DAS VERGESSENE TAL - William Meikle - E-Book

DAS VERGESSENE TAL E-Book

William Meikle

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Beschreibung

William Meikle wandelt in "Das vergessene Tal" auf den Spuren der großen Abenteuergeschichten eines Sir Arthur Conan Doyle und erweckt urzeitliche Monster und prähistorische Geheimnisse auf unverwechselbare Weise wieder zum Leben. "Einer der besten Geschichtenerzähler unserer Zeit." - Famous Monsters of Filmland Zusammen mit ortskundigen Führern begibt sich ein kleines Team von Schatzsuchern auf eine gewagte Expedition und die Suche nach Gold. In einem abgelegenen Tal inmitten der kanadischen Rocky Mountains stoßen sie dabei auf ein Ökosystem, das von der Zeit vergessen worden zu sein scheint. Doch hier wartet nicht nur Gold auf sie, sondern auch Blut, Terror und Tod. Denn die monströsen Bewohner des vergessenen Tals haben nicht die Absicht, dessen Geheimnis freiwillig preiszugeben …

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Das vergessene Tal

William Meikle

This Translation is published by arrangement with SEVERED PRESS, www.severedpress.com Title: THE LOST VALLEY. All rights reserved. First Published by Severed Press, 2016. Severed Press Logo are trademarks or registered trademarks of Severed Press. All rights reserved.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE LOST VALLEY Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER-Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Markus Müller Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-504-0

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Das vergessene Tal
Impressum
Danny
Jess
Damals
Danny
Jess
Damals
Danny
Jess
Damals
Danny
Jess
Damals
Danny
Jess
Damals
Danny
Jess
Danny
Jess
Danny
Jess
Danny
Jess
Danny
Jess
Danny
Danny
Über den Autor

Danny

Danny Swaitek und Gus Jacobs standen auf der Veranda einer Berghütte und warteten auf die vier Leute, die sich weiter unten gerade damit abkämpften, zu ihnen hochzukommen. Gus hatte bereits zwei Kippen geraucht und sog an einer dritten, während sich die Stadtmenschen ihren Weg entlang eines, zwischen Bäumen verlaufenden, Wildwechsels bahnten. Es würde wohl noch eine ganze Weile dauern, bis sie oben waren. Der Tag neigte sich langsam dem Ende zu und die beiden Bergführer warfen wegen der tief stehenden Sonne riesenhafte Schatten auf das Gefälle zu ihren Füßen.

»Hast du schon mal jemanden hierher gebracht, der nicht auf die Jagd wollte?«, fragte Danny.

»Scheiße, nein«, antwortete Gus und spuckte auf den Boden jenseits der Holzdielen. »Wer zur Hölle sollte denn sonst so weit rauswollen, außer einem Jäger? Im Osten, auf der anderen Gebirgsseite, ist der Aufstieg leichter und die Aussicht besser. Auf den Gipfeln hier gibt’s doch nichts als alte Bären und kalte Felsen.«

»Was möchten die dann?«, fragte Danny verwirrt.

Die einzige Frau in der sich abmühenden Gruppe ging vorneweg. Selbstbewusst durchschritt sie die kniehohe Vegetation, während die anderen drei fast jeden zweiten Meter zu straucheln schienen. Selbst auf die Entfernung hin, konnte Danny die kleinen, blutigen Kratzer in ihren Gesichtern und an ihren bloßen Händen erkennen, die von zurückschnellenden Zweigen stammten, die sie im Laufe der Klettertour ungeschickt zur Seite gedrückt und anschließend zu rasch wieder losgelassen hatten.

»Dieser armselige Haufen zahlt mir immerhin zweitausend Mäuse für ein paar Tage hier oben«, sagte Gus. »Achthundert davon gehen aber an dich, wie ausgemacht. So, wie die sich anstellen, glaube ich allerdings kaum, dass wir auch nur in die Nähe des Gipfels kommen, bevor sie aufgeben und wieder heim wollen.«

Angesichts der Tölpelhaftigkeit der Städter, selbst unter diesen einfachen Bedingungen auf der bisherigen Strecke, konnte Danny dem nur zustimmen. »Was möchten die denn überhaupt, wenn sie nicht das schöne Panorama genießen oder eine Trophäe für die Esszimmerwand mit nach Hause nehmen wollen?«

»Scheiße, was weiß ich«, knurrte Gus. »Es ist mir auch egal. Sie haben im Voraus geblecht und eine Rückerstattung kriegen sie auf keinen Fall. Vielleicht verraten sie uns ja ihr Geheimnis, wenn wir in der Hütte unser Nachtlager aufgeschlagen haben. Du kannst jetzt ruhig schon mal einen Kaffee aufsetzen. Ich glaube den haben sie bitter nötig.«

***

In aller Frühe waren sie an diesem Julitag in einem Konvoi aus drei Fahrzeugen, mit Gus uraltem Pick-up an der Spitze, in Jasper aufgebrochen. Die anderen fuhren in zwei gemieteten, hübschen SUVs, die wirkten, als hätten sie noch nie eine asphaltierte Straße verlassen. Gus verhalf ihnen zu einem ersten Off-Road-Praxistest, als er in Richtung Nordosten von der öffentlichen Straße abbog und gewundene, ansteigende Holzabfuhrwege und zerfurchte Waldpisten entlangsteuerte, die kaum breiter als die Autos selbst waren. Im Rückspiegel sah Danny, wie der Lack der glänzenden Leihwagen von dagegen peitschenden Ästen zerkratzt wurde. »Da hat wohl gerade jemand seine Kaution eingebüßt.«

Gus lachte. »Ich wette unser gesamtes Honorar darauf, dass mindestens einer von denen sein Frühstück wieder ausgespuckt hat.«

Kurz nach der Mittagsstunde parkten sie die Fahrzeuge an den Ausläufern einer nördlich gelegenen Lichtung in gut anderthalb Kilometern Höhe. Sie hatten bereits fünf Stunden ordentliches Wandern auf einer Route durch Kiefernwald hinter sich, die ungefähr alle zehn Meter von den Hinterlassenschaften von Hirschen gesprenkelt war. Andere Anzeichen für die Anwesenheit von etwas Lebendigem existierte nicht. Gus schien jedoch genau zu wissen, wo sie langgehen mussten. Danny hatte überrascht gegrunzt, als sie am Ende des Baumbewuchses auf eine Berghütte stießen, die am Rand einer Felsplatte an der Schwelle vom Grün der Pflanzenwelt hin zu den weißen und stahlblauen Bergspitzen stand.

Der Himmel hing wie eine undurchlässige, blaue Kuppel über ihnen. Im Norden ragten hinter dem Wald, die wie Perlen an einer Kette, aufgereihten Rocky Mountains in die Höhe, die Gipfel größtenteils noch vom Schnee eines harten Winters und eines langen Frühlings bedeckt.

***

Mittlerweile hatten die Stadtmenschen nur noch ein kleines Stückchen Geröllhang zu überwinden, um zu der Hütte zu gelangen.

Zeit für einen Kaffee, dachte Danny.

Er drehte sich um und stapfte ins Innere der Hütte. Das Gebäude setzte sich aus wenig mehr als vier wackeligen Wänden mit einem Flachdach zusammen. In der Mitte des Raums thronte ein alter Kanonenofen aus Gusseisen, umgeben von vielfach eingekerbten Hackklötzen, die als Sitzgelegenheiten fungierten. An den Wänden ringsherum lehnten Behelfsbetten in Form von Holzpritschen. Die Kaffeekanne und die dazugehörigen Blechbecher wirkten ebenso uralt wie der Ofen. Dannys Rucksack barg, neben fast vier Litern gefiltertem Wasser, auch neueres und besseres Geschirr, aber er sah keinen Sinn darin, mehr als nötig auszupacken. Die Kanne hatte er aus einer Regentonne auf der Rückseite der Hütte gefüllt. Das Brennmaterial im Ofen stammte vom Holzstapel daneben. Zum Anfachen des Feuers hatte er ein halbes Dutzend Illustrierte verwendet, die sich in einer der Ecken zu einem Haufen auftürmten – sämtliche Zeitschriften stammten von Anfang der Achtzigerjahre.

Ich frage mich, wie lange es her ist, seit Gus zuletzt hier war?

Sie hatten ihren eigenen Kaffee, zwei Dosen einer dunklen Röstung, mitgebracht, die Danny gern in seinem Gepäck mitgeschleppt hatte. Er schüttete jetzt eine gehäufte Handvoll in die Kanne und im Raum verbreitete sich bald darauf ein angenehmes Aroma, das ihn an die Umstände erinnerte, unter denen er Gus vor drei Tagen in Tim Hortons Diner in Jasper getroffen hatte.

***

Gus hatte die Statur eines gewaltigen Bären. Der Bergläufer brachte gut hundertzwanzig Kilo auf die Waage. Das Meiste davon waren Muskeln, jedoch würde sein stetig zunehmender Bierbauch das Verhältnis von Muskulatur zu Fett wohl irgendwann in der Zukunft umkehren. Fast jeder in der Gegend kannte ihn als den Mann, den man ansprechen musste, wenn es darum ging, einen Ausflug in die kanadischen Rockies organisieren zu wollen. Danny war ihm vor ein paar Jahren zum ersten Mal begegnet, kurz nachdem er aus Edmonton nach Jasper gezogen war, um der Großstadt zu entfliehen. Gus hatte ihn mit den Bergen vertraut gemacht und von diesem Zeitpunkt an konnte Danny einfach nicht mehr genug davon bekommen. Er freute sich immer wieder aufs Neue, wenn Gus sich bei ihm wegen eines Treffens meldete.

Der Mann war vor ein paar Tagen zusammen mit seinem beachtlichen Bauch im Diner erschienen, in dem sie sich verabredet hatten. Das Polster des Stuhls hatte protestierend geächzt, als er sein Gewicht langsam auf die Sitzfläche niedergelassen hatte. Danny hatte ihm einen Becher Kaffee rübergeschoben und zwei Schokoladen-Muffins – das typische Frühstück der beiden.

»Falls du Zeit hast und leicht verdiente Kohle einstreichen willst, hätte ich einen Job für dich«, hatte der Ältere gesagt, nachdem er die Muffins verschlungen hatte. »Ich bringe vier Leute hoch in die Berge und hätte gern jemanden dabei, auf den ich zählen kann, falls sie einen Babysitter nötig haben und auch als Absicherung für unvorhergesehene Notfälle.«

»Geht es um einen Jagdtrip?«, fragte Danny, denn er hatte Gus in den letzten zwei Sommern häufig auf der Pirsch nach Hirschen und Bären begleitet.

Doch Gus hatte den Kopf geschüttelt. »Dieses Mal nicht. Es handelt sich um einen Haufen Touristen aus der Stadt, die nach oben wollen. Mehr weiß ich nicht. Sie haben offenbar einen bestimmten Ort im Kopf und ich kenne einen Weg dorthin, auf dem nicht die Hälfte von denen krepiert. Wir zwei werden aber die Einzigen mit Waffen sein. Ich bringe garantiert keine Grünschnäbel dort hoch, die dann mit Gewehren rumwedeln und Rambo spielen. Sie kommen morgen aus Toronto und zumindest für den Kerl, mit dem ich gesprochen habe, ist es der erste Trip ins Gebirge. Du könntest dir also achthundert Dollar für ein bisschen Babysitten verdienen.«

»Achthundert Dollar für ein paar Tage? Ich bin dabei.«

***

Als sie die vier Touristen aus der Hauptstadt Ontarios heute Morgen bei Timmys Autovermietung getroffen hatten, war Danny nicht gerade beeindruckt gewesen, soviel war sicher. Der Boss des Grüppchens, ein Typ namens Noble, war ein sauertöpfisch dreinblickender Kerl Mitte dreißig, dessen Ausrüstung so aussah, als hätte er sie erst gestern erworben, nachdem er einen Verkäufer dazu aufgefordert hatte, ihn mit einem passenden Outfit für eine Bergwanderung auszustatten. Wenigstens die Frau fühlte sich offenbar in ihrer legeren Kleidung, den gut eingelaufenen Hiking-Schuhen und den dazu passenden, dicken Wollsocken, sichtlich wohl. Auch ihr Rucksack zeigte deutliche Gebrauchsspuren. Danny wusste sofort, dass die restlichen Männer ein Klotz am Bein für die bevorstehende Kletterei werden würden. Kalkweiß wie Grottenolme und mit schwabbligen Wänsten schienen sie direkt hinter irgendeinem Schreibtisch hervorgekrochen zu sein. Sie hatten anscheinend schon Probleme damit, ihr Gepäck zu schultern, und ihr nagelneues Schuhwerk würde ihnen reichlich Blasen garantieren, sei es nach einigen Stunden oder vielleicht sogar schon nach wenigen Minuten.

Dennoch meldete Danny keinerlei Zweifel an, denn achthundert Mäuse so früh in der Saison waren ihm mehr als willkommen und sie einfach so aufs Spiel zu setzen, bevor sie das Gelände des Mietwagenanbieters überhaupt verlassen hatten, wäre so ziemlich die dümmste aller dummen Ideen gewesen.

***

Oben in der Hütte zeigte sich, wie recht er gehabt hatte, denn anstatt zuerst einen Kaffee zu trinken, nahmen die beiden Männer auf zwei der Holzklötze am Ofen Platz und streiften hastig mit spitzen Fingern ihre Schuhe ab. Der kleinere, dickere der beiden, der sich als Mike vorgestellt hatte, hielt wenig später seine linke Socke in der Hand, die mit Blut getränkt war, das aus einer aufgeplatzten Blase an der Ferse quoll.

Eine Blase, von der Größe eines Spatzen-Eis, zierte die Außenseite des rechten großen Zehs des anderen, der Erik hieß. Auch diese würde garantiert bald ihren Inhalt freigeben.

Gus warf ihnen mitleidslos eine Packung Heftpflaster zu. »Verarzten Sie sich so gut, wie Sie können, denn wir haben noch eine lange Strecke vor uns, wenn wir zu unserem Ziel wollen. Das hier war der lockere Teil, morgen lernten Sie die richtigen Berge kennen.«

Die beiden Stadtmenschen stöhnten im Chor auf, verkniffen sich aber sämtliche Beschwerden, während sie ihre Füße zupflasterten.

Danny drückte jedem von ihnen einen Becher Kaffee in die Hand. Die Frau schenkte ihm zum Dank ein schmales Lächeln, dann begutachtete sie kritisch die Pritschen an den Wänden.

»Nicht viel Privatsphäre, fürchte ich«, sagte Danny entschuldigend. »Wird ein wenig rau heute Nacht.«

»Kein Problem«, erwiderte sie. »Ich bin nicht empfindlich.«

Jess

Jess nahm ihren Kaffeebecher mit auf die Veranda, um dort das Panorama genießen zu können. Doch Noble lungerte bereits draußen herum.

»Wie weit ist es noch?«, fragte sie ihn.

»Noch gut zehn Meilen, schätze ich. Unser Bergführer hat behauptet, dass es zwei Tage dauern wird. Also werden wir morgen um diese Zeit wahrscheinlich irgendwo dort oben zelten müssen.«

»Hast du ihn schon über unser genaues Ziel aufgeklärt?«

»Nicht im Detail. Nur, dass wir das Tal der träumenden Indianer besichtigen möchten.«

»Und was hat er dazu gesagt?«

»Er hat gelacht und erwidert, dass es dieses nur im Märchen gäbe.«

»Er könnte recht haben.«

»Dem würde ich zustimmen, wenn wir nicht diesen Reisebericht und die genaue Ortsangabe darin hätten.«

»Letztere beruht aber auch eher auf Mikes Vermutungen.«

»Du kennst Mike doch. Seine Vermutungen sind immer so nah an der Wirklichkeit, dass kein Blatt Papier mehr dazwischen passt. Es ist dort oben. Ich habe es im Urin.«

»Ich hoffe es, denn wenn wir ohne Ergebnisse heimkommen, wird dir Hitchins wegen der Kostenabrechnung die Eier abschneiden.«

»Es ist dort oben«, wiederholte Noble flüsternd.

***

So lautete Nobles Mantra schon seit Wochen … seit Mike mit dem Reisebericht aufgetaucht war und ihnen erklärt hatte, worum es sich dabei seiner Meinung nach handelte. Jess hatte diesen speziellen Tag noch vollkommen klar im Gedächtnis, an dem gewaltige Hoffnungen und Träume geboren worden waren und mit ihnen auch das Unternehmen, das die vier zu dieser abgeschiedenen Berghütte gelockt hatte.

»Wir haben es hier mit dem detaillierten Reisebericht einer Gruppe von Minensuchern aus dem achtzehnten Jahrhundert zu tun«, hatte Mike ihnen offenbart, als sie zusammen an einem Tisch im leeren Gemeinschaftsraum der Firma gesessen hatten. Dann hatte er ein zerfleddertes, ledergebundenes Buch in ihre Mitte gelegt. »Ich war unten im Firmenarchiv und habe Nachforschungen über Mineralienfunde in den Rockies angestellt. In der Gegend um Banff, um genau zu sein. Ich habe den Bericht dabei zwischen zwei Schachteln voller Gesteinsproben gefunden. Anscheinend hat sich schon seit Ewigkeiten niemand mehr für diese Proben und Unterlagen interessiert, so verstaubt, wie sie waren.«

»Und wieso bist du deswegen so aufgeregt?«, fragte Noble genervt. »Als wäre es eine verdammte Schatzkarte.«

»Im Prinzip stimmt das sogar. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis ich auf das eigentlich Wichtige gestoßen bin. Es handelt sich dabei um ein Tagebuch, vollgestopft mit langweiligen Einzelheiten, aber es gelang mir, genug Fakten daraus zu ermitteln, um eine Landkarte zeichnen zu können.«

»Schön für dich«, sagte Noble in einem sarkastischen Tonfall. »Kannst du vielleicht endlich mal auf den Punkt kommen? Ich habe nämlich gleich einen Termin beim Big Boss.«

»Ja, ja, ist schon gut«, murmelte Mike enttäuscht. »Die beschriebene Expedition ist damals gescheitert und es gab nur einen einzigen Überlebenden. Bevor dieser entkommen ist, haben sie allerdings das Gesuchte gefunden … eine leicht abbaubare Goldader in einem Höhental, nordwestlich von Jasper. Falls das wahr ist, was hier steht, werden wir schon bald sehr, sehr reich werden.«

Nobles Unerschütterlichkeit schwand plötzlich, und sie brachten die folgende Stunde nun mit Diskussionen über den Bericht und Mikes Schlussfolgerungen daraus zu. Keiner von ihnen konnte einen Fehler in dessen Ausführungen erkennen und besonders Noble wurde daraufhin von Minute zu Minute enthusiastischer.

Nach dieser schicksalhaften Zusammenkunft debattierten und stritten sie sich wochenlang über die beste Vorgehensweise und fassten schließlich einen Plan. Noble schaffte es, den Trip als Suche nach Uranerz zu tarnen, sodass sie ihn auf Firmenkosten unternehmen konnten. Sollten sie an der von Mike prophezeiten Stelle tatsächlich Gold finden, hatten sie vor, sofort einen Claim abzustecken und ihn auf ihre Namen registrieren zu lassen.

***

Sämtliche Vorstellungen von Glück und Reichtum, denen sie zu Hause nachgehangen hatten, wurden hier draußen in der Natur fast plastisch greifbar.

Als Jess ihren Becher geleert hatte, ging sie in die Hütte zurück, in der der Jüngere ihrer beiden Führer, Danny, gerade am Ofen damit beschäftigt war, zwei Dosen Eintopf in einen Topf zu kippen. Dabei strahlte er sie von einem Ohr zum anderen an.

Ich habe die ganzen Strapazen doch nicht auf mich genommen, um hier oben so einen Fraß zu essen, dachte sie und drehte sich zu Mike um, der dem älteren Bergführer gerade den Reisebericht zeigte.

»Ich habe es Noble schon gesagt und ich sage es jetzt auch Ihnen«, grummelte der breit gebaute Hüne. »Reiseberichte und irgendwelches altes Minensuchergarn, das Sie irgendwo aufgestöbert haben, gehen mir am Allerwertesten vorbei. Das ist doch bloß irgendein Märchen, eine Lagerfeuergeschichte, die jemand erfunden hat, um anderen Leuten einen Schrecken einzujagen. Das ist derselbe Blödsinn wie Bigfoot.«

Mike wedelte aufgeregt mit dem Bericht vor Gus Gesicht herum. »Das dachten wir am Anfang auch, aber das hier ist wirklich authentisch. Das Alter der Tinte und des Papiers stimmen haargenau überein. Außerdem habe ich die Sterbeurkunde des Verfassers in Banff aufgespürt. Es gibt sogar einen kleinen Ausschnitt aus einer zeitgenössischen Lokalzeitung, der über die drei Jäger berichtet hat, die den Verfasser halb tot herumirrend am Fuß der Berge aufgegabelt haben.«

»Na klar doch und vollkommen verrückt war er garantiert noch dazu. Unsere Gipfel hier haben manchmal einen merkwürdigen Einfluss auf die Menschen. Das habe ich schon mit eigenen Augen gesehen. Ich sage es Ihnen also gern noch einmal: Es gibt kein Tal der träumenden Indianer, denn ich kenne jeden Fleck hier oben in- und auswendig.«

Noble fischte Mike den Bericht aus den Händen und zog die Karte heraus, die die vier mithilfe verschiedener Bucheinträge angefertigt hatten. Er deutete auf einen bestimmten Punkt auf der Karte und fragte: »Wir sind doch jetzt hier? Richtig?«

Gus schob den Finger zwei Zentimeter nach links. Als er die Route, die Nobles Finger auf der Karte beschrieb noch einmal begutachtete, weiteten sich unwillkürlich seine Augen.

»Da müssen wir rauf«, behauptete Noble.

»Das ist viel zu steil«, widersprach ihm Gus. »Außerdem liegt Ihre Endstation deutlich oberhalb der Schneegrenze und der Weg ist selbst zu dieser Jahreszeit absolut unpassierbar. Dort oben lebt nichts, also geht dort auch niemand auf die Jagd. Ich kenne keinen, der je versucht hat, dort hinaufzukommen. Wahrscheinlich war dort noch nie irgendjemand.«

Noble grinste triumphierend. »Doch! Die besagte Expedition vor knapp hundertfünfzig Jahren. Mit unserer Ausrüstung und Ihrer Erfahrung schaffen wir diese Strecke auch.«

»Sie haben vorher nie etwas davon gesagt, dass Sie so hoch rauf wollen«, protestierte Gus. »Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich den Auftrag gar nicht erst akzeptiert. So etwas ist selbst für Leute, die oft in den Bergen sind, äußerst riskant. In dieser Höhe kann ich einfach nicht für Ihre Sicherheit garantieren.«

»Ich verrate Ihnen etwas«, erwiderte Noble. »Wenn Sie uns in das Tal bringen, haben Sie für Jahre finanziell ausgesorgt, denn wenn wir finden, was wir suchen, werden die Leute scharenweise dort hoch und runter wollen … und für diese Leute ist ein versierter Bergführer von Ihrem Format absolut unentbehrlich.«

Jess konnte die Registrierkasse, die in Gus Gehirn losratterte, fast hörten. Noble bekleidete nicht umsonst den Chefposten in der Verkaufsabteilung. Er konnte einem Trottel das letzte Hemd abschwatzen, oder auch einen Bergführer dazu überreden, ein Wagnis einzugehen, auf das er sich normalerweise nie einlassen würde.

»Was meinst du, Danny?«, fragte Gus. »Bist du bereit für ein Himmelfahrtskommando? Für dich würden vierzig Prozent rausspringen.«

Der Jüngere der beiden Bergführer lächelte. »Mehr Kohle für Bier hat doch noch niemandem geschadet.«

Geht doch, dachte Jess.

***

Nachdem sie den schwer verdaulichen Eintopf gegessen und einiges mehr an Kaffee heruntergeschüttet hatten, schien Gus immer noch über den Deal nachzugrübeln.

»Okay«, sagte er schließlich. »Wir klettern da hoch, aber dann muss ich auch wissen, wieso. Was gibt es dort so gottverdammt Wichtiges, dass ihr Städter ein so gefährliches Abenteuer in der Wildnis wagen wollt?«

Mike öffnete daraufhin den Reisebericht und las eine Passage vor, die Jess schon beinahe auswendig kannte.

An der Stelle, an der die Goldader am Eingang des Stollens zutage tritt, ist sie fast zwei Meter dick und sie scheint tiefer im Felsen noch mehr anzuschwellen. Mit dem richtigen Werkzeug und tauglicher Ausrüstung könnten wir einen Reichtum erlangen, der sogar den legendären Krösus armselig wirken lässt.

Gus dröhnendes Lachen hallte von den Wänden wider. »Und ich habe gedacht, ihr wollt Bigfoot einfangen. Hier in den Bergen gibt es mehr vergessene Minen, als ich in meinem Leben an Mahlzeiten verputzt habe.« Er tätschelte seinen Bauch. »Und das waren etliche, wie ihr sehen könnt.«

»Der Bericht ist wahr«, insistierte Noble trotzig. »Wir haben ihn zur Genüge überprüft.«