gesagt sogar sehr recht.
Immer wieder musste sie an Bastian denken. An den dicken Wulst in der Brust, den er heraufbeschwor mit dem Aufkommen des Bildes, Carmen auf ihm drauf liegend. Wie König und Königin.
Wütend über ihn, und über sich, selbst raufte Elena die Haare und atmete laut knurrend aus. Ihr Kopf wollte explodieren. Tausende Gedanken und Fragen stürmten auf sie ein.
Konnte es sein, dass auch Sven in sie verliebt war? Nein, unmöglich. Der Kuss vorhin hatte nichts zu bedeuten. Es war einfach nur mit Sven durchgegangen. Nur, wie waren Carmens Worte sonst zu verstehen?
Aber die Wichtigste aller Fragen war gerade die: Wieso kümmerte sie das nicht so sehr, wie der bloße Gedanke an Bastian, die Wut über seinen Frauengeschmack und die Unverfrorenheit, mit einer vergebenen Frau etwas anzufangen?
Elena erreichte die letzte Baumreihe und wusste nicht, was sie tun sollte. Sie war zu aufgewühlt. Während sie sich vorhin den Kopf über ihr Gefühlswirrwarr zermartert hatte, war er jetzt, Minuten später, einfach nur leer.
Wie ein tapferer Krieger blieb sie in der Einsamkeit stehen und betrachtete ihre Freunde, die vor dem Feuer herumtollten, alle Sorgen vergaßen, stattdessen lachten und tiefere Freundschaften aufleben ließen. Elena, deren Haare in dem leichten Windhauch vor ihren Augen spielten und sich natürlich wieder in der Brille verfingen, war es zuwider, dorthin zurückzukehren, obwohl sie fror. Sie stand einfach da und sah dem Treiben zu. Wie schön das Leben doch sein könnte.
Nach einer Zeit - Elena konnte unmöglich die vergangenen Minuten benennen - kamen die zwei Vermissten wieder. Sie traten weit abseits zwischen den Bäumen heraus. Niemand nahm Notiz von Elena. Selbst wenn das Pärchen in ihre Richtung gesehen hätte, wäre sie von der Nacht verborgen geblieben.
Bei der Gruppe angekommen, gab Carmen ihrem Freund einen Kuss, Elena musste würgen. Sie verwendete alle Willenskraft darauf, nicht doch hinunterzustürmen und dieser schlampigen Frau auf ihren ekligen, verschlagenen Mund zu hauen. Sie widerte Elli an, rein mit ihrem Charakter. Da war noch gar nicht mit eingerechnet, wie schamlos Sven von ihr hintergangen wurde.
Mit geballten Fäusten und einem starken Zittern, drehte Elena sich schließlich weg, bevor ihr Verstand sie verließ und der rohen Menschlichkeit das Vorrecht ließ.
Für heute hatte sie genug. Genug gesehen und sich genug gequält.
In wohliger Stille summte Elena vor sich hin. Noch nie hatte sie sich ohne ihre Freunde so wohl gefühlt, wie in den letzten drei Wochen.
Mit Ausnahme von Nina beantwortete sie keine Anrufe oder SMS. Und selbst ihr verweigerte sie die Wahrheit, ohne zu wissen warum eigentlich. Die Anzahl ihrer Anrufe zeugte von der Gier auf Klatsch, aber auch Sorge. Nina konnte mit ihrer »Ich muss alles wissen!«-Art ganz schön anstrengend sein. Während andere längst aufgegeben hatten, versuchte sie weiter hartnäckig, das Geheimnis zu lüften. In den Telefonaten mit ihr war nach einer Woche glücklicherweise die Neugierde komplett verschwunden. Nun sorgte Nina sich nur mehr um ihre beste Freundin. Denn warum wollte Elli denn so gar nicht sagen, was geschehen war? Warum war sie von der Alm einfach so abgehauen.
»Lass gut sein«, hörte sie darauf nur immer wieder. »Ich hatte einfach genug und bin nach Hause.«
Gerade dachte Elena erneut darüber nach, warum sie es ihrer besten Freundin eigentlich verschwieg, während sie einen Auftragsstrauß band. Die Antwort hatte sie dann doch schneller als erwartet. Denn selbst das Nachdenken darüber bescherte ihr diesen eigenartigen, alles erstickenden Kloß im Hals. Sie genoss es, die Namen Sven, Carmen und Bastian zu verdrängen. Es gab ihr eine Schwerelosigkeit, die sie heiter in den Tag hineinleben ließ.
Mit Nina über den Kuss, die Geschehnisse mit Carmen und Bastian zu sprechen, würde bedeuten, dass die Angelegenheit wieder Herr ihres Seins wurde und die Heiterkeit ins Jenseits beförderte.
Und gerade brachte sie die schönsten Worte aufs Papier. Durch die Sachen, die sie tief im inneren beschäftigten, konnte Elena ihre Leidenschaft so richtig ausleben. Die erste Kurzgeschichte hatte sie mit zwölf geschrieben, mit der Zeit waren sie dann immer länger geworden. Ihre ab und an schmerzende Hand hinderte sie nicht, die Füllfeder übers Papier fließen zu lassen und immer weiter eine völlig andere Welt zu erschaffen. Genauer genommen zwei, denn in der aktuellen Geschichte ging es um eine zweite, irreale Welt, in die man fliehen konnte, wenn man es in der richtigen Welt nicht mehr aushielt.
Elli seufzte, als sie daran dachte. Ja, eine Welt ohne Herzschmerz und unnötigen Komplikationen. Das wäre es.
Der Blumenstrauß, den Elena diesen Samstag bearbeitete, war fertig und eine sehr nette Stammkundin forderte ihre Aufmerksamkeit. Heute war sie wieder alleine in dem kleinen Blumengeschäft. Die Sonne strahlte herrlich durch das große Schaufenster herein und ließ die cremefarbenen Bodenfliesen herrlich glänzen. Die gelbbraune Holztüre stand offen und ließ noch mehr Licht herein. Solche Tage liebte Elena, da erschienen die Türe und die ebenfarbigen Tische wie in Gold gehaucht. Einzig der Boden störte sie, denn auf dem hellen Boden sah man jeden Fleck. Aber, wie sagte ihre Chefin immer so schön: »Natürlich muss alles immer top sein. Aber wo gearbeitet wird, ist auch Dreck!«
Elena musste bei dieser Erinnerung nur schmunzeln. Das hatte Jana einmal gesagt, als sie beim Mitanpacken einen Riesentopf voller nasser Erde umgeworfen hatte. Seither nie wieder, denn diese Einstellung passte so gar nicht zu ihr. Sie war eher der Typ »So steril, dass man vom Boden essen könnte«.
Heute störte es sie noch weniger als sonst, den Laden alleine zu schmeißen. So musste sie wenigstens mit niemandem sprechen. Abgesehen von den Kunden. Das war aber nur Smalltalk, damit konnte sie leben.
»- Sie müssen sich vorstellen, da hat mir die Katze die Krallen in die Hand gehauen. Vor lauter Schreck ließ ich die Rose fallen und dieses Biest hat nichts anderes zu tun, als kräftig in die Blüte zu beißen. Haben Sie sowas schon mal gehört?«
Elena lachte herzlich. »Nein. Ganz und gar nicht. Sie hat sich wohl ihrer Aufmerksamkeit beraubt gefühlt.«
Die ältere, etwas schrullige Frau lachte glockenhell auf. »Ja, womöglich. Immerhin habe ich schon eine Viertelstunde an der Vase herumhantiert.«
Die Konzentration der Floristin schwand. Es war unmöglich, weiter zuzuhören. Da stand jemand am Fenster. Und nicht irgendjemand, überlegte sie mit sterbendem Lächeln.
Innerlich schüttelte sie sogleich den Kopf. Das bildete sie sich nur ein. Ihre Freunde waren kaum zwei Mal in Schlierbach gewesen, bei ihr in der Arbeit noch weniger oft. Nein, nein. Ganz bestimmt hatte sie sich nur getäuscht.
Viel zu oft hatte Elena sich gewünscht, es würde sie einmal jemand im Geschäft besuchen, es hätte ihr gezeigt, dass sich ihre Freunde für sie interessierten. Etwas tief in ihr wollte wohl doch nicht so abgeschottet von ihren Bekannten bleiben und setzte ihr dieses Trugbild in den Kopf.
Na klasse. So weit war es also schon mit ihr gekommen.
Die Kundin verschwand mit ihrem kleinen Sträußchen. Elena sah ihrem watschelnden Mini-Schritte-Gang nach. Unschlüssig, was sie nun tun sollte, räumte sie den Stängelüberschuss weg und kehrte hinter dem Tresen zusammen. Schließlich konnte sie es aber nicht mehr aufschieben und sie ging hinaus. Die Pflanzen brauchten noch Wasser, bevor Elli das Geschäft zusperren durfte. Genüsslich sog sie die Luft ein, als sie an ihrem Lieblingstisch vorbeikam. Der lag genau neben der Kasse und war vollgestellt mit Orchideen aller Art. Viele behaupteten, dass sie verrückt war. Diese Zimmerpflanzen hätten doch keinen definierbaren Geruch. Für Elena waren sie unverwechselbar. Zudem waren die Pflanzen so mühelos, sie brauchten nicht viel Pflege und blühten dennoch so wunderschön.
Elena hatte es tunlichst vermieden, den Blick nach draußen zu wenden. Aber es nützte ihr natürlich nichts. Jetzt hatte sie sich der Tatsache zu stellen, ob es Sinnestäuschung war oder sie gleich eine Überraschung erlebte.
Die Arbeit war vergessen, als sie dort vor dem Fenster tatsächlich Sven vorfand. Mit dem Rücken zu ihr rauchte er eine seiner heißgeliebten Vanillezigaretten. Elena wurde schlecht, sobald der Rauch zu ihr hinüberwehte, konnte sie aber nicht davon ablenken, ihn wie verhungert anzustarren. Seine breiten Schultern strafften das dunkle Shirt. Elena starrte geradewegs auf die Stelle zwischen den Schulterblättern. Jedes Mal, wenn er an der Zigarette zog, gingen die Schultern nach innen zusammen, sein Hals straffte sich. Er wirkte so stark und unbekümmert, wie der Sven, den sie immer haben wollte.
Als Sven sie hörte, da sie unbedacht gegen die Gießkanne getreten war, drehte er sich um. Ihre Blicke trafen sich sofort und verhakten sich für einen langen Moment.
»Es ist aus.«
Elena verstand anfangs nicht, so zusammenhang- und emotionslos er es von sich gegeben hatte. Letzteres war typisch für ihn. Bloß nicht anmerken lassen, dass er Gefühle hatte. Das könnte das Bild des Macho-Sunnyboys vernichten.
Als der jungen Frau dann klar wurde, was er mit diesen drei simplen Worten meinen musste, breitete sich ein Gefühl der Enttäuschung in ihr aus. In ihrer Fantasie hatte sie sich ausgemalt, dass er wegen ihr gekommen war, einfach weil er sich Sorgen um die Verschollene gemacht hatte. Doch nun wurde ihr schmerzhaft bewusst, dass es um ihn ging, wieder einmal nicht um sie.
»Carmen. Sie hat Schluss gemacht.«
Er hatte es nicht aussprechen müssen. Elli hatte auch so verstanden. Es stach ihr den unsichtbaren Enttäuschungsdolch nur noch weiter in die Brust.
Es war ihr unmöglich, ihn anzusehen. In seine Augen schon gar nicht, nicht einmal auf seinen Mund. Also starrte sie auf den Boden und scharrte mit den Füßen.
Sven sagte nichts weiter, aber es war ein merkwürdiges Geräusch zu hören, wie ein Zungenschnalzen. Da sah Elena ihn doch an und bemerkte, dass er eine Reaktion von ihr erwartete. Ihre Gefühle mit mächtigem Druck vernachlässigend, beachtete sie ihren besten Freund wieder voll und ganz. Der Schmerz in seinen Augen ließ ihren komplett vergessen, ihr Mund öffnete sich leicht, als würde sie mitmurmeln, was sie seinem Ausdruck entnehmen konnte.
Wäre Carmen hier gewesen, hätte wohl ihr letztes Stündlein geschlagen. Dem Umstand gewahr werdend, dass die um ein Jahr ältere Frau echt nicht viel Zeit hatte verstreichen lassen, schnellte Ellis Puls in die Höhe und es erfasste sie eine unbändige Wut. Nun, drei Wochen nach ihrer Ankündigung, hatte sie es durchgezogen und machte die Beziehung zu Bastian offiziell. Warum gerade jetzt, wollte Elli irgendwie gar nicht so wirklich wissen.
Svens blasser Teint lenkte sie von der Frau ab. Er sah aus, als müsste er sich gleich übergeben. Es brach Elena schier das Herz. Es war Ewigkeiten her, dass sie ihn so gebrechlich gesehen hatte. Damals hatte sie sich geschworen, alles zu tun, um ihn so nicht mehr erleben musste.
»Und wie ... Wie geht’s dir?«
Diese Frage verkörperte pure Sinnlosigkeit, doch was sollte man in solch einer Situation denn auch sagen? Svens eisblaue Augen, die heute nichts von ihrer üblichen Wärme aufwiesen, waren seit geraumer Zeit auf sie gerichtet. Jetzt aber kehrten sie erst aus weiter Ferne zurück und sahen sie wirklich. Elena stellte es in Sekundenschnelle die Härchen an der Hand auf. Sein Ausdruck, den sie unmöglich genau beschreiben konnte, ging ihr durch und durch. Es war eine Mischung aus Traurigkeit, Angst und Demotivation. Okay, theoretisch war das eindeutig, auch sein nächster Satz sagte genauso Verzweiflung aus. Dennoch war da noch irgendein anderes Gefühl, ein anderer Eindruck, der Elena ins Wanken brachte. Oder bildete sie sich das vielleicht auch nur ein?
»Bring mich zur nächsten Brücke.«
Ja, definitiv interpretierte sie wieder einmal viel zu viel in die Sache hinein. Sven wollte nicht mehr. Er konnte mit der Enttäuschung nicht leben, das war alles.
Elena drehte sich um, ohne etwas zu erwidern. Ihr Kopf war gefüllt mit einem einzigen Bedürfnis: Ich muss was tun. Ich muss ihn endlich dazu bringen, nicht immer gleich das ganze Leben wegwerfen zu wollen.
Solange sie dafür aber keine Lösung hatte, wollte sie schweigen. Vielleicht machte sie sonst alles noch schlimmer.
Nun holte sie den Wasserschlauch und goss die Blumen, damit sie das Wochenende überlebten. Oder den Tag, besser gesagt. Jana musste morgen bestimmt kommen und noch einmal gießen, so heiß wie der Wetterbericht meldete.
Sven stand einfach nur da und sah ihr dabei zu. Es kam keine Kundschaft mehr, so konnte sie überpünktlich absperren und mit Sven von dannen ziehen.
Der Blondling konnte es nicht fassen, als Elena ihn tatsächlich zu einer Brücke brachte.
Nun standen sie da, auf der Staumauerbrücke in Klaus, mit Svens Auto etwa fünfzehn Minuten von Elenas Zuhause entfernt. Wie Sven es wollte. Ihre Hände waren ineinander verschmolzen und so lauschten sie der Stille. Der Sommer hatte seinen Höhepunkt erreicht, jegliches Lebewesen, das sich nicht quälen wollte, hatte sich in die Kühle verkrochen.
Elena hingegen machte die Hitze gar nichts. Sie hatte gerade mit einer ganz anderen Hitze zu kämpfen. So nahe - körperlich - war sie Sven noch nie gekommen. Also abgesehen von diesem einen Kuss vor drei Wochen. Aber dass sie so Hand in Hand dastanden, lange und ohne zu blödeln, das war neu. Neu, aber gut.
So gut, dass sie schon fast vergaß, warum sie eigentlich hier so standen.
»Wenn du springst, spring ich auch. Das ist dir hoffentlich klar«, erklärte Elena dann, ohne Sven anzusehen. Sie hatte Angst, dass er ihre Glücksgefühle sah, die nicht zur Situation passten.
Erst als sie seinen Blick auf sich spürte, drehte sie den Kopf. Mit gerunzelter Stirn starrte er ihr in die blaugrauen Augen. Er hatte ihr schon oft gesagt, wie besonders er deren dicken Pupillenrand fand und wie sehr ihre Brille, die ihre Augen größer wirken ließ, das noch verstärkte. Jetzt schien er etwas in ihnen zu suchen. Elena erwiderte den Blick seelenruhig, in ihr drin tobte aber ein Tornado der Gedanken. Sah er, was er sehen wollte? Oder vielleicht etwas, das ihm gar nicht behagte?
Schließlich drehte er sich wieder weg, ohne Elli wissen zu lassen, was ihm im Kopf herumspukte. Er betrachtete das sanfte Wogen und des Wassers.