Salomo und Sulamith - Friedrich Wilhelm Krummacher - E-Book

Salomo und Sulamith E-Book

Friedrich Wilhelm Krummacher

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Beschreibung

Friedrich Wilhelm Krummacher war ein 1868 in Potsdam verstorbener Geistlicher. Sein Vater, Friedrich Adolph Krummacher, war ein bedeutender deutscher Theologe und Schriftsteller. Friedrich Wilhelm war, obwohl Pfarrer der reformierten Kirche , ein eifriger Verfechter des älteren Luthertums und erregte durch seine Verurteilung der Rationalisten großes Aufsehen. Er kam 1843 nach New York, lehnte eine theologische Professur in Mercersburg, Pennsylvania, ab, kehrte dann nach Deutschland zurück und ließ sich 1847 in Berlin nieder. Um Krummacher's Kanzel sammelte sich bald eine überaus große Gemeinde. Selbst zu den Wochengottesdiensten strömten die Leute zusammen. Dem dringenden Wunsch der Zuhörer nachgebend, veröffentlichte er eine Reihe von Predigtsammlungen, darunter auch "Salomo und Sulamith."

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Seitenzahl: 293

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Salomo und Sulamith

 

FRIEDRICH WILHELM KRUMMACHER

 

 

 

 

 

 

 

Salomo und Sulamith, F. W. Krummacher

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849663551

 

Der Originaltext dieses Werkes entstammt dem Online-Repositorium www.glaubensstimme.de, die diesen und weitere gemeinfreie Texte der Allgemeinheit zur Verfügung stellt. Wir danken den Machern für diese Arbeit und die Erlaubnis, diese Texte frei zu nutzen. Diese Ausgabe folgt den Originaltexten und der jeweils bei Erscheinen gültigen Rechtschreibung und wurde nicht überarbeitet.

 

Cover Design: 27310 Oudenaarde Sint-Walburgakerk 87 von Paul M.R. Maeyaert - 2011 - PMR Maeyaert, Belgium - CC BY-SA.

https://www.europeana.eu/item/2058612/PMRMaeyaert_eaa59c4c3340ca0a0e5d1bfdf2aaafc1522cc823

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

Vorwort zur sechsten Auflage.1

Vorwort zur ersten Auflage.2

Vorwort zur zweiten Auflage.4

Vorwort zur dritten Auflage.5

Vorwort zur vierten Auflage. 7

Vorwort zur fünften Auflage.8

Erste Predigt - Die Suchende. 9

Zweite Predigt - Die Taube in den Felslöchern. 19

Dritte Predigt - Ich bin schwarz.29

Vierte Predigt - Heilandsliebe.41

Fünfte Predigt - Sage mir an, wo du weidest.52

Sechste Predigt - Die Turteltaube läßt sich hören.63

Siebente Predigt - Ich schlafe, aber mein Herz wachet76

Achte Predigt - Thue mir auf!.85

Neunte Predigt - Vermissen und Wiederfinden.93

Zehnte Predigt - Schön wie der Mond.104

Elfte Predigt - Der Gang in den Nußgarten.111

Zwölfte Predigt - Zeuch mich dir nach!120

Dreizehnte Predigt - Der Myrrhenberg.126

Vierzehnte Predigt - Salomos Lager.134

Fünfzehnte Predigt - Er ist es gar!141

 

Vorwort zur sechsten Auflage.

 

Ich darf es wagen, dem Umstande, daß abermals eine neue Auflage dieser Betrachtungen nöthig wurde, die erfreuliche Bedeutung beizumessen, daß der Glaube der Kirche an die göttliche Eingebung wie an den geistlichen Sinn des Hohenliedes durch die Einwürfe des erfahrungslosen Unglaubens nicht erschüttert worden sei, und daß es in der heutigen Christenheit an wahrem Glaubensleben und geistiger Vertiefung nicht so gänzlich mangele, wie Manche, gar zu kleingläubig, behaupten möchten. - Gefalle es dem Herrn, jener ermuthigenden Ueberzeugung je länger je mehr das Siegel der Bestätigung aufzudrücken, und auch diese Betrachtungen ferner, wie bisher, zur Verklärung Seines Namens gesegnet sein zu lassen. Wir hoffen es zu Seiner Gnade, und grüßen unsere Leser mit dem Gruße der Liebe und des Friedens.

Berlin im Advent 1847.

Fr. W. Krummacher.

 

 

Vorwort zur ersten Auflage.

 

Nachstehende Vorträge, in wöchentlichen Betstunden gehalten, sind einfache Zeugnisse aus einem Gebiete innerer Erfahrungen und Zustände, in das die Sonde aller menschlichen Psychologie vergebens hinabzudringen strebt. - Den Kindern des Lichts, den Liebhabern der heimlichen Weisheit galten und gelten sie, und ihnen steht es zu, sie zu richten.

Die Herausgabe derselben möge in dem Umstande ihre Entschuldigung finden, daß sie von verschiedenen christlichen Freunden, denen diese anspruchlosen Betrachtungen als Spiegelbilder selbst durchlebter Seelenstände lieb geworden waren, zu wiederholten Malen gewünscht wurden.

Das Wörtlein „aus“ auf dem Titel will die nachfolgenden Predigten als solche ankündigen und bezeichnen, die nach des Verfassers bester Ueberzeugung, nicht etwa durch ein willkürliches Allegorisieren in's Bibelwort gewaltsam hineingezwängt, sondern auf dem Wege der Auslegung und Entwicklung aus dem Texte frei hervorgewachsen seien. - Der Verfasser bekennt sich mithin in Ansehung des Hohenliedes zur mystischen Ansicht, nicht sowohl darum, weil sie die Ansicht der Kirche und ihrer heiligen Altväter ist, sondern vielmehr, weil er glaubt, daß ihm hier der Geist gezeuget habe, was Wahrheit sei.

Indem der Verfasser denjenigen gerne und neidlos ihre Meinung lasset, die sich durch Gründe der Vernunft oder des Herzens gezwungen fühlen, das Lied der Lieder nach dem Vorgange einer neuern Gottesgelahrtheit in die Kategorie rein menschlicher Poesien zu verweisen, und in demselben nichts anders finden wollen, als Sprache irdischer Minne, oder eine Art mittelalterlicher Romantik in orientalischem Styl und Colorit: so hofft er, daß man's zu gleicher Vergeltung, auch ihm nicht gar zu übel nehmen werde, wenn ihm dieses heilige canonische Buch in einem andern Lichte erscheint. Ihm ist es ein Buch voll großer geistlicher Beziehungen, das er jenem Schmetterlinge, Apollo genannt, vergleichen mögte, der schön und farbig, wie wenige, nur auf den hohen Alpen lebt, und über unermeßliche Tiefen die glänzenden Flügel regt.

Der Schlüssel zum Hohenliede liegt in der eigenen Erfahrung. Wer noch draußen ist und das heitere und selige Heiligthum der Christus-Gemeinschaft, wovon das Lied durchgängig zeuget, noch nicht selbst betreten hat, dem gelten die süßen Töne der Sulamithin nicht. - Das Ohr dafür hat Keiner mit auf die Welt gebracht. - Suche die Deutung dieses Liedes nicht im Wege eines vernünftigen Reflektierens; es ist eitel. Suche sie nicht in der Schule einer stagnierten, dem Leben entfremdeten Orthodoxie. Es ist allein der Geist, der hier die Tiefen erforscht, und diese Hieroglyphen lesen lehrt.

Wen es befremden oder gar stoßen sollte, daß im Hohenliede zur Veranschaulichung geistlicher, geheimnißvoller Verhältnisse, die Bildhüllen aus dem Gebiete der bräutlichen und ehelichen Liebe entlehnt werden, der, bedenke doch, daß die Liebe der Geschlechter, in so weit sie in Gott ist, eine himmlische Blume sei in irdenem Topf. - Die irdene Scherbe wird zu seiner Zeit zerschlagen werden, daß die Blume zu ewiger Verklärung in den Himmel eingehe. Sollten die nachfolgenden Blätter, die sich übrigens äußerst wenig einbilden, es doch erleben, auch draußen vor den Thoren Zions berücksichtigt, das heißt verhöhnt und versschrien zu werden, so wird der Verfasser solches sich vielleicht zur Ehre auslegen, und daraus den angenehmen Schluß ziehen, daß er Gottes Wort geredet habe. Denn wo jener Reuter, mit dem scharfen Schwerdt im Munde, sein weißes Roß tummelt, da wirbelt's Staubwolken hinter ihm her.

Gemarke im Wupperthale

in den Tagen des Advents 1825.

Der Verfasser

 

 

Vorwort zur zweiten Auflage.

 

Zum zweitenmale wagen sich diese Predigten über die friedlichen Grenzen der geliebten Gemeine, welcher sie zunächst gegolten, hinaus, um das Weite zu suchen. - Der liebe Leser wolle sich versichern lassen, daß das weder aus Wanderlust noch Uebermuth geschehe. - Auch sie haben es ja reichlich erfahren müssen, kein Reisen sei ohn' Ungemach, und die Ehre war theuer im Lande. - Sie wissen zur Stunde noch von keinem andern Ruhme, als allein von dem, welchen der Apostel nennt: „unser Ruhm ist der, nämlich das Zeugniß unseres Gewissens!“ und wäre ihnen nicht von ohngefähr das Sprüchlein Sirachs auf die Seele gefallen: „man kann sich auch so schämen, daß man Sünde daran thut,“ sie wären sein daheimgeblieben.

Wenn gleich der Verfasser schmerzlich zu bedauern hat, daß um dieser seiner Zeugnisse willen die Zahl seiner bisherigen Gönner um ein Bedeutendes vermindert worden ist, so verdankt er ihnen dagegen von der andern Seite die Bekanntschaft so mancher theuern, in Christo nahverwandten Seele, daß der Ausgang des Kampfes, den der Schmerz über den Verlust und die Freude über den Gewinn in seinem Herzen wider einander führen, wenigstens ungewiß ist. In der Hoffnung, daß sie auch fernerhin noch manche Taube in den Felslöchern in Liebe ihm verbinden werden, entläßt er sie aufs neue, und wünscht ihnen, wenn der Wunsch nicht zu verwegen ist, die gnädige Begleitung dessen, der einst einem Blindgeborenen mit etwas Koth die Augen öffnete, und dem es allerdings ein Leichtes ist, zu sprechen, daß diese Steine Brod werden.

Gemarke im Juli 1826.

Krummacher.

 

 

Vorwort zur dritten Auflage.

 

Bei der dritten Auflage der Predigten aus dem Lied der Lieder haben wir nichts zu bemerken, als daß sie uns, nachdem die zweite schon eine Zeitlang vergriffen war, wider unser Erwarten durch fortdauernde Nachfragen gewissermaßen abgenöthigt wurde. Wir wollen zwar nicht in Abrede stellen, daß das leidenschaftliche Geschrei, welches da und dort wider diese Vorträge erhoben ist, zu dem erwünschten Absatz derselben das Seine möge beigetragen haben; doch gebricht's uns auch, Gottlob! an Gründen nicht, die uns gestatten, den häufigen Nachfragen, die nach diesen Zeugnissen geschehen sind und geschehen, eine erfreulichere Deutung zu geben. Während diese anspruchlosen Blätter auf dem literarischen Forum am Pranger schwebten, hat sich Der, „der da erwählt, was Nichts ist,“ nicht geschämt, sich in gnädiger Herablassung zu ihnen zu bekennen, und was der Unglaube wüthend zerpflückte und in die Winde warf, ward dem Glauben vieler Gläubigen durch die Gnade zu einem Balsamsträuchlein an dem Wege.

Die Predigten erscheinen abermals unverändert. Die öffentlichen Beurtheilungen, deren man sie gewürdigt, waren, leider! dem größten Theile nach, nicht von der Art, daß auf ihre Ausstellungen bei einer neuen Auflage irgend eine Rücksicht genommen werden konnte. Sie tadelten nur, was wir für den einzigen Vorzug dieser Betrachtungen hielten: ihre Schrift- und Erfahrungsmäßigkeit; und wir bedauern, daß sie uns zu nichts Anderem haben dienen können, als zu einer neuen Bestätigung der alten Wahrheit, daß „der natürliche Mensch vom Geiste Gottes nichts vernehme.“ Auch hätten sie uns in der Ueberzeugung bestärken können, einmal, daß die gepriesene „Denkgläubigkeit“ der Neueren wenigstens vor Gemeinheit nicht schütze, und zum andern, daß der neologische Fanatismus nirgends heftiger entbrenne, als wo das evangelische Christenthum nicht als System bloß, sondern als Leben erscheint, und sich als ein innerliches, im Wege lebendiger Erfahrung Erprobtes geltend machen will; wenn wir anders für diese Ueberzeugung noch weiterer Belege bedurft hätten. - Dem Unbekannten in den Heidelberger Annalen sagen wir übrigens, seines scharfen Tadels ohnerachtet, den aufrichtigsten Dank. Hier war treue Meinung, Anerkennung der innern Wahrheit in diesen Zeugnissen - und auf eine anderweitige Anerkennung machen wir keine Ansprüche - und des Lehrreichen viel, das wir gerne beherzigt haben.

Mögen die beiden letzten Betrachtungen, welche wir dieser Auflage zugegeben, unsern lieben Lesern nicht weniger willkommen und gesegnet sein, als es die ersten waren, und auf das Geheiß der Gnade namentlich den Bekümmerten und Bedrückten da und dort in Zion ein Oelblatt des Friedens und der Freude zutragen.

Barmen im Februar 1830.

Der Verfasser.

 

 

Vorwort zur vierten Auflage

 

Die vierte Auflage dieser Betrachtungen erscheint, wiederholt geäußerten Wünschen zu genügen, um neun Predigten vermehrt, und darf sich um so beherzter den nachsichtigen Lesern nahen, je weniger sie sich ihnen unberufen aufdrängt, indem sie mit ihrem Erscheinen nur der Nöthigung fortgehender Nachfragen sich bequemte. Das Hohelied ist immer noch für Viele, selbst der Gläubigen, wie die Freundin, deren Innerstes es uns enthüllt, eine Rose unter Dornen. Wie Manche bleiben zwischen dieses Liedes ungewohnten Ausdrücken und kühnen, den Verhältnissen bräutlicher Liebe entlehnten Bildern befremdet, ja verwundet hangen, ohne zu dem Himmelsrosendufte seines heiligen Inhalts durchzudringen! Es ist der Glaube eines Christen aber allzu zarter Natur, als daß er an irgend einem Flecke, wenn auch nur obenhin, geritzt werden könnte, ohne mälig ganz einem bedenklichen Entzündungszustande zu verfallen. Lassen wir uns den göttlichen Stempel auch nur eines Theils der Schrift, und wär's des unbedeutendsten, verdächtigen, so hat sich alsobald eine Bresche in unserm Mauerwerk geöffnet, durch welche unaufhaltsam, wenn gleich unvermerkt, ein ganzes Heer den Frieden zerfressender und die Thatkraft lähmender Scrupel zu uns eindringt. Der Einfältigkeit in Christo ist das Hohelied gegeben, nicht der vermeß'nen Spekulation. Die gleichartige Erfahrung findet sich in diesem blühenden Garten innerer Lebensbilder leicht zurecht, und ersieht schon, wie in den mehrfachen bestätigenden Hinüberdeutungen auf dieses Lied, welche in den Gleichnißreden des Herrn und den Aussprüchen der Propheten ihr begegnen, so in dem allzeitigen einstimmig anerkennenden Zeugniß der Kirche Gottes eine hinreichende Bürgschaft für des Liedes göttlichen Ursprung und geistliche Bedeutung. Wir freuen uns übrigens, auch schon durch die unerwartet weite Verbreitung dieser wenigstens dem grünen Boden wirklichen Herzenslebens entwachsenen Vorträge uns zu dem Schlüsse berechtigt zu sehen, daß derer, die in den zarten Tönen des Hohenliedes den reinen Nachhall ihrer innern Führungen und Stände vernehmen, nicht gar wenige mehr seien, und harren mit Verlangen dem Anbruch jener Jubelperiode unsers Reichs entgegen, da das Lied der Lieder, das allerdings zur Stunde noch prophetisch mehr, als didaktisch und historisch dasteht, im Leben der Auserwählten eine neue, kaum noch geahndete Verwirklichung finden wird.

Elberfeld im April 1839.

Der Verfasser.

 

 

Vorwort zur fünften Auflage.

 

Daß abermals eine neue Auflage dieser Herzensergüsse - denn als solche darf ich diese Predigten bezeichnen - nöthig ward, kann mich in der für mich allerdings sehr erquicklichen Ueberzeugung nur bestärken, daß ich in denselben mit meinen eigenen innern Erlebnissen zugleich die gemeinsamen Erfahrungen aller Derer aussprach, die mit mir auf dem Wege zu der ewigen Gottesstadt begriffen sind. - Mit dem Gruße des Friedens grüße ich diese meine theuern Gefährten unter dem Panier des Heils, in der Nähe und in der Ferne, und rufe ihnen zu, was der Jünger, der an Jesu Brust ruhete, seinen Lieben: „Wir sind nun Gottes Kinder; doch ist noch nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen wird, daß wir Ihm gleich sein werden; denn wir werden Ihn sehen, wie Er ist.“

Elberfeld im September 1843.

Der Verfasser.

 

 

Erste Predigt - Die Suchende

 

Hohelied Salomons 3, 1-4.

 

Ich suchte des Nachts auf meinem Lager, den meine Seele liebt; ich suchte, aber ich fand ihn nicht.

Ich will aufstehen, und in der Stadt umgehen, auf den Gassen und Straßen, und suchen, den meine Seele liebet. Ich suchte, aber ich fand ihn nicht. Es fanden mich die Wächter, die in der Stadt umgehen: Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebet? Da ich ein wenig vor ihnen überkam, da fand ich, den meine Seele liebet. -Ich halte ihn und will ihn nicht lassen, bis ich ihn bringe in meiner Mutter Haus, in meiner Mutter Kammer.

 

Die Braut, die Gemeinde des Herrn, oder die einzelne gläubige Seele, öffnet uns in der verlesenen Stelle die Schatzkammer ihrer geistlichen Erfahrungen, und erzählt uns etwas aus ihrer Führung und innern Lebensgeschichte, wozu gewiß mancher unter uns in dem, was er selber auf dem Wege des Heils schon erlebt, den Schlüssel finden wird. O! eine feine, tiefe und große Wahrheit, welche in der Erzählung der Braut uns vor die Augen tritt. Was uns an Christum bindet, das muß nicht sowohl der süße Geschmack seiner Güte, als vielmehr das schmerzliche Gefühl unserer Armuth und unseres Elendes sein. Das ist die Wahrheit, in deren große Bedeutung unsere heutige Betrachtung uns tiefere Blicke eröffnen möge.

Nach Anleitung ihrer eigenen Aeußerungen, beobachten wir die Braut mit stetem Blick auf uns, in einer vierfachen Lage:

 

1.       Zuerst wie sie schwelgt in geistlichem Reichthum.

2.       Wie sie verliert, was sie hat, und in der Verbannung schmachtet.

3.       Wie sie im Wiedersuchen begriffen ist und nicht findet.

4.       Wie sie findet um nicht mehr zu verlieren.

 

I

Ich suchte des Nachts auf meinem Lager. Wen denn? - Den meine Seele liebt. Christum, den Schönsten der Menschenkinder. Christum, den himmlischen Bräutigam. Den hatte die klagende Seele gehabt auf ihrem Lager. Liebliches Bild, mit welchem die ganze Seligkeit des Zustandes angedeutet wird, in dem sie sich zuvor befunden hatte! Sie hatte den Herrn auf ihrem Lager. Den Herrn auf seinem Lager haben, was kann das anders heißen, als bei ihm und in ihm ruhen, seiner beseligenden Nähe auf das Allerlebhafteste und Empfindlichste inne werden, seine Freundlichkeit schmecken, voll sein von warmem, innigem Gefühl der Liebe und Zärtlichkeit gegen ihn, und lauter Lust und Freude empfinden bei der Betrachtung seiner Person, seiner Thaten, seines Wortes. Den Herrn auf seinem Lager haben, was heißt das anders, als seiner Zuneigung und Liebe sich versichert fühlen, seiner Verheißungen und Zusagen im Herzen froh und gewiß sein, erfüllt sein mit andächtigen Rührungen und Bewegungen des Gemüthes, und mit lebendigem innern Drang und Trieb, ihn zu loben und zu preisen, über ihn zu jubeln und zu frohlocken.

Blicket zurück auf die Aeußerungen unserer Braut in den vorhergehenden Versen ihres Liedes. Da sie jubelte: „Der Geruch deiner Salben ist lieblich; dein Name ist eine ausgeschüttete Salbe.“ Da sie ausrief: „Mein Freund ist mir eine Cophertraube in den Weingärten Engedi. Siehe, mein Freund, du bist schön und lieblich. Wie ein Apfelbaum unter den wilden Bäumen, so ist mein Freund unter den Söhnen. Ich sitze unter seinem Schatten, deß ich begehre, und seine Frucht ist meinem Gaumen süße. Er führet mich in den Weinkeller, und die Liebe ist sein Panier über mir. Er erquicket mich mit Blumen, und labet mich mit Aepfeln, denn ich bin krank vor Liebe. Mein Freund ist mein, und ich bin sein, der unter den Rosen weidet.“ - Da sie also sang und jauchzte, da also das Saitenspiel ihres Herzens klang und tönte, da hatte sie, den ihre Seele liebt, auf ihrem Lager. -

Dieser süße und liebliche Zustand, da man den Herrn auf seinem Lager hat, tritt gewöhnlich in der ersten Zeit der Bekehrung ein. Der Pfingsthauch, der Wind vom Himmel, blaset daher, und unter seinem allmächtigen Wehen schmelzen allmählig, wie Schneedecken, die Hüllen hinweg von der Wüste unseres Herzens und Lebens. - Es zerreißen die Schleier der Selbstverblendung, und ehe wir's uns versehen, kommt uns, die wir bisher so satt waren und nichts begehrten, unsere große Friedens- und Freuden-Armuth vor die Augen. - Wir fühlen Lücken, die verzäunt, und geistliche Bedürfnisse, die gestillt sein wollen. - Wir finden, daß es mit uns nicht stehe, wie es stehen sollte - und es sagt uns ein lebendiges Gefühl, daß es anders mit uns werden müsse. - Worte und Werke, Gesinnungen und Bestrebungen, die uns bis dahin gut und recht gedünkt, fangen an uns zu beunruhigen, und wir fühlen ein innerliches Nagen, wie eines Wurmes, der nicht sterben, wie eines verborgenen Feuers, das nicht verlöschen will. - Da laufen wir denn um, zu suchen, was uns heilen, und was den wunderbaren Durst der Seele stillen mögte. Aber diese Welt ist nicht Gilead, und ihre Hülfen, Rathschläge und Linderungsmittel sind eitel ausgehauene, löcherichte Brunnen, die kein Wasser geben. - Je mehr wir das erfahren, je mehr wächst unser Hunger und Kummer, daß es endlich gar aus ist mit aller Freude - und alle Thränenquellen sich erschließen, und das Lachen in bitterliches Weinen sich verkehret. - Das ist der Thaumond - da unter dem Brausen des Pfingstwindes die starren Eisesbanden des natürlichen Stolzes und der Unbußfertigkeit zu brechen beginnen, und der Mensch die verdeckenden Hüllen von seinem Jammer schwinden stehet. - Wohin nun? Nun, es ist ein Zug der Gnade da - eine Hand in der Wolke, die leitet sicher, und irret Niemand. - Man kommt zu Jesu, - man schreiet, man seufzt um Gnade, man bekommt Antwort in seine Seele, und nun nimmt der Mai seinen Anfang, nun bricht die Zeit herein, da man, wie die Braut, den Herrn aus seinem Lager hat. Ach Gott, wie einem nun so wohl ist! - Welch ein Leben, gegen das arme, kümmerliche Leben in der Welt gehalten! - Wißt ihr noch, wie es uns war in jener Zeit? Wie da Alles in der Blüthe stand auf unseres Herzens Acker? Wie wir da weinen konnten, wie die Kinder vor Rührung und Freude weinen, so oft wir uns ergötzten im Garten der Schrift, so oft wir gedachten des Herrn, wie er so treu gewesen, und sein Wort und seine Geschichte lasen? - Wie uns das Herz hüpfte und bebte vor Entzücken, wenn wir von ihm zeugen und predigen hörten, wie wir voll Inbrunst waren, wenn sein Lob gesungen wurde und wie wir beten konnten, mit welcher Inbrunst, mit welchem Drang und Trieb, mit welcher Lust und Liebe. - Wie wir nun angethan waren und gerüstet, von ihm zu reden, wie wir nun in einem Nu die Welt bekehren, und von den Dächern und auf den Gassen seinen Namen verkündigen wollten. - Wie wir Mauern suchten. um mit unserm Gott darüber zu springen, und lebendige Steine um ihm schnell einen Tempel zu bauen, - und wir gar nicht begreifen konnten, daß andere Christen so still waren, so ruhig und gehalten, und nicht die Fülle unserer Empfindungen teilten und nicht in unsern Jubel einstimmten, ja wohl gar im Stande waren, zu klagen und zu seufzen, da wir für immer ausgeklagt und ausgeseufzt zu haben meinten. - Gedenkt ihr noch an diese Zeit? - Da hatten wir in dem Sinne. in welchem die Braut es meint in unserm Texte, den Herrn auf unserm Lager. Dieser Stand war süß und selig, aber es durfte dann für unsere Seele kein Bleibens sein. Der Herr mußte uns zu seiner Zeit aus diesem Lande Gosen geistlicher Vergnügungen, von dieser fetten Weide der Empfindungen, wieder ausführen. - Denn hüben wir nicht schon heimlich an, in dieser Lage übermüthig zu werden und um der seligen Aufgeregtheit unseres Gemüthes wollen, uns für große Heilige zu halten, für Sonderlinge vor Andern? Begannen Wir nicht schon in der Freude über unsern Reichtum des Bettelstabes uns zu schämen, und ließ der Drang und das Bedürfnis nicht schon nach, anzuklopfen an die Gnadenpforte, und mit den Armen und Elenden an der Thüre des reichen Herrn uns zu lagern? - War es nicht schon im Grunde weit mehr unser eigenes Frommsein und unsere Empfindungsfülle. worauf wir bauten und fußten, und um weßwillen wir dem Gericht zu entrinnen hofften - als Christus und sein Verdienst? - Fingen wir nicht schon an. den Grund unserer künftigen Seligkeit in uns zu suchen, anstatt allein außer uns in dem Gekreuzigten? - Und was wir liebten, war es nicht weit mehr das Brod womit uns Christus speisete, der Wein, damit er uns tränkte, als Er selbst? - Wir liebten ihn, ja. wir hingen ihm an. allerdings. Was war es aber für eine Liebe? - War es jene ernste, heilige, feste Liebe. die da ihren Grund hat im Bewußtsein: Christus ist mein Blutbürge. der mein Leben aus der Hölle gerissen hat. und dem ich's danke daß das Feuer des Gerichts mich nicht verzehret? - War es jene Liebe, die da geankert ist in dem beugenden Gefühl: ich bin nicht werth, daß die Sonne mich bescheinet, und Christus hat die Himmel verlassen, um meinetwillen, - um meine, den Teufeln verfallene Seele zu retten und mit seinem Leben zu erkaufen? - War es jenes Anhangen an ihn und jenes Festklammern, das seinen Grund hat in der lebendigsten Anerkennung unserer gänzlichen Ohnmacht, Nichtigkeit und Untüchtigkeit, und in der Ueberzeugung, daß man jeden Augenblick von Christi Gnade leben müsse? - O nein, so weit reichte unser Blick noch nicht, weder in uns selbst und die Tiefe unseres Verderbens, noch in den Abgrund der Verdienste Christi. Wir hatten nur erst oben abgeschöpft, sowohl vom Pfuhle unserer Verwüstung, als von dem grundlosen Meere der Liebe und Barmherzigkeit des Mittlers. Nur oberflächlich konnte darum auch unsere Liebe zu ihm sein. - Einzelne Sünden waren uns wohl schon vor die Augen gekommen, aber unsere Sündigkeit noch nicht; diese, jene Uebertretung, aber noch nicht die ganze wüste und zerrüttete Grund unseres Herzens; - ein und der andere Auswuchs, aber noch nicht der böse Saft, der uns durchströmt, noch nicht das ganze Bild Belials, das wir in uns tragen. Mit einem Wort: wir waren für Christum noch mehr eingenommen, des süßen Geschmacks seiner Gaben wegen, als daß wir durch das Gefühl unseres Elendes und seiner Unentbehrlichkeit zu unserem Heil an ihn gebunden gewesen wären. - Und das ist ein laxes und loses Band, das eine Liebe, die jeder Wind der Anfechtung auslöschen kann, - nicht aber eine feurige Gluth, die stark ist wie der Tod, fest wie die Hölle, - und die auch viele Ströme nicht ersäufen können. -

 

II

Damit es nun aber mit uns komme zu jenem vollkommenen Stand, da man Christo anhängt, nicht mehr blos der Lust wegen, die man bei ihm hat, sondern des Elends wegen, das man in sich findet; - nicht mehr der Aepfel und Blumen halber, damit er uns labet, sondern seiner Unentbehrlichkeit wegen, zu unserm ewigen Heile; - nicht mehr wegen der gefühlvollen, schönen Stunden, die man in seinem Reiche genießet, - sondern aus dem Grunde, weil man sich außer seiner Gemeinschaft, dem Zorn und Feuereifer Gottes und allen finstern Mächten Preis gegeben fühlt. - Damit unsere Stellung zu ihm also werde, daß wir uns gleichsam an seinen Hals hängen und sprechen: „Herr Jesu, mach's nun mit mir, wie Du willst, erquicke mich oder auch nicht, sättige mein Herz mit Manna oder laß mich darben, - Dich lasse ich nicht, denn wo ich Dich nicht hätte, verginge ich in meinem Elende; denn außer Dir ist nichts als Nacht und Tod und Hölle,“ - damit es dahin mit uns komme, pflegt es der Herr zu machen, wie er's mit der Braut machte. - Zu seiner Zeit verwandelt er den heitern Sonnentag in unserm Gemüthe in dunkle Nacht, und entzieht uns alle Labung und Erquickung. - „Ich suchte des Nachts auf meinem Lager, den meine Seele liebt, spricht die Braut, ich suchte, aber ich fand ihn nicht.“ - Es war also Nacht geworden um sie her, und sie mußte klagen: „ich habe den Herrn verloren.“

Nacht, in dem Sinne, in welchem die Braut es versteht, ist es dann für uns geworden, wenn das Gefühl von der beseligenden Nähe des Herrn aus uns verschwunden ist, und unser Herz keinen Geschmack mehr hat von dem lieblichen Wesen zu seiner Rechten. Nacht ist es worden, wenn die Fülle seliger Empfindungen und Rührungen in uns vertrocknete und die Lust am Herrn, und dem, was des Herrn ist, in uns ausging. - Nacht ist es worden, wenn das Wort, das wir lesen, uns nicht mehr rührt, wenn die Verheißungen, die wir vernehmen, unser Gemüth kalt und unerregt lassen, wenn die Predigt, der wir horchen, keinen Genuß mehr bietet, wenn der Gottesdienst, der uns zuvor das freudigste Geschäft gewesen, uns zu einer Last wird; - wenn wir den seligen Trieb vermissen zum Bekennen, und den überschwenglichen, wohlthuenden Drang zum Loben und Preisen, - und die Beschäftigung mit den heiligsten, größten Dingen unser Herz nicht mehr zerfließen macht in angenehmen Rührungen und süßen Gefühlen. - Dann ist es Nacht geworden. O des jammervollen Zustandes, da die Narde unserer geistlichen Erkenntniß ihren Geruch verloren hat, da die Trauben im Garten des Evangeliums für uns keinen Saft mehr haben, und die Blumen keinen Duft, - und da unser Herz ist, wie ein dürrer Sandfleck, und die geistliche Zunge uns am Gaumen klebt! -

Da geht's denn nun ans Klagen und Lamentieren, da liegen wir am Boden und wissen nicht Rath und Trost mehr, denn die Krücke, darauf wir uns lehnten, war nicht das Verdienst Christi, sondern unser Gefühl, und diese Krücke ist nun zerbrochen. Und der Grund, darauf wir das Haus unserer Hoffnung bauten, war nicht der Balken des Kreuzes, sondern vielmehr der lose Boden unseres eigenen Frommseins und unserer lebhaften Empfindungen, und wir sind gewohnt, mehr auf uns zu sehen, als auf den Gekreuzigten, - und unser Trost war mehr unser Liebesgefühl zum Herrn, als die Liebe des Herrn zu uns. - Darum haben wir aber auch nichts mehr von der ganzen Heilsanstalt Christi, sobald einmal über das Blüthenfeld unserer Empfindungen und Gefühle ein Winterfrost hereinbricht, und müssen dann klagen mit der Braut: ich habe den Herrn verloren.

 

III

Was begibt sich nun weiter in diesem Zustande der Beraubung und Verbannung, wenn der Herr den üppigen Frühling unseres Herzens in kalten Winter verwandelte, und das Saitenspiel in uns verstummte, und das sonst so aufgeregte, empfindungsvolle und selig gerührte Herz zu einem Sandfleck worden ist? - Wir sehen's an der Braut. Da es Nacht in ihr worden war, da dachte sie: ich will aufstehen und suchen, den meine Seele liebt. - Ja wohl: „ich will - ich will.“ - Da sieht man's, wie wenig sie sich selbst noch kennt. Ich will aufstehen, will mich selber wieder aufrichten, will mich in das verlorne Paradies zurückversetzen, will mich wieder hineinarbeiten in den vorigen seligen Stand, will in mir das Liebesgefühl zum Herrn, und die Begeisterung für ihn wieder aufwecken; - will mein Herz wieder erwärmen und erleuchten, will mir wieder erwerben die vorige Freudigkeit und die Lust zum Rühmen, Loben und Bekennen, will meinen Mund wieder salben und mein Gemüth wieder so regsam machen, so rührig und empfänglich; ja was will sie nicht alles? - Aber laßt sie nur wollen, laßt sie sich nur abmühen! - Ueberaus heilsame Entdeckungen wird sie machen auf diesem Wege. Ein Jammerweg wird's für sie sein, aber am Ende dieses Weges liegt Heil und großer Segen. -

Ich will aufstehen. Wohin will sie nun? - Ich will in der Stadt umgehen, auf den Gassen und Straßen, und suchen, den meine Seele liebt. - In der Stadt? - Ja, in Jerusalem, dem geistlichen nämlich; - im Reiche Gottes, in der Gemeinde der Gläubigen, da gedenkt sie das verlorene, freudige Empfindungsleben wieder zu finden. - Doch ach, ich suchte, heißt es, aber ich fand ihn nicht. - Was sie sagen will, nicht wahr, wir wissen es aus eigener Erfahrung. - Ei ja, als uns jene Nacht überfiel, da meinten wir auch noch, wir könnten selbst das Freudenlicht uns wieder hervorarbeiten in unsere Seele, und vermögten unser dürres Herz uns selbst wieder aufzufrischen. Da hieß es auch noch: ich will, ich will, - als ob alles in unseren Händen gelegen hätte. - Da machten wir uns auch auf und durchstrichen die Gassen Jerusalems, und hofften, bald hier, bald dort, bald durch dieses, bald durch jenes Mittel, das Quellwasser geistlicher Freude wieder in uns herauf zu pumpen, doch ach, „ich suchte, aber ich fand ihn nicht.“ -

Bald waren es herzerhebende, schöne geistliche Bücher, die wir vor uns aufthaten, von denen wir uns predigen ließen, in der Hoffnung, dadurch würden wir wieder Odem bekommen, und den stehenden Teich der Empfindungen wieder in Bewegung setzen und zum Wellenschlag bringen. - Aber ach, die Bücher dünkten uns schaal und nüchtern, und ließen uns, wie wir waren, matt und trocken. - Wir suchten, aber fanden nicht. - Wir eilten zu den Versammlungen der Heiligen, wo freudig gezeugt wurde von Christo und seiner Liebe, wo sein Lob ertönte in lieblichen geistlichen Liedern, und herzliche Gebete zum Himmel stiegen, da dachten wir, müßte auch uns der Freudengeist wieder ergreifen, auch uns das Herz wieder aufthaun, und der Mund sich wieder öffnen. - Aber wir suchten, und fanden nicht. - Waren Andere beredet, wir blieben stumm; - floß es von Andern ab wie lebendiges Wasser, wir hatten keine Erquickung daran und erquickten niemand, - vermochten Andere inbrünstig zu beten, wir konnten nur trockene Worte machen. - Alles flog aufwärts auf Andachtsflügeln, wir blieben unten stehen, und die Flügel wollten uns nicht wachsen. - Wir thaten uns Gewalt an, mitzusingen, aber der Gesang wollte nun einmal durchaus nicht von den Lippen in's Herz kommen, das Herz blieb, ach! so sang- und klanglos. - Wir suchten, aber wir fanden nicht. - Wir drängten uns hinzu, wo es irgend feierliche Auftritte und Handlungen gab, in der Hoffnung, da werde das Eis unseres Herzens wieder aufthauen, da würden wir wieder etwas schmecken von dem lieblichen Wesen, das zur Rechten des Herrn ist ewiglich. - Aber es war Nacht und blieb Nacht, und dem Winter in uns schien kein Frühling mehr folgen zu wollen. - Wir suchten, aber wir fanden nicht. - Wir liefen uns die Füße wund in Jerusalems Gassen, nahmen bald zu diesem, bald zu jenem frommen Freunde unsere Zuflucht, und klagten, aber es blieb beim Klagen; wir versuchten bald dieses, bald jenes, um unser Herz wieder jung zu machen, lebendig und blühend; aber immer aufs Neue mußten wir seufzen mit der Braut: ich suche ihn, aber ich fand ihn nicht. -

Die Braut stößt auf die Wächter, die in der Stadt umgehen. Die Wächter? - Wer sind die? - Das sind wir Botschafter an Christi Statt, deren Beruf es ist, umzugehen in Jerusalem, zu wachen, daß kein Schade geschieht in der Stadt, zu wecken die Seelen, die wir im brennenden Hause und am Rande des Abgrundes schlafend finden; zurückzuführen die Nachtwandler von den gefahrvollen Felswänden, worauf sie klimmen, - zu warnen, die da irren vom Wege, des Lebens, zu trösten, die da einsam sitzen und weinen; - aufzumuntern, die daniederliegen in den Gassen, und denen der Odem ausgegangen ist, daß sie nicht weiter können. Ja, die Wächter, das sind die Haushalter über Gottes Geheimnisse. - Zu denen kam die Braut: „Habt ihr nicht gesehen, den meine Seele liebt?“ Unter denen, meint die Braut, müsse sie wohl finden, was sie suche; - aber ach, auch diese letzte Hoffnung belog sie. - Auch hier heißt es: „ich suchte, aber ich fand ihn nicht.“ - Mahnung, Rath und Lehre genug, aber kein Leben, kein Freudenlicht, keine Liebe, keine Lust am Herrn und seinen Sachen, nichts von dem, was sie suchte. - Da hatte sie sich denn matt und müde gerannt in den Gassen der Stadt Jerusalem, und alles versucht, - aber es blieb bei der Klage: „ich suchte, aber ich fand ihn nicht.“

 

IV

So hatte es denn nun allerdings den Anschein, als ob die Braut auf immer von allem Heil hinweggeschleudert wäre, - und doch war sie ihrem Heil noch nie so nahe gewesen, als grade jetzt. Sie stand nun auf dem Punkte, zu Christo in das rechte Verhältniß zu kommen und in die Verbindung mit ihm, die ewig währet. Sie hatte nun alles versucht, um sich für den Herrn, sein Reich und seine Sache zu erwärmen. - Alles war eitel und vergeblich gewesen, und selbst unter den Wächtern, die in der Stadt umgehen, hatte sie nicht wiedergefunden, was sie verloren. - Todt, wie sie zu ihnen kam, zog sie auch wieder von ihnen zurück. - Und als sie nun ein wenig vor ihnen überkam, - da, nun, was geschah da? da, denke ich mir, stand sie für's Erste stille, und ging, wohin? sie ging hinein, zunächst in sich selbst, in ihr eigen armes mattes Herz, und fühlte es mit voller Klarheit und Gründlichkeit zum erstenmal in ihrem Leben, wie der Mensch Null sei, und sein Können und Vermögen Null, und wie er durch die Sünde in der allerfürchterlichsten Ohnmacht darnieder liege. - Nein, daß es so traurig mit ihm aussehe, daß er so in sich abgestorben sei, daß er nicht einmal vermöge, aus sich selbst sein Herz in Liebe zu erwärmen gegen den größten aller Wohlthäter, den treusten aller Freunde, daß er nicht einmal sich selber den Mund öffnen könne zum Preis und Lobe dessen, der wie Keiner im Himmel und auf Erden, des Lobes, Dankes und des Preises würdig ist, - daß er nicht einmal im Stande sei, aus sich selber sich zu freun über die größten Segnungen, sich im Gebet zu Gott emporzuschwingen, und seine Lust zu haben an dem Herrn und seinen Gütern, und daß selbst die allertrefflichsten Mittel viel zu schwach seien, um den Fels seines Herzens in Andacht, Liebe und heiliger Rührung zu zerschmelzen, - nein, das hätte sie nimmer gedacht, nimmer sich träumen lassen! - Wie hätte es ihr je einfallen können, die menschliche Natur für so verwüstet zu halten! - Aber nun gingen ihr erst auf dem Wege der Erfahrung die Augen auf über die ganze Zerrüttung der Natur. Nun erst fühlte sie es recht, wie des Menschen Leben von Natur nur ein Tod sei und kein Leben; - nun erst erkannte sie sich in ihrem ganzen Verfall, in der ganzen Kraft- und Saftlosigkeit ihres Wesens und Willens, in ihrer großen Verkommenheit und Hülfsbedürftigkeit, - und war es ihr bisher genug gewesen, einen Bräutigam zu haben, der ihr viel Gutes that, und der Freuden und Erquickungen viel ihr schenkte, - ach Gott! nun erhub sich in ihr das Geschrei nach einem Bürgen, der für sie einträte, nach einem Mittler, der sich ihrer armen Seele annähme, nach einem Fürsprecher, der ihr durch's Gericht hülfe, nach einem Erneuerer, der sie in seine Arbeit nähme und etwas aus ihr machte, woran das Auge Gottes einiges Wohlgefallen haben könnte. - Und was sie suchte, sie fand es in der Person dessen, der ihr bisher mehr nur ein lieber Freund gewesen war, welcher ihr das Leben erheiterte und das Herz fröhlich machte; aber ach, was war er ihr nicht alles jetzt geworden! „Da ich ein wenig vorüber war, da, jauchzt sie, da fand ich, den meine Seele liebt.“

Ist es uns nicht auf gleiche Weise ergangen, meine Brüder? Anfangs hingen auch wir dem Herrn mehr darum an, weil wir von ihm und seinen Worten viele Freude hatten, als darum, weil wir uns ohne ihn ewig hätten verloren gefühlt. - Das war aber nur ein loses Anhangen, eine matte Liebe, die nicht länger dauerte, als das Freudengefühl unseres Herzens. War das verschwunden, und die Tafel, da wir Lust und Erquickung genossen, abgetragen, dann waren wir, ach! wieder los von Christo, und konnten ihn zehnmal verläugnen in einem Athemzug, auf allerlei Weise. Aber als wir erst unter des Geistes Erleuchtung, in uns die ganze verwüstete Kreatur zu sehen bekamen, und in Christo den ewigen Blutbürgen und Mittler, dessen Hand allein unser Leben aus den ewigen Flammen reißen kann, da war unser Verhältniß zu ihm und unser Anhangen ein ganz anderes geworden. -