Das verdrehte Leben der Amélie, 3, Sommerliebe - India Desjardins - E-Book

Das verdrehte Leben der Amélie, 3, Sommerliebe E-Book

India Desjardins

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Beschreibung

Endlich Sommerferien! Grund zur Freude? Nicht für Amélie: Sie muss die Ferien ganz allein bei ihrer Großmutter verbringen. Auf dem Land, ohne ihre beste Freundin Kat und ganz ohne Jungs! Mal ehrlich, kann es Schlimmeres geben? Doch dann lernt Amélie Gabriel kennen und das Chaos ist (mal wieder) perfekt ...

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Umschlagillustration: Carolin Liepins, München Umschlaggestaltung: init.büro für gestaltung, Bielefeld Innenillustrationen: Josée Tellier, Montreal Titel der französischen Originalausgabe: Le journal d’Aurélie Laflamme, Un été chez ma grand-mère! ©2007 Les Éditions des Intouchables, Québec, Canada

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele

Widmung

Mai: Erst mal Gras drüber wachsen lassen

Sonntag, 7. Mai

Hallo, ich heiße Amélie Laflamme, ich bin 14 Jahre alt, bald 15, und ich bin ein Schokoholic.

Ich habe im Wörterbuch nachgeschlagen, der Begriff existiert nicht. Dass ich extra ein Wort erfinden muss, um mich treffend zu beschreiben, liefert den hunderttausendsten Beweis, dass die menschliche Spezies und ich absolut nichts gemeinsam haben.

Seit einiger Zeit bin ich verrückt nach Schokolade. Nicht, dass ich früher keine mochte. Ich mochte schon immer Schokolade. Aber neuerdings übersteigt diese Vorliebe jedes vernünftige Maß. Schokolade essen ist für mich zu einer Art Gewohnheit geworden (man könnte auch sagen, zur Sucht).

Und schuld daran ist nur Ostern! Weil man da so viel Schokolade geschenkt bekommt (was nicht heißen soll, zu viel). Schokolade spielt in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle (genau wie in meinem Bauch). Mmmh … Schokolade ist soooo gut! Und am besten ist sie nicht im Bauch, sondern im Mund, kurz vorm Runterschlucken. Wenn ich an einem Stück Schokolade schnuppere, vergesse ich alle meine Probleme. Der Duft steigt mir in die Nase. Es ist ein einzigartiger Duft, genauer kann ich ihn nicht beschreiben. Eben der Duft nach Schokolaa­aaa­aaaaaaade! Wenn ich genug geschnuppert habe (bis ich nichts mehr rieche), stecke ich das Stück in den Mund. Ohhhhhhh! Die reine Ekstase. Es ist, als tanzten die Geschmackspapillen auf meiner Zunge. Als hätten die Geschmackspapillen kleine Arme, die sie in die Luft werfen und dabei rufen: »Zugabe! Zugabe! Zugabe!«

15:32

Hmm. Die Vorstellung von Geschmackspapillen in Menschengestalt verstört mich irgendwie. Vor allem, weil sie in meiner Vorstellung nur halb menschlich sind, dicke rosa Kugeln mit Kulleraugen, unförmigen rosa ­Armen, ohne Hände, ohne Finger, aber mit Daumen. Ich frage mich, was meine Bio-Lehrerin, Schwester Rose, zu meiner Vorstellung von Geschmackspapillen sagen würde. Aber jedenfalls weiß ich, dass meine Geschmacks­papillen in diesem Moment glücklich sind, ich esse nämlich gerade Schokolade … Mjamm, mjamm, mjamm!

15:37

Ich: »Mamaaaaaa! Telefoooooooon!«

Meine Mutter kommt in die Küche. Sie nimmt mir das Telefon aus der Hand, deckt den unteren Teil des Hörers ab und flüstert mir zu: »Amélie, brüll den Leuten nicht so ins Ohr, das ist unhöflich. Drück die Stumm-Taste.« (Sie nimmt die Hand wieder weg.)

»Ja, hallo? Hallo? Hallo? Halloooooooo?«

Ich: »Ich habe die Stumm-Taste gedrückt.«

Meine Mutter (die keine Miene verzieht, sich aber bestimmt schlecht fühlt, weil sie mich zu Unrecht angeschnauzt hat) drückt auf die Taste und spricht mit meiner Tante Louise, ihrer Schwester. Das Gespräch klingt etwa so: »Bla bla bla, mecker mecker …« Ich gehe dann mal in mein Zimmer.

15:38

Es gibt einen Spruch, den ich nicht mehr hören kann (und der meiner Meinung nach aus dem Sprichwortschatz dieses Planeten gelöscht werden sollte). Meine Tante hat ihn gerade zitiert, bevor ich auf die besagte Stumm-Taste gedrückt habe: »Einen verloren, zehn gefunden.«

Ich weiß nicht, wie viele Erwachsene mir schon mit diesem Spruch gekommen sind, seit Nicolas mit mir Schluss gemacht hat. Als würde mir das irgendwas bringen. Als wäre das ein Trost. Als wäre mein Liebeskummer total sinnlos und als könnte dieser Spruch alles wieder einrenken. Als würde ich mir an die Stirn schlagen und sagen: »Ach ja, na klar! Daran habe ich ja gar nicht gedacht! Ein Glück, dass Nicolas Schluss gemacht hat! Endlich ist in meinem Leben Platz für zehn andere Idioten! Ich werde mir zehn Typen anlachen, die alle nicht Nicolas sind, und mit diesen zehn Jungs werde ich suuuuuuuuuuuperglücklich werden!« Wenn man ihnen Glauben schenkt, dann wollen die Erwachsenen anscheinend, dass ich was mit ZEHN JUNGS GLEICHZEITG ANFANGE!!!!!!!!!!!! Was für eine bescheuerte/hirnrissige/absurde Idee!

Kat ist mir zum Glück noch nicht mit diesem Spruch gekommen. Das wäre auch unter der Würde einer besten Freundin. Vor allem, weil sie selbst nur zu gut weiß, wie schrecklich Liebeskummer sein kann. (Auch wenn ich nicht ganz verstehe, warum, denn ihr Ex, Jean-David Hammond alias Ham, ist ein wirklich total bescheuerter Typ. PS: Diese letzte Information nicht durchsickern lassen. Also nicht zu Ham, sondern zu Kat. Ähm … na, zu Ham besser auch nicht). Kat weiß genau, dass man aus den Erwachsenen, die einen solchen Spruch bringen, am besten Hackfleisch machen sollte.

Also … es ist ja hoffentlich klar, dass ich ein pazifistischer Mensch bin, und natürlich werde ich aus niemandem Hackfleisch machen. Es wäre wohl leicht übertrieben, wenn ich aufgrund eines unschuldigen kleinen Spruchs (ich könnte mir ja auch die Ohren zuhalten oder einen laut knuspernden Erdnussriegel essen, dann müsste ich ihn nicht hören) plötzlich übermenschliche Kräfte entwickeln (vor lauter Wut und Frustration) und die Person, die es gewagt hat, diesen Satz zu sagen, zu Hackfleisch machen würde.

Außerdem habe ich letzte Woche beschlossen, erwachsen zu werden. Jemanden zu Hackfleisch zu machen kommt mir nicht sehr erwachsen vor. Seit einer Woche gucke ich die Nachrichten im Fernsehen, um mich zu informieren, was im Rest der Welt vor sich geht (nichts Erfreuliches, muss ich sagen), ich lerne für die Schule (ich hab auch keine Wahl, meine Noten sind krass abgestürzt: kawumms!) und ich sage wichtigtuerische Sätze wie: »Es ist höchste Zeit, dass wir uns um das Wohlergehen unseres Planeten kümmern!« (Wenn ich diesen Satz sage – bislang erst einmal – stelle ich mir vor, dass ich eine Brille trage, das wirkt noch seriöser.)

Erwachsen zu sein macht jedenfalls nicht so viel Spaß, wie man denken könnte. Also esse ich Schokolade. Denn das macht wirklich, wirklich, wirklich, wirklich Spaß! Mein einziges Vergnügen. Ich habe die ganze Schoko­lade, die ich zu Ostern bekommen habe, heimlich in ­meinem Zimmer gelagert. Wann immer mir danach ist, ziehe ich mich hierher zurück (in mein frisch kirschrot-hellrosa gestrichenes Zimmer) und mache mich über meinen Vorrat her. Dadurch erlebe ich ganz außerordentliche euphorische Anfälle (das ist zum Beispiel eine dieser erwachsenen Formulierungen, auf die ich nur komme, weil die Schokolade meine Gehirnzellen auf Hochtouren bringt) und ich verspüre ein namenloses Glück (hahaha! »Namenloses Glück« ist echt ein bescheuerter Ausdruck). Dank der Schokolade freue ich mich über die kleinen Dinge des Lebens, wie eben die Formulierung »namenloses Glück«.

15:48

Das Glück heißt weder Robert, Jean oder Guy: Es hat keinen Namen! Hahahahahahaha! (Seufz.) Ich muss mir eine Träne aus dem Augenwinkel wischen, so sehr habe ich gelacht.

16:00

Meine Mutter hat ihr Telefongespräch beendet. Sie beschwert sich:

»Loulou hat gesagt, du hättest einfach aufgelegt.«

Ich (verdrehe die Augen): »Ich habe nicht einfach aufgelegt, ich habe die Stumm-Taste gedrückt, genau wie du es immer verlangst!«

Meine Mutter: »Ja, aber du hast nicht ›einen Moment‹ dazu gesagt.«

Ich: »Na, wenn am anderen Ende nichts mehr zu hören ist, kann sie sich doch wohl denken, dass nach ›einem Moment‹ wieder jemand spricht. Und wenn wirklich die Verbindung weg wäre, müsste sie doch bloß noch mal anrufen. Also, so oder so muss sie doch nur ›einen Moment‹ warten, ohne dass es ihr jemand ausdrücklich sagen muss. Ist doch logisch!« (Für sie anscheinend nicht. Sie glaubt schließlich auch, es wäre ein Trost, mit zehn Typen gleichzeitig was anzufangen … Tsss!)

Meine Mutter: »Amélie, also wirklich! Ich weiß nicht, was mit dir los ist, aber ich finde dich in letzter Zeit etwas überreizt.«

Und das sagt ausgerechnet meine Mutter! Die nach dem Tod meines Vaters fünf Jahre lang wie ein Zombie herumlief, bis sie vor ein paar Monaten ihren Kleiderschrank ausgemistet und das Haus neu gestrichen hat. Und sich nach diesem Großputz (den sie einen »Energiewechsel« nennt) auch noch einen neuen Freund zulegte, François Blais, einen der nervigsten Menschen auf diesem Planeten. Ganz zu schweigen davon, dass meine Mutter France heißt und ihr Freund François. Pfff! Das ist ja, als wäre ich mit einem Typen zusammen, der, keine Ahnung … Amélius heißt! So ein Schwachsinn! Und das ist noch nicht das Allerschlimmste. Das Allerschlimmste ist, dass meine Mutter (France) und ihr Freund (François) diesen Sommer einen Monat in … Frankreich verbringen! Ein Glück, dass es Schokolade gibt, sonst wäre das Leben vollkommen absurd.

16:32

Meine Schoko-Exzesse sind übrigens nur möglich, weil meine Mutter vergessen hat, dass ich tonnenweise Schokolade zu Ostern bekommen habe (totaler Alzheimer) und daher auch nicht weiß, dass ich sie in meinem Zimmer verstecke. Meine Mutter glaubt nämlich, Süßigkeiten führen zu schlechten Leistungen in der Schule! Pfff! So ein Blödsinn! Letzte Woche habe ich überhaupt nur dank der Schokolade (und der Vorfreude darauf) die Schule überlebt. Der Unterricht war so langweilig, dass ich mit offenen Augen geschlafen habe, während die Lehrer redeten (ehrlich wahr, das ist möglich, vor allem in Mathe)!

16:34

Im Internet finden sich 35 000 Treffer zu dem Wort »Schokoholic«. Ich bin gerührt. Das ist das erste Mal, das ich mich einer Gemeinschaft zugehörig fühle.

20:01

»Namenloses Glück.« Hahahahahaha! Allein der Ausdruck bereitet mir eines (ein namenloses Glück, meine ich)! Das Leben kann doch ganz schön sein, wenn es von Schokolade und seltsamen Formulierungen versüßt wird.

Montag, 8. Mai

Der Vorteil daran, dass ich auf eine Mädchenschule gehe: Ich kann dort wenigstens nicht meinem Ex über den Weg laufen. Wenn ich mich von jetzt an nur noch in der Schule und zu Hause aufhalte (in der Schule, weil irgendein Gesetz es so will, und zu Hause, weil ich da wohne), beträgt die statistische Wahrscheinlichkeit eines zufälligen Treffens 0%. Und das ist gut so.

Heute bin ich seit genau einem Monat nicht mehr mit Nicolas zusammen, dem Jungen, den ich M.A.A.A.D.W. mag (mehr als alles auf der Welt!). Es war seine Idee, dass wir Schluss machen (eine schlechte Idee, finde ich). Nur, weil mein Kumpel Tommy mich geküsst hat. Dabei hatte das echt nichts zu bedeuten! Und es geschah total gegen meinen Willen! Aber … dummerweise standen wir dabei gerade vor dem Studiofenster von MusiquePlus. Die ganze Szene wurde gefilmt und war im Fernsehen zu sehen! Allerdings nicht mehr der Teil, als ich Tommy weggeschubst habe. Inzwischen habe ich Tommy verziehen. Aber Nicolas hat mir nicht verziehen. Er sagt, er fühle sich zu sehr »gedemütigt«, weil er immer wieder darauf angesprochen wird, dass seine Freundin im Fernsehen mit einem anderen geknutscht hat …

Mein Lebensziel: Eine große Wissenschaftlerin werden und die Zeitmaschine erfinden, um in die Vergangenheit zu reisen und den Erfinder des Fernsehens daran zu hindern, das Fernsehen zu erfinden.

Mein Lebensziel – korrigierte Version: Eine große Wissenschaftlerin werden und die Zeitmaschine erfinden, um in die Vergangenheit zu reisen und Tommy ­daran zu hindern, mich zu küssen (wenn ich es recht bedenke, wäre es vielleicht doch nicht so praktisch, die Erfindung des Fernsehens zu verhindern …).

8:17

Ich komme in der Schule an. Kat steht vor ihrem Fach und kramt darin. Um sie herum liegen jede Menge Bücher und Zettel.

Als ich ihr neulich verkündet habe, dass ich den Sommer bei meiner Großmutter verbringe, hat sie nicht besonders emotional darauf reagiert, obwohl ich erst nach ihr aus den Ferien wiederkomme. Ich finde, sie ist ein bisschen zu sehr im Pferdefieber, seit sie weiß, dass sie den ganzen Juli auf einem Reiterhof verbringen wird. Als ich Tommy davon erzählt habe, meinte der nur, er werde ohnehin die ganzen Ferien bei seiner Mutter verbringen und ich würde mich ohne ihn bestimmt einsam fühlen (pfff! Der hat echt keine Probleme mit seinem Selbstbewusstsein, das steht fest!). Wir werden alle drei an einem anderen Ende der Welt sein. Ich hoffe, meine Großmutter hat Internet, damit ich ihnen schreiben kann. Meine Freunde werden mir so fehlen! (Vielleicht hat Tommy doch ein bisschen recht …)

8:18

Ich nehme die Bücher aus meinem Fach, die ich heute Vormittag brauche, und betrachte Kat in ihrem Chaos.

Ich: »Was suchst du?«

Kat: »Mein Erdkundebuch.«

Ich: »Willst du meins haben?«

Kat: »Es ist heute, oder?«

Ich: »Äh … ja, ich habe heute auch Erdkunde, aber du kannst mir das Buch in der Pause zurück­geben.«

Kat: »Nein, ich meine … es ist heute einen Monat her, das mit Nicolas, oder?«

Ich: »Ja.«

Kat: »Wollen wir nach der Schule was zusammen machen?«

Ich: »Hmmm … meine Mutter will nicht, dass ich nach der Schule noch was unternehme, weil ich lernen soll. Ich lebe wie in einer Militärdiktatur!«

Kat: »Weißt du, das geht vorbei.«

Ich: »Die Militärdiktatur?«

Kat: »Nein. Der Liebeskummer. Ich denke eigentlich gar nicht mehr an Ham.«

Das wurde aber auch Zeit!

8:21

Ich hole mein Erdkundebuch aus dem Fach und gebe es Kat. Dann stecke ich mein Französischbuch in die Tasche.

Kat: »Und dann fährt deine Mutter noch den ganzen Sommer nach Frankreich. Du musst ganz schön deprimiert sein.«

Ich: »Quatsch. Ich freue mich TOTAL, dass meine Mutter nach Frankreich fährt!«

Kat verdreht die Augen.

Ich: »Was?«

Kat: »Das machst du immer!«

Ich: »Was?«

Kat: »So tun, als ob dich etwas nicht stört, und dabei stört es dich doch.«

Ich: »Meine Mutter hat ein Recht auf ihr Glück, und ich freue mich für sie!«

Kat: »Ja, klar!« Sie beugt sich in ihr Fach. »He! Schau mal, was ich gefunden habe!« (Sie zeigt mir ein altes klebriges Maoam.) »Willst du?«

Ich: »Bäh!!!«

Kat denkt, ich bin deprimiert, aber das stimmt nicht. Und selbst wenn es so wäre (immerhin ist es heute einen Monat her, es wäre also verständlich), würde ich niemals so durchdrehen wie sie!

8:31

Französisch.

Ich kann mich einfach nicht darauf konzentrieren, was Madame Claude sagt, dabei ist sie eigentlich eine meiner Lieblingslehrerinnen. Noch dazu im sogenannten »Begabtenkurs«, wo ich jede Menge Luft nach oben habe, um mich zu verbessern.

Allerdings müsste ich mich dafür konzentrieren. Vor einer Woche hat Madame Claude mich gewarnt, sie werde ein Auge auf mich haben. Das habe ich mir wohl selbst eingebrockt. Ich hatte in der Stunde davor ein selbst ­geschriebenes Gedicht vorgetragen und bin dann mitten im Unterricht aus der Schule gestürmt. Allerdings mit gutem Grund! Ich hatte meiner Mutter gesagt, ich wolle nicht, dass sie mit François Blais nach Frankreich fliegt und sie wollte daraufhin die Reise absagen. Aber dann tat es mir leid. Ich bin aus der Schule direkt zu meiner Mutter ins Büro gerannt und habe ihr gesagt, dass sie doch fahren soll. Ich mag François Blais zwar nicht besonders, aber ich finde, meine Mutter hat ein Recht auf ein neues Leben und ein bisschen »Glück«. Meine Mutter hat ­unserem Schuldirektor, Monsieur Beaulieu, zwar alles ­erklärt, aber Madame Claude hat mich trotzdem nach­sitzen lassen. Ich musste hundertmal mein eigenes Gedicht abschreiben. Total bescheuert (und nicht gerade umweltfreundlich)! Und dann hat sie mich auch noch gewarnt, dass sie ein Auge auf mich haben werde. (Pfff, echt unsensibel!)

8:34

Madame Claude spricht von einem Buch, das wir lesen und analysieren müssen. Aber da ich am Fenster sitze, wandert mein Blick nach draußen und meine Gedanken fliegen zu Nicolas, statt auf die Worte meiner Lehrerin zu achten. Etwas mehr Konzentration bitte. Kon-zen-tra-tion!

8:35

Es stimmt, was alle sagen: dass die Zeit die Wunden heilt. Die Zeit hat alles geheilt. Ich denke fast gar nicht mehr an Nicolas. Man könnte sogar sagen, er ist nur noch eine ferne, verschwommene Erinnerung.

8:36

Ich schiebe diskret eine Hand in meine Tasche, breche ein kleines Stück Schokolade ab und stecke es mir in den Mund. Mhmm … ich lasse es langsam auf der Zunge zergehen, dann habe ich länger was davon. Und dann kann ich mich auf das konzentrieren, was Madame Claude sagt.

8:37

Ich denke heute an Nicolas, aber nur, weil er genau vor einem Monat Schluss gemacht hat. An den anderen Tagen ist es, als hätte es ihn nie gegeben.

8:38

Falls ich ganz zufällig doch mal an ihn denke, dann nur an die schönen Dinge. Daran, wie wir geknutscht haben. Oder an seinen guten Geruch nach Weichspüler und Melonenkaugummi. Schließlich bin ich jetzt erwachsen.

8:39

Autsch! Gerade muss ich daran denken, wie mir ein ­Vogel ausgerechnet in dem Moment auf den Kopf kacken musste, als Nicolas mit mir Schluss gemacht hat.

8:40

Nicht weiter schlimm. Ich bin erwachsen. Und gelassen wie ein Buddha. Ommmmmm. Ommmmmm.

8:41

Ich bin überzeugt, dass Nicolas in diesem Augenblick über mich lacht. Ich bin sicher, er sieht die Szene genau vor sich, wie ich plötzlich Vogelkacke im Gesicht habe! Bestimmt sagt er gerade zu seinen Freunden: »Alter, und dann habe ich mit ihr Schluss gemacht und HAHA­HAHAHAHAHAH! genau in dem Moment hat ihr ein Vogel auf den Kopf gemacht! HAHAHAHAHAAHA! und die Kacke HAHAHAHAHA! lief ihr übers Gesicht!«

8:42

Also, natürlich lacht er nicht jetzt in diesem Augenblick über mich, er ist ja auch in der Schule. Aber ich bin überzeugt, dass er im Allgemeinen mit seinen Freunden über mich lacht. Obwohl, vielleicht denkt er auch jetzt gerade an die Szene und lacht im Stillen über mich? Oooooh neeeeiiiiiin!

8:45

Ehrlich gesagt finde ich es nicht sehr nett von Nicolas, sich vor seinen Freunden und in seinem Kopf über mich lustig zu machen! Der ist echt kein Gentleman! Absolut uncool!

8:47

Ich schlage die Beine übereinander und fange an, mit dem rechten Fuß zu wippen.

8:48

Also echt, so was von uncool und mies, sich derart über jemanden lustig zu machen!

8:49

ICH WERDE IHM MAL SAGEN, DASS MANCHE LEUTE GLAUBEN, VOGELKACKE AUF DEM KOPF BRINGT GLÜCK! O.K.?

9:02

Madame Claude: »Den Rest der Stunde könnt ihr frei arbeiten. Ich weiß, dass ihr jetzt zum Ende des Schuljahrs genug zu tun habt.«

Madame Claude ist echt nett. Sie ist wirklich meine Lieblingslehrerin, sie und Schwester Rose. Und ich bin absolut in der Lage, meine Arbeit zu machen, ohne an … was anderes zu denken. Das geht viel leichter, als einem Lehrer zuzuhören.

9:03

Ich öffne mein Französischbuch.

9:05

Mein Fuß, mit dem ich die ganze Zeit gewippt habe, rutscht an der Wand lang und macht ein komisches Geräusch (ein Furzgeräusch, um genau zu sein) und alle Mädchen in der Klasse drehen sich zu mir um. Ich sage:

»Ähm … das war mein Fuß … an der Wand. So.«

Ich versuche, das Geräusch noch einmal zu machen, aber es geht nicht. Die meisten Mädchen wenden sich wieder ihren Büchern zu, aber einige kichern. Da sagt Madame Claude: »Meine Damen, Pupsen ist menschlich! Jetzt aber an die Arbeit.«

Wenn ich die Macht hätte, Leute mit den Augen in Brand zu stecken, so wie das Mädchen in dem Film Carrie, dann würde Madame Claude jetzt brennen. Leider habe ich diese Macht nicht. Dafür aber Schokolade, und davon genehmige ich mir jetzt ein großes Stück. Oh! Erleichterung pur!

Vermerk an mich selbst: Versuchen, meine unkontrollierten Gewaltfantasien einzuschränken.

Vermerk an mich selbst Nr. 2: Ganz einfach. Mjamm, mjamm. Nämlich mit Schokolade. In dem Film Carrie hätten sie dem Mädchen, das alle Leute angezündet hat, einfach nur Schokolade geben müssen. Pech, dass sie da nicht drauf gekommen sind. Sehr gute Lösung. Mjamm, mjamm. Keine Lust mehr, mjamm, mjamm, irgendjemanden anzuzünden, mjamm, mjamm, was auch immer er getan hat. Mjamm, mjamm.

18:00

Beim Abendessen.

Meine Mutter: »Wie war dein Tag?«

Ich: »Hmpf. Normal.«

Meine Mutter: »Ich hatte einen wirklich schönen Tag! Und weißt du was? Meine Kollegen im Büro kriegen so langsam mit, dass ich mit dem Chef zusammen bin.«

Ich: »Aha.«

Meine Mutter: »Vor allem seit deinem Besuch. Das spricht sich rum …«

Ich: »Aha.«

Meine Mutter: »Aber bei der Arbeit stellen wir nicht zur Schau, dass wir zusammen sind.«

Ich (in meinem Kopf): »Wäre schön, wenn das hier auch so wäre.«

Meine Mutter: »Möchtest du noch etwas Lasagne?«

Ich: »Mhm.«

Meine Mutter: »Also, du hast heute keine kleine Anekdote aus der Schule für mich?«

Ich: »Na ja, doch … eine. Mein Fuß ist an der Wand langgerutscht, es gab ein komisches Geräusch, und alle haben gedacht, ich hätte gefurzt.«

Meine Mutter: »HAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHAHA!«

Ich: »Ich will doch keine Lasagne mehr. Ich gehe in mein Zimmer.«

Meine Mutter: »Ach so? Warum denn?«

Ich: »Weil ich hier sonst gleich ein Feuer lege.«

19:10

Meine Mutter klopft an die Tür und öffnet, bevor ich »Herein« gesagt habe. Zum Glück bin ich mittlerweile ziemlich schnell darin, meine Schokolade zu verstecken.

Meine Mutter: »Ist alles in Ordnung, mein Floh?«

Ich (hebe den Daumen und lächle gezwungen): »Super!«

Meine Mutter: »Du kannst mit mir reden, wenn du willst.«

Ich: »Nicht nötig.«

Meine Mutter: »Aber … wirklich? Bist du sicher?«

Ich: »Ja, o.k.?«

Dienstag, 9. Mai

Ich habe gestern Abend (beim Schokoladeessen) beschlossen, die ganze Sache positiv zu sehen. Ich muss den Sommer bei meiner Großmutter Laflamme verbringen, weil meine Mutter beschlossen hat, mit ihrem neuen Freund nach Frankreich zu fahren und mich nicht mitzunehmen. Aber das ist gar nicht schlimm, weil ich so 1. einen anderen Teil Québecs besser kennenlerne und 2. mehr Zeit mit meiner Großmutter verbringen kann. (Vermerk an mich selbst: erfreulichere Gründe finden.) Immerhin hat meine Großmutter eingewilligt, dass ich Sybil mitbringe. Sie hatte allerdings auch keine Wahl. Ich habe meiner Mutter gesagt, dass ich ohne Sybil nirgendwohin gehe. Kommt gar nicht infrage, dass ich mich für zwei Monate von meinem Kätzchen trenne!

Erst wollte meine Mutter mich zu meinen Großeltern Charbonneau schicken, die jeden Sommer in ihrem Wohnwagen durchs Land fahren (ich hasse Camping!). Aber die wollten nicht, dass Sybil mitkommt. Ich ohne Sybil?!? Niemals! Also hat meine Mutter meine Großmutter Laflamme angerufen und die war einverstanden, dass meine Katze und ich den ganzen Sommer bei ihr bleiben (yes! Kein Camping!). Sie kann es kaum erwarten und ruft alle zwei Tage an, um mich zu fragen, was ich gerne essen will, was Sybil braucht usw. usw. Ich sage ihr (nicht genau in diesen Worten), sie soll mal relaxen, denn wenn sie jetzt schon anfängt einzukaufen, ist das Essen im Juli vergammelt, wenn ich komme. (Ich glaube, die Erwachsenen in meiner Umgebung haben alle ein Problem mit logischem Denken …) Das Einzige, was ich bei meiner Großmutter brauche, ist ein Internetanschluss.

Seit mein Vater tot ist, habe ich meine Großmutter nur noch selten gesehen. Bei der Beerdigung hat sie meiner Mutter ihre Hilfe angeboten, doch die hat sich mehr an ihre eigene Familie gehalten. Aber sie fand es immer wichtig, dass wir meine Großmutter wenigstens ein- oder zweimal im Jahr besuchen. Weil ich die einzige Person bin, die meine Großmutter an meinen Vater erinnert, da mein Großvater schon vor Jahren gestorben ist und sie keine weiteren Kinder hat.

Abgesehen von ihren Pfannkuchen, die die besten im Universum sind, habe ich keinen besonderen Draht zu ihr. Ich weiß nie, worüber ich mit ihr reden soll. Wenn meine Mutter da ist, geht es noch. Aber ein ganzer Sommer mit ihr allein, uff! Ich will es mir gar nicht vorstellen. Das stresst mich total.

13:15

Trotz dieses minimalen Stressfaktors finde ich es, wie gesagt, super, dass meine Mutter nach Frankreich reist. Den ganzen Sommer lang. Mit ihrem Freund. Der gleichzeitig ihr Chef ist. Sie werden sich dort auch mit möglichen Geschäftspartnern treffen. Also ist das Ganze auch noch super für ihre Karriere und so.

13:16

O.k., o.k. Ich finde das alles gar nicht »super«. Sagen wir mal, ich finde es in Ordnung.

13:17

»In Ordnung« trifft es vielleicht nicht ganz. Ich finde es … ein Synonym von »in Ordnung«, das etwas weniger positiv ist (falls ein solches Wort existiert).

13:18

Zum Kotzen?

Top-Secret-Vermerk an mich selbst: Ich habe immerhin noch zwei Monate Zeit, um meiner Mutter zu beweisen, dass François Blais der Teufel ist, für den ich ihn halte. Dann wird sie die Reise absagen. Und den Sommer mit mir verbringen. Vielleicht in einem kleinen Häuschen an einem See oder etwas in der Art.

Vermerk an mich selbst Nr. 2: Wenn das nicht klappt, besteht noch die Möglichkeit, dass sie die Reise abbrechen müssen, weil ich bei meiner Großmutter in Lebensgefahr gerate … wegen Passivrauchens. Meine Großmutter qualmt wie Lucky Luke, bevor er den Strohhalm entdeckte!

13:50

Autsch! Ich war so in Gedanken, dass mich ein Ball fest gegen den Arm getroffen hat. Das ist das Problem mit Völkerball im Sportunterricht: Man kann einfach nicht in Ruhe seinen Gedanken nachhängen. Man muss die ganze Zeit aufpassen.

Es zwiebelt und ich reibe mir den Arm.

Die Sportlehrerin bläst in ihre Pfeife und sagt (das Echo der Turnhalle verstärkt ihre Stimme so, dass alle sie hören): »Musst du ins Krankenzimmer, Amélie?«

Ich: »Nein … geht schon.«

Frage medizinischer Natur: Hat die Schulkrankenschwester auch ein Mittel gegen gekränkten Stolz?

Mittwoch, 10. Mai

Bio. – Nachdem Schwester Rose uns zum x-ten Mal erklärt, wie wichtig die doppelten Vorhänge im Bioraum sind (während ich Sternchen in meinen Taschenkalender kritzele), sagt sie etwas, das meine Aufmerksamkeit erregt:

»Das Geruchsgedächtnis hat eine längere Speicherdauer als jedes andere Sinnessystem. Das liegt daran, dass es anders funktioniert als das visuelle oder das auditive Gedächtnis. Es überdauert nicht nur besser die Zeit, es speichert auch den sensorischen und emotionalen Kontext.«

Oh, oh, oh! Sehr interessant! Denn, wie gesagt, ich denke überhaupt nicht mehr an Nicolas. Aber wenn ich den guten Weichspüler rieche, nach dem seine Kleider rochen (ich weiß immer noch nicht, welche Marke das war) oder Melonenkaugummi (seine Lieblingssorte), kann ich nicht verhindern, ein kleines bisschen, ähm … emotional zu werden. Aber nach Schwester Rose ist das etwas, das sich leicht beheben lässt (indem ich nämlich den Kontakt mit dem Geruch von Weichspüler oder Melonenkaugummi meide). Und von Schokolade kriege ich zum Glück einen anderen Geruch in den Kopf (bzw. in die Nase).

11:15

Schwester Rose fährt fort: »Der Geruchssinn ist das älteste und primitivste Sinnessystem. Seine Verbindung zum Gehirn ist die direkteste und kürzeste. Schaut hier« (sie zeigt mit ihrem Stock auf einen Bereich des Gehirns auf einem Plakat mit einem menschlichen Schädel), »über den Riechkolben direkt zum Paleocortex. Mehrere Studien haben gezeigt, dass es für das menschliche Gehirn viel schwieriger ist, ein Geräusch oder ein Bild im Langzeitgedächtnis abzuspeichern als einen Geruch.«

Ich muss daran denken, wie Schwester Rose irgendwann mal gesagt hat, als sie uns den Blutkreislauf mit einem Vergleich zum Straßenverkehr erklären wollte: »Und das ist der Beweis dafür, dass die Biologie unser ganzes Leben bestimmt.« Jetzt gerade hätte ich Lust, aufzuspringen und sie zu umarmen. (Aber wenn ich das täte, wäre ich für meine Mitschülerinnen erledigt.)

Ich habe Nicolas also längst vergessen. Nur meine Nase ist dazu einfach nicht in der Lage, weil ihr Gedächtnis ausdauernder ist als das meiner anderen Sinne! Da bin ich aber erleichtert!!! Echt, ausnahmsweise habe ich mal das Gefühl, dass die Schule mir wirklich etwas bringt.

Donnerstag, 11. Mai

Nach dem Matheunterricht zeigt Kat mir eine Liste mit Eigenschaften, die ihr nächster Freund haben sollte.

Ich: »Hast du die Liste in Mathe gemacht?«

Kat: »Ja. Ich dachte, ich werde die Liebe jetzt mal … mathematisch angehen.«

Ich: »Mathematisch?«

Kat: »Ja. Ich habe also in Mathe Mathe gemacht. Liebes-Mathe, sozusagen.«

Ich: »Hä? Was du redest, ergibt überhaupt keinen Sinn!«

Kat: »Weißt du, neulich habe ich daran gedacht, wie du gesagt hast, als dein Vater … äh … gestorben ist, habe es dir das Herz gebrochen, aber es habe dir gutgetan, dich wieder Gefühlen zu öffnen, auch wenn das neue Schmerzen bedeutet. Dass man sich nur so lebendig fühlt. Die Sache mit Ham hat mir sehr wehgetan, aber ich glaube, ich bin bereit, mich wieder zu verlieben. Und ich will, dass mein neuer Freund bestimmte Eigenschaften hat.«

Sie wedelt mit der Liste. Ich überfliege sie.

Ich: »Du willst echt, dass er … Sushi mag?«

Kat: »Äh, ja … habe ich letzte Woche zum ersten Mal probiert. Ist echt lecker.«

Ich: »… und dass er Sponge Bob gut findet?«

Kat: »Das ist symbolisch gemeint. Wenn er Sponge Bob gut findet, zeigt das, dass er kein Snob ist. Also das Gegenteil von Ham.«

Ich: »Clever. Und er muss gut klettern können?«

Kat: »Ich habe so eine Doku gesehen über Jungs, die klettern. Die hatten echt coole Muskeln. Und außerdem könnte man sich dann vielleicht verkehrt herum küssen. So Spiderman-mäßig.«

Sie beugt den Kopf nach unten und macht den Kuss von Spiderman und Mary Jane nach, während ich ihre Liste weiterlese.

Ich: »Er soll aussehen wie David Desrosiers von Simple Plan?!?«

Kat: »Na ja, manche Kriterien sind nicht zwingend. Ich bin nur … von meinem Ideal ausgegangen.«

Ich: »Ach so. Aber ich verstehe immer noch nicht, was das mit Mathe zu tun haben soll.«

Kat: »Macht nichts!«

(Ich sehe sie fragend an.)

»O.k., o.k., ich habe im Unterricht Blödsinn gemacht. Man tut, was man kann!«

Ich: »Aha.«

Kat: »Mach doch auch eine Liste!«

Ich: »Spinnst du?!?!!! Bevor ich noch mal was mit einem Typen anfange, kriegen Schweine Zähne! Ich wollte mich doch gar nicht verlieben! Nicolas war ein … Ausrutscher!«

Kat: »Schweine haben sowieso Zähne.«

Ich: »Ach ja?«

Kat: »Der Spruch heißt ›… kriegen Hühner Zähne‹.«

Ich: »Schweine haben Zähne? Das ist ja komisch, es sieht nämlich so aus, als wäre ihr Mund ihre Nase. Also haben sie Zähne in der Nase?«

Kat: »Ihr Mund ist unter der Nase. Das ist nur … dicht beieinander.«

Ich: »Ach ja?«

Kat: »Hör mal, ich bin keine Schweineexpertin! Ich weiß nur, dass man sagt, ›eher kriegen Hühner Zähne‹! Jetzt mach doch auch so eine Liste.«

Ich: »Och nö …«

Kat: »Komm schon! Nur zum Spaß!«

Ich: »O.k., also gut … ich will, dass mein nächster Freund … äh … gerne … Wasserrutschen mag.«

Kat: »Aha. Weiter?«

Ich: »Na, das ist alles. Wenn er Wasserrutschen mag, wäre das schon super.«

Kat: »Also echt! Du nimmst das nicht ernst! Dabei versuche ich doch nur, dich auf andere Gedanken zu bringen.«

19:23

Tatsächlich: Schweine haben Zähne! Ich habe bei Google »Schweinezähne« eingegeben und es wurden jede Menge Bilder von Bauern angezeigt (ich nehme mal stark an, dass es Bauern waren), die ihren Schweinen die Schnauze aufhalten, damit man die Zähne sehen kann. Ich bin ja nicht total ungebildet, ich verbringe nur einfach nicht mein Leben damit, Listen anzufertigen, welche Tiere wohl Zähne haben und welche nicht!

19:25

Ich gucke mir immer noch die Schweinefotos an.

Echt komisch, dass es Leute gibt, die sich fotografieren lassen, während sie ihrem Schwein die Schnauze aufhalten. Echt komisch.

19:30

Ich habe Sybil das Maul geöffnet, um mir ihre Zähne anzuschauen, aber dabei habe ich nicht das Bedürfnis verspürt, mich dabei fotografieren zu lassen. Außerdem hat Sybil diese Aktion nicht gefallen. Ich frage mich, ob Schweine auch so eine Einstellung ihren Herrchen/Frauchen gegenüber haben (merke: einen Bauern danach fragen, falls ich jemals einen treffen sollte).

20:00

So, genug herumgegammelt. Ich muss für Französisch das Buch »La promise« von Raymond Payeur lesen.

»Estebal de Galec warf sich geschwind auf sein treues Ross. Zurück ließ er eine Staubwolke, die im Rhythmus des Galopps dem wolkenlosen Himmel zustob. Er konnte den edlen Hengst kaum an der Kandare halten. Mit der Spitze seines Säbels musste er das blutrünstige Monster entleiben; dies war die Mission, die ihm sein Stamm übertragen hatte. Am Rande der verfluchten Grotte entflammte ein glimmendes Holzstück, das dem tapferen Recken wie ein heiliges Zeichen den Weg zum Wider­sacher leuchtete.«

Häh?!? Was???? Ich kapiere gar nichts!

20:12

Riiiiiiiiing!

Ich (zu meiner Mutter): »ICH GEH DRAN! Ja, hallo?«

Tommy: »He, Laf! Was treibst du?«

Meine Mutter: »Hallo?«

Tommy: »Hallo … hier ist Tommy.«

Ich: »Das ist für mich!!!«

Meine Mutter: »Oh, pardon! Tschüss, Tommy!«

Tommy: »Tschüss, Madame Charbonneau!«

Meine Mutter: »Du kannst mich ruhig France nennen, Tommy.«

Ich: »Mamaaaaa, leg auuuuuuf!«

Meine Mutter legt auf.

Tommy: »Also, was treibst du?«

Ich: »Ich lese ein blödes Buch.«

Tommy: »Welches denn?«

Ich: »La promise.«

Tommy: »Das ist echt gut!«

Ich: »Ich verstehe gar nichts.«

Tommy: »Was verstehst du nicht?«

Ich: »Den … Anfang.«

Tommy: »O.k., aber welchen Teil des Anfangs?«

Ich: »Die ersten fünf Zeilen.«

Tommy: »Ein Ritter muss einen Drachen töten.«

Ich: »Echt?!? Aber warum sagt der Typ das nicht einfach?«

Tommy: »Na … das ist halt der Stil des Autors. Ich finde das gut. Lies weiter, du wirst sehen, es gefällt dir. Am Ende wird der Ritter von dem Drachen getötet und dann kommt ein besserer Ritter, so ’ne Art Top-Ritter, um den Tod des ersten Ritters zu rächen, weil der so beliebt war und jetzt das ganze Dorf sauer ist. Aber dieser Ritter …«

Ich: »Welcher jetzt?«

Tommy: »Der neue, der die Ehre des anderen rächen soll! Der verliebt sich in ein Mädchen, das von den Drachen aufgezogen wurde. Also zögert er, die, na ja, Familie der Frau umzubringen, die er liebt. Und er stellt fest, dass der Drache nur das Mädchen beschützen wollte.«

Ich: »Hm ja, klingt nicht schlecht. Und dann?«

Tommy: »Und dann was?«

Ich: »Na ja, was passiert dann?«

Tommy: »Lies doch das Buch.«

Ich: »Ja, aber du erzählst es so gut.«

Tommy: »Der Ritter …«

Ich: »Welcher?«

Tommy: »Immer noch der Gleiche, der Zweite, der andere ist doch tot! Auf jeden Fall, der Ritter stellt fest, dass das Mädchen … in einen Drachen verliebt ist. Und das bricht ihm das Herz.«

Ich: »Das Mädchen ist IN EINEN DRACHEN VERLIEBT? Puh! Das ist ja krank.«

Tommy: »Na ja … das ist eine Metapher. So nach dem Motto Die Schöne und das Biest. Auch eine unmögliche Liebe. Jedenfalls, der Ritter tut so, als hätte er den Drachen getötet, aber in Wahrheit findet er einen sicheren Platz für sie, an dem sie heimlich ihre Liebe leben können, denn wenn das Dorf herausfindet, dass das Mädchen einen Drachen liebt, wird man sie der Hexerei bezichtigen und auf dem Scheiterhaufen verbrennen.«

Ich: »Ist sie denn eine Hexe?«

Tommy: »Nein, aber das Dorf könnte es glauben, weil es halt nicht so üblich ist, einen Drachen zu lieben.«

Ich: »Also, das Buch scheint echt nicht schlecht zu sein.«

Tommy: »Hmm … jetzt habe ich schon viel zu viel verraten. He, hast du Lust, morgen Abend was zu machen?«