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Ein teuflischer Anschlag auf den Domherrn! Almut Bossart macht sich an die Ermittlungen und begibt sich dabei in das dunkle Herz des mittelalterlichen Kölns!
Köln, anno domini 1376. »Sucht die Teufelin bei den Beginen!« Schockiert vernimmt Benediktinerpater Ivo die letzten Worte des einflussreichen Domherrn Sigbert von Antorpf, bevor dieser von einer herabstürzenden Glocke begraben wird. Aber an wen sollte der Domherr bei dieser düsteren Aufforderung gedacht haben? Hat womöglich Pater Ivos spezielle Freundin Almut Bossart, die scharfzüngige junge Begine vom Konvent am Eigenstein, mit dem Vorfall zu tun?
Die historischen Romane um die Begine Almut Bossart bei Blanvalet:
1. Der dunkle Spiegel
2. Das Werk der Teufelin
3. Die Sünde aber gebiert den Tod
4. Die elfte Jungfrau
5. Das brennende Gewand
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Seitenzahl: 441
Köln, anno domini 1376. »Sucht die Teufelin bei den Beginen!« Alarmiert vernimmt der Benediktinerpater Ivo die letzten Worte eines einflussreichen Domherrn, der unter einer herabstürzenden Glocke stirbt. Sollte etwa seine Freundin Almut, Begine im Konvent am Eigelstein, mit dem Vorfall zu tun haben?
Schnurstracks führt Pater Ivo die düstere Aufforderung des sterbenden Domherrn in den Konvent der Beginen. Almut Bossart, die junge Witwe eines Baumeisters und eigenwilligstes Mitglied der frommen Frauengemeinschaft, ist noch wie gelähmt von den Eindrücken einer apokalyptischen Prophezeiung, die eine ihrer Mitschwestern ausgestoßen hat. Und sie hat gerade alle Hände voll zu tun. Zwei neue Zöglinge, deren Angaben zu Herkunft und Vergangenheit allerlei Ungereimtheiten aufweisen, fordern Almuts Aufmerksamkeit. Und da ist auch noch der geflüchtete Novize Ewald, der sich vor Pater Ivo versteckt. Als sich jedoch die Unglücksfälle häufen und die Schrecken der Vision reale Gestalt annehmen, muss Almut sich tiefer mit der Vergangenheit ihrer drei Schützlinge auseinander setzen, als ihr lieb ist. Einmal mehr begeben sich Almut Bossart und Pater Ivo ins dunkle Herz des mittelalterlichen Köln: auf die Dombaustelle, in zwielichtige Badestuben, in das Labor eines skurrilen Alchimisten – und schließlich in die Hände skrupelloser Söldner. Mit außergewöhnlichem Mut, bestechender Klugheit und hinreißend spitzer Zunge gelingt es Almut schließlich, das Werk der Teufelin zu entlarven…
Andrea Schacht, Jahrgang 1956, war lange Zeit als Wirtschaftsingenieurin in der Industrie und als Unternehmensberaterin tätig, bevor sie sich der Schriftstellerei zuwandte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrer Muse – Katze Mira – in Bad Godesberg. Mira übrigens stand auch Patin für 'Teufelchen', dem wir in DAS WERK DER TEUFELIN begegnen. Auch sonst lässt sich Andrea Schacht gerne von den geschmeidigen Vierbeinern inspirieren: den Ausschlag für die ebenfalls bei Blanvalet erscheinende "Ring-Trilogie" gab der Abdruck einer Katzenpfote in einem 1900 Jahre alten römischen Lehmziegel (zu besichtigen in der "Römervilla" nahe Ahrweiler!)…
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Copyright © 2004 by Blanvalet Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. Covergestaltung: punchdesign
ISBN 978-3-89480-841-9 V003
www.blanvalet.de
Für Dieter, der meine kriminelle Energie fördert.
Nimmst du einen Fremden bei dir auf, so wird er dir Unruhe bringen und dich in deinem eigenen Haus zum Fremden machen.
Jesus Sirach 11.35
Dramatis Personae
Almut Bossart – die Heldin, Tochter eines angesehenen Baumeisters, früh verwitwet und seit vier Jahren aus freier Entscheidung Begine. Eine tatkräftige, gesunde junge Frau, die lediglich mit ihrer spitzen Zunge einige Probleme hat.
Die Klerikalen:
Pater Ivo – der Benediktiner von Groß Sankt Martin, von gewittrigem Auftreten, Beichtvater des jungen Ewald, der keine Anfechtung durch Jungfrauen oder andere Mitglieder des weiblichen Geschlechts verspürt. Zumeist wenigstens.
Novize Ewald – ein junger Mann mit großen Gaben, doch ohne Berufung zum geistlichen Leben, der sich in eine verständliche Panik hineingesteigert hat.
Schwester Angelika – ein Mädchen, das von den Ereignissen verstört ist, die sie unwissentlich heraufbeschworen hat, und das Weite sucht, aber nicht findet.
Sigbert von Antorpf – der Domherr mit reichen Pfründen, die zu besuchen eine seiner Hauptbeschäftigungen ist. Sein Drang zur Reinlichkeit aber macht ihm Feinde.
Die Weltlichen:
Aziza – die maurische Hure, die keine ist, aber einen einflussreichen, jedoch nicht näher bekannten Gönner hat.
Johanna – eine junge Badehur, die gelegentlich unentgeltlich junge Novizen einweiht und dabei versehentlich auf die gerade Bahn gerät.
Heinrich Krudener – ein Kräuterhändler und Alchimist, der mehr weiß, als er verrät, und Benediktinermönchen gegenüber nicht gerade freundlich gesonnen ist.
Meinulf Wevers – ein junger Mann, der von dem Domherrn um sein Erbe betrogen wurde und letztendlich auch um sein Leben.
Ursula Wevers – Meinulfs Frau und trauernde Witwe, die nicht beschwören kann, was sie nicht weiß.
Wigbold Raboden – der Vizevogt, der vorsorglich Beginen und andere Frauen inhaftiert.
Pitter – der Päckelchesträger, ein junger Mann, der meistens mit dem – leeren – Magen denkt. Aber nicht immer.
Die Beginen:
Magda von Stave – die Meisterin, die mit Diplomatie und kaufmännischem Geschick den Konvent leitet und sich nie zu unbedachten Äußerungen hinreißen lässt.
Rigmundis von Kleingedank – die Mystikerin, deren apokalyptische Visionen sich, wenn auch auf wunderliche Weise, zu erfüllen pflegen.
Clara – die Gelehrte von delikater Gesundheit, die lieber feinsinnige Bibelübersetzungen anfertigt, als sich die Finger mit rauen Arbeiten schmutzig zu machen.
Elsa – die Apothekerin, die allerlei Heilmittel kennt und auch vor Giften nicht zurückschreckt.
Trine – eine dreizehnjährige Schnüfflerin mit heilenden Händen, die die hohe Kunst der Alchimie zu erlernen sucht.
Gertrud – die Köchin, eine ziemlich verbitterte Person, die nichtsdestotrotz ihr Handwerk versteht und erstaunlich gut zuhören kann.
Thea – das Klageweib, das von einem ganz persönlichen Jammer heimgesucht wird.
Bela und Mettel – die Pförtnerin und die Schweinehirtin, die beide lieber arbeiten als beten.
Judith, Agnes und Irma – drei Schwestern die sich auf das Seidweben verstehen.
Und nicht zu vergessen die
historischen Persönlichkeiten:
Friedrich III. v. Saarwerden – ein 28-jähriger Erzbischof, dummerweise abwesend, und mit ihm die gesamte Gerichtsbarkeit, die eigentlich dringend in der Stadt benötigt wird.
Meister Michael – ein begnadeter Dombaumeister, unter dessen Leitung der Südturm heranwächst.
Das heilige Köln des Mittelalters war eine lebhafte Stadt, und ihre Heiligkeit drückte sich vor allem in den unzähligen großartigen Kirchen, Klöstern und Stiften aus. Aber irgendwie beschleicht mich immer, wenn ich mich mit der Chronik dieser wundervollen Stadt befasse, das Gefühl, dass diese Heiligkeit nicht über den Wolken schwebte, sondern ungemein bodenständig war. Vor allem wiederholte Mahnungen der amtierenden Erzbischöfe werfen ein interessantes Licht auf die gängige Praxis, frommes Leben mit purem Geschäftssinn zu vermischen. Etwa der Hinweis darauf, die Klosterbrüder mögen es doch bitte unterlassen, in ihren Immunitäten, also im Klosterbezirk, Wein wie die Weinhändler zu verkaufen oder wie Kneipenwirte anzubieten. Und den Nonnen wurde doch tatsächlich das Ausschenken von Bier untersagt!
Die eleganteste Geschäftsidee jener Zeit aber war der kirchlich sanktionierte Ablasshandel, bei dem man sich durch eine Geldzahlung für gewisse Fristen aus dem zu erwartenden Fegefeuer freikaufen konnte. In Köln wurde dieser schwunghafte Handel vornehmlich zur Finanzierung des Dombaus betrieben. Gütig gewährt wurde vom Erzbischof im Übrigen auch die Umwandlung von Gelübden und Pilgerversprechen in Geldwerte, wenn sie denn dem Domkapitel zur Verfügung gestellt wurden.
Dass sich in diesem Zusammenhang durchaus eine gewisse kriminelle Energie entwickeln konnte, blieb leider auch nicht aus.
Mein intensives und begeistertes Bibelstudium, das natürlich notwendig war, um Almut, der Begine, die treffenden Bemerkungen auf die spitze Zunge legen zu können, brachte mir das Buch Jesus Sirach näher, ein hinreißendes Werk voll praktischer Ratschläge und tiefer Weisheiten, die auch nach Tausenden von Jahren noch nicht ihre Gültigkeit verloren haben. Und sie sind von einer überwältigenden Sprachgewalt und erschreckend bildhaft beschrieben. Wie etwa folgende Feststellung, die den Leitgedanken der nachfolgenden Geschichte bestimmt:
»Wer mit Gewalt ein Urteil erzwingen möchte, der ist wie ein Verschnittener, der eine Jungfrau schänden will.« (20.4)
Im heiligen Köln im
Herbst des Jahres 1376
der Menschwerdung
des Herrn
Domherr Sigbert von Antorpf verfluchte die Langsamkeit der Träger. Er fluchte auch über den Zustand der Straße und die unnötigen Aufenthalte, denn Söldner hatten ihre Lager zwischen Bonn und Köln aufgeschlagen. Er fluchte ebenfalls darüber, in einer schwankenden Sänfte reisen zu müssen, die ihm Übelkeit verursachte. Aber die Wunde schmerzte nach wie vor, selbst wenn sie inzwischen verheilt war. An Reiten war überhaupt nicht zu denken. Vor allem aber verfluchte der Domherr die Teufelin, die sie ihm zugefügt hatte. Dieses heimtückische Frauenzimmer war der Grund für seine beschwerliche Reise – oder besser gesagt, einer der Gründe. Sie war ihm entwischt, just als er sie zur Rechenschaft ziehen wollte. Und es war ihr, wie auch immer, gelungen, in den Wirren der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen dem Erzbischof von Köln und dem Rat der Stadt irgendwo wie ein scheues Wild Unterschlupf zu finden. Er hatte ihre Fährte bis kurz hinter Bonn verfolgt, aber stets war sie ihm einen oder zwei Tage voraus.
Dieser Tag neigte sich nun schon wieder dem Ende zu, und er wies die lahmen Trottel, die seine Sänfte trugen, an, an dem Gasthaus vor ihnen anzuhalten und ihn dort abzusetzen. Stöhnend und steifbeinig wuchtete er seinen massigen Körper von dem Sitz und stützte sich schwer auf den schwarzen Knüttel, der ihm als Stock und gegebenenfalls auch als Waffe diente. Viel versprechend sah das Haus nicht aus, und das Gelärme ließ darauf schließen, dass hier lästiges Kriegsvolk Einkehr gehalten hatte. Aber der Domherr fühlte sich außer Stande, nur noch einen Schritt weiter zu reisen. So gab er seinem Diener den Befehl, für ein standesgemäßes Nachtlager zu sorgen. Unter Umständen war es sogar von Nutzen, dass sich zahlreiche Gäste hier aufhielten. Möglicherweise hatte der eine oder andere die flüchtige kleine Hure gesehen.
In der Tat hatte man sie gesehen, und ihre Spur führte nach Köln.
Was der Domherr nicht wahrnahm, war die junge, verhärmte Frau, die, als sie seiner ansichtig wurde, hurtig in den herbstlich langen Schatten der Bäume verschwand und sich trotz ihrer Erschöpfung und des Hungers nicht mehr im Gasthaus sehen ließ.
Es war ein heiterer Tag, die Luft war noch sommerlich warm, wenn auch bereits ein Hauch von Herbst in dem milden Wind lag, der über die engen Wege zwischen den Feldern strich und den trockenen Staub aufwirbelte. Der Duft von Heu, reifen Äpfeln und der leicht säuerliche Geruch der Gärung lag darin, aber ebenfalls eine Spur des fauligen Brodems, der aus dem Uferschlamm des Rheins aufstieg. Nach den heißen Sommermonaten führte der Fluss jetzt nur noch wenig Wasser.
Drei Beginen, in schlichte graue Kleider gewandet, züchtig die Haare mit den weißen Gebänden und Schleiern bedeckt, wanderten mit Körben voller Äpfeln vom Altenberger Hof zurück zu ihrem Heim in der Nähe des Eigelstein-Tores. Sie hatten vom Gutsbesitzer die Erlaubnis erhalten, das Streuobst auf seinen Wiesen zu sammeln, als Dank für ihren Beistand bei der Bestattung eines alten, treuen Verwalters.
»Ein bisschen knauserig, der Kniesbüggel. Streuobst… Ich bitte euch! Und voller Wespen! Dabei habe ich mir die Seele aus dem Leib geschluchzt, als sie den alten Jobst unter die Erde gebracht haben!«
Thea, die geradezu professionell die Rolle des Klageweibes beherrschte, war schlecht gelaunt, wie schon häufiger in den vergangenen Wochen.
»Ach, was soll’s, Thea. Gertrud wird einen wunderbaren Apfelwein daraus bereiten, und wenn du ihn trinkst, wirst du dem Kniesbüggel noch dankbar sein. Außerdem war es doch ein schöner Tag heute!«
Almut, die jüngste der drei Beginen, redete ihrer älteren Begleiterin besänftigend zu. Sie selbst fühlte sich wohlig müde und entspannt nach einem Tag leichter Arbeit in der Sonne und der frischen Luft. Mit einem kraftvollen Schwung wechselte sie den schweren Korb vom rechten Arm zum linken, griff dann hinein, um einen der rotbackigen Äpfel herauszuholen und herzhaft hineinzubeißen.
»Wir sollen nicht unbescheiden sein«, meinte sie leicht dahin, während sie sich den Saft von den Lippen leckte. »Wir haben nicht nur Fallobst in unseren Körben, wie du siehst. Es sind von einem der Bäume auch eine ganze Menge schöner Äpfel heruntergefallen, nachdem ich gegen den Stamm gestolpert bin. Die werden zum Christfest noch herrliche Bratäpfel geben.«
»Du hast schon eine sehr merkwürdige Art zu stolpern, Almut.« Theas verbiesterte Miene hellte sich auf, als sie sich daran erinnerte, wie Almut den Baumstamm gerüttelt hatte, wodurch die Früchte nur so herunterprasselten.
»Ja, ich bin entsetzlich ungeschickt. Morgen solltet ihr jemand anderen mitnehmen, um Streuobst zu sammeln.«
»Mal sehen.«
Zufrieden mit dieser Antwort wanderte Almut weiter zwischen den beiden voran und bemerkte dabei nicht, wie ihre dritte Begleiterin, Rigmundis, schweigsam und immer matter wurde.
Das Missgeschick geschah, als sie schon in Sichtweite der Mauer waren, die ihr Heim umgab. Dort hatten die Karren und Fuhrwerke tiefe Spuren in den weichen Untergrund gegraben, der jetzt durch die anhaltende Trockenheit hart wie Stein geworden war. Rigmundis schwankte, trat ungeschickt in eine Fahrspur, knickte mit dem Fuß um und stürzte auf den Wegesrand. Der Korb landete sanfter als sie, und nur wenige Äpfel kollerten heraus. Sie gab einen überraschten Schrei von sich und blieb liegen.
»Hoppla, was machst du denn!«
Almut stellte ihren Korb ab und bückte sich zu der älteren Frau, damit sie ihr beim Aufstehen helfen konnte. Rigmundis ergriff ihre Hand, um sich hochzuziehen, musste aber mit einem gequälten Stöhnen liegen bleiben.
»Es geht nicht, Almut, mein Fuß schmerzt entsetzlich!«
»Hast du dir den Knöchel verrenkt?«
»Nicht nur das, mir ist so schwindelig, und dieser Wespenstich auf meiner Hand pocht so schrecklich.«
Sie zeigte ihre Hand, die stark angeschwollen und glänzend rot geworden war.
»Ei wei! Thea, gehst du bitte zur Pforte und bittest Mettel und Bela darum, herzukommen und mir zu helfen? Sie sollen eines der Bretter mitbringen, die im Hof liegen.«
Wortlos machte sich Thea auf den Weg, während Almut Rigmundis half, sich in eine bequemere Lage aufzusetzen. Zum Glück kamen die beiden Beginen, junge, kräftige Frauen, sogleich angelaufen, und gemeinsam schafften sie es, sie auf dem Brett sitzend in den Hof und anschließend die Stiegen hinauf in ihre Wohnung zu tragen.
Einige Zeit später stand Almut an ihrem Lager und sah zu, wie Magda den verrenkten Fuß fest bandagierte.
»Mir ist so heiß«, stöhnte die Verletzte und wälzte sich unbehaglich hin und her.
Almut legte ihr die Hand auf die Stirn und schüttelte den Kopf. »Magda, ich fürchte, sie hat hohes Fieber. Es war ihr schon vorhin schwindelig geworden. Zu dumm, dass unsere Apothekerin nicht hier ist.«
»Elsa kommt erst am Freitag wieder. Aber ich könnte ihr eine Botschaft schicken, wenn es schlimmer wird.« Magda war die Meisterin der Beginen, das gewählte Oberhaupt der kleinen Gemeinschaft von zwölf Frauen, die gemeinsam lebten und arbeiteten.
»Rigmundis, hast du weitere Schmerzen außer denen in deinem Fuß?«
»Dieser Wespenstich tut mir weh. Und mir ist so heiß, ich brenne!«
Sie zerrte an ihren Kleidern. Voller Besorgnis sahen sich Almut und Magda an. Die letzte Pest-Epidemie war zwar schon beinahe dreißig Jahre her, aber die Furcht vor der Seuche war beiden durchaus gegenwärtig. Sie halfen Rigmundis, die eng gebundene Kopftracht abzulegen und die Kleider zu lösen, dann wickelten sie sie in ihre Decken.
»Keine Schwellungen, keine Geschwüre«, flüsterte Almut. »Es mag vielleicht wirklich nur an dem Wespenstich liegen. Ich werde Trine bitten, einen Weidenrinden-Aufguss zu richten. Und ich könnte Clara fragen, ob sie einen Arzt kennt. Du weißt ja, ihre Gesundheit…!«
Die Meisterin nickte zustimmend, wischte Rigmundis mit einem feuchten Tuch über die heiße Stirn und wickelte es ihr dann um die geschwollene Hand. Almut verließ das Zimmer.
Trine saß auf einer Bank am Kräutergarten und zog mit widerwilliger Miene Nadel und Faden durch ein Stück Leinen, das einmal ein Hemd werden sollte. Das reine Weiß wirkte ein wenig schmuddelig, denn viel lieber, als sich mit Näharbeiten zu beschäftigen, wuselte das dreizehnjährige Mädchen in den Beeten herum oder half Elsa in ihrer Kräuterküche. Darum erhellte ein leuchtendes Lächeln ihr Gesicht, als Almut sacht ihre Schulter berührte und ihr mit einigen Handzeichen bedeutete, sich in der Apotheke nützlich zu machen. Hurtig verschwanden Hemd und Nähzeug im Korb, und kurz darauf stand Trine, mit aufgestecktem goldblondem Zopf, über den Kessel gebeugt und rührte in einem streng riechenden Gebräu.
Währenddessen ging Almut zu einem der Häuschen, die um die Mitte des Grundstücks gebaut waren und einen beinahe quadratischen Hof bildeten. Sie bewohnte es zusammen mit Clara, einer leidenschaftlichen Gelehrten, die sich mit Inbrunst in ihre Bücher vertiefen konnte und höchst tiefsinnige Diskussionen zu führen verstand. Auch jetzt saß sie mit frisch angespitzter Feder über einem Pergament und zeichnete säuberlich einen Text auf, den sie zuvor auf einem Wachstäfelchen vorgeschrieben hatte.
»Tut mir Leid, wenn ich dich störe. Aber Rigmundis geht es ziemlich schlecht.«
»Oh…« Clara tauchte aus ihrer Versenkung auf. »Ja, natürlich. Dahinter muss Jesus Sirach wohl zurückstehen.«
»Wer, bitte?«
»Ah, dieser Text hier, das Lob der Weisheit. Sirach besingt es. Aber nun denn – was ist passiert?«
»Ein Wespenstich plagt Rigmundis. Magda bittet dich zu kommen.«
Clara legte sorgsam die Feder zur Seite, stand auf und seufzte: »Na gut, wenn es sein muss!«
Auf dem Weg über den Hof erklärte Almut ihr, was geschehen war. Als sie in die Kammer traten, beugte sich Clara dann über die Kranke.
»Einen guten Arzt kenne ich nicht. Wer kennt schon gute Ärzte! Aber wir könnten den Bader rufen, der sie zur Ader lässt. Ich habe von einem an der Marspforte gehört, der sich hervorragend darauf verstehen soll.«
»Einen Bader von der Marspforte? Hältst du das für eine gute Maßnahme?«
Almut schüttelte bei dem Gedanken zweifelnd den Kopf. Die Badestuben in jener Gegend hatten einen anrüchigen Ruf. Außerdem hielt sie nicht viel vom Aderlass. Sie hatte oft genug an Krankenbetten gesessen, um zu wissen, dass diese Therapie die Leidenden oft mehr schwächte als ihnen zu helfen.
»Keinen Bader, keinen Arzt!«, flüsterte jetzt Rigmundis gepeinigt. »Wird schon wieder!«
»Das glaube ich auch. Du bist kräftig und gesund, und ein wenig Ruhe wird dir Heilung bringen«, beruhigte Clara sie. »Außerdem hast du dich ja nicht versündigt.«
»Aber natürlich nicht!«, erwiderte Magda empört. »Wie kommst du denn darauf?«
»Ach, weil es da heißt: ›Wer vor seinem Schöpfer sündigt, der soll dem Arzt in die Hände fallen.‹«
»Clara?«
Almut und die Meisterin sahen sie groß an.
»Hat Sirach gesagt. Eine seiner Weisheiten, die ich eben übersetzte.«
»Ein neues Kapitel der Bibel, Clara? Ich dachte, du wolltest die Paulusbriefe weiter bearbeiten?«
»Die habe ich kürzlich fertig gestellt. Die Bücher der Weisheit, die ich mir jetzt vorgenommen habe, sind sehr lehrreich. Ich gebe sie dir nachher zu lesen, Almut«, bot Clara ihr an.
»O ja, danke«, antwortete Almut mit kaum verhohlener Begeisterung. »Weise Sprüche können sehr nützlich sein!«
»Tu das lieber nicht, Clara, sonst fängt sie wieder an, mit den Priestern zu disputieren!«, warnte Magda sie. »Du kennst doch ihre ungebärdige Zunge!«
»Ich habe seit Wochen den Mund in der Kirche nicht mehr aufgemacht.«
»Richtig, noch nicht einmal zum Singen. Und das ist wahrhaft ein Segen, Almut!«, spöttelte Clara, aber bevor Almut etwas erwidern konnte, begann Rigmundis heiser zu sprechen.
»Sie wird Unheil über uns bringen!«, flüsterte sie, während sie sich halb sitzend erhob und ihren glasigen Blick auf die Wand neben dem Fenster richtete.
Almut wollte zu ihr gehen, aber Magda hielt sie zurück.
»Lass sie, wenn du sie jetzt störst, bekommt sie ihren Anfall womöglich, wenn ein anderer bei ihr wacht! Wer weiß, was sie in ihrem Fiebertraum sieht!«
»Oh, ich verstehe.« Almut verstand wirklich, denn Rigmundis hatte hin und wieder Visionen, die die Mitglieder des Konventes in Unruhe versetzten. Es war besser, wenn sie nur in kleiner Runde von den Bildern sprach, die sich vor ihren Augen entfalteten. Und diesmal waren es wahrhaft erschreckende Szenen, die sie schilderte.
»Und es wird Hagel und Feuer mit Blut vermischt kommen und niederfallen auf die Erde, und die Erde wird verbrennen und die Bäume und alles grüne Gras. Ich sehe Flammen lodern aus den Kirchen und höre die Schreie der Sterbenden sich anklagend erheben. Und die Glocken werden niederfallen durch das Gebälk, und die Schuldigen werden fliehen aus den Häusern wie die Ratten aus den Löchern. Ein schwarzes Untier wird ihnen folgen, und es wird sie zerfleischen und ihr Blut trinken. Und so wird Satan losgelassen werden aus seinem Gefängnis und wird ausziehen zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde. Und das Lamm wird über uns kommen und sich wandeln in die große Hure, die auf dem scharlachroten Tier reitet. Sie ist bekleidet mit Purpur und geschmückt mit Gold und mit Edelsteinen und Perlen, und sie trägt einen goldenen Kelch in ihrer Hand, voll von den Gräueln ihrer Hurerei.«
Ihre Stimme versagte, und zitternd sank Rigmundis in die Kissen.
»Eine Vision!«, flüsterte Clara. »Und was für eine. So etwas überkommt sie doch sonst nur, wenn das Wetter wechselt oder bei Vollmond.«
»Sie hat hohes Fieber, Clara.« Almut sah mitleidig auf die halb bewusstlose Rigmundis hinunter und bemühte sich dann, sie vorsichtig aufzurichten. Leise war inzwischen Trine in die Kammer getreten und hielt einen Becher mit einer dampfenden Flüssigkeit in der Hand.
»Geht es wieder, Rigmundis? Hier, trink einen Schluck von dieser Arznei!«
»Ja, ja. Danke«, murmelte sie und nippte an der bitteren Flüssigkeit. »Scheußlich!«, murrte sie dann und schüttelte sich. Aber das Getränk schien sie etwas zu beleben. »Ich sah etwas, Almut. Aber ich kann mich nicht genau erinnern. Was war es?«
»Oh, das Lamm, das sich in eine rot berockte Hure verwandelte, und ein Untier, das Ratten jagt, und dann ist der Teufel los. Es klang ziemlich apokalyptisch.«
Vor den Stadtmauern wurde Domherr Sigbert von Antorpf noch einmal aufgehalten, denn seit vor zwei Monaten die erzbischöflichen Truppen die Stadt am Severinstor beschossen hatten, war die Bewachung strenger geworden. Der Domherr hatte sich äußerst ungehalten über diese Kontrollen gezeigt, und der Hauptmann der Wache musste ihn schließlich passieren lassen, obwohl er ein Kleriker war und wahrscheinlich auf der Seite des Erzbischofs Friedrich des Dritten von Saarwerden stand. Aber Sigbert von Antorpf besaß ein Haus in der Stadt, das er aufzusuchen wünschte. Ganz abgesehen davon gehörte er dem Domkapitel an, in dem er wichtige Aufgaben zu erfüllen hatte. Und der Dom stand nun mal noch immer in Köln – Erzbischof hin, Erzbischof her!
Sigbert von Antorpf fand sein Heim für seinen Empfang gerichtet und machte sich sogleich daran, die Fährte seines flüchtigen Wildes wieder aufzunehmen. Nicht in Person, doch zwei Diener erhielten reichlich mit Münzen bestückte Beutel, mit denen man sich selbst delikate Informationen erkaufen konnte. Mit dem Auftrag, an ganz bestimmten Orten und bei gewissen Personen Fragen zu stellen, verließen sie ihn.
Anschließend nahm der Domherr ein reiches Mahl ein und widmete sich dann den Botschaften, die sein Schreiber während seiner Abwesenheit gesammelt hatte. Die meisten waren erfreulich und zeigten, wie sehr sein Besitz sich mehrte und seine Arbeit Früchte trug. Besonders beglückte ihn die Nachricht, dass der alte Wevers vor wenigen Tagen das Zeitliche gesegnet hatte und nun sein Testament in Kraft trat. Einige andere Neuigkeiten waren unbequem und verlangten Entscheidungen, eine jedoch war nicht nur unbequem, sondern sogar lästig. Sie bedeutete, sich mit einem jungen Mann zu treffen, der guten Grund hatte, ihm, dem Domherren, nicht besonders wohlgesonnen zu sein. Aber auch solchen Begegnungen ging Sigbert von Antorpf nicht aus dem Weg. Allerdings zog er es vor, sich mit zornigen jungen Männern nicht an einsamen Orten zu treffen, wie vorgeschlagen, sondern derartige Begegnungen in der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Also gab er seinem Schreiber den Auftrag, besagtem jungen Mann auszurichten, wenn er ihn denn schon sprechen wolle, dann sei der Sonntag der beste Zeitpunkt, und zwar möglichst nach dem feierlichen Hochamt, das an diesem Tag zu Ehren der heiligen Ewalden in Sankt Kunibert gehalten wurde.
Nachdem diese Angelegenheit geregelt war, empfing er seine beiden Spürhunde. Aber trotz aller Bemühungen dieser eifrigen Diener war es nicht möglich gewesen, das scheue Reh aufzustöbern. Der Domherr ging ausgesprochen unbefriedigt zu Bett und sann über weitere Maßnahmen nach.
Als Almut am nächsten Morgen aus der Tür ihres Hauses trat, um zum Haupthaus zu gehen, in dem Magda ihre Wohnung hatte, wurde sie von einer wütenden Mettel aufgehalten.
»Schau dir das an! Unsere beste Junghenne!«
Ein Haufen blutiger weißer Federn lag vor dem Stall, und das, was von dem Vogel übrig geblieben war, trug deutliche Spuren eines hungrigen Wilderers. Viel war es nicht mehr.
»Ein Fuchs? Glaubst du, das war ein Fuchs?«
»Oder ein Marder. So ein Mist! Wenn die sich erst einmal eingeschlichen haben, dann kommen sie immer wieder. Da hilft auch dein schöner Stall nichts. Die schlängeln sich durch alle Ritzen!«
Vor gut einem Monat hatte Almut den Anbau an ihrem Häuschen fertig gestellt. Als Tochter und Witwe von Baumeistern verstand sie sich auf das Handwerk des Mauerns. Der Stall war ein solides Gebäude aus den Bruchsteinen eines alten römischen Tempels, der sich als Trümmerhaufen auf dem Grundstück befunden hatte. Seinen Eingang schmückten sogar zwei Säulenkapitelle, was aber weder die Sau noch die Hühner, noch die mäkeligen Ziegen zu schätzen wussten.
»Könnte uns ein Wachhund helfen?«, schlug Almut vor, aber Mettel schnaubte nur verächtlich: »Der scheucht dann das Federvieh laufend auf und macht es so verrückt, dass es keine Eier mehr legt. Eher sollten wir eine Falle mit einem Köder aufstellen. Ich werde auf dem Markt danach sehen!«
Doch dieser Gang erübrigte sich, denn Almut stöberte kurz darauf den wahren Übeltäter auf. Er – oder besser sie – lag zusammengerollt auf zwei leeren Mehlsäcken, die die Köchin Gertrud neben dem Backofen an ihrer Hauswand liegen gelassen hatte, und schlief den tiefen, glückseligen Verdauungsschlaf einer vollkommen gesättigten Katze. Einer rabenschwarzen Katze, an der nicht das kleinste weiße Härchen zu finden war. Dafür aber vibrierten zwei weiße, verräterische Federchen an der Schnauze zart im Atemrhythmus der Schläferin. Almut fand die Räuberin trotz der eindeutigen Spuren ihres Verbrechens hübsch und strich ihr über das sonnenwarme Fell. Träge öffneten sich zwei grüne Augen, und ein wohliges Schnurren gurrte tief in der Kehle.
»Na, so eine richtig große, ausgewachsene Katze bist du aber noch nicht!«, murmelte Almut, die sich mit den stämmigen Hofkatzen ihres Elternhauses auskannte. »Aber scheu bist du auch nicht, was? Oder bist du nur zu satt, um wegzulaufen?«
Das Kraulen und die besänftigende Stimme brachte das Tierchen dazu, wieder die Augen zu schließen und sich genüsslich zu rekeln.
»Was hast du denn da?«
Gertrud war mit einem Korb Holz gekommen, um den Backofen anzuheizen, und beugte sich ebenfalls über die Mehlsäcke.
»Den Bösewicht, der eine unserer unvorsichtigen Junghennen umgebracht hat.«
Auch Mettel hatte sich eingefunden und starrte mit grimmigem Blick auf das schwarze Fellbündel, das sich jetzt wachsam aufrichtete und einen Buckel machte.
»Diese kleine Teufelin war das also!«
Sie machte Anstalten, das Tier zu packen, doch Gertrud gebot ihr Einhalt.
»Lass sie, Mettel. Ich könnte eine Katze gut gebrauchen. Sie hält die Mäuse von den Vorräten fern!«
»Dann halte du sie aber auch von den Hühnern fern!«
»Wenn sie genug anderes Futter hat, wird sie die Hühner in Frieden lassen.«
Mit einem geübten Griff hatte Gertrud die Katze aufgehoben und in den Arm genommen. Etwas erstaunt betrachtete Almut die ansonsten so mürrische und sauertöpfische Köchin, deren Gesichtsausdruck geradezu sanftmütig wurde, als das Tierchen sich vertrauensvoll an ihre Schulter schmiegte und leise Geräusche des Wohlbefindens von sich gab.
»Damit ist das ja wohl erledigt.«
Sie nickte Mettel zu, und plötzlich überkam sie ein Schmunzeln. Die Nachricht über dieses Findelkind würde Magda aufheitern. Noch immer lächelnd, klopfte sie an die Kammertür der Meisterin und wurde hineingerufen.
Magda saß am Fenster und stickte eifrig an einem Altartuch. Untätigkeit erfüllte sie mit Abneigung, und selten traf man sie mit müßig in den Schoß gelegten Händen.
»Du siehst belustigt aus, Almut!«, grüßte sie die Begine, die sich einen Hocker herbeizog.
»Oh, Magda, Rigmundis’ Vision ist wieder einmal wahr geworden.« Sie konnte ein Kichern nicht unterdrücken. »Auf die übliche harmlose Weise. Und ich hatte mich schon gefürchtet, es könne erneut etwas sein, das eine Bedrohung für mich darstellt, wie beim letzten Mal.«
Rigmundis’ seherische Fähigkeiten waren sehr wohl verlässlich, doch wenn sie auch meistens äußerst Angst erregende Bilder heraufbeschwor, so waren die Ereignisse, die dann eintraten, fast regelmäßig Banalitäten. Allerdings war das vor einiger Zeit anders gewesen. Da hatte ihre Vorhersage Almut betroffen und sich in erschreckender Form erfüllt. Sie hatte eine echte Gefahr gesehen, weshalb Almut diesmal mit einer gewissen Beklommenheit auf ihre Worte reagiert hatte.
»Was ist geschehen – ist uns ein Lamm zugelaufen oder eine rot berockte Hure?«
»Nein, ein schwarzes Untier, das eine Henne zerfleischt hat. Mettel nannte sie eine Teufelin, aber Gertrud will die Katze als Mäusejägerin in der Küche halten. Ich glaube, das ist eine gute Idee. Ich habe neulich nämlich eine große Ratte über den Hof spazieren sehen.«
»Gut. Dann soll sie sich um das Tier kümmern.«
»Wie geht es Rigmundis heute, Magda?«
»Der Fuß tut ihr noch weh, aber es scheint, als ob das Fieber gesunken wäre. Aufstehen kann sie trotzdem noch nicht. Thea hilft ihr, und ich werde mich selbst um die Fürbitten kümmern, die sie halten sollte. Du könntest darauf achten, dass die fertigen Stoffe richtig abgeliefert werden.«
Der Beginen-Konvent war ursprünglich eine Stiftung eines reichen Patriziers gewesen, doch die Frauen, die sich in ihm zusammenfanden, hatten neben Keuschheit, Dienst am Nächsten und persönlicher Bescheidenheit auch die Aufgabe übernommen, zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit der Gemeinschaft beizutragen. Eine ihrer ertragreichsten Einnahmequellen war die Seidweberei, eine andere das Anfertigen feiner Handarbeiten. Daneben erhielten sie Spenden für ihre Tätigkeit als Krankenpflegerinnen, Klagefrauen und Fürbitterinnen. Dank Magdas ausgezeichnetem Geschäftssinn war der Konvent zwar nicht luxuriös, aber behaglich ausgestattet.
Die Meisterin und Almut besprachen die einzelnen Aufgaben, die anstanden, dann verließ Almut das Haupthaus, um eben diese zu erledigen. Mit einem wehmütigen Blick streifte sie den Haufen Steine und das Bauholz, das neben dem Häuschen der Apothekerin lagerte. Es war die Spende eines dankbaren Weinhändlers, der den Beginen eine Kapelle gestiftet hatte, und die Almut zu bauen beauftragt war. Aber diese erfreuliche Tätigkeit würde zunächst einmal warten müssen. Dennoch machte sie sich beschwingt an die ihr aufgetragene Arbeit, denn so oft ihr Gedanke zu der schlummernden Katze schweifte, packte sie die erleichterte Heiterkeit darüber, in welcher Art sich Rigmundis’ apokalyptische Vision erfüllt hatte.
Das änderte sich abrupt, als sie das Lamm fand.
Sie war gerade dabei, Clara zu helfen, die Spuren des morgendlichen Unterrichts zu beseitigen, den diese einem knappen Dutzend Mädchen erteilte, als Trine sie energisch am Ärmel zupfte. Die Miene der Taubstummen wirkte aufgeregt, und sie zerrte Almut beinahe in Richtung Stall. Das fette Schwein, das ihn normalerweise bewohnte, lag träge in der Sonne davor, und die beiden mäkeligen Ziegen waren auf dem Stückchen Wiese so angepflockt, damit sie nicht von den Pflanzen des Kräutergartens naschen konnten. Die Hühner pickten müßig im Hof nach Brotkrumen, also hätte der Stall leer sein müssen. Doch hinten in dem Verschlag fand sich etwas Ungewöhnliches. Auf den ersten Blick war Almut entsetzt und befürchtete das Allerschlimmste. Aus dem trockenen Stroh ragte ein nacktes Bein hervor, blass und mager, die Fußballen waren voller Blasen und mit getrocknetem Blut verschmiert. Es kostete sie eine ganze Menge Überwindung, sich zu bücken und die Halme beiseite zu räumen. Das Bein war nicht alleine; ein zweites fand sich, und als sie es berührte, fühlte es sich warm und lebendig an. Erleichtert seufzte sie auf und wischte mit energischem Schwung das restliche Stroh beiseite. So entdeckte sie das zweite Findelkind des Tages. Die Ähnlichkeit mit einem Lämmchen sprang ins Auge. Ein Mädchen, oder eher eine junge Frau, lag tief schlummernd auf der Erde, kurze, verwuschelte blonde Löckchen umrahmten ein sanft gerundetes Gesicht, das ein wenig schmutzig war. Ein an vielen Stellen zerrissenes, ehemals weißes Hemd verhüllte kaum die zarte, fast noch kindliche Figur.
Almut kniete an der Seite des Mädchens nieder und berührte es sanft an der Schulter. Lang bewimperte Lider flatterten und hoben sich, und zwei vergissmeinnichtblaue Augen sahen sie verwundert an. Doch dann wurde der Blick starr, und das ganze, sanfte Gesichtchen drückte Angst und Fluchtbereitschaft aus.
»Psst, ganz ruhig. Was immer es ist, hier bist du in Sicherheit!«
Das Mädchen zog die Beine an und versuchte sich weiter nach hinten an die Wand zu drücken.
»Du brauchst keine Angst zu haben, wir tun dir nichts. Wir sind Beginen und kümmern uns um die Kranken und Armen.«
»B…Beginen?«
»So etwas Ähnliches wie Nonnen.«
»Nein!«
Helles Entsetzen stand jetzt in dem Gesicht, und Almut verstand.
»Dies ist kein Kloster, weißt du. Wir sind nur ein paar Frauen, die zusammen leben und arbeiten.«
Ein ganz klein wenig schien sich die Fremde zu entspannen.
»Du siehst ein bisschen abgerissen aus. Bist du hungrig?«
»Ja. Hunger!«, hauchte das Lämmchen und zog die Lumpen enger um sich.
Almut drehte sich zu Trine um, die das Ganze aufmerksam beobachtet hatte, und legte die rechte Hand um den Zeigefinger. Trine nickte und lief los, aber das Mädchen war schon wieder zurückgezuckt.
»Beruhige dich, Trine kann nicht hören und nicht sprechen. Wir verständigen uns mit einer Art Zeichensprache. Wir haben sie von den Benediktinerinnen gelernt, die sich in den Schweigestunden so verständigen. Du brauchst dich vor Trine nicht zu ängstigen, sie ist ein sehr liebes Kind.«
Trine kam gleich darauf mit einer Schüssel Gerstenbrei zurück, der mit Honig gesüßt und mit dicker Milch übergossen war, und reichte sie mit einem Holzlöffel ihrem verschüchterten Findling. Das Mädchen machte sich mit Heißhunger darüber her, warf aber immer wieder wachsame Blicke über den Rand der Schüssel, als ob sie fürchtete, irgendwer könne sie mitten in ihrem Schmaus überfallen. Almut war neben ihr sitzen geblieben, hatte Trine aber zu Magda geschickt, und die hohe Gestalt der Meisterin warf ihren Schatten durch den Eingang zum Stall.
»Was hast du gefunden, Almut? Trine konnte mir es nicht erklären. Oh – ein Kind?«
»Das – mh – Lamm, scheint’s.«
»In der Tat.«
Magda betrachtete die junge Frau eindringlich, die sich unter dieser Musterung tiefer in das Stroh hineindrückte.
»Sie ist hungrig, schmutzig und wahrscheinlich auch verletzt. Soll ich mich um sie kümmern?«
»Natürlich, Almut. Waschen könnte hilfreich sein. Und ein Kleid. Vielleicht passt ihr einer von Trines alten Kitteln. Die Wunden können wir in der Apotheke versorgen. Einen Schlafplatz braucht sie auch. Dann sehen wir weiter.«
Magda war oft eine recht strenge Meisterin, aber man konnte sich vollkommen auf sie verlassen, wenn es darum ging, jemandem in Not zu helfen. So war es auch vor drei Jahren geschehen, als Trine zu ihnen gekommen war, ein verwahrlostes, krankes Kind von zehn Jahren, das sich weder verständigen konnte noch hörte, was um es herum geschah.
»Ich schau mal, ob wir nicht die kleine Kammer in unserem Haus für sie richten können. Es sind nur zwei Truhen mit Claras Büchern darin. Einen Strohsack und ein paar Decken werden wir noch auftreiben können.« Und zu der jungen Frau gewandt, fragte Almut dann: »Kannst du aufstehen?«
Mühsam richtete das Mädchen sich auf, war aber zu schwach oder hatte zu große Schmerzen, um sich auf den Beinen zu halten. Resolut griffen Magda und Almut zu und trugen sie in das Haus der Apothekerin, um ihre Wunden zu versorgen.
Später, als die junge Frau auf ihrem rasch zusammengesuchten Lager schlief, begab sich Almut nachdenklich in ihre Kammer. Es war schwierig gewesen, zu dem verstörten Geschöpf vorzudringen. Erst am Abend hatte die junge Frau dann schließlich ihren Namen preisgegeben. Angelika, hatte sie geflüstert, würde man sie rufen. Und dann hatte sie sich zur Wand gedreht und die Decke über den Kopf gezogen. Sie machte zwar einen ausgesprochen sanften und unschuldigen Eindruck. Dennoch – die Katze war zutraulicher gewesen. Selbstverständlich würden sie versuchen müssen, etwas über ihre Herkunft herauszufinden. Im Moment konnte Almut nur vermuten, was mit dieser Angelika geschehen war. Sie hatte eine sehr zarte, weiße Haut, auch an den Händen. Harte Arbeit hatte sie gewiss nicht leisten müssen. Wahrscheinlich stammte sie aus guter Familie. Ziemlich sicher aber war sie eine kleine Ausreißerin. Und mit Schaudern dachte Almut an das recht raue Kriegsvolk, das sich derzeit vor der Stadt herumtrieb. Sie fürchtete, sie könne ihnen in die Hände gefallen sein. Das würde erklären, warum sie so verängstigt war.
Müde zog sich Almut aus, löschte das Flämmchen der Öllampe, und mit einem schiefen Lächeln dachte sie: »Na, hoffentlich entwickelt sich dieses Lamm nicht zur – was war das?– ah ja, rot berockten Hure.«
Am nächsten Tag sagte sich Almut, sie solle gar nicht so sonderlich darüber erstaunt sein, dass sich ein dritter Neuankömmling einfand. Rigmundis’ Vision hatte das Erscheinen ja angekündigt, und dass sich die Dinge, wenn sie denn erst einmal ins Laufen gekommen waren, fast immer dreifach wiederholten, hatte sie schon oft genug erlebt.
Sie war gerade dabei, sorgfältig das rechteckige Stück Grund auszumessen und abzustecken, auf dem sie das Fundament für die kleine Kapelle anlegen wollte, als Mettel, die Pförtnerin, ihr meldete, Aziza stünde mit einer Begleiterin vor dem Tor und wünsche sie zu sprechen. Mit einer staubigen Hand wischte Almut sich den Schweiß von der Stirn und hinterließ dabei einen dunklen Schmierstreifen auf ihrem sommersprossigen, gebräunten Gesicht. Das grobe Tuch, das sie um ihre Haare gewunden hatte, war ebenfalls verrutscht, und eine rotbraune Strähne, die sich aus ihrem Zopf gelöst hatte, hing ihr über die Schulter. Doch sie freute sich, ihre Halbschwester zu sehen, von deren Existenz sie erst vor wenigen Monaten Kenntnis erhalten hatte. Damals war Almut die verwandtschaftliche Beziehung jedoch noch nicht klar gewesen. Aber ein Zufall ließ sie kurz darauf erkennen, dass Aziza die Bastard-Tochter ihres Vaters, Conrad Bertholf, war. Ihre Mutter hingegen war eine Konkubine, eine schöne Frau aus dem maurischen Spanien, mit der er zusammengelebt hatte, bevor er seine jetzige Gemahlin, Frau Barbara, ehelichte. Als Almut dies herausfand, hatte der gestandene Baumeister vor Verlegenheit hochrote Ohren bekommen, doch weder Almut noch ihre Stiefmutter nahmen es ihm übel, was vor sechsundzwanzig Jahren geschehen war. Das Verhältnis zwischen den Schwestern entwickelte sich rasch zu einer herzlichen Beziehung, doch gelegentlich konnten beide es nicht lassen, sich spöttisch über ihren jeweiligen Stand im Leben zu äußern. Sie waren schon ein wunderliches Paar, die keusche Begine Almut und die maurische Hure Aziza.
»Hast du mal wieder gegen eine eurer gestrengen Regeln verstoßen, Schwester? Büßest du hier in Staub und Schmutz deine Strafe dafür ab?« Aziza, in einem goldgelben Gewand, das mit zierlichen Ranken bestickt war, wirkte kühl und elegant neben der staubverschmierten Almut und musterte sie mit einem seltsamen Lächeln. »Solltest du etwa heimlich mit einem schönen Mann geliebäugelt haben?«
Almut grinste. »Was liegt mir an Männern! Eher werfe ich einem süßen Wecken lüsterne Blicke zu. Doch das, was ich hier treibe, ist wahrhaft keine Strafe für mich. Es macht mir Freude, etwas zu bauen.«
»Nun, das ist eine Frage des Geschmacks. Du siehst aus wie eines dieser armen Weiber, die auf den Stufen der Kirchen betteln. Und ich wollte Johanna das wohl geordnete Leben der Beginen schmackhaft machen. Was für eine Enttäuschung, nicht wahr, Johanna?«
Azizas Begleiterin hatte sich auf dem Hof umgesehen und lächelte jetzt etwas unsicher zu Almut hin.
»Ich grüße Euch, Frau Johanna«, sagte Almut ein wenig förmlich. »Was führt Euch zu uns?«
»Das ist eine längere Geschichte, Schwester. Und wenn du etwas Zeit erübrigen könntest, dann würde ich sie dir gerne erzählen.«
»Dann folgt mir ins Refektorium.«
Im Erdgeschoss des Hauptgebäudes befand sich der Ess- und Versammlungsraum der Beginen, in dem es an dem warmen Frühherbsttag angenehm kühl, aber auch leicht dämmerig war. Vor dem Eingang blieb Almut stehen und bat: »Wartet einen Augenblick, ich will mir den Staub abwaschen.«
»Dadurch würdest du, weiß Gott, an Respektierlichkeit gewinnen, Schwester.«
Am Brunnen vor dem Küchengebäude wusch sich Almut also Gesicht und Hände und band sich das Tuch um ihren Kopf neu. Ein bisschen neugierig war sie schon darauf, was ihre Halbschwester von ihr wollte.
Wie sich zeigte, hegte Johanna tatsächlich den Wunsch, sich den Beginen anzuschließen. Aziza erklärte: »Ich traf sie vor beinahe zwei Monaten, und sie war dem Tode näher als dem Leben. Darum brachte ich sie zu jemandem, der ihr helfen konnte. Jetzt ist sie wieder genesen, aber dorthin, wo sie herkam, möchte sie nicht zurückkehren. Überhaupt möchte sie ihr vorheriges Leben nicht wieder aufnehmen. Da fielst du mir ein, keusche Schwester, und so dachte ich an diesen Konvent.«
»Ich kann nicht alleine bestimmen, wen wir aufnehmen, das weißt du sicher.«
»Natürlich. Und Johanna ist sich noch nicht sicher, ob ihr für sie überhaupt in Frage kommt. Aber es wäre einen Versuch wert. Könntet ihr nicht so eine Art Probezeit vereinbaren?«
»Möglich ist das bestimmt, aber bisher hast nur du über sie geredet. Wäre es nicht an der Zeit, Frau Johanna für sich selbst sprechen zu lassen?«
»Nennt mich nicht Frau Johanna, der Titel steht mir nicht zu«, waren die ersten Worte, die Azizas Begleiterin äußerte. Almut sah sie sich genauer an und erkannte in dem spitzen Gesicht die Spuren einer langen, jetzt wohl überwundenen Krankheit. Dunkle Ringe lagen unter den Augen, die ziemlich nahe beieinander standen. Ihre Lippen wirkten blass und beinahe verkniffen, sie war nicht mehr ganz jung, etwa um die Mitte der Zwanzig. Schon hatten sich ein paar Linien um die Mundwinkel eingegraben, die sich sicher nicht vertiefen würden, wenn sie lachte, sondern von Leid und Enttäuschung sprachen. Dennoch war Johanna eine hübsche Frau in einem sauberen, einfachen Gewand und einer ordentlich gebundenen Haube.
»Woher kommt Ihr, Johanna?«
»Aus Köln. Ich bin hier geboren. Meine Mutter war eine Krämerin, sie verkaufte Drugwaren. Meist Bänder, Garne, Hauben und auch Kräuter und Gewürze. Ich half ihr als Kind, aber dann starb sie. Die Schwindsucht, wisst Ihr. Und ich musste sehen, wo ich unterkam.«
»Ihr Geschäft konntet Ihr nicht weiterführen?«
»Es war kein Geld da. Das hat der Bader genommen, für die Behandlung. Er hat mich ebenfalls genommen. Als Bezahlung.«
»Als Bezahlung?«
»Ich musste für ihn arbeiten.«
Auf Azizas Gesicht lag ein leichtes Lächeln, ein klein wenig spöttisch war es, und Almut verstand.
»Nun ja, dorthin wollt Ihr also nicht zurück.«
»Nein.«
»Ihr wart krank und seid jetzt genesen?«
»So könnte man sagen.«
»Es war keine ansteckende Krankheit, Schwester, falls du das befürchtest. Eher ein Unfall.«
»So?«
»Ich bin schwanger geworden und… und…«
»Ich nehme mal an, Ihr hattet eine Fehlgeburt.«
»Bezeichnen wir es so«, mischte sich Aziza wieder ein. »Ich besuche das Badehaus, in dem sie gearbeitet hat, selbst hin und wieder. Es ist sehr gut geführt, und Johanna leistete mir oftmals hilfreiche Dienste. Sie versteht einiges vom Geschäft des Baders. Sie kann nicht nur Rücken schrubben, sondern ist auch geschickt darin, kleine Verletzungen zu behandeln und verhärtete Muskeln zu lockern. Als ich darum bat, mir das Bad zu richten, brach sie zusammen. Nun ja, ich kümmerte mich ein wenig um sie und erfuhr, was passiert war. Der Bader wollte sie natürlich hinauswerfen. Eine schwangere Bademagd ist nicht gut für das Geschäft.«
»Du hast sie mit zu dir genommen?«, fragte Almut mit sanftem Erstaunen.
»Aber nein, auch für mein Geschäft ist eine schwangere Badehur nicht gerade eine Empfehlung.«
»Ich weiß, du hast einen Ruf zu wahren!«
Aziza wurde zwar von einigen Leuten wegen ihrer Abkunft von der Maurin aus Córdoba als die »maurische Hure« bezeichnet, doch wie Almut schon sehr früh herausgefunden hatte, war sie keine Maurin, sondern christlich getauft. Was ihren Lebenswandel anbelangte – nun, da gab es zwar einige, die sich das Maul darüber zerrissen, doch hauptsächlich verdiente sie ihren Unterhalt dadurch, indem sie sehr geschickt ihr Geld verlieh. Woher das Kapital jedoch stammte, war eine ganz andere Frage.
»Ich brachte Johanna zu meiner Mutter!«
Jetzt war es allerdings wirklich so weit, dass Almut den Mund vor Verblüffung aufsperrte, und Aziza kicherte.
»Ich habe dich wieder einmal entsetzt, Schwester!«, stellte sie mit Genugtuung fest.
»Ich – mh – dachte, deine Mutter sei gestorben.«
»Aber nicht doch. Das habe ich nie behauptet, und Frau Nasreen würde mir das gewiss sehr übel nehmen, wenn ich so etwas erzählen würde. Nein, nein, sie lebt sehr behaglich auf einem großen Anwesen bei Villip und pflegt dort ihren Garten und einen wohlhabenden Herren. Doch sie kennt sich auch sehr gut mit solchen Krankheiten aus, wie Johanna sie hatte, und hat sie sechs Wochen lang bei sich aufgenommen. In dieser Zeit hat Johanna erkannt, ein anderes Leben führen zu müssen als bisher.«
»Hat Euch meine Schwester geschildert, wie wir hier leben, Johanna?«
»Ja, das hat sie. Ich glaube, das käme mir schon entgegen.«
»Keuschheit, Bescheidenheit, dazu viel Arbeit und ein frommes Leben?«
»Ja, Frau Almut.« Johanna nickte bekräftigend, aber froh sah sie dabei nicht aus. »Ihr werdet sehen, ich bin harte Arbeit gewöhnt.«
»Das ist nicht das Einzige, worauf es ankommt.«
»Und mit Männern will ich sowieso nichts mehr zu tun haben.«
»Ihr seid noch jung, das mag sich ändern…«
»Ihr seid doch auch noch jung und lebt dennoch hier.«
»Ich bin nicht mehr jung, Johanna. Ich bin schon siebenundzwanzig Jahre alt und bin seit vier Jahren verwitwet. Aber das tut nichts zur Sache. Es gibt noch etwas zu bedenken. Gewöhnlich bringen die Frauen, die in den Konvent eintreten wollen, eine Mitgift mit.«
»Ich werde das ebenfalls tun. Aziza verwaltet mein Geld. Sie wird es Euch auszahlen.«
»Rümpf nicht die Nase über die Herkunft dieses Geldes, Schwester. Das, was die anderen Beginen mitgebracht haben, mag aus unsaubereren Quellen stammen als ihres. Auch wenn man es ihm nicht ansieht.«
»Ich rümpfe doch die Nase überhaupt nicht. Nun gut, ich werde sehen, was sich machen lässt. Als Erstes werde ich Euch unserer Meisterin vorstellen, und heute Abend, nach der Vesper, werdet Ihr der Versammlung der Beginen Eure Bitte vortragen, Johanna.«
Die junge Frau schluckte trocken, und man sah ihr an, wie unangenehm ihr die Vorstellung war. Aber da konnte und wollte Almut ihr nicht helfen. Wenn es ihr wirklich ernst war damit, das Leben einer Begine zu führen, dann musste sie auch den Mut haben, das öffentlich zu vertreten.
»Aziza, ich gebe dir Bescheid, wie unsere Beratung ausgegangen ist.«
»Danke, Schwester. Ich lasse dich also jetzt hier, Johanna. Und Kopf hoch, sie werden ihn dir schon nicht abreißen!«
Ergeben nickte Johanna und folgte dann Almut die Stiege hinauf zu Magdas Kammer. Die Meisterin war nicht dort, sondern sie fanden sie nebenan bei Rigmundis. Die kranke Begine lag noch zu Bett und fühlte sich unwohl, auch wenn das Fieber weitgehend abgeklungen war. Sie sah müde aus, denn die Schmerzen in ihrem verrenkten Fuß und in der gestochenen Hand hatten ihr den Schlaf geraubt. Ihr Gesicht war blass, und ihr grau durchzogener Zopf hing verfilzt über ihre Schulter. Dennoch versuchte sie, Johanna freundlich zu begrüßen, als Almut sie ihr und Magda vorstellte. Die ehemalige Bademagd sagte wenig, aber sie betrachtete die Kranke mit einem erfahrenen Blick, und mit etwas verschüchterter Stimme fragte sie: »Darf ich Euch einen Vorschlag machen, Frau Rigmundis?«
»Nur zu, was habt Ihr zu sagen?«
»Ihr liegt nicht gut, und Euch tut der Rücken weh. Wenn Ihr mir gestatten würdet, Euch zu berühren, könnte ich Euch Erleichterung schaffen.«
»Könnt Ihr das, Johanna?«, fragte Magda erfreut.
»Ja, so etwas lernen wir beim Bader. Muskeln kneten, streichen und lockern. Aber vor allem Frau Nasreen hat mir vieles beigebracht, während ich bei ihr war. Wenn Ihr also etwas Öl oder Salbe habt, will ich gerne versuchen, Euch zu helfen.«
»Trine hat ein leicht flüssiges Öl hier gelassen, um den Fuß einzureiben.«
Magda wies auf ein Tonkrüglein an ihrem Bett. Johanna half Rigmundis sehr vorsichtig, sich in die rechte Position zu begeben, und löste ihr Hemd. Sie tropfte sich etwas Öl in die Hände und begann mit vorsichtigen Bewegungen, die verkrampften Rückenmuskeln zu lockern. Almut hatte sich zurückgehalten und beobachtet, wie sorgsam Johanna mit der Kranken umging und welche Selbstsicherheit sie bei ihrer Tätigkeit ausstrahlte. Ohne Zweifel verstand sie etwas von der Sache, und wenn sie sich mit Elsa, der Apothekerin, vertragen würde, dann könnte sie eine große Hilfe bei der Krankenpflege werden, dachte sie bei sich.
»Das hat gut getan«, seufzte Rigmundis, als sie sich wieder zurücklehnte.
»Dann will ich es gerne morgen wiederholen. Aber Ihr solltet nicht im Bett bleiben, es wäre besser, wenn Ihr Euch etwas bewegt, selbst wenn es wehtut.«
»Morgen, Johanna. Morgen. Jetzt bin ich zu müde.«
Sie verließen alle drei den Raum, und die Meisterin nickte Johanna freundlich zu. Sie bat sie jedoch, schon einmal nach unten vorzugehen, und als sie außer Hörweite war, murmelte Almut: »Da hätten wir dann auch die Hure. Zwar nicht rot berockt, aber dennoch.«
»Heilige Mutter Maria. Damit hätte Rigmundis mal wieder Recht behalten.«
»Tja. Sollen wir sie aber deshalb fortschicken?«
Die Meisterin überlegte einen Augenblick, aber dann entschied sie: »Von mir aus können wir es mit ihr versuchen. Am besten bleibt sie erst einmal für ein halbes Jahr unser Gast, dann sehen wir weiter. Aber die anderen müssen zustimmen.«
Alle Selbstsicherheit war verflogen, als Johanna schließlich der Gruppe von elf Beginen vorgestellt wurde. Deren strenge Tracht schüchterte sie sehr stark ein, weshalb sie nur blass und stotternd ihren Namen zu nennen wusste. Selbst Almut, zu der sie ein wenig Vertrauen gefasst hatte, erschien ihr nun in dem nüchternen grauen Gewand, dem weißen Gebände und dem grauen Schleier so Respekt einflößend, dass ihre Stimme kaum zu hören war, als sie ihre Geschichte erzählte. Dabei war die Atmosphäre nach dem Essen durchaus heiter, und die Frauen waren nicht abgeneigt, über ihre Aufnahme nachzudenken. Nachdem die Vorstellung erfolgt war, bat Magda die Bademagd, draußen zu warten, bis sie sich beraten hatten.
Clara ergriff als Erste das Wort.
»Sehr gebildet ist sie nicht, aber das mag vielleicht nicht so wichtig sein. Sie scheint zumindest hilfsbereit und bescheiden. Ich kann mich damit abfinden, wenn sie bei uns bleiben will.«
Mettel zuckte mit der Schulter. Sie war selbst erst vor anderthalb Jahren aufgenommen worden. Zuvor waren sie und Bela als schweifende Beginen bettelnd durch das Land gezogen und waren letztlich froh, in einem eisigen Winter Unterschlupf im Konvent gefunden zu haben.
»Wo soll sie wohnen, Magda?«
»Bei euch im Pförtnerhaus ist noch eine Kammer frei. Würdet ihr sie aufnehmen?«
»Ich habe nichts dagegen«, antwortete Bela, und Mettel nickte dazu.
Elsa, die inzwischen auch wieder von ihren aushäusigen Besorgungen zurückgekehrt war, hatte sich einige Zeit mit Johanna unterhalten. Sie hatte noch ein paar Bedenken.
»Die junge Frau scheint zwar sehr bescheiden zu sein, aber ich habe den Eindruck, sie versucht etwas zu verbergen.«
»Sie hat kein leichtes Leben geführt, möglicherweise möchte sie nicht über alles sprechen, was sie erlebt hat. Oder kann auch nicht«, führte Almut an.
»Wahrscheinlich hast du Recht. Sie wird schon keinen Mord begangen haben. Aber sie strahlt eine innere Unruhe aus. In einem halben Jahr werden wir es sicher wissen, und dann können wir uns immer noch entscheiden, ob wir sie aufnehmen. Von mir aus kann sie erst einmal bleiben und mir zur Hand gehen.«
Die drei Schwestern Irma, Judith und Agnes schlossen sich Elsas Meinung an, und Gertrud, die Köchin, brummte nur: »Auf einen Esser mehr oder weniger kommt’s mir nicht an.«
Thea aber, die die ganze Zeit mit misslauniger Miene dabeigesessen hatte, begehrte als Letzte in scharfem Ton auf: »Ich will sie hier nicht haben. Eine Hure, die sich bessern will, soll ins Kloster gehen. Oder in einen Reuerinnen-Konvent.«
»Aber Thea, sie fühlt sich offensichtlich nicht zum geistlichen Leben berufen, warum sollte sie in ein Kloster gehen? Wir alle hier haben uns doch ebenso entschieden.«
»Wir sind auch keine Bademägde gewesen. Stellt euch vor, sie hilft mir, einen Toten aufzubahren. Solche wie die kennt man doch. Was meint ihr, was da geredet wird. Das fällt alles auf uns zurück.«
Obwohl sie sich über diese Engstirnigkeit ärgerte, versuchte Almut, Thea zu beschwichtigen.
»Es kann schon passieren, dass irgendjemand Bemerkungen darüber macht. Aber du musst sie ja nicht gleich zur Totenwache mitnehmen. In einem Jahr oder so ist Gras über die Sache gewachsen, und niemand wird mehr darüber tuscheln.«
»Aber stell dir mal vor, was die Familien sagen, wenn so eine die Fürbitten für ihre Verstorbenen hält!«
»Ist die Fürbitte weniger wirksam, wenn sie von einer bekehrten Sünderin kommt, als wenn sie von dir gehalten wird?«
Almuts Tonfall drückte ihre Verärgerung aus.
»Ob sie wirksam ist oder nicht, weiß ich nicht, aber die Leute werden mit Fingern auf uns zeigen. Und du glaubst doch selbst nicht, dass wir dann noch weiter gebeten werden, Jahrzeiten zu halten.«
»Sollte das der Fall sein, dann wird sie sich eben mehr der Krankenpflege widmen.«
Thea gab ein scharfes, verächtliches Lachen von sich.
»Das wird die Männer freuen!«
»Herr im Himmel, Thea! ›Es ist leichter, Sand, Salz und Eisen zu tragen, als einen unverständigen Menschen zu ertragen.‹«
»Hat Sirach gesagt!«, fügte Clara hinzu, und Thea stand auf, fauchte: »Macht doch, was ihr wollt. Aber ihr rennt in euer Unglück, das sage ich euch!«
Sie rauschte aus dem Refektorium, und ihre Schritte hallten wütend, als sie die Treppe zu ihrer Kammer hinaufstieg.
»Almut, jetzt hast du sie verärgert!«, stellte Magda kopfschüttelnd fest. »Du hast eine äußerst verletzende Zunge!«
Almut, die sich mal wieder genau über diese ungebärdige Zunge ärgerte, nickte betroffen.
»Ich weiß, ich weiß. Ich wünschte, ich hätte den Mund gehalten. Ich bin einfach nicht geschickt genug im Umgang mit solcher Sturheit.«
»Stimmt!« Elsa zuckte mit den Schultern. »Aber jetzt ist es passiert, und Thea wird sich irgendwann wieder beruhigen. Seit sie bei ihrer Familie war, ist sie ein bisschen launisch.« Mit diesen Worten stand sie auf und stellte dann fest: »Ich kann Johanna als Helferin gut gebrauchen, und Trine könnte man dann ihren Wunsch erfüllen und sie zu diesem Apotheker in die Lehre schicken.«
»Soll sie wirklich zu Meister Krudener gehen?«, fragte Gertrud misstrauisch nach. »Er ist ein Mann und sie ein unschuldiges junges Mädchen.«
»Sie ist bei ihm in guter Obhut«, murmelte Elsa.
»Woher willst du das wissen?«
»Hab mit ihm gesprochen.«
Auch Magda sah sie zweifelnd an.
»Er ist gut fünfzig Jahre alt, aber das will nichts besagen, Elsa. Er ist unbeweibt, und manchen Mann kommt auch in diesem Alter noch ein Gelüst an.«
»Ihn nicht.«
»Nein?«