7,99 €
Amélies beste Freundin Kat hat Liebeskummer und schlägt eine No-Jungs-Pakt vor: Keinen Freund bis zum Abschlussball! Amélie bleibt nichts anderes übrig als zuzustimmen. Dabei ist sie bis über beide Ohren in Nicolas verknallt! Während Kat ihre neue Leidenschaft für Pferde entdeckt, hat Amélie alle Hände voll zu tun ihre große Liebe geheim zu halten. Da ist das Chaos vorprogrammiert...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 231
Ich bin völlig am Boden. Ich meine damit nicht, dass ich mich auf unserem Teppich so wohlfühle, sondern dass ich total kaputt bin. Ich habe ein wahnsinnig anstrengendes Jahr hinter mir!
Mein persönlicher Jahresrückblick:
Wegen einer absolut unwichtigen Kleinigkeit habe ich mich mit meiner besten Freundin Kat verkracht. Zum Glück haben wir uns wieder vertragen!!!
Kat hat sich einen neuen Freund zugelegt: Ham (eigentlich Jean-Luc Hammond). Meiner Meinung nach eine arrogante Nervensäge (darf ich bloß nicht Kat verraten!). Kat hat sich total verändert, allerdings nicht gerade positiv. Wo früher mal ihr Gehirn war, befindet sich jetzt ein Marshmallow. Sie interessiert sich nur noch für Ham!
Ich habe eine ziemlich abgedrehte Wahnsinnstheorie aufgestellt (oh Mann, so ein Blödsinn …), dass mein Vater nicht tot, sondern (ähm, das ist mir echt peinlich!) ein Außerirdischer ist (…), der auf seinen (tja, oh je) Heimatplaneten zurückgekehrt ist (HAHAHAHAHAHAHA!). Zugegeben, ich fühle mich selbst manchmal wie eine Außerirdische, die bei einer Expedition durch den Weltraum auf der Erde vergessen wurde (so wie E.T. – nur dass ich ein bisschen ansprechender aussehe, hoffe ich!). Daher fand ich den Gedanken irgendwie beruhigend, dass außerirdisches Blut (haben Außerirdische Blut?) in meinen Adern fließt (haben Außerirdische Adern???).
Aufgrund mehrerer zwingender Beweise war ich überzeugt, dass meine Mutter eine Affäre mit unserem Schuldirektor hatte. Dabei stimmte das überhaupt nicht! Meine Mutter hat sich nur mit Monsieur Beaulieu (dem Direktor) getroffen, um mein schlechtes Benehmen in der Schule (ich finde ja: absolut angemessenes Benehmen) zu besprechen. Und nicht aus irgendwelchen »romantischen« Gründen!
Nachdem sie nach dem Tod meines Vaters jahrelang getrauert hat, hat sie mir jetzt allerdings eröffnet, dass sie sich einen Freund suchen will (kotz!). Und zwar im Internet (oh Mann!).
Da wir gerade bei meiner Mutter sind: gegen meinen Willen und rein zufällig habe ich erfahren, dass sie String-Tangas trägt! Das hat mich echt traumatisiert!
Meine Noten waren im letzten Halbjahr nicht gerade toll, aber ich arbeite dran. In Französisch hat es schon was gebracht! Bei einer Aufgabe, die die Hälfte der Halbjahresnote ausmacht, habe ich mich richtig angestrengt. Und obwohl ich im Französisch-Begabtenkurs die Schlechteste bin, habe ich die beste Note bekommen! Ich habe ein Gedicht geschrieben, das meine Lehrerin total begeistert hat. Ich bin fest entschlossen, noch viele weitere solcher Gedichte zu schreiben!
Mein schönstes Geschenk zu Weihnachten war ein Kätzchen (Sybil, die allersüßeste kleine Katze des gesamten Planeten!!!). Außerdem habe ich bekommen: ein neues Tagebuch (von meiner Tante Louise), Mangas (von meiner Mutter und meiner Tante) und einen iPod (von meinen Großeltern Charbonneau und meiner Großmutter Laflamme, die es tatsächlich mal geschafft haben, sich zusammenzutun!!!).
Abgesehen davon, dass mein Vater nicht da war, war es eines der besten Weihnachtsfeste, die ich je erlebt habe!
Ach ja, und außerdem habe ich … geknutscht (hihihi!). Mit Nicolas. Das ist ein Typ, den ich letzten Herbst kennengelernt habe und der total gut nach Weichspüler riecht. Und sein Mund (ja, genau, der Mund, ich war nämlich ganz nahe dran) riecht nach Melonenkaugummi. Allerdings haben wir uns seitdem nicht mehr gesehen. Ich traue mich nicht, einfach bei der Zoohandlung vorbeizugehen, in der er arbeitet. Dabei habe ich nur dank ihm meine kleine Sybil bekommen. (Er hat sie extra für mich aufgehoben: wie süß ist das denn!) Wir haben also seit unserem Kuss am 23. Dezember nichts mehr voneinander gehört.
14:12
Ich liege auf meinem Bett und drehe mich auf den Rücken. Bis jetzt habe ich auf dem Bauch liegend geschrieben und dabei ist mir der Arm eingeschlafen. Sybil sitzt am Fußende und ist ganz gefesselt vom Lichtreflex meiner Uhr an der Wand (ich wackele absichtlich mit dem Handgelenk, es sieht so lustig aus, wenn sie versucht, die Spiegelung zu fangen). Ehe ich mich an die Liste meiner guten Vorsätze fürs neue Jahr mache, spiele ich mit ihr. Zwischendurch muss ich sie einfach in den Arm nehmen und ihr jede Menge Küsschen auf ihre rosa Nase geben. Ich kann nicht anders. Sie ist so süß! Bei allem, was sie tut, sieht sie niedlich aus: Wenn sie sich kratzt, wenn sie sich putzt, wenn sie »Miauuuu« macht, wenn sie mit irgendeinem kleinen Gegenstand spielt … Ich hab sie so lieb! Und ich bin sicher, dass sie eine überdurchschnittlich intelligente Katze ist! Wir mussten ihr nicht mal beibringen, ihr Katzenklo zu benutzen. Sie ist ganz von allein reingegangen! Seit sie bei uns ist, schläft sie bei mir im Bett. Es ist, als wüsste sie, dass mein Zimmer ihr Zimmer ist.
Neulich hat meine Mutter eine ganze Stunde damit verbracht, Sybil Küsschen zu geben. Dabei sagte sie jedes Mal »Küsschen!«, wenn sie sich zu ihr beugte. Natürlich total albern. Aber seitdem reckt Sybil immer, wenn wir »Küsschen« sagen, ihre kleine Schnauze in die Luft, als wüsste sie, was wir meinen! Sie ist supersupersupersüß!
Meine Mutter hat vorgeschlagen, dass wir Sybil nur im Haus halten und nicht auf die Straße lassen. Das finde ich gut. Ihr darf auf keinen Fall etwas zustoßen. Niemals! Ich habe Sybil versprochen, sie nie allein zu lassen. Während der Feiertage habe ich sie zu all unseren Verwandten mitgenommen, und alle fanden sie un-glaub-lich süß!
14:30
Meine guten Vorsätze fürs neue Jahr:
Meiner Mutter mehr im Haushalt helfen. Sie bittet mich oft darum, und ich könnte mich zugegebenermaßen etwas koperativer zeigen … oder heißt es
ko
o
perativ
? Wie schreibt man das noch mal?
Wörter, die ich nicht kenne, im Wörterbuch nachschlagen. (Ko
o
perativ, na also! Schon einen Vorsatz gehalten!)
Mich nicht mehr mit Kat streiten. (Was bedeutet, dass ich mich an Kats Regeln halten muss: Niemandem verraten, dass wir mal Popstars cool fanden, die mittlerweile total out sind; nicht erzählen, dass wir immer noch Kinderfilme wie
Arielle, die Meerjungfrau
mögen und keinem Jungen erlauben, unsere Freundschaft kaputt zu machen.)
Kat nicht gestehen, dass ich Ham total
affektiert, angeberisch, arrogant, aufgeblasen, blasiert, dünkelhaft, eitel, großspurig, herablassend, hochnäsig, prahlerisch, protzig, selbstherrlich, stolz, überheblich, überkandidelt, vermessen, versnobt
und
wichtigtuerisch
finde. (Mein Wörterbuch-Vorsatz ist echt super! Wahnsinn, wie viele Wörter es gibt, um Ham zu beschreiben!)
Meine Noten verbessern. Ich bin echt mies in Englisch. Und Mathe. Und Erdkunde. In Französisch bin ich ganz gut, immerhin bin ich im sogenannten »Begabtenkurs«, aber unter den ganzen Strebern dort bin ich leider die Schlechteste. Das muss sich ändern. Vielleicht sollte ich mehr Gedichte schreiben? Hier ist eins:
Ein Skater so charmant,
küsste mir die Hand.
Zum Glück ist er … kein … Elefant?
Lieferant? Spekulant?
Oh, wie liebe ich … Reime auf »ant«!
(An meiner Dichtkunst muss ich wohl noch arbeiten. Aber an dem Gedicht, für das ich die gute Note bekommen habe, habe ich auch sehr lange herumgetüftelt. Das war ja jetzt gerade aus dem Stehgreif …)
Mehr Sport treiben.
Mich nicht zu sehr in die »Nicolas-Geschichte« reinsteigern. (Das Skater-Gedicht hat übrigens absolut
nichts
mit ihm zu tun. Das war … eine rein zufällige Übereinstimmung!) Ich würde meinen ersten Kuss gerne als eine wichtige Erfahrung betrachten und nicht als eine potenzielle
Lovestory
. Wenn ich an allen meinen Vorsätzen festhalten will, habe ich das kommende Jahr ohnehin mehr als genug zu tun. Sollte ich dann auch noch so werden wie Kat und meine ganze Energie in einen Jungen stecken, erreiche ich meine Ziele bestimmt nicht. Ich habe keine Lust, mein Gehirn gegen ein Marshmallow auszutauschen und mein ganzes Leben für einen Typen auf den Kopf zu stellen! Das Blöde ist nur, dass es total peinlich sein wird, Nicolas wiederzusehen. Wie verhält man sich in so einer Situation? Zum Glück stellt sich das Problem momentan nicht, weil wir uns seit besagtem »Ereignis« nicht mehr gesehen haben. Ha! Er ist doch wohl nicht von Außerirdischen entführt worden?
Nicht mehr alle Probleme den armen Außerirdischen in die Schuhe schieben.
Nicht von einem weiteren Treffen mit Nicolas träumen. (Vielleicht sollte ich ein Wiedersehen sogar lieber vermeiden? Oder am besten gleich umziehen …)
Meiner Mutter vorschlagen umzuziehen!
18:00
Meine Mutter will von einem Umzug nichts wissen. Ich habe ihr den Vorschlag beim Abendessen unterbreitet (es gab Steak, Kartoffeln und Broccoli … bäh, mit Broccoli kann man mich jagen!). Ich habe alles versucht: Mein Zimmer sei zu klein, das Haus sei zu unordentlich (ich dachte, damit würde ich sie kriegen), ich würde immer meinen Broccoli essen, usw. Sie hat sich nicht erweichen lassen. Stattdessen hat sie gefragt, warum ich auf einmal unbedingt umziehen wolle. Ich habe ihr natürlich nicht gesagt, dass ich mit einem Jungen geknutscht habe und ihn jetzt lieber nicht wiedersehen will. Manche Dinge behält man besser für sich. Also entgegnete ich nur, ein Tapetenwechsel würde uns sicher guttun. Meine Mutter stimmte mir sofort zu und schlug vor, gemeinsam das Haus zu renovieren. Sie meinte, wir könnten die Wände neu streichen, das wäre doch schön! Sie war ganz aufgeregt. Na toll, herzlichen Glückwunsch, Amélie! (Das ist jetzt ironisch gemeint.) Da habe ich mir gerade vierzigtausend Jahre Arbeit eingehandelt Und dabei habe ich doch jetzt schon viel zu viel zu tun!
Meine Mutter hat sich zu Weihnachten einen neuen Laptop gekauft. Ihre Eltern haben die Hälfte dazu beigesteuert. Das ist echt cool, weil ich meinen neuen iPod daran anschließen kann. Bei unserem alten Computer war das Internet so lahm, dass man eine Million Jahre brauchte, um eine Seite zu laden. Seit sie den neuen Laptop hat, ist sie die ganze Zeit am Chatten. Sie hat ihren Plan wahrgemacht und sich bei einer Dating-Plattform im Internet angemeldet, und jetzt ist sie geradezu süchtig.
19:15
Während wir den Schmuck vom Weihnachtsbaum abhängen frage ich mich (im Stillen, denn es ist ja ein Geheimnis), warum Nicolas nicht versucht hat, mich zu treffen oder anzurufen. Na gut, er hat meine Nummer nicht. Nachdem wir uns geküsst haben, waren wir beide ziemlich durcheinander. Er ist zurück in die Zoohandlung und ich bin nach Hause gegangen (oder besser gesagt, auf einer Wolke nach Hause geschwebt). Aber eine Telefonnummer lässt sich doch rauskriegen, wenn man ein bisschen erfinderisch ist. Das heißt also, er ist nicht erfinderisch! Und wer will schon einen einfallslosen Freund? Ich jedenfalls nicht! In Anbetracht meiner Vorsätze fürs neue Jahr habe ich sowieso keine Zeit für Romantik. Außerdem war bislang immer ich es, die zu ihm gekommen ist! O. k., nicht wirklich zu ihm, sondern in die Tierhandlung (um Sybil zu sehen). Aber trotzdem, er könnte sich auch mal ein bisschen anstrengen! Na gut, es sind gerade Weihnachtsferien und vielleicht muss er, wie Kat, jede Menge Verwandte besuchen, die in den hintersten Ecken Quebecs wohnen. Vielleicht ist er gerade irgendwo am A… der Welt, wo es kein Telefon gibt oder so. (Pfff! Als wäre das heutzutage überhaupt noch möglich!)
19:20
Oh neeiiiiiiiiin! Jetzt tue ich genau das Gegenteil meines guten Vorsatzes! Ich steigere mich in die Sache rein und verwandle mein Gehirn in ein Marshmallow! Das ist schlecht. Sehr, sehr schlecht.
Aber das überrascht mich nicht. Es fällt mir immer schwer, mich an meine Vorsätze zu halten. Letztes Jahr habe ich mir vorgenommen, keine Chocolate-Chip-Cookies mehr zu essen. Eine Stunde, nachdem ich diesen Vorsatz niedergeschrieben hatte, habe ich EINE GANZE PACKUNG GEGESSEN! Außerdem hatte ich mir vorgenommen, ein Schwimm-Champion zu werden. Ich bin einem Schwimmclub beigetreten, habe an einem Wettkampf teilgenommen und war soooooooo lahm, dass sie mit der nächsten Runde angefangen haben, noch bevor ich überhaupt mit meiner Bahn fertig war (bin ich unsichtbar, oder was?). Ich bin umgehend wieder aus dem Club ausgetreten. Nicht etwa, weil ich inkonsequent bin, sondern weil ich eine gewisse Würde habe, die ich gerne bewahren möchte. Und weil mir an jenem Tag klar wurde, dass ich gegen jegliche Art von Wettkampf bin (dass ich das genau an diesem Tag feststellte, war natürlich reiner Zufall).
19:23
Meine Mutter (während sie eine Weihnachtsbaumkugel in die Schachtel legt): »Woran denkst du, mein Mäuschen?«
Ich: »Ähm … äh …« (bloß nichts von Nicolas sagen!) »Äh … ich muss gerade daran denken, wie sie beim Schwimmwettkampf die nächste Runde gestartet haben, obwohl ich noch gar nicht fertig war.«
Meine Mutter: »Ach mein armes Schätzchen!« (Sie nimmt mich in den Arm.) »Mach dir nichts draus. Ich finde, du hast dich sehr tapfer geschlagen!«
Oh je!
Ich habe beschlossen, mir nichts daraus zu machen, dass Nicolas sich nicht meldet. Ich bin bis jetzt – und zwar vierzehn Jahre lang – bestens klargekommen, ohne mit ihm zu telefonieren. Ich glaube, ich kann auch die nächsten siebzig Jahre gut darauf verzichten.
18:01
Nach dem Essen ist meine Mutter im Gegensatz zu mir voller Tatendrang.
Meine Mutter: »Komm Amélie, wir gehen in den Baumarkt und suchen neue Farben für die Wände aus!«
Ich: »Chattest du heute nicht?«
Meine Mutter: »Ich habe eine Bildschirm-Überdosis! Ich muss mal raus! Und du auch. Na komm, das wird uns beiden guttun!«
Ich: »Hm … Ich würde ja gerne mitkommen, aber ich muss hierbleiben, weil … äh … Sybil krank ist.«
Meine Mutter mustert Sybil, die munter nach dem Gürtel ihres Mantels springt.
Meine Mutter: »Krank?«
Ich: »Sie hat eine seltene Erkrankung des … Gehirns. Ich glaube, wir sollten sie besser nicht aus den Augen lassen. Sie könnte etwas kaputt machen. Wenn wir zurückkommen, ist hier vielleicht ein Riesenchaos und deine Sessel sind alle zerkratzt. Oder so.«
Meine Mutter: »Deine Katze bringt keine fünfhundert Gramm auf die Waage! Bis die was kaputtmachen kann, dauert es noch eine Ewigkeit. Na los!«
To do: Sybil Vitamincocktails verabreichen, damit der Grund »schreckliche Hausverwüstung durch Katze« möglichst bald ein glaubhaftes Alibi wird, um nicht mit in den Baumarkt zu müssen!
18:30
Meine Mutter und ich sind in der Farben-Abteilung. Unsere Wände haben schon ewig denselben Anstrich. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir das letzte Mal renoviert haben. Mein Vater muss noch gelebt haben. Also ist es mindestens fünf Jahre her.
19:05
Wie lange stehen wir jetzt schon vor der Farbpalette? Eine E-wig-keit! Es gibt jede Menge Farben, die alle gleich aussehen, bis auf eine winzige Schattierung, die angeblich erst an der Wand sichtbar wird. Und diese Baumarkt-Musik ist echt deprimierend. Aber meine Mutter will nicht, dass ich Musik von meinem iPod höre, weil sie meint, das hindere uns am Kommunizieren (seufz).
Ich: »Mama, willst du echt renovieren?«
Meine Mutter (aufgekratzt): »Ja. Deine Idee war wirklich genial!«
Ich: »Hm. Na ja.«
Meine Mutter: »Was ist? Hast du deine Meinung geändert?«
Ich: »Ich weiß nur nicht, ob der Zeitpunkt so günstig ist. Ich habe so viele gute Vorsätze fürs neue Jahr und ich will wirklich bessere Noten in der Schule kriegen … und, äh … dir mehr im Haushalt helfen. Allein diese beiden Vorsätze sind echt zeitaufwendig. Und du … vernachlässigst deinen Plan, einen Freund zu finden. Kann doch sein, dass du erst ewig chatten musst, bevor du den Richtigen findest. Wenn wir jedes Wochenende streichen, wird das schwierig.«
Mein Argument schlägt ein wie eine Bombe. Ich erkenne es am Gesicht meiner Mutter.
Meine Mutter: »Hm … vielleicht hast du recht.« (Sie betrachtet die Farbkarten in ihrer Hand.) »Und sag mal … es würde dich nicht stören, wenn ich einen Freund habe?«
Ich: »Nein.« (Besser gesagt: Doch. Aber es kann ja noch ewig dauern, bis du einen findest! Haha!)
Meine Mutter schaut mich an und mustert dann wieder die Karte im Farbton »Eiskaffee« in ihrer Hand. Schließlich sagt sie, es sei eine gute Idee, bis zum Frühjahr zu warten. Vor allem, weil wir dann bei offenem Fenster streichen können. Sie meint, vielleicht hätte sie sich zu schnell in diese Idee hineingesteigert. Sie sei gerade sozusagen im »Veränderungsrausch«.
Ich habe trotzdem die Farbkarte »Kirschrot« eingesteckt. Ich glaube, der Ton könnte in meinem zukünftigen Zimmer ganz gut aussehen.
19:15
Als wir an den Gartenmöbeln vorbei auf den Ausgang zusteuern, steigt mir plötzlich ein superguter Geruch in die Nase.
Ich: »Mama, verkaufen die hier auch Weichspüler?«
Meine Mutter: »Keine Ahnung … würde mich nicht wundern. Hier gibt’s ja so gut wie alles!«
Es riecht genau wie der Weichspüler von Nicolas! Wenn ich herausfinde, woher der Geruch kommt, könnten wir die gleiche Sorte kaufen. (Nicht, dass ich so riechen will wie er, aber … scheint eine gute Marke zu sein.) Ich recke meine Nase in die Luft, schnuppere und stolpere … direkt in seine Arme! Ich mache einen Satz zurück und quietsche »Aaaah!«. Mist. Total auffällig.
Meine Mutter (laut): »Das ist er, Amélie! Das ist der Junge, der mir Sybil verkauft hat!«
Diskretion scheint in meiner Familie ein Fremdwort zu sein. Ich bin immer noch starr vor Schreck. Nicolas ist mit seinem Vater unterwegs. Plötzlich habe ich Panik, er könnte auf die Idee kommen, mich vor unseren Eltern zu küssen. Schnell tue ich so, als würde ich mich brennend für einen Klappstuhl interessieren.
Ich: »Guck mal, France, so ein schöner Klappstuhl. Genau das, was wir suchen!«
Keine Ahnung, warum ich meine Mutter plötzlich beim Vornamen nenne. Ist mir einfach so rausgerutscht. Meine Mutter sieht erst mich an, dann Nicolas, und ich habe den Eindruck, dass sie alles durchschaut.
Meine Mutter (zu Nicolas): »Vielen Dank noch mal für die kleine Katze! Wir sind so froh, dass wir sie haben.«
Nicolas: »Gern geschehen. Wie geht’s dir, Amélie?«
Ich: »Gut. Und dir?«
Meine Mutter (hält seinem Vater die Hand hin): »Hallo. France Charbonneau.«
Vater von Nicolas (ergreift lächelnd die Hand meiner Mutter): »Yves Dubuc.«
Meine Mutter: »Yves, ich bräuchte mal einen fachmännischen Rat zu unserem Grill. Wir haben das gleiche Modell wie das dahinten.«
Meine Mutter verschwindet mit Nicolas’ Vater ein Stück den Gang hinunter. DABEI HABEN WIR ÜBERHAUPT KEINEN GRILL. UND ES IST TIEFSTER WINTER!!! Meine Mutter ist echt gewieft.
19:22
Nicolas (schaut zu unseren Eltern rüber): »Deine Mutter ist cool.«
Ich: »Dein Vater ist nicht zufällig Single? Nicht, dass meine Mutter sich in den Vater eines Typen verknallt, den ich … äh …«
Nicolas: »… den du was?«
Ich: »Den ich … äh … den ich kenne.«
Nicolas: »Haha, keine Angst! Der hat schon eine Freundin!«
Ich: »Ah. Umso besser. Übrigens, äh … danke … für Sybil. Meine Mutter hat erzählt, dass du sie für mich reserviert hattest.«
Nicolas: »Ich habe gesehen, dass es zwischen euch gefunkt hat. Es wäre schade gewesen, euch auseinanderzureißen.«
Ich spüre plötzlich, dass meine Beine zittern und bin etwas benebelt von seinem guten Weichspüler-Duft.
Ich: »Was ich dich schon die ganze Zeit fragen wollte, äh … was nimmt deine Mutter … oder die Freundin deines Vaters … oder dein Vater … oder jedenfalls die Person, die bei euch die Wäsche macht, für einen Weichspüler?«
Nicolas: »Hahaha! Keine Ahnung!«
Ich: »Hm.«
Nicolas: »Hattest du schöne Feiertage?«
Ich: »Ja.«
Nicolas: »Frohes neues Jahr, übrigens.«
Ich: »Frohes neues Jahr.«
Nicolas: »Ich wollte dich anrufen, aber … wir haben keine Nummern ausgetauscht.«
Ich: »Mmmh.«
Ein Verkäufer kommt vorbei und Nicolas bittet ihn um seinen Stift. Dann nimmt er meine Hand, schreibt eine Telefonnummer darauf (vermutlich seine, irgendeine andere Nummer aufzuschreiben hätte ja keinen Sinn) und malt ein Smiley daneben. Er sagt:
»Ruf mich an!«
19:56
Im Auto grinst meine Mutter in sich hinein, aber sie stellt mir keine Fragen. Puh! Ich bin noch nicht bereit, ihr alles zu erzählen. Ich sage nur:
»Na, weißt du jetzt, wie der Grill funktioniert?«
Darauf brechen wir beide in Lachen aus.
20:00
Als ich mir gerade die Hände waschen wollte, habe ich gemerkt, dass ich immer noch Nicolas’ Nummer auf dem Handrücken hatte (die hatte ich tatsächlich total vergessen!). Ich habe sie vorsichtshalber in mein Adressbuch geschrieben, nur für den Fall, dass ich sie eines Tages brauchen könnte.
Mögliche Fälle, in denen ich seine Nummer brauchen könnte:
Sybil läuft weg. (Nicolas weiß, wie sie aussieht, und er hängt an ihr, weil er sie kennt, seit sie klein ist. Also könnte ich ihn bitten, mir beim Suchen zu helfen.) P. S.: Ich hoffe, dass dieser Fall niemals eintritt (nicht, dass Nicolas mir hilft, sondern dass Sybil wegläuft).
Ich vergesse meinen Schlüssel, stehe vor der Tür und kann niemanden erreichen. Irgendjemand muss mir helfen. (Für diesen Fall müsste ich seine Nummer auswendig lernen, denn ohne Schlüssel könnte ich ja auch nicht in meinem Adressbuch nachgucken.)
Ich lasse die Badewanne überlaufen und das Haus steht unter Wasser. (Vielleicht kennt er einen Klempner?)
Beim Stöbern im Kleiderschrank meiner Mutter fällt die Kleiderstange runter und ich kann sie allein nicht wieder anbringen. (Meine Mutter würde mich ganz schön zur Schnecke machen, wenn sie wüsste, dass ich in ihrem Kleiderschrank rumgewühlt habe. Und Kat wäre für diese Aufgabe nicht zu gebrauchen.)
Ich bin allein zu Hause, mache mir Toast und bin nicht in der Lage, das Glas … äh … Himbeermarmelade zu öffnen. Nachdem ich alle möglichen Leute angerufen und niemanden erreicht habe, müsste ich es wohl bei Nicolas probieren. Schließlich soll der Toast nicht vergeudet werden! (Ich merke schon, das ist nicht wirklich überzeugend. Ich könnte zum Beispiel stattdessen einfach Erdnussbutter nehmen. Aber vermutlich würde es gar nicht erst zu dieser Situation kommen, weil meine Mutter ohnehin mal wieder keine Vorräte eingekauft hätte und nur ein einziges, bereits geöffnetes Glas Marmelade im Haus wäre …)
Kat ist wieder da! Endlich!!!!!!!!!
Als sie anrief, schaute ich gerade einen Film im Fernsehen (in den Weihnachtsferien laufen echt gute Filme!). Aber es machte mir nichts aus, den Film zu unterbrechen, weil ich 1) seit einer Ewigkeit nicht mehr mit Kat geredet und 2) das mit den guten Filmen ironisch gemeint habe!
14:56
Wir telefonieren schon seit einer Stunde. Kat hat jede Menge Geschenke bekommen, darunter auch die neue Version von Dance Dance Revolution für ihre Play Station. Darüber hat sie sich wahnsinnig gefreut, weil sie bislang nur das Spiel Britney Spears Dance Beat hatte. Und weil auf keinen Fall jemand erfahren soll, dass sie mal Britney-Spears-Fan war, spielt sie es nicht mehr und bewahrt es in einem Versteck auf. Sie ist dann immer ins Jugendzentrum gegangen, um zu Dance Dance Revolution zu tanzen, aber mit der Zeit ging das ins Geld, weil man jedes Mal bezahlen musste. Da ich in dem Spiel nicht besonders gut bin (besser gesagt: unterirdisch schlecht), hat sie angeboten, ich könne bei ihr üben.
14:59
Vorm Auflegen hat Kat beteuert, dass ich ihr wahnsinnig gefehlt habe! Ich habe erwidert: »Du mir auch!!!!!!!!!!!!!« Darauf sie:
»Tut mir leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich durfte pro Tag nur ein Fünf-Minuten-Gespräch führen, und da habe ich natürlich Ham angerufen.«
Ich: »Jeden Tag?«
Kat: »Ja, aber er ist ja auch mein Freund! Ich treffe mich übrigens gleich mit ihm … und morgen … und Sonntag auch.«
Ich: »Und ich?«
Kat: »Wir sehen uns doch in der Schule, am Montag, am Dienstag, am Mittwoch, am Donnerstag und am Freitag! Ham geht schließlich nicht auf unsere Schule …«
Ich: »Natürlich nicht! Die Schule ist ja auch für M-Ä-D-C-H-E-N!«
Kat: »Kannst du das nicht verstehen? Ich habe ihn so lange nicht gesehen und werde ihn auch die ganze nächste Woche nicht sehen können.«
Ich höre Kats Schwester Julianne im Hintergrund rufen: »Schnulz, schnulz!«
Kat (zu ihrer Schwester, bestimmt nicht zu mir): »Arrrgh! Halt die Klappe! Ich telefoniere!«
Ich: »Mmmh ja … verstehe. Ich freue mich jedenfalls darauf, dich wiederzusehen!«
Kat: »Ich mich auch!«
Eine Sache, die in meinem Leben nichts zu suchen hat: Die Liebe. KOTZ!
P. S.: Eigentlich wollte ich mich mit Kat treffen, um ihr endlich – und nicht am Telefon – von meinem Zungenkuss mit Nicolas zu erzählen. Aber wenn sie sich lieber mit Ham treffen will, bitte! Dann erfährt sie meine Superneuigkeit eben nicht! Ein bisschen Rache muss sein.
Meine Mutter chattet immer noch. Von wegen Bildschirm-Überdosis! Ich weiß nicht, ob ich mich freuen soll, weil ihr das bestimmt guttut. Oder ob ich mir nicht eher Sorgen machen muss, weil man nie wissen kann, an was für Typen sie da gerät. Sie könnte von irgendwelchen Frauenhändlern entführt werden oder so. Meine Mutter sieht echt toll aus und würde bestimmt einen guten Preis erzielen. Jemanden im Internet kennenzulernen kann echt gefährlich sein. Puh, nicht gleich durchdrehen! Im Moment chattet sie ja nur.
Mittags
Ich esse ein Truthahn-Sandwich und schaue dabei Musikvideos auf MusiquePlus. Ich bin echt fasziniert von einem Clip, in dem eine Sängerin einen String-Tanga über der Jeans trägt. Das ist doch total unhygienisch! Ich dachte, Unterhosen sind dazu da, die Kleidung zu schützen. Was bringt es, sich die Unterhose über die Jeans zu ziehen? Oder benutzt sie ihre Jeans wie Unterhosen und zieht jeden Tag eine frische an? Vielleicht trägt sie ja sowohl unter als auch über der Jeans eine Unterhose. Mann, die muss echt auf Unterhosen stehen. Ich finde, das sieht ziemlich blöd aus. Genauso blöd, wie Socken über den Schuhen zu tragen. Hoffentlich kommt meine Mutter nicht auf die Idee, das mal mit ihren Tangas auszuprobieren.
12:10
Mir ist megalangweilig.
12:15
Aber so richtig!
12:20
Mir ist so richtig megalangweilig!!!!!!!
12:25
Ich dachte, ich würde meine letzten Ferientage mit Kat verbringen. Aber die verbringt ihre letzten Ferientage mit Ham. Eine andere beste Freundin, die ich anrufen könnte, um etwas zu unternehmen, habe ich nicht. In jedem Fall würde es so aussehen, als bräuchte ich einen Lückenbüßer.
Sollte ich vielleicht, um mir nicht die Ferien komplett zu verderben, Nicolas anrufen?
Wirklich nur, um mir nicht die Ferien zu verderben. Man könnte die Situation ja fast schon als Notfall bezeichnen. Als sozialen Notfall, sozusagen.
14:12
Erst muss ich Nicolas’ Nummer auswendig lernen, vorher fühle ich mich nicht bereit ihn anzurufen. Mann, die Nummer ist echt nicht einfach zu merken. Und was soll ich bloß zu ihm sagen? Aber er hat mich ja aufgefordert, ihn anzurufen, also hat er vielleicht mir etwas zu sagen und ich muss gar kein Gesprächsthema finden. Ich könnte zum Beispiel sagen, dass es echt unhöflich ist, anderen Leuten auf die Hand zu schreiben. Nein, das ist zu aggressiv. Vielleicht eher: »Bist du gut im Marmeladengläseröffnen?« Hahaha! Nein, was für ein Schwachsinn.
14:15
O. k., ich bin bereit. Ich rufe ihn an.
14:15 (und 30 Sekunden)
Ahhhhh, doch nicht! Ich kann nicht! Hihihihihihihi!
14:16
Na gut, ich mach’s.
14:16 (und 30 Sekunden)
Hihihihihihihihi! Neeeeeiiiiiiiiiin!
14:17
Wenn ich es jemals schaffe, ihn anzurufen, darf ich auf keinen Fall auf den 23. Dezember zu sprechen kommen, den Tag, an dem wir uns geküsst haben.
14:17 (und 30 Sekunden)
O. k. Ich wähle seine Nummer. Uuuaaah! Ich werde rot. Es klingelt. Hilfeeeeeeeee!
Jemand hebt ab. Aaaaaaaaaaaaaaah! Es ist eine Frau.
Ich: »Äh … ja, hallo. Äh … könnte ich Nicolas sprechen, bitte?«
Die Frau (bestimmt die Freundin seines Vaters): »Nicolas ist nicht da. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
Ich: »Äh … nein. Danke. Ich rufe später noch mal an.«
Ach Mist! Und dabei war ich doch endlich bereit!
Wann ist der beste Zeitpunkt, um noch mal anzurufen? In einer Stunde? Oder morgen? Ich habe so verdammt lange gebraucht, um mich vorzubereiten, und jetzt war ich endlich so weit. Was für eine Verschwendung mentaler Vorbereitung! Nein, ich kann nicht noch mal anrufen. Das käme echt uncool.
15:14
Es sei denn, ich verstelle meine Stimme. Dann kann die Frau ihm nicht sagen, dass zweimal dasselbe Mädchen angerufen hat, weil sie es gar nicht merkt!
15:16
O. k., los geht’s! Es klingelt. Ein Mann meldet sich. Jetzt bin ich total verwirrt! Ich hatte mich darauf eingestellt, mit veränderter Stimme zu reden. Aber während ich nach Nicolas frage, fällt mir auf, dass das unnötig ist, weil der Mann meine Stimme beim ersten Mal ja gar nicht gehört hat (es sei denn, sie nutzen den Lautsprecher). Das Ganze klingt also in etwa so:
Ich (mit verstellter tiefer Stimme): »Könnte ich …«
Ich (mit höher werdender Stimme): »… bitte …«
Ich (mit meiner eigenen Stimme, etwas schneller als sonst): »… mit Nicolas sprechen?«
Der Mann (vermutlich Nicolas’ Vater): »Er ist gerade nicht zu Hause. Kann ich ihm etwas ausrichten?«
Ich: »Äh, nein, danke. Ich melde mich später noch mal.« (NIE WIEDER!)