David, der König von Israel - Friedrich Wilhelm Krummacher - E-Book

David, der König von Israel E-Book

Friedrich Wilhelm Krummacher

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Beschreibung

Friedrich Wilhelm Krummacher war ein 1868 in Potsdam verstorbener Geistlicher. Sein Vater, Friedrich Adolph Krummacher, war ein bedeutender deutscher Theologe und Schriftsteller. Friedrich Wilhelm war, obwohl Pfarrer der reformierten Kirche , ein eifriger Verfechter des älteren Luthertums und erregte durch seine Verurteilung der Rationalisten großes Aufsehen. Er kam 1843 nach New York, lehnte eine theologische Professur in Mercersburg, Pennsylvania, ab, kehrte dann nach Deutschland zurück und ließ sich 1847 in Berlin nieder. Um Krummacher's Kanzel sammelte sich bald eine überaus große Gemeinde. Selbst zu den Wochengottesdiensten strömten die Leute zusammen. In diesem Band zeichnet er ein biblisches Lebensbild und verweist dabei immer wieder auf die davidischen Psalmen.

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David, der König von Israel

 

FRIEDRICH WILHELM KRUMMACHER

 

 

 

 

 

 

 

 

David, der König von Israel, F. W. Krummacher

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663568

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.

 

Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 82 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.

https://www.europeana.eu/item/2058612/PMRMaeyaert_26e5a0b367ed2a0f0538537312dbf536e67cf268

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

David's Berufung.1

Der Saitenspieler.13

David und Goliath.23

David, des Königs Hausgenosse.33

Ein neuer Sturm.43

David zu Rama.54

Geheiligte Freundschaft.64

Irrgänge.74

David in der Wüste.83

Neue Gotteshülfen.95

Abigail.107

Letztes Zusammentreffen Sauls und Davids.119

David unter den Philistern.127

Eine Todtenfeier.140

David König in Juda.150

David König über Israel.162

Der König im Felde.171

Die Einholung der Bundeslade.179

Eine Nachlese.192

Die große Verheißung.199

Mephiboseth.209

David auf dem Gipfel seiner Macht.218

Davids Fall.228

Davids Buße.239

Des Unheils Anfang.249

Der Aufruhr.258

Die nahende Rettung.270

Die Entscheidung.279

Neue Nothstände.294

Die Volkszählung.308

Der Reichstag.320

Die letzten Tage.329

Davids Tod und Vermächtniß.340

 

David's Berufung.

 

Die Geschichte Israels stellt uns im engsten Rahmen einen Grundriß der ganzen Weltgeschichte dar. Es begegnet uns in ihr das verborgene Walten des persönlichen Gottes in der Leitung und Erziehung der Völker als ein offenbares. Der verhüllende Vorhang menschlichen Vornehmens und Thuns hebt sich, und die durch ihn verschleierte, Alles bewegende und Alles lenkende Hand dessen, von dem Eph. 1, 11. geschrieben steht: „Er wirket Alles nach dem Rath seines Willens“, kommt in ihr zur Erscheinung. O anbetungswürdige Herablassung Gottes, in der er, um der Schwachheit unsres Glaubens aufzuhelfen, einmal an einem auserwählten Volke die Geheimnisse seiner erhabenen Alles durchwirkenden Vorsehung in anschaulichster Weise unserm beschränkten Gesichtskreise nahe bringen wollte! Darf uns doch fortan kein scheinbares Chaos zeitlicher Begebenheiten mehr stutzend oder gar irre machen, nachdem uns eine zweitausendjährige Führung jenes Volks eine Ueberfülle von Veranlassungen zu der Wahrnehmung bietet, daß auch die verworrensten Fäden, die unser Leben durchziehen, einem höheren Willen sich fügen, und endlich sich zu einem Gewebe verknüpfen müssen, welches, näher betrachtet, nur das apostolische: „O welch eine Tiefe, beide, der Weisheit und Erkenntniß Gottes!“ uns auf die Lippe drängt.

Wie reichlich leuchten uns schon aus dem Lebensgange jedes einzelnen der Frommen Israels die Fußtapfen dessen entgegen, von welchem Jesaias sagt: „Sein Rath ist wunderbarlich, aber er führt es herrlich hinaus“, und Salomo: „Des Menschen Herz schlägt seinen Weg an, aber der Herr allein gibt, daß er seinen Weg fortgehe.“ In größerer Mannichfaltigkeit bethätigte der erhabene Menschenhüter sein Führen und Regieren an keinem der alten Heiligen, als an dem Manne, der gewürdigt ward, ein „Mann nach dem Herzen Gottes“ zu heißen. Welch' ein Reichthum sowohl des Trostes und der Erhebung, als der Warnung und der Weisung entfaltet sich vor uns in den Erlebnissen und Geschicken dieses königlichen Psalmensängers. Wohlan, zu einer Betrachtung seiner Erdenwallfahrt laden wir ein. Diese Einladung wird sich als gleichbedeutend mit dem Zurufe des Propheten Amos erweisen: „Schicke dich, Israel, und begegne deinem Gott“; denn an welcher Stelle des Davidischen Lebensweges werden wir dem Gotte nicht begegnen, von welchem der königliche Saitenschläger selber sang: „Er führet mich auf rechter Straße um Seines Namens willen.“ , 1 Samuel 16, 1. „Und der Herr sprach zu Samuel: Wie lange trägst du Leid um Saul, den ich verworfen habe, daß er nicht König sei über Israel? Fülle dein Hörn mit Oel, und gehe hin, ich will dich senden zu dem Bethlehemiter Isai; denn unter seinen Söhnen habe ich mir einen König ersehn.“

In den Büchern Samuels bewegen wir uns auf einem festen geschichtlichen Boden. Sie bilden einen ergänzenden Theil des heiligen Bibel-Kanons, auf den als auf ein Werk des Geistes Gottes nicht nur die Erleuchteten Israel's, sondern auch Christus selbst und seine Apostel beglaubigend ihr Siegel drückten. Sei es, daß sich bei der Abfassung der geschichtlichen Bücher des Alten Testaments der Heilige Geist mehr erinnernd, überwachend und leitend verhielt, während er sich bei Entstehung der prophetischen Schriften vorwiegend schöpferisch erzeugend, und eingebend sich bethätigte: so ist doch dort wie hier jeder Verdacht einer Vermischung mit mythischen Elementen fern zu halten, will man sich nicht einer „Lästerung der Majestäten“ schuldig machen. Bekanntlich haben sich die heiligen Apostel nach dem Vorgange ihres Herrn und Meisters selbst an Erzählungen, wie die von Noah's Arche, Israels Durchgang durch's rothe Meer, Bileams redender Eselin, der Wundererstürmung Jericho's durch Josua's Posaunenbläser so wenig gestoßen, daß sie dieselben vielmehr als unzweifelhafte Thatsachen auf's neue bestätigt haben. Diesen Autoritäten glauben und reden wir nach; denn wer nennt Andere, die jenen an Heiligkeit und Erleuchtung auch nur im entferntesten ebenbürtig zur Seite ständen? So haben wir's auch in der Darstellung des Lebenslaufes Davids, welche wir gotterleuchteten Propheten wie Samuel, Nathan und Gad verdanken, mit reiner Historie, und in keinem Theile derselben mit dichterischen Zuthaten zu thun. Treten wir mit solcher Zuversicht dem reichen Lebensbild näher, das sich vor uns aufrollen wird, und richten unsre ersten Blicke auf die, Berufung und Salbung des Hirtenjünglings. Sehen wir, wodurch dieselbe veranlaßt ward, und wie sie vollzogen wurde. Der Geist des Herrn aber gebe uns das Geleite, und bekenne sich fort und fort zu unsern Betrachtungen.

 

1.

 

Die Reichsverfassung Israels war von Anbeginn her die theokratische. Gottesherrschaft war sie: Jehovah der einzige unumschränkte Gebieter, Ordner und Führer seines Volks. Die menschlichen Organe, durch welche sich sein Regiment vermittelte, waren in frühester Zeit die Familienväter: ein Abraham, Isaak, Jacob; nach diesen auf bürgerlichem Gebiete die Stammeshäupter, auf kirchlichem die Priester, deren ehrwürdiger Chor in der geheimnißvollen Person des Hohenpriesters sich gipfelte. Jedoch behielt der Herr sich freie Hand, nach Bedürfniß auch Andere zu erwecken, und als außerordentliche Bevollmächtigte mit besondern Aufträgen zu betrauen. Die Propheten traten auf als von Gott gesendete und gesalbte Wächter und Monitoren, so oft irgendwie und wo im Volke ein Wanken und Weichen aus den durch Moses vorgezeichneten Gleisen göttlicher Reichsordnung sich kundgab. Weder Krone noch Brustschild schützten dann vor den Donnern des Vorwurfs, die von den Lippen dieser Repräsentanten des Richters in der Höhe sich vernehmen ließen. Solange Josua lebte, war der Zustand des Volkes, welches erst nach dem Auszuge aus der sittlich verpestenden Luft Egyptenlandes auf der Wanderung durch die Wüste geboren war, noch ein erfreulicher. Der letzte durch Josua veranstaltete feierliche Landtag fand dasselbe auf der Höhe begeisterter Hingebung an den Gott seiner Väter. Auch nach Josua's Tode noch bewahrte es den Bund des Herrn unter der Leitung und Pflege der trefflichen Aeltesten, mit denen ihr großer Führer, Mosis würdiger Nachfolger, sich umgeben hatte. Nachdem aber die Wächteraugen auch dieser Getreuen sich geschlossen hatten, gerieth Israel durch den verführenden Einfluß der umwohnenden Heidenstämme auf die abschüssige Bahn, auf der es für eine Zeitlang zu immer tieferen Verfall herabglitt. Es ergab sich dem wüsten und unsauberen Dienste fremder Götter, und wäre allmälig mit den Kanaanitern, Hethitern, Amoritern und Pheresitern in Eins verschmolzen, hätte sich der Herr nicht immer wieder im rechten Momente dieser heidnischen Horden selbst als Geißeln wider die Abtrünnigen seines Volks bedient, und dann den bis auf's Blut Gestäupten auf ihr Hülfsgeschrei in den Personen der Richter „Heilande“ erweckt, die sie vom äußersten Rande eines gänzlichen Verderbens zurückrissen, und sie dem Gott ihrer Väter, dem sie in fluchwürdigem Undank den Gehorsam gekündigt hatten, wieder zuführten.

Immer aber erneuerten sich diese Scenen des Abfalls und der darauf folgenden zur Buße erweckenden Strafgerichte. Unter des trefflichen Richters, Propheten und Priesters Samuels Leitung schien das Volk endlich Richtung halten zu wollen. Da rückte es mit einem Male in beklagenswerther Verblendung mit dem ungestümen Begehren heraus, Samuel solle ihm einen König sehen, gleich wie die Heiden Könige hätten. Diese Forderung wäre an sich keine verwerfliche gewesen. Lag es doch im Rathe Gottes selbst, die Verfassung Israels allmälig in einem Königthum ihren Abschluß finden zu lassen. Höchst strafbar aber war der Beweggrund, der bei Israel jener Forderung zum Grunde lag. Das Begehren kam einer Lossagung von der Theokratie, einem gottlosen Verzicht auf die Alleinherrschaft Jehovas gleich. Man wollte sich von dem unbedingten Abhängigkeitsverhältnisse zu dem Herrn im Himmel entbunden sehn. Man war es müde, bei Landesnöthen sorgenvoll auf Jehovas Hände schaun und in demüthiger Unterwerfung abwarten zu müssen, ob, wann und wie er helfen werde. In gleicher Weise, wie bei den Heiden, sollte auch bei ihnen, den Israeliten, ein menschlicher Machthaber, der über einen unerschöpflichen Schatz Goldes und Silbers und über ein allezeit schlagfertiges Heer von Reisigen geböte, für das Gemeinwohl des Landes einstehn, seine Untertanen der Sorgen, wie der Mühe des Betens und Wartens überheben, und ihnen im Schatten eines milde geführten Scepters ein ungestört heiteres und behagliches Dasein sichern. Samuel, der treue Gottesknecht, hielt ihnen mit heiligem Ernste die Thorheit ihres Verlangens vor; sah aber seine wohlgemeinten Warnungen von ihnen in den Wind geschlagen und durch das immer ungestümer verlautende Geschrei: „Setze einen König über uns, wie alle Heiden haben, der uns richte!“ übertäubt. So brachte er denn die Sache im Gebet vor Gott, und erhielt von dem Herrn den unzweideutigen Bescheid: „Gehorche der Stimme des Volkes in Allem, das sie zu dir gesagt haben; denn sie haben nicht dich, sondern mich verworfen, daß ich nicht mehr soll König über sie sein!“ Und Gott „gab ihnen einen König im Zorn“, sagt die Geschichte, während er ihnen, hätten sie in kindlichem Vertrauen ihn walten lassen, einst einen solchen in Gnaden gegeben haben würde. Der Herr ersah dazu den Benjaminiter Saul, den Sohn des Landwirths und Heerdenbesitzers Kis, einen jungen Mann, schön, stattlich, und eines Hauptes länger, als alles Volk. Zu den besten Hoffnungen schien der strebsame mit verheißungsreichen Anlagen ausgestattete Jüngling zu berechtigen. Seiner ritterlichen Gestalt entsprach sein kriegerischer Muth und Thatendrang. Ueberdies gebührte ihm das Zeugniß, bis dahin von den sittlichen Verirrungen seiner Zeitgenossen sich unbefleckt erhalten zu haben; und daß es ihm, der ohne Zweifel im Glauben seiner Väter erzogen worden war, auch an reger Empfänglichkeit für religiöse Eindrücke nicht fehlte, werden wir später mehrfach wahrzunehmen Gelegenheit finden. Die Bemerkung der Geschichte, Gott habe ihm „ein ander Herz gegeben“, nöthigt uns sogar, ihn uns, nachdem die Salbung Samuels an ihm vollzogen war, als von heiligen Bewegungen, Vorsätzen und Entschließungen erfüllt zu denken. Nur erregt schon hier der Umstand uns Bedenken, daß die Demuth, die er bei jenem feierlichen Akte kund gab, mehr in der Erinnerung an seine niedere Herkunft, als in seinem Sünderbewußtsein ihren Grund hatte, und nicht minder befremdet uns, daß wir ihn, nachdem Samuel ihm die Hände aufgelegt, nicht zuerst und vor allem Andern vor dem Herrn sich beugen sehen, noch um seinen Gnadenbeistand ihn anrufen hören. Kaum dürften wir uns irren, wenn wir schon am Tage seiner Berufung einen Mann in ihm zu erkennen glauben, dessen Herz noch zwischen Gott und der Welt getheilt ist, und wir hinter seinem Gelübde, im Namen Jehovas regieren zu wollen, den geheimen Vorbehalt wittern, er werde dies thun, sofern Jehovas Wille nicht das Opfer seines eignen Willens von ihm fordern werde.

So lange Saul das Zepter führte, hat er den Kriegerharnisch nicht abgelegt. Im Sturm und Drang der Schlachtgefilde flossen die Tage und Jahre seines Lebens hin. Die Niederwerfung der umwohnenden Feinde Israels war die Hauptaufgabe, zu deren Lösung er sich berufen glaubte. Ein siegreicher Feldzug gegen die Ammoniter, bei welchem allerdings noch die gen Himmel gereckten Beterhände und weisen Rathschläge Samuels den Ausschlag gaben, bildete das erste thatsächliche Bestätigungssiegel, das der Herr Angesichts des ganzen Israels dem Königthume des neuen Führers seines Volles aufprägte. Nach diesem Triumph legte Samuel, einem Wink seines Gottes gehorsam, sein Richteramt nieder, und stand dem Könige hinfort nur noch als berathender und warnender Prophet zur Seite. Ein zweiter Krieg, zu welchem Saul seine ganze Heeresmacht aufzubieten genöthigt war, hatte die Dämpfung des Erb- und Erzfeindes Israels, des Philistervolkes, zum Ziele: ein Krieg, der nach jedem Siege Israels immer wieder neu entbrannte, und mit wechselndem Waffenglück bis zu Sauls Tode sich hinzog. Beim Ausbruch desselben ließ sich der König zu einem Schritte verleiten, der uns wieder einen tiefen, aber äußerst niederschlagenden Blick in sein Innerstes eröffnet, und ihm selbst theuer zu stehen kam. Es hatte nämlich Samuel dem Könige ausdrücklich im Namen und Auftrag des Herrn geboten, daß er die Eröffnung der Feindseligkeiten gegen die Philister bis dahin vertagen solle, daß er, der Prophet, sich persönlich im Lager eingefunden, und mit dem Heere ein feierliches Opferfest zur Verherrlichung Gottes werde gefeiert haben. Nach Verlauf von etwa sieben Tagen solle diese Feier stattfinden. Saul gelobte heilig, dem göttlichen Befehle nachzukommen. Als aber in Folge einlaufender übertreibender Gerüchte von der Stärke der feindlichen Kriegsmacht dem israelitischen Heere der Muth zu entfallen begann, so daß sogar schon einzelne Haufen Fahnenflüchtiger in Höhlen und Klüften sich zu decken suchten, und als der mit Ungeduld erwartete Seher, durch einen unvorhergesehenen Umstand aufgehalten, auch da der siebente Tag sich bereits zum Abend neigte, noch nicht eingetroffen war, da übermannte auch den König die Ungeduld, und er entschloß sich, obwohl weder Priester noch Levit, ohne alle Berechtigung mit eigner, schon von Menschenblut gerötheter Hand, das heilige Brand- und Dankopfer darzubringen. Er befahl, daß man die Schlachtthiere herbeiführe, und ging dann ungesäumt zu Werke. Mit dieser unbesonnenen Handlung versündigte er sich unter der Maske der Frömmigkeit in mehr als einer Beziehung auf's schwerste. Strafbar war sein Thun schon als Kundgebung eines durchaus unbegründeten Mißtrauens gegen das Wort des Mannes Gottes; strafbar nicht minder als eine abergläubische Herabwürdigung des äußerlichen Opferactes zu einem Zaubermittel, durch welches die. Bundesgenossenschaft Gottes erzwungen werden sollte; vor Allem aber verdammlich als grobe Uebertretung eines dem Könige wohlbekannten unzweideutigen göttlichen Verbots, dessen Hintansetzung mehr als einmal in Israel mit dem Tode bestraft wurde. Noch wirbelte der Rauch des Brandopfers von dem schnell aufgerichteten Altar empor, als Samuel, treu seinem Worte, in's Lager eintrat. Saul, nicht wenig betroffen, ging mit erheuchelter Unbefangenheit ihm entgegen. Samuel aber winkte feierlich und gemessen den König bei Seite, und richtete die Frage an ihn: „Was hast du gethan?“ Saul, nach Entschuldigungen haschend, entgegnete: „Ich sah, daß sich das Volk von mir zerstreute, und du kamst nicht zur bestimmten Stunde, während die Philister schon zu Michmas versammelt waren. Da sprach ich: Nun werden die Philister zu mir herab kommen gen Gilgal, und ich (dies mußte er selbst bekennen,) habe das Angesicht des Herrn nicht erbeten. So wagte ich es denn, und opferte Brandopfer.“ „Du hast thöricht gehandelt,“ erwiderte der Prophet und fügte, jedoch leise, daß der Umstehenden Keiner es vernahm, das Donnerwort hinzu: „Dein Reich wird nicht bestehen!“ und ging seines Weges fürder.

Auf des Königs Versündigung beim Beginn des Philisterkrieges folgte bald eine noch viel schwerere, die uns zur Charakteristik des Mannes einen neuen Beitrag liefert. Vielleicht hatte er sich dadurch in Sicherheit wiegen lassen, daß Gott ihn für sein Vergehen bei Gilgal nicht nur nicht gestraft, sondern ihn sogar, freilich nicht ihm, sondern dem Volke zu Lieb, mit einem glänzenden Siege über die Philister gekrönt hatte. Vor einer Schlacht im Kriege gegen die Amalekiter war ihm durch göttliche Offenbarung der ausdrückliche Befehl zugegangen, daß er, nachdem er dieses überaus bösartige, verstockte und hoffnungslos versunkene Volk bezwungen, dasselbe nicht verschone, sondern Mann und Weib, Kinder und Säuglinge, Ochsen und Schafe, Kameele und Esel „verbannen“, d. i. dem Untergange weihen solle. Was aber geschah, nachdem jenem in seiner tiefen Entsittlichung als unheilbar aufgegebenen Geschlechte die ihm längst angedrohte Niederlage beigebracht worden war? Nicht allein hieß Soul mit dem gefangenen Amalekiterkönige Agag säuberlich fahren, sondern auch das beste und fetteste des feindlichen Schlachtviehs als gute Beute lebend bei Seite schaffen. Da geschah zu Samuel, mit welchem der Herr, wie einst mit Moses „wie ein Mann mit seinem Freunde“ zu reden pflegte, des Herrn Wort: „Es reuet mich, daß ich Saul zum Könige gemacht habe; denn er hat sich hinter mir abgewendet und meine Befehle nicht erfüllt!“

Diese göttliche Eröffnung erschütterte den Propheten tief. Die ganze Nacht, bei deren Eintritt ihm dieselbe geworden, brachte er schlaflos unter Wehklagen und im Gebet für Israel zu. Kaum aber, daß der Morgen zu grauen begann, machte er sich auf, dem Könige zu begegnen, der, nachdem er sich mit unbegreiflichem Gleichmut!) bei Carmel in Juda ein Siegesdenkmal errichtet hatte, mit seinen lebendigen Trophäen nach Gilgal zurückgekehrt war. Hier war es, wo der Prophet ihn traf. Saul entbot ihm wieder mit der Miene vollkommenster Unbefangenheit seinen Gruß. Es gelang ihm aber nur nothdürftig, sein böses Gewissen damit zu verhüllen. „Gesegnet seist Du dem Herrn,“ sprach er, und dann mit kecker Stirn jedoch nur sich selbst verrathend: „Ich habe des Herrn Wort erfüllt!“ - „Hast Du?“ entgegnete Samuel, „so sage doch, was ist das für ein Blöken der Schafe vor meinen Ohren, und woher das Brüllen der Rinder, das zu mir herübertönt?“ Saul erwiderte in den Schein frömmster Unschuld sich verlarvend: „Das Volk glaubte, etliche der besten von den erbeuteten Schafen und Rindern schonen zu müssen, um sie dem Herrn, deinem Gott zu opfern.“ - In diesem Momente aber gab der Mann Gottes der heiligen Eifersflamme, die in ihm loderte, freien Raum, und im Namen des Herrn dem Heuchler die Maske vom Angesichte reißend, spricht er: „Du hast übel gethan, daß du der Stimme des Herrn nicht gehorcht, sondern dich zum Raube gewendet hast. Und was willst du mit dem scheinheiligen Verwande, als habest du dem Herrn ein Opfer bringen wollen? Wisse,“ - (man bemerke, daß so bereits ein Mann aus der Mitte des alten Bundesvolkes und aus der mosaischen Haushaltung heraus redet,) - „Gehorsam ist besser, als Opfer, und Aufmerken besser, denn das Fett von Widdern. Weil du nun des Herrn Wort verworfen hast, so hat auch dich der Herr verworfen, daß du nicht ferner mehr König seiest!“ - So der Seher als Mund Jehovas. Wie aber geschah dem Könige unter diesem Wetterausbruche über seinem Haupt? Wohl fühlte er sich wie zu Boden geschmettert. Nothgedrungen bekennt er: „Ich habe gesündigt, daß ich des Herrn Befehl und deine Worte übergangen habe,“ und läßt sich zu der flehentlichen Bitte herab: „So vergib mir nun meine Sünde!“ fügt aber mit noch größerem und dringenderem Anliegen hinzu: „Kehre mit mir um, daß ich den Herrn anbete!“ Dies klang ja erfreulich und verheißungsreich; aber was lag der scheinbar frommen Aufforderung zu Grunde? Nichts Anderes, als das Begehren, durch das hohe Ansehen, dessen Samuel sich erfreute, in den Augen des Volkes sich gedeckt zu sehen. Ja, so sehr war es ihm darum zu thun, im Lichte der Heiligkeit dieses Gottesmannes vor den Leuten mitzuglänzen, und durch den fortgesetzten Verkehr mit ihm die eigene Frömmigkeit dem Verdachte der Unlauterkeit zu entziehen, daß er, als Samuel ihm seine unlautere Bitte versagte und mit der wiederholten Eröffnung: „Weil du des Herrn Wort verwarfst, so hat dich auch Gott verworfen,“ sich von ihm wandte, statt zerknirschten Herzens und um Gnade schreiend vor dem Allmächtigen in den Staub zu sinken, den Propheten gewaltsam zurückzuhalten sich bemühte, und dessen Mantel so krampfhaft und ungestüm erfaßte, daß derselbe riß und ein Zipfel davon in seiner Hand hangen blieb. Samuel aber deutete ihm dies als ein prophetisches Sinnbild dessen, was über ihn beschlossen sei und sprach zu ihm: „Der Herr hat das Königreich Israel heute von dir gerissen und es einem Andern zugedacht, der besser ist, als du!“ Da wiederholte der König sein Geständniß: „Ich habe gesündigt!“ gab aber zugleich in seiner Beängstigung aufs neue unverholen kund, was ihm vor allem Andern am Herzen liege. „Ehre mich doch jetzt vor den Weitesten meines Volkes und vor Israel,“ flehte er, „und komm mit mir, daß ich den Herrn deinen Gott anbete!“ Hier sehen wir denn sein tiefstes Innere vollends vor uns erschlossen. Statt Buße vor Gott erfüllt ihn nur die Sorge um seine Ehre bei den Menschen. Der Prophet, den des Elenden jammert, kehrt wirklich mit ihm um; aber in welcher Absicht? Etwa, um gemeinschaftlich mit ihm zu opfern und anzubeten, und ihn dadurch in seiner Heuchelei noch mehr zu bestärken? Das sei ferne! Was geschieht? In seiner Gegenwart vollstreckt Samuel eigenhändig mit des Schwertes Schärfe an dem gefangen gehaltenen Amalekiter-Fürsten Agag den Gottesbann, und stellt damit dem Könige Israels ein erschütterndes und unvergeßliches Exempel sowohl des heiligen und unerbittlichen Ernstes Dessen, der sich nicht spotten lasse, als des unbedingten Gehorsams vor Augen, der allewege seinem Wort und Geheiß gebühre. Nachdem er diesen blutigen Akt vollzogen hat, tritt er unverweilt den Rückweg nach seiner Stadt Ramath wieder an, „und sah hinfort,“ so berichtet die Geschichte, „den König Saul nicht mehr,“ (d. h. er suchte ihn nicht mehr auf,) „bis an den Tag seines Todes. Doch trug er Leid um Saul, daß es den Herrn hatte gereuen müssen, ihn zum Könige über Israel erhöht zu haben.“ Dem Herrn lag es vor Allem an, als der „Heilige in Israel“ erkannt und geehrt zu werden. Ein Mann aber so ungeistlichen Herzensgrundes, wie Saul, in seinem Innern zwischen Gott und der Welt getheilt, zum Dienste Gottes nur unter dem Vorbehalte bereit, daß, was Gott ihm auferlege, seine persönlichen Interessen und Gelüste nicht durchkreuzen dürfe, und dennoch ängstlich erpicht auf Wahrung des äußerlichen Scheins einer unbedingten Hingebung an Gott, während er das Wesen einer solchen überall verläugnete, und ein um das andere Mal sich darauf betreffen ließ, Gott und Menschen belügen zu wollen: nein, ein solcher doppelherziger und in die gröbste Heuchelei verstrickter Mensch taugte nicht zum Statthalter des dreimalheiligen Gottes auf Erden, und so ersah sich denn, wie es zu erwarten stand, der „Hüter Israels“, welcher „Könige ein- und absetzt“, einen Andern und Würdigeren zum Hirten und Führer seines Volkes. Wo werden wir denselben zu suchen haben?

 

2.

 

Ohne zurechtweisenden Wink vermuthen wir ihn schwerlich da, wo er uns begegnen wird. Was war Bethlehem? Damals der unbedeutendsten Flecken einer im heiligen Lande. Wohl freundlich auf sonnigen Hügeln gelegen und von duftigen Triften umgrünt, war es doch zu klein und unansehnlich, um bei der Aufzählung der Städte Judas im Buche Josua, Kap. 15 auch nur mit einer Silbe erwähnt zu werden. Wer hätte denken können, daß dieses verschwindende Oertlein einmal bis an den Himmel erhoben werden, , an weltgeschichtlicher Bedeutung alle Städte der Erde weit überstrahlen werde? Und ist's nicht dennoch so geschehen? Der Herr, dessen, Augen nach den Treuen im Lande schauen, kannte das Städtlein längst, und hatte es in seine besondere Obhut genommen. In einem unvergleichlich herrlichen Sinne sollte es einst seinen Namen „Bethlehem“, d. i. „Haus des Brodes“ mit der That entsprechen und gibt es einen Städtenamen, bei dem, so oft er in Verkündigung oder Lied uns antönt, so das Herz uns aufgeht, wie bei dem Namen „Bethlehem Ephrata“? -

Schon frühe knüpfte der Herr in diesem Hirtendörflein mit heilverkündendem Absehn auf ein fern Zukünftiges ein geheiligtes und verheißungsreiches Eheband um zwei edle Herzen: die Herzen der frommen Moabitin Ruth und des trefflichen Ackermannes Boas. An ihrem Vermählungstage gab er „allein Volk unterm Thor“ und „den Aeltesten“, die als Zeugen der Feier anwohnten, den bedeutungsvollen Segensspruch in den Mund: „der Herr mache das Weib wie Rahel und Lea, die das Haus Israel gebauet haben, und es wachse sehr in Ephrata und werde gepriesen zu Bethlehem!“ Als nachmals dem jungen Paare ihr erstes Söhnlein, Obed, d. i. „Diener“, genannt, geboren war, ergossen sich, wieder nicht ohne Einwirkung des Geistes von Oben, von den Lippen der die Großmutter Naemi beglückwünschenden Weiber die begeisterten Worte: „Gelobet sei der Herr, der dir nicht hat lassen abgehen einen Erben zu dieser Zeit, daß sein Name in Israel bleibe. Der wird dich erquicken!“ O, wenn die lieben Frauen geahnet hätten, in welchem überschwänglichen Maße der Herr einst diesen ihren Verheißungsspruch zur Wahrheit machen, und wie er die Stammlinie des so freudig willkommen geheißenen Söhnleins der ganzen weiten Welt zu ewigem Segen setzen werde! Doch war dies ihnen sowohl, wie dem ganzen Israel damals noch ein versiegeltes Geheimniß, und es blieb's, bis 400 Jahre später der Prophet Micha von Maresa das letzte Siegel durch den das Volk auf's freudigste überraschenden Ausruf löste: „Und du, Bethlehem Ephrata, die du zu klein bist, um unter den Tausenden in Juda mitzuzählen, aus dir soll der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist!“

Nach diesem Bethlehem ward nun, nachdem seit Obeds Geburt etwa ein halbes Jahrhundert verflossen war, Samuel vom Herrn gewiesen, „Wie lange,“ sprach der Herr in einer unmittelbaren Offenbarung zu seinem Knechte, „trägst du Leid“ (oder: bekümmerst du dich) „um Saul, den ich verworfen habe, daß er nicht mehr König sei über Israel? Fülle dein Horn mit Oel und gehe hin; ich will dich senden zu dem Bethlehemiter Isai (des Obeds Sohne;) denn unter seinen Söhnen habe ich mir meinen König ausersehen!“ Mit nicht geringer Bestürzung mag Samuel das schreckliche Wort „verworfen“ vernommen haben. Seine Seele mochte wohl betend zum Herrn schreien: „Verwirf ihn nur nicht gar von deinem Angesichte!“ Daß aber Saul die Krone über Israel verwirkt habe, hatte ihm längst schon eingeleuchtet, und so beugte er sich unter den Rathschluß Gottes als einen heiligen. Möglich, daß ihn im ersten Momente auch der Auftrag befremden mochte, der ihn die Krone nach dem unansehnlichen Hirtendorfe Bethlehem tragen hieß. Doch er kannte die Weise des Allwaltenden, und so äußerte er nur das eine Bedenken: „Wie soll ich hingehen, da Saul davon hören und mich erwürgen wird?“ Eine kleinherzige Sorge dies, die wir bei einem Samuel nicht erwartet hätten. Der Herr jedoch „kennet, was für ein Gebilde wir sind“ und hat Mitleid mit unserer Schwachheit. Auf's leutseligste läßt er sich zu seinem längst bewährten Diener Samuel herab und gibt ihm auf, die Hauptabsicht seiner Sendung in Bethlehem dem Volke einstweilen vorzuenthalten, und nur die Opferfeier, die er auf Gottes Geheiß daselbst veranstalten, und zu der er auch den Isai und dessen Söhne laden solle, hervorzuheben. Nach Beendigung dieser Feier werde er, der Herr, dann denjenigen ihm bezeichnen, welchen er aus Isai's Söhnen zum Fürsten über Israel erkoren habe. Samuel gehorchte, griff zum Wanderstabe, und zog von dannen. Seine Ankunft in Bethlehem rief unter den Bewohnern des Städtleins eine freudige Bewegung hervor; denn wer war in Israel, der nicht von dem Freunde und Seher Gottes Samuel wenigstens schon gehört hatte? Die Aeltesten des Orts gingen dem heiligen Manne ehrfurchtsvoll, aber nicht ohne ein geheimes Bangen entgegen, und begrüßten ihn mit der Besorgniß athmenden Frage: „Ist's Friede, daß du kommst?“ d. h. „Hat's Gutes zu bedeuten, daß du unserm armen Städtlein nahest?“ Samuel beruhigte die anspruchslosen Leute, indem er ihnen freundlichst entgegnete: „Nur Gutes bringe ich. Ich komme, mit euch dem Herrn zu opfern. Heiliget euch darum,“ d. i. bereitet euch nach dem levitischen Gesetze vor und sammelt eure Gedanken zu der hehren Handlung. Sonderlich ermahnte er den Isai und dessen Haus zu solcher Bereitung, und deutete ihnen leise an, daß vorzugsweise sie es seien, zu denen und um derer willen der Herr ihn sende. Die Geladenen fanden sich denn auch unverzüglich in festlicher Stimmung bei dem in Eile errichteten Altare ein, und nachdem die Opferceremonie unter herzlicher Andacht Aller vollzogen war, kehrte Samuel mit dem alten Isai in dessen Hütte zurück, und forderte ihn auf, seine Söhne vom ältesten bis zum jüngsten ihm vorzuführen, lind Isai gehorchte dem Worte des Propheten.

Da trat denn zuerst der älteste, Eliab, heran, eine Heldengestalt, kraftvoll und von männlicher Haltung. „Ha!“ dachte Samuel, „da steht vor dem Herrn sein Gesalbter!“ Aber die Stimme des Herrn in seinem Innern sprach: „Siehe nicht an seine Gestalt, noch seine große Person; ich habe ihn verworfen. Denn es gehet nicht, wie ein Mensch stehet. Ein Mensch stehet nach dem, was vor Augen ist; der Herr aber stehet das Herz an.“ Isai winkte darauf dem Aminadab, daß er vortrete. Aber wiederum hieß es im Herzen Samuels: „Auch dieser ist es nicht, den der Herr erwählte!“ Ein Gleiches geschah, als der dritte, Samma erschien, und bei den vier folgenden vernahm Samuel dieselbe Weisung. „Dieser“, sprach er zu Isai, „hat der Herr keinen erwählt; aber sind dies die Knaben alle?“ - Unsrer größten Dichter einer erinnerte sich einst dieser Frage Samuels, nachdem er die hervorragendsten Philosophen und Weisen dieser Welt gemustert und studiert, und bei keinem derselben etwas Haltbares und Befriedigendes gefunden hatte. Da schrieb er mit einem bittern Hohn das Verslein nieder: „Ach, ich war auch in diesem Falle! Als ich die Weisen hört und las; Da jeder diese Welten alle Mit seiner Menschenspanne maß; Da fragte ich: Aber sind sie das: sind das die Knaben alle?“ - Ach, hätte der Dichterfürst doch Einen nicht verkennen wollen! - Auf Samuels Frage erwiderte der Vater Isai: „Einer ist noch zurück, der jüngste; der hütet draußen die Schafe.“ Er sprach's mit einer Miene, welche zu besagen schien: „Dieser Kleinste kann es ja nicht sein, den du suchest.“ Samuel aber: „Sende hin, und laß ihn holen; denn wir werden uns nicht zu Tische setzen, bis auch er erschienen ist.“ Also geschieht's. Nach einer Weile tritt der Knabe ein, rothwangig, blonden Haars, mit schönen Augen und guter Gestalt. „Der ist's!“ bezeugte dem Propheten der Geist; „auf, salbe ihn!“ Und mit tiefer Bewegung seiner Seele nimmt Samuel sein Salbhorn, und netzt mit der heiligen Narde des Knaben Haupt; begleitete jedoch die Ceremonie mit keinem deutenden Worte, sondern begnügt sich damit, den zukunftsvollen Jüngling mit sonderlicher Herzlichkeit zu grüßen. Nachdem er dann mit der gesammten Familie das Brod gebrochen, macht er seinen Abschied, und kehrt gedankenvoll gen Ramath zurück.

Ueber den jugendlichen David, verdeutscht: den „Geliebten“, „gerieth“, so meldet die Geschichte „von jenem Tage an und fernerhin der Geist des Herrn.“ Der Jüngling trat in eine neue Entwicklungsstufe seines innern gottgeweihten Gebens ein. Die reichen Anlagen, womit er von Geburt an ausgestattet war, gelangten zur allseitigsten frischesten Entfaltung. Die Thora, die heilige Urkunde der Bücher Mosis, worin er von Kindheit auf unterwiesen worden war, erschloß sich seinem erleuchteten Auge mehr und mehr. Die friedliche Stille der freundlichen Natur, in der er, die Heerde seines Vaters weidend, seine Tage, und öfter auch die milden sternenhellen Nächte verlebte, begünstigten seine Vertiefungen in die Geheimnisse der göttlichen Offenbarung. Schon frühe ergoß sich sein bewegtes und nach Oben gerichtetes Herz zu den Akkorden seines Saitenspiels in heiligen Dichtungen und Lobgesängen zur Verherrlichung dessen, vor dem er schon als Kind die Kniee beugen lernte, und wohl ist anzunehmen, daß schon damals in jener ländlichen Einsamkeit Psalmen seinem Herzen entströmten, wie der achte, der von anbeten der Bewunderung der Herablassung und Gnade überfließt, womit der majestätische Schöpfer Himmels und der Erde des hinfälligen Menschen sich angenommen, und ihn zum Herrn über seiner Hände Werk erhöhet habe; wie der 19te: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, der 23te: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln;“ und der 104te: „Lobe den Herrn meine Seele! Herr mein Gott du bist sehr herrlich, du bist schön und prächtig geschmückt“, und wie er weiter^ lautet. Jedenfalls verdankt ein großer Theil der der Natur entnommenen lieblichen und sinnigen Bilder, wie sie in so reicher Fülle fast in allen seinen Psalmen uns begegnen, seinem Hirtenleben auf den Auen und Bergen Bethlehems seine Entstehung.

Ob David vor seiner Salbung schon mit Samuel zusammengetroffen war, oder doch, was übrigens wahrscheinlich, den Jüngern Samuels, den Zöglingen der Prophetenschule zu Rama, mit denen wir ihn später so traulich verkehren sehen, nahe gestanden hatte, läßt sich mit Bestimmtheit nicht sagen. Ebenso bleibt es fraglich, wie weit er sich schon der folgenschweren Bedeutung seiner Salbung bewußt geworden. Wahrscheinlich erstreckte sich dieses Wissen nicht über eine leise dämmernde Ahnung hinaus, deren er sich eher als einer verwegenen Träumerei erwehren zu müssen, als einer göttlichen Zusage sich rühmen zu dürfen glaubte. Erst später löste sich ihm im Wege mannichfaltiger Erfahrungen das Räthsel der an ihm stumm vollzogenen geheimnißvollen Handlung. Daß deren Bedeutung ihm wirklich nicht von vorne herein in voller Klarheit aufgegangen war, dafür spricht schon die große Unbefangenheit, mit der wir ihn nicht lange nach der feierlichen Scene in Bethlehem der an ihn ergehenden Aufforderung Folge leisten sahen, von der wir in unsrer , nächsten Betrachtung hören werden. Schließen wir die heutige in anbetender Bewunderung des Waltens unsres Gottes, welchen, es, wo irgend seinem Reiche Gefahr droht, nicht schwer ist „durch viel oder wenig helfen.“ Schließen wir sie mit dem Ausruf des Propheten: „Herr Zebaoth du bist wahrlich groß von Rath und mächtig von That, und deine Augen stehen offen über alle Wege der Menschenkinder“; oder mit den Worten des 40ten Psalms: „Wohl dem, der seine Hoffnung setzt auf den Herrn und sich nicht wendet zu den Hoffärtigen, die mit Lügen umgehn. Herr, mein Gott, groß sind deine Wunder, und deine Gedanken, die du an uns beweisest. Ich will sie verkündigen und davon sagen, wie wohl sie nicht zu zählen sind!“

 

 

Der Saitenspieler.

 

Wenn wir die wesentliche Weisheit, welche Johannes in seinem Evangelium das Wort nennt, das im Anfang bei Gott war, und durch das, ehe es Fleisch ward, alle Dinge geschaffen wurden, Spr. Sal. 8, 31 sagen hören: „Da Gott den Grund der Erde legte, war ich der Werkmeister bei ihm und spielete auf dem Erdboden, und meine Lust ist bei den Menschenkindern“, „so legt sich's uns nahe, bei dem „Ich spielete“ an das sinnvolle Bilderbuch zu denken, zu welchem sich unter ihrer himmlischen Bewirkung für Alle, die ein Auge dafür haben, die Schöpfung gestalten mußte. Von der Sonne, der Königin des Himmels, und dem Monde, der durch sie ihr Licht erhält, bis zu dem Thautropfen der Morgenröthe herab, der den Halm befruchtet, und dem Zwiefalter, welcher mit schimmerndem Flügelpaar dem Tode der Larve sich entschwingt, ist die ganze Natur von einer Symbolik durchwoben, die als Trägerin hehrer Gedanken über die irdische Welt hinaus und in ein ewiges Reich hinüberdeutet. Und wie die Natur, so die Geschichte, die heilige zumal, in der nicht selten auch die historisch geringfügigste Thatsache einen tieferen, sei es lehrhaften oder gar prophetischen Sinn für den, der hier die Räthsel zu lösen versteht, in sich schließt. Wie sinnig spielte u. A. die göttliche Weisheit schon frühe um das Geburtsörtlein unseres Heilandes her, welches zuerst „Ephrata“, d. i. das fruchtbare, nachmals „Bethlehem“, d. i. das Haus des Brodes hieß, und in diesen Namen schon auf das: „Ich bin das Brod vom Himmel gekommen“ hinwinken mußte. Gleich bedeutungsvoll war es, daß die Aeltermutter Israels, die Rahel, auf dem Wege nach Bethlehem starb, und damit unbewußt das Ziel bezeichnete, nach welchem die Sehnsucht ihrer Kinder, mochten immerhin auch sie, bevor sie's erreichten, zu Grabe kommen, fast zwei Jahrtausende hindurch sich ausstrecken würde. Später ward zu Bethlehem, wie uns bekannt, unter hochklingenden Segenswünschen zwischen einem israelitischen Ackersmann und einer Heidin aus der Moabiter Lande ein Ehebund geschlossen: wieder ein heiliger Buchstabe, welcher weissagte, daß diesem Bunde einst derjenige entsprießen werde, welcher berufen sei, die Scheidewand zwischen Juden und Heiden abzubrechen, und Alles, was nur ein Menschenantlitz trage, mit dem Bande einer heiligen Liebe zu umziehen. Endlich schwebt in einer trüben Zeit von den Hügeln Bethlehems sogar ein harmonisches Tonspiel zu uns herüber, vor dessen wunderthätigem Wohllaut nicht allein Wolken einer düsteren Schwermuth sich zertheilen, sondern sogar, zur Veranschaulichung derjenigen Macht, die einst das Evangelium von Christo ausüben werde, die Geister des Abgrunds das Feld räumen müssen. Jenen Wunderklängen werden wir heute zu lauschen Gelegenheit finden. -

1 Sam. 16, 23. Wenn nun der Geist von Gott über Saul kam, so nahm David die Harfe und spielte mit seiner Hand; alsdann erquickte sich Saul, und es ward besser mit ihm und der böse Geist wich von ihm.

Zum ersten Male sehen wir den David heute aus seinem Stillleben in die Oeffentlichkeit treten, und schon dämmern leise Züge des großartigen Vorbildes an ihm auf, welches in fortschreitender Entfaltung in seiner Person der Hoffnung der Sinnigeren in Israel sich darstellen sollte. Sein erster Schritt aus der ländlichen Verborgenheit heraus führte ihn in die Nähe des Herrscherthrones, zu dem er bisher, als der geringsten Unterthanen einer, nur mit einem Schauer der Ehrfurcht emporgeblickt hatte. Sehen wir, wie er zu Saul dem Könige kam, und dann, was er an des Königes Hof erlebte. -

 

1.

 

Reich an Macht und Siegesruhm führt Saul das Zepter über Israel: aus der Ferne angesehn der Glücklichsten auf weiter Erde einer, bei Nahem in all seiner Herrlichkeit ein armer, beklagenswerther Mann. Dies ist er nicht, weil ihm, wie schon so manchem seines Standes, der Undank und die Verkennung Seitens des Volks, oder sonst ein unverschuldetes Verhängniß den glanzumstrahlten Königsweg zum „thränenreichen“ und „thränenwerthen“ machten. Wird doch den Großen der Erde der Wein ihres sogenannten Götterglücks nur selten ungemischt gereicht. Was verschlägt's jedoch, wenn das Bewußtsein sie hebt, es mit ihrem Volk, treu gemeint und redlich mit Gott und vor Gott des Landes Wohl gesucht zu haben. Wie reichlich fließen ihnen dann die Trostesquellen vor Allem in Gottes Wort, und nebenbei in dem Vorgange so mancher ihrer edlen Standesgenossen, deren Friedenssaaten erst über ihren Gräbern zu sprießen begannen, und die Anerkennung, die man ihnen bei Leibesleben schnöde vorenthielt, in überschwänglicher und unvergänglicher Fülle ihnen nachbrachten. Mit Saul verhielt sich's aber nicht also. Beachtet das düstre Gewölk, das seine Stirn umschattet. Was ist's, das ihn drückt, und ihm das Leben vergällt? Der Grund seines tiefen Mißbehagens liegt nicht in dem Verhalten seines Volkes, das vielmehr nach seinen Siegen über Philister und Amalekiter mit neuer Hingebung ihm anhing, und wohin er es führte ihm willig, ja begeistert folgte; sondern in seiner inneren Stellung zu Gott, bei dem er sich nicht mehr in Gnaden wußte, und zu welchem er statt mit kindlichem Vertrauen, nur noch scheu und mit knechtischer Furcht hinaufsah.

Man könnte dies unglaublich finden, nachdem man Zeuge der Segensverheißungen war, womit einst Samuel den König überschüttete. Hörte man doch den Propheten zu ihm sagen: „Der Geist des Herrn wird über dich kommen, und du wirst ein anderer Mann werden.“ Ja bezeugt doch sogar die Geschichte von ihm: „Gott gab ihm ein ander Herz;“ und begegnete man ihm doch selbst einmal inmitten der frommen Prophetenschüler, und hörte ihn begeistert mit einstimmen in deren Lobpreisungen des Gottes Israels. Aber Gott kann einem Menschen des Schönen und Schätzenswerthen Vieles widerfahrenlassen, ohne ihm damit zugleich ein Zeugniß seines Wohlgefallens an seiner Person auszustellen. Er kann eines solchen Menschen lediglich als eines Werkzeugs sich bedienen wollen und ihn nur in dieser Eigenschaft um des Wohls Andrer willen, und ohne ihn dadurch zu ermächtigen, seinen Namen im Himmel angeschrieben zu glauben, mit der einen oder andern Geistesgabe bedenken. So verleiht er manchem Herrscher die Gaben der Weisheit, der Tapferkeit, des Muthes; manchem Prediger diejenigen des theologischen Wissens, des kirchlichen Regiments, des beredten Wortes, ohne dem also Ausgerüsteten damit die Folgerung auf seine göttliche Kindschaft zu gestatten. Der Zuruf: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“ gilt allein denen, die gebrochenen Herzens sind, in entschiedenem Zwiespalt mit der Sünde stehn, und als von Grund der Seele dem Herrn Dienende sich erfinden lassen. An Saul vermissen wir diese Signatur. Wenigstens ist sie an ihm in sichtlichem Erlöschen begriffen.

Was sich Betrübendes ereignet hat, ist uns bekannt. Schwer hat der König sich versündigt. Als Samuel ihm sein Uebertreten vorhielt, trat die ganze Unlauterkeit seines Charakters zu Tage. Sein Bemühen ging einzig dahin, aus den wider ihn erhobenen Anklagen durch allerlei schlau ersonnene Vorwände sich herauszulügen , und als er diese Versuche scheitern sah, lag ihm nur noch die Sorge am Herzen, wie er seine Ehre bei den Menschen retten könne. Hätte er jetzt doch, statt den Samuel, wie er that, kriechend um die Fortdauer seiner Gunst anzuflehn, reumüthig sich an die Brust geschlagen und fußfällig den Allmächtigen um Vergebung angerufen. Er wäre gerettet gewesen und in der That „ein anderer Mann“ geworden, indem der Geist Gottes, der ihm ja verheißen war, die Obmacht in ihm gewonnen hätte. Aber wann war er jemals dem Herrn recht traulich und offenen Herzens genaht? Und mit schuldbeladenem Gewissen sollte er jetzt vor ihm erscheinen? Würde er auf Gehör und gnädige Aufnahme rechnen dürfen? Er würde es ohne Zweifel, träte, er nur mit den Thränen einer aufrichtigen Buße an ihn heran. Den „Leidtragenden“ sind die Thore der Wohnung Gottes jederzeit geöffnet. Was immer für eine Schuld sie drücke, sie werden inne werden, daß „bei unserm Gott viel Vergebung sei.“ Aber Saul war dieser einer nicht. Das Schuldbewußtsein theilte er mit den „geistlich Armen“; nicht aber die „Reue, die Niemanden gereuet.“ Wie ferne lag ihm das flehentliche „Herr, gedenke mein!“ des Schächers am Kreuz, und vollends das dringend und demüthig bettelnde Wort der Kananäerin: „Ach Herr, essen doch auch die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen!“ War es Stolz oder Verzagtheit, selbstgerechter Trotz oder geheime Verzweiflung, was den Mund ihm schloß, während ein ungeheucheltes Bekenntniß ihn ewig hätte retten können? Es war, wie es scheint, ein finsteres Gemisch aller jener Affekte, was ihm das Herz verschloß und verhärtete. Selbst die furchtbare Strafandrohung des Propheten: „Weil du Gottes Wort verworfen hast, so hat Gott auch dich verworfen, daß du nicht mehr König seist,“ traf ihn nur wie ein kalter Wetterschlag, erschütternd, aber ohne ihn zu zerschmelzen. Statt durch dies Donnerwort sich bestimmen zu lassen, zerknirscht das Angesicht des Herrn zu suchen, wich er wie weiland Kam und nachmals Judas Ischarioth flüchtig und scheu nur noch weiter vor ihm zurück. So widerfuhr ihm denn auch endlich, was einst dem unglückseligen Apostel. Durch Gottes richterliche Zulassung gewann der Satan Gewalt über ihn. „Der Geist des Herrn,“ berichtet die Geschichte, „wich von Saul, und ein böser Geist vom Herrn kam über ihn.“ Diese Worte sind nicht bildlich und etwa nur als Bezeichnung einer Anwandlung des Trübsinns, oder einer Ueberschattung durch eine gesteigerte Schwermuth zu verstehn, sondern in dem eben bezeichneten Sinne, nach welchem hier eine unheimlichere Sphäre, als die einer natürlichen Melancholie sich vor uns aufthut. Die Macht der Finsterniß, welche persönlich ist und in Seelenzuständen wie der, in welchem Saul sich befand, ihren Operationen Thor und Thür geöffnet findet, wirkte vorwiegend dazu mit, die verhängnißvolle Kluft zwischen dem Könige Saul und dem ewig Thronenden in der Höhe noch mehr zu vertiefen, ja die Gottentfremdung des unglückseligen Mannes nach und nach bis zum dämonischen Gotteshasse zu steigern.

Was Wunder drum, daß wir den König heute in einer inneren Verfassung betreffen, die uns den einst so lebensfrischen und thatkräftigen Mann kaum mehr wiedererkennen läßt. Sein Auge sieht starr, sein Mund ist krampfhaft verbissen, und aus allen seinen Zügen spricht ein tiefer, bitterer Groll und Unmuth. Wie könnte er auch Frieden haben, nachdem er mit Gott und der Welt zerfallen ist? Verdammt will er nicht sein, und doch sagt ihm die Stimme des Richters in seiner Brust: „Du bist's!“ Mit aller seiner Kraft und allen Künsten des Selbstbetrugs ist er bestrebt, den Verklägern in ihm und außer ihm zum Trotz vor Gott und Menschen sich zu behaupten. Wen sollte dieses Unglückseligen nicht jammern? O bräche er doch durch alle Widerstände in seinem Innern hindurch, und würfe sich mit dem Nothschrei Hiobs: „Ich schuldige mich und thue Buße im Staub und in der Asche“ auf Gnade und Ungnade dem Richter der Lebendigen und der Todten in die Arme! Ihm wäre vor Thorschluß noch geholfen. Aber zu solcher Hoffnung scheint kein Grund mehr vorhanden. Das Gift einer heillosen Erbitterung ist ihm schon in's Mark und Blut gedrungen. Er ist verloren.

Die Schwermuth des Königs lagerte sich natürlich wie ein drückender Alb auch über die Seelen des ganzen Hofgesindes, ja verbreitete ihre trüben und beklemmenden Schatten selbst noch über seine nächste Umgebung hinaus. „Wenn des Königs Angesicht freundlich ist,“ sagt ein salomonischer Spruch, „das ist Leben; aber des Königs Grimm ist ein Bote des Todes.“ Fast dem ganzen Lande machte sich Letzteres fühlbar. Die Königlichen Diener beriethen hin und her, wie sie ihren hohen Herrn, dessen Palast jetzt mehr einer düstern Trauerklause, als einem stolzen Herrschersitze ähnlich sah, von seinem unheimlichen Grauen befreien möchten. Die gewöhnlichen Zerstreuungsmittel: Prunk, Glanz, Gelage, Schaustellungen, Reigentänze und was deß mehr, versagten den Dienst. Da kam ihnen endlich wie man zu sagen pflegt ein „glücklicher Einfall.“ Sie erschienen vor ihrem Herrn und sprachen: „Siehe, ein böser Geist von Gott macht dich unruhig. So sage nun unser Herr zu seinen Knechten, die vor dir stehn, daß sie einen Mann suchen, der auf der Harfe wohl spielen könne, auf daß, wenn der böse Geist von Gott über dich kommt, er mit seiner Hand die Saiten rühre, und es dann besser mit dir werde.“

Welche Sprache dies! Nöthigt uns der Scharfblick dieser Leute, die bei der Beurtheilung der Schwermuth ihres Gebieters nicht auf der Oberfläche sich bewegen, sondern in die Tiefe dringen, nicht Verwunderung ab? Staunen wir nicht über die weitreichende Erleuchtung, welche sie hier auch schon in ihrem Wissen um das Dasein einer gefallenen Geisterwelt, deren Jehova sich nicht selten bald zur Prüfung seiner Frommen, bald zur Züchtigung der Frevler zu bedienen pflege, zu Tage geben? Müssen wir nicht aus ihren Worten schließen, daß sie auch schon das Buch Hiob kannten, und zwar als einen Bestandtheil ihres heiligen Bibelkanons? Und an seiner Bibel hielt der Israelit, auch wenn ihm das geistige Leben abging und sein Wandel von derselben gerichtet wurde, unter allen Umständen fest. Die Aussagen Mosis und der Propheten waren ihm in höchster Instanz entscheidende Orakelsprüche, und Entsetzen hätte es ihm eingeflößt, wenn Jemand das, was seine heiligen Schriften bezeugten, hätte in Frage stellen oder gar verneinen wollen. So tief wurzelte in dem Samen Abrahams der Glaube an den göttlichen Ursprung und die unfehlbare Autorität seines heiligen Buches: ein Glaube, der den Israeliten freilich dadurch wesentlich erleichtert wurde, daß sie selbst die beständigen Augen- und Ohrenzeugen der Kräfte und Zeichen waren, durch welche Gott bald hie bald da die Werkzeuge seiner Offenbarungen, die Seher und Propheten, legitimierte. Was wir weiter an den Hofbeamten Sauls bewundern, ist zuerst die Klarheit, mit der sie in dem trostlosen Zustande ihres Gebieters die dämonische Einwirkung erkannten, dann die freilich mit der tiefsten* Ehrerbietung verknüpfte Freimüthigkeit, mit welcher sie, unbesorgt um die Folgen, die aus diesen Schritten für sie erwachsen könnten, vor ihn hintreten und ihre nichts weniger als schmeichlerische Ansichten ihm kundwerden lassen, und endlich das Treffende des Rathes, den sie ihm zu ertheilen sich gedrungen fühlen. Sie preisen ihm als Erleichterungsmittel für sein Gemüth die Macht der Tonkunst an, aber mit weiser Unterscheidung des Geistes, der die Schöpfungen derselben beseele. An Spielleuten war wohl auch in der Hofburg zu Gibea kein Mangel; aber sie schienen den Leistungen nicht gewachsen, deren es hier bedurfte. Die Diener kannten die Macht der Töne wohl, wie sie je nach Beschaffenheit und Art ihres Inhalts nicht minder die heillosesten, als die gesegnetsten Eindrücke hervorzurufen vermöchten. Die verheerendsten Leidenschaften vermag die Tonkunst zu entfesseln; aber auch die wildesten Stürme der Menschenbrust wenigstens für Momente zu zähmen und zu sänftigen. Was irgend Edles ungeahnt und schlummernd in der Menschenbrust verborgen ruht, vermag sie wach zu rufen und zu Tage zu fördern; aber ebensowohl das Verwerflichste aus den Niederungen der menschlichen Natur heraufzuwühlen und dessen Reife zu beschleunigen. Den Dienern des Königs schwebte ein Tonspiel vor, nicht wie es der Welt behagt und nur den Geistern des Unreinen die Thüren öffnet; sondern ein solches, das vermöge einer ihm gewordenen höheren Weihe auf seinen harmonischen Klängen wie auf Engelschwingen die Seele unvermerkt gen Himmel hebe. Sie dachten an das damals feierlichste der Instrumente, an die Harfe, und an die erhebenden Akkorde, wie sie an den Festen Israels im Heiligthume zu ertönen pflegten. Und als der König, freilich wie im Traumwachen, auf den Vorschlag seiner wohlmeinenden Knechte einging, und zu ihnen sprach: „Seht euch denn nach einem Manne um, der es wohl kann auf Saitenspiel, und führt ihn zu mir,“ da bemerkte einer unter ihnen: „Siehe, ich weiß um Einen, der des Saitenspieles mächtig ist. Er ist ein Sohn Isais, des Bethlehemiters, ein rüstiger Mann und streitbar und verständig in Sachen, und schön; und der Herr ist mit ihm.“ Eine willkommene Nachricht dies! Der sie mittheilte, erwies sich dadurch selbst als einen verständigen Mann, daß er diejenigen Eigenschaften seines Empfohlenen in den Vordergrund rückte, von denen er glauben mußte, daß sie bei dem Könige am ersten Anklang finden würden; dagegen dasjenige, was ihm selbst die Hauptsache war, und wovon er vorzugsweise die Erlösung des Königes von seinem Unmuthsdämon erwartete, nämlich die Frömmigkeit seines Harfenisten, und daß der Herr mit ihm sei, erst wie nebenbei am Schluß erwähnte. Uebrigens ist's immer erwünscht, daß Solchen, denen der Beruf geworden, kranke Seelen zu heilen und sittlich Verirrten zurecht zu helfen, neben ihrer Frömmigkeit auch noch anderweitige geistige Vorzüge, die auch bei der Welt Geltung haben, zur Seite stehn, und daß auch von ihnen gesagt werden dürfe, sie seien verständige und einsichtsvolle Leute, Leute von Geist und Gemüth, von gründlicher Bildung und reicher Erfahrung. Es wird dies ihrem Zuspruch den Eingang auch bei Seelen erleichtern, welche bisher, wie sehr sie auch des Rathes und Trostes bedurften, eine unverständige Scheu vor jeder ernsten Gottseligkeit dem Evangelio entfremdete. Geschieht es doch nicht selten, daß auch Solchen, nachdem an dem tiefgewurzelten Trübsinn, von dem sie befallen wurden, alle Erheiterungsrecepte der Weltkinder zu Spott geworden, Seitens ihrer eigenen Sinnesgenossen, ob widerwillig auch, als letztes Heilmittel die Religion empfohlen wird, und daß sie dann auf deren gleichsam in der Verzweiflung und nicht ohne mühsame Selbstüberwindung ertheilten Rath sich entschließen, einen Prediger oder sonst einen gottesfürchtigen Mann, der ihnen zugleich durch seine rein menschlichen Tugenden zusagt, zu sich bescheiden zu lassen. Und wie manchmal schon hat sich alsdann das Evangelium als eine „Kraft Gottes“ erwiesen, die Allem, was die Lebensgeister gebunden halten mag, vollkommen gewachsen ist, und es hat sich dem Wesen nach, nur noch viel nachhaltiger, das wiederholt, was wir heute in der Hofburg zu Gibea sich begeben sehen.

Woher der königliche Diener den jungen damals neunzehnjährigen Saitenspieler zu Bethlehem kannte, wird nicht gemeldet. Uebrigens erhellt schon aus seiner Rede, daß er, der Diener, selbst ein gottesfürchtiger Mensch war, und solche pflegen sich schon, zumal in Zeiten, in denen, wie in der damaligen, Gotteswort theuer im Lande geworden ist, mit ihren Geistesverwandten zu begegnen. Auf des Dieners Mittheilung hin wurden unverzüglich Boten zu Isai abgeordnet, um diesem im Namen des Königes den Befehl zu überbringen: „Sende deinen Sohn David zu mir, der bei den Schafen ist.“ Wir mögen ermessen, wie diese Botschaft den Isai überrascht haben mag. David weilte damals wieder bei den Heerden des Vaters auf den Feldern. Die Erinnerung an seine einstmalige Salbung durch Samuel ruhte als ein stilles ihm selbst noch unerschlossenes Geheimniß in seiner Seele. In kindlicher Unbefangenheit spielte und sang er, von seinen Schafen und Lämmern umweidet, dem Herrn seine Lob- und Huldigungslieder, und stellte es sorglos Ihm anheim, wie er ihn führen und seine Zukunft ordnen werde. Da wird er eines Tages ohne Angabe des Zwecks plötzlich nach Hause gerufen. Gehorsam treibt er seine Schafe vor sich hin und vernimmt, bei seinen Eltern angelangt, wohl nicht ohne Befremden, doch mit dem Gleichmut!) eines Menschen, der in Einfalt einer Alles lenkenden göttlichen Vorsehung vertraut, wozu er sich anschicken soll. Seinem Könige zu jedem Dienst gewärtig, erklärte er sich bereit, dem Boten nach Gibea zu folgen. Auch Isai, der Vater, wagt nicht, ihm darein zu reden. So werden denn die Anstalten zur Abreise getroffen. Nach morgenländischer Sitte, die nicht erlaubte, einem Fürstenthrone ohne Geschenke zu nahen, schirrt der Vater ein Maulthier auf, beladet es mit Brod und einem Schlauche Weins, fügt noch ein junges Ziegenböcklein hinzu, und mit dieser den einfachen Verhältnissen der damaligen Zeit entsprechenden Huldigungsgabe für seinen Landesherrn entläßt er seinen geliebten Benjamin unter herzlichen und frommen Segenswünschen.

David langt, sein Saitenspiel an einem Schulterbande tragend, zu Gibea an, und wird alsobald dem Könige vorgeführt. Da stehen denn die beiden einander gegenüber wie ein heller Frühlingssonnenschein einer düstern Unheil drohenden Wetterwolke; wie ein blühendes, zukunftsvolles Leben einem finstern dem Todtenreiche entstiegenen Schatten. „Spiele mir!“ herrscht der König ihn an. David neigt sein Haupt und gehorcht, und so lieblich und wunderbar festlich entströmen den Saiten seiner Harfe die Akkorde, daß die schwerumwölkte Stirn des Königs sich zusehends zu erheitern und die strengen Züge seines Angesichtes auffallend sich zu sänftigen und zu mildern beginnen. Lieder ohne Worte sind es, deren rührender Wohllaut zu des Königes Ohren dringt. Ein den Klängen entsprechender Text hätte von dem, was beabsichtigt wurde, das Gegentheil bewirken, und die Verstimmung des Königs nur noch steigern können. Gibt es doch auch gegenwärtig immer noch Menschen seiner Gattung genug, glaubenslose, ja mit Gott und der Welt zerfallene Individuen, welche ebenfalls irgend eine feierliche Melodie aufs mächtigste hinzureißen und vorübergehend wenigstens in Stimmungen, die an Andacht und frommer Rührung grenzen, zu versetzen vermag, während unterlegte Worte, die den frommen Tönen entsprächen, die entgegengesetzte Wirkung in ihnen hervorbringen würden. Was erhellt hieraus, als daß in dem Gemüthe solcher Leute keineswegs schon der letzte Anknüpfungspunkt für Göttliches verrottet ist. Sie mögen aber auf ihrer Hut sein, daß nicht unter fortgesetztem Widerstreben gegen die Gedanken, welchem den Harmonien, an denen sie sich noch erlaben, unausgesprochen wiedertönen, auch die letzten Saiten, in denen in ihrem Innern das Himmlische noch leise anklingt, vollends reißen, und ihre Abneigung gegen Letzteres in entschiedenem und unheilbarem Widerwillen gegen Alles, was von oben stammt, sich vollendet.

Davids Harfenklänge hatten in der That für den Augenblick mindestens wahre Wunder gewirkt. Der König athmete zur nicht geringen Freude seiner Umgebung wieder freier und erschien milder und heiterer gestimmt, als man ihn seit lange gesehen hatte. Und öfter noch, wenn die alte Schwermuth seine Seele wieder zu umwölken begann, erzielte das Saitenspiel des Hirtenjünglings denselben erfreulichen Erfolg. Was Wunder, daß Saul den jungen Harfner lieb gewann? Er sandte zu Isai und ließ ihm sagen: „Dein Sohn bleibe bei mir, denn er hat Gnade gefunden vor meinen Augen;“ ja, Sauls Gnade erstreckte sich so weit, daß er den Bethlehemiter in die Zahl seiner Edelknaben und Waffenträger aufnahm. Die Geschichte meldet: „Wenn der Geist von Gott“ (d. h. der Geist, der unter Gottes geheimnißvoller richterlicher Zulassung ihn erfaßte,) „über Saul kam, nahm David die Harfe, und spielte mit seiner Hand; alsdann erquickte sich Saul; es ward mit ihm besser, und der böse Geist wich von ihm.“ Die letzten Worte befremden uns. „Die Akkorde,“ fragen wir, „bannten den Dämon?“ - Nicht so. Die höhere Stimmung aber, in welche der König durch sie versetzt ward, genügten, dem Argen den Spielraum für seine Einwirkungen auf des Königes Gemüth mindestens zu beschränken, während an einem vollen, klar bewußten Glaubensleben Sauls die Macht des bösen Geistes gänzlich gescheitert sein würde. Uebrigens werden die stillen Fürbitten, welche David auf den Flügeln seiner Harfentöne gen Himmel sandte, nicht wenig zu den Erfolgen beigetragen haben, mit welchen die Melodien gekrönt wurden. Gottes Absicht ging dahin, dem Könige in der Sendung Davids noch ein neues und letztes Gnadenmittel darzubieten. Er sollte inne werden, was ein kindlich frommer Mensch, wie der Hirtenknabe, mit Gottes Hülfe über alle Mächte der Finsterniß vermöge, und auf dem Wege solcher Erfahrung sollte er selbst die Frömmigkeit lieb gewinnen. Leider! aber blieben alle Heilsversuche, auch der letzte, an dem unglückseligen Manne fruchtlos. Sein Herz verstockte sich mehr und mehr.

Einer unserer großen weltlichen Dichter hat geahnt, welch' eine erhebende, ja heiligende Macht einer gottgeweihten Musik innewohnen könne, indem er den Helden seiner Dichtung durch einzelne aus einer benachbarten Cathedrale in seine Zelle herüber schwebende Akkorde eines festlichen Kirchenchors von einem Anfall schwärzester Gedanken errettet werden läßt. Nur hat der Dichter die volle Harmonie nicht verstehen wollen, vor deren Gewalt nicht nur vorübergehend, sondern stetig alle bösen Geister weichen müssen. Es ist dies die Harmonie des heiligen Evangeliums, für die aber erst im Herzen des Lauschenden die Akustik geschaffen werden muß, was lediglich vermittelst der Buße und des erwachenden Heilsbedürfnisses geschieht. Dann kann im Himmel und auf Erden Beschwichtigenderes und Erhebenderes nicht vernommen werden, als was aus dem geistigen Saitenspiel der Evangelisten und Apostel uns antönt. Hier umschwebt uns eine Harmonie, die jeden Mißklang in uns bewältigt und verstummen macht.

Lassen wir schließlich Gottes anbetungswürdige Weisheit auch in dem Umstande nicht außer Acht, daß er den David schon so frühzeitig dem Throne nahe brachte, den er einst selbst besteigen sollte. Da ward ihm Gelegenheit mit noch unbefangenem Blick das Hofleben nach seinen verschiedensten Seiten hin sich anzusehen und die zahllosen Gefahren kennen zu lernen, die dasselbe für Alle, die die Luft dieser Sphäre athmen, mit sich führe. Es entschleierte sich ihm da der Pfuhl von Lug und Trug, von Schein und Heuchelei, der die „Götter der Erde“ zu umgeben pflegt, und flößte ihm für sein ganzes künftiges Leben einen gründlichen Widerwillen gegen alles in Schmeichelei und Augendienerei ersoffene Hofschranzenthum und eine entschiedene Vorliebe für ehrliche und getreue, ob auch minder geglättete Räthe und Diener ein. Zugleich bestärkte ihn, freilich in erschütterndster Weise, der Vorgang Sauls in der Ueberzeugung, daß die landläufige Meinung, als erhebe eine Königskrone auf den Gipfel aller Erdenseligkeiten, nur ein Wahn, dagegen die Furcht Gottes wie „aller Weisheit Anfang“, so auch der einzig sichere Unterbau jedes wahren Glückes im Palast wie in der Tagelöhnerhütte sei. Der erste der auf uns gekommenen Davidischen Psalmen mag aus den Erfahrungen, die der Sänger schon damals gesammelt, erwachsen sein. Schließen wir mit ihm unsere diesmalige Betrachtung. Er lautet: „Wohl dem, der nicht wandelt im Rathe der Gottlosen, noch tritt auf den Weg der Spötter, sondern hat Lust zum Gesetz des Herrn und redet von seinem Gesetze Tag und Nacht. Der ist wie ein Baum, gepflanzet an, den Wasserbächen, der seine Frucht bringet zu seiner Zeit, und seine Blätter verwelken nicht und was er macht, das geräth wohl. Aber so sind die Gottlosen nicht; sondern sie sind wie Spreu, die der Wind verstreuet. Darum bleiben die Gottlosen nicht im Gericht, noch die Sünder in der Gemeine der Gerechten. Denn der Herr kennt den Weg der Gerechten, aber der Gottlosen Weg vergehet.“

 

 

David und Goliath.

 

Ein Erlebniß Josuas gehe unsrer diesmaligen Betrachtung voran, ein Erlebniß, an dem David selbst oftmals seinen Muth gestärkt haben mag. Jos. 5, 13-15 steht's verzeichnet. Der Heerführer Israels, der Sohn Nun's, ist im Begriff, mit seinem Volke die Grenze Canaans, welches schon dem Abraham als das zukünftige Vaterland seiner Nachkommen göttlich zugesagt war zu überschreiten. Er ist sich der ganzen Schwere seiner Aufgabe klar bewußt. Vor ihm liegt die starke, unbezwingliche feindliche Feste Jericho. Der verhängnißvolle Kampf soll entbrennen. Es ist Nacht. Josuas Schaaren liegen umher im Lager, theils schlummernd, theils in aufgeregten Gesprächen die Kräfte bemessend, die jetzt auf einander stoßen sollen. Er selbst, der Führer, wandelt einsam auf den Hügeln, welche in einiger Entfernung Jericho umgeben. Und misset auch, und entwirft den Schlachtplan und erkundet das Terrain? Die Geschichte meldet: „Josua hub seine Augen auf.“ - Wohin wir wissen es. Er hielt seinen Congreß mit Gott. Was widerfährt ihm da? Wunderbares, das aber uns nicht wundern darf, da Gott einmal an seinem auserwählten Volke durch Wunder zeigen wollte, daß er ein lebendiger Gott sei. Plötzlich nemlich steht Josua in einiger Entfernung eine hehre Gestalt in kriegerischer Rüstung vor sich stehen. Ein Mensch? Unmöglich! Ein Engel? Sicher! Etwa der „Engel Jehova“, der nachmals Mensch ward? Josua mochte darüber schwanken. Er stutzt. Dann faßt er sich ein Herz, und ruft sein: „Wer da?!“ - „Gehörst du uns an,“ fragt er, „oder unsern Feinden.“ Die Antwort lautet: „Nein, ich bin ein Fürst über das Heer des Herrn und bin jetzt kommen.“ - Nun weiß Josua, daß er es jedenfalls mit einem Vertreter des Hocherhabenen zu thun hat, der allein entscheidet, wie die blutigen Würfel der Schlachten fallen sollen. Josua ist stolz, auf diesen Bundesgenossen sich stützen zu können. Anbetend fällt er vor dem Herrn auf sein Angesicht, und spricht: „Was sagt mein Her r seinem Knecht?“ - Wir verstehen ihn. Er begibt sich seiner selbst, und will in Allem seinem Herrn treu, unterthänig und gewärtig sein. Der Fürst über das Heer des Herrn erwidert seinem Knechte: „Zeuch deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn die Stätte, worauf du stehest, ist heilig.“ - Eine bildliche Rede. Josua wußte sie sich zu deuten, und kam dem geistlichen Sinne der an ihn ergangenen Aufforderung nach. In aufrichtiger Demuth wandelte er fortan vor Gott, war sich, wo er ging und stand, der Gegenwart Gottes bewußt, getröstete sich ihrer, vertraute auf den Herrn, fragte allewege zuerst nach seinem Willen, und wehrte von sich ab, was Ihm mißfallen könnte. - Und der Herr krönte ihn mit Sieg um Sieg, mit Segen um Segen. - In Josuas Fußtapfen ging auch David, und so bewahrheitete sich auch an ihm das Wort: „Wo ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so werdet ihr Berge versetzen.“ -

1 Samuel 17, 45 u. 46. David sprach zu dem Philister: Du kommst zu mir mit Schwerdt, Spieß und Schild, Ich aber komme zu dir im Namen des Herrn Zebaoth, des Gottes des Hauses Israel, den du gehöhnt hast. Heutigen Tages wird dich der Herr in meine Hand überantworten, daß ich dich schlage und nehme dein Haupt von dir, auf daß alles Land inne werde, daß Israel einen Gott hat.

Diese Worte bilden ein Bruchstück aus der Geschichte, der wir heute betrachtend nahe treten. Sie bezeichnen übrigens das Wesentlichste ihres Inhalts, und stellen namentlich die Bedeutung ins Licht, welche der Vorgang für uns im Schooße trägt. Dringen wir denn gleich auf den Kern der Begebenheit und betrachten, nachdem wir zuvor einen Blick auf Israels Noth geworfen haben, die göttliche Retterthat durch David.

 

1.

 

In Israel umschmettern uns wieder die Kriegsdrommeten. Wir treffen die waffenfähige Mannschaft des Volkes schon zum Kampf gerüstet im offenen Blachfeld. Den Philistern gilt's, den kriegerischen Anwohnern der Meeresküste, die dem Herrn allezeit unbewußt als Zuchtruthe wider das halsstarrige Volk seiner Wahl in Bereitschaft standen. Auf's Neue sind sie in mächtigen Heereshaufen mit Reitern und Streitwagen in Juda hereingebrochen, und bedrohen das Königreich in seinem Mittelpunkte und seinen stärksten Vesten. Diese Nation, allezeit schlagfertig und unruhig wie die Woge des Meeres, die brandend ihr Land bespülte, befand sich seit beinahe tausend Jahren im Besitz der südlichen Küstenebene Palästinas, in welche sie theils von Egypten her, das damals bereits ihre zweite Heimath war, nachdem sie als ein Nomadenstamm ihre erste und ursprüngliche, nemlich das an den persischen Meerbusen grenzende Arabien verlassen hatte, theils von der Insel Creta, woher sie den Namen Creti beibehielt, hereingefluthet war. Schon beim Durchzuge der Israeliten durch die Wüste hatten sich die Philister ihnen furchtbar genug gemacht, um sie zu bestimmen, dem Ungewissen Kampf mit ihnen einen weiten und beschwerlichen Umweg vorzuziehen. Der Hauptgötze jener Heiden war der Dagon, ein Meergott, dargestellt mit einem menschlichen Oberkörper, der in einen Fischleib auslief. Das Centralheiligthum dieses Götzen stand in Gath. Neben dem Dagon verehrten die Philister den Himmelskönig Baal und die Himmelskönigin Astarte. Ihre Kriegsverfassung scheint bereits eine ziemlich geordnete gewesen zu sein. Zur Zeit Sauls, der Blüthenperiode ihrer Macht, geboten sie über nicht weniger als dreißigtausend Streitwagen und sechstausend Reiter, und ihr Fußvolk war wie „der Sand am Meer“. Die Rüstung ihrer Krieger bestand in einem eisernen Schuppenpanzer, einem kupfernen Helm und ehernen Beinschienen. Ihre Angriffswaffen waren der Wurfspieß, die Lanze mit schwerer eiserner Spitze, der Bogen und das Schwerdt. Als Schutzwehr diente ihnen ein lederner Schild, der den ganzen Leib bedeckte. Einen an Stärke und Kühnheit hervorragenden Theil des Heers bildeten die Enakiten, ein Riesengeschlecht, in welchem man den aus Egypten herübergekommenen Ur- und Wurzelstamm des ganzen Volks, und zugleich den auf der Höhe einer ruhmgekrönten Ahnenreihe glänzenden Adel der Nation verehrte.

Wie wir heute in die Geschichte eintreten, sind die Philister schon bis Socho, drei Meilen südwestlich von Jerusalem, vorgedrungen und haben auf einer Hochebene Stellung genommen. Ihnen gegenüber, ebenfalls auf einer Hügelkette, und nur durch ein Thal, den Eich- oder Terebinthengrund von jenen getrennt, lagert Israel. Wir treffen letzteres Angesichts des feindlichen Speer- und Hellebardenwaldes nicht eben in siegesmuthigster Stimmung. Kein Wunder dies, da das israelitische Heer die Stirn seines obersten Führers in eitel düstere Sorgenwolken gehüllt, und sein Auge irr und verlegen blicken sieht. Der König rechnet nur noch mit menschlichen Faktoren, nachdem er jeden Anspruch an die Hülfe von oben verwirkt zu haben glaubt. Was Wunder, daß ihm seine Lage darum überaus bedenklich erscheinen will, und er es für rathsam erachtet - der Unglaube macht feige - seine Kriegsoperationen lediglich auf eine Vertheidigungsstellung zu beschränken.