DAS GRAUEN VON DUNFIELD - William Meikle - E-Book

DAS GRAUEN VON DUNFIELD E-Book

William Meikle

0,0

Beschreibung

Es kommt mit dem Nebel … ein namenloses Grauen aus alten Geschichten, das keine Ruhe finden will … Ein schwerer Schneesturm, der über eine Kleinstadt in Neufundland fegt, trägt einen seltsam grünlich schimmernden Nebel mit sich heran. Um diesen Nebel ranken sich düstere Geschichten – Geschichten, die von einem missglückten Militärexperiment berichten, welches den Nebel schuf. Und das Grauen, das in ihm wohnt … Nur eine Handvoll Arbeiter kann die kleine Stadt in dieser sturmgepeitschten Nacht vor ihrem grausamen Schicksal bewahren. Doch dazu müssen sie sich einem Schrecken jenseits aller Vorstellungskraft stellen … Überaus lebendige und liebenswerte Charaktere lassen den Leser nur so durch die Seiten fliegen. An manchen Stellen vor Spannung kaum auszuhalten, an anderen Stellen wiederum angenehm still, um sich von der Geschichte vollends gefangen nehmen zu lassen. Ein Meisterwerk. – Confessions of a Reviewer

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 288

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Das Grauen von Dunfield

William Meikle

This Translation is published by arrangement with William Meikle.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Sämtliche Namen, Charaktere, Firmen, Einrichtungen, Orte, Ereignisse und Begebenheiten sind entweder das Produkt der Fantasie des Autors oder wurden fiktiv verwendet. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Personen, lebend oder tot, Ereignissen oder Schauplätzen ist rein zufällig.

Impressum

überarbeitete Ausgabe Originaltitel: THE DUNFIELD TERROR Copyright Gesamtausgabe © 2024 LUZIFER Verlag Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Cover: Michael Schubert Übersetzung: Nicole Lischewski Lektorat: Astrid Pfister

Dieses Buch wurde nach Dudenempfehlung (Stand 2024) lektoriert.

ISBN E-Book: 978-3-95835-570-5

Folgen Sie dem LUZIFER Verlag auf Facebook

Sollte es trotz sorgfältiger Erstellung bei diesem E-Book ein technisches Problem auf Ihrem Lesegerät geben, so freuen wir uns, wenn Sie uns dies per Mail an [email protected] melden und das Problem kurz schildern. Wir kümmern uns selbstverständlich umgehend um Ihr Anliegen.

Der LUZIFER Verlag verzichtet auf hartes DRM. Wir arbeiten mit einer modernen Wasserzeichen-Markierung in unseren digitalen Produkten, welche Ihnen keine technischen Hürden aufbürdet und ein bestmögliches Leseerlebnis erlaubt. Das illegale Kopieren dieses E-Books ist nicht erlaubt. Zuwiderhandlungen werden mithilfe der digitalen Signatur strafrechtlich verfolgt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Inhaltsverzeichnis

Das Grauen von Dunfield
Impressum
HEUTE
DAMALS (1954)
HEUTE
DAMALS (1996)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1969)
HEUTE
DAMALS (1856)
HEUTE
DAMALS (1856)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
HEUTE
DAMALS (1955)
Über den Autor

HEUTE

Ich fahre den Schneepflug gern, besonders dann, wenn der Wind wie ein Geisterheer heult und der Schnee wie Schrotkörner gegen meine Windschutzscheibe klatscht. Ich bin für die fünfzehn Meilen Highway verantwortlich, die von Trinity in Richtung Süden nach Irving Station führen. In stürmischen Nächten gehört mir die Straße ganz allein – dann existiert nichts außer meinem mobilen Metallklotz und mir, während wir gegen die Naturgewalten ankämpfen.

In dieser Gegend muss man sich viel mit schlechtem Wetter herumschlagen. So ziemlich das ganze Jahr hindurch herrscht hier starker Wind, und im Sommer und Herbst gibt es oft Regen, der mal mehr, mal weniger stark fällt. Dann ist da noch der Februar, der hierzulande eine Unterart der Hölle ist, denn es ist ein unerbittlicher, verfrorener Monat, in dem es fast pausenlos stürmt und schneit … und das sind dann noch die schönen Tage. Dieser hier war definitiv keiner davon.

Das Unwetter hatte am Morgen begonnen. Zuerst waren es nur vereinzelte Schneeflocken gewesen, die aber auf so starken Böen daher gejagt gekommen waren, dass es sofort eindeutig war, was uns drohte. Im Laufe des Nachmittags war es dann immer schlimmer geworden, bis schließlich während des wütenden Sturms sechs Zentimeter Neuschnee pro Stunde fielen. Seit vier Uhr in der Früh war ich bereits mit dem Pflug unterwegs, inzwischen schon seit drei Stunden ohne Pause, damit zumindest eine einzige Fahrspur schneefrei blieb. Ich räumte den Schnee ohne Unterlass, aber kaum, dass ich kehrtmachte, wehte der Wind ihn wieder zurück, und dann wiederholten wir das ganze Spielchen. In manchen Nächten schaffte ich es, die Straße schneefrei zu halten, bis das Unwetter endlich vorbei ist, doch in anderen zwingt das Wetter mich irgendwann schmollend in den Betriebshof zurück. Im Moment stand es noch unentschieden zwischen uns, wobei ich langsam den Eindruck bekam, dass ich heute verlieren würde.

Am westlichsten Punkt meiner Route, dem Tankstellenparkplatz, wendete ich. In der Tankstelle selbst war alles ruhig. Es brannte zwar Licht, aber Kundschaft war nirgendwo zu sehen. Durch die wirbelnden Schneeflocken hindurch konnte ich nur Mary erkennen, die drinnen auf und ab ging. Ich zögerte kurz und fragte mich, ob ich auf einen Kaffee, einen Donut und ein kurzes Schwätzchen haltmachen sollte, denn Mary war in solchen Nächten stets eine gute Gesellschaft. Außerdem würde sie sich ebenfalls über ein freundliches Gesicht freuen. Aber es schneite immer noch ohne Unterlass und so, wie die Dinge momentan standen, konnten selbst zehn Minuten Pause zu großen Verwehungen führen.

Ich fuhr also schweren Herzens wieder in Richtung Norden und freute mich stattdessen auf die Pause, die ich irgendwann einlegen und dann den langersehnten Kaffee trinken würde. Wobei George und Jimmy an Marys Charme nicht annähernd herankamen. Während der Pflug dahindonnerte und am Straßenrand hinter mir einen großen Wall aus aufgetürmtem Schnee hinterließ, dachte ich weiter an Mary. Ich fuhr gerade mit sechzig durch die Haarnadelkurve und sang dabei in voller Lautstärke zur Musik aus meinen Kopfhörern mit.

I’m walking on sunshine.

Auf diese Art habe ich den Großteil meines Erwachsenenlebens zugebracht – na ja, zumindest die Winter. Die Jungs in der Bar sagen immer, dass es ihnen schleierhaft war, wie ich Nacht für Nacht bei Wind, Kälte und Schnee unterwegs sein könnte. Aber um ganz ehrlich zu sein, finde ich es irgendwie friedvoll. Außerdem – aber das ist natürlich etwas, das ich den Jungs nicht bei einem Bier erzähle –, ist es für mich eine Pflicht, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, auf diese Art etwas zurückgeben zu können. In der Witlow Road gibt es einen Jungen, der mich für einen Superhelden hält, eine Art dunklen Racheengel, der die Winterstürme daran hindert, sein Zuhause zu verschütten. Insgeheim gefällt mir diese Vorstellung irgendwie. Dies zuzugeben, würde allerdings besonders den Biertrinkern gegenüber, monatelanges Hänseln nach sich ziehen, das wahrscheinlich wohlverdient wäre.

Schließlich ist es ja nicht so, als würde ich gegen irgendwelche Erzfeinde kämpfen. Doch wenn der Sturm erst mal richtig loslegt, gibt es nur noch den Highway und mich. Manchmal sehe ich einen Elch oder einen Kojoten. Noch seltener entdecke ich einen PKW oder Pick-up, der mir vorsichtig in meiner Spur folgt. Jemand mit genügend Verstand, um nicht zu versuchen, den Pflug zu überholen, aber doch nicht mit so viel Verstand, um in einer solchen Nacht zu Hause zu bleiben.

Doch in dieser Nacht war bisher alles ruhig und ich hatte die ganze Straße für mich. Außer dem hypnotisierenden Tanz der fallenden Schneeflocken in meiner hellen Scheinwerferbahn und den reflektierenden Streifen der Leitpfosten, die mich auf gerader Strecke hielten, sah ich nichts Besonderes. Als ich den höchsten Punkt der Haarnadelkurve erreichte, fiel der Schnee noch stärker, aber das störte mich nicht. Ich hatte diese Strecke mittlerweile schon so oft geräumt, dass ich es im Schlaf tun könnte. In meinen winterlichen Träumen von dunklen Straßen und weißem Schnee tat ich das tatsächlich auch oft.

Ich war entspannt, und hatte alles so gut im Griff, dass ich es fast nicht bemerkte, als etwas Seltsames passierte.

Es geschah auf der letzten Steigung der Haarnadelkurve. Am linken Straßenrand erregte plötzlich etwas meine Aufmerksamkeit: ein hellerer Fleck in der Dunkelheit. Zuerst war es nur ein Nebelwölkchen, und es dauerte ein paar Sekunden, bis ich wahrnahm, dass es dort, wo die Scheinwerfer es erfassten, irgendwie zu glühen schien. Als ich weiter bergauf fuhr und die letzte Hügelkuppe passiert hatte, bevor es wieder nach Trinity Junction und auf Meereshöhe hinunterging, schien es sich auf einmal schnell zu bewegen und so den Abstand zwischen uns zu wahren.

Ich riss mir jetzt die Kopfhörer von den Ohren und mein Herz schlug wie wild. Ich trat so hart, wie ich es wagte auf das Gaspedal und hoffte verzweifelt, dass es sich bei diesem seltsamen Nebel nicht um das handelte, was ich befürchtete.

Doch der Nebel beschleunigte jetzt ebenfalls. Das glühende Wölkchen raste mit siebzig Sachen dahin und wurde auf dem Gefälle sogar noch schneller. Als wir den Fuß des Hügels erreichten, befand es sich ein Stück links vor mir. Bei dem Versuch, die rechte Abzweigung zur Trinity Road zu schneiden, krachte ich mitten in eine größere Schneewehe hinein. Der Pflug erzitterte und schickte eine Stoßwelle in meinen Rücken hoch, die meine Aufmerksamkeit einen Moment lang von der Straße ablenkte – es war nur eine Sekunde, aber es schien so, als hätte der Nebel nur darauf gewartet, denn er schlug jetzt zu wie ein angreifendes Tier; zumindest fühlte es sich genauso an. Binnen einer Sekunde hatte er den Schneepflug verschluckt, und plötzlich sah ich auf der anderen Seite der Windschutzscheibe nur noch undurchdringliches Weiß. Ich war also gezwungen, langsamer zu fahren. Anhalten würde ich aber auf keinen Fall, daher steuerte ich den Pflug in so gerader Linie, wie ich nur konnte, und betete dabei.

Kurz darauf kreischte Metall auf. Das Lenkrad zuckte unter meiner Hand und drohte, den Pflug nach links zu reißen. Die Straße war mir vertraut genug, dass ich den tiefen Straßengraben auf der linken Seite kannte, hinter dem ein Steilhang zur Bucht abfiel. Wenn ich hinunterstürzte, würde ich bis zum Frühling dort festsitzen. Ich riss das Lenkrad daher verzweifelt hart nach rechts und schaffte es auf diese Weise, den Pflug wieder gerade auszurichten. Aber dieses rätselhafte Ding hatte wohl immer noch nicht genug von mir, denn das seltsame diffuse Licht füllte weiterhin mein gesamtes Sichtfeld aus. Erneut hörte ich Metall aufkreischen, als hätte es qualvolle Schmerzen. Ein Sprung, der sich in der Enge der Fahrerkabine laut wie ein Schuss anhörte, erschien auf der Fensterscheibe meiner linken Tür, und als ich meine Hand darauflegte, begannen die Fingerspitzen meiner Handschuhe zu rauchen, so als stünden sie in Flammen. Das bleiche Glühen draußen wurde nun immer heller.

Ich riss den Pflug nach rechts, allerdings nicht zu weit, denn ich wusste, dass es auch auf dieser Straßenseite einen kleineren Graben gab. Dann steuerte ich wieder nach links und trat dabei das Gaspedal bis zum Boden durch. Mittlerweile machte ich mir mehr Sorgen darüber, von irgendetwas gefangen zu werden, als dass ich nichts sehen konnte. Unter der Fahrerkabine wurde Metall zertrümmert und einen schrecklichen Moment lang befürchtete ich, dass ich an einem gefallenen Ast festhing. Doch dann riss sich der Pflug mit einem lauten Kreischen wie aus frustrierter Wut endlich wieder los, und ich raste weiter die enge Straße entlang. Das bleiche Glühen wurde nun schwächer und ich konnte die Straße endlich wieder sehen. In meinem Rückspiegel wurde der glimmende Nebel immer kleiner, und mir wurde bewusst, dass ich dringend wieder Luft holen musste.

***

Mir war klar, dass ich in dieser Nacht nicht mehr viel aus dem Pflug herausholen konnte. Als ich an der Bonaventure-Kreuzung zu der Stelle abbog, wo der Campingplatz lag, begann der Motor plötzlich zu husten und zu stottern, und bei meiner Einfahrt in die Stadt kratzte unter mir irgendetwas lautstark über die Straße.

Ich schaffte es gerade noch so eben den Schneepflug wie mit Samthandschuhen auf den Betriebshof zu steuern und kam gleichzeitig mit George Hislop dort an, der das wuchtige Streufahrzeug von seiner Tour durch die städtischen Straßen zurückbrachte. Als ich ausstieg, winkte ich ihm zu, doch er beachtete mich überhaupt nicht, sondern starrte nur mit weit aufgerissenen Augen auf den Kühlergrill meines Pflugs. Ich schlug meine Tür zu, deren Scheibe einen deutlichen Riss aufwies, und ging nach vorne, um mir den Schaden selbst anzuschauen.

»Ich glaube, ich bin in irgendetwas Hartes reingefahren«, rief ich.

George antwortete nicht, sondern starrte noch immer auf die Schaufel des Pflugs – oder vielmehr auf das, was vor ein paar Minuten noch eine Schaufel gewesen war. Jetzt handelte es sich nur noch um einen Klumpen Metall, der aussah, als wäre er geschmolzen und dann zu etwas ausgekühlt, das fast wieder die ursprüngliche Form hatte, aber zu verzogen war, als dass der Pflug jemals wieder als Räumfahrzeug eingesetzt werden könnte. Der Stadt würde er diesen Winter jedenfalls keine großen Dienste mehr leisten können.

Ich musste nicht darüber nachdenken, was diesen Schaden verursacht hatte, denn ich wusste es nur zu gut. Es war nämlich nicht das erste Mal, dass ich sein Werk sah.

George blickte zu mir hinüber.

»Das Grauen ist wieder da, oder?«, fragte er beklommen.

»Jupp. Dieses Mal ist es den Highway hochgekommen. Hast du gehört, dass das schon einmal passiert ist?«

George hatte seinen Blick wieder auf die Pflugschaufel gerichtet.

»Nein, dass es viel weiter als die Halbinsel gekommen ist, habe ich noch nie gehört. Aber andererseits weiß niemand über das Grauen wirklich Bescheid. Sieht ziemlich übel aus.«

Ich nickte und ging ins Büro, denn ich hatte dringend einige Anrufe zu erledigen.

DAMALS (1954)

Aus Duncan Campbells Tagebuch, März 1954

Ich muss dies niederschreiben, solange es mir noch frisch im Gedächtnis ist, vielleicht wird der einfache Akt des Niederschreibens dem Wahnsinn, der unserem kleinen Experiment widerfahren ist, ja Objektivität und einen Fokus verleihen. Ich befürchte allerdings, dass das, was ich hier gesehen und auch getan habe, mich noch viele Jahre lang verfolgen wird. Ich kann nur hoffen, dass dieser Bericht einen kleinen Beitrag dazu leisten kann, unsere Machthaber davon zu überzeugen, das Ganze nicht weiterzuverfolgen, denn trotz unserer anfänglich guten Absichten ist kaum zu ignorieren, dass wir das Vorhaben gar nicht erst in Betracht hätten ziehen sollen. Ich wünschte mir verdammt noch mal, ich wäre zu Hause geblieben, als sich mir die Möglichkeit dazu geboten hat.

Natürlich sind die Leute vom Militär über die ganze Geschichte hergefallen wie die Hyänen, denn alles, was ein Zerstörungspotenzial hat, wie das, was wir gesehen haben, interessiert sie natürlich automatisch. Wir haben ihnen gesagt, dass nichts mehr zu retten ist und dass das Experiment ein kompletter Reinfall war, aber ich weiß genau, wie die denken. Sie werden garantiert nicht die Finger davon lassen. Sie werden damit herumspielen und es von allen Seiten durchleuchten und es schließlich doch als Waffe benutzen.

Das darf nicht geschehen!

***

»Führen Sie es durch, sonst brauchen Sie sich gar nicht mehr herzutrauen.«

Das hatten sie im Ministerium zu uns gesagt, kurz bevor sie uns nach Southampton geschickt hatten, von wo aus wir mit dem Kriegsschiff nach Neufundland gereist sind. Sie haben uns gesagt, dass es für die Queen und für Großbritannien sei. Dass es etwas wäre, das unser Königreich wieder groß dastehen lassen würde. Bahnbrechend war ein Wort, das immer wieder fiel. Was sie uns allerdings nicht sagten, war, dass die Fahrt über den Atlantik äußerst stürmisch werden würde, das Essen schrecklich war und das Wetter an unserem Zielort subarktisch sein und jeden Tag kälter werden würde. Angesichts dessen und des Misstrauens, das die Matrosen unserem kleinen Grüppchen Wissenschaftler entgegenbrachten, war es alles andere als eine fröhliche Bootsfahrt. Besonders für jemanden wie mich, dessen bisherige Erfahrungen auf See sich auf ein paar Fahrten mit der Firth of Clyde Fähre beschränkten.

Ich stand jetzt an Deck, wo die Sturmböen offenbar versuchten, mich nach England zurück zu blasen und mich dabei mit Gischt durchweichten. Ich beobachtete gerade, wie eine kleine Gruppe halb erfrorener Wissenschaftler und äußerst unwirscher Matrosen versuchte, Muirs Sammelsurium aus Chrom, Drähten und elektrischen Bestandteilen zu einem Ganzen zu verbinden, dessen Einzelteile mir schon ein vollkommenes Rätsel waren. Seit einer Stunde lagen wir vor Anker und ich wünschte mir jetzt schon, ich wäre zu Hause geblieben.

Vor dem Krieg hatten sie mich wenigstens in die warmen und trockenen Fabriken im Westen des Landes geschickt, wo ich mit fügsamen Schafen und Rindern hatte experimentieren können und das Risiko, verletzt zu werden, äußerst gering gewesen war. Aber die Nazis hatten schnell andere Spielregeln eingeführt. Hitlers Gier nach technologischem Vorsprung hatte die Deutschen Unsummen in die Forschung investieren lassen. Nicht nur, was Waffen anging, sondern auch im Bereich der Biologie und Physik. So widerwärtig die Nazis auch gewesen waren, sie hatten die deutsche Wissenschaft ungemein vorangetrieben. Wir in Großbritannien hatten erst bemerkt, dass wir nicht mehr reich genug waren, um mithalten zu können, nachdem der Krieg vorbei war und der Staub sich gelegt hatte.

Das war der Zeitpunkt, als ich in diese Forschungsgruppe rekrutiert wurde. Man hatte mich nach London bestellt, wo ich in einen Raum voller Menschen geführt worden war, die mir ausschließlich durch ihren Ruf bekannt gewesen waren. Wir hatten uns dort mit dem Minister bei Tee und Gebäck getroffen und im Gegenzug für eine hübsche Gehaltserhöhung und das Versprechen einer besseren Rente einen recht seltsamen Auftrag erhalten.

»Lassen Sie sich etwas Ausgeklügeltes einfallen, auf das bisher noch niemand gekommen ist.«

Nicht gerade detaillierte Anweisungen, aber uns reichte es, um eine bestimmte Richtung einzuschlagen. Seit Ende der Vierzigerjahre waren wir mit ein paar Berichten, einigen nicht allzu blamablen Präsentationen und dem Versprechen, zu einem ungenannten Datum endlich Resultate zu liefern, davongekommen. Es war also eine leichte, wenn auch ereignislose Existenz gewesen, und ich hatte mich bereits auf die Frührente, das versprochene Ruhegeld und ein paar unangestrengte Runden Golf gefreut.

Doch mit Anbruch des neuen Jahrzehnts hatte sich plötzlich alles verändert. In Whitehall wehte auf einmal ein frischer Wind, einer, der Ergebnisse sehen wollte und uns mit dem Rest der Bürokraten aus unseren Dienstzimmern blies. Professor Muir war genau zur richtigen Zeit aufgetaucht, Retter und Teufel zugleich. Er hatte den Ruf, gleichermaßen rätselhaft, exzentrisch als auch unleugbar brillant zu sein. Er war der Mann, der die Leitsysteme der deutschen Bomben mittels Störsignalen fehlgeleitet hatte … ein Gegenmittel für eine Epidemie fand, von der die Bevölkerung nicht einmal etwas zu hören bekommen hatte … und die Möglichkeit erkannte, feindliche Häfen durch Unmengen von Seetang zu verstopfen. Ich war ihm zuvor zweimal auf Konferenzen in Edinburgh begegnet und er war mir dort wie ein ungemein intelligenter Mann vorgekommen, der sich seines Scharfsinns ganz genau bewusst war. In anderen Ländern hätte man ihn wahrscheinlich gefeiert und mit Preisen und Medaillen geehrt, in Großbritannien aber hatte er zu viele Männer mit Macht beleidigt und sich zu unbekümmert über zu viele Gesetze hinweggesetzt. Man hatte ihm daraufhin die Forschungsgruppe überantwortet, in der Hoffnung, dass er uns entweder schnell in Vergessenheit geraten lassen oder Schande über uns bringen würde.

Doch stattdessen hatte Muir etwas Bemerkenswertes getan.

Meine Fachgebiete sind die Biologie der Säugetiere, Chemie und schließlich noch – weit abgeschlagen – angewandte Mathematikwissenschaft. Die Erläuterungen von Muir, denen wir im Ministerium gelauscht hatten, waren mir ehrlich gesagt viel zu hoch gewesen. Das Einzige, was ich verstanden hatte, war die Frage gewesen, mit der er seine Ausführungen begonnen und beendet hatte.

Was, wenn wir ein Kriegsschiff unsichtbar werden lassen könnten?

Der Professor hatte seitenlange esoterische Gleichungen und Kalkulationen angefertigt und ihnen ein kleines aus Chrom, Kupfer und Drähten gebasteltes Ding präsentiert, das er uns alle genau zu inspizieren bat, bevor er damit den Füllfederhalter des Ministers verschwinden ließ. Er hatte ihn leider nicht wiederauftauchen lassen können und viele am Tisch hatten ihn des Schummelns und der Täuschung beschuldigt, aber Muir hatte das Ministerium zumindest ausreichend überzeugt, damit ein Feldexperiment immerhin in Betracht gezogen wurde. Man hatte allerdings auf einen vor neugierigen Augen geschützten Ort bestanden. Mithilfe unserer kanadischen Freunde hatten wir damit begonnen, die Reise nach Neufundland zu planen, auch wenn ich zugeben muss, dass ich die anderen mit aller Macht von den Vorzügen einer verwunschenen Bucht im Mittelmeer zu überzeugen versuchte.

Aber es hatte Neufundland werden sollen, im Frühling oder dem, was in jenen Breitengraden als Frühling galt, und nach mehreren Monaten geschäftiger Vorbereitungen erklärte Muir sich schließlich aufbruchsbereit. Ich hatte immer noch keine rechte Vorstellung davon, was er eigentlich plante oder ob es überhaupt möglich war, denn die letzten seiner Experimente waren streng geheim gewesen. Eine Weile hatte ich sogar noch die Hoffnung gehegt, dass Muir die Reise ohne mich antreten würde, doch dieser Wunsch zerschlug sich drei Tage vor der Abfahrt.

»Ich brauche Sie, Duncan«, sagte er und besänftigte mich ein bisschen mit einem großen Glas ausgezeichnetem Scotch. »Sie müssen dafür sorgen, dass ich mit den Füßen auf dem Boden bleibe. Außerdem können auf einer solchen Reise nie genügend Schotten dabei sein.«

Darüber lachten wir zwar beide, aber im Blick meines Landsmannes lag etwas, das ich dort zuvor noch nie gesehen hatte. Es sah nach Zweifeln aus und nach einer vielleicht nicht unbedeutenden Menge Angst. Was es auch sein mochte, er wollte sich nicht dazu äußern, selbst dann nicht, als wir den Pegel der Whiskeyflasche erheblich gesenkt hatten. Alles, was ich aus ihm herausbekam, war ein gemurmelter Fluch.

»Diese verdammten dummen Forschungsassistenten, die selbst die simpelsten Anweisungen nicht befolgen können, haben es verdient. Ist schließlich nicht meine Schuld, wenn sie sich nicht selbst aus der Patsche helfen können.«

Am Morgen danach hatte ich zwar einen furchtbaren Kater, erinnerte mich aber dennoch an das, was Muir gesagt hatte. Dick Roberts, ein junger Labortechniker, war seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen worden, Genaueres wusste aber niemand. Die Wahrheit erfuhr ich erst viel später, und da war es natürlich längst nicht mehr aufzuhalten.

Der junge Roberts war nämlich nur der Erste von vielen.

***

Als ich auf dem windigen Deck des Kriegsschiffes stand, musste ich unwillkürlich an Muirs Flasche Scotch denken. Ein Schluck oder zwei wären jetzt ganz wunderbar gewesen, aber ich wusste, dass ich meinen Posten nicht verlassen durfte. Obwohl ich nicht der Navy angehörte, war es auf dieser Reise besser, sich der Befehlshierarchie des Schiffes unterzuordnen. Entweder das oder man riskierte einen Besuch der Schiffsgefängniszelle. Captain Squire hatte direkt von Anfang an klargestellt, dass er hier das Sagen hatte und nicht zögern würde, das zu beweisen. Mir war klar, dass es irgendwann eine gravierende Auseinandersetzung zwischen ihm und Muir geben würde, aber bis jetzt hatten sie gebührend Abstand bewahrt. Ich hoffte nur, dass dieser Frieden halten würde, bis wir unsere Arbeit erledigt hatten.

Ein Ausruf von Muir höchstpersönlich riss mich jetzt aus meinen Gedanken.

»Sagen Sie Bescheid, dass wir bereit sind«, rief er. Die Zeit für meinen kleinen Auftritt in diesem Unterfangen war also offenbar gekommen. Ich gab den Beobachtungsposten, die in ungefähr vierhundert Metern Entfernung am Ufer standen, das entsprechende Signal. Selbst vom Schiff aus konnte ich sehen, dass sich ihr Zelt auf dem exponierten Felsvorsprung durch die immer stärker wehenden Böen blähte und flatterte. Doch ihre Antwort konnte ich klar erkennen: Auch sie waren anscheinend bereit.

Wie abgesprochen nickte ich zuerst Muir zu und danach Captain Squire, um zu signalisieren, dass ich mir seiner Befehlsgewalt bewusst war. Diese Art von Anstand besaß Muir leider nicht. Er machte einfach einen Schritt nach vorn und legte ohne weitere Vorbereitungen einen Schalter an seinem Zauberkasten um.

Doch nichts Weltbewegendes geschah. Irgendetwas zündete und ungefähr drei Sekunden lang war ein deutliches Summen zu vernehmen. Ich hörte außerdem den Wind und spürte nichts anderes als den kalten Sprühregen in meinem Gesicht. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig um, um Captain Squires ironisches Grinsen wahrzunehmen, bevor er in der relativen Wärme des Schiffsinneren verschwand. Ich blieb bloß noch stehen, weil ich kurz mit dem Professor reden wollte.

Muir schien das Ergebnis des Experimentes offenbar nicht weiter zu stören.

»Ein Ventil ist gebrochen«, erklärte er. »Ich habe vergessen, den Effekt der Entmagnetisierungsschalttafeln mit einzukalkulieren. So was passiert leider. Geben Sie mir eine Stunde, dann versuchen wir es noch einmal.«

Aus der einen Stunde wurden zwei, dann drei, und mit schwindendem Tageslicht verfinsterte sich auch Muirs Laune. Bei Sonnenuntergang sah er sich schließlich gezwungen, alle Hoffnung aufzugeben, an diesem Tag noch etwas zu erreichen.

»Es liegt an der verdammten Gischt und dem Sprühregen«, sagte er wütend, als wir uns auf den Weg zur Kapitänskajüte machten, um uns vor dem Dinner noch ein paar Drinks zu genehmigen. »Das sorgt einfach für zu viele Kurzschlüsse.«

Squire hörte es, da wir gerade seine Kajüte betraten.

»Vielleicht brauchen Sie eine Art Regenschirm«, schlug er vor und lachte dann laut und anhaltend. Muirs Stirn legte sich daraufhin in noch tiefere Falten und seine Gemütslage wurde finster wie die Nacht. Als wir später beim Essen saßen, war es unübersehbar, dass ein Wutausbruch kurz bevorstand.

Der Zahlmeister Mr. Jones versuchte gerade die Stimmung mit einer langen komplizierten Geschichte über einen Landgang, einen Puff und eine spanische Hure, die sich mit mehr Finessen als alle Matrosen zusammen auskannte, zu lockern, aber sie stieß auf taube Ohren. Der Captain schien wild entschlossen zu sein, Muir sein seiner Meinung nach komplettes Versagen unter die Nase zu reiben.

»Wissen Sie denn nicht, dass die Yankees das alles schon mal versucht haben?«, fragte Squire so laut, dass es alle hören konnten. »43 war das, glaube ich, mit der Etheridge. Es war ein komplettes Desaster, zumindest hat man mir das gesagt. Immerhin haben Sie es geschafft, das zu vermeiden.«

Zuerst versuchte Muir sich noch zusammenzureißen. »Das Experiment ist mir natürlich bekannt, und ebenso auch die Gründe, die zu einem solchen Debakel geführt haben. Ich habe nicht vor, denselben Fehler zu begehen«, sagte er. »Ich habe die Unterströmungsharmonien peinlich genau abgeändert und darauf geachtet, dass die Frequenzwechsel kalibriert sind. Ich …«

Wieder unterbrach Squire ihn mit lautem Gelächter. »Sehen Sie, Gentlemen, hier haben wir einen Wissenschaftler, wie er im Buche steht. Selbst, wenn er sich verständlich ausdrücken wollte, sprudelt unentwegt Fachchinesisch aus ihm hervor. Kein Wunder, dass die alles, was sie anrühren, in Schutt und Asche legen.«

»Hier haben wir außerdem einen Soldaten, wie er im Buche steht, Gentlemen«, erwiderte Muir so laut, dass alle sofort verstummten. »Der sich für dermaßen wichtig hält und dabei so engstirnig und klein kariert ist, dass für ihn nichts außer seinesgleichen einen Wert hat.«

Der Professor begann sich offenbar für dieses Thema zu erwärmen. In der Hoffnung, ihn beruhigen zu können, legte ich ihm meine Hand auf den Arm, aber er war bereits zu erbost.

»Ohne die Wissenschaft hätten Sie dieses schöne Schiff nicht«, brüllte er jetzt. »Ohne die Wissenschaft hätten Sie kein elektrisches Licht.« Er streckte den Arm aus und stieß die über dem Tisch hängende Lampe an. Sie pendelte wild hin und her und warf dabei abwechselnd Schatten- und Lichtstreifen über die Gesichter, die auf seinen Temperamentsausbruch hin mit offenen Mündern dasaßen. Muir hob sein Whiskeyglas. »Ohne die Wissenschaft hätten Sie nicht einmal das Glas, in dem das Abwaschwasser schwappt, das Sie wagen Whiskey zu nennen.«

Er warf das Glas mit aller Kraft gegen die Wand. Ich verzog in der Erwartung, dass es laut klirrend zerbrach, das Gesicht, doch das tat es nicht. Das Glas knallte an die Wand … und flog dann einfach weiter. Es verschwand aus unserem Sichtfeld und ließ in dem soliden Stahl Wellen zurück … Wellen, die fast sofort erstarrten.

Bis auf ein am anderen Ende des Tisches gebrummtes Heilige Scheiße wurde es plötzlich totenstill im Raum. Nach Lachen war jetzt definitiv niemandem mehr zumute.

»Ist es das, woran Sie arbeiten? Funktioniert es?«, fragte der Zahlmeister fasziniert.

»Sieht ganz so aus, als ob es funktioniert«, antwortete Muir, ohne die Miene zu verziehen. »Aber vielleicht sollten wir es lieber von einem Wissenschaftler untersuchen lassen.«

***

Wir liefen jetzt allesamt hastig an Deck und sahen, dass das Schiff in einem trüben Nebel vollkommen ruhig im Wasser lag. Der Nebel war so dicht, dass ich gerade noch die Umrisse des Bugs zu meiner Linken und der Geschütztürme zu meiner Rechten ausmachen konnte, obwohl sie nur ein paar Meter von mir entfernt waren. Dem Nebel haftete etwas wahrlich Gespenstisches an, und ein Glühen war darin zu erkennen, das ich zu dem Zeitpunkt noch den Lichtreflexionen der an Deck befestigten Leuchtstrahler zuschrieb.

Muir hingegen verschwendete keine Zeit damit, das Wetter zu betrachten. Er marschierte geradewegs auf seinen Experimenten-Kasten zu. Noch bevor er ihn erreichte, zerriss plötzlich ein Schrei die Nacht. Ich drehte mich gerade noch rechtzeitig, in Richtung des Geräuschs um, um einen Seemann in den Bohlen des Decks versinken zu sehen, so als wäre er in ein Wasserloch gefallen. Er schwenkte verzweifelt die Arme hin und her und das, was gerade eben noch festes Metall gewesen war, erzeugte jetzt platschende Geräusche wie etwas Dickes und Zähflüssiges und schickte Wellen über mehrere Meter des Decks. Der Mann riss den Mund auf, um erneut zu schreien, und die Flüssigkeit rann ihm daraufhin in die Kehle. Dann verhärtete sich die Masse genauso schnell, wie sie flüssig geworden war, und wurde wieder zu solidem Metall.

Gott sei Dank war der Seemann schon tot, als ich es endlich zu ihm schaffte, denn er war um den Hals herum gefangen, so als hätte man ihn stehend im Deck begraben. Die untere Hälfte seines Gesichtes war unter einer metallenen Maske verborgen und seine Augen, die immer noch voller Entsetzen waren, starrten mich unverwandt an.

»Stellen Sie das Scheißding sofort ab, bevor noch jemand verletzt wird«, schrie ich panisch. Doch Muir bewegte sich nicht. Ich verließ den toten Matrosen, ging übers Deck auf den Professor zu und packte ihn am Arm. Dann riss ich ihn herum, bis wir uns Nase an Nase gegenüberstanden. »Stellen Sie es ab!«, brüllte ich ihm mitten ins Gesicht.

Er antwortete mir mit bemerkenswerter Gelassenheit: »Das dürfte sich etwas schwierig gestalten, Duncan. Es ist nämlich gar nicht angeschaltet.«

Ich taumelte von ihm weg und sah mir das Gerät selbst an. Sofort entdeckte ich, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Das Sammelsurium von Drähten, Ventilen und Spulen stand vollkommen reglos mitten auf dem Deck.

»Was zum Teufel ist hier los?«

Muir schüttelte den Kopf. »Das weiß ich ehrlich gesagt noch nicht so recht. Vielleicht ist es ein Nachhall von vorhin, als wir es angeschaltet haben. Vielleicht hat dadurch etwas begonnen, das aufgehört hätte, wenn wir weiter gemacht hätten. Vielleicht …«

»Das sind mehr Vielleichts, als mir lieb ist«, antwortete ich.

Er nickte. »Das geht mir ganz genauso. Aber ich brauche nun mal mehr Informationen, bevor ich diesbezüglich eine Hypothese aufstellen kann.«

Vom Heck her erklang jetzt ein Schuss, der allen Spekulationen ein abruptes Ende setzte. Die darauffolgende Stille füllte sich bald mit weiteren Schreien.

***

Als ich das Heck erreichte, war ich mir zuerst nicht sicher, was dort eigentlich vor sich ging, denn der Nebel war dort anscheinend sogar noch dichter, so dicht, dass er fast wie eine solide Wand wirkte. Als eine Windböe einen dichten Nebelfetzen über drei in der Nähe stehende Seemänner hinweg blies, stellte dieser Gedanke sich als unangenehm realitätsnah heraus, denn sie reagierten, als hätten lodernde Flammen ihre Haut berührt. Noch im selben Moment, als ihre Schreie an meine Ohren drangen, schmolz ihr Fleisch und fiel in schmierigen Streifen von ihren Knochen. Gott sei Dank war es schon so gut wie vorbei, bevor ich mich überhaupt bewegen konnte. Eine erneute Böe wehte an mir vorbei und der dichte Nebel schwebte nun in Richtung Steuerbord. Wir blieben auf dem stillen Deck mit den verunstalteten Leichen zurück, die uns auf schauderhafte Weise an das erinnerten, was sich soeben zugetragen hatte.

Captain Squire war sein Befehlsgehabe offenbar einen Augenblick lang abhandengekommen. Er wirkte momentan mehr wie ein schockierter Buchhalter als ein Marineoffizier. Er stand bewegungslos da und starrte die Blutschlieren an, die alles waren, was von seinen Matrosen übrig geblieben war. Ich musste ihn schließlich gewaltsam von dort wegzerren. Als er sich endlich bewegte, stakste er mit dem ausdruckslosen, fast leblosen Blick eines zutiefst geschockten Mannes davon.

Muir hingegen reagierte auf den Stand der Dinge wesentlich schneller als wir alle. »Sofort unter Deck! Sehen Sie zu, dass Sie unter Deck kommen! Es kann jeden Moment wieder passieren.«

Wir rannten also alle gleichzeitig auf die Tür zu, schafften es aber nicht alle.

Wir hatten das Sturmschott, das unter Deck führte, fast erreicht, als erneut dichter Nebel über das Schanzkleid kroch. Metall verzog sich, verbeulte und schmolz schließlich. Ein junger Leutnant – bis heute habe ich nicht einmal seinen Namen in Erfahrung bringen können – sprang zwischen uns und den schnell herannahenden Nebel.

»Bringen Sie sofort den Captain nach unten«, schrie er.

Das waren seine letzten Worte. Dann fiel der Nebel über ihn her … mit demselben Resultat wie zuvor. Muir ließ mich nicht länger herumstehen und das Ende des jungen Mannes mitansehen. Er zerrte den Kapitän gewaltsam zur Tür, ich sprang ihnen hinterher, und der Professor knallte das Sturmschott mit knochenerschütternder Gewalt zu. Das Metall verzog sich nun ebenfalls, wellte sich und erhärtete dann mit einem lang gezogenen Knirschen und Ächzen, das fast menschlich klang, wieder.

Als der Nebel sich wieder verzogen hatte, wurde alles still.

Ich erinnerte mich wieder daran, Luft zu holen. Wir waren noch am Leben!

Aber wie lange noch?

***

Es ging nicht ohne viel Geschrei, Befehle und Androhungen eines Kurzaufenthalts im Schiffsgefängnis, aber schließlich konnten die übrig gebliebenen Offiziere die gesamte Besatzung in der Messe versammeln. Alle sahen zum Kapitän und erwarteten von ihm Befehle, beruhigende Worte … kurz, Führungsqualitäten. Ich konnte deutlich die Angst in ihren Augen sehen, die langsam drohte, auch mich so fest zu ergreifen, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte. Wir alle beobachteten panisch die Wände und die Decke und waren fluchtbereit für den Fall, dass sich auch nur das kleinste Anzeichen von Weichheit zeigte. Wir zuckten schon beim leisesten Geräusch zusammen und versuchten nicht daran zu denken, was der Nebel mit uns anstellen würde, falls wir ebenfalls darin gefangen würden.

Am Anfang befand sich der Kapitän auch nicht in besserem Zustand als der Rest von uns, aber Muir, der anscheinend aus stärkerem Holz geschnitzt zu sein schien, nahm sich dieses Problems an. Er ging in die Kapitänskajüte, kehrte kurz darauf mit einem halb vollen Glas Scotch zurück und zwang den Captain, es zu trinken.

»Schlucken Sie das runter«, sagte er. »Man nennt es aus gutem Grund das Wasser des Lebens.«

Nachdem der Alkohol in seinem Magen angekommen und seine Wirkung entfaltet hatte, röteten sich die Wangen des Kapitäns wieder und sein Blick klärte sich. Er blickte Muir nun an, als sähe er ihn zum allerersten Mal.

»Was zur Hölle haben Sie da getan, Mann?«, flüsterte er fassungslos.

»Ich weiß es nicht. Zumindest noch nicht«, erwiderte Muir. »Aber überlassen Sie das mir. Sie müssen nun dieses Schiff unter Kontrolle bringen. Ihre Besatzung braucht Sie!«

Dieser einfache Appell an seine Pflicht war alles, was der Kapitän gebraucht hatte. Er straffte die Schultern, als sich seine Ausbildung und Erfahrung durchsetzten, und sprang auf einen Tisch, um sich an seine Männer zu wenden. Muir zog mich indessen für einen kleinen Plausch beiseite, sodass ich Squires Rede verpasste. Aber selbst von der entgegengesetzten Ecke der Messe aus, konnte ich sehen, dass er die Aufmerksamkeit aller Männer innehatte, und dass die Angst sich langsam ein wenig aus ihren Blicken verflüchtigte.

Vielleicht schaffen wir es ja doch noch hier raus.

»Ich hoffe, Sie haben einen Plan, alter Knabe«, sagte ich zu Muir, »denn ich bin vollkommen verwirrt, befürchte ich.«

Muir sah mich ernst an. »Irgendwie haben wir es geschafft, die Konsistenz der Grundbestandteile des Schiffs zu verändern«, sagte er. »Ich bin mir momentan nicht sicher, ob man dagegen irgendetwas unternehmen kann.«

»Na, dann denken Sie besser kräftig nach«, erwiderte ich ungehalten. »Ich habe nämlich nicht vor, hier einfach herumzusitzen, bis ich wie eine Wachskerze geschmolzen werde.«

Meine Aussage bekam in diesem Moment Rückendeckung von einem Besatzungsmitglied, das sich an den Kapitän wandte und sagte: »Wir sollten in die Rettungsboote springen, und zwar sofort.«

Ich sah, dass sowohl Muir als auch der Kapitän über diese Möglichkeit nachdachten. Muir ging schließlich zu ihm hinüber und schaute zu ihm hoch.

»Das ist zu gefährlich«, sagte er leise.